Kapitel 74: Unerwarteter Inhalt
Die letzten Tage unserer Ägyptenreise verbrachte ich in diversen Museen, während Francesco bei jedem seiner Geschäftstreffen zwei neue zu vereinbaren schien. Doch schließlich ging es für uns zurück in die SimNation. Wir hatten einen Direktflug nach Simnorsk gebucht. Der Flieger landete pünktlich und bis nach Rodaklippa war es mit einem Kleinflugzeug nicht mehr weit.
Francesco holte unser Gepäck von Kofferband herunter. Und mit dem vollgepackten Kofferwagen fuhren wir an den Zollbeamten vorbei in Richtung Ausgang, um uns in der Abflughalle mit dem Piloten zu treffen, der uns nach Rodaklippa weiterfliegen sollte.
Wir hatten nichts dabei, was verzollt werden musste. Weder Francesco noch ich waren große Einkäufer. Daher nickten wir den Zollbeamten nur knapp zu, die uns aber offenbar umgehen erkannten und sich ehrfürchtig verbeugten und uns mit den Worten „Lady Hartfels, Lord Hartfels, willkommen in Simnorsk“ begrüßten. Wir waren fast schon an den beiden Beamten vorbei, als ein Spürhund unter einem der Tische hervorgeschossen kam und wie wild einen unserer Koffer, meinen Koffer, anbellte.
„Otis, aus!“, rief einer der beiden Zollbeamten. Der Hund hörte zwar augenblicklich auf das Kommando und blieb stumm, aber er hatte das Interesse an meinem Koffer dennoch nicht verloren und kratzte mit der Vorderpfote daran herum. Verwunderten blickten Francesco und ich zu den Zollbeamten, die sich gegenseitig hilflos anblickten. Doch dann fasst der rechte der beiden sich wieder. „Lord Hartfels, unser Otis hat in ihrem Koffer etwas aufgespürt. Wahrscheinlich ist es falscher Alarm, aber wir sind dennoch verpflichtet, der Sache nachzugehen.“
Ich schrieb es dem langen Flug zu, dass Francesco in diesem Augenblick nicht sehr einsichtig reagierte. „Wenn sie ohnehin nicht erwarten, etwas zu finden, dann können wir uns den ganzen Aufwand ja sparen“, erwiderte er kurz angebunden. Doch der Zollbeamte bestand auf die Kontrolle. „Lord Hartfels, wir sind dazu nun einmal verpflichtet. Das müssen sie doch verstehen.“ Doch das tat Francesco nicht. Verärgert ging er auf den Zollbeamten zu. „Ihnen ist schon klar, Herr…“, er las das Namensschild des jungen Mannes, „…Silbermann, dass ich eine Beschwerde bei ihrem Vorgesetzten wegen dieses Vorfalls einlegen werde. Danach werden sie in Zukunft nur noch die zurückgelassenen Koffer ins Lager tragen dürfen.“ Francesco Tonfall machte deutlich, dass er keine leeren Drohungen machte. Der zweite Zollbeamte begann nervös zu werden. „Komm schon, Thor, lassen wir es dieses eine Mal gut sein“, redete er auf seinen Kollegen und rieb sich nervös die Wange. „Ich bin mir sicher, dass mit Lord Hartfels‘ Koffer alles in Ordnung ist.“
Thor Silbermann war fast bereit, seinem Kollegen zuzustimmen, als ich zu Francesco und den beiden Zollbeamten herüber trat. Ich stellte mich hinter Francesco und legte besänftigend meine Hand auf den Oberarm meines Mannes. Halb an Francesco, halb an die beiden Zollbeamten gewandt begann ich zu sprechen. „Francesco, die beiden machen doch nur ihre Arbeit. Wir lassen sie kurz in meinen Koffer blicken. Es wird nur ein paar Minuten dauern und dann können wir unsere Weiterreise antreten. Und in ein paar Tagen wird uns der ganze Vorfall wie eine lustige Anekdote erscheinen.“ Mir taten die beiden Zollbeamten einfach so leid und ich wollte auf keinen Fall, dass sie Ärger bekamen, wenn herauskommen sollte, dass sie einem Verdacht nicht nachgegangen waren. Mit einem Grummeln stimmte Francesco mir schließlich zu und ich sah deutlich die Dankbarkeit in den Gesichtern der beiden Zollbeamten.
