Beiträge von Stev84

    Kapitel 55: When the moon hit's your eye...



    Obwohl wir in unseren Flitterwochen waren, könnte es Francesco sich nicht erlauben, seine Arbeit ruhen zu lassen. Regelmäßig ließ er sich von seiner Mutter über die Geschehnisse in Rodaklippa und ganz Simskelad auf dem Laufenden halten und brütete bis spät in die Nacht hinein über Ratsbeschlüssen, Steuerlisten und den Haushaltsplänen für das kommende Jahr. Ich nutzte die Zeit dann für ausgedehnte Spaziergänge durch die hügelige Landschaft oder vertrieb mir die Zeit mit Spielen auf der Gitarre, die ich mir von einem der Hotelangestellten ausgeliehen hatte.



    Aber Francesco arbeitete natürlich nicht die ganze Zeit. Unsere Hochzeitsreise gab ihm nämlich die Gelegenheit, sich seiner großen Leidenschaft, dem Weinhandel, zu widmen. Und ich war neugierig, mehr über seine Lieblingsbeschäftigung zu erfahren. An einem Nachmittag fuhren wir also zu einem Weingut hinaus, mit dem Francesco schon seit Jahren geschäftliche Beziehungen unterhielt. „Willkommen, Lord Hartfels“, begrüßte uns Signora Camara, die Winzerin. „Ich bin hoch erfreut sie wieder einmal auf Gut Lussureggiante begrüßen zu dürfen.“



    Da der kalte Wind oben auf den Hügeln besonders stark wehte, bat sie uns umgehend in das Innere des Weinguts. „Und sie müssen dann Lady Hartfels sein“, begrüßte sie auch mich, sobald wir die Mäntel ausgezogen hatten. „Ich habe die Bilder ihrer Hochzeit in den Illustrierten verschlungen. Aber in Wirklichkeit sind sie noch viel schöner, als auf den Fotos.“ Ich errötete bei dem Kompliment und bedankte mich. Ein Blick zu Francesco verriet mir, dass auch er über dieses Kompliment erfreut schien.



    „Und bald kommt ja auch schon der kleine principe oder die kleine principessa auf die Welt“, fuhr Signora Camara begeistert fort. „Wann ist es denn so weit?“ „Ich bin jetzt am Anfang des fünften Monats“, antwortete ich und gab ihr erfreut die Erlaubnis, meinen Bauch berühren zu dürfen. „Der Geburtstermin ist für Mitte Mai angesetzt.



    Nach dieser Begrüßung führte Seniora Camara uns durch das Weingut. Francesco war besonders an dem Weinkeller interessiert, in dem die Fässer mit dem Wein aus diesem Jahr lagerten. Die Weinlese war längst abgeschlossen, daher standen die Weinpressen zu meinem Leidwesen alle still. Aber Francesco interessierte sich ohnehin eher für den fertigen Wein und nicht so sehr für den Vorgang der Herstellung. „Dieses Jahr werden wir eine sehr guten Wein verkaufen können. Der Sommer war sehr sonnenreich, es hat aber auch ausreichend geregnet“, erklärte die Winzerin. „Wir haben auch schon ausprobiert, unseren Wein mit dem aus ihrem Gut zu mischen, Lord Hartfels. Die Süße unseres Jahrgangs zusammen mit dem herben Geschmack der Trauben aus Rodaklippa harmonieren wunderbar. Sie müssen gleich ein Glas davon probieren.“



    Das ließ Francesco sich nicht zweimal sagen und wir kehrten in das Haupthaus zurück. Seniora Camara öffnete eine Flasche des eben erwähnten Coupage-Weins und schenkte Francesco ein Glas ein. „Und für sie, Lady Hartfels, habe ich einen ausgezeichneten Saft aus unseren Trauben.“ Auch mir schenkte sie ein Glas ein. Der Traubensaft schmeckte so, wie ein Traubensaft eben schmeckte. Aber Francesco schien von dem Coupage-Wein sichtlich angetan. „Sie müssen mir davon ein paar Flaschen mitgeben, Signora Camara. Meine Mutter wird diesen Wein lieben.“



    Danach nahm Francesco mich zur Seite und ergriff meine Hände „Ich werde mit Signiora Camara den Rest des Tages Verträge ausarbeiten müssen, Klaudia. Ich werde eine größere Menge ihres Weines kaufen. Du würdest dich hier nur langweilen. Ich habe daher einen der Pflanzer gebeten, dich zu den Ruinen unweit von hier zu fahren. Dann siehst du wenigstens etwas von der schönen Landschaft.“



    Ich war schon enttäuscht, dass ich auch diesen Tag wieder nicht vollständig mit Francesco verbringen konnte. Aber als Frau des Lords von Rodaklippa sollte ich mich schon einmal an diesen Zustand gewöhnen. Leider spielte auch das Wetter nicht so richtig bei meinen Besichtigungsplänen mit. Der leichte Schneefall war in einen unangenehmen Dauerregen übergegangen. Die Ruinen des Amphitheaters waren deswegen nicht weniger beeindruckend, aber bei Sonnenschein hätte die Besichtigung sicher noch mehr Spaß gemacht.



    Der Pflanzer berichtete zudem, dass es in der Nähe noch die Ruinen eines alten Thermalbades gäbe. Da ich ohnehin schon durchnässt war, entschied ich, dass ein paar Minuten länger im kalten Regen nun auch nichts mehr ausmachen würden. Also marschierte ich durch den aufgeweichten Boden zu den Ruinen. Und diese waren wirklich sehenswert. Den besonderen Charme machten die roten Mohnblumen aus, die überall zwischen den Mauerresten wuchsen. Die unterirdischen heißen Quellen sorgten dafür, dass sie selbst im Winter noch gut gediehen. Wie schön musste es hier erst im Sommer aussehen.



    Erst als ich wieder im Hotel ankam, merkte ich, wie durchgefroren ich eigentlich war. Aber ein heißes Bad half mir, mich schnell wieder aufzuwärmen. Und auf diese Weise könnte ich das einzige wirklich luxuriöse Zimmer unseres Hotels entsprechend würdigen.



    In den folgenden Tagen bekam ich noch weniger von Francesco zu sehen als zuvor. Seine Geschäfte und politischen Verpflichtungen führten ihn nach Pisa, Lucca und Florenz. Ich hätte all diese Städte auch gerne gesehen. Aber Francesco überzeugte mich, dass ich dort nur die Hotellobbys zu sehen bekommen hätte und ich in meinem Zustand ohnehin lieber nicht so weiter Strecken fahren sollte. Also verbrachte ich meine Tage damit, Monte Vista zu erkunden, selbst wenn es dabei wie aus Eimern schüttete. Auf einem meiner Streifzüge entdeckte ich eine kleine, verwinkelte Buchhandlung, die wunderschöne Bilderbücher für Kleinkinder im Angebot hatte. Mein kleiner Zwerg würde sich darüber sicher sehr freuen, also schlug ich gleich zu.



    Das ungewöhnlich kalte Winterwetter wich bald den Vorboten des Frühlings. Es wurde warm. So warm, dass man auch ohne Jacke auf die Straße gehen konnte. Man merkte richtig, wie sich die Gassen Monte Vistas wie nach einem Winterschlaf wieder mit Menschen füllten. Und auch mich zog es auf die Straße, und zwar mit meiner Gitarre. Ja, ich wusste, dass es nicht standesgemäß war. Aber ich hatte hier noch nirgendwo Paparazzi entdeckt und was Francesco, oder besser gesagt seine Mutter, nicht wussten, machte sie nicht heiß. Und den Einheimischen schien mein Spiel zu gefallen, denn sie ließen ordentlich Trinkgeld da.



    So schön meine Spaziergänge durch Monte Vista und die Umgebung auch waren, so war ich doch am glücklichsten, wenn Francesco bei mir war. In den letzten Tagen vor unserer Abreise hatte er keine Geschäfte mehr zu erledigen und gemeinsam besichtigten wir noch einmal die Ruinen des Amphitheaters und der Therme. Am Abend unserer Abreise aßen wir dann in einem Bistro in der Altstadt. Das Wetter war inzwischen so gut, dass man selbst in der Abendluft kaum fror. Vor dem Bistro war eine Tanzfläche aufgebaut und Francesco musste mich nicht zweimal zum Tanz auffordern. Es war so wunderschön. Der Mond schien über der Burg und ich lag in Francescos Armen. Das Wort „Liebe“ war weder ihm noch mir in den letzten Wochen über die Lippen gekommen. Aber konnte es noch einen Zweifel geben, dass wir und liebten. Wie sonst hätte ich so glücklich sein können?


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    Ich habe ein paar der neueren Charaktere zum Download bereitgestellt:
    Ehemann Francesco, Schwägerin Alexis, Onkel Orion, Tante Desdemona


    Kapitel 54: Die Erfüllung aller Wünsche



    Im Innenhof des Schlosses wartete bereits der Chauffeur mit der Limousine auf uns. Die Hochzeitsnacht würden Francesco und ich auf Schloss Hardsten verbringen. Unser gemeinsames Haus war noch immer nicht bezugsfertig und auf Hardsten würden wir mehr Privatsphäre haben als in der Cilia Gade. Als wir allein in Francescos Zimmer waren, merkte ich, dass er etwas nervös wurde. „Klaudia“, begann er die Unterhaltung, „ich habe mit meinem Anwalt und auch mit dem Bischof gesprochen und beide waren der Auffassung, dass es unumgänglich sei, dass wir die Ehe trotz allem“, dabei deutete er auf meine prallen Babybauch, „vollziehen müssen.“ Seine Wangen glühten bei diesen Worten feuerrot und das war nur zum Teil den frostigen Außentemperaturen oder dem Alkohol zuzuschreiben. Nein, es war ihm ganz einfach unangenehm über das Thema Sex zu sprechen, selbst mit mir, seiner eigenen Frau.



    Oder aber, es war ihm unangenehm mich darum zu bitten, mit ihm zu schlafen, obwohl wir beide wussten, dass wir die Ehe nicht aus Liebe eingegangen waren. Was auch immer der Grund war, er brauchte sich keine weiteren Gedanken zu machen. „Deine Mutter hat mich über meine heutigen Pflichten bereits in Kenntnis gesetzt“, erwiderte ich. Zunächst hatte mich das in Angst versetzt. Doch jetzt war es anders. Francesco war mein Mann. Beim Ja-Wort hatte ich gespürt, dass ich mehr für ihn empfand, als ich geglaubt hatte. Und jetzt war ich neugierig, ob sich dieses Gefühl bestätigen würde, wenn ich Francesco auch körperlich näher kam. „Ich bin bereit dafür“, konnte ich ihm daher ehrlich antworten.



    Aufgeregt war ich dennoch. Immerhin hatte ich erst ein einziges Mal mit ihm geschlafen. Nachdem er von meiner Schwangerschaft erfahren hatte, hatte Francesco nie wieder etwas in dieser Richtung versucht. Und unser erstes Mal hatte ich nicht unbedingt positiv in Erinnerung. Ich hatte diese Nacht ein ums anders Mal Revue passieren lassen und war zu dem Schluss gekommen, dass ich Francescos scheinbare Unachtsamkeit mir gegenüber vielleicht überbewertet hatte. Inzwischen kannte ich ihn ja besser und wusste, dass er ein sehr in sich gekehrter Mensch war, der so gut wie nie Gefühle nach außen hin zeigte. Warum sollte das beim Sex also anders sein? Ich wollte ihm und uns beiden also eine neue Chance geben, auch wenn mein Herz dabei wie wild klopfte. Schüchtern strich ich eine Haarsträhne, die sich aus meiner Frisur gelöst hatte zurück und drehte mich mit dem Rücken zu ihm. Und bei den Worten, „Würdest du mir mit dem Reißverschluss helfen?“, war ich bemüht, so verführerisch wie möglich zu klingen. Er sollte wissen, dass ich das hier wirklich wollte.



    Francesco ließ sich nicht ein zweites Mal bitten. Während er mein Kleid öffnete zog ich die langen weißen Handschuhe aus und warf sie auf den Boden. Das Kleid glitt an meinem Körper hinab. Ohne dass ich ihn dazu auffordern musste begann Francesco auch den Verschluss meines BHs zu öffnen. Derweil griff ich mir in die Haare und zog die Haarnadeln heraus, die meine Frisur zusammenhielten und schüttelte meine Lockenmähne. Mit der anderen Hand drückte ich zunächst noch den geöffneten BH an meinen Körper. Doch als ich Francescos Hände auf meiner Hüfte fühlte, blickte ich ihn über die Schulter hinweg an und ließ auch dieses Kleidungsstück zu Boden gleiten. Dann drehte ich mich zu meinem Mann um, nahm ihm seine Fliege ab, seinen Kummerbund und half ihm dabei sich von seinem Jackett und seinem Hemd zu befreien. Auch seine Kleidungsstücke fielen achtlos zu Boden und schließlich standen wir vollkommen nackt voreinander. Unsere Blicke ruhten auf dem Körper des jeweils anderen und dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass Francesco sich sehr viel Zeit nahm.



    Ich nahm seine Hand und gemeinsam legten wir uns auf das Bett. Ich wollte, dass es diesmal anders wurde als beim ersten Mal. Vielleicht hatte ich mich damals einfach zu sehr darauf verlassen, dass Francesco schon alles machen würde, so wie es Israel bei meinem aller Ersten Mal getan hatte. Vielleicht war Francesco ja genau so schüchtern und unsicher in Liebesdingen wie ich es war und brauchte etwas Unterstützung? Nur wusste ich nicht, was ihm gefallen könnte. Also dachte ich daran, was ich schön fand und begann damit, seine Arme, seine Brust und seinen Bauch vorsichtig mit meinen Fingerspitzen zu stricheln. Es dauerte nicht lange, bis Francescos Finger auf die gleiche Weise meinen Körper erkundeten. Der eigentliche Akt verlief dann bei erster Betrachtung wie beim ersten Mal. Doch schnell erkannte ich, dass die Bewegungen, die ich zunächst als mechanisch wahrgenommen hatte, viel eher mit Sorgfalt und Präzision ausgeführt wurden. Seine Augen waren auch diesmal fest verschlossen, aber diesmal verstörte es mich nicht mehr so sehr. Denn als ich seinen Gesichtsausdruck genauer musterte, erkannte ich, dass er dabei durchaus zufrieden aussah. Und als ich begann, seinen Hals mit kleinen Küssen zu verwöhnen, verzogen sich seine Mundwinkel sogar zu einem Lächeln.



    Ja, unser Liebesakt war auch diesmal sehr anders als das, was ich mit Israel erlebt hatte. Aber war es deswegen schlechter? Ich war mir da inzwischen nicht mehr so sicher. Es war schön, Francescos warme Haut auf meiner zu spüren. Ich genoss seine Berührungen. Und ich war mir sicher, dass auch er es genoss. Sein rascher Höhepunkt sollte mir in dieser Hinsicht Beweis genug sein. Auch diesmal schlief er hinterher schnell ein. Aber wer wollte es ihm verdenken? Wir waren seit dem frühen Morgen auf den Beinen und hatten viel getanzt. Und auch wenn Francesco nicht übermäßig viel getrunken hatte, so hatte der Alkohol doch sicher auch seine Mitschuld. Ich hingegen konnte noch nicht gleich einschlafen. Doch das war nicht schlimm. Ich schmiegte mich an den Rücken meines Ehemannes und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen. Ich war tatsächlich seine Frau…und es fühlte sich gut an. Ich war verheiratet, würde bald Mutter werden. Alle meine Wünsche gingen in Erfüllung.


    *****


    Direkt am nächsten Morgen traten wir unsere Hochzeitsreise an. Das Ziel war der kleine Ort Monte Vista in der Toskana. Es war die Heimatstadt der mütterlichen Linie von Francescos Familie. Lady Eleonore war hier aufgewachsen und Francesco hatte hier viele Sommer bei seinen Großeltern verbracht. Vom Regionalflughafen in Rodaklippa flogen wir zunächst in einer kleinen Cessna nach SimCity, von wo aus es in der ersten Klasse nach Florenz weiterging. Dort angekommen setzten wir unsere Reise in einer gemieteten Limousine fort. Obwohl es in der Toskana sehr viel wärmer als im kalten Simskelad war, war der Winter auch hier deutlich zu spüren. Ohne dicke Winterjacken ließ es sich auch hier nicht aushalten. Erst nach Sonnenuntergang kamen wir an unserem Landhotel an.



    Unser Zimmer war bereits für uns vorbereitet worden. Es war großzügig und elegant eingerichtet, auch wenn man es nicht unbedingt luxuriös bezeichnet hätte. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl hier. Trotz der Anstrengungen der Reise setzt sich Francesco noch an den Schreibtisch und ging einige Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung Rodaklippas im letzten Quartal durch. Und ich machte mich schon einmal mit dem ungewohnten Euro Münzen und Scheinen vertraut, die wir an der Rezeption gegen Simoleons eingetauscht hatten.



    Als wir am nächsten Morgen aufwachten hatte es tatsächlich geschneit. Eine dünne weiße Schicht bedeckte die Landschaft, war aber bereits im Begriff zu tauen. Von so ein bisschen Schnee ließen Francesco und ich uns nicht abhalten. Wie zogen unsere warmen Winterjacken an und machten uns auf zu einem Spaziergang durch die historische Altstadt von Monte Vista.



    Die Altstadt war wirklich wunderschön. Hoch oben auf dem Berg gelegen befanden sich hinter der dicken Stadtmauern eine Vielzahl historischer Bauten. Aber das beeindruckendste Bauwerk war die Burg. „Bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren haben meine Großeltern in dieser Burg gewohnt“, erklärte Francesco. „Sie ist auch noch heute im Besitz der Familie de‘ Morelli, allerdings lebt mein Tante mit ihrer Familie in einer Villa bei Florenz.“ „Können wir sie denn besichtigen?“, fragte ich neugierig. „Wir könnten schon. Aber heute wird die Burg von der Stadtverwaltung genutzt und ist vollgestopft mit Akten. Es wäre also nicht sonderlich spannend.“



    Interessiert hätte es mich dennoch. Aber für Francesco war das Thema bereits erledigt. Und offenbar hatte er für den Rest des Tages auch schon andere Pläne. „Klaudia, ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich dich für den Rest des Nachmittags alleine lasse. Ich habe gleich einen Geschäftstermin mit ein paar lokalen Politikern. Das würde dich ohnehin sicherlich nur langweilen.“ Damit hatte er vermutlich Recht, aber eine Wahl blieb mir ja so oder so nicht. Doch in Monte Vista gab es viel zu sehen und ich konnte mich problemlos den ganzen Tag im Museum aufhalten und mir die hiesigen Gemälde und Skulpturen anschauen.



    Am Abend stieß Francesco dann wieder zu mir und gemeinsam besuchten wir eine urige Pizzeria in der Altstadt. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich seit dem Frühstück nichts gegessen hatte oder daran, dass ich derzeit ohnehin für zwei aß, aber ich hatte selten so eine gute Pizza gegessen. Und von der köstlichen Panna Cotta zum Nachtisch will ich gar nicht erst anfangen.



    Gut gesättigt fuhren wir zurück in unser Hotel. Beide machten wir uns fertig fürs Bett. Die Häuser hier in der Toskana waren eindeutig nicht für solche eisigen Temperaturen gebaut worden, denn trotz der dicken Daunendecke begann ich zu zittern. Francesco merkte dies und zog mich zu sich heran. Und schon nach wenigen Augenblicken in seinen Armen wurde mir wärmer. Und mir wurde regelrecht heiß, als ich seine Erregung spürte. Nein, diesmal musste er nicht mit mir schlafen und es war auch kein Alkohol im Spiel. Er wollte es demnach und ich war glücklich darüber. War es nicht ein deutliches Zeichen, dass er begann mich zu lieben? Und ich wurde umso glücklicher, als dass sich dieses Ereignis in den kommenden Nächten noch des Öfteren wiederholen sollte.

    Kapitel 53: Moon River



    Ich hörte ein Seufzen durch den Kirchenbau gehen. Magda könnte ihre Tränen der Rührung nicht länger unterdrücken und heulte laut auf. Aber wer weiß, vielleicht waren es auch Tränen des Neids, da ich, ihr dicke, hässliche Cousine vor ihr einen Ehemann abbekommen hatte? Und dann auch noch einen Lord! Bei Magda konnte man nie wissen. Bei Papas Tränen zweifelte ich keine Sekunde, welchen Ursprung sie hatten. Er freute sich einfach für mich. Bei Mamas Tränen war ich mir nicht sicher. Waren es wirklich Freudentränen, oder trauerte sie doch, weil ich mich, wie schon sie vor mir, in eine Ehe ohne Liebe gestürzt hatte? Tante Joanna wirkte in jedem Fall höhst zufrieden, weil ihr Plan so gut aufgegangen war. Meinen Cousin schien die ganze Sache eher zu langweilen. Aber Onkel Orion freute sich ehrlich für mich und wurde darin nur noch von Jamie übertroffen, der selig grinste.



    Unter lautem Orgelgetöse zogen wir aus der Kathedrale aus. Bevor Lady Eleonore etwas dagegen unternehmen könnte, stürzten sich schon meine Eltern, meine Familie und meine Freunde auf Francesco und mich, um uns mit Glückwünschen zu überhäufen. Aus dem Augenwinkel sah ich deutlich, wie vor Ärger eine Ader auf der Stirn meiner Schwiegermutter…ich hatte jetzt tatsächlich eine Schwiegermutter…hervortrat. Eine solch öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen war eindeutig nicht standesgemäß. Aber sie konnte sie jetzt nicht mehr verhindern, ohne ihr Gesicht noch weiter zu verlieren. Also machte sie gute Miene zum bösen Spiel.



    In schwarzen Reisebusen mit getönten Scheiben wurde die gesamte Hochzeitsgesellschaft in das etwa zehn Kilometer von Rodaklippa entfernte Schloss Utökad gefahren. Als wir ankamen, setzte bereits die Dämmerung ein. Es war ein schönes altes Schloss, welches aber nur noch als Museum fungierte und von der Familie von Zeit zu Zeit für wichtige Empfänge genutzt wurde. Bei unserer Ankunft wurden wir mit einem Sektempfang begrüßt. Das war auch der Moment für Sky seinen Pflichten als Trauzeuge nachzukommen und eine Rede auf Francesco und mich zu halten. Und er meisterte diese Aufgabe mit Bravour. Ich war richtig stolz auf mein kleines Brüderchen.



    Nach der Rede hatte ich endlich etwas Zeit, mich meinen Gästen zu widmen. Ich war sehr froh, dass Onkel Orion es geschafft hatte zu kommen. Seit unserer Flucht aus der Sierra Simlone hatte ich nur wenige Gelegenheiten gehabt, Mamas jüngeren Bruder zu sehen. Und es tat gut, wieder Neuigkeiten aus der alten Heimat zu hören und zu erfahren, wie es den alten Freunden und auch Verwandten erging, da der Kontakt aufgrund der angespannten politischen Situation nach wie vor schwierig, wenn nicht gar unmöglich war.



    Nach dem Sektempfang nahmen unsere Gäste an der U-förmigen Tafel Platz. Die Tische waren mit weißen Damast-Tischtüchern ausgelegt und mit aufwändigen Rosengestecken, Rosenblättern und vielen Kerzen dekoriert. Das zahlreiche Besteck ließ schon erahnen, dass es mehrere Gänge geben würde. Das Menü wurde direkt am Tisch serviert, sobald sich alle Gäste gesetzt hatten. Nach einer kräftigen klaren Brühe und einem Chicoreesalat mit Steinpilzen folgte dann der Hauptgang: Kapaun mit Wirsing und Trüffeln. Ungelogen, ich hatte in meinem Leben noch nie so etwas Leckeres gegessen.



    Unseren adeligen Gästen wurden Plätze an der Tafel zugewiesen, die ihrer Stellung angemessen waren. Außerdem hatte meine Schwiegermutter sie so alle in Gesprächsweite und konnte das Angenehme gleich mit dem Nützlichen verbinden und die politischen Verbindungen festigen. Die übrigen Gäste hatten hingehen freie Platzwahl. Papa und Kinga wählten Plätze dich beisammen um die Möglichkeit zu einem ruhigen Gespräch zu bekommen. Und bei der Gelegenheit lernte Kinga auch endlich ihren Stiefbruder Sky kennen, den sie bislang nur als Baby einmal kurz zu Gesicht bekommen hatte. Mama entschied sich ganz bewusst dafür, abseits von den dreien zu sitzen. Trotz der Aussprache mit meiner Schwester war ihr Verhältnis weiterhin angespannt und sie wollte der Aussöhnung zwischen Papa und Kinga nicht noch zusätzliche Steine in den Weg legen. Stattdessen saß sie bei ihrem Bruder Orion und seiner Frau Desdemona und saugte begierig alle Neuigkeiten aus der Sierra Simlone auf.



    Nach dem Essen wurde es Zeit, den Tanz zu eröffnen. Um dem Schauplatz und Francescos…und nun auch meiner…sozialen Stellung gerecht zu werden, geschah dies in Form einer Polonaise. Nicht nur konnte bei diesem Schreittanz jeder mitmachen, nein, man kam auch mehrere Male an jedem der Tanzenden vorbei und war so in der Lage selbst bei einer noch so großen Gesellschaft jeden Gast persönlich zu begrüßen.



