Kapitel 144: Starke Frauen
SimCity
Das dreigeschossige Gebäude unterschied sich kaum von anderen Bauten in der Umgebung. Es war neu, modern und durchaus ansehnlich, aber dennoch fiel es kaum auf. Dazu war es einfach zu gewöhnlich. Der Flughafen von SimCity war nur wenige hundert Meter entfernt. Ein passender Ort für den Sitz der "Sky Meal"- Company, des Unternehmens, welches das Caitering der Fluggesellschaften übernahm, die SimCity anflogen.
Zumindest wirkte es nach außen hin so. Doch in der obersten Etage des Bürogebäudes schritt eine Frau unruhig umher. Immer wieder blickte sie zum Globus, der in ihrem edel ausgestatteten Büro stand. Sie war es nicht gewohnt, dass etwas nicht so verlief, wie sie es geplant hatte. Und in letzter Zeit liefen einige Dinge nicht nach Plan. Immer noch stand sie vor dem Globus und richtete ihren Blick auf den südamerikanischen Kontinent. "Verflucht", spie sie und ballte ihre Hand zu einer Faust zusammen.
Müde nahm sie in ihrem Ledersessel platz und rieb sich die Schläfen. Vor vier Stunden hatte sie die Nachricht erhalten, dass zwei ihrer Agenten in Simnistrien geschnappt wurden. Beide waren tot. Die beiden Agenten waren noch jung und unerfahren gewesen. Vielleicht war es ein Fehler, sie ausgerechnet nach Südamerika zu schicken um in ein Militärlager der ehemaligen Simnationalen Kolonie einzudringen? Nein! Wie sonst sollten ihre Agenten Erfahrung sammeln, wenn sie nicht auf Einsätze geschickt wurden? Und niemand hätte ahnen können, dass sich dieser Einsatz so verheerend entwickeln würde.
Wieder zwei Agenten weniger, dachte sie. Es war nicht ungewöhnlich, dass es zu Verlusten kam. Aber in den letzten Monaten musste sie mehr Verluste hinnehmen, als ihr lieb war. Und in Simnistrien ging etwas Ungewöhnliches vor sich. Man konnte es in der ganzen Unterwelt spüren, aber niemand schien genaueres zu wissen. Die Informationen der beiden toten Agenten hätten ihr womöglich den entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen Untergrundorganisationen gebracht. Sie seufzte und versuchte ihre Nackenmuskeln zu lockern, die hart wie Stein waren. Immerhin konnte sie sich darauf verlassen, dass ihre Agenten sich eher zu Tode foltern ließen, als dass sie Informationen über ihren Auftrag preisgaben.
Plötzlich flog die Tür zu ihrem Büro auf und ein kleiner sechsjähriger Junge kam laut lachend auf sie zugestürmt. Beim Anblick ihres Sohnes hellte sich ihre Stimmung umgehend auf. "Mami, Mami!", rief er und fiel ihr um den Hals.
Sie wuschelte dem Jungen durchs Haar und gab ihm einen Kuss auf die Wange, doch der verzog nur das Gesicht und wischte sich mit seinem Ärmel heftig über die Stelle, die ihre Lippen berührt hatten. Doch er war ihr nicht böse. "Darf ihr runter zu Igor in die Werkstatt?", fragte er stattdessen, "Bitte, Mami, bitte!" Seinen großen blauen Kulleraugen konnte selbst die Leiterin einer Untergrundorganisation nicht widerstehen und so stürmisch wie er in ihrem Büro aufgetaucht war, war er auch wieder in die Werkstatt verschwunden.
Fast wäre er in den Mann hinein gerannt, der eben durch die Tür herein kam. "Vorsicht kleiner Mann“, ermahnte dieser ihn, "du rennst deinen Vater ja fast um." Doch der Kleine hörte gar nicht hin und lief in die Richtung, in der sich die Werkstatt befand. Der Mann nahm seine Frau in den Arm und küsste sie und zum ersten Mal an diesem Tag fühlte sie sich wohl. "Danke, dass du Jakob hergebracht hast, Tobias", bedankte sie sich bei ihrem Ehemann. Er lächelte sie an und streichelte liebevoll ihren Nacken. "Nachdem ich von den Problemen gehört hatte, dachte ich, dass du jede Aufmunterung gebrauchen könntest“, entgegnete er. "Du bist in letzter Zeit so selten zu Hause bei den Kindern, da dachte ich, du würdest dich freuen, ihn zu sehen."
