Kapitel 37: Panik
In den nächsten beiden Tagen telefonierten wir viel miteinander. Es war unglaublich, dass ich Roman erst so kurz kannte, mich aber dennoch so gut mit ihm verstand. Die Gesprächsthemen schienen uns nie auszugehen und für das Wochenende machten wir ein endlich ein richtiges Date aus.
Wir einigten uns darauf diesen Abend im Flanagan‘s zu verbringen. Es handelte sich dabei um eine bodenständige Kneipe, also genau richtig, um sich näher kennenzulernen. Die Musik war nicht zu laut, so dass man sich gut unterhalten konnte, es war aber auch nicht so förmlich wie in einem schicken Restaurant. Aufgeregt war ich dennoch, aber vor allem, weil ich mich so sehr freute, Roman wiederzusehen. Ich hatte bislang noch niemandem von ihm erzählt, nicht einmal Magda. Um ehrlich zu sein hatte ich Angst, dass auch meine Bekanntschaft mit ihm in einem Desaster enden könnte und ich wieder einmal als die Dumme dastand. Also versuchte ich mir, so wenig Hoffnung wie möglich zu machen.
Aber das war gar nicht so einfach, weil das Treffen mit ihm wieder einmal perfekt verlief. Nachdem wir ein Bier getrunken gingen wir zur Dartscheibe hinüber und spielten ein paar Runden. Wir waren beide wirklich schlecht in diesem Spiel, aber in Romans Gegenwart fühlte ich mich deswegen nicht eingeschüchtert, sondern wir konnten herzhaft über die Ungeschicklichkeit des anderen lachen.
Der Wirt hatte aber offensichtlich nicht so viel Humor und riss uns böse dreinblickend die Pfeile aus der Hand, nachdem die Hälfte davon wieder einmal in der Holzverkleidung der Wand statt in der Dartscheibe stecken geblieben war. Roman grinste nur verlegen, nahm mich bei der Hand und führte mich auf die Tanzfläche im hinteren Beriech der Kneipe. Es lief leise Rockmusik im Hintergrund und auch beim Tanzen stellten wir beide erneut fest, dass mir nicht mit Bewegungstalent gesegnet waren. Aber es machte dennoch unglaublich Spaß.
So wie eben alles mit Roman Spaß machte. Die Musik wurde langsamer und unweigerlich kam er näher an mich heran. So nah, dass ich sein Aftershave riechen konnte. Mein Herz begann wie wild zu klopfen. Ich zog die Luft ganz tief ein und wollte in diesem Augenblick nie wieder etwas anderes riechen. Ich wollte ja nicht zu viel hoffen, aber in diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er mich küssen würde.
Und offenbar hatte Roman meine Gedanken gelesen, denn er trat noch einen Schritt näher, sah mir tief in die Augen und drückte dann seine Lippen sanft auf meine. In meinem Kopf explodierte ein Feuerwerk der Glücksgefühle. Oh Gott, ich liebte diesen Mann, ich liebte ihn, ich liebte ihn, ich liebte ihn!
*****
Wir blieben so lange im Flanagan’s bis der Wirt uns schließlich auf die Straße setzte. Unserem ersten Kuss waren noch weitere gefolgt und jeder war noch intensiver als der vorherige. Obwohl es ein weiter Umweg für ihn war, begleitet Roman mich bis zu meiner Haustür und wir machten gleich das nächste Treffen aus. Und beim Frühstück konnte ich nicht länger an mich halten und erzählte meinen Mitbewohnern von meinem neuen Freund. Ja genau, von meinem FREUND. Denn auch wenn wir es nicht direkt gesagt hatten, nach den Küssen der letzen Nacht bestand kein Zweifel mehr daran, dass Roman und ich ein Paar waren. Die beiden freuten sich sehr für mich. Magda hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil die Geschichte mit Israel so aus dem Ruder gelaufen war. Und Jamie war einfach nur froh, dass ich wieder glücklich war.
Zwei Tage, fünf Telefonate und unzählige Textnachrichten später traf ich mich erneut mit Roman. Diesmal hatte er tatsächlich ein ganz klassisches Date geplant und wir trafen uns zum Essen im Goldenen Drachen, dem kleinen chinesischen Restaurant in der Innenstadt. Bevor wir uns mit den Stäbchen selbst oder auch gegenseitig umgebrachten, griffen wir direkt zur Gabel und ließen uns das Essen schmecken.
