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Kiss me in the morning
Before I open up my eyes
Would you kiss me in the morning
Sunrise
(Extreme – Sunrise)
„Sieht so aus, als müssten wir hier eine Weile bleiben“, meinte ich als wir im Heuschober angekommen waren.
„Das hm... ist sehr ärgerlich.“ Ich hörte Annabelles Lächeln mehr als das ich es sah. Ich drehte mich zu ihr um und versuchte den Grund für ihre Fröhlichkeit zu finden. Aber außer, dass sie total durchnässt war, konnte ich nichts erkennen. Sie ging an mir vorbei und ich sah nach draußen. „Wirklich, es sieht nicht so aus, als wenn es bald aufhört. Es schüttet wie aus Kübeln.“
„Aha.“ Ich hörte wie sie im Stroh raschelte.
„Ich hoffe, du musste nicht allzu bald wieder daheim sein?“
„Nein, eigentlich nicht. Robert hat sich für ein paar Tage verzogen.“
„Trotzdem glaube ich nicht, dass der Regen vor morgen Früh aufhört.“ Ich starrte die düsteren Wolken an, die den gesamten Himmel bedeckten.
„Hm hm.“
„Ich habe selten so einen Wolkenbruch erlebt.“
„Willst du nicht langsam aufhören, den Regen zu betrachten?“ Annabelle hörte sich leicht ungeduldig an.
„Aber sonst gibt es hier doch nicht viel zu...“ Ich drehte mich zu ihr um und alle weiteren Gedanken über den Regen und alles andere erlöschten wie eine Kerzenflamme im Sturmwind.
„Wird es dir nicht auch langsam kalt in deinen nassen Kleidern?“ Fragte sie mich mit vollkommener Unschuldsmiene, während mein Denken immer noch völlig ausgelöscht war durch ihren Anblick.
„Mhm“, brachte ich gerade noch so heraus.
„Vielleicht solltest du sie dann auch ausziehen.“ Sie schlug es vor, als wenn es das Normalste der Welt wäre, doch ihre Stimme zitterte.
Ich schluckte, konnte mich kaum bewegen.
„Ich kann dir auch dabei helfen.“ Annabelle machte einen Schritt auf mich zu und das löste meine Erstarrung. Ich entledigte mich meiner Kleidung und schmiss sie auf den mit Stroh bedeckten Boden. Ich stürzte mich fast in Annabelle wartende Umarmung. Sie lachte glücklich und schlang ihre Arme um mich. Das Gefühl ihrer kühlen, noch leicht nassen Haut an meiner brachte mich fast um den Verstand.
Annabelle Hände strichen sanft über meinen Körper und dann setzte mein Denken komplett aus.
Die Nacht brach herein, während Annabelle und ich eng umschlungen im Stroh lagen. Es pikste fürchterlich, aber das war nebensächlich.
Ich nahm ihre Hand in meine. „Das war … unerwartet.“ Ich fand kaum die Stimme wieder.
„Das ist nicht das Wort, was ich verwendet hätte.“ Annabelle kicherte und schmiegte sich noch enger an mich. „Längst überfällig würde auch passen, aber du warst ja immer so anständig. Wenn ich jetzt nicht den ersten Schritt gemacht hätte, würdest du immer noch verzückt den Regen anstarren.“
Ich küsste lachend ihren Scheitel. „Ich wollte dich halt nicht bedrängen.“
„Natürlich, du Unschuldslamm.“ Ihr Kopf ruhte auf meiner Schulter und ich fühlte sie gähnen. „Ich bin müde, aber ich will nicht schlafen, weil ich nicht will, dass die Nacht endet. Ergibt das Sinn?“
„Schon, aber du solltest trotzdem versuchen zu schlafen. Ich wecke dich schon, wenn es Zeit ist zu gehen.“
„Du verstehst manchmal wirklich nichts.“ Sie nuschelte nur noch und einen Moment später war sie auch schon eingeschlafen.
Den Rest der Nacht verbrachte ich damit, ihr beim Schlafen zu zu sehen. Ihre tiefen Atemzüge und ihr warmer Körper an meinem, waren Balsam für meine Seele. Noch nie hatte ich mich ihr näher gefühlt und noch nie hatte ich mich so glücklich und zufrieden gefühlt.
Als die Sonne langsam aufging, küsste ich sie auf die Schläfe und rüttelte sie sanft aus dem Schlaf. Sie öffnete die Augen und lächelte mich verschlafen an.
„Guten Morgen“, flüsterte ich.
„Was für eine schöne Art geweckt zu werden. Warst du die ganze Nacht wach?“
„Ich brauche doch keinen Schlaf.“
Annabelle setzte sich auf und ich war einen Moment enttäuscht über den Verlust ihrer Wärme. „Stimmt, das vergesse ich immer.“ Die gerade aufgehende Sonne berührte ihr Gesicht und ließ es strahlen. Ich setzte mich ebenfalls auf und küsste ihren Nacken.