Und das tat sie. Doch leider war dies der einzige Glücksmoment, den sie sich in der jetzigen Situation erlauben konnte. Sie löste sich von ihr Mann und stemmte die Hände in die Hüfte. Jetzt war sie nicht mehr die Ehefrau und Mutter, sondern Donna Joanna, Patin der Mafia von SimCity, Leiterin von „Justice“, einer Geheimorganisation, die weltweit im Einsatz war. "Hast du etwas Neues erfahren?", fragte sie ihren Mann. "Wissen wir endlich, wie unsere Agenten entdeckt werden konnte?" "Nein", war seine kurze Antwort und sie stimmte Donna Joanna überhaupt nicht glücklich. "Dann sorge dafür, dass ich dies Information umgehend erhalte", herrschte sie Tobias an. "Wie soll ich diese Organisation leiten, wenn ich nur von inkompetenten Menschen umgeben bin?"
"Ich werde mich sofort darum kümmern", versprach Tobias. Im Laufe der Zeit, hatte er sich in seine Rolle gefügt. Er war der Mann an der Seite einer mächtigen Frau. Und solange es um das Geschäft ging, dann war er nicht mehr, als jeder andere Agent dieser Organisation. Er kam damit zurecht. Joanna war schon ihm Begriff ihn hinaus zu schicken, als er ein weiteres wichtiges Thema ansprach. "Kinga ist nun so weit", erklärte er im ruhigen Tonfall. "Ich denke, wir können nun mit der Ausbildung beginnen. Ich erwarte nicht, dass sie uns weiterhin größere Probleme bereiten wird."
In diesem Moment danke Joanna innerlich Gott dafür, dass er sie nicht endgültig verlassen hatte. Äußerlich zeigte sie keinerlei Regung. "Dann beginne sofort mit Phase zwei", wies sie Tobias an. "Durch ihr bockiges Verhalten haben wir ohnehin schon mehr Zeit verloren, als mir lieb ist. Und sollte sie noch einmal Ärger machen, dann schreck nicht davor zurück, auch harte Maßnahmen zu ergreifen." Tobias nickte und verließ den Raum. Erst als sie allein war, erlaubte Joanna sich ein Lächeln. Endlich machte sie Fortschritte bei ihrer Nichte. Sie hatte ihrer Schwester versprochen, ihre Tochter wieder in den Griff zu bekommen und nach Wochen schien ihre Arbeit erste Früchte zu tragen.
zur gleichen Zeit in der Sierra Simlone...
Dominik und Sky wohnten nun bei uns in der Sierra Simlone. Solange wie die Möbel für Skys Zimmer noch nicht angeliefert wurden, musste der Junge zusammen mit Dominik in unserem Schlafzimmer schlafen.
Und ich nahm zusammen mit Klaudia in Tristans Bett Platz, während dieser die Nacht in Klaudias Bett verbrachte. Innerlich ärgerte ich mich, dass wir Kingas altes Bett schon auf den Dachboden gebracht hatten, denn so musste ich noch eine Nacht getrennt von Dominik verbringen.
Aber das holten wir nach. Für einen kurzen Moment hatte ich befürchtet, dass es seltsam werden könnte, wenn Dominik und ich uns wieder so nah kamen. Aber das war es nicht. Es war, als ob wir uns nie getrennt hätten, also ob wir einfach wieder an der Stelle angesetzt hätten, an der wir bei dem tragischen Streit vor über sechs Jahren aufgehört hatten. Dominiks Küsse fühlten sich genauso elektrisierend an, wie schon damals und jede seiner Berührungen jagte einen Schauer durch meinen ganzen Körper.
Meine Angst verflog vollständig und ich konnte mich Dominik mit jeder Faser meines Körpers hingeben. Kein Mann verstand es, mich glücklich zu machen. Und an seinem Blick, an all seinen Bewegungen erkannte ich, dass auch ich ihn glücklich machte.
