Zu Bild vier gibt es zwei Lupenbilder, weil ich mich nicht entscheiden konnte.
Überhaupt, die Lupenbilder - Bild acht ist eigentlich nur in der Lupenversion tauglich (!), die Lupenbilder des ersten Teils sind empfehlenswert für alle Detail-Freunde, die des Mittelteils sind toll anzusehen (wie ich finde ) und die des Endteils sind... schön.
Ich muss das Kapitel auch wieder auf zwei Postings aufteilen, zu viele Bilder.
Viel Spass!
Sooner or later you´re gonna wake up
And find what you´re looking for
Like a diamond washed upon the shore
...
Sooner or later you´re gonna love again
Duncan James, Sooner or later
Christopher Braide/ Duncan James/Jez Ashurst
Bereits drei Tage später wurde die Verlobung verkündet.
Gleich am Morgen nach jener Nacht, in der ich ungewollt Zeuge seines Gesprächs mit Bran geworden war, hatte Artair zuerst ein langes Gespräch mit Mártainn geführt und dann mit Ariadna und Shainara gesprochen.
Im Anschluss daran hatte er freudestrahlend Boten bis in die entferntesten Winkel des südlichen Königreichs ausgesandt, um sein Volk wissen zu lassen, dass er am heutigen Tag zur frühen Abendstunde gute Neuigkeiten verkünden wolle.
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Offenbar hatte sich daraufhin jeder, der Caer Mornas in der knappen Zeit erreichen konnte, auf den Weg gemacht; die Stadt hatte sich in den letzten beiden Tagen gefüllt, und mittlerweile gab es kein einziges freies Bett mehr.
Eine gespannte Erwartung und freudige Aufregung lagen in der Luft.
Alle vermuteten bereits, dass ihr König sich endlich verheiraten wollte, und die Leute feierten schon vorab ausgelassen. Wohin man auch sah, gab es lachende Gesichter.
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Ich hatte nicht viel Zeit zum Grübeln gehabt, meine Tage waren angefüllt gewesen mit Verpflichtungen, denn Dian konnte neben seinen übrigen Aufgaben nicht auch noch die Vorbereitungen für die Verlobungsfeier bewältigen.
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Brayan ging es nicht viel anders, und die wenige uns verbleibende freie Zeit hatten wir mit exzessivem Training zugebracht.
Zum Glück brauchte ich mich nicht zu bemühen, Artair aus dem Weg zu gehen, ich bekam ihn erst gar nicht zu Gesicht – er zog sich entweder mit Mártainn, Shainara, Dian, Bran und Torgar in seine Beratungskammer zurück und war ernst und besorgt, oder er war mit Ariadna zusammen und von enervierend guter Laune.
Und ich fühlte keinerlei Neigung, mich den beiden Turteltäubchen anzuschließen.
Also trainierte ich Stunde um Stunde mit Brayan und schlug solange auf ihn ein, bis er schließlich um Gnade bettelte.
„Halt ein, Neiyra", keuchte er und ließ sich auf den Boden fallen. „Ich spüre meinen Körper nicht mehr, ich brauche eine Pause."
Ich warf mich neben ihm auf die Erde und legte meinen Kopf auf seinen Bauch. Er nahm meine Hand, und gemeinsam starrten wir schweigend in den strahlenden Himmel.
Nur in meinen Nächten konnte ich für eine kurze Zeit vergessen, wie allein und verlassen ich mich am Tage trotz Brayans Gegenwart fühlte.
Die nächtlichen Treffen mit Ihm waren wie eine sanfte, tröstliche Berührung, die die Einsamkeit linderte.
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Und nun drängte sich eine riesige Menschenmenge auf dem Platz vor dem Palast, die Luft summte vor Erwartung.
Wir hatten uns alle auf der Empore der Halle vor den großen, mehrflügeligen Türen versammelt, die auf den halbrunden Balkon an der Nordseite des Palasts hinausführten.
