„Und du sagst, du hast alle Einladungen verschickt? Wirklich alle?“, fragte Sam und ließ sich unruhig auf die schwarze Ledercouch sinken.
„Ja-ha, Schatz. Ausnahmslos.“, antwortete Mariah und stimmte die Melodie von 'Oh, Happy Day' an, während sie den Hochzeitsplaner durchblätterte. Wie er diesen Song inzwischen hasste! Seit mehr als zwei Monaten hörte er nichts anderes mehr und er war mit seinen Nerven langsam aber sicher am Ende. Vor genau acht Wochen hatte er um ihre Hand angehalten und seitdem hatte sich sein Leben radikal geändert. Mariah und ihre beste Freundin Giselle hatten sich seit diesem Tag nur noch den Hochzeitsvorbereitungen gewidmet und Sam hatte langsam das Gefühl, dass es Mariah mehr um die Hochzeit an sich als um ihre gemeinsame Zukunft ging. Wenn er nach seiner Meinung gefragt wurde, dann nur sporadisch, doch letztlich traf sie alle Entscheidungen. Und so hatte sie auch entschieden, wie viele Gäste kommen würden, wie die Hochzeitstorte auszusehen hatte und welchen Anzug er, passend zu ihrem Brautkleid natürlich, tragen würde. Doch was ihn am meisten störte, war dieser affige Ball, den sie unbedingt noch eine Woche vor ihrem großen Tag veranstalten wollte.
„Sicher? Alle?“, hakte Sam nun noch einmal nach und schaute sie fragend an. Ihr Blick sprach Bände und er konnte förmlich spüren, wie sich lauter kleine Dolche in sein Herz bohrten.
„Okay, Sam, wir sind alle zur Zeit angespannt und aufgeregt wegen der Hochzeit, also hör bite auf, mein Nervenkostüm noch mehr auf die Probe zu stellen.“
Er seufzte und zog sie an den Handgelenken zu sich auf die Couch. Sie ließ die Bestellliste für die Hochzeitstorte auf den Glastisch fallen und setzte sich auf seinen Schoß.
„Es tut mir leid, Schatz, ich bin einfach ein wenig gestresst. Wenn all der Rummel vorbei ist, wird alles wieder etwas ruhiger, versprochen. Freust du dich nicht auch schon auf unsere Flitterwochen?“, wisperte sie Sam ins Ohr und küsste ihn sanft auf den Mund. Er erwiderte die Berührung ihrer Lippen und schob sie dann einige wenige Milimeter von sich weg, um ihr die drei magischen Worte ins Ohr zu flüstern.
Später saß Sam an seinem Schreibtisch und klappte ein altes Fotoalbum auf. Sein Herz machte einen seltsamen Sprung, als er auf eines der Bilder blickte. Cara. Er schluckte. Dieses fröhliche Gesicht, diese Augen, die den Fotografen so voller Lebensfreude und Neugierde fixierten. Wie er sich wünschte, sie wiederzusehen. Die letzten Wochen war dieser Gedanke immer mehr in ihm heran gereift und er hatte gar nicht anders gekonnt, als sie zu bitten, zu seiner Hochzeit zu kommen, auch wenn er wusste, dass sein Brief wohl wenig Erfolg haben würde.
Er schloss die Augen und versetzte sich an den Tag zurück, an dem er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Rückblende
~
Sie standen vor den Türen der Bahnhofshalle, das Herbstlaub wirbelte über den fast leeren Bahnsteig. Schemenhafte Gestalten umarmten sich, strömten an ihnen vorbei, doch die beiden bemerkten sie kaum.
„Ich hoffe, du findest dort, was du suchst, Sam.“, sagte Cara leise.
„Ja.“, murmelte er und war ihren Blick ausgewichen.
Der Ausdruck in ihren Augen hatte etwas Verzweifeltes, Bittendes. Er konnte sie nicht ansehen – nicht ohne Schmerz zu empfinden.
Der Zug fuhr ein. Cara gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und umarmte ihn.
„Wir bleiben in Kontakt, ja?“, flüsterte sie. „Wir werden uns nicht aus den Augen verlieren?“
„Nein. Ich melde mich so oft bei dir, wie ich kann. Und ich werde dich besuchen.“
Sam drückte sie fester an sich. Der Bahnsteig verschwamm vor seinen Augen. Er musste loslassen, aber es war so viel schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte.
„Du bist doch meine beste Freundin.“ Sam versuchte zu lächeln und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie erwiderte sein Lächeln, dann schob sie ihn von sich. Er nahm seine Koffer und stieg in den Zug ein.
Er drehte sich nicht um. Er konnte es einfach nicht ertragen. Caras Gesicht verschwand nicht aus seinem Kopf. Erst als der Wagon aus der Sichtweite des Bahnsteigs verschwunden war, wagte er einen Blick zurück. Sie stand noch da, die Arme an den Körper gepresst.
Sam versuchte tief durchzuatmen, doch es gelang ihm nicht. Er spürte, wie die Dämme brachen und er gab jegliches Bemühen auf, die Tränen zurückzuhalten. Auf diesen tiefen Schmerz war er nicht vorbereitet gewesen. Stumm sah er aus dem Fenster des Zuges und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.
~
„Verdammt!“, murmelte Sam und öffnete seine Augen wieder. In diesem Moment klopfte es an der Tür des Arbeitszimmers und Mariah kam herein. Er wischte sich hastig eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel und stand auf. Sie fiel ihm um den Hals und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Er wandte den Kopf ab, doch sie küsste ihn abermals. Dann musterte sie ihn, trat einen Schritt zurück und legte den Kopf schief.
„Ist etwas passiert?“
Sam stockte. „Nein. Es ist ... alles ... in Ordnung.“
„Wenn alles in Ordnung ist, warum weinst du dann?“
„Weil ... weil ich so glücklich mit dir bin.“, presste er hervor und versuchte mühevoll, ein Lächeln auf seine Lippen zu bekommen.