Lady in Black:
Danke für deinen Kommentar!
Okay, weiter geht's mit Kapitel 3. Ist zwar nur ein kleines Übergangskapitel, aber gleichzeitig beginnt sich die Geschichte damit zu entwickeln...
Die Nacht hatte sich über Isella gelegt und tauchte die wunderschöne Landschaft in Dunkelheit. Tausende von Sternen funkelten am Horizont auf und das Spiegelbild des Mondes glitzerte im schäumenden Meerwasser.
Ich konnte es nicht beschreiben, es war einfach faszinierend. Stundenlang stand ich am Abend meines ersten Tages hier am geöffneten Fenster und staunte. Ich lauschte dem immer ruhiger werdenden Gekreische der Möwen, fühlte den sanften Wind auf meiner Haut, sah das matte Licht des alten Leuchtturms auf den Klippen, weit draussen in der Ferne, schmeckten den bitteren Geschmack von Meersalz auf den Lippen.
Ich fand keine Worte für das, was ich in diesem Moment empfand. Es war unglaublich, mystisch und so voller Schönheit, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ein Gefühl von Freiheit und Glück stieg in mir hoch. Ich wünschte, dass diese Nacht nie enden würde.
Am nächsten Morgen wurde ich nicht von dem schrillen Lärm des Weckers aus den Federn geholt, nein, es waren die Sonnenstrahlen, welche mich lustig an der Nase kitzelten.
Ich richtete mich auf und konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich gestern eingeschlafen war. Das es ziemlich spät gewesen sein musste, war jedoch eindeutig. Meine Augenlider waren schwer und ich am Liebsten hätte ich mich wieder unter der Bettdecke verkrochen. Doch die Arbeit rief – das konnte ich selbst auf einer einsamen Insel nicht umgehen.
Als ich aufstand, schwankte alles um mich herum und es dauerte eine Weile, bis ich wieder gehen konnte. Im Zimmer war es bitterkalt, was alleine daran lag, dass ich gestern vergessen hatte, das Fenster zu schliessen.
Typisch.
Ein tiefer Seufzer entglitt mir und ich war froh, dass das jetzt meine Freunde nicht sehen konnten. Kichern, Grinsen, Gelächter – ich wusste schon, wie sie reagieren würden.
So ganz alleine zu sein hatte auch Nachteile, das erkannte ich schnell. Zum Beispiel hatte man viel mehr Zeit zum Nachdenken – und das war sicher nicht immer gut.
Ich bekam Gänsehaut, und da wusste ich, dass der Morgen nun begonnen hatte. Schnell schlüpfte ich in meine Pantoffeln, schloss die Tür hinter mir und war bereit, die Dinge zu tun, die man morgens eben so tat.
Zuerst wollte ich mich mal gründlich waschen. Das hatte ich, nachdem ich gestern meine ganzen Sachen nass geschwitzt hatte, auch dringend nötig. Ich verkroch mich also im Bad und erlebte dort – im wahrsten Sinne des Wortes – eine „kalte Dusche“. Herr Jäger hatte sich wohl nicht im Geringsten um warmes Wasser für mich gekümmert. Das sah ihm wiedermal ähnlich.
Nackt, wie ich war, entfloh ich schreiend der eisigen Folter und rutschte dabei auch noch auf den glatten Badezimmerfliesen aus.
Toll, dachte ich sarkastisch und betrachtete die blauen Flecken auf meinen Armen und Beinen.
Faul, wie ich eben war, zog ich mich nicht an, sondern schlüpfte wieder in mein Pyjama. Theoretisch hätte ich auch ganz ohne Kleidung rumlaufen können, es war ja niemand da, der mich beobachten konnte. Trotzdem fühlte ich mich wohler, als ich wieder bekleidet war. Man konnte nie wissen – vielleicht hatte Herr Jäger irgendwo eine versteckte Kamera eingebaut. Das wäre ihm alles zuzutrauen.
Das Wasser am Waschbecken war logischerweise auch nicht viel wärmer, aber zum Zähneputzen reichte es. Während ich schrubbte, wanderte mein Blick den Wänden des Bades entlang. Ich stellte fest, dass auch dieser Teil des Hauses dringend eine Renovation benötigte.