Er war dem großen Platz zugewandt und wurde ausschließlich für repräsentative Zwecke genutzt.
Dian bemühte sich, Ordnung in unsere Reihen zu bringen, während wir auf Artair warteten.
Es herrschte eine ausgelassene, fröhliche Stimmung, und Brans dröhnendes Lachen hallte durch den Raum.
„Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leute kommen würden", sagte er begeistert.
Shainara lachte ihn an.
„Die Menschen hier feiern gerne, und sie nehmen regen Anteil am Leben ihres Königs und seiner Familie. Solche Feierlichkeiten dauern oft viele Tage, und meist reichen nicht mal die Worte überschäumend und ausgelassen aus, um die vorherrschende Stimmung zu beschreiben", sagte sie zu Bran, und dann – ich traute meinen Augen kaum – stieß sie Mártainn den Ellbogen in die Seite.
„Weißt Du noch?", sagte sie und grinste ihn schelmisch an.
„Die Feier anlässlich Branaghs Geburt? Wir waren beide noch Kinder, am dritten Tag war die halbe Stadt betrunken, und Du hast Rhiannon und mich in einen Brunnen geschubst."
Mártainn hob eine Augenbraue, aber seine Erwiderung ging im allgemeinen Gelächter unter.
Nur Ariadna, gehüllt in ein kostbar besticktes Gewand, dessen Gewicht sie kaum tragen zu können schien, sah bleich und verschreckt aus und versuchte, sich hinter Bran unsichtbar zu machen.
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Die Tür öffnete sich und Artair kam herein; mit langen, raumgreifenden Schritten durchmaß er den Raum.
„Entschuldigt die Verspätung", sagte er und strahlte dabei.
Er ergriff Ariadnas Hand, führte sie an die Lippen und küsste sie zärtlich.
„Bist Du bereit, Liebes?", fragte er und lächelte sie an.
Ariadna lächelte zaghaft zurück und nickte.
Artair bedeutete den Wachen, dass sie die großen Flügeltüren öffnen konnten, und Dian trat auf den Balkon.
Als Truchsess des Reiches oblag es ihm, die gute Nachricht zu verkünden.
Er ging vor bis an die Brüstung, und die Menge winkte und jubelte ihm zu.
„Mit großer Freude", begann er, und eine gespannte Stille legte sich über den Platz.
„Mit großer Freude verkünde ich euch heute das Verlöbnis unseres Königs mit Prinzessin Ariadna von Bréliande!" rief er und wandte sich zu Artair um.
Artair trat auf den Balkon, Hand in Hand mit Ariadna, und tosender Jubel brandete auf.
In der von Dian festgelegten Reihenfolge folgten wir ihnen, und die Menge lachte, klatschte und winkte uns zu.
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Wir winkten zurück, und vereinzelte Rufe wurden laut, erst unverständlich, aber dann fielen immer mehr Stimmen mit ein, so dass wir verstehen konnten, was sie riefen.
„Einen Kuss! Einen Kuss!", skandierte die Menge, und Artair lachte.
Er wandte sich Ariadna zu, hob sanft ihr Kinn an und küsste sie unter den begeisterten Beifallsstürmen der Menge.
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Ich tastete nach Brayans Hand, und er schloss seine Finger um meine und drückte sie sanft.
Ich sah ihn an, aber er hatte den Blick abgewandt.
Unverwandt und mit gerunzelter Stirn beobachtete er Ariadna.
Ariadnas Augen wirkten riesig in ihrem bleichen Gesicht, und verängstigt klammerte sie sich an Artairs Hand.
Überrascht sah ich von ihr zu der jubelnden Menschenmenge. Sie schienen sie völlig einzuschüchtern.
Das konnte ja noch heiter werden.
Stunden später fühlte ich mich völlig erschöpft und ausgelaugt.