Wir gingen hinüber in ein Hinterzimmer, um vor den neugierigen Blicken der übrigen Passagiere geschützt zu sein. Die Zollbeamten stellten den Koffer auf einen Tisch in der Mitte des Raumes und öffneten ihn. Etwas unangenehm war es mir schon, dass diese beiden Fremden in meinen getragenen Kleidern herumwühlten, aber ich erkannte schnell, dass es ihnen nicht viel anders erging. Dann entdeckten sie das Geschenk, welches ich von sayyida Mena für meine Tante Joanna mitgebracht hatte. Kaum hatte sie es in der Hand, da begann auch Otis wieder zu bellen. Ganz offenbar war das der Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte. „Würden Sie uns bitte sagen, was sich im Inneren dieses Päckchens befindet?“, verlangte der Zollbeamte Al-Tair freundlich aber bestimmt zu erfahren.
„Ich weiß es leider nicht“, musste ich kleinlaut eingestehen. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. So musste ich den beiden aber erklären, wie ich zu dem Geschenk gekommen war. „Ich bin nicht auf die Idee gekommen zu fragen, was der Inhalt des Päckchens ist. Jetzt ist mir klar, dass ich das unbedingt hätte tun sollen.“ „In dem Fall werden wir das Geschenk öffnen müssen.“ Ich stimmte zu und beobachtete herzklopfend, wie die beiden Männer vorsichtig die Schleife lösten, das Geschenkpapier abnahmen und den Karton öffneten.
Vorsichtig blickten sie hinein. Ich sah, wie sich ihre Augenbrauen zusammenzogen. Dann holten sie eine Packung mit ägyptischen Süßigkeiten hervor. Und dann noch eine und noch eine. Und dann begannen beide plötzlich zu lachen und zogen einen Packung mit Hundekeksen hervor. Eine aufgeplatzte Packung mit Hundekeksen! Kaum hatte Herr Silbermann sie in der Hand, begann Otis wie wild herumzuspringen und zu bellen. Und sein Schwanzwedeln machte deutlich, dass er sich sehr darüber freute, was seine beiden Kollegen vom Zoll da gefunden hatten.
„Du bis aber ein ganz Verfressener, was Otis?“, fragte Herr Silbermann den Spürhund lachend um gab ihm einen der Hundekekse zu fressen, die dieser sofort gierig verschlang. Dann wurden er und sein Kollege wieder ernster. „Lady Hartfels, Lord Hartfels, es tut uns sehr leid, dass wir ihnen unnötigerweise Unannehmlichkeiten bereitet haben. Otis ist erst seit kurzem beim Zoll tätig. Offenbar muss er ein paar seiner Lektionen noch einmal wiederholen. Wir hoffen sehr dass sie verstehen, dass wir nur unser Arbeit getan haben.“ Das taten wir. Nun, zumindest ich tat es. Bei Francesco war ich mir nicht so sicher. Die Zollbeamten halfen mir dabei, meinen Koffer wieder einzuräumen und dann konnten Francesco und ich endlich die Heimreise antreten.
*****
Noch am selben Wochenende kam Tante Joanna wieder bei uns vorbei. Ich erfuhr alle Neuigkeiten von Magdas Schwangerschaft und im Gegenzug berichtete ich meiner Tante von meinen Erlebnissen in Ägypten. Da sie sich diesmal rechtzeitig angekündigt hatte, hatte ich auch ein Mittagessen vorbereiten können.
Und nach dem Essen übergab ich meiner Tante dann das Geschenk ihrer Freundin. Ich hatte es so gut wieder eingepackt, wie es mir möglich war. Zum Glück waren die beiden Zollbeamten sehr vorsichtig mit der Verpackung umgegangen. Natürlich verschwieg ich den Zwischenfall am Flughafen nicht. Und zu meiner Erleichterung fand meine Tante die Geschichte urkomisch. Und dass ihrem Mops Toto nun ein paar Leckerlies entgehen würden, das konnte sie gerade noch so verkraften. Nein, sie war mir sehr dankbar, dass ich das Geschenk für sie überbracht hatte. Und als sie hörte, dass ich einem Monat mit Francesco nach Frankreich fliegen würde, fiel ihr wieder eine Bekannte ein, der ich vielleicht eine Kleinigkeit mitbringen konnte. Wie hätte ich meiner Tante solch eine Bitte abschlagen können?
