Soooo. Nach etwas längerer Pause hier nun Kapitel 7. Ich hatte in den letzten Tagen so eine Phase, in der ich mir nicht sicher war, ob das hier überhaupt gut ist, was ich verzapfe oder ob ich nur Müll schreibe. Würde mich daher weiterhin über konstruktive Kritik und Meinungen freuen, damit ich weiß, wie die Geschichte bei den Lesern ankommt. Ich bin im Moment irgendwie ziemlich unsicher!
Ich hoffe, ihr habt trotzdem viel Spaß beim lesen.
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Kapitel 7
Als endlich alle ihre Koffer hatten, verließen die das Flughafengebäude. Was für ein unbeschreibliches Gefühl, wieder auf deutschem Boden zu laufen. Etliche Gedanken gingen Enrico durch den Kopf und so wirklich angekommen war es bei ihm immer noch nicht, dass das kein Traum war. „Und? Wie fühlt sich das so an, nach 4 Jahren wieder in der Heimat zu sein?“. Hattori piekste seinem Freund mit dem Ellenbogen in die Seite und war wie immer gut drauf. „Komisch!“. „Wieso komisch?“, fragte Hattori weiter. „Keine Ahnung. Ich hab irgendwie das Gefühl, dass das gar nicht real ist. Wie ein Traum in etwa. Muss wohl erst noch in meinem Kopf ankommen.“. Er schaute sich um. Hier sah immer noch alles genau so aus wie damals. Die Bushaltestellen waren immer noch genau neben dem Eingang. Und sogar die Buslinien waren immer noch die gleichen wie damals. Keine neue Linie kam hinzu. Gestrichen wurde auch keine. Hier am Flughafen war alles noch genau so, wie er es in Erinnerung hatte.
Vorm Flughafengebäude wartete ein Bus auf die jungen Soldaten. Der Bus wurde extra bestellt, dabei wäre das gar nicht notwendig gewesen. Sie wussten, dass sie in der Julius-Leber-Kaserne unterkommen würden. Und die war vom Flughafen nur einen Katzensprung weit entfernt. Mit dem Bus brauchte man keine 10 Minuten dort hin. Und die Kaserne lag zudem ganz in der Nähe vom Kurt-Schumacher-Platz. Enrico wusste ganz genau, wie er von dort zu seinem alten Zuhause kommen würde. Er musste nur in den Bus einsteigen und einmal umsteigen. Das war nicht weit. Und er wusste auch, dass es zu IHR nicht weit war. Unweigerlich kam der Gedanke in ihm hoch, eventuell doch mal vorbei zu fahren, wenn er Zeit hatte. Er hatte im Flugzeug zwar geschlafen, war aber trotzdem hundemüde. Eigentlich wusste er auch ganz genau, dass es heute keinen Sinn mehr hatte. Es war mitten in der Woche und bereits kurz vor 21 Uhr Ortszeit. Sie war erst 17 und besuchte das Gymnasium. Das wusste er, da sie bereits aufs Gymnasium gewechselt hatte, als er noch in Deutschland wohnte. Das bedeutete, dass sie noch zur Schule ging und demnach auch früh an der Matratze horchte. Im selben Moment kamen ihm aber wieder die Gedanken, die ihn in Japan noch dazu veranlassten, es besser sein zu lassen. Und er war sich auch jetzt noch nicht sicher, ob er wirklich zu ihrer Wohnung fahren sollte. Jetzt, wo er in Berlin war, war die Versuchung doch größer als noch vor einigen Stunden in Tokio. Allerdings waren die Zweifel mindestens genau so groß.
Während der kurzen Fahrt zur Kaserne unterhielt er sich mit dem Busfahrer – auf deutsch. Das war komisch. So verdammt komisch. In Japan hatte er sich zwar auch immer mit seiner Schwester auf deutsch unterhalten, wenn beide alleine zuhause waren, aber trotzdem war es im Moment einfach anders als sonst. Er war in Deutschland. Unterhielt mit einem anderen Deutschen in seiner Muttersprache. Wie lange hatte er das schon nicht mehr getan?! Aber er fühlte sich gut dabei. So langsam kam es in seinem Kopf an, dass er wirklich in Deutschland war. Und auf einmal freute er sich sogar darüber. Er war wieder hier. In seiner Heimat. War ganz in IHRER Nähe. Er wusste zwar immer noch nicht, wie die nächsten 4 Wochen verlaufen würden und die Unsicherheit war nach wie vor da – aber ein bisschen Freude, ein ganz kleines bisschen Freude machte sich nun doch breit. Und das fühlte sich gut an.
