- Folge 3: Rüdiger: Ein Traum wird wahr… oder so ähnlich-

Punkt acht Uhr achtzehn. Der billige Lidl- Wecker klingelte und war für Rüdiger der Startschuss in den Tag. Sofort hüpfte er in etwa bequemes und begab sich schnurstracks an den Fernseher. Und nein, es ist nicht ganz so wie ihr jetzt denkt, unser raubeiniger Rüdiger lässt seinen eleganten Kartoffelsack-Körper nicht wie gewöhnlich auf die quietschende Couch fallen, bei der er am liebsten gar nicht daran denken wollte wer und was schon alles auf ihr gelegen hatte. Nein, diesmal stellte er sich davor.
Doch wo war die verdammte Fernbedienung hin? Vielleicht neben der Chipstüte? Nein… in ihr? Nein. Oh, da, neben dem angeknabberten Muffin vielleicht… auch nicht. Wo könnte sie… oh, da neben dem alten Turnschuh, unter dem Sofa. Seltsam was ist… Anscheinend war die Ratte im Bad nicht die einzige ihrer Art gewesen, die eine Heimat in seiner Trailerwohnung gefunden hatte. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Es gab wichtigeres zu tun:

Der Sport. Schließlich wollte er Frau Obermayer gefallen. Er musste schlanker werden. Sie hatte ihm erzählt, sie würde sich von alten Kriegsveteranen am meisten angezogen fühlen, aber leider hatte er kein Glück damit gehabt sich beim Militär zu bewerben und der nächste Krieg war zu weit weg, sein Geld würde nicht einmal für das Flugticket reichen. Also blieb ihm nur ein Rosenkrieg mit der nervigen Nachbarin Frau Neuhaus, die ihn gestern beim Einziehen bezichtigt hatte ihre wunderbaren Früchte gestohlen zu haben. So ein Unsinn. Wer stiehlt schon Erdbeeren?
Aber dann, eine Stunden, dreiunddreißig Situps und einen Tofuburger später hielt Rüdiger sein Mobiltelefon bereit und gab die Nummer ein, die er sich auf sein Handgelenk geschrieben hatte. Und Während er tippte, wurde ihm klar, dass eine Dusche wohl keine schlechte Idee wäre.
Die nette Stimme am Ende der Leitung war erfreut und willigte ein ihn zu besuchen. Oh ja, dachte sich Rüdiger und hastete unter die Dusche. Doch nix da! Anstatt klares, warmes Wasser auf seiner blassen Haut zu spüren hielt er den verrosteten Duschknopf in der Hand und betrachtete genervt den durchtrennten Wasserschlauch.
Diese verdammten Ratten!

Kaum ist die nette Lady im Haus, geht mit Rüdiger der Gentleman durch. Zumindest was den netten Handkuss angeht, der Rest erinnert mehr an eine schlechte Folge „Uups-Die Superpannenshow“.
Gleich als die ältere Dame das Haus betrat, wurde sie Zeuge eines Unheils.
„Junge, wie sieht es denn hier aus?“
„Also, das ist mein Wohnbereich. Ich weiß, ich bin gerade dabei hier aufzuräumen, wenn dir eine Ratte ans Bein pinkeln will, einfach vorsichtig wegtreten. Ich will sie ja nicht verletzen.“
Der tierliebe Rüdiger hatte noch nie, aber wirklich noch nie einem Tier etwas zu leide getan. Als Kind war er im Kindergarten unterwegs und rettete Regenwürmer vor den brutalen Fängen der anderen Kinder, die einen heidenspaß daran hatten die kleinen, glitschigen Kerlchen zu entzweien. Auch Fleisch war für ihn kein Thema. Dafür Schokokuchen um so mehr…
„Wo hast du einen Spaten, Kleiner?“
„Hier… du weißt ja, ein guter Gärtner hat immer einen Spaten zu Hand.“ Rüdiger reichte seiner Angebeteten den alten spaten aus dem Wandschrank und war froh, dass sie seine Liebe zum Gärtnern wohl teilte. Sicher würden sie gleich in den Garten gehen und neue Plätzchen in die Erde legen… ach wie romantisch…
Plötzlich ertönte ein Scheppern, das mit einem qualvollen Quieken gepaart war. Geschockt starrte er abwechselnd auf Silke und den Spaten am Boden, unter dem man einen langen, pinkfarbenen Rattenschwanz herausragen sah.
„So, essen wir jetzt?“, fragte sie und lächelte Rüdiger an.
„Äh… ich… äh… ja.“