Nachdem ich ins Becken gespuckt und meine traditionelle Morgentoilette verrichtete hatte, schlenderte ich gemütlich in die Küche. Nirgends im Haus hatte es eine Uhr, ausser am Telefon, doch da mochte ich jetzt nicht nachschauen. Es war gut so, egal ob es schon elf oder erst acht war, ich verliess mich einfach auf mein Gefühl – und genoss es. Kein Chef, der mir sagte, was ich zu tun hatte, keine ständig meckernde Laura, kein Stress, pünktlich zur Arbeit zu kommen, ein richtiges Paradies eben.
Der Stadtlärm von Sunset Valley vermisste ich keine Sekunde, auch nicht das Kino oder das Einkaufszentrum. Hier hatte ich doch alles, was ich brauchte.
Mein Magen knurrte ungeduldig, während ich in den Schränken nach etwas halbwegs Essbarem suchte. Die Beute fiel nicht wirklich reich aus – aber eine Kornflakespackung war zu akzeptieren.
Ich mischte mir mein „Müesli“ zusammen und schlang alles so schnell hinunter, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gehabt. Das war aber gut so, denn ich hatte beschlossen, zu Mittag einfach nichts zu essen. Erstens bezweifelte ich, dass ich mit Schweizer Käse und Dosensuppe ein richtiges Menü hinbringen würde und zweitens – na ja, zweitens konnte ich eigentlich gar nicht richtig kochen.
Nach dem Frühstück kam bereits der erste langweilige Teil des Morgens: der Abwasch. In der Stadt war das kein Problem gewesen, nur war es eben so, dass es hier keine Abwaschmaschine gab. Ich musste also – Wohl oder Übel – die ganze Arbeit von Hand verrichten.
Von gestern standen noch ein paar Dinge herum, ausserdem fand ich in den Schränken ebenfalls schmutziges Geschirr. Ich hatte Herr Jäger einiges zu melden, wenn ich wieder zurückkehrte - oh ja...
Ich grinste und schob einen weiteren Teller ins Becken. Eifrig begann ich zu schrubben, doch wegen des kalten Wassers und dem fehlenden Spülmittel, blieben die Flecken hartnäckig.
Schon sah ich Laura vor mir, die wahrscheinlich merkwürdig das Gesicht verziehen würde, wenn ich ihr das erzählte. Für sie war das, welche den ganzen Haushalt von einer Putzhilfe verrichten liess, einfach unvorstellbar.
Irgendwann dann – es kam mir wie eine Ewigkeit vor – war auch die letzte Tasse verstaut worden. Ich trocknete mir die Hände ab und mein Gefühl sagte mir, dass es jetzt wohl Zeit zum Anziehen war.
Es war wieder aushaltbar, als ich mein Zimmer betrat. Ich schwor mir, dass mir das nie wieder passieren würde und wandte mich dann den Klamotten zu.
Gestern hatte ich all meine wenigen Kleidungsstücke in die alte Kommode in meinem Zimmer eingeräumt, was nicht lange dauerte, doch nun bereute ich es. Ich zog wie eine Wilde am Griff der Schublade – aber sie regte sich keinen Zentimeter.
„Komm schon, du blödes Ding!“, murmelte ich leise vor mich hin. „Gib nach!“
Sie gehorchte. Jedoch nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte...
Aua.
Ich rieb mir meinen schmerzenden Po und stand sofort wieder auf. Vor dem Spiegel machte ich mich hübsch, soweit man das bei mir sagen konnte, und war schon bald bereit, die Insel ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Putzen des Hauses verschob ich auf den nächsten Tag.
Ich trat nach draussen und erkannte mit Freude, dass die Sonne in ihrer voller Pracht vom Himmel strahlte. Warm war es zwar trotzdem nicht, aber angenehm.
Das erste, was mir auffiel, war das kleine graue Gebäude neben meinem Haus, von welchem Jeff behauptet hatte, es sei verlassen. Nun jedoch runzelte ich verwundert die Stirn. Ich hätte schwören können, dass das Gras im Garten noch nicht niedergetrampelt gewesen wäre. Na ja, wahrscheinlich spielte mir mein Gedächtnis wiedermal einen Streich...
Trotzdem – ich konnte es nicht lassen, das Grundstück zu betreten und einen vorsichtigen Blick durchs Fenster zu werfen. Der Anblick war nicht sehr überwältigend; ein leerer, der mit einem Teppich ausgestattet war, und daneben drei Türen, die in irgendwelche Räume führten. Es war in noch schlechterem Zustand als mein Haus, was schon eine Menge bedeuten musste, und schien tatsächlich verlassen zu sein.