    Für die musikalische Untermalung des Abends sorgten wie bereits in der Kirche Magda, die nun auch ihr Können am Klavier unter Beweis stellen konnte, und der Organist, der aber genau so begabt am Kontrabass war. Je nach Lied begleiteten sie den Klang ihrer Instrumente zusätzlich gesanglich.



    Nach der Polonaise erfolgte dann auch die klassische Eröffnung des Hochzeitstanzes in Form eines Langsamen Walzers. Zu den sanften Klängen von Moon River, gesungen von Magda, schwebten Francesco und ich über die Tanzfläche. Er war ein göttlicher Tänzer der selbst mich Tanzlegastheniker wie eine Elfe auf der Tanzfläche erschienen ließ. Wir hatten diesen Tanz in den letzten Wochen immer und immer wieder geprobt, aber niemals ist er uns so gut gelungen wie heute. Und niemals hatte ich mich so sicher und geborgen in Francescos Armen gefühlt. Diese simplen zwei Worte vorhin in der Kirche hatten irgendwie alles verändert…und das zum Besseren.



    Als das Lied zu Ende war und das nächste erkläng, gesellten sich auch die übrigen Gäste zu uns auf die Tanzfläche. Erst unsere Trauzeugen, dann auch Lady Eleonore und meine Eltern und schließlich auch alle anderen. Doch ich hatte nur Augen für Francesco und wollte die Tanzfläche nie wieder verlassen.



    Ganz ähnlich schien es auch meinen Eltern zu ergehen die eng umschlungen auf der Tanzfläche standen und sich gemächlich zum Takt der Musik wiegten. Die beiden sahen so glücklich aus. Dabei war ihre Ehe auch nicht ideal gestartet. Es hatte keine Liebe gegeben…zumindest nicht auf Seiten meiner Mutter. Und doch liebten sie sich inzwischen innig. Das gab mir die Zuversicht, dass es bei Francesco und mit ähnlich werden würde. Mit der Zeit würden wir auch unsere Liebe zueinander finden. Und ich fühlte genau, dass sich die Knospe der Liebe bereits zu öffnen begann.



    Auch Magdas Eltern, Tante Joanna und Onkel Tobias, sahen immer noch frisch verliebt aus. Und in Sachen Tanzen konnte den beiden niemand das Wasser reichen. Mit ausgefallenen Figuren stellten sie ihr Können unter Beweis. Mama, Tante Joanna, Kinga…das Liebesglück schien eindeutig in unserer Familie zu liegen, warum sollte es da bei mir anders sein? Ich hatte einfach nur Starthilfe gebraucht um meine Schüchternheit zu überwinden. Jetzt, wo mir Tante Joanna bei diesem ersten und schwierigsten Schritt geholfen hatte, würde sich alles Weitere zum Guten wenden. Und zusammen mit unserem ungeborenen Kind würde mein Glück mit Francesco perfekt sein.



    Pünktlich um Mitternacht wurde die Hochzeitstorte angeschnitten. Eigentlich sah sie ja viel zu schön aus, um sie zu essen, aber was sein musste, musste sein. Obwohl ich den Brauch eigentlich gut kannte, griff ich dennoch als erste zum Messer, was zur Folge hatte, dass meine Hand die untere auf dem Messer war. Dem Brauch folgend würde also Francesco das Sagen in unsere Ehe haben. Ganz unglücklich macht mich dies nicht, denn ich wusste ja nur zu gut, wie schwer mir manche Entscheidungen fielen. Ich war dankbar dafür, dass mir jemand diese Last in Zukunft abnahmen konnte.



    Magda musste selbstverständlich nicht den ganzen Abend auf der Bühne stehen und singen. In ihren Pausen kam sie zu mir und gemeinsam hielten wir nach einem geeigneten Ehemann für meine Cousine Ausschau. Zu Magdas Leidwesen waren die anwesenden Lords alle bereits verheiratet und hatten ihr ledigen Brüder und Söhne Zuhause gelassen. Dann würde sie sich doch einen Mann aus dem einfachen Volk suchen müssen. Und der ein oder andere brauchbare Kandidat war sogar dabei.



    Im späteren Verlauf des Abends ging es auf der Tanzfläche dann etwas lockerer zu. Walzer, Quickstepp und Slowfox wurden von moderneren Klängen abgelöst. Wobei „modern“ immer noch relativ war, denn es wurde hauptsächlich Rock’n’Roll gespielt, der in Lady Eleonores Augen sicherlich schon verrucht genug war. Meine Familie hatte dennoch ihren Spaß. Magda tanzte mit ihrer neusten Eroberung Mathew Glover-Pandora, Tante Joanna und Onkel Tobias hatten die Tanzfläche offenbar nicht für eine Sekunde verlassen, Jamie tanzte (und flirtete) mit Frida Appleby-Stardust und ich hatte mir Onkel Orion geschnappt.



    Aber auch unser hochgeborenen Gäste waren dieser Art der Unterhaltung nicht abgeneigt, wie mein Bruder Sky bei seinem wilden Tänzchen mit Lady Graziella Forstwacht von Djupenskog unter Beweis stellte. Man, konnte die Dame ihre Hüften schwingen! Und auch die Geistlichkeit war gut in Schwung. Nachdem der Bischof sich den bisherigen Abend damit begnügt hatte den übrigen Gästen beim Tanzen nur zuzusehen, konnte ihn Mama schließlich doch noch dazu bewegen, ein Tänzchen zu wagen.



    Ich hätte ewig so weiter feiern können. Aber die Schwangerschaft, auch wenn sie bislang ganz entspannt bei mir verlief, ging doch nicht spurlos an mir vorüber. Ich merkte, dass ich zusehends müder wurde. Aber bevor ich das Fest verlassen konnte, galt es noch den Brautstrauß zu werfen. Die unverheirateten Frauen und Mädchen auf dem Fest versammelten sich auf der Tanzfläche. Ich stellte mich mit dem Rücken zu ihnen und dann warf ich den Strauß hoch in die Luft.



    Ich hatte schon vorher genau gesehen, dass Magda ganz scharf darauf war, den Strauß zu fangen. Und es gelang ihr tatsächlich. Und nur böse Zungen behaupteten hinterher, sie hätte die kleine Annabelle zur Seite geschubst. Das Mädchen war ganz einfach über seine eigenen Füße gestolpert. Auf jeden Fall hielt Magda höchst zufrieden den Strauß in der Hand. Jetzt fehlte ja nur noch der Ehemann. Mit diesem letzten Bild im Kopf verließen Francesco und ich unsere Gäste, die noch viele Stunden weiter feierten.

    Kapitel 52: Der große Tag



    Die Feiertage vergingen und das neue Jahr begann. Und ehe ich es mich versah war der Januar bereits zur Hälfte vorbei und der Tag meiner Hochzeit stand bevor. Bereits am frühen Morgen wurde ich von der Limousine abgeholt und auf Schloss Hardsten gebracht. Eine Stylistin wurde beauftragt, meine wilde Mähne zu zähmen und mein Make-up für den Tag perfekt zu machen. Eine Schneiderin half mir anschließend in mein Hochzeitskleid und nahm letzte Änderungen vor, damit es sich perfekt um meinen Babybauch legte. Und dann stand ich vor dem Spiegel und konnte es selbst nicht fassen, wie wunderschön ich aussah. Aus dem hässlichen, dicken Entlein war tatsächlich ein anmutiger Schwan geworden.



    Alexis betrat das Ankleidezimmer und musterte mich anerkennend. „Du siehst wunderschön aus, Klaudia. Jedes Mädchen in ganz Simskelad wird dich heute beneiden.“ Damit hatte Francescos Schwester sicherlich Recht. Doch ich bezweifelte stark, dass sie mich immer noch beneiden würden, wenn sie wüssten, dass es doch nur schöner Schein war. Francesco liebte mich nicht…und ich ihn auch nicht. Alexis bat mich, am Frisiertisch Platz zu nehmen. Als ich saß, überprüfte sie den festen Halt der Blumen in meinem Haar. Und dann bat sie mich, die Augen zu schließen und sie erst wieder zu öffnen, wenn sie mich dazu aufforderte.



    Ich kam ihrer Bitte nach und hörte, wie sie sich einige Schritte entfernte und eine Truhe öffnete. Dann kam sie wieder zurück und befestigte etwas in meinem Haar. „So, jetzt darfst du die Augen wieder öffnen“, verkündete sie schließlich. Ich tat es. Und der Anblick, der sich mir im Spiegel bot verschlug mir die Sprache. Ein Diadem! Ich drehte behutsam meinen Kopf und sah zu, wie das Licht der Lampen sich in den Steinchen zu unzähligen Regenbogen brach. „Sind das…sind das etwa echte Diamanten?“, fragte ich atemlos. Alexis nickte lachend. „Das Diadem ist schon seit vielen Jahren im Besitz unserer Familie. Meine Mutter hat es bei ihrer Hochzeit getragen und davor schon ihre Mutter. Du wirst heute zur Lady von Rodaklippa, Klaudia, und damit steht es von nun auch dir zu, ein solches Diadem zu tragen.“



    Damit war ich bereit. Francesco, Alexis und Lady Eleonore fuhren bereits vor, während ich wenig später mit einer eigenen Limousine zur erst vor wenigen Jahren errichteten Kathedrale gefahren wurde. Am Straßenrand entdeckte ich die Sicherheitskräfte, die die Schaulustigen, aber auch die Paparazzi zurückhielten. Ich fröstelte leicht, als ich aus dem Wagen stieg, und das lag nur zum Teil an den frostigen Januartemperaturen. Aber ich fand augenblicklich Trost in dem Anblick meines Papas, der mich bereits erwartet hatte. „Du siehst wunderschön aus, Spätzchen“, stellte er mit stolzgeschwellter Brust fest.



    Ich errötete bei seinem Kompliment. Dann reichte ich ihm meine Hand, damit wir gemeinsam die Kathedrale betreten konnten. Doch überraschend hielt Papa mich zurück. „Spätzchen, dir ist doch klar, dass du das nicht zu tun brauchst.“ Ich sah ihn verwundert an. Wusste er etwa, dass ich Francesco nicht aus Liebe heiratete? Der besorgte Blick in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass Mama ihn eingeweiht haben musste. „Nur weil du ein Kind von diesem Mann erwartest, musst du noch lange nicht seine Frau werden. Ich habe Ingrid, die leibliche Mutter deines Bruders Sky auch geheiratet, weil ich es damals für meine Pflicht hielt. Aber es hat weder mir noch ihr und schon gar nicht deinem kleinen Bruder Gutes gebracht. Und auch mit deiner Tante werden wir fertig. Lass nicht zu, dass jemand anderes dein Leben bestimmt.“



    Es war unbeschreiblich schön zu hören, dass mein Vater mich unterstützen würde, wie immer ich mich auch entschieden sollte. Aber ich war inzwischen schon zu weit gegangen, um noch einmal umkehren zu können. Und ich hatte viel Zeit gehabt, um nachzudenken. „Papa, ich werde Francesco heute heiraten. Ich habe mir das sehr gut überlegt. Ich glaube einfach, dass ich mit ihm und unserem Kind glücklich werden kann. Ich muss es zumindest versuchen. Alles andere würde ich mir ein Leben lang vorwerfen.“ Diese Antwort schien meinen Vater zufrieden zu stelle. Ich hakte mich bei ihm ein und Seite an Seite betraten wir das Gotteshaus.
    Leona Lewis - Ave Maria



    In der Vorhalle der Kathedrale wartete Alexis bereits auf mich. Sie befestigte einen langen Schleier an meiner Frisur und überreichte mir einen Blumenstrauß aus rosaroten Rosen. Nachdem sie sich versichert hatte, dass mein Kleid gut saß, betrat sie eilig das Längsschiff und nahm ihren Platz auf der Seite links des Altars ein. Dann ertönte die imposante Orgel. Ich atmete tief durch, hakte mich bei Papa unter und gemeinsam schritten wir durch das Portal. Ich spürte wie alle Blicke auf mich gerichtet waren. Meine Wangen glühten vor Nervosität und meine Knie fühlten sich an wie aus Gummi. Aber ich nahm all meine Selbstbeherrschung zusammen und schritt entschlossen auf den Altar zu.



    Relativ weit hinten sitzend entdeckte ich meine ältere Schwester Kinga und ihren Mann Olek. Sie waren also tatsächlich gekommen. Diese Erkenntnis zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Und ich freute mich nicht nur für mich, sondern auch für meine Eltern. Für Mama, aber auch ganz besonders für Papa, der Kinga nun zum ersten Mal seit vielen Jahren wiedersehen würde. Mein Einmarsch wurde nicht nur von der Orgel, sondern auch gesanglich von Magda begleitet. Am liebsten hätte ich meine Cousine als meine Trauzeugin gesehen. Doch Lady Eleonore machte mir entschieden deutlich, dass Magda aufgrund ihres Rufes in der Stadt für diese Rolle gänzlich ungeeignet wäre. Doch es gelang mir immerhin, sie als Sängerin an meiner Seite zu haben. Und Magda war sehr zufrieden damit, dass sie ihre Stimme einem so großen und bedeutenden Publikum präsentieren durfte.



    Begleitet von ihrem Ave Maria schritt ich auf den Altar zu. Ich wusste, dass ich damit mit jedem Schritt unausweichlich einer Ehe mit einem Mann näher kam, den ich nicht aus Liebe heiraten wollte. Und all meine Denkweisen und Erfahrungen sagten mir, dass das nicht richtig war. Aber ein Blick in die erwartungsvollen Gesichter meiner Familie ließ mich in meinem Entschluss nicht wanken. Mama sah aus, als ob sie sich wirklich für mich freuen würde. Es war keine überschwängliche Freude, die sie zur Schau stellte, aber ihr Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass sie sich mit meinem Entschluss zu heiraten inzwischen angefreundet hatte. Ich vermutete, dass meine Schwangerschaft maßgeblich dazu beigetragen hatte. Jamie schien der Glücklichste von allen zu sein, vermutlich weil er nicht ahnte, wie es zu dieser Ehe gekommen war. Aber das zeigt mir doch, dass ich für Außenstehende offensichtlich eine hervorragende Wahl getroffen hatte und das ließ mich hoffen, dass ich keinen zu großen Fehler beging. Auch Tante Joanna, Onkel Tobias und mein Cousin Jakób, der jüngere Bruder von Magda, saßen dort. Und sogar Onkel Orion, der jünger Bruder meiner Mutter, und seine Frau, Tante Desdemona, hatten es nach Rodaklippa geschafft. Dies war keine Selbstverständlichkeit, den selbst zehn Jahre nach Kriegsende war es schwierig eine Ausreisegenehmigung aus der früheren Sierra Simlone, der heutigen Sierra Simnistria, zu erhalten.



    Von den Mitgliedern meiner Familie schweifte mein Blick hinüber zum Altar. Und dort stand er, Francesco, der Vater meines ungeborenen Kindes und mein zukünftiger Ehemann. In seinem schwarzen Smoking sah er noch besser aus als sonst. Was auch immer ich von Francesco halten sollte, man konnte meiner Tante nicht vorwerfen, dass sie mir einen unansehnlichen Mann ausgesucht hätte. Natürlich war Aussehen nicht das Wichtigste, aber ich hatte am eigenen Leib erlebt, dass ein schönes Äußeres einige Dinge vereinfachte. Und ich mochte sein Aussehen, ich mochte es wirklich sehr. Vielleicht liebte ich es sogar. Und wenn ich erst sein Aussehen liebte, dann würde ich vielleicht auch ihn bald lieben. Und wenn ich ihn erst liebte, dass musste auch er anfangen mich zu lieben. Anders konnte es gar nicht sein.



    Gleich hinter Francesco stand mein kleiner Bruder Sky, der mein Trauzeuge sein würde. Er lächelte mir breit zu, als ich mich nährte. Und das gab mir die Gewissheit, dass alles gut werden würde. Auch Francesco lächelte…nun ja, soweit man bei ihm jemals von einem Lächeln sprechen konnte. Als Papa und ich fast bei ihm waren, streckte er seine Hand aus, um meine in Empfang zu nehmen. Papa streichelte zärtlich über meinen Handrücken und legte dann meine Hand in die von Francesco. „Lass mir niemals zu Ohren kommen, dass mein kleines Mädchen unglücklich ist“, sprach mein Vater eine deutliche Warnung aus. Doch Francesco blieb davon unbeeindruckt. „Sie wird immer gut versorgt sein“, erwiderte er gelassen. Das war nicht die Antwort, die Papa zu hören gehofft hatte. Aber er beließ es dabei. Was blieb ihm auch anderes übrig? „Ich hoffe, du wirst sehr glücklich, mein Spätzchen“, sagte er daher an mich gewandt, hauchte einen Kuss auf meine Wange und nahm auf einer Bank neben meiner Mutter Platz.



    Hinter dem Altar stand der Bischof von Rodaklippa, gekleidet in ein grünes Prachtgewand und mit der Mitra auf dem Kopf. Ich hatte schon einige Weihnachts- und Ostermessen mit ihm gefeiert und er hatte immer einen sympathischen Eindruck auf mich gemacht. Es hielt eine überzeugende Predigt und führte gekonnt durch die Liturgie. Schließlich wurden Francesco und ich dazu aufgefordert uns vor dem Altar niederzuknien und empfingen den Segen des Bischofs.



    Ein kleiner Junge, der Sohn von Lord und Lady Sanftmuth von Lugenlund, brachte die Ringe herbei, die nun ebenfalls vom Bischof gesegnet wurden. Der Baron von Simskelad hatte sich herzlich für unsere Einladung bedankt, sah sich aber außer Stande zu kommen. Dafür waren aber neben den Sanftmuths noch die Lords und Ladys Forstwacht von Djupenskog und Lachsigton von Mörksjön, zwei weiterer benachbarter Lordschaften Rodaklippas der Einladung gefolgt. Sie alle saßen auf der linken Seite der Kathedrale bei Francescos Mutter. Und dann war der Moment gekommen. Aus verständlichen Gründen hatten wir beschlossen, auch eigene Gelübde zu verzichten. Das war eine der wenigen Entscheidungen, bei der ich Lady Eleonore aus vollem Herzen hatte zustimmen können. Daher stellte der Bischof die alt hergebrachten Fragen.



    „Klaudia Virginia Blech, willst du den hier anwesenden Wilhelm Francesco Hartfels zu deinem Mann nehmen, ihn lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet, so antworte ‚Ich will‘“. Meine Stimme bebte. Immerhin musste ich vor Gott versprechen, diesen Mann mein Leben lang zu lieben. In diesem Moment kam ich mir wie niemals zuvor wie eine Heuchlerin vor. Aber ich sagte dennoch „Ich will“ und Francesco streifte mir meinen Ehering über.



    „Und willst du, Wilhelm Francesco Hartfels“, setzte der Bischof nach einer kurzen Pause fort, „die hier anwesende Klaudia Virginia Blech zu deiner Frau nehmen, sie lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet so antworte ebenfalls mit ‚Ich will‘“. „Ich will“, antwortete Francesco im Gegensatz zu mir mit fester Stimme. Mit zittriger Hand nahm ich seinen Ring von dem Kissen, welches der kleine Junge bereit hielt, und steckte ihn Francesco an den Finger.



    Der Bischof war zufrieden mit dem Verlauf der Zeremonie. Im Hintergrund ertönte bereits die Orgel als er sprach: „Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, den ihr soeben geschlossen haben. Was Gott zusammengeführt hat, darf der Mensch nicht trennen. Ihr dürft euch nun küssen.“ Francesco legte seine Arme um mich und zog mich zu sich heran. Und als seine Lippen die meinen berührten, passierte etwas mit mir. Dieser Kuss war so anders als all die, die wir zuvor ausgetauscht hatten. Ich wusste nicht, ob der liebe Gott seine Hände im Spiel hatte, aber ich spürte ein herrliches Kribbeln im ganzen Körper. War das etwa…könnte es sein? Könnte es sein, dass ich wirklich begann Francesco zu lieben?

    Kapitel 51: Hochzeitsvorbereitungen



    Wieder Zuhause angekommen wurde es höchste Zeit, sich mit den Hochzeitsvorbereitungen zu beschäftigen. Dazu traf ich mich mit meiner zukünftigen Schwiegermutter Lady Eleonore und Francescos Schwester Alexis auf Schloss Hardsten. „Ich habe mir überlegt, dass die Trauung in der kleinen Kapelle oben auf den Klippen stattfinden könnte“, begann ich zu erzählen, als ich nach meinen Vorstellungen gefragt wurde. „Von dort oben hat man so eine schöne Aussicht aufs Meer. Und ihr beiden und meine Familie würden dort sicherlich Platz finden. Und die Feier könnten wir dann hier auf Hardsten ausrichten. Hier ist ja mehr als genug Platz.“



    „Aber Klaudia, Kind, was redest du denn da für einen Unsinn. Eine fürstliche Hochzeit in einer winzigen Kapelle!“, empörte sich Lady Eleonore. „Nein, der Lord von Rodaklippa wird natürlich in der Kathedrale getraut. Ich habe bereits mit dem Bischof gesprochen und er ist hoch erfreut. Und in der Kathedrale wird auch genug Platz für alle Gäste sein. Wir werden natürlich eine Einladung zum Herzog nach Simnorsk schicken. Und dass die Lords und Ladys der benachbarten Lordschaften eingeladen werden, ist bereits beschlossene Sache.“



    „Und die Hochzeitsfeier wird auf Schloss Utökad abgehalten, wie es seit Generationen üblich in unserer Familie ist“, stimmt Alexis mit ein. „Ach, Klaudia, du wirst eine wunderschöne Braut sein, in deinem weißen Atlaskleid und dem Schleier aus französischer Chantilly-Spitze. Ich kann es kaum erwarten, dich den Mittelgang der Kathedrale entlangschreiten zu sehen.“ Ich erkannte entsetzt, dass ich bei meiner eigenen Hochzeit kein Mitspracherecht haben würde. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein zu glauben, dass ich tatsächlich mitentscheiden durfte? Lady Eleonore und Alexis hatten bereits alles bis ins Detail geplant. Ich sollte dankbar dafür sein, dass sie mich wenigstens im Voraus über ihre Pläne in Kenntnis setzten.



    Wie wenig ihnen an meiner Meinung gelegen war wurde deutlich, als ich nur zu bereitwillig die Erlaubnis erhielt mich für eine Weile in den Garten zurückziehen zu dürfen. Auf diese Weise konnten Lady Eleonore und Alexis in Ruhe die Hochzeit planen. Die frische Abendluft tat mir gut. Zwar litt ich nicht mehr länger unter Morgenübelkeit, aber dafür spielte mein Kreislauf manchmal etwas verrückt. Ich atmete gerade tief durch, als mich der Klang einer vertrauten Stimme zusammenzucken ließ.



    „Na, hast du genug von dem Gerede von Mutter und meiner Schwester?“ Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich Francesco gar nicht auf der Steinbank unter der Eiche bemerkt hatte. „Die beiden können sehr anstrengend werden, wenn sie sich erst einmal für ein Thema begeistern. Und dann wird es schwierig, gegen sie anzukommen. Ich hab es mir daher angewöhnt, gleich das Feld zu räumen. Das spart Zeit und Nerven.“



    Ich musste bei seinen Worten lächeln. Aber glücklich machte es mich nicht, kein Mitspracherecht bei meiner eigenen Hochzeit zu haben. Und leider sah es nicht danach aus, als ob ich in dieser Hinsicht Unterstützung von Francesco erwarten konnte. Das führte wiederum dazu, dass ich erneut die gesamte Hochzeit in Frage stellte. Meine Unsicherheit war so groß, dass ich sie zum ersten Mal auch Francesco gegenüber zur Sprache brachte. „Bist du dir sicher, dass wir das richtige tun? Ich meine…warum willst du überhaupt mich heiraten? Du könntest doch vermutlich jede haben. Warum also ausgerechnet ich?“



    Francesco blickte mich ernst an und ließ sich einen Moment Zeit für seine Antwort. „Der Hauptgrund, Klaudia, ist, dass meine Mutter unsere Hochzeit für eine gute Idee hält. Sie hat dich für mich als passende Frau ausgesucht und ich vertraue ihrem Urteil in dieser Hinsicht blind. Sie war immer um mein Wohl, aber insbesondere das Wohl unserer Familie bedacht. Und wenn Mutter sagt, du bist die richtige Frau, um Lady von Rodaklippa und Mutter des nächsten Erben zu sein, dann stelle ich das nicht in Frage.“



    „Und die letztere Aufgabe hast du ja bereits glänzend erfüllt…oder zumindest fast.“ Seine Mine wurde deutlich freundlicher bei diesen Worten. „Du erwartest mein Kind. In diesem Fall bleibt uns gar keine andere Wahl, als die Ehe einzugehen. Und ich hätte es weitaus schlimmer treffen können. Optisch gibt es an dir wenig zu bemängeln, Klaudia, und im Gegensatz zu vielen anderen Frauen denke ich nicht unentwegt, dass ich meine Zeit auch sinnvoller hätte nutzen können, als sie in deiner Gegenwart zu verbringen.“ Sollte das ein Kompliment gewesen sein? Ich war mir nicht sicher, ob ich versuchte einfach, es als solches aufzunehmen. Immerhin wusste ich jetzt genau, dass Francesco nicht an unserer Entschluss zu heiraten zweifelte. Und das gab mir Mut, es auch nicht zu tun.