„Das kitzelt.“ Sie wand sich aus meiner Umarmung und stand auf. „Und ich fürchte, die unbeschwerte Zeit ist vorbei. Ich sollte bald zu Hause sein, sonst wird meine Mutter noch misstrauisch.“
Ich seufzte, aber hielt sie nicht davon ab, sich wieder anzuziehen. Genüsslich sah ich ihr dabei zu. Auch wenn die Nacht vorbei war und wir wieder in unsere Rollen schlüpfen mussten, wollte ich mir soviel wie möglich von der unbeschwerten, glücklichen Annabelle einprägen.
„Nun komm schon, zieh dich an. Wir müssen los.“ Sie warf mir meine immer noch leicht feuchte Kleidung zu und schweren Herzens kam ich ihren Wunsch nach.
„Ich wünschte, wir könnten hier bleiben.“
„Ich weiß. Ich auch.“ Sie küsste mich zärtlich und stieg dann die Leiter runter. Ich folgte ihr und zusammen machten wir uns in der langsam wärmer werdenden Morgensonne auf den Weg.
Ich brachte sie nach Hause, stellte sicher, dass niemand ihr Fehlen bemerkt hatte und ging dann schweren Herzens ebenfalls wieder an die Arbeit.
Zumindest war das mein Plan, doch jemand hatte andere Pläne mit mir. Ich fand mich am Strand wieder und spürte sie eher als das ich sie sah. Ich weigerte mich, mich zu ihr umzudrehen. Wusste ich doch was sie mir zu sagen hatte. Also starrte ich auf die Wellen, wieder einmal.
„Du kannst mich also noch nicht einmal ansehen.“ Asaliah stellte sich neben mich.
„Wozu? Ich weiß, was du mir sagen willst.“ Ich wollte nicht mit ihr reden. Wollte nicht zugeben, dass ich mein Versprechen gebrochen hatte. Wollte nicht zugeben, dass es inzwischen nichts mehr gab, was mich von Annabelle fern halten würde. Ich wollte gehen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Asaliahs Gegenwart hielt mich an diesem Strand fest. Sie brachte mich dazu, mich ihr und allem was sie mir zu sagen hatte zu stellen.
„Was hast du getan?“ Asaliah sah mich an und ich fühlte den Vorwurf so sehr, dass ich mich doch zu ihr umdrehte.
„Das was ich für richtig hielt.“ Ich wollte mich nicht in eine Diskussion einlassen, also ging ich gleich in die Offensive.
„Das denke ich nicht. Ich denke, du hast getan was du, was sie wollte und nicht, was richtig ist.“ Ihre Stimme war eisig, aber doch war da Wärme in ihren Augen. „Du hast deinem Verlangen nach ihr nachgegeben und nicht einen Moment über mögliche Konsequenzen nachgedacht. Und noch viel Schlimmer hast du dich einem Sterblichen offenbart. Ich frage mich wirklich, was die schlimmere Sünde ist.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht sagen, ich bin enttäuscht von dir. Es gibt keine Worte dafür, wie sehr ich dir den Verrat übel nehme.“
„Welchen Verrat? Ja, ich habe mein Versprechen gebrochen, aber es war sie, die mich wiedersehen wollte.“
„Das spielt doch keine Rolle. Du hättest ihr sagen müssen, dass du sie nicht mehr sehen willst. Es war ganz allein deine Entscheidung, dein Versprechen mir gegenüber zu brechen. Und es war ganz allein dein Handeln, was dich dazu getrieben hat, einem Sterblichen die Wahrheit zu sagen. Weißt du eigentlich, was du damit angerichtet hast?“ Trotz der harten Worte war Asaliah sehr ruhig.
Ich hob abwehrend die Hände. „Nichts habe ich angerichtet, außer einen Menschen Glück und Hoffnung zu bringen. Ich habe ihr Leben wieder lebenswert gemacht. Endlich hat sie das Glück gefunden, was sie verdient hat. Und was Hugh angeht, er ist kein Problem.“
Asaliah schüttelte den Kopf. „Du verstehst wirklich nichts. Jetzt mag Annabelle vielleicht glücklich sein, aber was ist mit Zukunft? Denkst du denn wirklich, dass du ihr diese Scharade ewig vorspielen kannst? Dass du nichts mehr als Lucien, der freundliche Geist bist? Du denkst wirklich nicht nach, bevor du handelst.“
„Das lass mal schön mein Problem sein.“ So langsam wurde ich wütend. Sie stellte mir die Fragen, die ich versucht hatte zu verdrängen.
