Einige Zeit später ...
Heute ist es endlich soweit. Heute ist der erste Schultag für Lilli.
Ich umarme sie noch, bevor sie in den großen gelben Bus steigt. Ich seufze leicht. Wie schnell doch die Zeit vergangen ist. Jetzt ist sie schon ein großes Mädchen und es fällt mir immer noch schwer los zu lassen. Wenn ich sie ansehe, erkenne ich oft Malte in ihr wieder. Dann werde ich schmerzlich an diese schlimme Zeit erinnert, in der er uns in Stich gelassen hat. Was für ein Schuft. Ich hätte nie gedacht, dass er zu so was fähig ist. Aber da sieht man mal wieder, wie schnell sich doch ein Mensch verändern kann.
Aber ich habe mich auch verändert. Und äußerlich ist das auch nicht mehr zu übersehen.
Der Bauch wirkt sich sehr störend auf den Alltag aus und das kleine Leben in mir gehört jetzt zu unserem Leben.
Ich kann es immer noch nicht glauben. Es hat sich alles verändert. Wir wohnen seit einem Jahr in diesem tollen Haus. Mein Schatz hat es für uns gefunden und ich bin rundum zufrieden damit. Lilli hat sich schnell an die neue Umgebung gewöhnt und hat viele neue Freunde kennen gelernt.
Mit einem Lächeln im Gesicht gehe ich in unser Haus zurück. Der Frühstückstisch ist noch gedeckt und wartet darauf abgeräumt zu werden. Ich mache mich ans Werk und stelle nebenbei den Wasserkocher an, denn Bettany dürfte jeden Moment da sein. Sie ist uns über die vielen Jahre sehr ans Herz gewachsen und gehört schon lange zu unserer Familie. Sie freut sich natürlich auch auf das Kind in meinem Bauch. Bettany wird natürlich unseren kleinen Schatz betreuen, wenn ich wieder zur Arbeit gehe.
Ich stelle uns die zwei Tassen auf den Tisch und dann klingelt es auch schon an der Tür.
Es ein wunderschöner Tag und die Sonnenstrahlen fallen ins Haus hinein, als ich die vordere Haustür öffne. Wir fallen uns in die Arme und Bettany bewundert meinen runden Bauch.
„Bald ist es soweit, nicht wahr?“
„Ja, noch zwei Wochen. Ich bin ja so aufgeregt.“
„Das wäre ich an deiner Stelle auch. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Bisher ist alles gut verlaufen. Da schaffst du den kleinen Rest auch noch.“
Ich trank einen Schluck von dem Tee, der wohlig meinen Hals hinunter läuft.
„Und wie läuft es mit Malte?“, wollte Bettany wissen.
Ich seufze. „Malte hat wie immer nur die Arbeit im Kopf. Seit er von diesem Auslands-dings-bums wieder zurück ist, schuftet er wie ein Wolf. Jeden Tag. Und ich meine auch wirklich jeden Tag. Auch am Wochenende. Wie dieses Baby zustande gekommen ist, ist mir ein Rätsel.“ Wir lachen beide über meinen Witz, aber insgeheim wusste ich, dass es nicht zum Lachen ist.
Malte ist tatsächlich nach den zwölf Monaten zurück zu uns gekommen. Aber die harte Arbeit hat ihn sehr verändert. Er ist nicht mehr der lebenslustige und spontane Mann, den ich vor langer Zeit kennen gelernt habe. Ich habe ihn natürlich darauf angesprochen, aber er will davon nichts wissen. Er antwortet nur, dass er möchte, dass wir finanziell abgesichert sind und ein schönes Leben haben. Leider ist es im Moment gar nicht schön, sondern eher einsam.
Lilli bekommt von dem allem nicht so viel mit. Das ist auch gut so. Ansonsten würde ich auch andere Maßnahmen einleiten. Ein bisschen hoffe ich auch, dass wenn das Baby da ist, sich etwas verändern wird.
Ich zeige Bettany das frisch eingerichtete Kinderzimmer und wir rätseln was es nun werden würde. Das habe ich bisher noch nicht erfahren und bei den letzten Untersuchungen wollte ich es dann auch nicht mehr wissen. Ich möchte mich überraschen lassen, denn eigentlich ist es ja egal, solange es gesund zur Welt kommt.
Wir diskutieren noch eine Weile über den neuen Babyladen in der Stadt. Leider wurden wir von dem nervigen Telefon unterbrochen. Ich entschuldige mich bei Bettany und lasse sie in dem Kinderzimmer alleine.
„Frau Kinnley?“, fragte mich eine junge Frauenstimme.