    *****



    Einige Wochen später bat mich Magda, mich etwas aufzubrezeln. Das war leichter gesagt als getan, dann bedingt durch die Schwangerschaft passten mir meine normalen Klamotten nicht mehr so richtig. Aber schließlich grub ich doch noch etwas aus dem Schrank, was bei Magda Anklang fand und in das ich dennoch hinein passte. Dann verdeckte sie mir die Augen und führte mich ins Wohnzimmer. Der Sinn des Ganzen wurde mir offenbart, als sie die Hände von meinen Augen nahm und eine Horde von Frauen wild „Überraschung!“ schrie. „Ein Junggesellinnenabschied?“, fragte ich überwältigt und Magda nickte eifrig.



    Magda hatte Mama, Tante Joanna, Alexis und meine Galeristin Melinda zu diesem Anlass eingeladen. Eigentlich hatte sie geplant, mit mir und den anderen Frauen die Innenstadt von Rodaklippa unsicher zu machen. Aber Alexis hatte darauf hingewiesen, dass sich so ein Benehmen für die zukünftige Lady nicht gehörte. Und Magda musste schließlich nachgeben und sich mit einer intimen Privatparty begnügen, die auch noch möglichst weit vor dem eigentlichen Hochzeitstermin datiert war, damit die Presse gar nicht erst auf die Idee kam, dass sich etwas ereignen könnte. In diesem Fall war ich sehr froh über das Eingreifen meiner baldigen Schwägerin, denn ich hätte mir nichts schlimmeres Vorstellen können, als verkleidet und umringt von einer Horde betrunkener Frauen von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und fremde Leute anzusprechen, die mir etwas abkaufen oder Spielchen mit mir spielen sollten. Stattdessen konnte ich mich in ruhiger Atmosphäre mit den Menschen unterhalten, die mir wichtig waren und ihren Lobreden auf meine baldige Heirat lauschen.



    Aber es wurde nicht nur geredet. Ich weiß gar nicht wer damit begonnen hatte, aber plötzlich liefen alle mit Kissen bewaffnet umher und schlugen aufeinander ein, dass die Federn nur so umherflogen. Ich bekam vor lauter Lachen beinah keine Luft mehr. Und das die ein oder andere Feder im Salat landete, war uns in der Situation auch egal.



    Magda nutzte die Gelegenheit, um Alexis besser kennenzulernen und ich hatte endlich mal Zeit mich ganz in Ruhe mit Melinda zu unterhalten. In der Galerie kamen wir neben dem geschäftlichen Teil kaum dazu, uns auch privat zu unterhalten. Die Schwangerschaft und die baldige Hochzeit führten zusätzlich dazu, dass ich kaum noch malte und sie so noch weniger sah. So hatte Melinda mir noch gar nicht richtig gratuliert und bestaunte nun meinen Babybauch.



    Und Mama und Tante Joanna drehten die Musik auf und legten eine flotte Sohle aufs Parkett. Die beiden lieferten sich ein regelrechtes Tanz-Battle. Man konnte sehr gut erkennen, dass sie in ihren Jugendjahren viel Zeit in Clubs und Discos verbracht haben mussten und verlernt hatten sie davon nichts. Als ich die beiden so tanzen sah, kam mir der entsetzliche Gedanke, dass Magda einen Stripper engagiert haben könnte. Doch zum Glück kannte meine Cousine mich inzwischen gut genug um zu wissen, dass ich keinen Spaß dabei gehabt hätte, mir einen halb nackten, fremden Mann anzusehen und womöglich noch mit ihm tanzen zu müssen. Nein, da sah ich doch lieber meiner Mama beim Tanzen zu.



    Alkohol war in meiner Situation ein absolutes Tabu. Das hielt aber meine übrigen Gäste nicht davon ab, das ein oder andere Gläschen Sekt zu trinken. Das führte dazu, dass sie noch ausgelassener Tanzen und Feiern wollten. Und irgendwann schnappte sich Magda sogar die Sektflasche, schüttelte sie kräftig, ließ den Korken knallen und richtete dann die Sektfontäne direkt auf ihre Mutter. Im ersten Augenblick dachte ich noch, Tante Joanna würde furchtbar böse werden, doch sie lachte nur und forderte Magda sogar auf, den Strahl direkt in ihren Mund zu richten. So ging die Party noch viele Stunden weiter und erst sehr, sehr spät kam ich in meinem Bett zur Ruhe.


    *****



    Da mir Lady Eleonore und Alexis ohnehin alle Entscheidungen bezüglich der Hochzeit abnahmen und ich weder die Lust noch die Kraft hatte mich gegen die beiden aufzulehnen, konnte ich ganz in Ruhe die Adventszeit genießen. Alle paar Tage erhielt ich ein Update von den beiden, welches ich abnicken durfte um wenigstens den Schein eines Mitspracherechts zu wahren. Heiligabend und die Festtage verbrachte ich abwechselnd bei meinen Eltern und bei Francescos Familie auf Schloss Hardsten. Aber es blieb mir auch noch genug Zeit um vermutlich zum letzten Mal mit Jamie und Magda zu feiern.



    Die Bescherung hielten wir bereits am frühen Nachmittag des Heiligen Abends ab. Beide erhielten von mir eine Kleinigkeit, die aber von Herzen kam. Für meine Cousine hatte ich ein schönes Parfüm besorgt, um ihr noch einmal dafür zu danken, dass sie mir so dabei geholfen hatte abzunehmen und mein Styling zu verändern. Und Jamie erhielt eine signierte Ausgabe eines Romans seines Lieblingsautors. Aber das eigentliche Geschenk hatten die beiden schon einige Tage zuvor erhalten. Wir waren beim Notar und Magda und Jamie wurden offiziell als Eigentümer des Hauses eingetragen, sodass sie auch nach meinem Auszug unbesorgt hier wohnen bleiben konnten.

    Kapitel 50: Zweite Chance



    Obwohl Kinga sie immer noch Mutter nannte, war die Kälte aus dem Wort verschwunden. Die Erleichterung auf Seiten meiner Mutter war fast greifbar. Und sie folgte nur zu gerne der Einladung, ins Haus zu kommen. Denn hier erwartete sie ihr kleiner Enkel, den sie bislang noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Die Freude über dieses Kennenlernen war auf beiden Seiten nicht zu übersehen.



    Doch ich ahnte, dass Mama noch viel mit Kinga zu besprechen hatte. Also nahm ich ihr David ab und gab den beiden die Gelegenheit, sich ungestört zu unterhalten. Ich ging mit meinem Neffen in sein Zimmer und der nahm mich gleich bei der Hand um mich zu seinem Steckkasten zu führen. Es war wundervoll ihm dabei zuzusehen, wie begeistert er die Bauklötze in die dafür vorgesehen Öffnungen steckte. Und wenn es mal nicht ganz so gut klappte, half ich ihm. In diesem Moment konnte ich es kaum abwarten, mit meinem eignen Kind genauso da zu sitzen.



    Das Gespräch zwischen Kinga und Mama verlief nicht einfach. Über die Jahre hatten sich die Probleme aufgetürmt und beiden war klar, dass man nicht einfach so tun konnte, als ob nie etwas vorgefallen wäre. Dafür war zu viel böses Blut geflossen. Man konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Und beide erkannte, dass sie jetzt über alles sprechen musste, sonst würde sich dieses Gelegenheitsfenster schließen und möglicherweise nie wieder öffnen. „Warum musstest du mich anlügen, Mutter?“ Das war die Frage, die Kinga am meisten auf der Seele brannte. Doch es gab keine einfache Antwort darauf. „Kinga, Schatz, ich habe oft darüber nachgedacht. Möglicherweise hätte ich anders handeln können. Ich hätte Albert sagen können, dass ich schwanger von ihm war, mit allen Konsequenzen, die das mit sich gebracht hätte. Aber so oft ich darüber nachdenke, ich komme immer wieder zu dem Schluss, dass es richtig war, ihm nichts zu sagen. Damit habe ich ihn geschützt, seine Familie, aber auch mich und dich. Glaubst du es wäre in einer Kleinstadt wie Sierra Simlone Stadt, wo jeder jeden kennt, einfach für dich geworden als Tochter einer Ehebrecherin? Ich wollte dir das ersparen.“



    „Und Schatz, habe ich dir mit Dominik nicht einen guten Ersatzvater gesucht? Er hat dich geliebt und er tut es immer noch. Ganz egal, ob du nun sein leibliches Kind bist, oder nicht. Ich hoffe inständig, dass du auch ihn wirst wieder lieben können. Auf die Gene kommt es doch nicht an. Nein, so zu tun, als ob Dominik dein Vater sei, war die beste Entscheidung gewesen. Und wäre es nach mir gegangen, ihr beiden hättet niemals erfahren müssen, dass ihr nicht Vater und Tochter seid. Ich hätte dieses Geheimnis mit mir ins Grab genommen und ihr beide wärt glücklich gewesen, so wie ihr es wart, bevor alles ans Licht kam. Ich kann verstehen, dass du das anders siehst, Schatz. Ich kann verstehen, dass du dich von mir um zwei Väter betrogen fühlst. Um den einen, den du nie kennenlernen durftest, und um den anderen, den ich dir entrissen habe. Aber ich kann nur beteuern, dass es niemals in meiner Absicht lag, dich zu verletzen. Aber könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde alles wieder genauso machen.“



    Meine Schwester blickte unsere Mutter eindringlich an. Zum ersten Mal in ihrem Leben erlaubte sie es sich, die ganze Geschichte durch die Augen meiner Mutter zu betrachten. Oh ja, sie hielt Mamas Entscheidung immer noch für falsch und die über Jahre angeeignete Wut und der Zorn ließen sich nur schwer zurückdrängen. Aber plötzlich verstand Kinga, warum unsere Mutter glaubte so handeln zu müssen, wie sie es tat. Und dieses Verständnis machte es ihr einfacher, zwar nicht zu vergessen, aber doch zu vergeben.



    Ja, die Entscheidung meinen Vater auch als Kingas Vater auszugeben, hielt meine Mutter für absolut richtig. Aber mit einem anderen Entschluss hatte sie schon seit Jahren schwer zu kämpfen. Und auch das musste jetzt geklärt werden. „Kinga, Schatz, war es die richtige Entscheidung von mir, dich damals in die Obhut meiner Schwester zu geben? Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht vorwerfe, dass ich mich nicht genug angestrengt habe, dir aus eigener Kraft zu helfen. Vielleicht…vielleicht hätten wir eine Therapie versuchen sollen. Vielleicht hättest du nur mehr Zeit gebraucht, um…“



    Kinga unterbrach sie. „Nein Mutter, das hätte nichts gebracht. Dafür steckte ich schon viel zu tief im Sumpf aus Hass, Alkohol und Drogen. Wie oft habe ich dich dafür verflucht, dass du mich zu Tante Joanna geschickt hast. Aber wenn ich heute daran denke, was aus mir ohne diese Entscheidung geworden wäre, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich war am Ende, Mutter. Aber dein Mut mich gehen zu lassen, hat mich gerettet. Es war hart, aber dadurch habe ich in Justice einen neuen Lebensinhalt gefunden.“ Die Erwähnung von Justice, der Mafia-ähnlichen Organisation der Tante Joanna vorstand, von der ich aber nichts wusste, löste in Mama nicht den Schrecken aus, den sie selbst erwartet hatte. Tief im Inneren hatte sie immer geahnt, dass ihre Zwillingsschwester einen Preis für ihre Hilfe einfordern würde. Doch solange dieser Preis gut für Kinga war, und danach sah es aus, war sie gerne bereit ihn zu bezahlen. „Mutter, ich werfe dir vieles vor, aber in diesem Fall hast du richtig entschieden.“


    *****



    Wir blieben noch bis zum späten Abend bei Kinga und Mama erhielt auch noch die Gelegenheit, Kingas Ehemann Olek kennenzulernen. Ich hatte meine Mutter selten so zufrieden erlebt, wie bei unserer Rückfahrt mit dem Taxi zur Pension. Umgehend rief sie Papa an, um ihm zu berichten, was sich ereignet hatte. Während ich auf einer Gitarre spielte, die ich im Aufenthaltsraum gefunden hatte, lauschte ich, wie sie ein ums andere Mal zwischen herzlichem Lachen und Freudentränen wechselte.



    Zum Schluss drückte sie mir den Telefonhörer in die Hand. „Spätzchen“, hörte ich meinen Vater mit zittriger Stimme sagen, „ich bin dir so dankbar, dass du das für Mama gemacht hast.“ „Nicht nur für Mama“, entgegnete ich sogleich. „Ich hab das auch für dich gemacht. Ich weiß doch, wie sehr du Kinga lieb hast.“ Ich hörte ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung. Dann räusperte sich mein Vater. „Verdammtes Regenwetter. Da hab ich mich doch glatt erkältet“, versuchte er sich herauszureden, aber ich wusste genau, wie gerührt er war. Endlich, nach so vielen Jahren, kehrte wieder Frieden in unsere Familie ein.



    Natürlich trafen wir uns auch am nächsten Tag mit Kinga. Diesmal kam sie zu uns in die Pension. Und auch sie bedankte sich bei mir dafür, dass ich sie dazu gezwungen hatte, mit Mama zu reden. Und sie entschuldigte sich für die harschen Worte, die sie mir am Vortag an den Kopf geworfen hatte.



    Natürlich verzieh ich ihr. Um ehrlich zu sein, hatte ich unsere Auseinandersetzung bereits völlig vergessen. Und jetzt konnte ich mit ihr auch die Freude über meine Schwangerschaft teilen. Und ich erzählte ihr von Francesco. Nicht die geschönte Story, die ich sonst berichtete, sondern die Wahrheit, wie sie auch Mama und Tante Joanna kannten. „Und du willst diesen Francesco wirklich heiraten?“, fragte sie, als ich geendet hatte. Auch darüber hatte ich hier in Twinbrook noch einmal in Ruhe nachdenken können. Und die Antwort war ja. Ich wollte Francesco heiraten, denn mein Kind gehört einfach zu seinem Vater.



    „Wirst du zu meiner Hochzeit kommen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Kinga sah mich erst überrascht an, aber dann begann sie zu lächeln. „Das werde ich mir doch nicht entgehen lassen. Schließlich habe ich doch nur eine Schwester. Außerdem bin ich auf meinen Schwager gespannt. Ein echter Lord also?“ Ich war überglücklich. Am liebsten hätte ich Kinga noch gefragt, ob sie meine Trauzeugin werden wollte. Aber ich ahnte, dass ich damit den Bogen vielleicht überspannt hätte. Die Wunde begann gerade erst zu verheilen und die Narben konnten jeden Moment wieder aufbrechen, wenn wir nicht vorsichtig waren.

    Kapitel 49: Unbeschreibliche Wut



    Zornig funkelte Kinga unsere Mutter an. Als ich mich ebenfalls zu ihr umdrehte, erschrak ich beinah. Alle Farbe war aus Mamas Gesicht gewichen. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie dort, unfähig sich zu rühren oder etwas zu sagen. 13 lange Jahre hatte sie ihre Tochter nicht zu Gesicht bekommen. Und nun stand sie auf einmal vor ihr.



    Unter anderen Umständen hätte es ein Moment des Glücks werden können. Doch die Reaktion meiner Schwester machte alle Hoffnungen, die ich mir im Vorfeld gemacht hatte, mit einem Schlag zunichte. „Dazu hattest du kein Recht“, feuchte sie mich an und stieß mich unsanft zur Seite. Dann wandte sie sich an Mama. „Verschwinde von hier, Mutter! Ich hab dir gesagt, dass ich dich niemals wieder sehen will! Was ist an diesen Worten nicht zu verstehen gewesen. Hau ab! Verschwinde aus meinem Leben und lass dich nie, nie wieder hier blicken! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!“



    Das war mehr, als unsere Mutter ertragen konnte. Ihre Hände begannen so stark zu zittern, dass sie den Schirm nicht länger halten konnte. Sie hatte diese Worte schon einmal von Kinga zu hören bekommen. Und vor 13 Jahren hatten sie ihr bereits das Herz gebrochen. Man hätte meinen können, dass es beim zweiten Mal leichter wurde. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Sie konnte es nicht ertragen, nicht noch einmal. Schluchzend drehte sie sich um und lief davon.



    Und jetzt platze auch mir der Kragen. „Wusste das wirklich sein, Ki?! Ist es langsam nicht genug?! Herr Gott, wie viele Jahre müssen denn noch vergehen, bis du Mama verzeihen kannst?“ Kinga wollte protestieren, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. „Ja, Mama hat einen Fehler gemacht. Sie hat dich belogen, aber doch nur, weil sie dein Bestes wollte. Kannst du oder willst du das einfach nicht verstehen? Seit Jahren vergeht kein Tag, an dem sie sich nicht deswegen Vorwürfe machen würde. Aber mehr als entschuldigen kann sie sich nicht, Ki! Sie kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Sie kann auch deinen leiblichen Vater nicht wieder lebendig machen. Aber ist es nicht schlimm genug, dass du nie die Chance hattest ihn kennen zu lernen? Musst du deswegen auch Mama von dir weg stoßen? Kinga, werd endlich erwachsen und vergib ihr! Es ist lange genug böses Blut geflossen!“



    Doch meine Schwester ließ sich nicht überzeugen. „Du verstehst das einfach nicht, Klaudia. Sie hat mir weiß gemacht, ein anderer Mann wäre mein Vater. Sie hat zugelassen, dass ich einen Mann liebte, der gar nicht mein Vater war und mit einem Schlag hat sie mir jede Verbindung zu ihm genommen. Wie soll man so etwas verzeihen?“ „Du hast dich selbst von Papa abgewendet“, entgegnete ich entschieden. „Er liebt dich heute noch genauso wie vor 20 Jahren. Nur weil du nicht seine Gene trägst, bist du nicht weniger seine Tochter geworden. Es war deine Entscheidung sich von ihm abzuwenden. Mama hatte damit nichts zu tun, also gib ihr nicht die Schuld dafür.“ Ich merkte, wie die Wut in meiner Schwester nachließ. Aber sie war zum Einlenken immer noch nicht bereit.



    Ich wagte einen letzten Versuch. „Denk an David, deinen Sohn“, flehte ich sie an. „Soll er ohne seine Großeltern aufwachsen? Wie willst du ihm später erklären, dass er sie nie kennenlernen durfte, weil du nicht über deinen Schatten springen konntest? Wirst du damit leben können? Und wirst du auch damit leben können, dass du deinen Neffen oder deine Nichte niemals wirst kennenlernen dürfen?“ Bei diesen Worten strich ich mir über meinem Bauch, dem man die Wölbung langsam ansehen konnte. Erst begriff Kinga nicht, doch dann weiteten sich ihre Augen. „Bist du etwa…“, fragte sie und ich nickte zur Bestätigung. „Du wirst Tante, Ki. Aber ich meine es ganz ernst wenn ich sage, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, wenn du Mama nicht vergeben kannst. Ich will nicht, dass mein Kind Umgang mit einem so verbitterten und hasserfüllten Menschen wie dir hat.“



    Ich wartete gar nicht erst Kingas Reaktion ab sondern drehte mich um und ging hinaus in den Regen. Unweit des Hauses entdeckte ich Mama, die immer noch bitterlich weinte. Ich ging auf sie zu und bot ihr unter meinem Schirm Schutz. „Mami, es tut mir leid, dass ich dich hierher gebracht habe. Ich wollte nur helfen. Ich dachte, wenn du und Kinga, wenn ihr euch erst seht, dann könnt ihr einander vergeben. Jetzt erkenne ich, wie naiv ich war und wie sehr dich das verletzt hat. Komm, Mami, lass uns zurück in die Pension gehen und anschließend sofort nach Rodaklippa zurückkehren. Hier hält uns doch nichts mehr.“



    Wir waren gerade im Begriff zu gehen, als uns Kingas Stimme aufhielt. „Nein, bitte, geht nicht.“ Überrascht blieben Mama und ich stehen. Kinga war uns nachgelaufen, bleib aber in einem Abstand zu uns stehen. „Klaudi, bleib bitte…und Mutter…du auch.“ Es war zu hören, wie viel Überwindung sie die letzten Worte kosteten.



    Zitternd ergriff Mama meine Hand und gemeinsam drehten wir uns um. Kinga kam langsam auf uns zu. Sie konnte sie dennoch nicht überwinden, auch die letzten Meter zu gehen. Betroffen schaute sie zu Boden und zerzauste sich mit der freien Hand das kurze Haar. Mit geschlossenen Augen atmete sie mehrmals tief durch, doch dann begann sie zu sprechen: „Mutter, es…es tut mir leid, was ich dir eben an den Kopf geworfen habe. Ich…ich hasse dich nicht. Es tut einfach nur so weh, dich zu sehen. Ich kann es nicht abstellen und dabei möchte ich es doch. Ich bin es müde, wütend zu sein. Aber ich weiß einfach nicht mehr, wie es sich ohne Wut anfühlt.“



    Ich wusste nicht, ob ich Kinga an Mamas Stelle vergeben hätte. Doch sie musste darüber nicht einmal nachdenken. „Kinga, mein Töchterchen, du musst mir gar nichts erklären. Ich verstehe es doch.“ Dicke Tränen flossen ihre Wangen hinunter. „Ich bin deine Mutter und ich liebe dich bedingungslos. Kein Wort was du sagst, könnte daran jemals etwas ändern.“



    Und plötzlich warf Kinga ihren Schirm beiseite und drückte unsere überwältigte Mutter fest an sich. „Mutti, es tut mir alles so leid“, schluchzte Kinga und zitterte am ganzen Körper. Und auch ich war den Tränen nah. Noch nie hatte ich meine Schwester so erlebt. Sie ließ in diesem Moment alle Mauern fallen. Ohne den Mantel aus Zorn und Provokation war da bloß eine zarte, verletzliche Frau. „Schhhh, Töchterchen, es ist ja alles gut“, redete Mama behutsam auf sie ein und ich bewunderte sie für ihre Stärke. „Dir braucht nichts leid zu tun. Ich war dir niemals, niemals böse.“



    Die beiden verharrten für eine Weile eng umschlungen, bis Kinga sich wieder von Mama löste. Mit dem Daumen wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Der für Kinga so ungewöhnliche emotionale Moment war vorüber, aber der Geist der Vergebung war immer noch zu spüren. „Klaudi, Mutter, kommt doch bitte rein“, bat sie uns. „Hier im Regen holen wir uns ja noch alle den Tod.“

    Kapitel 48: Twinbrook



    Mein Zusammenziehen mit Francesco war beschlossene Sache. Doch der Renovierungsbedarf in der Stadtvilla war größer als zunächst angenommen. Daher beschlossen Francesco und ich, erst nach der Hochzeit umzuziehen. Mir kam dieser Aufschub nicht ungelegen, denn so konnte ich mich länger mental darauf vorbereiten. Und ein weiteres Projekt lenkte mich von zu vielen Grübeleien ab. Ein Projekt, das mich nach Twinbrook führte und das auch die Anwesenheit meiner Mutter erforderte. Gemeinsam traten wir die Reise in die 500 km entfernte Ortschafft mit dem Überlandbus an. Im strömenden Regen trafen wir an unserer Pension ein.



    Twinbrook war schon im Sommer kein besonders beliebter Ferienort, da es in dem sumpfigen Gebiet vor Mücken nur so wimmelte. Doch jetzt im Herbst hatten wir sogar die gesamte Pension für uns allein. Es hatte nicht viel Überzeugungsarbeit gebraucht um Mama dazu zu bewegen, mich zu begleiten. Sie war zwar etwas erstaunt über die Wahl des Reiseziels, aber sie war einfach froh, ein paar gemeinsame Tage mit mir verbringen zu können. Unser Zimmer, so wie die Pension insgesamt, war schon etwas in die Tage gekommen. Aber es war sauber und für uns völlig ausreichend.



    Ich fühlte mich direkt in meine Kindheit zurückversetzt und musste an den gemeinsamen Urlaub in Drei Seen zurückdenken. Damals hatte Papa uns gerade verlassen als herauskam, dass er nicht der Vater meiner älteren Schwester war. Und um mich und auch sich selbst abzulenken, war Mama mit mir in Berge gefahren. Trotz der schlimmen Umstände, die Anlass für den Ausflug waren, wurde es ein wundervoller Urlaub. Und wie in unserer Blockhütte damals hatten wir auch hier in der Pension einen gemütlichen Kamin, an dem wir uns von dem kalten Regenwetter aufwärmen konnten.



    Die Urlaubsstimmung von damals lebte noch einmal richtig auf, als wir am nächsten Tag das Twinbrooker Herbstfest besuchten. Wir ließen uns von dem stetigen Nieselregen nicht abhalten und nahmen sogar an einem Apfelbeißwettbewerb teil. Mama stellte sich nicht gerade geschickt an und ich gewann haushoch.



    Auch einen Besuch im Geisterhaus ließen wir uns nicht nehmen. Man sollte meinen, dass solche Attraktionen nur für Kinder gruselig sind, aber mir lief es kalt den Rücken herunter bei all den unheimlichen Geräuschen und Schreckgestalten im Inneren.


    *****



    So sehr ich die gemeinsame Zeit mit Mama genoss, so war ich doch nicht alleine deswegen nach Twinbrook gekommen. Nein, mein eigentliches Ziel war es meine Schwester Kinga ausfindig zu machen, damit Mama und sie sich endlich aussprechen konnten. Und da unser kurzer Urlaub bald schon vorbei sein würde, begann ich gleich am nächsten Morgen mit meiner Suche. Kinga hatte mir zwar verraten, dass sie nun in Twinbrook lebte, die genaue Adresse blieb sie mir aber schuldig. Sie hatte wohl schon geahnt, dass ich ungebeten in ihrem Leben auftauchen könnte. Ich versuchte also mich in meine Schwester hineinzuversetzen und entschied, dass sie sich wahrscheinlich wie schon zu Teenagerzeiten immer noch gerne in Clubs und Bars aufhielt. Eine Eckkneipe in der Innenstadt erschien mir sehr vielversprechend. Doch im Inneren herrschte gähnende Leere und von Kinga war weit und breit keine Spur. Vielleicht hätte ich meine Suche doch lieber abends beginnen sollen statt morgens um 11 Uhr.