In der Kaserne angekommen ging es nach einer kurzen Begrüßung sofort an die Zimmerverteilung. Enrico, Misaki und Hattori würden sich eine Stube, wie es in den Kasernen genannt wurde, teilen, auch wenn das bedeutete, dass Misaki sich das winzige Zimmer mit zwei Jungs teilte. Aber es waren immerhin ihre besten Freunde. Kein Problem also. Das Zimmer war wirklich klein und eng. Direkt gegenüber der Tür befand sich ein Fenster. Nicht zu klein, aber auch nicht sonderlich groß. Links und rechts an den Wänden befand sich jeweils ein Doppelstockbett. Am Kopfende der Betten, welches zum Fenster gerichtet war, quetschten sich auf beiden Seiten jeweils zwei schmale Schränke zwischen Bett und Wand. Das war alles. Mehr gab es hier drinnen nicht. Aber das reichte auch aus. Von einer Kaserne waren sie nichts anderes gewohnt. Das war schon okay so.
Nachdem sich jeder grob häuslich eingerichtet hatte, fand noch ein kurzes Treffen in einem der Aufenthaltsräume statt. Dort wurde alles für den nächsten Tag besprochen. Das Treffen mit den deutschen Soldaten, eine Begrüßungsfeier, die Besichtung des Geländes... erst mal nichts aufregendes. Aber für den ersten Tag war das auch eine ganz gute Planung. Um 22 Uhr war in der Kaserne Nachruhe angesagt. Das bedeutete, dass jeder zumindest auf seinem Zimmer zu sein hatte. Zumindest heute kein Problem. Die meisten waren sowieso froh und dankbar, dass sie endlich ein ordentliches Bett zum schlafen hatten.
Enrico lag noch lange wach. Drehte sich von links nach rechts, von rechts nach links, von links auf den Bauch, vom Bauch auf rechts, von rechts auf den Rücken. Wieder kreisten so viele Gedanken in seinem Kopf. Und vor allem dachte er an diese eine Person. Wo sie jetzt wohl war? Was sie jetzt wohl gerade machte? Ob sie auch schon im Bett lag? Oder vielleicht war sie auch noch mit Freunden unterwegs? Oder saß vor dem Fernseher? Oder machte Hausaufgaben? Er hätte es gerne gewusst. So gerne.
Am nächsten Morgen hieß es schon um 6 Uhr aufstehen. War grundsätzlich eigentlich nicht das Problem. In Japan stand man für gewöhnlich zur selben Zeit, manchmal sogar noch früher auf, wenn man zur Arbeit wollte. Die Nacht war ziemlich kurz, so dass die meisten total erschöpft aus ihren Betten krochen und den Eindruck erweckten, sie würden gleich im Stehen einschlafen. Selbst der sonst so gut gelaunte Hattori sagte kein Wort. Kein nerviges „Guuuuuten Moooorgeeeeeen“, wie sonst immer. Ihm war die Müdigkeit deutlich anzusehen und er hatte Mühe, seinen Augen offen zu halten. Misaki ging es da nicht anders. Ihre hübschen Augen waren gerötet und angeschwollen. Sie hatte dicke Augenringe. Das würde einiges an Make-up benötigen, um ihr hübsches Gesicht zumindest halbwegs zu restaurieren. Enrico hingegen war hellwach. Er hatte die Nacht kaum geschlafen, aber von Müdigkeit keine Spur. Heute war er es, der Hattori mit einem übertrieben fröhlichen „Guuuuuten Mooooorgeeeen“ nervte. Das war eigentlich überhaupt nicht seine Art und unter normalen Umständen hätte er das auch nie so gesagt – aber Hattori sah aus wie der Tod auf Latschen und das war einfach die perfekte Gelegenheit, sich für diese nervigen Guten – Morgen - Sprüche zu rächen. Er grinste in sich hinein, als Hattori wie erwartet genervt reagierte und heute endlich mal seine eigene Medizin zu schlucken bekam. Okay, gemein war das ja schon, aber Hattori würde den Spaß schon verstehen.