Ich erzählte Roman von den Planungen für meine nächste Ausstellung und davon, dass ich zwei neue Lieder auf der Gitarre spielen konnte und er plauderte ein wenig über seine Arbeit in der Kaserne. „Ich bin froh, dass ich nicht bei den Anwärtern in den Baracken schlafen muss“, erzählte er. „Dort hat man überhaupt keine Privatsphäre. Und die brauche ich heute ganz dringend. Ich hab mir nämlich überlegt, dass du heute Abend vielleicht mit zu mir nach Hause kommen könntest…und wir morgen zusammen frühstücken.“
Mit einem Mal verwandelte sich mein Gesicht in eine steinerne Maske. „Zusammen frühstücken.“ Ich wusste genau, was Roman mit diesen Worten meinte. Er wollte mit mir schlafen. Mein Schweigen war nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte. „Also, wenn du noch Sachen von Zuhause brauchst, können wir gerne bei dir vorbeifahren“, schlug mein verdateter Begleiter vor. „Oder wir könnten auch bei dir bleiben. Ich dachte nur, wegen deiner Mitbewohner wäre es dir lieber, wenn wir zu mir gehen.“ Endlich löste ich mich aus meiner Schockstarre, doch nur um abwehrend die Hände in die Luft zu reißen. „Ich…nein, das geht nicht“, stotterte ich. „Ich meine, ich kann nicht mit dir schlafen. Nicht jetzt. Nicht so.“
Jetzt war Roman sichtlich verwirrt. „Hab ich etwas Falsches gesagt? Oder hab ich etwas gemacht, dass dich verärgert hat? Es ist bereits unsere dritte Verabredung. Und ich hatte das Gefühl, wir würden uns gut verstehen. Ich finde, es ist daher nur angebracht, wenn wir einen Schritt weiter gehen. Schließlich sind wir zwei erwachsene Menschen.“ Er hatte mit seinen Worten recht. Aber ich konnte dennoch nicht mit ihm schlafen, zumindest noch nicht. Nach der Geschichte mit Israel wollte ich es doch ruhiger angehen lassen. Mit ihm hatte ich viel zu schnell geschlafen und mit Roman wollte ich mir Zeit lassen. Ich wollte ihn erst richtig kennenlernen und mir sicher sein, dass ich ihn liebte und vor allem, dass auch er mich liebte. Ich hätte es ihm einfach so erklären sollen, aber meine Zunge war wie gelähmt.
Das einzige was ich herausbrachte, war ein „Ich möchte nicht mit dir schlafen“. Und ohne weitere Erklärung führte diese nur dazu, dass Roman nicht nur verwirrt, sondern auch zunehmend verärgert wurde. „Soll ich dieser Reaktion entnehmen, dass dir auch sonst nicht viel an mir liegt? Hast du in den vergangenen Tagen einfach nur mit mir gespielt? Erklär es mir, Klaudia, denn ich verstehe es nicht.“
Ich wollte es ihm ja erklären, aber mit jedem seiner Worte schnürte sich meine Kehle weiter zu. Und ich war zunehmend nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich bekam keine Luft mehr. Luft, ich brauchte Luft! Hastig sprang ich von meinem Stuhl und warf dabei den Teller fast um, sodass die dreckige Gabel auf meinem weißen Oberteil landete und hässliche Flecken hinterließ. Ohne darauf zu achten lief ich ohne ein weiteres Wort aus dem Restaurant hinaus. Wie der Zufall es wollte, hielt gerade ein Taxi vor dem Lokal. Ich riss die Tür auf, setzte mich hinein und forderte den Fahrer kurzatmig auf, mich in die Cilia Gade zu fahren. Als das Taxi losfuhr konnte ich gerade noch erkennen, wie Roman aus dem Restaurant kam und mit hochgezogenen Schultern ungläubig dem Wagen hinterher starrte, in dem ich saß.
Zuhause angekommen wechselte ich zuerst wie mechanisch im Badezimmer meine dreckigen Kleider. Erst dann ging ich in mein Zimmer, schloss die Tür fest hinter mir zu und drückte mich weinend gegen diese. Ich hatte alles zerstört! Roman war so wunderbar zu mir und wieder war ich einfach weggelaufen ohne es ihm zu erklären. Er musste mich für eine blöde Pute halten. Denn so kam ich mir selbst vor. Warum musste es so kompliziert sein, einen Mann zu finden, den man liebt und vertraute und der dasselbe für einen empfand?
Aber vielleicht tat Roman das ja. Vielleicht war es noch nicht zu spät. In mir keimte die Hoffnung auf und ich holte mein Handy aus der Handtasche. Doch ein Blick auf das Display verschaffte mir Gewissheit. Kein entgangener Anruf wurde wir angezeigt und es war auch keine SMS eingegangen. Roman hatte also nicht einmal versucht, mich zu erreichen und mich um eine Erklärung zu bitten. Er hatte mich demnach tatsächlich abgeschrieben.
Plötzlich überkam mich eine furchtbare Wut auf mein Handy, weil es mich in dieser schweren Situation einfach im Stich gelassen hatte. Zornig riss ich die oberste Schublade meiner Kommode auf, warf mein Mobiltelefon in die hinterste Ecke und knallte die Schublade wieder zu.
Doch das half nicht, meine Wut und Enttäuschung zu mindern. Denn ich wusste ja, dass mein Handy keine Schuld traf. Ich war diejenige, die nicht in der Lage war, eine Beziehung einzugehen. Meine eigene Unsicherheit verschreckte jeden Mann. Entweder trieb sie ihn in die Arme einer anderen Frau oder einfach nur weit von mir weg. Ich drückte meinen geliebten Kuschelpanda fest an mich und hockte mich in die Nische zwischen meinem Bett, der Wand und dem Nachtisch. Nach wenigen Minuten war Kuschelpandas Fell tränengetränkt. Und ich wurde immer verzweifelter. Ich würde niemals den Mann fürs Leben finden. Ich würde niemals heiraten und niemals Kinder bekommen. Und unter dieser Erkenntnis brach ich fast zusammen. Ich wollte nicht einsam und verbittert sterben, ich wollte das einfach nicht.
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Ich bin die nächste Woche (aller Voraussicht nach) ohne Internet im Urlaub. Also ncícht wundern, wenn ich nicht antworte