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Gleich, nachdem wir den Balkon verlassen hatten, waren die Türen der Großen Halle geöffnet worden, und die Menschen, die teilweise schon seit den frühen Morgenstunden vor den Toren gewartet hatten, strömten in den Palast.
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Für die, die keinen Platz mehr in der zum Bersten gefüllten Halle gefunden hatten, wurden auf allen Plätzen der Stadt Feuer angezündet, über denen ganze Ochsen und Schweine gebraten wurden, große Fässer voll Most, Ale und Wein wurden angestochen und ganze Wagenladungen voll Kuchen, Süßigkeiten und kleiner Geschenke für die Kinder wurden herangekarrt.
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Die Halle und alle Straßen und Plätze von Caer Mornas waren voll mit schmausenden, lachenden, singenden und tanzenden Menschen, die fest entschlossen waren, bis zum Morgengrauen zu feiern.
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Brayan, Dian und ich hatten zuerst ein Auge darauf gehabt, dass alles reibungslos klappte, bevor wir uns zu den anderen an die Hohe Tafel setzten.
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Ariadna, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, hielt den Blick meist gesenkt und sprach nur sehr wenig.
Ich konnte mir nicht helfen, aber sie tat mir leid. Nicht nur, dass sie mit der Situation völlig überfordert zu sein schien – wenn das vorhin auf dem Balkon ihr allererster Kuss gewesen sein sollte, dann konnte er mit Sicherheit nicht so gewesen sein, wie sie ihn sich gewünscht hätte.
Weder Brayan noch ich aßen besonders viel, und nun forderten die Arbeit der vergangenen Tage und der Anblick von Artair und Ariadna Seite an Seite ihren Tribut.
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Müde stahl ich mich von der Tafel davon, um auf mein Zimmer zu gehen; und als ich mich an der Tür nochmal umdrehte, sah ich, dass auch Brayan die Halle verlassen hatte.
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Ich stand auf einer Klippe, und unter mir toste und tobte es. Der Wind fuhr mir unter die Röcke und spielte mit meinen Haaren.
Er war noch nicht da gewesen, und ich hatte schon eine ganze Zeit allein gewartet, aber es hatte mir nichts ausgemacht.
Der Anblick war atemberaubend.
„Ist das das Meer?", fragte ich, als er schließlich neben mich trat und sich auf den steinigen Boden setzte.
„Ich habe es noch nie zuvor gesehen. Es ist wunderschön."
„Ja", sagte er. „Ich liebe das Meer."
Ich setzte mich neben ihn und wandte mich ihm zu.
„Wollen wir?", fragte ich, und als er nickte, gab ich alles genau wieder, was Mártainn mir am Vormittag für ihn mitgegeben hatte.
In den letzten Tagen hatte ich mich zu einer Art Brieftaube zwischen Ihm und Mártainn entwickelt; sie tauschten komplizierte und verwickelte Gedankengänge, den ominösen Kraftstern betreffend, über mich aus.
Das Dumme war, dass ich so gut wie kein Wort von dem verstand, was sie da redeten.
Eigentlich war ich froh darüber, denn das Wenige, was ich verstand, klang in meinen Ohren ziemlich riskant und gefährlich; aber um zu verhindern, dass sich Fehler bei der Weitergabe einschlichen, ließen mich die beiden auswendig lernen, was sie sich mitzuteilen gedachten.
Ich musste alles so lange wiederholen, bis ich es vermutlich auch dann noch hätte herunterbeten können, wenn mich jemand mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf gerissen hätte.
Hochgradig ermüdend; aber ich war froh, etwas tun zu können, um das Ritual für Artair möglicherweise etwas ungefährlicher zu machen.
Als ich ihm Mártainns Worte übermittelt hatte und er überzeugt war, dass ich seine Antwort richtig weitergeben würde, lehnte er sich schließlich entspannt zurück und ließ seinen Blick zum Horizont schweifen.