Das Treffen mit den deutschen Soldaten verlief vor allem für Enrico sehr interessant. Die Gespräche fanden auf englisch statt, da die Japaner kein deutsch konnten und die Deutschen kein japanisch. Zwischen den ganzen Japanern wirkte er sowieso viel eher wie das schwarze Schaf. Na gut, genau genommen eher wie das blonde Schaf. Schwarzhaarig waren ja immerhin die Japaner. Irgendwie war es schon ein beklemmendes Gefühl, auf der japanischen Seite zu stehen, obwohl er doch eigentlich Deutscher war. Aber es tat trotzdem gut, dass er sich mit ihnen auch auf deutsch unterhalten konnte. In einigen Fällen spielte er den Dolmetscher, wenn jemandem ein englisches Wort fehlte. Ihm wurde dann das japanische bzw. deutsche Wort – je nachdem, wer gerade sprach - gesagt und er übersetzte es in die jeweils andere Sprache. Das war auf jeden Fall ein großer Vorteil für das Verständnis zwischen den beiden Parteien.
Die Besichtigung des Kasernengeländes glich schon fast einem Marathon. Das Gelände war riesig und wenn man von A nach B wollte, musste man oftmals einen langen Weg zurück legen. Das schlauchte ganz schön, wo die Nacht für die meisten doch nicht gerade erholsam war. Besonders die weiblichen Azubis stöhnten schon nach kurzer Zeit und wollten am liebsten eine Pause einlegen. Enrico betrachtete alles, was er sah, ganz genau. Er kannte die Kaserne zwar, immerhin war er hier schon oft genug vorbei gefahren, aber betreten hatte er sie gestern Abend zum ersten Mal. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Es waren nicht mal die Erinnerungen an das, was vor 14 Jahren hier in Reinickendorf passiert war, sondern viel eher war er in Gedanken immer wieder bei ihr. Fragte sich immer wieder, wo sie jetzt gerade war, was sie gerade machte, was sie heute noch vor hatte. Er zügelte seine Gedanken. Er wusste ganz genau, dass es zu weit führen würde, wenn er weiter darüber nachdachte. Irgendwann würde die Sehnsucht nach ihr unerträglich werden und er würde innerlich fast wahnsinnig werden, weil er nicht einfach abhauen und zu ihr fahren konnte. Und er hätte sich auch immer wieder gefragt, ob sie immer noch dort wohnen würde, wo sie vor 4 Jahren noch gewohnt hatte. Ihr damaliger Wohnort war neben der Schule, die sie damals besuchte, der einzige Anhaltspunkt, den er hatte, wenn er sie wirklich treffen wollte. Aber jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Also konzentrierte er sich weiter auf das, was er sah und was der Deutsche darüber zu berichten hatte. Er war ebenso General, aber um einiges älter als Enrico. Ihm wäre es auch lieber gewesen, wenn der Deutsche, der sich mit dem Namen Wendt vorgestellt hatte, seine Führung auf deutsch gehalten hätte, aber er wusste, dass er dann in seiner Gruppe der Einzige wäre, der die Worte verstehen würde.
Es war bereits Mittwoch und die restlichen beiden Tage der Arbeitswoche gingen mehr oder weniger schnell vorbei. Er war jetzt schon seit 4 Tagen in Deutschland, hatte diese 4 Tage aber konsequent auf dem Kasernengelände verbracht. Die beiden verbleibenden Tage der Woche waren überwiegend mit Schieß- und Geschicklichkeitsübungen vollgestopft. Hier und da Theorie, die ebenfalls auf englisch abgehalten wurde und für die meisten ziemlich anstrengend waren, weil sie bestenfalls die Hälfte verstanden und immer wieder nachfragen mussten. Englisch wurde in den Ausbildungen zwar ausgiebig unterrichtet, aber es war für die meisten trotzdem sehr schwierig, stundenlang einem Vortrag zuzuhören, der nicht in der eigenen Muttersprache abgehalten wurde, zumal der deutsche Akzent, mit dem die meisten Dozenten sprachen, die Sache nicht unbedingt einfacher machte.