Nach etwa zwei Stunden verabschiedete sich Tante Joanna von uns und fuhr mit ihrem Jaguar zurück nach SimCity. Doch sie fuhr nicht direkt zu ihrem Haus, sondern hielt am Verwaltungsgebäude der SkyMeal. Nach außen hin war die SkyMeal ein ganz normales Cateringunternehmen für den Luftverkehr. Doch was ich nicht wusste, was ich nicht einmal ahnte war, dass die SkyMeal lediglich eine Deckfirma für Tante Joannas mafiaähnliche Verbrecherorganisation war. Sie war der Kopf von Justice, die Patin von SimCity. Und ich war unbewusst zu ihrer Hehlerin geworden. Im Hauptquartier angekommen öffnete sie das Geschenk von ihrer Geschäftspartnerin sayyida Mena. Die Süßigkeiten und auch die Hundkekse waren ihr vollkommen gleichgültig und landeten umgehend im Müll. Diese klebrigen, honiggetränkten arabischen Süßigkeiten konnte sie noch nie ausstehen. Nein, das was sie wollte, steckte im Boden der Verpackungen. Innerhalb des Kartons waren sie versteckt: Diamanten. 35 makellose Diamanten jeweils in der Größe einer Erbse. Möglicherweise waren waren es Blutdiamanten. Wahrscheinlich waren es Blutdiamanten. Aber das spielte keine Rolle solange sie jetzt Donna Joanna gehörten.
Gedanken:
Eigentlich hatte ich alles, was ich mir immer gewünscht hatte. Ich hatte eine eigene Familie. Ich hatte einen Ehemann und eine wundervolle Tochter. Und darüber hinaus war ich auch noch zur Lady von Rodaklippa aufgestiegen. Eigentlich war es wie im Traum. Eigentlich.
Denn in Wahrheit war ich nicht glücklich. Zumindest nicht so glücklich, wie man es hätte erwarten sollen. Und der Grund dafür war, dass meine Ehe eine Ehe ohne Liebe war. Mein Mann Francesco liebte mich nicht und damit kam ich nur schwerlich zurecht. Aber was hatte ich von einer arrangierten Ehe auch erwartet? Nun, leider viel mehr, als ich am Ende bekommen hatte.
Trotz aller Warnungen hatte ich darauf gehofft, dass Francesco sich in mich verlieben würde. Denn ich hatte mich in ihn verliebt. Vielleicht nicht sofort bei unserem ersten Treffen, aber spätestens am Tag unserer Hochzeit gehörte mein Herz ihm. Und immer wieder aufs Neue zu bemerken, dass er mein Herz nicht wollte, ganz zu schweigen davon, dass er mir seines schenken würde, tat unglaublich weh.
Aber ich hielt durch. Ich drängte meine Erwartungen zurück und versuchte, das Beste aus der Situation zu machen. Und meine Tochter Karlotta half mir dabei. Sie war der Sonnenschein meines Lebens. Ein Blick auf mein kleines Mädchen genügte um zu erkennen, dass sie jedes Opfer wert war. Auch wenn meine Ehe mich nicht glücklich machte, meine Tochter tat es.
Und auch wenn ich es zu Beginn meiner Ehe nicht für möglich gehalten hatte, meine Rolle als Lady von Rodaklippa erfüllte mich. Ich hatte das Gefühl mit alle meinem sozialen Engagement, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun.
Der große Wehmutstropfen war aber, dass ich dafür auf die Anerkennung als Malerin verzichten musste. Ich malte weiterhin…aber nur noch für mich selbst, um den Gefühlen in meinem Herzen Ausdruck zu verleihen. Verkaufen wollte ich meine Bilder nicht mehr. Ich hätte es weiterhin gekonnt, aber zu groß waren meine Bedenken, dass die Leute meine Bilder nur noch mochten, weil sie von „Lady Hartfels“ gemalt worden waren. Jede Anerkennung war somit vergiftet und so verzichtete ich lieber ganz auf sie.
Doch ich blickte auch sorgenvoll in die Zukunft. Karlotta wurde älter. In diesem Jahr ging sie schon zur Grundschule. Die Zeit verging so rasend schnell. Ehe ich es mich versah, würde sie auf die Universität gehen. In Simnorsk, wenn ich Glück hatte, oder nicht einmal innerhalb der SimNation, wenn ich Pech hatte. Eher früher als später würde Karlotta mich verlassen. Und dann wäre ich allein in meiner lieblosen Ehe. Würden meine Pflichten als Lady dann noch genügen um mich halbwegs glücklich zu machen. Ich hatte meine Zweifel…und das machte mir Angst.