Eine Weile saßen wir in freundschaftlichem Schweigen nebeneinander und genossen die Stille, die nur vom Rauschen des Meeres und den Rufen der Möwen durchbrochen wurde.
„Heute war die Verlobungsfeier", sagte ich dann; meine Stimme klang rau.
Rasch setzte er sich auf.
„Artair hat also wirklich vor, diese Kleine zu heiraten", sagte er erstaunt, und ich konnte seinen Blick spüren.
„Er ist ein Idiot."
„Er ist kein Idiot", protestierte ich lahm.
Er schnaubte verächtlich.
„Er wird von einer klugen, starken, schönen und guten Frau geliebt, und er merkt es nicht mal? Er ist ein Idiot. Und wenn er nicht sehen kann, was er an Euch hat, dann hat er Euch nicht verdient."
Ich lachte kurz auf, aber das Lachen wurde von einem Schluchzen überlagert.
Er ergriff meine Hand und führte sie rasch an seine Lippen. Dann ließ er unsere verschlungenen Finger sinken und legte seine andere Hand über meine.
Ich sah auf meine Hand hinab, die in seinen Händen ruhte wie ein verletzter Vogel in seinem Nest, und ich fühlte mich ein wenig getröstet.
„Ich will Euch etwas erzählen, Neiyra", sagte er.
„Habt Ihr schon mal die Krone der Königin gesehen?"
„Die Krone von Artairs Mutter? Ja, sicher. Artair bewahrt sie einem Kasten in seiner Beratungskammer auf."
Er nickte. „Vielleicht ist euch aufgefallen, dass in diese Krone einzelne Diamanten eingelassen sind", fuhr er fort.
„Diese Diamanten kommen von hier."
Er ließ meine Hand los und deutete aufs Meer hinaus.
„Man nennt diese Küste die Kristallküste.
Einst, so sagt die Legende, verbrachte Lira, die Göttin des Meeres, einige Zeit unerkannt unter den Menschen. Sie wollte sehen, was es mit dieser Sache auf sich hätte, die die Menschen Liebe nannten, denn sie lebte ganz allein in den finstersten, kältesten Tiefen des Meeres.
Und nachdem sie gesehen hatte, welches Glück manche Menschen miteinander teilten, kam sie an diese Küste und weinte bittere, verzweifelte Tränen.
Denn sie wusste, dass sie immer allein sein würde; dass es niemanden gab, der ihr ebenbürtig und für sie bestimmt war. Der für sie der einzig Richtige wäre, und mit dem zusammen sie zu einem Ganzen würde.
Doch als einige ihrer Tränen das Wasser berührten, begann das Meer, sich zu kräuseln und zu schäumen. Hohe Wellen stiegen auf, und einer dieser Wellen entstieg ein Mann.
Ihr Gefährte, der Eine, Einzige, der für sie bestimmt war."
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„Moricos", flüsterte ich.
„Moricos", bestätigte er.
„Die beiden kehrten ins Meer zurück, und man sagt, dass die Tiefen des Ozeans seit dieser Zeit nicht mehr kalt und finster sind."
Er schwieg einen Moment und deutete erneut auf den schmalen Streifen Sand.
„Seit damals findet man an dieser Küste immer wieder kleine Diamanten.
Man nennt sie die Tränen der Götter, denn man sagt, diese kleinen Steine seien aus den Tränen Liras entstanden, die sie aus Trauer darüber, für immer allein bleiben zu müssen, vergossen hat.
Nur die Kristallsucher dürfen sie sammeln; Männer und Frauen, die aus einigen wenigen, ausgesuchten Familien stammen, die dieses Amt schon seit Jahrhunderten inne haben.
Die Tränen der Götter stehen einzig den Herrschern des nördlichen und des südlichen Königreichs zu, deshalb bringen die Kristallsucher sie an die Königshöfe und werden dafür reich entlohnt.