Der Tag endete heute schon früher als sonst, eben weil Freitag war. Das bedeutete, dass heute noch viel Zeit war. Dass man die Kaserne locker verlassen konnte und auch nicht gezwungen war, um 22 Uhr schon wieder da zu sein. Im Prinzip konnte man am Wochenende tun und lassen, was man wollte. Es war nicht mal Pflicht, über Nacht in der Kaserne zu bleiben. „Wollen wir heute Abend was zusammen unternehmen?“, fragte Misaki mit voller Vorfreude aufs Wochenende. Sie wollte unbedingt Berlin kennen lernen. Die ganzen Sehenswürdigkeiten begutachten. Vor allem wollte sie unbedingt zum Fernsehturm und Berlin von oben sehen. Wenn sie schon mal hier war, musste sie doch alles das live gesehen und erlebt haben, was sie so oft in den Medien hörte und was Enrico ihr auf Nachfrage immer wieder erzählt hatte. Hattori war sofort einverstanden. „Ich hab schon was anderes vor“, war Enrico’s Antwort auf die Frage. Auf Misaki’s Frage, was genau er vor hätte, meinte er nur, er müsste etwas erledigen und würde das lieber alleine machen wollen. Damit musste sie sich zufrieden geben. Hattori ahnte, was sein Freund damit meinte, fragte aber nicht weiter nach. Also beschlossen die beiden, alle los zu ziehen.
Als Enrico zur Bushaltestelle ging, wusste er insgeheim ganz genau, welches Ziel er hatte. Er redete sich immer wieder ein, dass er ja gar nicht zu ihr wollte, weil das schlussendlich doch nur nach hinten gehen würde. Aber er wusste auch ganz genau, dass er sich damit selbst belog. Dass er sehr wohl zu ihr wollte. Zu dem Haus, in dem sie vor 4 Jahren gewohnt hatte. Sein Verstand riet ihm nach wie vor davon ab, das zu tun, was er gerade in Begriff war, ernsthaft zu tun. Und er wusste auch, dass der Verstand IMMER Recht behielt. Der Verstand war schlau genug, auch die Nachteile abzuwägen, die ein Vorhaben mit sich brachte. Das Herz hingegen war dumm und egoistisch. Das Herz machte nur das, was es wollte. Dem Herz war es völlig egal, ob es hinterher leiden würde oder nicht. Für das Herz zählte nur eins: Die Befriedigung der Bedürfnisse, die es hatte – und zwar SOFORT. Das war dumm. Sehr dumm. Und Enrico war gerade dumm genug, auf das dumme Herz zu hören. Das wusste er ganz genau. Er wusste ganz genau, wie dumm das eigentlich war, was er gerade vor hatte. Und trotzdem musste es einfach sein. Er war jetzt seit 4 Tagen hier. 4 Tage, die er (vermutlich) schon ganz in ihrer Nähe war. Und die Sehnsucht nach ihr war inzwischen unerträglich geworden. Als er sich damals in diesem psychischen Ausnahmezustand die Hand kaputt gehauen hatte und Hattori zu ihm meinte, dass er diese einmalige Chance, die sich ihm hier gerade bot, unbedingt nutzen sollte, hatte er ihn innerlich noch ausgelacht und war der Meinung, dass Hattori einfach keine Ahnung hatte. Jetzt, wo er wirklich in Berlin war, betrachtete er die Sache selbst ganz anders. Jetzt glaubte er, dass er es ernsthaft bereuen würde, wenn er diese Chance nicht nutzen würde. Selbst wenn es hinterher weh tun würde.... das nahm er im Moment sehr wohl in Kauf. Verdammt, er liebte sie doch immer noch so sehr. Und er hatte JETZT die Chance, sie nach 4 endlos scheinenden Jahren endlich wieder zu sehen. Sie wenigstens sehen. Ihre Stimme hören. Sehen, wie sehr sie sich in den 4 Jahren verändert hatte. Mehr wollte er im Moment gar nicht. Die Sehnsucht war einfach größer geworden als die Mahnung, mit der ihm sein Verstand immer wieder drohte.
