Kapitel 1: Juliet
Ein nervtötendes Schreien riss Julia unsanft aus dem Schlaf.
Sie stöhnte und zog sich die Decke über den Kopf. Nach 4
weiteren quälenden Minuten, in denen das Gekreische immer
lauter wurde, setzte sich Julia seufzend auf und rieb sich die Augen.
Obwohl die Sonnenstrahlen schon warm und hell in ihr Zimmer
schienen und sie, nach einem schnellen Blick auf ihren Wecker,
schon längst hätte aufgestanden sein müssen um das Frühstück
anzurichten, hatte sie das Gefühl, erst vor wenigen Minuten
eingeschlafen zu sein.
Sie zog sich ein Nachthemd über und ging mit schnellen
Schritten die Treppe hoch. Als sie die die Tür, die in das
kleine Kinderzimmer führte, öffnete, wandelte sich das
Geheule in ein weinerliches "Ma...ma" um. Julia lächelte,
als ihr kleiner Liebling seine Arme in ihre Richtung
ausstreckte und ungeduldig zu stampfen anfing.
,,Na, mein kleiner Schatz. Mami ist ja da, es wird alles gut."
Sie hob den kleinen Jungen aus dem Gitterbett und kitzelte
ihn sanft in den Bauch, sodass er freudig zu quitschen anfing.
,,Wann kommt Papa wieder?" In den kristallblauen Augen
spiegelte sich Ungewissheit und Angst.
Er hatte die Augen seines Vaters. Die klaren Eisblauen Augen
in die sie sich verliebt hatte. Die selben Augen die sie nun
immer seltener zu sehen bekam. Sie drückte ihren Sohn fest
an sich. ,,Papa kommt bald wieder, Tyler. Bald!" Julia wusste
nicht ob sie Tyler oder sich selbst etwas vorzumachen versuchte.
,,Hast du Hunger, Tyler?" Sie setzte ihn auf den weichen Teppich ab
und streichelte ihm über seine Pechschwarzen Haare. ,,Mami macht
dir etwas leckeres." Sie machte sich auf den Weg in die Küche.
Laut Kleffend wurde sie vor dem Kühlschrank von ihrem Pinscher
Flocki begrüßt. Sie beugte sich zu ihm herab und kraulte ihm leicht
das Ohr, worauf er sich zufrieden an sie schmiegte. ,,Du bekommst
natürlich auch etwas zu essen, mein Süßer."
Sie stellte ihm einen Napf mit Hundeflocken auf den Lenolboden,
auf den er sich sofort laut schmatzend herabstürtzte. Bei diesem
Anblick musste Julia lächeln. Schon das zweite Mal diesen Morgen.
Seit den letzten drei Jahren, passierte das nicht oft. Das schrille
Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken.
,,Hallo?" Fragte sie ihn den Hörer hinein. ,,Hallo, Julia." Ihr Atem
stockte und ihr Herz schlug höher. ,,Mark." Sie hatte die Stimme
ihres Mannes schon zu lange nicht mehr gehört; sie kam ihr so
unbekannt vor. ,,Wie geht es dir?" erklang es am anderen Ende
der Leitung. ,,Gut. Wann kommst du wieder? Tyler braucht dich."
Die wenigen Sekunden der Stille am anderen Ende kam ihr wie eine
Ewigkeit vor. ,,Ich kann nicht kommen. Deswegen rufe ich an. Meine
Gechäftstreise wurde verlängert. Ich habe ein wichtiges Meeting in
New York. Es tut mir leid."
Bei diesen Worten fing sie an, nervös mit den Augen zu zucken,
sie kämpfte mit ihren Tränen. ,,Wie heißt sie?" krächzte Julia in
den Hörer. ,,Was? Was redest du denn da? Julia, ich liebe dich.
Aber ich muss jetzt wirklich Schluss machen. Auf wiedersehen."
Mit zitternden Händen legte sie den tutenden Hörer auf das
Telefon zurück.
Langsam rutschte sie an der Küchentheke hinunter und schloss
ihre Augen. Sie wusste wie es um ihre Ehe stand. Der einzige
Grund warum sie noch hier saß und ihr Leben mit dem Intakthalten
des kleinen Hauses verbrachte, war Tyler. Doch konnte dieser
Grund sie auf Dauer in ihrem kleinen Käfig halten, dessen Tür
weit offen stand und nur darauf warte, dass sie hindurchschlüpfte?