Aber wenn ein Herrscher heiratet, dann wird ein weiterer Stein angespült. Ein besonders großer, klarer Diamant, der dem König oder der Königin zeigt, dass er sein Gegenstück, den für ihn bestimmten Gefährten gefunden hat.
Im südlichen Königreich wird der Stein in die Krone der Königin eingelassen. Euer Vater trägt seinen in einem Ring an der rechten Hand."
Ich schwieg, völlig überrascht. Warum hatte ich diese Geschichte noch nie zuvor gehört?
Und dann kam mir ein entsetzlicher Gedanke.
„Und wenn sie nicht die Richtige ist? Was geschieht, wenn der König eine Frau heiratet, die nicht die eine, für ihn bestimmte Gefährtin ist?"
„Dann wird auch kein Stein gefunden", erwiderte er ruhig.
Und einfach jeder in beiden Königreichen weiß, dass der König die falsche Frau geheiratet hat, dachte ich bestürzt.
„Aber das ist schon sehr lange nicht mehr vorgekommen", sagte er. „Meistens weiß der oberste Druide, wer die richtige Frau für den König oder der richtige Mann für die Königin ist. Er kann es sehen; allerdings leider nicht immer. Manchmal bevorzugen es die Götter, die Beteiligten im Unklaren zu lassen."
Sprachlos starrte ich ihn an.
„In den letzten tausend Jahren haben sich die Regenten in den meisten Fällen sowieso immer in den richtigen Mann oder die richtige Frau verliebt.
Die Götter sorgen auf jeden Fall dafür, dass sie sich begegnen. Ein paar Mal musste wohl etwas Überredungskunst angewandt werden, und einer von Artairs Vorfahren hat sich schlichtweg geweigert.
Er hat seinem Volk verkündet, dass er die Falsche heiraten werde, weil er die Richtige nicht leiden könne.
Seine Königin war sehr beliebt beim Volk, aber es wurde gemunkelt, dass er viele Jahre später die Richtige wohl doch noch zu seiner Geliebten und seiner Ratgeberin gemacht hat."
Er grinste, und ich musste mich daran erinnern, den Mund zu schließen.
„Woher wisst Ihr das alles?", fragte ich verblüfft.
„Die Geschichte der Königreiche gehört zur Ausbildung der Druiden", sagte er.
„Wir sind es, die Dinge bewahren, damit sie nicht in Vergessenheit geraten."
Er beugte sich zu mir. „Aber mal abgesehen vom Offensichtlichen", fuhr er ernst fort, „und abgesehen von den Fragen, die sich hieraus ergeben, habe ich Euch diese Geschichte aus einem bestimmten Grund erzählt."
Aufmerksam sah ich ihm ins Gesicht.
„Obwohl es weder unter den Menschen noch unter den Göttern den richtigen Gefährten für Lira gab, war er plötzlich da.
Diese Geschichte soll uns auch daran erinnern, dass Dinge geschehen können, selbst wenn sie noch so unwahrscheinlich sind und wir selbst eigentlich nicht mehr daran glauben."
Unverwandt blickte er aufs Meer hinaus.
„Eines Morgens werdet Ihr aufwachen und finden, was Ihr sucht. Früher oder später werdet Ihr wieder lieben."
Ich schwieg, eine lange Zeit. „Und gilt das auch für Euch?", fragte ich dann leise.
Er schüttelte den Kopf, und ich sah die Trauer auf seinem Gesicht.
„Für mich gibt es diese Möglichkeit nicht. Ich bin nicht mehr... offen dafür."
Er senkte den Kopf.
„Es gab nur eine einzige Frau, die mich so sehen konnte, wie ich wirklich bin, und die mich geliebt hat. Sie liebte mich wegen dem, was sie sah, und trotz dem, was sie sah."
„Was ist aus ihr geworden?"
„Sie ist tot. Sie starb durch meine Schuld."
Betroffen hielt ich einen Moment inne.
„Was ist geschehen?", fragte ich dann.
