Ich lachte. "Alles klar, werde ich machen. Wie viel bekommen Sie?"
"Lass das 'Sie' mal stecken. Kannst mich ruhig duzen, Kleine." Er nannte mir den Betrag und in mich hinein lächelnd zahlte ich ihm noch ein großzügiges Trinkgeld, bevor ich nach den Beuteln griff und ungelenk aus dem Taxi kletterte.
Ich sah dem quietschgelben Auto nach, bis es um die Ecke verschwunden war und legte dann das kurze Stück bis zum Haus zurück.
Freunde hatten mich oft um das luxuriöse Gebäude beneidet, aber ich hätte liebend gerne mit ihnen getauscht. Lieber eine kleine Wohnung mit einer Familie drin, als eine große Villa, in der ich allein war.
Als ich den Schlüssel im Schlüsselloch herumdrehte, registrierte ich erstaunt, dass noch abgeschlossen war. Mir fiel der missglückte Anruf von vorhin wieder ein und mit gerunzelter Stirn verpasste ich der Tür einen Tritt, damit ich den Flur betreten konnte.
Stille umfing mich. Nur das regelmäßige Ticken der großen Uhr aus der Küche war zu hören.
"Mama? Papa?", rief ich laut in das weitläufige Haus hinein. "Luz?"
Nach Luz zu rufen war eigentlich überflüssig, denn ich selbst war es gewesen, die der spanischen Haushälterin für heute frei gegeben hatte. Meine Schritte erzeugten ein hallendes Geräusch, als ich in Richtung Küche ging. Vorsichtig stellte ich die Einkaufstüten ab und sah mich aufmerksam im Raum um. Nirgendwo lag eine Notiz, welche die Abwesenheit meiner Eltern erklärt hätte.
"Mama?", rief ich noch einmal, aber ich hatte das hektische Blinken des Anrufbeantworters bereits bemerkt. Enttäuscht drückte ich auf die Wiedergabetaste. Eigentlich hätte ich das Band gar nicht abhören müssen, denn ich wusste ohnehin schon, was sich darauf befand.
"Fiona? Hier ist Mama. Hör zu Schatz, es tut mir wirklich unglaublich leid, aber ich hab in letzter Sekunde noch einen Termin aufs Auge gedrückt bekommen, den ich einfach wahrnehmen muss. Dein Vater hat vorhin angerufen, ihn haben sie auch in Arbeit vergraben. Ich weiß, wir haben dir fest versprochen, dass wir heute mit dir essen, aber es klappt einfach nicht. Ich hoffe, du hast dir nicht zu viel Mühe mit den Vorbereitungen gegeben. Nächstes Mal, okay? Großes Indianerehrenwort. Ich hab dich lieb!"
Ein kurzes Piepsen zeigte an, dass die Nachricht vorbei war. Ich ließ die Schultern hängen. "Zu viel Mühe mit den Vorbereitungen gegeben…", wiederholte ich tonlos die Worte meiner Mutter und linste zu den Einkäufen herüber, für die ich mich fast zwei Stunden in diversen Feinkostläden herumgetrieben hatte. Ganz zu schweigen von meinem Ärger mit überkorrekten Verkäufern, die mir nicht glauben wollten, dass ich den Alkohol nur zum Kochen brauchte und darauf bestanden, an Siebzehnjährige keinen Weinbrand zu verkaufen. Eigentlich hatten sie ja Recht, aber in meiner Frustration war ich nicht geneigt, Verständnis zu zeigen.
Ich stieß einen resignierten Seufzer aus und machte mich daran, die Lebensmittel im Kühlschrank zu verstauen. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen und gar nicht erst einkaufen gehen dürfen. Das letzte Mal, dass ich meine Eltern mehr als zwei Stunden am Stück gesehen hatte, war zu Weihnachten gewesen. Und selbst da hatten wir uns größtenteils angeschwiegen. Meine Mutter schien nur vernünftige Sätze zustande zu bringen, wenn sie nicht direkt mit mir sprechen musste, und mein Vater beachtete mich meist überhaupt nicht und versteckte sich hinter der Tageszeitung. Es war, als wüssten sie nicht, wie sie mit ihrer Tochter umgehen sollten. Kunststück, dachte ich spöttisch. Schließlich lebte ich seit zwölf Jahren praktisch allein in dem riesigen Haus, von wechselnden Au-Pairs einmal abgesehen. Und Luz natürlich, aber die war eher wortkarg und ohnehin nur etwa drei Stunden täglich bei uns.
Ein wenig unschlüssig sah ich mich in der Küche um. Ich war schon früh aufgestanden und hatte das Haus auf Hochglanz gebracht, was dank Luz zugegebenermaßen nicht allzu schwierig gewesen war.
Doch durch die Absage meiner Eltern war meine sorgfältige Tagesplanung über den Haufen geworfen worden und ich hatte keine Idee, was ich jetzt tun könnte. Für Fernsehen war es noch zu früh und für so ziemlich jede andere Tätigkeit zu heiß.
Ich hatte mich gerade dazu entschlossen, meine Lustlosigkeit niederzuringen und zumindest eine Runde schwimmen zu gehen, als das Telefon schrillte.
Meine Miene verdüsterte sich. Anrufe bedeuteten selten etwas Gutes, wie heute mal wieder bewiesen worden war. Sie bedeuteten, dass meine Eltern nicht nach Hause kommen würden, dass sich schon wieder ein neues Au-Pair vorstellte oder dass niemand zu meiner Geburtstagsfeier kommen würde, weil die Eltern meiner Freunde dagegen waren. Gegen die Party, gegen die Freundschaft, gegen mich.
Anrufe bedeuteten, dass etwas sehr Schlimmes passiert war.
Aber nicht dieser Anruf. Ich kannte die Nummer auf dem Display nur zu gut.
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Ich hoffe, das erste Kapitel hat euch einigermaßen gefallen
Liebe Grüße,
Kuona