    Lediglich eine Bedienung stand gelangweilt hinter der Bar. Es gab nichts Schlimmeres für mich, als fremde Menschen anzusprechen. Aber ich überwand mich und sprach die Dame direkt an. „Guten Morgen, ich bin auf der Suche nach einer Frau, Kinga Blech…ach, nein, Kinga Mazur heißt sie ja jetzt. Sie muss hier in der Stadt leben und ich hatte gehofft, dass Sie sie möglicherweise kennen könnten.“



    „Meinen Sie etwa unsere Feuerwehrfrau Frau Mazur?“ Ich nickte eifrig. „Ja, die kommt hier abends ab und an vorbei. Seitdem sie Mutter geworden ist, sind die Besuche aber seltener geworden.“ „Kennen Sie zufällig die Adresse von Frau Mazur“, hakte ich nach, erfreut gleich beim ersten Versuch einen Treffer gelandet zu haben. Doch die Bardame kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Warum wollen Sie das denn wissen? Wer sind Sie überhaupt?“



    „Ich bin eine alte Schulfreundin. Anastasia Beaverhausen“, antwortete ich, bevor ich genau darüber nachdenken konnte. Es erschien mir irgendwie sinnvoll nicht zu verraten, dass ich Kingas Schwester und auf der Suche nach ihr war. Ich traute Kinga zu, dass sie sofort untertauchen würde, wenn sie erführe, dass ich in Twinbrook war. „Ich bin geschäftlich in der Stadt und dachte, es wäre nett, meine Freundin bei Gelegenheit zu besuchen. Nur leider habe ich ihre Adresse nicht mehr im Kopf und ihre alte Handynummer scheint auch nicht mehr aktuell.“ Mein unschuldiges Lächeln schien die Bardame besänftigt zu haben. Sie nannte mir Kingas Anschrift, die ich umgehend in der Kontaktliste meines Smartphones abspeicherte.


    *****



    Sim-Maps sei Dank war es nicht schwer herauszufinden, wo sich Kingas Haus befand. Dort hin zu kommen war schon das größere Problem. Wie der Name schon vermuten ließ, befand sich die Sumpfloch-Chaussee…nun ja…eben mitten im Sumpf. Das es unaufhörlich regnete, verschob ich den Besuch auf den nächsten Tag, in der Hoffnung, es würde besseres Wetter geben. Doch auch am nächsten Morgen hingen dunkle Wolken über Twinbrook, die ihre schwere Last über der Stadt entluden. Doch noch länger wollte ich nicht warten, denn ich spürte schon, wie mein Entschluss, Mama und Kinga zusammenzuführen, ins Wanken geriet. Ich überzeugte meine Mutter daher, trotz des Regens eine Wanderung in den Sumpf zu unternehmen. Und nachdem wir uns Gummistiefel für sie bei der Pensionsbesitzerin geliehen hatten, ließ sie sich auch dazu erweichen.



    Trotz des Regens hatte der herbstliche Sumpf etwas sehr Schönes an sich. Hier und da hörte man noch einen Frosch quaken oder sah einen Vogel, der mit aufgeplustertem Gefieder in den immer kahler werdenden Bäumen saß. Geschützt unter unseren Regenschirmen spazierten wir umher. Selbst meine Mutter begann, den Ausflug zu genießen. „Hier ist es ja ohnehin immer nass“, sagt sie erheitert. „Was macht da das bisschen Wasser zusätzlich von oben schon aus?“ Ich konnte ihr nur zustimmen. Es war gut, dass sie in bester Laune war. Das konnte bei der Konfrontation mit meiner Schwester nur hilfreich sein. Und die Ortungsfunktion meines Handys verriet, dass wir Kingas Haus bald erreicht haben würden.



    Als wir um die nächste Ecke bogen, konnte ich es auch schon sehen. Ja, da war es tatsächlich. Ich erkannte die Fassade und die Veranda von den Bildern, die Kinga mir gezeigt hatte. Es war an der Zeit, meinen Plan in die Tat umzusetzen. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott, meine Blase platzt gleich“, begann ich zu jammern. Meine Mutter sah mich skeptisch an. „Kannst du es denn nicht noch etwas aushalten? Zur Not musst du eben in die Büsche gehen. Hier in der Einöde ist doch ohnehin niemand.“ „In die Büsche“, rief ich gespielt entsetzt. „Am Ende spring mich noch ein Frosch an. Nein, aber halten kann ich auch nicht mehr. Oh nein, oh nein. Aber warte, da ist doch ein Haus! Ich werde einfach mal klingeln und fragen, ob ich die Toilette benutzen kann.“ Bevor sie Einspruch erheben konnte marschierte ich eilig auf Kingas Haus zu und Mama folgte mir dicht auf, nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatte.



    „Pummelchen, du weißt doch gar nicht, was hier für Leute wohnen, so mitten im Sumpf“, protestierte meine Mutter. Doch da hatte ich die Klingel schon längst gedrückt. Einen Moment fürchtete ich schon, es könnte niemand daheim sein. Doch dann hörte ich Schritte und die Tür wurde geöffnet. „Hallo Ki“, begrüßte ich verlegen lächeln meine Schwester, die mich perplex anstarrte.



    „Klaudi? Was machst du den hier“, fragte sie erstaunt, aber nicht unerfreut. „Wie hast du meine Adresse herausgefunden? Ich hätte wissen müssen, dass meine kleine Schwester schon Mittel und Wege finden würde um mich aufzuspüren. Das schein uns wohl in den Genen zu liegen.“ Ich wusste zwar nicht, worauf sie damit anspielte, aber viel Zeit zu überlegen blieb mir nicht. Denn plötzlich verfinsterte sich ihr Gesicht. „Nein!“, knurrte sie. „Du hast nicht wirklich SIE hergeführt.“

    Kapitel 47: Frohe Botschaft



    Den Rest des Tages hoffte ich auf eine Nachricht von Gernot. Doch schließlich musste ich einsehen, dass er nicht bereit war, das Kind eines anderen zu akzeptieren. Somit stand für mich fest, dass ich bei Francesco bleiben würde. Und nun konnte ich meinen Eltern auch endlich die frohe Botschaft übermitteln. Ich fuhr hinaus zu ihrem Haus und wartete, bis Mama ihre Arbeit bei den Rindern beendete und sich gemeinsam mit Papa im Wohnzimmer einfand. Anders als bei Lady Eleonore oder Gernot freute ich mich richtig, es ihnen zu sagen, auch wenn ich ein wenig die Reaktion meiner Mama fürchtete. Doch zu meiner großen Erleichterung begann ihren Augen zu strahlen, als sie von dem Kind erfuhr.



    Und auch Papa war hellauf begeistert. Sofort legte er sein Ohr an meinem Bauch um zu horchen, ob sich darin schon etwas tat. „Papa, das Baby ist doch noch viel zu winzig, als dass du es wahrnehmen könntest.“ Doch das war meinem Vater egal. Auch wenn meine Eltern schon eine Enkelkind hatten, David, den Sohn meiner älteren Schwester Kinga, so hatten sie aufgrund des Zerwürfnisses in der Familie keinen Kontakt zu ihm. Mein Kind würde also ihr erster Enkel werden, dessen Aufwachsen sie aus nächster Nähe mitverfolgen und den sie mit ihrer Liebe überschütten konnten.



    Papa musste leider kurz darauf zur Arbeit aufbrechen. Aber das gab mir die Gelegenheit, mich ganz in Ruhe mit meiner Mutter zu unterhalten. Ich begleitete sie nach draußen und wir nahmen auf der Bank Platz. Anders als mein Vater wusste sie sehr genau, dass ich Francesco nicht aus Liebe heiraten wollte. „Spätzchen, jetzt sei ganz ehrlich zu mir, wie geht es dir wirklich?“, fragte sie besorgt. Ich musste einen kurzen Moment überlegen. „Ich freue mich auf das Kind, wirklich. Aber ich weiß nicht, ob ich mit Francesco glücklich werden kann. Ich bin mir überhaupt nicht im Klaren darüber, was ich für ihn empfinde. Es ist ganz sicher keine Liebe. Da gibt es…gab es einen anderen. Aber jetzt wo ich schwanger bin, spielt das alles ohnehin keine Rolle mehr.“



    „Ach, Pummelchen, ich hätte mir so sehr gewünscht, dass du es einmal leichter in Liebesangelegenheiten haben würdest, als ich. Aber wir Brodlowska-Frauen scheinen das Unglück förmlich anzuziehen“, seufzte meine Mutter. Doch dann lächelte sie. „Es ist aber schön zu hören, dass du dich auf das Kind freust. Ich hätte viel darum gegeben, wenn es damals bei meiner Schwangerschaft mit deiner Schwester Kinga ebenso gewesen wäre. Ich erwartete ein Kind von einem Mann den ich abgöttisch liebte, aber für das Kind konnte ich nur Kälte aufbringen, weil es mein und sein Leben so durcheinanderbrachte. Und du, du erwartest ein Kind von einem Mann, der dir fremd ist. Und trotzdem liebst du das Kind jetzt schön. Das Schicksal spielt manchmal seltsame Streiche mit uns.“



    Gebannt lauschte ich den Worten meiner Mutter. Noch nie hatte sie so offen mit mir über ihre Gefühle für Kinga oder zu Kingas leiblichem Vater, Albert Kappe, mit mir gesprochen. „Mami, du hast Papa am Anfang auch nicht geliebt, nicht wahr? Wie hast du es trotzdem ausgehalten, bei ihm zu bleibe? Und warst du immer unglücklich in dieser Zeit?“ Meine Mutter blickte mich zunächst schockiert an und ich hatte Angst, eine Grenze überschritten zu haben. Doch dann wurde mir bewusst, wie schwer es ihr fallen musste zuzugeben, dass sie meinen eigenen Vater nicht geliebt hatte, zumindest für eine sehr, sehr lange Zeit nicht. Keine Mutter gab das gerne zu. „Nein, ich war nicht immer unglücklich. Ich war es oft, das muss ich gestehen, aber nicht immer. Immerhin wohnte der Mann den ich liebte nur wenige Straßen entfernt. Er war so nah und doch so unerreichbar. Und dass ich deiner Schwester nicht die liebevolle Mutter sein konnte, die sie verdiente, bereitete mir auch viele schlaflose Nächte. Aber auch wenn ich deinen Vater nicht immer liebte, so schätzte ich ihn doch sehr als Freund und Vertrauten. Das machte es erträglich für mich. Und ich schöpfte Kraft aus der Überzeugung, das Richtige getan zu haben, als ich behauptete Kinga wäre die Tochter deines Vaters, um Albert und seine Familie zu schützen.“



    „Es war also kein Fehler, bei Papa zu bleiben?“ „Spätzchen, nein, das war es ganz sicher nicht. Immerhin habe ich ihn ihm zum Schluss die große Liebe gefunden. Wäre ich nicht bei deinem Vater geblieben, dann gäbe es heute weder dich noch Sky in meinem Leben. Darauf möchte ich um keinen Preis verzichten. Und Dominik war in der Lage, deiner Schwester die Liebe zukommen zu lassen, die ich ihr nicht geben konnte.“ „Glaubst du denn, dass auch ich eines Tages Francesco lieben werde?“ „Ich wünsche es dir von ganzem Herzen, Spätzchen. Aber setze nicht zu viel Hoffnung in diese Vorstellung. Ich hatte seltenes Glück mit deinem Vater. Liebe ist eine wundervolle Sache, aber man kann auch ohne sie auskommen. Das wird dir so niemand sonst sagen, aber ich weiß es aus eigener Erfahrung. Und auch Freundschaft und Vertrauen kann ein starkes Fundament für eine dauerhafte Beziehung und ein zufriedenes Leben sein. Vergiss das bitte niemals.“


    *****



    Ich wollte diesen wertvollen Rat stets beherzigen. Einige Tage später hatte ich den Termin beim Frauenarzt, um eindeutig zu belegen, dass Francesco der Vater meines Kindes war. Bereits am Tag zuvor war mir Blut entnommen worden um daraus die DNA meines Kindes zu isolieren und sie mit der von Francesco abzugleichen. Und heute würde ich das Ergebnis erfahren. Lady Eleonore hatte den Arzt ausgesucht und sie bestand auch darauf, bei der Verkündung des Ergebnisses anwesend zu sein. Da ich mir keine Sorgen zu machen brauchte, dass Francesco nicht der Vater war, ging ich sehr entspannt an diesen Termin heran. Allerdings stieg mehr und mehr der Ärger darüber auf, dass Lady Eleonore mir so wenig Vertrauen entgegen brachte. Wie nicht anders zu erwarten bestätigte uns der Arzt was ich immer gewusst hatte. Und gemeinsam mit meiner zukünftigen Schwiegermutter konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen.



    Der Gesichtsausdruck von Lady Eleonora als der Arzt das Ergebnis verkündet, ließ keinen eindeutigen Schluss zu, ob sie erfreut über das Resultat war. Aber auf der Straße versicherte sie mir, dass sie mir immer vertraut habe. „Ich habe niemals daran gezweifelt, dass mein Sohn nicht der Vater deines Kindes ist, Klaudia. Aber du musst verstehen, dass ich absolut sicher sein musste. Aber jetzt sind alle Unwägbarkeiten für immer aus dem Weg geräumt. Ich freue mich darauf, dich und meinen Enkel in der Familie willkommen zu heißen. Endlich werden unsere beiden Familien vereint. „Ihre Worte klangen zu schön um wahr zu sein und standen im klaren Gegensatz zu dem kalten Verhalten, welches sie mir noch vor wenigen Minuten entgegengebracht hatte. Dennoch war ich froh zu hören, dass sie mir zumindest offiziell nicht länger grollte.


    *****



    Am nächsten Abend klingelte es an der Haustür. Ich hätte nicht überraschter sein können, als plötzlich Francesco im Jogginganzug und sichtlich verschwitzt vor mir stand. Ich bat ihn herein. „Mutter rief mich gestern in Südamerika an und forderte mich auch, meine Reise zu unterbrechen und nach Rodaklippa zurückzukehren. Du hättest mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Da sie mich ansonsten nie auf meinen Reisen unterbricht, muss es etwas sehr Dringendes sein. Ich bin daher umgehend in die SimNation zurückgeflogen und habe meine abendliche Joggingrunde genutzt, um die Müdigkeit des langen Fluges abzuschütteln und zu dir zu kommen.“ Ich war erstaunt. Lady Eleonora hatte ihm also noch nichts gesagt. Nun gut, dann musste ich es wohl selbst tun, so wie ich es von Anfang an geplant hatte und wie es ihm zustand. „Francesco, ich…also wir, wir erwarten ein Kind. Ich bin schwanger.“



    Ich wartete ängstlich auf seine Reaktion. Aber zu meinem Glück konnte ich keinen Ärger oder Wut in seinem Gesicht ablesen. „Mutter hatte mir schon Angst gemacht. Hätte ich gewusst, dass der Grund für meine Rückkehr eher erfreulich ist, dann hätte ich meine Reise nicht so überstürzt abgebrochen.“ Eher erfreulich? Nun, das hörte sich doch schon ganz positiv an...ein bisschen zumindest. Aber offenbar war es ihm nicht besonders wichtig. „Freust du dich denn?“, hakte ich daher nach. „Es wird meine Mutter und die Lordschafft Rodaklippa freuen, dass für einen Erben gesorgt wurde. Vermutlich wäre es besser, bis nach der Hochzeit damit zu warten, aber ich denke nicht, dass es das Schlechteste ist, was uns passieren konnte.“



    Und wieder: Das was Francesco sagte war nicht direkt negativ. Aber ein wenig mehr Begeisterung hätte ich mir doch gewünscht. Immerhin war es mein und auch sein erstes Kind. Aber dann überraschte er mich doch positiv, als er ernstes Interesse an unserem Nachwuchs zeigte. „Ist mit dem Baby alles in Ordnung?“, fragte er. Ich erklärte ihm, dass man zu dem frühen Zeitpunkt noch nicht viel sagen konnte, aber bislang entwickelte sich das Baby ganz normal. „Darf ich deinen Bauch berühren?“, bat er anschließend, was ich ihm gerne gestattete. Er sagte nichts weiter, als seine Hand über meinen Bauch strich, aber ich bildete mir ein, ein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen.



    Es gab noch eine Menge Dinge zu besprechen. Daher setzte ich mich mit Francesco auf die Couch im Wohnzimmer. Zum Glück waren weder Jamie noch Magda im Haus, so dass wir uns ganz in Ruhe unterhalten konnten. „Meine Mutter wird darauf bestehen, dass wir die Hochzeit vorverlegen. Und auch ich bin der Meinung, dass wir das tun sollten. Es geht einfach nicht an, dass der zukünftige Lord oder die zukünftige Lady von Rodaklippa unehelich geboren wird“, erklärte er. Ich konnte ihm in diesem Punkt zustimmen. Damit stand also fest, dass wir in wenigen Monaten, vermutlich im Januar heiraten würden. Dieser nahe Termin machte mir zunächst ein wenig Angst. Auf der anderen Seite gab er mir aber auch Halt, weil ich nun wusste, dass es kein Zurück mehr gab.



    Und dann gab es noch ein anderes Thema. „Klaudia, jetzt wo die Hochzeit im absehbarer Zeit abgehalten wird und wir ein Kind erwarten, wird es überfällig, dass wir darüber reden, wo wir in Zukunft gemeinsam leben werden.“ Ich musste tief schlucken. Es bedeutete, dass ich Francescos demnächst täglich um mich haben würde und das bereitete mir unweigerlich Angst. Das konnte wohl auch Francesco deutlich spüren, denn er legte behutsam seinen Arm um meine Schulter. „Ich weiß, dass das eine große Umstellung für uns beide sein wird. Und du hängst sicherlich an deinem Haus, aber es ist kein geeigneter Ort für die Lady und den Lord von Rodaklippa, selbst wenn deine beiden Mitbewohner ausziehen sollten.“ „Also muss ich nach Hardsten ziehen“, folgerte ich aus seinen Worten.



    Der Gedanke, dort täglich Lady Eleonore über den Weg zu laufen, die genau wusste, dass ich mit Gernot zusammen gewesen bin, obwohl ich bereits mit Francesco verlobt war, behagte mir überhaupt nicht. Doch Francesco schüttelte den Kopf. „Nein, nicht Hardsten. Wir haben ein zweites Anwesen direkt in der Stadt. Dort werden wir beide ungestört von meiner Mutter und meiner Schwester leben können. Das Haus muss noch renoviert werden, denn es stand jahrelang leer, aber ich hoffe dennoch, dass es dir zusagen wird. „Da bin ich mir ganz sicher“, antwortete ich ehrlich erleichtert darüber, nicht nach Hardsten ziehen zu müssen. Und auf einmal begann ich mich sogar auf das gemeinsame Leben mit Francesco und unserem Kind unter einem Dach zu freuen.

    Kapitel 46: Ahnungsvolles Gefühl



    Eine Beziehung zu Israel, Roman oder Gernot abstreiten? Nein, das konnte ich natürlich nicht. Ich hätte ihr dennoch gerne erklärt, dass ich ganz sicher keine Frau war, die viele Männer in ihrem Leben gehabt hatte. Tatsächlich gab es da nur Israel und Francesco. Und was meine zahlreichen Liebschaften anging, so traf das nur auf das letzte Jahr zu. Davor hatte ich doch noch nicht einmal einen Jungen richtig geküsst. Doch die Worte kamen mir nicht über die Lippe. Stattdessen merkte ich, wie die Übelkeit wieder in mir aufstieg, und zwar so intensiv, dass ich nicht anders konnte als hastig vom Tisch aufzustehen und mich auf direktem Wege ins Badezimmer zu begeben.



    Nachdem ich mich am Waschtisch wieder einigermaßen frisch gemacht hatte, kehrte ich in den Salon zurück. Meine Entrüstung über Lady Eleonores Vorwürfe war verschwunden, denn alles was sie gesagt hatte, entsprach ja der Wahrheit. Vermutlich glaubte sie, dass ich auch mit Gernot und Roman geschlafen hatte, aber ich musste, dass meine Worte alleine sie nicht vom Gegenteil überzeugen würden. „Ich werde einem Vaterschaftstest zustimmen“, hauchte ich daher kraftlos und das lag nur zum Teil daran, dass ich mich gerade erst übergeben hatte. Lady Eleonore wirkte zufrieden. Doch ich war immer noch verunsichert. „Was wird jetzt geschehen? Was werden Sie Francesco erzählen?“



    „Wegen ihrer Liebschaften? Erst einmal gar nichts“, entgegnete Lady Eleonore. „Wir werden das Ergebnis des Vaterschaftstests abwarten. Wenn herauskommt, dass mein Sohn der Vater Ihres Kindes ist, dann werden Sie ihn wie geplant heiraten und wir sind alle zufrieden. Solle das nicht der Fall sein, dann werden wir die Angelegenheit so diskret wie möglich lösen. Es liegt schließlich auch im Interesse des Hauses Hartfels, dass mein Sohn nicht wegen Ihres unbedarften Handelns in die Schlagzeilen gerät. Trotz allem vertraue ich immer noch dem Urteil ihrer Tante, dass Sie eine gute Frau für Francesco sein werden. Es ist schon lange mein Wunsch, unsere beiden Familien zu verbinden. Sie müssen wissen, ich habe damals als junges Mädchen ihre Urgroßmutter Donna Justyna kennengelernt. Nie zuvor war mir eine so brillante und durchsetzungsstarke Frau begegnet. Ich bewundere sie und ihre Leistungen bis zum heutigen Tag und es ist nicht übertrieben, wenn ich sie als mein Vorbild bezeichne. Ihre Urgroßmutter hielt auch große Stücke auf mich. Es gab sogar eine Zeit, in der sie bemüht war, eine Ehe zwischen mir und ihrem Großvater Arkadiusz zu ermöglichen.“



    „Nun, es ist niemals dazu gekommen, und ich heiratete stattdessen Wilhelm Hartfels von Rodaklippa. Dennoch besteht seit diesen Tagen ein enger Kontakt zwischen unseren beiden Familien. Ich hatte gehofft, dass es mit der Verbindung von Francesco und Ihnen endlich zu der Vereinigung kommen würde, die mir selbst verwehrt blieb. Daher liegt es auch in meinem ganz persönlichen Interesse, dass dieser Vaterschaftstest ein positives Ergebnis für uns alle bringt.“ Ich wusste selbst nicht warum, aber diese Worte stimmten mich hoffnungsvoll. Trotz allem, was sie über mich herausgefunden hatte, sogar dass ich ein heimliches Verhältnis zu Gernot hatte, wünschte sie dennoch, dass ich die Frau ihres Sohnes werden sollte. Dafür musste ich einfach Dankbarkeit empfinden. „Vielen Dank, Lady Eleonore, dass Sie mir eine Chance geben, mich zu beweisen. Ich versichere Ihnen, dass der Vaterschaftstest eindeutig belegen wird, dass Francesco der Vater meines Kindes ist. Und ich werde Ihnen keinen weiteren Grund geben, an mir zu zweifeln, dass verspreche ich.“


    *****



    Nach diesem Gespräch war ich einfach nur fertig und zu nicht zu mehr in der Lage, als mich den Rest des Tages unter der Bettdecke in meinem Zimmer zu verkriechen. Francesco würde also bald von seinem Kind erfahren. Aber es gab noch jemanden, der diese Neuigkeit so schnell wie möglich hören musste, denn für ihn würde sie ebenfalls weitreichende Konsequenzen haben. Gleich am nächsten Morgen besuchte ich also Gernot, der mir gestern schon per SMS zu verstehen gegeben hatte, wie sehr er mich vermisste und sich auf ein baldiges Wiedersehen freute. Freudestrahlend kam er auf mich zu, als ich das Haus der Lutzenbachers betrat. Aber das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, als ich auswich, als er mich umarmen wollte. „Nein, Gernot, nicht“, sagte ich mit belegter Stimme. „Wir dürfen das nicht länger tun.“



    Er war verwirrt. „Klaudia, Schatz, was ist denn auf einmal los? Ich dachte, wir hätten alles besprochen. Du wolltest dich von Francesco trennen, sobald er wieder in der SimNation ist.“ Er wollte erneut auf mich zugehen und mich in den Arm nehmen, doch ich hielt ihn abermals auf Abstand. „Gernot, nein. Etwas hat sich verändert, etwas sehr entscheidendes. Ich kann Francesco nicht verlassen. Bitte versteh das.“



    Aber natürlich konnte er das nicht, solange ich ihm den Grund dafür nicht nannte. Es hatte keinen Sinn, lange um den heißen Brei herum zu reden. Es gab keine schonenden Worte, um es ihm begreiflich zu machen. Also sprach ich es einfach aus. „Ich bin schwanger. Ich erwarte ein Kind von Francesco.“ Gernot sah mich an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Er hatte damit gerechnet, dass ich erneut Gewissenbisse bekommen hätte, aber nicht mit einer solchen Neuigkeit. „Schwanger?“, wiederholte er tonlos und die Farbe wich ihm mehr und mehr aus dem Gesicht.