Es gab keine Worte, um mein Glück zu beschreiben. In dieser Nacht erreichte ich den Höhepunkt körperlichen Glücks, aber Dominiks Nähe versetzte mich auch in einen seelischen Höhenrausch. Ich fühlte mich so sicher und geborgen wie schon lange nicht mehr. Mit Dominik an meiner Seite konnte ich alles schaffen. Und selbst meine Probleme mit Kinga erschienen nicht mehr unlösbar. Er würde mir Kraft geben, diese Schwere Zeit der Trennung zu überstehen. Nein, wir würden uns gegenseitig Kraft spenden und ich war in diesem Augenblick überzeugt, dass ich auch Kinga bald wieder in meine Arme schließen konnte.
Mit seinem Umzug zurück nach Sierra Simlone Stadt verlor Dominik auch seinen Job in SimVegas. Und in der Sierra Simlone konnte er aufgrund der andauernden Ölkrise nicht wieder als Wachmann bei der SimÖl anfangen. Dadurch blieb ihm aber sehr viel Zeit, um sich um Sky zu kümmern. Und auch wenn ich ihm ansah, dass die Arbeitslosigkeit an ihm nagte, so genoss er jede Sekunde mit seinem Sohn.
Sky war ein sehr anhängliches Kind, das förmlich nach Liebe und Zuneigung schrie. Und die gab ich ihm, so gut ich es konnte. Dominik hatte mir erzählt, dass Ingrid, Skys Mutter, keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn wollte. Sie schrieb ihn zum Geburtstag zwar immer eine Karte, aber sie hatte den Jungen nicht mehr gesehen, seitdem sie überstürzt Mann und Kind verlassen hatte. Soweit ich das mitbekommen hatte, lebte sie jetzt in SimCity und arbeitet dort als Stylistin in den Filmstudios und das nicht unerfolgreich. Eine Familie passt einfach nicht in ihre Karriereplanung.
Aber dafür konnte der Kleine nichts und er verstand auch nicht, warum seine Mutter ihn verlassen hatte. Er sehnte sich so sehr nach einem Ersatz für Ingrid, dass er mich sofort als seine Mutter akzeptiert hatte. Und immer noch lächelte ich zufrieden, wenn er beim Herumwirbeln schrie, "Noch schneller, noch schneller!", und mich dabei "Mami" nannte.
Und gleichzeitig überkam mich dann immer solch ein wehmütiges Gefühl. Dieser Junge war nicht mein Fleisch und Blut, und doch hätte ich ihn nicht mehr lieben können. Warum war ich dann nicht in der Lage gewesen, Kinga so zu lieben? Diese Gedanken wurden besonders intensiv, wenn ich ungestört war und auf dem Feld oder der Plantage arbeitete. Wenn ich sie bloß mehr geliebt hätte, dann wäre sie nicht auf die schiefe Bahn geraten, dann wäre sie jetzt eine anständige, nette junge Frau. Ich hoffte inständig, dass sie das eines Tages doch noch werden konnte. Und ich hoffte inständig, dass ich Klaudia und Sky genug Liebe schenken konnte, um sie vor Kingas Schicksal zu bewahren.
Seitdem Kinga fort war, besuchte ich wieder oft das Kloster des heiligen Ansbald. Ich betete dafür, dass Gott Kinga all die Kraft und Unterstützung gab, die sie brauchte. Ich betete aber auch dafür, dass Klaudia und Sky glücklich aufwachsen würden. Und ich dankte Gott dafür, dass er mir und Dominik eine zweite Chance gewährte. Mit seinem Segen würde unserer Liebe dieses Mal nichts mehr im Weg stehen. Schwester Beatrix leistete mir oft Gesellschaft und schloss mich in ihre Gebete ein. Der melodische Klang ihrer Stimme, wenn sie den Rosenkranz betete, gab auch mir inneren Frieden.
Zum Dank unterstützte ich Schwester Beatrix und die übrigen Ordensschwester bei der Arbeit in der Kloster-Gärtnerei. Schwester Beatrix war nicht mehr die Jüngste und deshalb froh über jede Hilfe, die sie erhielt. So konnte sie sich für ein paar Stunden entspannt auf einen Stuhl setzen und das Treiben im Laden beobachten, während ich ihren Anweisungen entsprechend kleine Sträuße band.
Diese Arbeit hatte so etwas Entspannendes. Hier im Kloster war mein Kopf frei von Sorgen und Ängsten, anders als bei der Arbeit auf der Farm, wo ich immerzu nur an die Probleme meiner Tochter dachte. Hier konnte ich aus tiefstem Herzen lächeln.