„Ich habe eine Entscheidung getroffen, die zu ihrem Tod geführt hat. Ich hätte sie genauso gut von eigener Hand töten können."
Überrascht sah ich ihn an, aber er hob die Hand.
„Ich weiß schon, was Ihr wissen wollt.
Wusste ich vorher, dass die Möglichkeit bestand, dass es sie das Leben kosten würde, wenn ich mich so und nicht anders entschied?
Die Antwort auf diese Frage ist: ja. Ja, ich wusste es.
Dennoch kann ich nicht bereuen, mich so entschieden zu haben, und ich würde es wieder tun, denn es war das Richtige.
Aber es vergeht kein Tag, kein einziger, an dem ich nicht bitterstes Bedauern darüber empfinde, dass ich vor diese Wahl gestellt wurde."
Ich ergriff seine Hand und verschlang meine Finger mit seinen.
Diesmal war ich diejenige, die Trost spendete.
Als ich am Morgen erwachte, wirbelten tausende Fragen in meinem Kopf herum, die sich auch während des gesamten Vormittags nicht vertreiben ließen.
Dass Artair mit Mártainn gesprochen hatte, noch bevor er zu Ariadna und Shainara gegangen war, wusste ich.
Aber wusste Mártainn, wer die richtige Frau für Artair war? Und wenn ja, hatte er es Artair gesagt, und hatte dieser es wiederum Ariadna gesagt?
Wenn Mártainn es wusste, und es nicht Ariadna war, hätte er die Verlobung verhindert, da war ich mir sicher. Genauso, wie ich sicher war, dass Artair Ariadna niemals eine solche öffentliche Demütigung zumuten würde wie die, die sie erwartete, wenn kein Stein gefunden würde.
Außer, die beiden liebten sich so sehr, dass Ariadna trotzdem zugestimmt hätte, ungeachtet dessen, was ihr bevorstünde.
Hätte sie so viel Mut gehabt? Und wenn ja, dachte sie dann jetzt noch genauso darüber, nach diesem ersten Vorgeschmack, was es bedeutete, an der Seite des Königs zu stehen?
Hätte, könnte, würde. In meinem Kopf drehte sich alles.
Als ich zum hundertsten Mal bei meinem Lieblingsgedanken angekommen war - wenn Ariadna tatsächlich die richtige Frau für Artair sein sollte, wie konnten die Götter nur beschließen, ihm so ein verzagtes Häschen an die Seite zu stellen? – geschah zum Glück etwas, das mich vollkommen ablenkte und die nächsten Stunden so sehr beschäftigen sollte, dass ich all diese Grübeleien vergaß.
Mártainn fing mich auf dem Platz vor dem Palast ab und erklärte mir, er und Shainara wollten mit mir und Artair sprechen.
Über den Kraftstern.
Und im gleichen Moment kam ein völlig erschöpftes Pferd mit einem nicht minder erschöpften Reiter auf den Platz gesprengt.
Der Bote, den Artair zu Leodric geschickt hatte, war endlich zurück.
So rannte ich nun durch die Gänge des Palastes und stürzte in die Räume des Königs, um Artair zu holen.
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Er saß in einer Wanne vor dem Feuer, und zwei Mägde gossen ihm gerade Kannen voll Wasser über den Kopf.
Abrupt blieb ich stehen.
„Neiyra!", rief er, als er mich sah, und strahlte mich an. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
„Ich war auf dem Übungsplatz", informierte er mich.
„Ich habe in letzter Zeit zu viel Zeit am Schreibtisch zugebracht, um ein Haar hätte mich Brayan aufs Kreuz gelegt."
Er stöhnte kurz auf.
„Mir tun alle Knochen weh. Aber ich schätze, ihm geht es auch nicht viel besser", sagte er vergnügt.
Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen.
„Schön, dass Du so viel Spaß hattest", sagte ich und rollte die Augen, „aber wenn wir schon bei Spaß sind – was, zum Henker, hast du dir bloß gedacht?"