Schade. Ich hätte gerne jemanden gehabt, mit dem ich meine Erfahrungen teilen konnte.
Ich beschloss, eine kleine Wanderung zu machen. Jeff hatte mich bereits vorgewarnt, dass schönes Wetter hier eher selten war, und so musste ich die Gelegenheit doch nutzen.
Der Leuchtturm war nicht weit entfernt, bloss ein paar Kilometer den Klippen entlang. Die Wellen peitschten unter mir gegen die Felswände und das Gras bog sich im leichten Wind.
Ich genoss den Augenblick. Es war besser, als in jedem Kinofilm, schöner als in all meinen Träumen, ich fühlte mich einfach gut.
Der Leuchtturm war ziemlich hoch, fast dreissig Meter ragte er in den Himmel. Ich blieb stehen und betrachtete ihn fasziniert.
Was wohl wäre, wenn Jeff jetzt hier wäre? Wir könnten zusammen im Gras liegen, Hand in Hand, und den Wolken zuschauen, die langsam über die Insel zogen... Es wäre herrlich romantisch, doch leider zu schön, um wahr zu sein.
Ich seufzte tief und näherte mich dem Leuchtturm noch etwas mehr.
Zweimal ging ich um ihn herum, bis ich die Eingangstür fand. Sie war verschlossen – natürlich.
Vorsichtig strich ich mit meiner Hand über die kalten Wände und überlegte, was dieser Turm wohl alles schon erlebt haben musste. Stürme, Wellen, Schiffsunglücke? Er war zwar bereits seit einer Ewigkeit ausser Betrieb, doch trotzdem durchfuhr mich ein ehrfürchtiges Kribbeln. Ich berührte hier gerade ein Stück Vergangenheit – schon ziemlich seltsam.
Mein Blick fiel auf den leeren Strand und sofort schoss mir eine verrückte Idee durch den Kopf, wie ich meine Freizeit hier sinnvoll nutzen konnte. Ich rannte so schnell ich konnte wieder zurück und fand tatsächlich in einem Schrank im Wohnzimmer eine alte Fischerrute und einen Eimer. Damit sauste ich zum Strand hinunter.
Das Angeln hatte ich schon immer mal ausprobieren wollen, aber in der Stadt war das ja leider unmöglich. Jetzt hatte ich alles dazu, was ich brauchte: Zeit, Wasser und eine Ausrüstung.
Mit einem ungeschickten Wurf landete der Köder – ein Wurm, der ich hinter meinem Haus gefunden hatte – im Meer.
Nun hiess es: geduldig sein und abwarten.
Lange stand ich ruhig da, ohne die geringste Regung, und übte meine Geduld – welche leider nicht sehr gross war.
„Kommt schon, Fischlein!“, flüsterte ich leise und hoffnungsvoll. „Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit... na ja, eigentlich schon, aber beeilt euch trotzdem ein wenig, bitte!“
Oh mann.
Einsamkeit machte wirklich verrückt, wie Laura es mir grossartig vorausgesehen hatte. Jetzt redete ich schon mit Fischen, die wahrscheinlich gar nicht da waren...
Ich schluckte meine restlichen Worte, die mir noch im Hals steckten, eilig hinunter und angelte ganze drei Stunden weiter – ohne je einen Mucks von mir zu geben.
Die Fische bissen trotzdem nicht an.
Ich bezweifelte langsam, dass in diesem rauen Meer überhaupt irgendein Wesen überleben konnte, und gab auf. Die Ausrüstung legte ich einfach hinter einen Felsen, ich hatte keine grosse Lust, sie den ganzen Weg zum Haus wieder raufzutragen. Ausserdem: stehlen würde sie sowieso niemand, was hatte ich denn schon zu befürchten?
Runter war eine Sache – rauf die andere. Der steile Pfad nach Hause erschien mir unendlich. Mein Atem rasselte, Schweiss rann mir die Stirn hinunter und meine Beine fühlten sich auf einmal wie schwere Betonklötze an. Irgendwann dann hatte ich es geschafft und stand vor der Haustür. Alles schien so, wie ich es verlassen hatte – doch ein Gefühl in mir sagte, dass etwas nicht stimmte. Ich hielt inne und drehte mich um. Vor Schreck hielt ich die Luft an.
Schritte.
Da waren Schritte, ganz eindeutig.
Und sie kamen direkt auf mich zu...
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So, das war's erstmal. Und jetzt freue ich mich auf eure Kommentare!