„J…“, bringe ich nur noch heraus. Dann fühle ich mich, als würde mir die Luft abgeschnürt werden. Ich atme tief durch und fange wieder an: „J…Jessica?“, frage ich ungläubig. Ist sie es wirklich? Das kann nicht sein. Sie ist doch in Bridgeport. Ich atme heftig ein und aus, weil ich das Gefühl habe, nicht mehr genug Luft zu bekommen. Ich muss sie verwechseln. Aber sie sieht genauso starr aus, wie ich mich gerade fühle.
„Chris…?“, flüstert sie. Als sie meinen Namen sagt, gefriert mir das Blut in den Adern.
Es ist Jessica!!! Das ist meine Frau! Also… meine Ex-Frau! Jessica!!!
Als ich das realisiere fühle ich mich wie gelähmt. Wenn man einen Menschen, den man mal geliebt hat und mit dem man sein Leben geteilt hat, nach einer so langen Zeit wiedersieht, passiert das nun mal. Wir starren uns an und machen wohl beide diesen Schock durch. Wisst ihr, es ist einfach noch betäubender, diesen einen Menschen ausgerechnet in einer kleinen Stadt wie Willow Creek wiederzutreffen. Ich habe Jessica damals in Bridgeport kennengelernt. Sie ist auch Archäologin. Jetzt ist sie tatsächlich wieder an derselben Stelle tätig, wie ich. Zumindest sieht es so aus.
„Chris… Es… ist schön dich wiederzusehen.“, flüstert sie. Ich sehe sie an und bringe noch immer kein Wort heraus. „Was tust du hier?“, fragt sie mich mit einer noch immer gedämpften Stimme. Ich blinzele noch ein- oder zweimal bis ich mich wieder einkriege. „Ich… ich wohne jetzt in Willow Creek… Und ich… arbeite hier.“, erkläre ich, mit gesenktem Blick. Jessica schweigt für einen Moment. Dann sagt sie wieder etwas: „Ich bin auch hergezogen…“, erklärt sie. ‚Offensichtlich‘, dachte ich. „Ach so…?“, murmele ich.
Sie nickt verlegen. Ich räuspere mich. „Also… wie geht’s jetzt weiter? Wir müssen uns doch irgendwie aussprechen. Ich ertrage es nicht, dass wir uns anschweigen.“, sage ich mit starrem Blick. „Ich habe dich immerhin mal geliebt… Bevor du…“, fange ich an. Doch bevor ich meinen Satz beenden kann, unterbreche ich ihn und wende meinen Blick von Jessica ab. Sie wischt sich eine Träne von der Wange. Dann hebt sie ihren Kopf. „Wir haben das alles schon einmal durchgekaut und ich will endlich aufhören in der Vergangenheit zu leben. Du weißt, dass es mir unendlich leid tut!“, erinnert sie mich. Ich schüttele wild den Kopf. Jetzt bin ich wieder wütend. Ich dachte ich wäre über die Vergangenheit wenigstens zu einem kleinen Teil hinweg, aber das ist nichts als ein trügerischer Gedanke. Ich bin hier über gar nichts hinweg und meine Wut entflammt bei ihrem Anblick schon wieder. „Wir haben ein Kind verdammt! Wie konntest du mich einfach so mir nichts, dir nichts betrügen?!“, brülle ich sie an. Ich sehe, wie auch ihr Gesicht sich verzieht.
„Du hast dich nicht verändert!“, schreit sie mich an. „Du bist immer noch derselbe nachtragende Mistkerl wie damals! Wie oft habe ich dir schon jeden möglichen Mist verziehen und kaum mache ich einen Fehler bist du über alle Berge!“, brüllt sie weiter. „Das ist dein wahres Wesen und ich hoffe inständig, dass du nicht noch eine Frau damit hereinlegst!“.
Jetzt platze ich beinahe vor Hass. Meine Brust fühlt sich an, als würde sie gleich zerspringen. „MEIN MISTHAUFEN IST ABER NICHT SO GROß WIE DEINER, DU BLÖDE KUH!“, schreie ich zurück.
Ich sehe, dass Jessica genauso heftig atmet wie ich. Ich weiß, dass sie jetzt sehr böse Wörter sagen würde, aber stattdessen richtet sie ihren Oberkörper auf, setzt eine freundliche Miene auf und grinst.
„Ich lasse mich nicht mehr auf dein Niveau herunter. Es reicht jetzt endgültig. Willkommen in der Stadt, Chris. Du wirst nicht lange bleiben, denn ich werde dich zerstören.“, droht sie mir mit einem bittersüßen Grinsen. Dann stolziert sie an mir vorbei und verlässt das Gebäude. Ich setze mich an den Schreibtisch im Raum und versuche mich zu beruhigen.
Mein Leben ist eine einzige Katastrophe. Ich bin diese Hexe selbst in Willow Creek nicht losgeworden. Wo muss ich bloß hinziehen, dass sie endlich verschwindet? Ich versuche auf meine Atmung zu achten und koordiniere jetzt meine Atemzüge. Ein… und Aus. Ein… und Aus. Nach kurzer Zeit fühle ich mich wieder besser. Dann stehe ich auf und gehe nach Hause.
In dieser Nacht schlafe ich ziemlich unruhig. Wenn Jessica hier ist, heißt das auch, dass Melinda hier ist. Ach stimmt. Ihr kennt sie ja gar nicht. Melinda ist meine Tochter. Sie ist damals bei ihrer Mutter geblieben, weil sie noch klein war, als wir uns getrennt haben. Es freut mich, dass ich sie jetzt wieder sehen kann.
Als ich am nächsten Morgen bei der Arbeit ankomme und durch die Eingangstüre gehe, sehe ich Chloe in der Halle stehen. Ich setze ein breites Grinsen auf und laufe zu ihr. „Hey Chloe!“ rufe ich glücklich.
Sie dreht sich um.
Als ich ihren Gesichtsausdruck sehe, ahne ich nichts Gutes. „Chloe?“, murmele ich. „Tag auch.“, meint sie mit einer hörbar genervten Stimme. „Stimmt heute etwas nicht?“, frage ich sie. „Allerdings.“, antwortet sie schnippisch. „Ich mag es nicht wirklich mit Männern zu reden, die häusliche Gewalt anwenden.“, sagt sie in einem hasserfüllten Ton. Ich dachte ich höre nicht richtig. Hat sie gerade gesagt, ich hätte meine Familie geschlagen? Bin ich gerade im falschen Film? Ich brauche nicht lange zu überlegen, wo Chloe so einen Mist gehört haben könnte.
Du willst also einen Krieg, Jessica? Den kannst du sowas von haben.