„Was meinst du?", fragte Artair überrascht. Er sah zu den beiden Mägden auf und nickte ihnen zu.
„Danke für das Wasser", sagte er. „Ihr könnt dann gehen, ich habe alles, was ich brauche."
Als die Mägde das Zimmer verlassen hatten, beugte ich mich vor.
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„Was ich meine? Die Verkündung der Verlobung. Auf diesem Balkon.
Hast Du nicht gemerkt, dass Ariadna völlig eingeschüchtert war? Und als ob das noch nicht schlimm genug für sie war, bekommt sie ihren allerersten Kuss ausgerechnet vor den Augen von hunderten von Leuten.
Das ist nicht unbedingt die Situation, die ein Mädchen sich für diesen besonderen Moment erträumt."
„Was denkst Du denn von mir, Neiyra?", erwiderte Artair und runzelte die Stirn.
„Mir war doch völlig klar, dass sie einen Kuss fordern würden. Glaubst Du wirklich, ich hätte zugelassen, dass unser erster Kuss eine so öffentliche Sache wird?"
Er grinste spitzbübisch. „Unser erster Kuss war genau so, wie er sein sollte. Romantisch, im Mondenschein, alle Vögel haben gesungen."
„Die meisten Vögel singen nicht in der Nacht", erwiderte ich trocken, aber er lachte nur.
Ich atmete tief ein.
Dieses Bild, von diesem ersten, romantischen Kuss, wollte ich nicht in meinen Kopf lassen. Es tat zu weh.
„Ich wollte damit nur sagen…", lenkte ich rasch ab.
„Dass sie behutsam an ihre neue Rolle herangeführt werden muss?", beendete Artair meinen Satz, und ich nickte.
„Ja, das ist mir schon klar."
Er lächelte mich an. „Aber danke, dass du dich um sie sorgst."
Nun ja. Sorgen war wohl nicht der richtige Ausdruck, aber ich würde es wohl lieber dabei belassen.
„Weswegen ich eigentlich gekommen bin", fuhr ich fort, „der Bote, den du zu Leodric geschickt hast, ist zurück. Und Mártainn will dich auch sprechen; es geht um den Kraftstern."
Rasch schickte sich Artair an, in der Wanne aufzustehen, und ich sprang hastig von meinem Stuhl.
„Ich geh dir mal ein Hemd holen", sagte ich gedehnt, „oder einen Stiefel, oder ein Schwert."
Ich rannte beinahe zu seiner Truhe und kramte ein sauberes Hemd hervor.
Als ich mich umdrehte und zum Kamin zurück ging, stand er neben der Wanne, nur ein Handtuch um die Hüften, und rubbelte sich die Haare mit einem anderen Tuch ab.
Der Feuerschein spielte golden auf seiner Haut, Tropfen rannen an ihm herab.
Ich blinzelte einen winzigen Moment - er sah wirklich prachtvoll aus.
Es gab Momente, in denen ich mir wirklich von Herzen wünschte, ich wäre ein Stein, und dieser hier gehörte dazu.
Die Unbefangenheit, mit der sich Artair in meiner Gegenwart bewegte, war manchmal schwer zu ertragen.
Mittlerweile war er in seine Hosen gestiegen und in das Hemd, das ich ihm gereicht hatte, geschlüpft, und ich trat auf ihn zu.
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Ich begann sein Hemd zuzuknöpfen, um den Anblick nackter Haut zu beenden; und gleichzeitig genoss ich es, einen Grund gefunden zu haben, ihn berühren zu dürfen.
Bald würde das seine Frau tun. Ich beneidete sie heftig.
„Vielleicht hätten wir Dir als Kind doch eine Puppe besorgen sollen", sagte Artair.
„Hmmm?", fragte ich geistesabwesend, völlig gefangen von der Wärme, die seine Haut ausstrahlte.