Im Bus setzte er sich nicht mal hin, sondern stellte sich auf den freien Platz, der eigentlich für Rollstuhlfahrer reserviert war und schaute aus dem Fenster. Der Bus war gerappelt voll. Es hatte sich also zumindest in der Hinsicht nichts verändert. Auch damals stand man in dieser Buslinie schon immer dicht an dicht gedrängelt, weil die meisten entweder am Kurt-Schumacher-Platz arbeiteten oder dort in die U-Bahn umstiegen. Das hieß aber auch, dass der Bus ab dann etwas leerer werden würde. Und bis zum Kurt-Schumacher-Platz waren es nun wirklich nicht weit. Enrico betrachtete eingehend alles, was er sah. Vieles, was er sah, kam ihm bekannt vor. An einiges konnte er sich noch ganz genau erinnern, an wieder anderes erinnerte er sich überhaupt nicht mehr. Möglich, dass einige der Gebäude auch neu waren oder zumindest die Fassade neu gemacht wurde. Als der Bus am Kurt-Schumacher-Platz hielt, donnerte ein Flugzeug nur knapp über den Dächern der Stadt hinweg und zielte auf die Landebahn des Flughafens. Wie hatte er das vermisst. Das mochte er immerhin unheimlich gern, wenn die Flugzeuge so dicht über ihm flogen und man sich schon duckte und reflexartig die Hände vors Gesicht hielt, wenn ein Flugzeug hinter den Häusern auftauchte, weil man im ersten Moment ernsthaft dachte, der Flieger würde gleich in einen rein krachen. Früher hatte er sich immer über die Leute lustig gemacht, die sich so erschreckten, weil sie es nicht kannten und demnach nicht darauf vorbereitet waren, das jeden Moment so ein Riesenvogel über ihren Köpfen hinweg fliegen und einen Höllenlärm verursachen würde. Der Bus fuhr weiter und schlängelte sich durch die Straßen von Reinickendorf. Enrico wusste ganz genau, an welcher Kreuzung der Bus links oder rechts abbiegen oder gerade aus fahren würde. Am „Kutschi“, wie der Kurt-Schumacher-Platz von vielen Berlinern genannt wurde, nach rechts. Dann an der nächsten Kreuzung nach links. Dann wieder nach rechts. Dann immer gerade aus und er musste bald umsteigen. Als er den Bus verließ und an der Kreuzung um die Ecke bog, um zu der Bushaltestelle zu gelangen, an der sein Anschlussbus abfahren würde, wusste er ganz genau, dass es nun nicht mehr weit war. Er kannte diese Gegend wie seine Westentasche. „Was mach ich hier eigentlich?“, fragte er sich in Gedanken und war schon wieder drauf und dran, auf dem Hacken kehrt zu machen. Es war nun wirklich nicht mehr weit. Als er den Bus kommen sah, merkte er, wie er so langsam wirklich nervös wurde. War es wirklich richtig, was er hier tat? Der Bus hielt an und der Fahrer öffnete die Tür. „Scheiß drauf. Jetzt bist du schon fast da. Das ziehst du jetzt auch durch“, sagte Enrico in Gedanken zu sich selbst. Dann stieg er ein.
