Jetzt geht's weiter mit Teil 1/3 von Kapitel 6!
Mit neuen Aufklärungen und Verwirrungen.
Viel Vergnügen!
Kapitel 6.1
Es dauerte einen Moment, bis Patrizio die Nachricht begriffen hatte. Freude und ein Gefühl des Triumphes stiegen in ihm auf. Er lächelte den jungen Soldaten zufrieden an. "Vielen Dank, Junge. Richte allen meinen Dank und mein Lob aus. Wie heißt du?" "Paulin, Herr", stotterte der Junge.
"Nun, Paulin... ‚Sie‘, sagtest du? Gleich mehrere? Wie viele denn, zwei, drei oder gar noch mehr?" Er lachte ausgelassen, während er zahlreiche Akten und Pergamentrollen aus den Schränken zusammen sammelte und auf seinem Schreibtisch auftürmte.
Er zückte seine Schreibfeder und blickte Paulin erwartungsvoll an. "Nun?" Der Junge versuchte mehrmals, einen vernünftigen Satz zu beginnen, verhaspelte sich aber immer wieder. Patrizio fühlte sich zwar durch den großen Respekt des Jungen geehrt, aber es missfiel ihm, dass er ihn so sehr einschüchterte.
Endlich hatte Paulin die Sprache wiedergefunden. "Euer Ehren... Nur eine Person. Nur eine. Ein Mädchen... etwa siebzehn. Aber sie ist eher störrisch. Sie sitzt bereits in ihrer Zelle und wird von Enndreß und einigen anderen Gerichtsdienern verhört."
Patrizio nickte geistesabwesend. Diese Woche hatte er eigentlich nicht verstärkt mit weiblichen Wesen in Kontakt kommen wollen. Er notierte alles seufzend auf Pergament und gab Paulin ein Zeichen, fortzufahren.
"Sie wurde auf frischer Tat ertappt," die Stimme des jungen Soldaten wurde mit jedem Wort sicherer, "sie wollte Fräulein Brida gerade die Geldkatze vom Gürtel reissen, da bemerkte sie es und ein Mann schrie sofort ‚Diebin‘. Sie rannte weg und versuchte, über eine Gasse zu fliehen. Da haben wir sie erwischt."
"Vielen Dank, Paulin. Du kannst gehen. Schick Enndreß zu mir, wenn du an den Zellen vorbeikommst." "Danke, Euer Ehren. Ich werde es ihm sofort mitteilen. Vielen Dank." Er verneigte sich mehrmals tief und eilte hinaus.
Keine zehn Minuten später erschien Enndreß auch schon. Patrizio musterte den jungen Mann eindringlich. Er hatte noch nicht viel Zeit mit dem Oberhaupt der Gerichtsdiener verbracht. Offiziell war Enndreß sein Assistent, nicht Leandro. Seine Patrizio freundlich begrüßenden, dunklen Augen hatte er vom seinem Vater, dem Ratsherren Ekarius. Beziehungen waren in dieser Stadt Gold wert.
"Euer Ehren." "Enndreß. Was habt Ihr über das Mädchen in Erfahrung bringen können?" "Ich bedauere es zutiefst, aber es ist nicht wirklich viel. Sie ist nicht sehr gesprächig. Immerhin hat sie ohne sich zu weigern dieses Geständnis unterzeichnet, was alles weitere sehr vereinfacht." Er reichte Patrizio einen hübsch aufgesetzten Text, der von einem unleserlichen Gekrakel darunter verunstaltet wurde.
"Sie kann nicht schreiben, nicht wahr?" Patrizio kniff angestrengt die Augen zusammen. "Nun ja, sie entstammt wohl der Unterschicht. Dort kann kaum einer lesen und schreiben, Ihr vergesst." "Ja, ich muss zugeben, es kommt mir manchmal aus dem Sinn." Er überflog den Text und wandte sich wieder der improvisierten Unterschrift zu.
"Da dies nicht ihr Name ist... Wie heißt sie?" "Das ist schwer zu sagen. Wir haben sie dutzende Male gefragt, aber sie hat unheimlich genuschelt. Zumindest konnte jeder von uns einen anderen Buchstaben aufschnappen. Wir haben M, I, O und L." "Miol? Nun, vorübergehend wird es reichen." Langsam notierte er den unvollständigen Namen auf Pergament. "Gut. Ihr könnt gehen." Enndreß neigte den Kopf und verließ wortlos den Raum.
Patrizio nahm wieder Platz und ließ seinen Kopf auf seinen Schreibtisch sinken. Eigentlich hatte er bei der befreienden Nachricht der Festnahme des Diebes im Freudentaumel versinken wollen, doch dessen Weiblichkeit drückte seine Laune ungemein.
Ein stechender Schmerz im Kopf ließ ihn wieder hochfahren. Reflexartig drückte er die Finger gegen seine pochenden Schläfen. Kaum ein Tag verging, an dem sich seine Kopfschmerzen nicht bemerkbar machten. Doch plötzlich ließ der Schmerz nach, er war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.
Mit einem schwindligen Gefühl raffte er sich auf und trat ans Fenster. Überrascht starrte er auf den schon in ein tiefes Rot getauchten Horizont. Wie lange hatte er in seinem Schreibzimmer gesessen? Kurz bevor Paulin erschienen war, hatte er auch am Fenster gestanden, zu dieser Zeit war der Himmel noch strahlend blau gewesen.
~geht noch weiter~