„Du scheinst eine gewisse Neigung zu haben, mich ständig an- und ausziehen zu wollen", grinste Artair.
„Ich frage mich, wo das herkommt. Vermutlich ist es meine und Brayans Schuld. Als wir Kinder waren, wollten wir niemals irgendwas… Mütterliches spielen."
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Ratlos runzelte er die Stirn.
„Du weißt schon, was ich meine. Sowas wie Vater-Mutter-Kind. Wir waren immer wild, und Du warst immer vorneweg."
Ich schnaubte leise. Wenn er wüsste, wie wenig mütterlich meine Neigungen im Moment waren.
„Ich glaube nicht, dass ich auch nur einen Funken Mütterliches in mir habe", entgegnete ich.
„So ein Humbug", erwiderte Artair leise. „Wenn du dich nur einmal sehen könntest, wie du mit den Kranken und Verwundeten umgehst, würdest du das niemals bezweifeln."
Ich erwiderte nichts und fuhr fort, seine Knöpfe zu schließen.
Er stand ganz still, vollkommen locker und entspannt. Und mit jedem Knopf, den ich schloss, vertiefte sich das Gefühl, dass etwas unwiderruflich vorbei war.
Als ich fertig war, legte ich meine Hände auf seine Brust.
Ich spürte seine warme Haut durch den dünnen Stoff, fühlte, wie seine Brust sich hob und senkte und seinen langsamen, kräftigen Herzschlag.
Er zog mich an sich, legte seine Arme um mich und sein Kinn auf meinen Scheitel.
So standen wir eine ganze Weile, und ich genoss jeden einzelnen Atemzug.
„Ist mit Dir alles in Ordnung, mein Herz?", fragte er dann, ganz leise und sanft.
Ich nickte stumm.
„Sicher?" hakte er nach.
„Du hast mir doch versprochen, dass Du mit mir redest, wenn Du soweit bist. Du solltest Deinen Kummer nicht für dich behalten."
„Aber das tue ich ja nicht", erwiderte ich rasch. „Ich rede ja mit jemandem."
Im gleichen Moment wurde mir klar, was ich da gesagt hatte, und was es bedeutete, und ich bereute es sofort; aber es war zu spät.
Unter meinen Händen konnte ich spüren, dass er ganz leicht zusammenzuckte, und ich konnte deutlich wahrnehmen, was er fühlte. Er war vollkommen überrascht, und… verletzt.
Rasch versuchte er, dieses Gefühl vor mir zu verbergen, aber als er merkte, dass es schon bei mir angekommen war, schob er mich ein wenig von sich, sah mir in die Augen und lächelte mich an, ein klein bisschen schief und voller Bedauern.
„Entschuldige", sagte er.
„Ich war nur überrascht, weil du bislang all deine Sorgen mit mir geteilt hast. Ich habe selbstverständlich kein Recht…"
Er unterbrach sich, ließ mich los und trat einen Schritt zurück.
Er legte den Kopf schief, seine Augen verengten sich, und ich konnte die Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, geradezu an seinem Gesicht ablesen.
Frag nicht, betete ich innerlich.
Sprich nicht aus, was Du denkst.
Das Schweigen zwischen uns zog sich hin, aber schließlich holte er tief Luft und sagte dann: „Ich werde dich nicht fragen, warum du nicht mit mir darüber reden willst. Aber nur, weil du nicht mit mir darüber reden willst.“
Er legte seine Hand an meine Wange und fuhr zart mit dem Daumen über mein Kinn.
„Es tut mir leid", sagte er dann leise. „Wenn ich der Grund für deinen Kummer sein sollte, dann tut es mir leid, was auch immer ich gesagt oder getan haben mag. Und ich hoffe, dass Du es mir irgendwann erzählst, falls es so ist."
Rasch wandte ich mich ab.
„Wir sollten gehen", sagte ich. „Die anderen werden schon warten."
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