    „Aber, kann man da nichts gegen machen?“, fragte er schließlich nach einer kurzen Pause. „Ich meine, du kannst noch nicht sehr weit sein. Es ist also noch Zeit für eine Abtreibung. Dann wären wir alle Probleme los.“ Ich konnte einfach nicht fassen, dass Gernot das gerade vorgeschlagen hatte. „Gernot, das kann doch nicht dein Ernst sein“, erwiderte ich entrüstet. „Ich kann doch nicht ein unschuldiges kleines Wesen umbringen, nur damit wir uns eine schöne Zeit machen können. Das könnte ich niemals mit meinem Gewissen vereinbaren. Und ich bin schockiert, dass du an diese Möglichkeit überhaupt denken kannst.“ Ich sprach aus tiefster Überzeugung. Bis zu diesem Augenblick war es mir noch nicht einmal in den Sinn gekommen, das Problem auf diese Weise zu lösen. Nein, eines stand ganz fest, ich wollte dieses Kind haben und ihm eine liebende Mutter werden. Das war mir wichtiger als alles andere.



    Meine klaren Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Gernot schaute bekümmert auf den Boden. Es war eindeutig, dass er sich selbst seiner Worte schämte. Und dafür liebte ich ihn. Oh, verdammt, warum musste ich ihn denn so lieben. Gab es nicht doch noch eine Chance für uns beide, nein für uns drei? Ich musste einfach einen Versuch wagen. „Gernot, könntest du dir vorstellen, dieses Kind zu lieben? Könntest du dir vorstellen, es als dein eigenes anzunehmen und es niemals spüren zu lassen, dass du nicht sein Vater bist?“



    Wäre Gernot dazu bereit gewesen, ich hätte mich gegen Francesco, gegen seine Mutter und sogar gegen meine Tante Joanna gestellt. Ich hätte alle Mühen auf mich genommen, um mit ihm und meinem Kind glücklich zu werde. Doch ein Blick in Gernots Augen genügte um zu wissen, dass er es einfach nicht konnte. Und ich machte ihm deswegen keinen Vorwurf. Dies war ein Opfer, das man nicht ohne weiteres erwarten konnte. Und es würde nicht ausreichen, wenn er nur mit halbem Herzen dabei war. Dafür war mir das Wohlergehen meines Kindes einfach zu wichtig.



    Trotzdem wollte ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. „Leider scheint es, als ob das Schicksal uns beide nicht vereint sehen wollte. Aber niemand zwingt uns, auf das Schicksal zu hören. Denk in Ruhe über alles nach, Gernot und entscheide dich dann. Und wenn du zu dem Schluss kommen solltest, dass du, ich und das Kind eine Zukunft haben, dann weißt du, wo du mich findest. Ansonsten danke ich dir für die wunderschöne Zeit, die wir gemeinsam hatten.“ Sanft drückte ich ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Und mit dem ahnungsvollen Gefühl, dass dies unser letzter Kuss gewesen war, verließ ich das Haus.



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    An dieser Stelle möchte ich all meinen Lesern ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr wünschen :hallo:

    Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der voherigen Kapitel)


    Mit 23 musste ich mir eingestehen, dass ich mich mit meinem Mathematikstudium übernommen hatte. Ich fiel auch im zweiten Anlauf durch meine Abschlussprüfung. Und da ich nicht wusste, wohin ich sonst gehen sollte, kehrte ich nach Rodaklippa zurück, die Stadt, in der meine Eltern nach dem verheerenden Krieg, der die SimNation verwüstet hatte, Zuflucht gefunden hatten und in der ich meine Jugend verbracht hatte. Ich schämte mich so sehr über mein eigenes Versagen, dass ich mich zunächst vor meinen Eltern verborgen hielt. Aber ewig konnte ich mich nicht verstecken und meine Eltern hatten entgegen meinen Befürchtungen viel Verständnis für mich übrig.


    Ich hatte immer sehr sparsam gelebt und jeden Monat Geld beiseitegelegt. Das ermöglichte es mir auch, ein Haus zu kaufen. Es war zwar sehr heruntergekommen, aber es war meins. Nun, zumindest fast, denn schon bald stand meine Cousine Magda auf der Matte, die ihr Studium ebenfalls, wenn auch freiwillig, abgebrochen hatte und sich nun vor der wütenden Reaktion ihrer Mutter, meiner Tante Joanna, verstecken wollte. Das das nicht lange gut gehen konnte, war abzusehen. Aber Magda schaffte es ihre Mutter zu überzeugen, sie vorerst bei mir wohnen zu lassen. Der Preis dafür war, dass Magda für ihren eigenen Unterhalt sorgen musste. Und das gelang ihr erstaunlich gut, indem sie sich einer lokalen Band anschloss und bald schon zur Backgroundsängerin avancierte.


    Auch ich hatte berufliche Erfolge zu verzeichnen. Mathematik war eindeutig nicht meine Welt, aber ich liebte die Malerei und ich hatte Talent dafür. Eine lokale Galeristin, Melinda Cosgrove, nahm sich meiner an und schon bald konnte ich ganze Ausstellungen mit meinen Bildern füllen, die guten Absatz fanden. Bei meiner ersten Ausstellung lernte ich dann ihn kennen: Gernot Lutzenbacher. Ein hübscher jünger Mann, der mich liebte, obwohl ich eindeutig zu viele Kilos auf den Hüften hatte und nicht unbedingt die Hübscheste war. Doch mein Glück sollte nicht lange währen, denn ich hatte den Zorn meiner Cousine Magda auf mich gelenkt. Ich hatte zugelassen, dass Jamie Carnes bei uns einzog. An sich ein netter junger Mann, wäre er nicht der Sohn des Ex-Freundes meiner Cousine. Ich hatte von diesem Verwandtschaftsverhältnis gewusst und es Magda gegenüber verschwiegen. Nun verliebte sie sich aber in Jamie, doch als sie herausfand, dass er der Sohn ihres Ex-Freundes war, fühlte sie sich von mir und ihm betrogen. Aus Rache dafür schlief sie mit meinem festen Freund Gernot.


    Ich war entsetzt. Ich schickte Gernot umgehend in die Wüste und war fest entschlossen auch meine hinterlistige Cousine aus dem gemeinsamen Haus zu werfen. Doch ich brachte es nicht übers Herz, denn sie entschuldigte sich aus tiefstem Herzen bei mir. Und zum Betrug gehörten immer zwei. Und dass Gernot auf ihr Angebot eingegangen war wog weitaus schlimmer, als dass sie sich ihm angeboten hatte. Als Entschuldigung bot sie mir an, mir zu helfen, mehr aus meinem Äußeren herauszuholen. Und es klappte tatsächlich. Mit ihrer Hilfe nahm ich ordentlich ab, veränderte meinen Kleidungsstil, meine Haare, mein Make-up. Und plötzlich sah ich eine wirklich schöne Frau im Spiegel.


    Noch im Prozess der Verwandlung feierte ich meinen 25. Geburtstag. Und überraschend tauchte meine ältere Schwester Kinga, zu der meine Elter und ich schon seit Jahren keinen Kontakt hatten, auf der Party auf. Sie hatte inzwischen geheiratet und einen Sohn, David, bekommen. Er war der Grund, warum Kinga wieder Kontakt zu mir aufnehmen wollte. Meiner Mutter konnte sie selbst nach so vielen Jahren nicht verzeihen, dass diese sie über ihren wahren Vater im Unklaren gelassen hatte. Aber auch wenn ihr Sohn keine Oma haben konnte, so doch wenigstens eine liebende Tante. Ich versprach Kinga, meinen Eltern nicht zu verraten, wo sie nun lebte, aber ich nahm mir dennoch vor, zwischen ihnen und ihr zu vermitteln.


    Magda schaffte es mein Äußeres zu verwandeln. Leider traf dies nicht auf mein Inneres zu. Ich war immer noch schüchtern und verunsichert im Umgang mit Männern. Den ersten Mann, John, verschreckte ich direkt und beim zweiten, Israel, glaubte ich umgehend an die große, immerwährende Liebe, nachdem ich mit ihm mein erstes Mal erlebt hatte. Doch für ihn war ich nicht mehr als ein kurzer Flirt. Ich veränderte daraufhin mein Äußeres noch einmal. Der Stil, den meine Cousine für mich ausgesucht hatte, erschien mir zu sehr wie eine Verkleidung. Nach dem Motto „weniger ist mehr“ fand ich meinen eigenen Stil und lernte bald darauf Roman kennen und lieben. Es war alles perfekt, bis ich durch meine Angst und Unsicherheit wieder alles zerstörte, als er mit mir schlafen wollte. Da ich glaubte ihn endgültig verloren zu haben, fiel ich in ein tiefes Loch der Verzweiflung. Ich dachte, ich würde einsam und alleine sterben, ohne Ehemann, ohne Kinder.


    Daher fiel der Vorschlag meiner Tante Joanna, eine Ehe für mich zu arrangieren, auch fruchtbaren Boden. Ich traf mich mit dem Mann, Francesco, den sie für mich ausgesucht hatte. Unser Date verlief sehr durchwachsen, doch verzweifelt und eingeschüchtert wie ich war, gab ich ihm das Versprechen, seine Frau zu werden. Ich bereute es noch in derselben Nacht, doch ehe ich den Fehler korrigieren konnte, wurde meine Verlobung bereits in der Tageszeitung verkündet. Denn es stellte sich heraus, dass Francesco der Lord von Rodaklippa war. Ich konnte keine Rückzieher mehr machen und jede Hoffnung wieder mit Roman zusammen zu kommen zerplatzte, als er von meiner Verlobung erfuhr. Ich ergab mich also meinem Schicksal und verbrachte sogar eine Nacht mit Francesco. Unser Liebesakt war kalt und mechanisch und am nächsten Morgen war Francesco verschwunden. Ich musste mit der Nachricht vorlieb nehmen, dass er wichtigen Geschäften nachgehen müsse und in wenigen Wochen wiederkommen würde. Das lies mich in ein noch tieferes Loch fallen. Und es war Gernot, der mich wieder aus diesem Loch herauszog. Mir wurde klar, dass er mich schon geliebt hatte, als ich noch dick und unansehnlich war, und dass ich nie wirklich aufgehört hatte, ihn zu lieben. Für ihn war ich sogar bereit alle Widrigkeiten auf mich zu nehmen und mich von Francesco zu trennen. Doch es kam alles ganz anders, eines Nachmittags übermannte mich eine ungekannte Übelkeit und ich ahnte schon, was das zu bedeuten hatte.



    Kapitel 45: Schwanger



    Ein Besuch bei meiner Frauenärztin im Krankenhaus bestätigt mir am nächsten Tag, was für mich bereits Tatsache war. Ich war wirklich schwanger. Ich erwartete ein Kind von Francesco.



    Er musste es erfahren, je früher desto besser. Jetzt hatte ich noch den Mut es ihm zu sagen. Aber ich wusste, dass es mit jeder Stunde die verstrich schwerer werden würde. Ich kannte mich in dieser Hinsicht sehr genau. Daher rief ich ihn umgehend an, als ich das Krankenhaus verließ. Doch wieder einmal meldete sich nur seine Mailbox. Verflucht! Warum konnte er nicht endlich einmal rangehen. Ich war doch schließlich seine Verlobte!



    Aber Francesco musst einfach erfahren, dass ich sein Kind erwartete und zwar sofort. Und auch wenn ich nicht in der Lage war, ihn zu erreichen, so war ich mir sicher, dass seine Mutter, Lady Eleonore, ihre Möglichkeiten hatte. Also fuhr ich umgehend vom Krankenhaus nach Hardsten. Das Hausmädchen Anke öffnete mir die Tür und nachdem sie mich bei ihrer Herrin angekündigt hatte, wurde ich zu Lady Eleonore geführt.



    Diese befand sich im Wohnzimmer, wo sie in einem der bequemen Sessel saß. Auf dem Tisch vor ihr lagen Dokumente ausgebreitet, die sie aufmerksam begutachtete und immer wieder Zahlen in eine Rechenmaschine eintippte. Auf dem anderen Tisch stand eine Kanne mit dampfenden Tee. Es war offensichtlich, dass Francescos Mutter mitten in der Arbeit steckte. Und offenbar war sie nicht gewillt, diese zu unterbrechen. Denn auch wenn ich mir sicher war, dass sie mein Eintreten schon längst bemerkt hatte, blickte sie erst nach einigen Minuten, in denen ich schweigend in der Tür gestanden hatte, zu mir auf.



    „Klaudia, was für ein unerwarteter Besuch“, begrüßte sie mich schließlich und winkte mich zu sich heran. Ich machte einen ungelenken Knicks vor meiner zukünftigen Schwiegermutter und kam näher. „Worüber möchtest du den mit mir sprechen? Es muss wichtig sein, wenn du deswegen unangekündigt hier auftauchst.“ Ihre Worte gaben mir deutlich zu verstehen, dass ich sie gestört hatte. Aber da musste ich jetzt durch. Ich nahm also all meinen Mut zusammen und legte ihr mein Anliegen dar. „Ich kann Francesco seit Wochen nicht erreichen. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir da weiterhelfen, Lady Eleonore.“



    Francescos Mutter gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich auf dem Sofa Platz nehmen sollte. „Klaudia, Kind, mein Sohn ist nicht zum Spaß in Südamerika unterwegs. Er ist der Lord von Rodaklippa und vertritt dort die Interessen unserer Lordschaft und unseres ganzen Fürstentums. Du wirst doch sicher einsehen, dass er dabei nicht von Nichtigkeiten gestört werden kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass du dich nach ihm sehnst. Aber auch als frisch verliebte junge Frau wirst du es noch einige Tage aushalten können, von deinem Liebsten getrennt zu sein. Geduld ist eine Tugend Klaudia, und als zukünftige Lady von Rodaklippa solltest du dich ganz besonders in dieser Tugend üben.“ Lady Eleonores Worte enthielten viel Wahrheit und unter normalen Umständen hätte ich auch gewartet, bis Francesco wieder zurück in der SimNation war. Aber in diesem Fall war das nicht möglich. „Ich weiß, dass Francesco wichtige Dinge zu erledigen hat. Er tut das für sein Land und für seine Familie…unsere Familie. Aber es ist dennoch erforderlich, dass ich ihn spreche, Lady Eleonore. Ich würde nicht fragen, wenn es nicht dringend wäre.“



    Lady Eleonore nahm ihre Lesebrille ab und legte sie vor sich auf den Tisch. „Ihr höre leider sehr oft, dass Menschen dringende Angelegenheiten mit dem Lord von Rodaklippa zu besprechen hätten, die sich dann als Belanglosigkeiten entpuppen. Du wirst daher verstehen, dass ich darauf bestehen muss, dass du mir mehr Informationen lieferst, warum ich meinen Sohn bei der Ausführung seiner höchstwichtigen Geschäfte unterbrechen sollte.“ Erwartungsvoll blickte sie mich an.



    Und ich sackte wie ein Häufchen Elend in mich zusammen. Das war einfach nicht richtig. Francesco sollte der Erste sein der erfährt, dass er Vater wird, nicht seine Mutter. Aber anders kam ich einfach nicht an ihn heran. Und es war immer noch besser er erfuhr es jetzt von seinen Mutter, als erst in mehreren Tagen oder gar Wochen von mir selbst. Als rückte ich mit der Sprache heraus, auch wenn meine Worte nicht mehr als ein Flüstern waren. „Ich bin schwanger. Das ist es, was ich Francesco mitteilen muss.“



    Es wurde mit einem Mal so leise im Salon, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Als ich verschämt aufblickte, sah ich in Lady Eleonores undurchdringliches Gesicht. War es ein Lächeln, was ich auf ihren Lippen zu erkennen glaubte? Oder blickten mich ihre Augen wütend an? Bis auf ein undeutsames „Hmm“ gab sie leider mit keinem Wort zu verstehen, was sie von dieser Neuigkeit hielt.



    Immer noch schweigend erhob sie sich und ging hinüber zu einem Bücherregal im hinteren Teil des Salons. Sie überflog kurz die Buchrücken und griff dann zielstrebig nach einem dicken blauen Ordner.



    Anschließend setzte sie sich an den Tisch, der neben dem Bücherregal stand, und schlug den Ordner auf. Da ihre Lesebrille immer noch auf dem kleinen Couchtisch lag, musste sie die Seiten weiter von sich weg halten, um die Schrift lesen zu können. Da ich weder eine Reaktion auf meine Offenbarung, noch eine Anweisung erhielt, wie ich mich zu verhalten hatte, folgte ich Lady Eleonore zu dem Tisch und setzte mich auf den freien Stuhl neben sie. Ich beobachtete sie beim Lesen und bemerkte wie sich ihre Lippen ab und an kräuselten und sie die Augenbrauen zusammen zog. Leider saß ich zu weit weg um die Buchstaben lesen zu können. Aber das war vermutlich auch besser so, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Francescos Mutter gefallen hätte, wenn ich ungefragt in ihren Dokumenten las.



    Schließlich klappte sie den Ordner wieder zusammen und legte ihn vor sich auf den Tisch. Das ermöglichte es mir, den Titel zu lesen, und ich war sichtlich verwirrt, als ich dort meinen Namen las. Doch bei Lady Eleonores nächsten Worten wäre ich fast vom Stuhl gefallen. „Wir werden auf einen Vaterschaftstest bestehen müssen, Fräulein Blech.“ Ich wusste nicht ob ich weinen oder lachen sollte. War das wirklich ihr Ernst? „Dazu besteht überhaupt kein Grund“, entgegnete ich abwehrend, nachdem ich meine Fassung halbwegs wiedererlangt hatte. „Ich habe mit keinem anderen Mann außer Francesco geschlafen.“



    „Nun, das Dossier über Sie, dass ich von meinem Privatdetektiv habe anfertigen lassen“, mit dem Finger deutete sie auf den blauen Ordner vor sich, „lässt da anderes vermuten. Nun schauen Sie nicht so entrüstet. Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde die Verlobte meines Sohnes und zukünftige Lady von Rodaklippa nicht gründlich durchleuchten lassen? Für so naiv hätte ich Sie nicht gehalten, Fräulein Blech. Und es ist mir auch nicht entgangen, dass Sie sich seit Francescos Abreise regelmäßig und in sehr intimer Weise mit einem gewissen Herrn Gernot Lutzenbacher getroffen haben. Zu Ihrem Glück muss ich gestehen, dass Sie das in sehr diskreter Art und Weise getan haben, sodass ein sofortiges Einschreiten nicht nötig war.“



    „Aber ich habe nie mit Gernot geschlafen!“, warf ich zu meiner Verteidigung ein und lief dennoch vor Scham rot an. „Nun, Ihr bisheriger Lebensstil lässt da anderes vermuten“, entgegnete Lady Eleonore gelassen. „Ich finde hier einen Eintrag über ein intimes Verhältnis zu einem Herrn Roman Mulig, direkt bevor sie meinem Sohn vorgestellt wurden. Dann gibt es einen Eintrag über einen Herrn Israel Classen. Und davor waren Sie offenbar schon einmal mit Herrn Lutzenbacher liiert gewesen. Und das sind Ihre Liebschaften aus dem letzten Jahr. Ich will gar nicht wissen, wie viel mehr ich gefunden hätte, hätte ich meinen Detektiv weiter suchen lassen. Wollen sie eine Beziehung zu diesen Herren etwa abstreiten?“

    Kapitel 44: Tausend Schmetterlinge



    Heulend stand ich im japanischen Garten, als eine mir wohlvertraute Stimme fragte: „Klaudia, ist…ist alles in Ordnung bei dir?“ Überrascht drehte ich mich um und sah Gernot ins Gesicht. Das erste was mir auffiel, war sein tief besorgter Blick. Und beim Anblick meiner vom vielen Weinen ganz verquollenen Augen zuckte er regelrecht zusammen. „Was ist passiert?“, fragte er allarmiert. Ich wollte ihm ja antworten, aber ich brachte nur ein unverständliches Schluchzen hervor, welches einem Knurren sehr nahe kam. Gernot verstand das offenbar als Aufforderung zu verschwinden. „Es tut mir leid, Klaudia, ich hätte dich nicht ansprechen sollen. Nicht nach dem, was ich dir angetan habe. Du hast mir ja sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass du mich nie mehr sehen willst. Und ich habe das auch verdient. Aber als ich dich eben so bitterlich weinen sah, da musste ich einfach sicher gehen, dass dir nichts fehlt. Das war offenbar ein Fehler. Ich werde dann jetzt besser gehen.“



    „Halt“, hörte ich mich sagen, bevor ich Zeit hatte, darüber nachzudenken. „Geh nicht, Gernot, bitte.“ Gernot war gerade im Begriff gewesen zu gehen und hielt nun verblüfft in seiner Bewegung inne. „Es geht mir nicht gut“, gestand ich, auch wenn es kaum zu übersehen war. „Ich hab einen furchtbaren Fehler gemacht und ich weiß nicht, wie ich da wieder raus kommen soll. Ich könnte jetzt wirklich einen Freund gebrachen, mit dem ich darüber reden kann.“ „Freund?“, fragte Gernot erstaunt. „Nach allem, was ich dir angetan habe? Das habe ich nicht verdient, Klaudia.“



    Und ob er das hatte. Und noch viel mehr. Blitzschnell ließ ich meinen Kopf nach vorne schnellen und küsste Gernot. Überrascht riss er die Augen weit auf und ich war nicht minder überrascht über meine Aktion. Doch meine Lippen ruhten noch immer auf seinen, als mir klar wurde, dass ich gerade in diesem Augenblick zum ersten Mal seit langem wieder das Richtige tat. Ja, Gernot hatte mich verletzt. Aber er hatte sich mehrfach entschuldigt. Und sein Auftritt gerade ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Tat aufrichtig bereute. Und was immer auch vorgefallen war, ich durfte nicht vergessen, dass er der erste Mann war, der mich geliebt hatte. Und er hatte dies bereits getan, als ich noch dick und unansehnlich war. Er hatte nicht bloß die hübsche Fassade geliebt, die John, Israel, Roman und auch Francesco angezogen hatten, nein, er hatte wirklich mich geliebt, die kleine, dicke, unsichere Klaudia.



    Und ich hatte auch nie aufgehört, ihn zu lieben. Das wurde mir jetzt deutlicher, als jemals zuvor. Und Gernot schien es nicht anders zu ergehen. Denn nach dem ersten Schreck erwiderte er meinen Kuss. Und ich spürte das Feuerwerk, ich spürte die tausend Schmetterlinge in meinem Bauch, die ich bei Francesco so vermisst hatte. Kein Wunder, denn sie hatten ja alle auf Gernot gewartet.



    Was immer Gernot noch vorgehabt hatte, er ließ alle Pläne fallen. Stattdessen verbrachte er den Rest des Tages mit mir. Arm in Arm nahmen wir auf der Parkbank im japanischen Garten Platz. Ich konnte meinen Kopf an seien Schulter lehnen und alle Sorgen vergessen. Meine Tränen trockneten innerhalb von Minuten. Und zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich wieder glücklich.


    *****



    Und an diesem Gefühl änderte sich auch in den kommenden Tagen nichts. Ich traf mich täglich mit Gernot. Da ich noch nicht wollte, dass uns jemand zusammen sah, trafen wir uns meist bei ihm zuhause. Natürlich hatte Gernot von meiner Verlobung mit Francesco gehört. Aber ihm konnte ich sagen, wie unglücklich ich in dieser Beziehung war, auch wenn ich nicht auf die näheren Umstände einging. Und Gernot bestätigte mich in meinem Entschluss, dass es richtig war, Francesco zu verlassen, ganz egal welche Folgen das auch nach sich ziehen mochte. Schlimmer als in einer unglücklichen Ehe gefangen zu sein, konnte es nicht werden.



    Wir hatten auch über seinen Betrug mit Magda gesprochen. Es war nicht leicht darüber zu reden, aber falls Gernot und ich eine Zukunft haben sollten, dann musste diese Geschichte ein für alle Mal geklärt werden. Gernot versicherte mir eindringlich, was für einen großen Fehler er begangen hatte und das sich so etwas nie wiederholen würde. Die Art wie er es sagt ließ mich keine Sekunde an seinen Worten zweifeln. Und die Art wie er mich küsste, wie er mich berührte, ließ auch keinen Zweifel daran, wie sehr er mich begehrt. Er wolle mich voll und ganz, am liebsten sofort, so wie wir es schon vor Monaten geplant hatten. Und ich wollte es ja auch. Meine Gefühle für Gernot waren so stark, da musste es doch zu einem Vulkanausbruch kommen, wenn wir beide uns auch körperlich liebten.



    Doch so sehr ich es auch wollte, noch konnte ich nicht mit ihm schlafen. Nicht solange ich nicht mit Francesco gesprochen hatte und unsere Verlobung gelöst war. „Francesco kommt in wenigen Tagen wieder“, erklärte ich Gernot und zog sanft aber beherzt seine Hand wieder unter meinem Shirt hervor. „Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie weh es tut, betrogen zu werden. Ich schulde es Francesco daher wenigstens so lange zu warten, bis wir nicht mehr verlobt sind. Ich hoffe, du verstehst das, Gernot.“ Ich sah zwar die Enttäuschung in Gernots Augen, aber es lag auch ein so liebevoller Blick darin, der mich nicht zweifeln ließ, dass er geduldig warten würde, bis er mich ganz für sich allein haben konnte.