„Es ist aber nicht nur dein Problem. Was du tust, betrifft uns alle.“
„Wie sollte das uns alle betreffen?“
„In dem du Sterbliche einweihst, gefährdest du uns alle. Was ist wenn der Assassine redet? Was ist wenn er sich nicht an eure Abmachung hält? Was ist wenn er auf die Idee kommt, dass Wissen was du ihm enthüllst für seine Zwecke zu benutzen?“
„Das wird er nicht tun.“
„Und woher willst du das wissen? Weil ihr so gute Freunde seid?“ Asaliah schüttelte den Kopf. „Du vertraust den falschen Leuten. Menschen kann man nicht trauen, vor allem nicht mit solch wichtigen Dingen.“
Ich sah sie an und sie schaute weg. „Daher weht also der Wind. Du hast selber schon einmal einem Menschen vertraut und er hat dich hintergangen. Und jetzt denkst du, nur weil es dir passiert ist, wird es mir auch passieren.“
Asaliah schaute auf den Boden, doch als sie Blick wieder auf mich richtete, war da eine Träne in ihrem Auge. „Du hast Recht. Ich habe schon mal einem Menschen vertraut und er hat mich verraten. Und nein, ich bin niemals solche Wege gegangen wie du. Es war anders...“
„Dann erzähle es mir. Hilf mir zu verstehen.“
„Ich weiß nicht, ob ich es kann.“ Ich sah, wie sie mit sich rang. Ich spürte, dass es sie quälte, was immer es auch war.
„Asaliah, bitte. Rede mit mir. So wie ich mit dir geredet habe. Vertrau mir, so wie ich dir vertraut habe.“
„Ich vertraue dir. Ich habe dir immer vertraut und doch hast du mich hintergangen.“ Sie sah mich an, doch die Kälte von vorhin war aus ihrem Blick verschwunden.
„Ich weiß, ich habe mein Versprechen gebrochen und es tut mir Leid.“ Es stimmte, es tat mir leid, dass ich es tun musste, aber nicht die Tat selbst. Niemals würde es mir Leid tun, Annabelle zu lieben.
„Ich weiß. Aber das ändert rein gar nichts.“ Sie seufzte. „Es gibt nun einmal Dinge auf dieser Welt, die sich nicht durch Worte wieder herstellen lassen.“
„Dann lass es mich versuchen. Komm, setz dich mit mir in den Sand und lass uns reden.“ Ich deutete auf den weichen, warmen Platz direkt hinter der Wasserlinie. Sie sah mich noch einen Augenblick an und folgte dann meinem Vorschlag.
„Du weißt, dass du mit mir reden kannst. Ich höre dir zu und ich bin für dich da. Auch wenn ich meine eigene Meinung habe, wie ich mein verkorkstes Dasein lebe.“ Ich zwinkerte ihr zu, doch sie sah mich nur resigniert an.
„Es geht doch gar nicht um nur deine Existenz. Sondern um uns alle. Es gibt Gründe, warum wir den Menschen nichts über uns sagen sollten. Menschen kann man nicht trauen mit Geheimnissen.“
„Das sagtest du bereits. Aber mich würde interessieren, wie du zu dieser Annahme kommt? Meine Erfahrung mit ihnen ist das genaue Gegenteil.“
„Das kommt nur daher, weil du noch nicht so viel mit ihnen zu tun gehabt hast, wie ich. Ich bin schon viel länger in diesem Beruf als du und habe viel mehr darauf geachtet, was sie tun als du.“
„Und einer von den Menschen hat dich verraten?“ Ich wollte es wissen. Es gab etwas was sie mir verheimlichte und ich wusste, es war wichtig, dass sie mir es erzählte.
„Ja.“ Sie schwieg gleich wieder und sah auf die Wellen.
„Dann erzähl es mir. Ich schwöre dir, ich werde nicht darüber urteilen.“
Asaliah stand nun doch wieder auf. Sie konnte nicht still sitzen. Sie stellte sich direkt ans Wasser und die Wellen schwappten über ihre Füße. Ich stand ebenfalls auf und einem Impuls folgend schloss ich sie in die Arme. Sie versteifte sich leicht, doch dann akzeptierte sie die Berührung und schmiegte sich an mich.
„Erzähl es mir“, flüsterte ich ihr ins Ohr, während ich sie in meinen Armen hielt. Ich spürte ihren Atem an meinem Nacken. Ich fühlte wie sie mit sich rang und wie angespannt ihr Körper war.
„Erzähl es mir“, wiederholte ich und strich ihr sanft über den Rücken.
„Ich kann es dir nicht erzählen.“ Sie wollte sich von mir lösen, aber ich hielt sie weiter fest.
„Erzähl es mir!“ Ich sah ihr in die Augen und einen kurzen Moment erkannte ich etwas Vertrautes, lang Vergessenes in ihrem Blick. Asaliah nutzte meine kurze Verwirrung und ehe ich es mich versah, küsste sie mich.
*Fortsetzung folgt*