Als wir Mohan am ersten Tag im Krankenhaus besuchten, konnten wir nicht viel für ihn tun. Er hatte einen Herzstillstand, ausgelöst durch eine Überdosis Heroin, und war wiederbelebt worden. Nun war sein Zustand stabil. An seinem Bett weinte ich erst einmal. So lange hatte ich mein Kind nicht gesehen, und nun lag es hier. Was hätte ich dafür gegeben, dass er mich wenigstens beschimpfen könnte. So erwartete ich es zumindest von ihm. Doch nun lag er da, blass und kränklich sah er aus.
Natürlich knöpfte sich Ronny sofort Rankali vor, doch dieser schien selbst so verwirrt zu sein, dass ich zu Ronny sagte er solle damit bis morgen warten. Ich wusste, dass Rankali seinen Sohn liebte, und konnte mir nicht vorstellen, dass er sein Leben aufs Spiel setzen würde, nur um mir eins auszuwischen. Nein, so grausam konnte doch nicht einmal Rankali sein!
Als wir am nächsten Morgen ins Krankenhaus kamen, war auch Mutter da.
Ich erfuhr von einem Pfleger, dass man den Jungen in der Urban Street gefunden hatte. Diese war berühmtberüchtigt dafür, dass sich dort Dealer und Stricher herumtrieben und kleinen Kindern die gefährliche Droge Heroin verkauften und ihnen lustig aussehende Pillen anbaten. Es war mir ein Graus, daran zu denken, wie ein Aidskranker meinem lieben Sohn eine Spritze in die Armbeuge gab und ihn mit ettlichen tödlichen Krankheiten ansteckte. Er war doch erst elf!
Der Pfleger sagte auch, dass es schier unmöglich war, jenen Dealer, der meinem Sohn die Überdosis verabreicht hatte, ausfindig zu machen, da es dort so viele gab.
Man hatte mit Mohan einige Aidstest gemacht und auch auf Hepatitis hatte man ihn untersucht. Die Ergebnisse würden demnächst feststehen. Beim Aidstest würde es länger dauern.
Auch eine Frau vom Jugendamt kam, und erzählte mir von meinem Sohn.
Er war sehr stark unterentwickelt. Viel zu klein für sein Alter war er und sein Gesundheitszustand ließ darauf schließen, dass er vernachlässigt wurde. Es waren seit Jahren keinerlei Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen mehr gemacht worden. In der Schule war er sehr schlecht, und man hatte bei ihm ADS* festgestellt. Tabletten hätte er bekommen, doch er nahm sie anscheinend nicht, zumindest zeigten sich keine Veränderungen an dem Jungen. Auch in Schlägereien in der Schule sei er verwickelt gewesen und habe oftmals ein blaues Auge zur Schau gestellt.
Ich war wirklich geschockt über das, was aus meinem Jungen geworden war, und machte mir selbst große Vorwürfe.
Als ich dann endlich mit Rankali allein war, sprach ich ihn auf die Umstände an. Ich blieb sehr ruhig. Ich wollte einfach nur mit ihm reden. Und da er jetzt sehr verzweifelt war, konnte man das auch.
"Was ist nur aus unserem Jungen geworden.", sagte ich.
"Ach, Rilana, ich weiß es nicht. Was habe ich nur falsch gemacht? Ich habe ihm immer alles erlaubt und wollte ein guter Vater sein. Ich habe ihn nie geschlagen. Nie!"
"Ich weiß, Rankali, Du hast es sicher nur gut gemeint, doch der Junge braucht klare Linien, nach denen er sich richten kann. Wenn er alles darf, dann kennt er auch keine Grenzen und weiß nicht, wie weit er gehen darf."
Schuldbewusst sah er mich an. Dann lächelte er.
"Du bist so wunderschön, Rilana. Jedes Mal, wenn ich Mohan ansehe, sehe ich Dich in ihm. Deine Gesichtszüge, Deine wunderschönen Augen. Alles erinnert mich an Dich. Deshalb liebe ich ihn so."
"Wieso hast Du dann mich nicht geliebt?", fragte ich trotzig. Er konnte mich nicht mehr einwickeln. Er stand auf und wollte mich berühren, doch ich wies ihn von mir. Ich war nun mit Ronny glücklich.
"Wir waren doch so jung, Rilana. Ich wusste nicht, was ich tat. Es kam so, wie es kam, und ich konnte nichts dagegen machen! Lass es uns doch noch ein Mal versuchen!"
Das war also seine Erklärung für alles, was er mir angetan hatte? Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
"Nein, ich liebe Ronny, und das wird auch immer so bleiben."
"Aber bitte, Rilana versteh mich doch. Ich kann doch nichts dafür dass mein Vater mich zu seinem Ebenbild erzogen hat!"
Nein, er war nicht schuld. Genau so wenig wie ich schuld war. Doch nun ging es um unseren Sohn. Und etwas anderes zählte nicht mehr...
*Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (auch als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom oder Hyperkinetische Störung (HKS) bezeichnet) ist eine, bereits im Kindesalter beginnende psychische Störung.
Geht heut noch weiter!