„Tofu-Hotzdogs? Wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.“, sagte Silke und biss etwas skeptisch in das Wurstähnliche Zeug zwischen den Brötchen.
„… schmeckt … ja, schmeckt.“
„Sagte ich doch. Tofu muss man nur richtig zubereiten, dann ist es köstlich.“ Rüdiger war froh, dass seine Teuerste das „Sojafleisch“ schmeckte. Seien ehemaligen Kommilitonen hatten sich immer über seine merkwürdigen Essgewohnheiten lustig gemacht. Tofu mit Reis. Tofu mit Salat. Tofu getoastet, mariniert, eingelegt, gerieben, gekocht und gegart. Er hätte sich den ganzen Tag davon ernähren können und nichts anderes essen, gäbe es da nicht eine Sache, die ihn daran hinderte: Den Heißhunger auf Schokokuchen.

Als beide mit dem Essen fertig waren und Silke die Teller spülte, und ordentlich im Schrank verstaute, nahm Rüdiger sie schüchtern an den Händen. Die ältere Frau sah ihn verwundert an.
„Hör zu, mein Lieber. Ich weiß doch, was du willst. Du bist Jung und … aber ich denke, dass es dafür noch etwas zu früh ist.“
Rüdiger sah sein Gegenüber verliebt an.
„Silke, ich meine, Frau Obermeier …“ Der junge Mann wusste nicht, was er sagen sollte. Waren es ihre wunderschönen Augen mit den kleinen Fältchen darunter? Oder ihre spröden Lippen, die ihn so faszinierten. Es würde nicht klappen… wie immer, wenn er versuchte sich auf Frauen einzulassen. Es war vielleicht ein Fehler gewesen hier herzukommen.
„Jungchen. Jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Sieh mal, was ich damit meine, ist, dass…“ In diesem Moment trafen sich die Blicke der beiden auf eine Weise, wie keiner der beiden es je erfahren hatte.
„Ich… ich muss jetzt los, Kleiner. Bis dann!“ Mit diesen Worten drehte sich Silke um und ging zur Tür raus und ließ einen wortlosen Rüdiger zwischen seiner offenen Chipstüte und der verklebten Fernbedienung zurück. Sollte er sie einfach gehen lasen? Würde er sie je weidersehen können? Was würden seine Vorbilder im Fernsehen an seiner Stelle tun? – Womöglich in die Werbepause gehen, aber das stand bei ihm nicht zur Debatte.
Nein. Er durfte diese Gelegenheit nicht verstreifen lassen! Er musste handeln!
So schnell seine untrainierten Beine ihn nur tragen konnten hastete er aus der Tür und griff Silke am Arm, ehe sie in ihr Auto steigen konnte.
„Was tust du da, Jungchen. Ich will…“ Doch Silke konnte nicht weitersprechen, denn der raubeinige Rüdiger hatte schon seine nach Hotdogsauce riechenden Lippen auf seine Gedrückt.

Ja, das war mit der schönste Moment im Leben des jungen Rüdiger Himbert. Ein Moment, den er so schnell nicht vergessen würde.
War es eine kluge Idee Silke auf offener Straße zu küssen? Was wird Silke tun? Und werden die Ratten zu einem Gegenschlag ausholen?