Von der Bushaltestelle waren es nur noch 100, vielleicht auch 200m bis zur ihr. Er konnte das 11-stöckige Gebäude schon sehen. Er kannte es so gut. So verdammt gut. Er war so oft hier. Hatte sie besucht oder sie von zuhause abgeholt, wenn sie verabredet waren. Auch das war normal damals. Er hätte sich damals nie im Leben träumen lassen, dass das einmal ein ganz besonderes Ereignis werden würde, diesen Weg entlang zu gehen und genau dieses eine Haus mit der weißen Fassade anzusteuern. Er ging von der Hauptstraße runter und folge einem kleinen, gepflasterten Weg. Die Büsche, die man links und rechts vom Weg gepflanzt hatte, waren in den vergangenen 4 Jahren scheinbar deutlich gewachsen. Er hatte sie viel kleiner in Erinnerung. Es waren vielleicht 30m, dann wurde die Eingangstür sichtbar. Sie war immer noch so strahlend weiß wie damals. Und die 6 kleinen Fenster in der Tür, die in 2 Spalten und 3 Zeilen angeordnet waren, waren immer noch frei von irgendwelchen Kratzern. Eigentlich schon fast ein Wunder. Eigentlich waren so ziemlich alle Scheiben ständig von Jugendlichen zerkratzt worden. Diese hier nicht. Er blieb ein Stück weit von der Tür stehen und überlegte noch mal, ob er wirklich näher ran gehen sollte. Noch immer wusste er nicht wirklich, was er hier eigentlich wollte und was er überhaupt erwartete. Okay, er wollte sie sehen. Deshalb war er hier. Soweit war die Sache ja klar. Aber was genau sollte er ihr sagen, wenn er sie wirklich treffen würde? „Nayru, ich liebe dich und will mit dir zusammen sein?“ etwa? Das war ihm selber klar, dass das ziemlich idiotisch war. Und eigentlich war er auch wirklich nicht der Typ dafür, der Frauen solche Sätze an den Kopf knallte. Er hatte in seinem ganzen Leben zwar schon mehrere Frauen gehabt, aber noch nie hatte er auch nur zu einer von ihnen diese berühmten drei Worte gesagt. Damals war das sowieso nichts ernstes. Er war gerade mal erst 14, als er sein erstes Mal mit einem Mädchen hatte. Eigentlich viel zu früh – auch für den deutschen Durchschnitt, selbst wenn die Jugendlichen immer früher das erste Mal erlebten. Und für ihn war es damals sowieso mehr Ablenkung als etwas ernstes. Die Momente, in denen er mit einem Mädchen intimer wurde, waren gut geeignet, um sich voll und ganz auf etwas ANDERES konzentrieren zu können. Wenigstens ein paar Minuten nicht den psychischen Druck spüren. Und außerdem – er war immerhin auch nur ein Mann. Nun gut, damals vielleicht noch nicht so wirklich. Mit 14 war man noch kein Mann. Aber die männlichen Vorlieben waren auch damals schon die gleichen wie heute. Als er dann hingegen aber merkte, dass er für seine beste Freundin mehr empfand als nur Freundschaft, hörte das ganze auch schlagartig auf. Da waren alle anderen Mädchen auf einmal völlig uninteressant geworden. Da gab es nur noch diese EINE. Und die gab es bis heute noch. Und nun stand er tatsächlich wieder vor ihrer Tür und überlegte ernsthaft, was er tun sollte. Aber okay, zumindest einen Blick auf die Klingelschilder konnte er werfen, wo er schon mal hier war. Er ging näher und peilte ein ganz bestimmtes Schild an. Er wusste noch ganz genau, welches zu ihrer Familie gehörte. Ganz rechts außen, das zweite von oben. Das zeigte, dass sie auch ganz oben wohnte, im 11. Stock. Je näher er kam, umso deutlicher sah er den Namen auf dem Klingelschild, das er suchte. „Falk“ stand drauf. Er stand lange vor dem Schild und starrte es an. Sie wohnte tatsächlich noch hier. Und nun? Was nun? Sollte er klingeln? Er schaute auf die Uhr. Gerade mal erst 19 Uhr. Um die Zeit konnte man durchaus noch seinen Besuch ankündigen. Sollte er wirklich? Er wusste immer noch nicht, was er hätte sagen sollen. Und er wusste auch immer noch nicht, was auf ihn zu kam. Was, wenn sie inzwischen wirklich einen Freund hatte? Er überlegte lange hin und her. Lehnte sich gegen die Hauswand, rauchte erst mal eine Zigarette. Entfernte sich ein Stück weit von der Wand, nur um sich anschließend wieder dagegen zu lehnen. Okay, es war einfach besser, es sein zu lassen. Er hätte nicht her kommen sollen. Da war er sich jetzt sicher. Er hatte einen Fehler begangen, auch wenn er sie so gerne sehen wollte. Er war gerade dabei, wieder gehen zu wollen, da ging die Haustür auf...
- Ende Kapitel 7 -
Edit: Noch ein paar Tippfehler korrigiert.