Ich gelangte in einen kleinen Hof, in dem ein halbes Dutzend Kinder spielte. Als ich in das gleißende Sonnenlicht trat und sie mich sahen, verstummten sie verblüfft und musterten mich neugierig.
Der größte und kräftigste von ihnen trat auf mich zu und schubste mich leicht.
„Hey", sagte er, „wer bist Du denn? Und was willst Du hier?"
Wenn ich das nur gewusst hätte. Ich schluckte hart und wollte antworten, aber meine Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an und ich bekam keinen Ton heraus.
„Ha!", schrie der Junge plötzlich triumphierend, „Seht sie Euch doch mal an! Das muss sie sein!"
Er setzte ein gemeines Grinsen auf und schubste mich erneut.
„So sieht eine aus, die so hässlich ist, dass ihre eigene Mutter sie nicht mehr haben will!"
Er lachte laut gröhlend, und die anderen Kinder stimmten in sein Gelächter mit ein.
Heiße Tränen schossen in meine Augen, und der Schmerz über all das Unerklärliche, das mir zugestoßen war, erfüllte meinen ganzen Körper; und plötzlich schien etwas in mir zu zerspringen. Was zu viel war, war zu viel.
Ich stieß einen Schrei aus und rammte dem Jungen meine Faust in den Magen.
Er schnappte verblüfft nach Luft, doch dann sah ich etwas in seinen Augen aufblitzen, und er stürzte sich unter dem anfeuernden Gejohle der anderen Kinder auf mich.
Ich hatte keine Chance, er war doppelt so groß und schwer wie ich. Als ich das Gefühl hatte, jeden Moment ersticken zu müssen, hörte ich plötzlich eine Stimme.
„Uisdean", sagte sie, „verprügelst Du wieder kleine Mädchen?"
„IchbnknklnMdchn", presste ich hervor, aber mir war schon klar, dass niemand mich verstehen konnte.
Uisdean schien der Bursche zu sein, der auf mir lag, denn plötzlich war der Druck auf meiner Brust weg und ich schnappte nach Luft.
Ich schielte nach oben und sah einen blonden Jungen, gefolgt von einem dunkelhaarigen, die langsam auf meinen Angreifer zu gingen.
Der sah mit einmal recht kleinlaut aus.
„Ich hab gar nix gemacht, Brayan, wirklich!", beteuerte er, „Sie hat angefangen!"
Und er deutete anklagend auf mich. Der dunkelhaarige Junge hob zweifelnd eine Augenbraue, und der blonde, dessen Name Brayan zu sein schien, sagte mit trügerisch sanfter Stimme: „Warum kann ich das nur nicht glauben?"
Und dann, lauter: „Ich sage Dir heute zum letzten Mal, dass Du Dich mit gleich starken Leuten anlegen sollst, wenn Du Dich prügeln willst." Er grinste. „Oder mit mir", fügte er hinzu, und ehe Uisdean noch reagieren konnte, hatte er Brayans Faust auf dem Auge und ging zu Boden.
Er rappelte sich auf und warf Brayan einen hasserfüllten Blick zu. „Kommt", sagte er zu den anderen Kindern, und in kürzester Zeit war der Hof leer.
Die beiden Jungen beugten sich über mich und streckten mir helfend die Hände entgegen, aber ich zog es vor, ohne Hilfe aufzustehen. Mein Stolz war schon angeschlagen genug.
Dann standen wir drei uns zum ersten Mal gegenüber, und wir sahen uns genau an. Und ich konnte etwas spüren, das ich nicht benennen konnte. Etwas Intensives.
Plötzlich ging ein Strahlen über das Gesicht des blonden Jungen.
„Natürlich!" stieß er hervor. „Du musst Neiyra sein!"
„Ja", sagte ich misstrauisch.
Der Junge stieß ein glucksendes Geräusch aus, und ehe ich mich versah, war er mir um den Hals gefallen.
Ich fing an zu zappeln, und er ließ mich wieder los.
„Ich bin Brayan", sagte er, „und Du bist meine neue Ziehschwester!"
„Wirklich?", fragte ich verwirrt, aber Brayan strahlte noch immer.
„Ja, natürlich! Mein Vater hat es mir genau erklärt. Du wirst bei uns leben!"
„Oh", murmelte ich, denn ich hatte das Gefühl, dass er irgendetwas von mir hören wollte.
„Du musst Dir keine Gedanken wegen Uisdean machen", fuhr Brayan fort.
„Er ist ein gemeines, kleines Stinktier, aber wir haben ihn ganz gut im Griff. Das ist übrigens Artair, er ist mein Ziehbruder. Und natürlich jetzt auch Deiner."
Der schweigsame, dunkelhaarige Junge reichte mir die Hand und blickte mir in die Augen. Die seinen waren unglaublich blau, während die Brayans ein warmes Braun hatten.
Ich schniefte noch einmal kurz.
„Warum tut dieser Uisdean sowas?", wollte ich wissen.
„Er piesackt gerne Schwächere", erklärte Brayan. „Mit uns hat er das früher auch gemacht, weil wir auch anders sind. Aber dann waren wir irgendwann kräftig genug und haben ihn ordentlich verdroschen. Seitdem lässt er uns in Ruhe."
„Warum seid ihr anders?", wollte ich wissen.
Brayans Blick verdunkelte sich. „Meine Mutter. Sie ist irgendwann einfach … verschwunden. Und dann tauchte sie plötzlich wieder auf und hat nicht mehr geredet. Sie hat gar nichts mehr gesagt."
Ich konnte die Trauer und Verzweiflung in seiner Stimme hören. „Und dann, nach ein paar Tagen, ist sie einfach gestorben."
Er schwieg kurz. „Und Artair ... Artair hat gar keine Eltern mehr, deshalb ist er ja auch der König."