    *****



    Um es für uns beide leichter zu machen, schlug ich vor, dass wir uns vorher nicht mehr treffen sollten. Es waren ja nur noch ein paar Tage, die wir beide sicherlich leicht überstehen würden. Gernot war zwar nicht begeistert aber er stimmte dennoch zu. Und auch wenn ich Gernot vermisste, so war ich zufrieden wie schon lange nicht mehr. Auch das Malen erfüllte mich wieder mit Freude und ich sah schon ein neues Meisterwerk entstehen.



    Während ich malte, machte sich Magda in der Küche Pfannkuchen zum Abendessen. Normalerweise liebte ich Pfannkuchen, doch heute war irgendetwas anders. Bereits beim ersten Duft spürte ich ein mulmiges Gefühl im Magen, welches sich verstärkte, als Magda mit dem süßen Fettgebäck ins Wohnzimmer kam, um es am Esstisch zu verspeisen. Ich versuchte es zu ignorieren, bis Magda aufgegessen hatte, doch dann drehte sich mir alles im Magen um.



    So schnell ich konnte lief ich ins Badezimmer und entleerte meinen Mageninhalt in die Toilette. Zitternd hielt ich mich am Rand der Schüssel fest. Nein, das durfte nicht sein! Doch ich hatte genügend Groschenromane gelesen und Folgen der Soap Wirrungen der Begierde gesehen um zu wissen was es bedeutete, wenn einem aus heiterem Himmel beim Geruch von Essen schlecht wurde. Und in Kombination damit, dass meine Regel seit drei Tagen überfällig war und ich definitiv ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte, bestand kein Zweifel. Ich war schwanger.


    Gedanken:


    Nein, nein, nein, nein, nein! Nein! Ich war schwanger. Ich brauchte keinen Arzt um mir dessen sicher zu sein. Und Francesco war der Vater. Ich würde ein Kind von einem Mann bekommen, dem ich im besten Fall gleichgültig war. Einem Mann, der mich bevormundete, mit dem mich keine gemeinsamen Interessen verbanden, den ich nicht sonderlich sympathisch fand und der im Gegenzug ganz offensichtlich auch nicht viel von mir hielt, weder in freundschaftlicher noch in sexueller Beziehung.


    Vielleicht, vielleicht hätte ich darüber hinweg sehen können…irgendwie…irgendwann. Aber dann war da doch noch Gernot. Er war der Mann, den ich wahrhaft liebte, den ich schon immer geliebt hatte. Ich wollte keinen anderen. Ich brauchte nur Gernot, denn konnten mir alle Johns, Israels, Romans und vor allem Francescos der Welt gestohlen bleiben. Ja, er hatte mich betrogen, aber er bereute es. Und ich zweifelte nicht an seinen Worten, dass sich so etwas nicht wiederholen würde. Ich würde ihm auch keinen Anlass dazu geben, es zu wiederholen.


    Oder besser gesagt, ich hätte ihm keinen Anlass dazu gegeben. Aber das Kind unter meinem Herzen änderte alles. Ich konnte doch nicht ein Kind von Francesco bekommen und mit Gernot zusammen sein. Selbst wenn ich es gekonnt hätte, wusste ich nicht, ob ich es wollte. Ich hatte bei meiner Schwester Kinga miterlebt was es anrichten kann, wenn man nicht bei seinem leiblichen Vater aufwächst. Wollte ich das meinem Kind wirklich antun nur weil ich so selbstsüchtig war und mich nach Liebe sehnte? Aber gab es diese Option überhaupt für mich? Würde Francesco es jemals zulassen, dass ich mich von ihm trennte, jetzt wo ich sein Kind erwartete? Würde er es mir sogar weg nehmen? Ich wusste, dass ich das nicht ertragen hätte. Die einzige Lösung wäre, es ihm ganz zu verschweigen, zu behaupten, Gernot wäre der Vater. Aber auch das konnte ich weder Francesco noch meinem Kind antun.


    Es wäre so viel einfacher, wenn ich nicht schwanger wäre. So viel einfacher. Und so viel trauriger. Noch während ich über der Toilette hing, spürte ich, wie ich dieses Kind zu lieben begann. Eines war mir ganz klar, ich konnte auf einen liebenden Mann verzichten, aber dieses Kind wollte ich nicht mehr missen.

    Kapitel 43: Zweifel



    Stundenlang kreisten meine Gedanken nach dieser missglückten Nacht mit FRancesco und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Doch schließlich schlief ich ein. Mir kam der tröstliche Gedanke, dass Francesco und ich uns erst einmal aufeinander einlassen mussten. Vielleicht hatte er ja nur gesagt, er hätte es schön gefunden, weil er mich nicht kränken wollte? Vielleicht war er auch so nervös wie ich und daher war unser erstes Mal so in die Hose gegangen? Es musste einfach so sein! Ich nahm mir sogar vor, ihn darauf anzusprechen. Ganz vorsichtig natürlich. Doch als ich am Morgen aufwachte, war die andere Bettseite bereits leer.



    Der Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch verriet, dass es gerade einmal sieben Uhr war. Daher dachte ich auch zunächst, dass Francesco nur im Bad wäre. Doch als er nach 15 Minuten immer noch nicht zurück war, entschloss ich mich aufzustehen und mich anzuziehen. Ich war gerade dabei das Bett zu machen, als das Hausmädchen, Anke, wenn ich mich recht erinnerte, das Zimmer betrat. „Fräulein Blech, Sie sind ja bereits wach“, stellte sie überrascht fest. „Aber bitte, Sie müssen das Bett nicht machen. Das ist doch meine Aufgabe.“



    Einem Impuls folgend wollte ich die ebne erst sorgfältig gerade gestrichene Decke wieder zerwühlen, weil ich befürchtete, Anke könnte Ärger dafür bekommen, wenn jemand erführe, dass ich ihre Arbeit erledigt hatte. Aber natürlich was das dumm. Ich ließ die Decke also in Ruhe und ging auf sie zu. „Anke, wissen Sie wo Francesco ist? Ich kann ihn nicht finden.“ Anke wirkte sichtlich verlegen, als sie mir antwortete. „Lord Hartfels bat mich Ihnen mitzuteilen, dass er dringend eine Geschäftsreise antreten musste. Er wird die nächsten vier Wochen in Südamerika unterwegs sein.“



    Ich glaubte zunächst, mich verhört zu haben. Francesco konnte doch nicht einfach abreisen, ohne ein Wort zu sagen. Und das, wo wir doch gerade erst miteinander geschlafen hatten. War es für ihn etwa so furchtbar gewesen, dass er sofort die Flucht ergreifen musste? Anke lächelte mir mitfühlend zu, doch eine Erklärung konnte sie mit verständlicherweise nicht liefern. „Nehmen sie doch auf der Terrasse Platz, Fräulein Blech“, forderte sie mich stattdessen auf. „Es ist ein sehr schöner Morgen. Ich werde ihnen dann das Frühstück draußen servieren.“



    Als ich auf die Terrasse hinausging, fiel mein Blick sofort auf das große Schwimmbecken, welches mir bei meinen vorherigen Besuchen nicht aufgefallen war. Und ich entdeckte Alexis, die darin ihre Bahnen zog. Als sie mich bemerkte, winkte sie mir gleich zu. „Guten Morgen, Klaudia!“ rief sie fröhlich und schwamm an den Beckenrand, um mit einer geschickten Bewegung aus dem Wasser zu steigen.



    Sie hüllte sich in einen Satin-Bademantel, der am Beckenrand lag, und setzte sich zu mir an den Tisch, wo bereits die dampfenden Waffeln auf uns warteten. „Du siehst nicht besonders glücklich aus, Klaudia“, stellte sie fest, nachdem wir schweigend zu essen begonnen hatten. „Ist etwas passiert?“ Doch ehe ich antworten konnte, kam sie schon selbst auf des Rätsels Lösung. „Warte, es geht um Francesco. Mein lieber Bruder hat sich bestimmt wieder einmal davongeschlichen, ohne sich von seiner Liebsten zu verabschieden. Deshalb stand die Limousine heute früh schon vor dem Schloss.“



    Ich nickte betrübt. „Du darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen, Klaudia. Du bist nicht die erste Frau, die ich hier morgens allein am Pool antreffe. Nicht das du mich falsch verstehst, viele Frauen gab es da nicht. Mein Bruder ist kein Frauenheld. Aber er ist ein Einzelgänger. Und manchmal wird ihm Nähe einfach zu viel und er beschließt zu fliehen. So sieht er selbst das natürlich nicht. Für ihn sind es immer wichtige, unaufschiebbare Geschäfte, die seien Aufmerksamkeit verlangen. Dabei hätte er dich doch nur kurz wecken müssen. Aber so ist Francesco nun einmal. Selbst Mutter und ich wissen oft genug nicht, wohin er verschwindet. Aber auf eines kann man sich verlassen: Er kommt immer zurück.“


    *****



    Alexis Worte schafften es nicht, meine Ängste zu mildern. Ich war mehr und mehr davon überzeugt, dass Francesco nur deswegen verschwunden war, weil er sich von mir abgestoßen fühlte. Deshalb hat er es auch nicht ertragen, mich beim Sex anzusehen. Wahrscheinlich hat er stattdessen an eine der vielen Frauen gedacht, die Alexis erwähnt hatte und die er viel lieber statt mir im Bett gehabt hätte. Ist er etwa auch verschwunden, weil er die Hochzeit absagen wollte? Wie würde ich dann dastehen, vor meinen Freunden und vor meinen Eltern? Wie sollte ich es ihnen erklären, dass er mich auf einmal nicht mehr wollte? Um nicht ganz verrückt zu werden, versuchte ich mich so gut es ging abzulenken. Seit Israel gelang mir das beim Malen nicht mehr so richtig. Aber beim Gitarrespielen, insbesondere in der Öffentlichkeit, wurden meine Gedanken wider klarer.



    Es gab natürlich keine stichhaltigen Anzeichen dafür, dass Francesco die Verlobung lösen wollte. Er hatte nichts in der Richtung angedeutet. Und war es vor kurzem nicht noch mein eigner Wunsch die Verlobung zu lösen? Ich war so verwirrt, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich wollte. Wenn ich doch mit Francesco hätte sprechen können. Doch er ging niemals an sein Handy, wenn ich ihn anrief und beantwortete auch keine meiner Kurznachrichten. Selbst in Südamerika solle es doch wohl Handyempfang geben. Und das brachte mich wieder zu meinen Selbstzweifeln zurück. Wollte er mich denn überhaupt noch wiedersehen, geschweige denn heiraten? Es war ein Teufelskreis.



    Zwei Wochen wartete ich, ohne ein Lebenszeichen von Francesco zu bekommen. Zwei Wochen in denen ich kaum etwas anderes tun konnte als darüber nachzudenken, ob ich ihn heiraten konnte, ob ich es wolle oder ob er es konnte und wollte. Da ich mich zuhause ständig vor Jamie und Magda rechtfertigen musste und mir die ewigen Beteuerungen, es ginge mir gut und ich sei glücklich, langsam zum Halse raushingen, zog ich mich in die zahlreichen Parks von Rodaklippa zurück. Im japanischen Garten erhoffte ich mir endlich Klarheit zu bekomme. Das ganze Zen um mich herum musste ja für etwas gut sein.



    Doch statt Klarheit übermannte mich bei all dem harmonischen Anblick die pure Verzweiflung. Ich hatte mich in eine Sackgasse manövriert, aus der es kein Entkommen mehr gab. Ich wollte Francesco nicht heiraten. Wir hatten uns nichts zu sagen, wir hatten keine gemeinsamen Interessen. Er war mir gegenüber kalt und abweisend und unsere unglückliche gemeinsame Nacht war da nur die Spitze des Eisbergs. Und mit so einem Mann sollte ich den Rest meines Lebens verbringen? Mit ihm Kinder aufziehen? Das konnte ich einfach nicht.



    Aber was war die Alternative? Würde ich die Hochzeit absagen, dann würde ich mich in aller Öffentlichkeit, vor all meinen Freunden und meiner Familie demütigen lassen. Ich würde auch Francescos Ruf und den meiner Tante beschmutzen, die diese Ehe doch eingefädelt hatte. Aber vor allem wäre ich allein. Ich hätte keinen Mann und all meine Träume von Ehe und Familie wären dahin. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf und versuchte den Schmerz heraus zu weinen. Und jeder Träne, jedem bitteren Schluchzer, schienen mindestens zwei weitere zu folgen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort noch so gestanden hätte, hätte nicht eine mir wohlvertraute Stimme besorgt, „Klaudia, ist…ist alles in Ordnung bei dir?“, gefragt.

    @JulisSmith



    ich muss dir erstmal danken, dass du so kontinuierlich weiter schreibst!


    Ich will meine Fans ja nicht enttäuschen ;) Nein, ich sehe ja an den Aufrufen, dass sich der ein oder ander in diesen Thread verirrt und hier hoffentlich auch fleißig mitliest. Da ist es doch klar, dass ich weiter poste.


    Zitat

    Ich liebe deine Stories und habe auch gerade dein Singleprojekt mit Arek zu Ende gelesen.


    Das ist schön. Arek ist ja meine erste Story und inzwischen schon 10 Jahre alt. Ich bin aber immer noch stolz darauf.


    Zitat

    Ich fand es auch wirklich spannend zu sehen wie sich die ganzen Generationen weiterentwickelt haben und vorallem wie Oxana und Joanna aufgewachsen sind!


    Ich glaube, das hilft dabei, auch die neueren Geschichten besser zu verstehen. Hintergrundinfos sind immer nützlich.


    Zitat

    Ich lese gar keine anderen Stories mehr weil ich deine so sehr liebe und sie mir so vertraut sind =)


    Na das ist aber mal ein riesen Kompliment *rotwerd* Vielen Dank dafür. Und ich hoffe, die anderen Autoren sind mir deswegen nicht böse *lol*


    Zitat

    Auch wenn ich nicht immer mit dem einverstanden bin was sie tut^^


    Das ist aber auch genau so von mir beabsichtigt. Es soll ja spannend und nicht zu vorhersehbar bleiben.


    Vielen, vielen Dank für deinen Kommentar!

    Kapitel 42: Mechanisch



    In den Tagen nach unserer Verlobung bekam ich die Gelegenheit, Francesco besser kennenzulernen. Seine Pflichten als Lord von Rodaklippa ließen ihm nicht viel Freizeit, aber sobald er einmal nicht einer Ratssitzung im Rathaus beiwohnen musste oder zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung eingeladen war, verbrachten wir den Tag gemeinsam. Es war auf der Rollschuhbahn auf dem Sommerfest, dass er zum ersten Mal meine Hand nahm. Ich war so überrascht, dass ich fast hingefallen wäre und ich musste mich dazu zwingen, die Hand nicht sofort wegzuziehen. Ich merkte deutlich, dass ihm die Situation ebenso unbehaglich war wie mir. Dennoch ließ er meine Hand nicht los und nach einer Weile fühlte es sich nicht mehr so seltsam an. Wir mussten einfach nur langsam Schritt für Schritt aufeinander zugehen, dann würden wir es schon schaffen, eine glückliche Ehe zu führen.



    Bald schon entdeckte ich, dass Francesco eine Vorliebe fürs Theater hatte. Die Theaterszene von Rodaklippa war zwar nur sehr klein, dennoch führte er mich zu den verschiedenen Stücken aus, die aktuell aufgeführt wurden. Und auch wenn Francesco allgemein sehr schweigsam war, so konnte er doch reden wie ein Wasserfall, wenn es um das Theater ging.



    Etwa zwei Wochen nach Bekanntgabe unsere Verlobung wurde ich offiziell seiner Familie vorgestellt. Mir wurde sehr mulmig zumute, als unser Wagen hoch oben auf der Klippe vor Schloss Hardsten zum stehen kam. Ich fühlte mich auf einmal so klein und unbedeutend. Das Äußere des Schlosses kannte ich natürlich bereits aus meinen Jugendjahren, denn meine damals besten Freundin und ich waren früher oft hierhergekommen, um vor den Schlossmauern zu stehen und uns Vorzustellen, wir seien Prinzessinnen. Und für mich würde sich dieser Traum bald erfüllen, auch wenn ich nicht behaupten konnte, dass ich immer noch so sehr darauf brannte, wie als junges Mädchen.



    Das Innere des Schlosses kannte ich natürlich nicht. Die schweren und teuren Möbel zeugten von der Tradition des Hauses Hartfels. Ich war froh, dass ich das Kleid von Tante Joanna immer noch hatte, denn sonst wäre ich mir noch mehr fehl am Platz in diesem Haus vorgekommen, als ich es ohnehin schon tat. Beim gemeinsamen Essen wurde ich mit Francescos Mutter, Lady Eleonore Hartfels, bekanntgemacht. Seine Schwester Alexis kannte ich ja bereits. Vor Nervosität war mein Hals so zugeschnürt, dass ich den servierten Fasan kaum runterschlucken konnte, auch wenn er wirklich köstlich schmeckte. Und ich stellte fest, dass Francescos Schweigsamkeit in der Familie zu liegen schien. Die meiste Zeit über herrschte Stille während des Essens, lediglich unterbrochen durch die gelegentlichen Fragen von Lady Eleonore an mich, die sich aber mit ein, zwei Worten leicht beantworten ließen. Doch mir war es Recht so. Ich war froh, dass Francesco und ich das Schloss nach gut zwei Stunden wieder verlassen konnten, ohne dass ich mich bis auf die Knochen vor meiner zukünftigen Schwiegermutter blamiert hatte.


    *****



    Erneut gut zwei Wochen später machten Francesco und ich einen ausgedehnten Spaziergang über die Hügelkuppen von Rodaklippa. Es war eine der letzten angenehm warmen Spätsommernächte und lediglich dünne Wolken bedeckten den ansonsten sternenklaren Himmel. Francesco hielt meine Hand, während wir durch das Gras streiften und den Ausblick auf die hell erleuchtete Stadt zu unseren Füßen genossen. Inzwischen fühlte es sich nicht mehr ungewohnt an, wenn er mich berührte. Ganz im Gegenteil, ich fand es schön, seine Haut auf meiner zu spüren. Ich konnte mir dann einbilden, wir wären ein ganz normales, glückliches Paar. Selbst unser Schweigen empfand ich dann als weniger unangenehm. Wir machten an einem Baum halt, von dem man einen guten Ausblick auf die Cilia Gade und mein Haus hatte. Und unter diesem Baum küsste Francesco mich zum ersten Mal. Es war ein vorsichtiger Kuss. Unsere Lippen berührten sich, verweilten eine Weile aufeinander um sich dann wieder zu lösen. Es war nicht unangenehm. Francescos Lippen fühlten sich weich an, seine Wangen kratzten trotz seines Dreitagebartes kaum und er roch gut wie immer. Und dennoch fühlte ich kein Feuerwerk, welches diesen Kuss zu einem unvergesslichen Moment hätte machen sollen.



    Nach dem Kuss nahm Francesco mich in den Arm. Ich versuchte zu ergründen, was er von unserem Kuss hielt. Doch sein Gesicht blieb eine steinerne Maske, durch die ich nicht in sein inneres Blicken konnte. Ich merkte lediglich, dass er etwas unruhig wurde, aber das lag nicht an dem Kuss, sondern an den Worten, die nun folgen sollten. „Klaudia, es ist nun schon spät und bis zur Cilia Gade ist es ein weiter Weg. Was würdest du daher von dem Vorschlag halten, wenn ich dich heute nicht nach Hause bringe, sondern du bei mir auf Schloss Hardsten übernachten würdest?“ Ich akzeptierte den Vorschlag.



    Für einen kurzen Moment hatte ich die Hoffnung, dass er mich in einem der zahlreichen Gästezimmer auf Hardsten unterbringen wollte. Doch Francesco führte mich zielstrebig zu dem Flügel des Schlosses, in dem sich seine privaten Räume befanden. Und als wir dann in seinem Schlafzimmer standen, hatte ich keinen Zweifel mehr, wohin dieser Abend noch führen sollte. Ich war daher nicht mehr sehr überrascht, als Francesco auf mich zukam und begann, meine Haare und meine Wange zu streicheln. Seine Worte, „ich möchte heute mir dir schlafen“, waren daher auch nicht mehr nötig gewesen. Noch vor wenigen Wochen hatten diese Worte einen Fluchtinstinkt in mir ausgelöst. Doch Dank Magda und Israel wusste ich, was jetzt auf mich zukommen würde. Der größte Unterschied war aber, dass Francesco mein Verlobter war. Spätestens wenn ich ihn heiraten würde, wäre es ohnehin meine Pflicht, mit ihm zu schlafen, ganz egal, ob ich ihn dann liebte oder nicht. Warum es also weiter aufschieben, anstatt es jetzt hinter sich zu bringen? Und vielleicht konnte ich es ja tatsächlich genießen. Ich würde es nicht wissen, ehe es nicht passiert war.


    Als ich mit Israel geschlafen hatte, hatte bereits das Ausziehen mit zum Vorspiel gehört. Doch diesmal war es ganz anders. Nachdem ich Francesco so glaubhaft wie möglich versichert hatte, dass auch ich mit ihm schlafen wolle, ging er hinüber zum Bett und begann sich auszuziehen. Erst die Weste, dann das Hemd und zum Schluss die Hose. Die Kleidungsstücke legte er ordentlich zusammengelegt auf einen Stuhl. Also zog auch ich mich aus und kurz darauf standen wir uns beide in Unterwäsche gegenüber, lediglich durch das Bett getrennt. Ich hatte natürlich schon vorher bemerkt, dass Francesco sehr gut gebaut war, aber jetzt, wo er fast nackt vor mir stand, wurde mir erst richtig bewusst, wie durchtrainiert er wirklich war. Im Vergleich dazu kam mir mein eigener Körper immer noch dick und schlaff vor und beschämt kauerte ich mich zusammen.



    Dies schien auch Francesco nicht zu entgehen, denn er bot an, dass Licht zu löschen. Er tat das bestimmt nur, um meinen hässlichen Körper nicht länger sehen zu müssen. Doch den Gefallen wollte ich ihm nicht tun und bestand darauf, das Licht brennen zu lassen. Aber vielleicht hatte ich mich auch geirrt was Francescos Intention das Licht zu löschen betraf, denn als er seine Unterhose auszog konnte ich sehr genau erkennen, dass mein Anblick für ihn wohl nicht so schlimm sein konnte. Hastig blickte ich zur Seite, als mir bewusst wurde, dass ich seinen Lendenbereich länger als angebracht angestarrt hatte und die Schamesröte schoss mir in die Wangen. Ich entledigte mich eilig meiner Unterwäsche und setzte mich aufs Bett, wobei ich verschämt auf meine Füße starrte. Francesco setzte sich zu mir und als ich zu ihm blickte, sah ich, wie er meinen Körper musterte. Dabei erschien wieder dieses kaum merkliche Lächeln auf seinen Lippen. Konnte es sein, dass ich ihm doch gefiel?



    Der Gedanke brachte mich ganz durcheinander. Sah er vielleicht doch mehr in mir, als bloß die Frau die für ihn ausgesucht wurde und die er nun heiraten musste? Wenn es so war, dann musste ich mich noch mehr anstrengen, ihn ebenfalls lieben zu können. Seine Hand berührte meinen Oberschenkel und er beugte sich über mich. „Was ist mit Verhütung?“, warf ich ein, bevor es zu spät war. „Ich nehme nicht die Pille.“ Francesco streichelte weiter die Innenseite meines Oberschenkels. „Darüber brauchen wir uns doch keine Gedanken zu machen“, antwortete er gelassen. „Es wird schon nichts passieren. Und wenn doch, dann ist es auch egal. In ein paar Monaten sind wir ohnehin verheiratet. Was spiel es dann für eine Rolle?“ Es spielte eine große Rolle. Ja, ich wollte Mutter werden, aber doch noch nicht jetzt. Ich hatte mich noch kaum an den Gedanken gewöhnt, Francescos Frau zu werden. Aber ein Kind von ihm zu bekommen war eine ganz andere Geschichte. Ich wusste, dass ich hätte protestieren sollen. Doch meine Schüchternheit und Unsicherheit bewirkte, dass ich meine Einwände wieder einmal für mich behielt.



    Francesco streichelte mich noch eine Weile und meine Hand fuhr durch sein Brusthaar, doch dieses Vorspiel war nach wenigen Augenblicken schon beendet. Er war vorsichtig, als er in mich eindrang, ähnlich wie bei unseren Kuss auf der Klippe. Dann begann er seinen stetigen Rhythmus. Sanft, aber doch beharrlich. Beinah hätte ich als angenehm bezeichnen können, doch dann wurde mir bewusst, dass er mich nicht anblickte. Ich sah zu ihm hoch, doch Francescos Augen waren fest verschlossen. Er öffnete sie nicht einmal, als ich mit meinen Fingern durch sein Haar strich. Und es folgte auch keine Reaktion, als ich seinen Arm küsste, mit dem er sich neben meinem Kopf abstützte. An seinen schneller werdenden Bewegungen merkte ich, dass er sich seinem Höhepunkt nährte und ich hoffte inständig, dass er mich wenigsten jetzt anschauen würde. Nur für eine Sekunde. Doch das tat er nicht. Mit fest geschlossenen Augenlidern erreichte er den Höhepunkt und senkte seinen Oberkörper erschöpft für einen Augenblick auf meinen herab. Man hätte das schon fast als eine Art Umarmung bezeichnen können und es war traurig, dass dies der intimste Moment unserer Vereinigung war. Dann öffnete er tatsächlich seien Augen, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und zog sich auf seine Seite des Bettes zurück. „Das war schön“, waren seine einzigen Worte, bevor er das Licht löschte und augenblicklich neben mir einschlief.