„Ja, am Apparat.“
„Ich bin Schwester Tina aus dem Stankt Moritz Krankenhaus. Es tut mir leid, ihnen sagen zu müssen, dass ihr Mann einen Autounfall hatte und dabei lebensgefährlich verletzt wurde.“
Für einen kurzen Moment setzt mein Herzschlag aus und meine Stimme fängt an zu zittern, als ich nachfragte wie das passieren konnte. Darauf bekomme ich natürlich keine Antwort, dass würde sich besser vor Ort klären können. Ich lasse den Arm samt Telefon sinken und höre der Stimme aus dem Hörer nicht mehr zu.
Wie eine Furie renne ich los und greife dabei nach meiner Handtasche. Brittany weihe ich mit einer Kurzfassung vom Telefongespräch ein und laufe weiter zum Auto.
Mit quietschenden Reifen fahre ich die Einfahrt hinunter und sause in Richtung Krankenhaus davon.
Nach etwa zwanzig Minuten komme ich endlich an. Ein Wunder, dass ich noch geschafft habe den Motor aus zu machen.
Bei der Rezeption erfahre ich, dass Malte jeden Moment aus dem OP kommen soll und der zuständige Arzt gleich für mich zu sprechen sei. Während dessen setzte ich mich in den Wartebereich. Doch lange halte ich das nicht aus. Ich bin noch nie gut im Warten gewesen und stehe deshalb auf und gehe diesen langen kahlen weißen Gang auf und ab. Als sich nach einer Stunde immer noch nichts tut, werde ich zunehmend unruhiger. Es muss ihn wohl sehr schlimm erwischt haben, wenn sie so lange brauchen. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Viele schlimme Gedanken gehen durch meinen Kopf.
Dann muss ich mich doch kurz hinsetzen, da ich den stechenden Schmerz in meinem Rücken nicht mehr aushalte. Ich hatte diesen schon die ganze Zeit über ignoriert und durch die Aufregung wird es immer schlimmer. Als ich dann wieder aufstehen wollte, um bei der Schwester an der Rezeption noch mal nachzufragen, lief warmes Wasser meine Beine entlang und mir wurde schwindelig.
Gleich darauf kam eine Schwester auf mich zugelaufen und verständigt einen Arzt. Erst dann wird mir klar, was gerade mit mir passiert. Meine Fruchtblase ist geplatzt und ich bekomme das Baby. Ich war zu geschwächt um zu protestieren oder um nachzufragen wie es Malte geht.
Die Schmerzmittel geben mir den Rest, aber dafür verläuft die Geburt relativ problemlos.
Die Hebamme legt den kleinen Jungen in meine Arme und Tränen laufen über mein Gesicht. Es sind Tränen der Erleichterung und von Trauer.
Danach sinke ich vor Erschöpfung zusammen. Ich muss wohl für einen Moment bewusstlos gewesen sein, denn als ich zu mir komme, steht ein Mann in meinem Zimmer. Zuerst denke ich es ist Malte, aber als meine Augen wieder klar sehen können erkenne ich ihn.
„Was machst du denn hier?“, frage ich ihn erstaunt.
„Ich habe es von Bettany gehört. Wie geht es dir?“
Ich rappel mich vom Bett hoch und gehe mit Tränen in den Augen auf seine Arme zu. Kai tröstet mich liebevoll und drückt mich an sich. Ich lasse meine aufgestaute Angst und Ungewissheit bei ihm aus. Er sagt kein Wort und dafür bin ich ihm dankbar. So muss ich ihm nichts erklären und meinen Kummer in Worte fassen.
Eine Schwester kommt herein und nimmt den kleinen Benjamin für eine Untersuchung mit sich. Ich will mich gerade ihr anschließen, als der Arzt in der Tür steht und mich sprechen will. Ich sehe zu Kai, der sich hinter mich stellt und mir Kraft gibt. Ein kleines Nicken zum Arzt bestätigt, dass ich bereit für seine Nachricht bin.
„Frau Kinnley, es tut mir Leid, aber ihr Mann hat die Operation nicht überstanden. Wir haben alles getan was in unserer Macht stand, aber die Verletzungen durch den Unfall waren zu groß. Es tut mir aufrichtig Leid.“, entschuldigt sich der Arzt noch mal bei mir und verläst dann das Zimmer und zurück bleibt eine Witwe und zwei vaterlose Kinder.
„Keine Angst Liz, ich werde immer für euch da sein. Ich liebe euch.“, flüstert Kai mir ins Ohr bevor ich erneut in einen Heulkrampf falle …
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So, das war die letzte Aufgabe und ich hoffe es hat Euch ein wenig gefallen.
Ich habe mit Absicht ein "offenes Ende" gewählt und möchte mich bei den vielen Lesern und die Karmaspenden bedanken.
Eure Manja