    Für mich war an Schlaf nicht zu denken. Ich richtete mich im Bett auf, nachdem ich mir sicher war, dass Francesco tatsächlich schlief. Schön? Diese Worte hätte ich für das Geschehene nicht verwendet. Für mich hatte es sich kalt und mechanisch angefühlt. Wie froh war ich, dass dies nicht mein Erstes Mal gewesen war. Dank Israel wusste ich, wie anders Geschlechtsverkehr sein konnte. Aber vielleicht war das auch mein Fluch? Vielleicht hätte ich es gerade mit Francesco genießen können, wenn ich nicht gewusst hätte, wie anders…wie viel schöner…es sich anfühlen konnte? Ein Frösteln durchfuhr mich als ich daran dachte, dass ich nie wieder mit einem anderen Mann außer Francesco zusammen sein würde.

    Kapitel 41: Gemeinsame Zukunft



    Ich und Lady von Rodaklippa werden? Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Und um ehrlich zu sein, suchte ich verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Situation. Doch mir blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn kaum hatte ich mich angezogen, standen auch schon meine Eltern und mein Bruder vor der Haustür. „Wieso hast du uns denn nichts gesagt, Spätzchen“, fragte mein Vater nachdem er mir gratuliert und mich überschwänglich in den Arm genommen hatte. „Ich hätte mich heute Morgen fast an meinem Kaffee verschluckt, als ich die Zeitung aufschlug.“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, aber überraschenderweise kam mir meine Mutter zu Hilfe. „Ich bin mir sicher, dass Klaudia dem Hause Hartfels versprechen musste, nichts zu früh an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Und du weißt ja, wie pflichtbewusst unser Spätzchen ist, da hat sie nicht einmal ihren eigenen Eltern etwas erzähl.“ Ich nickte Mama dankbar zu.



    „Dann zeig uns mal deinen Verlobungsring, Schwesterchen“, verlangte mein Bruder aufgeregt. Alle drei blickten sofort auf meine linke Hand, die ich schnell hinter meinem Rücken verbarg. „Hast du ihn gar nicht auf?“, fragte Sky verwundert. „Nein, der Ring ist...“, begann ich zu stottern und wieder war es Mama die mir beistand. „War der Ring etwa noch nicht fertig gewesen?“, fragte sie und ich begann heftig zu nicken, als ich verstand, worauf sie hinauswollte. „Ja, Francesco hat sich vielmals entschuldigt, dass der Ring, den er hat anfertigen lassen, nicht rechtzeitig beim Juwelier in Rodaklippa angekommen ist.“ Meine Mutter begann zu lachen. „Ach diese Männer. Erst lassen sie einen eine gefühlte Ewigkeit auf den Antrag warten und wenn es dann so weit ist, können sie sich nicht einen Tag länger gedulden, die Frage zu stellen.“ Ich warf ihr erneut einen dankbaren Blick zu.



    Wenig später bat ich meine Mutter unter einem Vorwand, mir in mein Zimmer zu folgen. Sie hatte natürlich sofort durchschaut, dass ich über etwas ganz anderes mit ihr sprechen wollte. „Du bist nicht so glücklich, wie du einen Tag nach deiner Verlobung sein solltest“, stellte sie fest. Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen und ich berichtete ihr von meinem Dilemma, dass ich Francesco zwar zugesagt hatte, aber dann von Romans Nachrichten erfahren hatte. „Ich wollte Tante Joanna gleich heute Morgen mitteilen, dass ich es mir anders überlegt habe. Aber dann stand auch schon alles in der Zeitung. Was soll ich denn jetzt tun, Mami?“



    „Wenn du Francesco nicht heiraten willst, dann wirst du es eben nicht tun!“, erklärte meine Mutter entschieden. „Es ist schließlich den Leben.“ „Aber es wird sicherlich einen riesigen Skandal geben, wenn ich die Verlobung jetzt wieder löse“, entgegnete ich. „Und Tante Joanna wir sicherlich auch furchtbar böse werde.“ Beim Klang des Namens ihrer Schwester stemmte meine Mutter wütend die Hände in die Hüften. „Joanna!“, spie sie den Namen ihrer Schwester aus. „Ich werde ihr solch eine Ohrfeige dafür verpassen, dass sie dich in diese Situation gebracht hat, dass ihr noch Tagelang die Ohren davon klingeln werden. Ich hatte doch gleich gesagt, dass es eine Schnapsidee ist, dich verheiraten zu wollen.“ Nach einer Weile beruhigte sie sich wieder etwas. „Spätzchen, du rufst jetzt sofort diesen Roman an und erklärst ihm die ganze Geschichte. Dann können wir immer noch überlegen, wie wir weiter vorgehen wollen.“



    Und das tat ich dann auch. Mama verließ mein Zimmer und ich nahm mein Handy und wählte Romans Nummer. Lange Zeit hörte ich nur das Freizeichen, doch dann ging Roman tatsächlich ran. „Ja?“, war die einzige Begrüßung, die ich erhielt. „Hallo Roman, ich bin’s, Klaudia“, stellte ich mich vor. Hatte er meinen Namen etwa noch nicht im Display gesehen? Als keine Reaktion von ihm folgte, fuhr ich fort. „Ich hab erst jetzt gesehen, dass du versucht hast mich zu erreichen. Ich hatte mein Handy verlegt. Das war eine ganz dumme Geschichte, du wirst lachen, wenn ich sie dir erzähle. Aber jetzt habe ich deine vielen Nachrichten gelesen. Und ich bin so glücklich darüber. Ich liebe dich nämlich auch!“ Spätestens jetzt hatte ich eine Reaktion erwartet. Doch Roman blieb stumm. „Willst du denn nichts dazu sagen?“, flehte ich schließlich.



    „Was soll ich denn dazu sagen!“, antwortete er endlich. Doch er klang keineswegs glücklich über meine Liebeserklärung. Ganz im Gegenteil. „Soll ich dann dein Liebhaber werden und mich zu dir ins Herrenhaus schleichen, wenn dein Verlobter, der Lord, nicht anwesend ist? Was bist du bloß für eine Frau, Klaudia? Wir haben uns oft gesehen und du hieltst es nicht einmal für nötig mir mitzuteilen, dass du bereits einen Freund hast! Und jetzt muss ich aus der Zeitung erfahren, dass du verlobt bist. Ich hatte mir Sorgen um dich gemacht, als ich dich nicht erreichen konnte. Aber du hast ja offenbar eine großartige Verlobungsparty im Schloss gefeiert. Und dann hast du die Dreistigkeit mir mitzuteilen, dass du mich liebst? Auf so eine Liebe kann ich verzichten, Klaudia! Ich gratuliere deinem Verlobten, da hat er sich ja eine feine Schlange ins Nest geholt. Ich jeden falls bin fertig mit dir. Ruf mich bitte nicht mehr und heb dir deine falschen Liebesschwüre für deinen zukünftigen Mann auf.“



    Damit beendete er das Gespräch. Ich überlegte kurz, ob ich ihn noch einmal anrufen sollte. Aber ich fühlte, dass er nicht erneut rangehen würde. Ich an seiner Stelle hätte es auch nicht getan, denn die Sachlage war zu offensichtlich. Er würde mir niemals glauben, dass ich Francesco erst gestern Abend kennengelernt hatte und dass unsere Verlobung lediglich von meiner Tante arrangiert worden war. Es hörte sich ja auch zu verrückt an. Nein, ich hatte Roman endgültig vergrault.



    Mir war nach Heulen zumute, aber ich wusste, dass das auch nichts geändert hätte. Aber hinaus zu meiner Familie konnte ich auch nicht gehen. Stattdessen hockte ich mich aufs Bett und starte meine Füße an. Nach einer Weile hörte ich ein leises Klopfen an der Tür und meine Tante meldete sich zu Wort. „Darf ich rein kommen?“, fragte sie. Ich erlaubte es ihr und stand vom Bett auf, als sie das Zimmer betrat. „Deine Mutter rief mich an und meinte, ich müsste dringend mit dir sprechen.“ Sie streckte mir die Hand entgegen und forderte mich auf diese Weise auf, näher an sie heran zu treten. „Ich vermute, es geht um die Verlobung mit Francesco? Lass mich eines vorweg sagen: Ich war selbst überrascht, bereits heute von eurer Verlobung in der Zeitung zu lesen. Ich hatte angenommen, mich vorher noch einmal mit dir besprechen zu können.“



    „Können wir diese Verlobung wieder lösen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Doch der der verkniffene Gesichtsausdruck meiner Tante verriet, dass dies nicht einfach werden würde. „Klaudia, ich hatte dich sehr eindrücklich gewarnt, dass deine Entscheidung bindend sein würde. Deshalb antworte mir ganz ehrlich, hast du oder hast du nicht gestern Abend Francesco zugesagt, seine Frau zu werden?“ Mutlos ließ ich meine Schultern hängen. „Ich habe zugesagt“, antworte ich. „Aber doch nur, weil er mich mit der Frage so überfahren hat“, fügte ich immer leiser werdend hinzu.



    Meine Tante ging auf den letzten Satz nicht ein. Ihre Stimme wurde aber deutlich milder, als sie weitersprach. „Hat Francesco dich gestern schlecht behandelt? War er dir aufs tiefste unsympathisch?“, fragte sie. Beide Fragen verneinte ich mit einem Kopfschütteln. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hatte ich mich sogar sehr gut mit ihm verstanden. „Und hat sich an deinem Wunsch, zu heiraten und eine Familie zu gründen etwas geändert?“ Wieder schüttelte ich mit dem Kopf. „Warum willst du die Verlobung dann lösen?“, fragte sie. „Weil ich ihn nicht liebe, Tante Joanna“, war meine ehrliche Antwort. Meine Tante strich mir behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ließ ihre Hand auf meiner Wange verweilen. „Ach, mein liebes Kind. Liebe ist etwas sehr vergängliches, das wirst du früher oder später noch selbst erfahren. Worauf es bei einer Ehe ankommt, sind gegenseitiger Respekt und Vertrauen. Wenn dazu zusätzlich noch Liebe kommt, dann ist das wundervoll. Aber Liebe allein sollte niemals das Fundament einer Ehe bilden.“



    „Gibt es da etwa jemand anderen in deinem Herzen?“, fragte Tante Joanna weiter. Ich wollte schon „Roman“ antworten. Doch dann wurde mir bewusst, dass das jetzt auch keine Rolle mehr spielte. Ich liebte ihn zwar, aber er liebte mich nicht mehr. Darum hatte es keinen Sinn, meine Zukunftsplanung von ihm abhängig zu machen. Folglich schüttelte ich mit dem Kopf. „Na, dann ist doch alles in bester Ordnung, Klaudia. Heirate Francesco, lern ihn besser kennen und vielleicht sogar lieben. Ich kenne diesen Mann, er wird sich an euer Ehegelübte gebunden fühlen. Er wird dir ein sorgender und treuer Ehemann sein, was auch immer kommen mag. Für ein anderes Verhalten ist er zu rechtschaffen. Du wirst es nicht bereuen, ihn zu heiraten.“ Ich bewunderte Tante Joannas Vertrauen in Francesco und meine Zukunft. Und auf wundersame Weise ging dieses Vertrauen auch auf mich über. „In Ordnung, Tante Joanna, dann verfahren wir so weiter, wie es geplant war. Ich werde Francesco heiraten.“


    *****



    Als ich mein Zimmer gemeinsam mit Tante Joanna verließ, stellte ich überrascht fest, dass noch eine weitere Person anwesend war. Francesco stand im Raum und unterhielt sich mit meinem Vater und Magda. Er war in Begleitung einer Frau, die er mir später als seine Schwester Alexis vorstellte. Heute trug er nicht mehr den vornehmen Anzug vom gestrigen Abend, sondern war eher leger in Hemd und Weste gekleidet. Als er mich sah, erschien ein kaum merkliches Lächeln auf seinem Gesicht, und das, obwohl ich nicht so herausgeputzt war wie am gestrigen Abend. Konnte es sein, dass ihm mein jetziges Aussehen gefiel oder machte er sich lediglich erneut über mich lustig? Sogleich kam er auf mich zu und ergriff meine Hand. „Klaudia, ich hoffe, die Zeitungsanzeige hat dich nicht zu sehr verschreckt. Meine Mutter ist in diesen Dingen sehr…fokussiert.“ Nun, eigentlich hatte mich diese Anzeige bis ins Mark erschüttert. Aber das sagte ich Francesco nicht. Stattdessen tat ich so, als ob es nicht weiter schlimm gewesen wäre. Doch Francesco war noch aus einem weiteren Grund hergekommen außer sich bei mir zu entschuldigen.



    Denn auf einmal sank er vor mir auf die Knie. Ich hörte, wie ein aufgeregtes Raunen durch den Raum ging. „Klaudia, ich weiß, dass du dies schon gestern hättest bekommen müssen.“ Bei diesen Worten holte er eine kleine Schatulle aus seiner Hosentasche. „Aber vielleicht ist es dir und deiner Familie ja sogar ganz Recht, dass sie bei diesem Ereignis mit anwesend sein können.“



    Francesco öffnete die Schatulle und holte einen goldenen Ring mit einem auffälligen Diamanten heraus. Magda schnappte hörbar nach Luft bei diesem Anblick und selbst meine Mutter musste sich an der Schulter meines Bruders abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Francesco hielt den Ring zwischen zwei Fingern in die Höhe und sah mir tief in die Augen. „Klaudia Blech, ich frage dich erneut und im Beisein deiner Familie, ob du meine Frau werden willst.“



    Ich sah ihm in die eisblauen Augen, die mich schon bei unserer ersten Begegnung so fasziniert hatten. Was sah ich darin? War es Liebe? Vermutlich nicht. Aber dieser Blick gab mir das seltsame Vertrauen, dass ich mit ihm an der Seite alle Hindernisse im Leben würde meistern können. Also schob ich alle Bedenken beiseite und sagte „Ja“. Im Raum brach Applaus aus und ich konnte es gar nicht verhindern ehrlich zu lächeln, als Francesco mir den Ring an den Finger steckte. Ich würde seine Frau und damit Lady Hartfels von Rodaklippa werden. Es gab kein Zurück mehr, also beschloss ich nicht daran zu denken, was alles hätte sein können…mit Roman…, sondern mich stattdessen auf meine gemeinsame Zukunft mit Francesco zu freuen.

    Kapitel 40: Die Chance aufs Glück



    Francesco und ich tauschten die Erlebnisse unserer Reisen noch dann aus, als der Kellner-Koch den Nachtisch servierte und Francesco schließlich die Rechnung forderte. Wie Tante Joanne es angekündigt hatte, musste ich mich um nichts kümmern. Inzwischen war es schon spät geworden und die Sonne war längst untergegangen. Und als wir ins Freie traten, bemerkte ich auch, dass der Sommer tatsächlich fast vorbei war, denn ich begann leicht zu frösteln. „Ich werde mir jetzt besser ein Taxi rufen“, sagte ich daher. Nur lag mein Handy immer noch in der Cilia Gade, daher wollte ich zur Telefonzelle auf der anderen Straßenseite rübergehen. Aber da hatte Francesco schon sein Mobiltelefon in der Hand und bestellte mir ein Taxi.



    Es war selbstverständlich für ihn, so lange gemeinsam mit mir zu warten, bis das Taxi da war. Doch wie es schien, hatten wir die Geschichten über unsere Reiseabenteuer bereits erschöpft, und ich blickte verlegen auf meine Schuhe, um das Schweigen irgendwie zu überbrücken und mir Gedanken darüber zu machen, wie ich mich von Francesco verabschieden sollte. Doch dann war er es, der die Stille durchbrach. „Klaudia, wir wissen beide, weswegen wir heute Abend zusammen gekommen sind. Ihre Tante hat vorgeschlagen, dass ich Sie zur Frau nehmen solle, um ein Band zwischen unseren Familien zu schmieden, das über das Geschäftliche hinausgeht. Ich muss gestehen, ich habe den Abend in Ihrer Gesellschaft als sehr angenehm empfunden. Sie sind eine hübsche, ruhige Frau, die es versteht, sich nicht in den Vordergrund zu drängen. Alle dies sind Qualitäten, die ich an einer Frau sehr zu schätze weiß und die ich bei meiner Ehefrau dringend voraussetze. Daher bin ich gewillt, dass Angebot ihrer Tante anzunehmen. Und Sie, Klaudia, könnten auch Sie sich vorstellen, mich zum Mann zu nehmen?“



    Ich riss meine Augen überrascht auf. War das…war das etwa ein Heiratsantrag gewesen? Unsicher blickte ich zur Seite. Ja, Francesco hatte Recht, wir beide wussten ganz genau, weswegen wir heuet Abend zusammen gekommen waren. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, mich jetzt sofort entscheiden zu müssen. Aber war es nicht das, was ich immer wollte? Einen Ehemann, Kinder, eine Familie? Er bot mir in diesem Moment all das an. Was sprach also dagegen, es anzunehmen? Er war kultiviert, sah gut aus und offenbar war er auch noch reich. Konnte ich es überhaupt besser treffen? Aber auf der anderen Seite hatten wir nicht wirklich viel gemeinsam. Er hatte kaum Interesse an meiner Arbeit gezeigt, auf die ich doch so stolz war. Und dass er beim Essen einfach für mich entschieden hatte, lastete immer noch auf mir. Und obwohl er gut aussah hatte ich keine Schmetterlinge im Bauch. Doch waren das wirkliche Argumente gegen diese Ehe oder übermannte mich wieder einmal die Panik und ich versuchte verzweifelt einen Grund zu finden, um wie so oft fliehen zu können?



    Nein! Nicht diesmal. Ich würde nicht noch einmal davonlaufen und mir die Chance auf mein Glück verbauen. Ich würde Francesco noch besser kennenlernen…später…nach unserer Hochzeit. Und dann würden wir auch gemeinsam Interessen finden und schon bald wäre mein Bauch das reinste Schmetterlingshaus. „Ja, ich kann mir vorstellen, Ihre…deine Frau zu werden“, antwortete ich daher und blickte ihm vorsichtig in die Augen. Francesco kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. „Ich bin froh, das zu hören“, flüsterte er in mein Ohr. Ein Mann war froh, dass ich ihn heiraten wollte! Eigentlich hätte ich überglücklich sein müssen. Doch irgendwie…fühlte es sich nicht richtig an. Noch nicht. Ich musste einfach nur fest genug an mein Glück glauben.

    *****


    Doch meine Zuversicht schwand als ich Zuhause eintraf, das ungewohnte Haarband entfernte und das teure Kleid auszog. Mir wurde klar, dass ich mich wieder einmal hatte verkleiden lassen. Die Frau, die Francesco heute gesehen hat und die ihm offenbar auch gefiel, das war nicht wirklich ich gewesen. Das war die Frau, die meine Tante an diesem Abend aus mir gemacht hatte. Und je mehr ich über die Begegnung mit Francesco nachdachte, desto deutlich wurde mir, dass ich für ihn nichts empfand, ja, dass sein Benehmen mich teilweise sogar abgeschreckt hat. Konnte ich so einen Mann wirklich heiraten? Ich grübelte und grübelte über diese Frage nach und mit jeder Stunde die verstrich war ich eher dazu geneigt, diese Frage mit nein zu beantworten.



    Irgendwann fiel ich doch in einen unruhigen Schlaf. Als mich die durch mein Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen weckten, wusste ich immer noch nicht, wie ich jetzt vorgehen sollte. Daher entschloss ich mich erst einmal eine Runde zu joggen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich hatte das Training in den letzten Tagen ohnehin zu sehr schleifen lassen. Als ich die Schublade meiner Kommode aufzog, um meine Sportsachen rauszusuchen, fiel mein Blick auf mein Handy, welches ich nach meinem katastrophalen Date mit Roman aus Wut und Enttäuschung dort hineingeworfen hatte.



    Im Display leuchteten mehre Icons auf, die mich auf verpasste Anrufe und eingegangene Textnachrichten aufmerksam machen sollten. Ich griff hastig nach dem Handy und erstarrte, als ich sah, dass Roman angerufen hatte. Nicht nur einmal, sondern unzählige Male. Und er hatte mir Textnachrichten hinterlassen. „Klaudia, bitte melde dich.“ „Was immer ich getan habe, es tut mir leid.“ „Das war alles nur ein Missverständnis, lass uns in Ruhe über alles reden.“ „Klaudia, bitte, ich liebe dich!“



    „Klaudia, bitte, ich liebe dich!“ Ich las diese Nachricht immer und immer wieder und traute meinen Augen dennoch nicht. Roman liebte mich! Er liebte mich wirklich! Und er wollte mir verzeihen! Ich hatte doch nicht alles ruiniert. Und hätte ich mein Handy mit zu meinen Eltern genommen, dann hätten wir uns längst aussprechen können. Aber das änderte alles. Ich konnte Francesco nicht heiraten, denn ich liebte ihn nicht. Und ich würde es auch niemals können solange ich wusste, dass Roman mich liebte. Und ich liebte ihn auch.



    Sofort wählte ich Romans Nummer und wartete sehnsüchtig darauf, seine Stimme zu hören. Doch während ich auf das Freizeichen wartete wurde plötzlich die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen und Magda kam mit einer Zeitung in der Hand hereinstolziert. „Claude, du hinterhältiges Luder du!“, sagte sie grinsend. „Wie konntest du mir so etwas verheimlichen! Mir, deiner eigenen Cousine. Verlobt! Und das mit dem Lord von Rodaklippa! Ich fasse es einfach nicht, Claude. Und ich hatte mir Sorgen gemacht, dass du nach dem Fiasko mit Gernot und Israel in eine Depression verfallen würdest. Aber stattdessen angelst du dir den ganz dicken Fisch und gaukelst uns auch noch vor, mit irgendeinem Roman anzubändeln. Das war bestimmt, um die Journalisten zu verwirren. Sehr schlau, Claude, sehr schlau. Aber du hast ja auch von der Meisterin gelernt.“



    Was? Wie konnte Magda davon wissen, dass ich Francesco gestern gesagt hatte, dass ich ihn heiraten würde? Hatte es ihre Mutter ihr etwa gesagt? Aber warum redete sie dann vom Lord von Rodaklippa? Magda setzte sich auf meine Sessel und schlug das Titelplatt der Tageszeitung auf. Sofort erkannte ich ein großes Bild von mir und Francesco. Und die Schlagzeile lautete „Lord von Rodaklippa gibt Verlobung mit Großrundbesitzertochter bekannt“. Meine Augen weiteten sich vor Unglauben. Magda las indes den Artikel weiter laut vor. „Dem Hause Hartfels und der Lordschaft Rodaklippa steht eine feudale Hochzeit bevor. Wie der Sprecher der Familie mitteilte, haben sich Lord Wilhelm Francesco Hartfels von Rodaklippa (31) und Klaudia Virginia Blech (25) am gestrigen Abend verlobt. Die zukünftige Braut ist Tochter der Großgrundbesitzer Oxana und Dominik Blech, Eigentümern der Blech’schen Apfelplantagen, und darüber hinaus eine bekannte lokale Malerin. Das Paar kennt sich erst seit wenigen Wochen, doch beide seien sich sicher, diesen großen Schritt wagen zu wollen. Der genau Termin der Hochzeit steht noch nicht fest, aber es wird vermutet, dass sich das Paar im Frühjahr das Ja-Wort geben wird.“



    Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich, darum kam mir Francesco so bekannt vor. Er war der Lord von Rodaklippa! Nur das ich ihn sonst nur unter seinem ersten Vornamen Wilhelm kannte. Als ich damals zum Studieren nach Nantesim zog, war noch sein Vater Lord gewesen. Und nach meiner Rückkehr nach Rodaklippa hatte ich mich für die Lokalpolitik nicht sonderlich interessiert. Hätte ich bloß öfter die Lokalnachrichten geschaut, dann hätte ich sofort erkannt, war da vor mir saß. Kein Wunder das Francesco so grinsen musste, also ich ihn fragte, was er beruflich tat. Und er hat mit keinem Wort etwas verraten und sich sogar über meine Unwissenheit amüsiert. Aber warum wusste die Zeitung von unserem Vorhaben zu heiraten? Ich hatte doch vor wenigen Minuten noch den Entschluss gefasst Tante Joanne mitzuteilen, dass ich Francesco nicht heiraten wollte. Aber wie sollte ich jetzt noch einen Rückzieher machen, wenn es doch schon in die ganze Welt hinausposaunt worden war?



    Magda schien meine Bestürzung nicht zu bemerken. Stattdessen legte sie die Zeitung beiseite und nahm mich herzlich in den Arm. „Ich freue mich ja so für die, Claude. Lady Klaudia Hartfels von Rodaklippa. Hört sich das nicht wundervoll an? Du wirst eine echte Prinzessin, na ja…zumindest so etwas in der Art. Wer hätte das vor wenigen Monaten noch für möglich gehalten?“

    Kaptitel 39: Date mit einem Unbekannten



    In dieser Nacht blieb ich bei meinen Eltern. Inzwischen hatten sie das Gästezimmer ausgebaut, sodass ich einen festen Platz zum Schlafen hatte. Als ich alleine im Zimmer war, starrte ich zufrieden an die Decke. Ich würde heiraten! Ich würde tatsächlich heiraten! Heute Nachmittag hätte ich das noch nicht für möglich gehalten. Die Aussicht auf eine baldige Hochzeit hatte alle trüben Gedanken und den Schmerz bei der Erinnerung an Roman verdrängt. Als meine Mutter in das Zimmer kam fürchtete ich kurz, sie wolle mir die arrangieret Hochzeit doch noch ausreden. Doch sie hatte ein anderes Anliegen auf dem Herzen. „Wie sollen wir das bloß deinem Vater erklären?“, fragte sie nachdem sie den Stuhl ans Bett geschoben und sich gesetzt hatte.



    Über Papa hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mit einer arrangierten Hochzeit nicht einverstanden gewesen wäre. Und meine Mutter wusste das auch. „Ich will ihn nicht anlügen müssen“, gestand sie. Doch darüber wollte ich mir keine Gedanken machen. Zumindest noch nicht. Erst einmal wollte ich diesen Mann kennenlernen, den Tante Joanna für mich ausgesucht hat. Und wenn ich wirklich bereit war, ihn zu heiraten, dann würde ich auch einen Weg finden, es meinem Vater zu erklären. Und wer weiß, vielleicht würde ich mich im ersten Augenblick unsterblich in diesen Mann verlieben? In diesem Fall gäbe es überhaupt kein Problem und ich könnte Papa erklären, dass ich die Liebe meines Lebens gefunden hatte.


    *****



    Ich schlief erstaunlich tief und gut in dieser Nacht. Und als ich am Morgen erwachte, hatte sich nichts an meiner Entscheidung geändert, das Angebot meiner Tante, eine Ehe für mich zu arrangieren, anzunehmen.



    Bestärkt wurde ich in meiner Entscheidung zusätzlich dadurch, dass Mama nicht noch einmal versuchte, mir die Sache auszureden. Beim Frühstück mit meinem kleinen Bruder Sky wirkte sie zwar mürrischer als sonst, aber darüber hinaus kamen keine Einwände mehr von ihrer Seite. Offenbar hatte sie eingesehen, wie glücklich es mich machen würde, zu heiraten und eine Familie zu gründen, auch wenn es auf eine ehr unorthodoxe Art und Weise erfolgte.


    *****



    Daher rief ich kurz darauf bei Tante Joanna an und teilte ihr meine Entscheidung mit. Wenige Minuten später rief sie zurück und verkündete, dass ich meinen zukünftigen Ehemann noch am heutigen Abend kennenlernen würde. Anschließend kam sie zu meinen Eltern und half mir dabei, mich für den Abend vorzubereiten. „Ich habe dieses Kleid für dich rausgesucht“, erklärte sie und hielt ein teuer aussehendes Cocktailkleid aus einem goldglänzenden Stoff hoch. Nachdem ich mich umgezogen hatte, half sie mir noch dabei, meine Haare herzurichten und legte mir zum Abschluss ein Haarband an, welches meine Mähne im Zaun halten sollte.



    Offenbar war Tante Joanna zufrieden mit dem was sie sah. Und ich…ich fühlte mich fast wie eine Prinzessin. „Das Taxi wird gleich hier sein, um dich zu den Restaurant zu fahren, wo dein möglicher Verlobter, Francesco, auf dich warten wird“, erklärte sie. „Es wird für alles gesorgt sein, du musst dich also um nichts weiter kümmern. Solltest du nach diesem Treffen feststellen, dass du Francesco nicht heiraten kannst oder willst, dann brauchst du es nur zu sagen. Ich werde dich zu nichts drängen. Aber heute ist deine letzet Chance, um noch einen Rückzieher zu machen.“ Ich hatte verstanden und nickte.



    Mit klopfendem Herzen stieg ich in das Taxi, das vor dem Haus meiner Eltern wartete. Wie würde der Mann wohl sein, denn Tante Joanna für mich ausgesucht hat? Ob er mir gefallen würde? Und würde auch ich ihm gefallen? Ich war furchtbar aufgeregt. Mama war mir in dieser Situation leider keine große Hilfe, denn statt mich zum Abschied in den Arm zu nehmen und mir Mut zuzusprechen, beobachtete sie nur schweigen und mit finsterer Miene, wie ich in das Auto stieg. Die Fahrt ging zu dem gleichen Gebäude, in dem sich auch das chinesische Restaurant befand, in dem ich mich mit Roman getroffen hatte. Ob das ein schlechtes Zeichen war? Aber immerhin würden wir nicht genau dort, sondern in einem anderen Restaurant eine Etage höher essen. Als ich eintraf, war von meinem zukünftigen Verloben noch weit und breit nichts zu erkennen. Ich stellte mich also vor das Schaufenster des Antiquitätenhändlers und beobachtete jeden Mann genau, der vorbeikam. Doch keiner schien mich auch nur wahrzunehmen. Keiner, bis auf einen großen, dunkelhaarigen Mann im schwarzen Anzug, der zielstrebig auf mich zuschritt. „Guten Abend“, begrüßte er mich mit fester Stimme. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass es sich bei Ihnen um Fräulein Blech handelt?“



    „Ja…ja genau“, begann ich zu stottern. „Ich bin Klaudia, Klaudia Blech.“ Der Mann kam noch einen Schritt auf mich zu, wobei er mir tief in die Augen blickte. Dann nahm er meine Hand und führte sie an seine Lippen. „Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Francesco“, stellte er sich vor, als er meine Hand wieder losließ. „Ich möchte betonen, dass sie bezaubernd aussehen“, fuhr er fort. Die Schamesröte schoss mir unausweichlich in die Wangen bei diesem Kompliment. Aber ich konnte nicht behaupten, dass ich es nicht gerne gehört hätte.



    „Wir sollten am besten direkt hinauf ins Restaurant gehen“, schlug Francesco anschließend vor und ich nickte zaghaft. Galant hielt er mir die Tür auf und ließ mir den Vortritt beim Betreten des Gebäudes und auf dem Weg die Treppe hinauf. Obwohl ich schon oft im Antiquitätenladen eingekauft und im Chinarestaurant gegessen hatte, war mir das Restaurant in der oberen Etage völlig unbekannt. Und als wir es betraten, wurde mir auch klar weshalb. Es war sehr edel eingerichtet, mit hochwertigen Seidentapeten und dunkler Holzvertäfelung an den Wänden, schweren Vorhängen an den Fenstern und strahlendweißen Damastdecken auf den Tischen. Ich war mir sicher, dass ich mir ein Essen hier normalerweise nicht hätte leisten können. Francesco geleitete mich zu einem Tisch in der Mitte des Raumes und rückte mir den Stuhl zurecht, als ich mich setzte.



    An der Rückwand des Raumes war ein großer Kamin installiert, in dem ein prasselndes Feuer loderte. Als ich mich umsah fiel mir auf, dass außer Francesco und mir niemand sonst im Restaurant anwesend war. Die übrigen Tische waren alle leer, was mir etwas ungewöhnlich erschien. Es war zwar noch früh am Abend, aber ein paar Leute würden bestimmt dennoch schon ausgehen. Hatte Tante Joanna das so arrangiert? Francesco riss mich aus meinen Gedanken, als er das Wort an mich richtete: „Ihre Tante erwähnte, dass Sie Malerin sind? Sie sollen auch recht erfolgreich sein.“ Ich war froh, dass wir ins Gespräch kamen und nickte eifrig. „Ja, erst vor einigen Wochen hatte ich eine Ausstellung mit Landschaftsbildern in der örtlichen Galerie. Demnächst sollen einige meiner Bilder sogar in einer Galerie in SimCity ausgestellt werden. Ich bin schon richtig aufgeregt deswegen.“



    „Nun, ich bin sicher, dass die Ausstellung ein Erfolg wird“, erwiderte Francesco knapp und verstummte danach wieder. Und schon war unser Gespräch beendet. Das war zwar schade, aber in diesem Moment nicht allzu schlimm. Denn so konnte ich ganz in Ruhe den Mann begutachten, der vor mir saß. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass Tante Joanna mir einen so ansehnlichen Mann präsentieren würde. Insbesondere Francescos eisblaue Augen in Kombination mit den dunklen Haaren hatten mich vom ersten Augenblick an in ihren Bann gezogen. Für einen Moment drängte sich mir die Frage auf, warum solch ein gutaussehender Mann auf eine arrangieret Ehe angewiesen war. Doch dieser Gedanke wurde von dem starken Gefühl verdrängt, dass ich ihn von irgendwoher kannte.



    „Kann es sein, dass wir uns schön einmal begegnet sind?“, fragte ich ihn daher, weil mich das Gefühl nicht mehr loslassen wollte. „Sie kommen mir so vertraut vor.“ Francesco legte den Kopf leicht zur Seite und zog die Augenbrauen zusammen. Und dann meinte ich, dass sich seine Wundwinkel kurz zu einem spöttischen Lächeln verzogen hätten. Doch das hatte ich mir sicher nur eingebildet. „Wir sind uns sicher schon das ein oder andere Mal zuvor auf der Straße über den Weg gelaufen“, erwiderte er nach einer kurzen Pause. „Immerhin ist Rodaklippa nicht groß und wir leben beide hier. Ich bin mir aber sicher, dass wir uns nie vorgestellt worden sind. Aber nun haben wir genug geredet. Wir sollten jetzt bestellen.“



    Nun, wirklich viel hatten wir ja noch nicht gerade geredet. Aber da er die Karte aufschlug, die auf dem Tisch vor ihm lag, tat ich es ihm gleich. Ein Blick auf die Preisliste reichte um mich schwindelig zu machen. Tante Joanna hatte mir zwar versichert, dass ich heute eingeladen würde, aber ich fühlte mich dadurch nur noch mehr dazu gedrängt, etwas besonders günstiges auszuwählen. Erschwerend kam hinzu, dass die gesamte Karte auf Französisch verfasst war. Das ein oder andere Wort kam mir vertraut vor, doch ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich mir unter Cuisse de poularde et sa sauce au champagne et riz aux légumes oder Duo de saumon et de sandre avec sa mousse au Pernod vorstellen sollte. Und ich wollte auch nicht fragen, um vor Francesco dumm da zustehen. Aber halt, das kannte ich: Coq au vin!



    Ich war noch damit beschäftigt, die Karte nach weiteren vertrauten Gerichten abzusuchen, als ein Mann an unseren Tisch trat. „Haben die Herrschaften bereits gewählt?“, fragte er höflich. Ich schaute von der Karte auf und war überrascht, statt eines Kellners einen Koch vor mir stehen zu sehen. Da er mich erwartungsvoll anblickte, wollte ich ihm gerade mittteilen, dass ich notgedrungen den Coq au vin bestellen wolle, als mir Francesco ins Wort fiel.



    „Wir nehmen beide den Hummer mit Kürbis und Ragout aus Jakobsmuscheln, Jacques. Und als Vorspeise die klare Suppe mit Zanderklößchen.“ Hummer? Jakobsmuscheln? Aber ich wollte doch das Hähnchen! Mein Mund bewegte sich protestierende, doch wie so oft brachte ich keinen Ton hervor. Und da Francesco nicht einmal in meine Richtung blickte, bemerkte er meinen stummen Protest nicht. Und auch der Kellner-Koch schien ihn nicht zu bemerken oder ignorierte ihn einfach. Stattdessen notierte er Francescos Bestellung in seinem kleinen Block. Für ihn schien ich auf einmal Luft zu sein. „Soll ich dazu wie üblich den Le Bosc Chardonnay-Sauvignon reichen?“, fragte er Francesco weiter und dieser bestätigte mit einem Kopfnicken. Und als keine weiteren Wünsche geäußert wurden, verabschiedete sich der Kellner-Koch mit einer knappen Verbeugung und verließ den Raum.



    Ich fühlte mich gekränkt dadurch, dass Francesco einfach für uns beide bestellt hatte, ohne auch nur einmal zu fragen, was ich essen wollte oder sich wenigstens zu versichern, dass ich mit seiner Wahl einverstanden war. Aber andererseits hatte es den Anschein, als ob er wohl öfters zu Gast in diesem Restaurant war. Immerhin kannte er sogar den Namen des Kellner-Kochs. Vielleicht wusste er daher ganz genau, welche Speisen besonders zu empfehlen waren? Ich versuchte, diesem Verhalten keine zu große Bedeutung beizumessen. Doch da wir uns die meiste Zeit anschwiegen, während wir auf das Essen warteten, war es nicht gerade einfach, nichts ins Grübeln zu verfallen. Ich war daher sehr froh, als die Tür aufschwang und der Kellner-Koch mit einer Serviertellerglocke in der Hand den Raum betrat.



    Die Suppe mit den Zanderklößchen war köstlich, doch dann wurde der Hummer serviert, vor dem ich mich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte. Ich mochte Hummerfleisch, so war es nicht, aber bislang hatte ich es noch nie selbst aus der Schale herausholen müssen. Ich erinnerte mich noch zu deutlich daran, wie ich vor einigen Jahren im Familienurlaub in Spanien eine Garnele aus ihrer Schale befreien wollte und dabei meine ganze Bluse mit dem roten Saft einsaute. Aus diesem Grund hätte ich von mir aus niemals einen Hummer geordert. Ich wollte doch einen guten Eindruck bei Francesco hinterlassen. Aber es half ja nichts, der Hummer stand vor mir und ich musste ihn essen. Also nahm ich meine Gabel und begann meinen Kampf mit dem Krustentier, in der Hoffnung, dass Francesco nicht ganz so aufmerksam hinsehen würde.



    Um von meinem Ungeschick abzulenken, versuchte ich noch einmal ein Gespräch mit Francesco zu beginnen. „Sie haben noch gar nicht erzählt, was Sie beruflich tun.“ Da war es doch wieder, dieses spöttische Lächeln! Doch dann begann Francesco tatsächlich zu erzählen. „Ich beschäftige mich mit dem Im- und Export von Weinen. Meiner Familie gehört schon seit Jahrzehnten ein Weinberg hier in Rodaklippa, so bin ich auf dieses Geschäft gekommen. Um den Anbau und die Herstellung des Weines kümmern sich meine Mutter und meine jüngere Schwester. Ich habe es mir hingegen zum Ziel gesetzt unseren eigenen Wein, aber auch andere Weine der Region, in der ganzen Welt bekannt zu machen.“ Ich wusste nicht, ob es an dem Glas Wein zuzuschreiben war, welches Francesco zum Essen getrunken hatte, aber auf einmal wurde er richtig redselig. Er begann von seinen Geschäftsreisen in die ganze Welt zu erzählen, um neue Absatzmärkte für den Wein seiner Familie zu erschließen und im Gegenzug den ein oder anderen guten Tropfen in die SimNation einzuführen.



    Und auf einmal unterhielten wir uns richtig gut. Francesco wusste jede Menge Anekdoten von allen fünf Kontinenten zu erzählen. Und ich erzählte ihm von den Reisen, die ich als junges Mädchen mit meinen Eltern unternommen hatte, und natürlich von meiner jüngsten Reise mit Magda nach China. Das war vielleicht nicht ganz so aufregend, wie das was er schon erlebt hatte, aber er lauschte meinen Erzählungen dennoch aufmerksam.

    Kapitel 38: Ein unmoralisches Angebot



    Es gab nur eine Person die mich in dieser Situation trösten konnte und das war meine Mama. Ich musste jetzt zu ihr. Also eilte ich mit tränenverschmierten Gesicht zu meinem rostigen Fahrrad und fuhr hinaus in den ländlichen Randbezirk von Rodaklippa. Schon als ich das Haus meiner Eltern in weiter Ferne oben auf dem Hügel erblickte, wurde mir etwas leichter ums Herz.



    Die Tür zu meinem Elternhaus war wie so oft einen Spalt weit geöffnet, sodass ich einfach hinein gehen konnte. Ich wollte gerade nach meiner Mutter rufen, als ich ihre Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte. „Nein, das kannst du nicht machen“, hörte ich Mama aufgebracht einwenden. „Ich verbiete es!“ Daraufhin antwortete eine weitere Frauenstimme: „Aber ich will ihr doch nicht schaden, Xana. Klaudia ist doch auch meine Nichte.“ Die Stimme gehörte eindeutig zu Tante Joanna. Ich wusste gar nicht, dass sie in der Stadt war. Aber viel neugieriger machte es mich, warum meine Mutter mit ihrer Zwillingsschwester über mich in Streit geraten war. Lautlos schlich ich mich zur Tür und spähte ins Wohnzimmer.



    Die beiden waren so in ihren Disput vertieft, dass sie mich nicht bemerkten. „Es tut mir leid, wenn ich an deinen guten Absichten manchmal so meine Zweifel habe, Jojo“, antworte meine Mutter. „Ich habe dir zwar schon vor langer Zeit verziehen, aber ich habe dennoch nicht vergessen, in welche Gefahr du mich mit deinen Machenschaften damals in Samara gebracht hast. Also vergib mir, wenn ich dir nicht abkaufe, dass du diesmal keine Hintergedanken hast. Aber selbst wenn, Klaudia ist mein Tochter und ich werde nicht zulassen, dass du sie an irgendeinen deiner Geschäftspartner verschacherst.“



    Tante Joanna erwiderte empört: „Du tust ja gerade so, als ob ich sie auf einem Basar an den Höchstbietenden verkaufen wollte. Aber glaub mir Schwester, dem ist gewiss nicht so. Der Mann den ich für Klaudia ausgesucht habe, gehört zu einer sehr angesehenen Familie. Ich habe ihn gründlich durchleuchten lassen und er hat sich nichts Verwerfliches zu schulde kommen lassen. Und wenn es dich beruhigt, er ist auch nicht in meine Geschäfte involviert. Ich gebe zu, die Verbindung seiner und unserer Familie würde durchaus zu meinem Vorteil sein, aber diese Verbindung wäre auch sehr Vorteilhaft für Klaudia. Und es ist nicht so, dass ich Klaudia zu etwas zwingen will. Ich wollte nur zuerst mit dir, ihrer Mutter, sprechen, bevor ich selbst auf sie zugehe.“



    „Wenn dieser Mann eine so gute Partie ist, warum willst du dann nicht deine eigene Tochter mit ihm verheiraten, Jojo? Warum musst du da mein kleines Mädchen mit hineinziehen?“ Meine Mutter redete sich immer weiter in Rage, doch Tante Joanna hatte nur ein müdes Lächeln dafür übrig. „Ach, Xana, du kennst doch Magda. Wie lange glaubst du würde diese Ehe gut gehen? Ich will unsere beiden Familien zusammenbringen und ich fürchte Magda würde leider allzu schnell dafür sorgen, dass ein unüberwindbarer Graben zwischen uns entsteht. Und damit wäre niemandem geholfen. Nein, deine ruhige, zurückhaltende Tochter Klaudia ist die ideale Wahl.“



    „Aber sie ist doch mein kleines Mädchen“, schluchzte meine Mutter. „Egal wie angesehen die Familie auch sein mag, Klaudia sollte nur aus Liebe heiraten. Ich selbst war jahrelang in einer Ehe ohne Liebe gefangen und habe darunter furchtbar gelitten. Und auch mein Mann hat darunter gelitten. Ich will nicht, dass es meinem Spatz ebenso ergeht.“ „Aber mit der Zeit ist Dominik zur Liebe deines Lebens geworden, willst du das etwa abstreiten, Xana?“, warf Tante Joanna ein. „Wer sagt denn, dass es Klaudia nicht ebenso ergehen wird?“



    Doch meine Mutter wollte davon nichts hören. Aufgebracht sprang sie vom Sofa auf. „Nein, Jojo, nein! Es kommt einfach nicht in Frage. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter. Klaudia wird nicht verheiratet. Und das ist mein letztes Wort. Sie wird ganz von selbst einen Mann finden, den sie liebt. Und diesen Mann wird sie dann vielleicht auch heiraten. Aber ganz bestimmt nicht irgendeinen Typen, den du für sie ausgesucht hast. Basta!“



    „Und was ist, wenn ich diesen Typen gerne kennenlernen würde?“ Überrascht drehten meine Mutter und Tante den Kopf zur Wohnzimmertür, durch die ich gerade geschritten war. Auf dem Gesicht meiner Mutter war blankes Entsetzen zu erkenne. „Klaudia, Spätzchen, wie lange hast du uns schon zugehört?“ Meine Tante hingegen lächelte lediglich, amüsiert über die plötzliche Wendung der Situation. „Lang genug, Mami, um zu verstehen, dass Tante Joanna mich mit einem ihrer Geschäftspartner verheiraten möchte. Und ich…ich bin damit einverstanden.“



    Das Entsetzen im Gesicht meiner Mutter wurde noch größer und einen Moment glaubte ich, sie würde ihn Ohnmacht fallen. Doch sie wankte nur kurz und eilte dann schnell auf mich zu. „Spätzchen, das kannst du nicht ernst meinen. Allein der Gedanke ist schon absurd.“ Doch ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen. Natürlich hatte mich der Gedanke, verheiratet zu werden zunächst schockiert. Doch als ich darüber nachdachte, konnte das genau die Lösung all meiner Probleme bedeuten. „Mami, verstehst du denn nicht, dass das die einzige Chance für mich sein könnte zu heiraten? Ich würde endlich all das bekommen, was ich mir schon immer gewünscht habe. Einen Mann, Kinder, eine richtige Familie.“ „Aber das kannst du doch alles haben, ohne dass dir deine Tante einen Mann vorsetzen muss!“



    Aber genau da irrte sich meine Mutter und ich musste es ihr begreiflich machen. „Bis zu meinem 24. Lebensjahr hat mich kein Mann angesehen, geschweige denn geküsst. Ich dachte, es läge nur daran, dass ich hässlich bin. Aber selbst als ich schlank und hübsch wurde, hatte ich kein Glück mit den Männern. Und inzwischen habe ich begriffen, dass das an meinem Wesen liegt. Ich bin einfach zu schüchtern und zu ängstlich, Mama. Ich habe es wirklich versucht, doch ich komme mit den Ungewissheiten, die eine neue Beziehung mit sich bringt einfach nicht zurecht. Ich bekomme Angst und möchte nur noch fliehen und damit mache ich immer alles kaputt. Und sag jetzt bitte nicht, dass ich noch jung bin und viele Männer treffen werde. Denn das stimmt einfach nicht. Selbst jetzt bin ich keine Sexbombe, nach der sich die Männer umdrehen. Und mit jedem weiteren Tag der vergeht, setze ich mich mehr und mehr unter Druck endlich den Mann fürs Leben zu finden. Und wenn ich ihn dann vermeidlich gefunden habe, lähmt meine innere Angst mich und macht alle Hoffnungen zunichte. Aber wenn diesmal Tante Joanna mir den Mann aussucht und für uns beide klar ist, worauf es hinauslaufen wird, dann könnte es klappen, Mama. Ich fühle es. Kannst du das nicht auch sehen?“



    Diese Worte brachten meine Mutter zum verstummen. Doch in ihren Augen sah ich, dass sie meine Entscheidung nicht guthieß. Nun erhob sich auch Tante Joanna aus ihrem Sessel. „Es war zwar nicht geplant, dass du auf diese Weise davon erfährst, aber nun müssen wir die Dinge nehmen, wie sie kommen. Und ich bin froh, dass du meinen Vorschlag annehmen willst. Doch du musst dir sicher sein. Ein Rückzieher würde mich und unsere Familie in einem sehr schlechten Licht dastehen lassen.“ Ich nickte. „Das heißt aber keinesfalls, dass du den Mann ungesehen heiraten musst. Wir werden ein Treffen vereinbaren, wo du ihn kennenlernen kannst. Nach diesem Treffen kannst du immer noch die Reißleine ziehen. Tust du dies allerdings nicht, gibt es kein Zurück mehr. Das ist kein Spiel, Klaudia.“



    Ich verstand. „Für mich ist es auch kein Spiel, Tante Joanna. Es ist die Möglichkeit, mir endlich meine Träume zu erfüllen.“ Meine Tante nickte zufrieden. „Schlaf noch mal in Ruhe darüber“, bat sie mich. „Morgen früh rufst du mich dann an, und wenn du es immer noch willst, werde ich alles in die Wege leiten und das Treffen arrangieren. Und ich werde auch nicht böse sein, wenn du morgen deine Meinung geändert haben solltest. Aber vertrau mir, ich habe dir einen guten Mann ausgesucht.“ Tante Joanna drückte meine Hand, verabschiedete sich von meiner zur Salzsäule erstarrten Mutter mit einem Wangenkuss und fuhr in ihr Hotel.

    @FastForward


    Ja, in Beziehungsdingen verhält sich Klaudia manchmal wie eine Dreizehnjährige. :rolleyes Was Romans Verhalten betrifft, so dürfen wir nicht vergessen, dass wir die Geschichte aus Klaudias Sicht miterleben. Wenn wir sie aus seiner Sicht gesehen hätten, dann hätte er ihr höfflich und voller Vorfreude angeboten, die Nacht gemeinsam zu verbringen. Das er dabei gerne mit ihr geschlafen hätte trifft aber sicher zu. Aber wie gesagt, er hätte gerne, er bestand gar nicht darauf. Hätte Klaudia ihm ganz ruhig gesagt, dass sie noch etwas mehr Zeit braucht, er hätte sie ihr ohne Widerspruch gegeben. Womit er nicht klar kommt, ist Klaudias panische und absolut ablehende Haltung ohne jede Erklärung. Sie sagt: "Ich will nicht mit dir schlafen". Sie sagt nicht "jetzt" oder "noch nicht". Für ihn muss es sich anhören, als ob sie es nie wollen würde und das verletzt ihn...den er hat sich wirklich in sie verliebt.