Kapitel 223
Barbara sah auf ihre Uhr. Pierre würde gleich von der Schule kommen und sicher
Hunger haben. Sie musste sich jetzt aufraffen und etwas zu Essen machen. Wenigstens
eine Kleinigkeit. Sie fühlte sich wie gerädert, als sie sich von der Couch erhob und zum
Kühlschrank lief. Am besten war, sie würde einfach ein paar Sandwiches machen.
Sie nahm sie eine Brotscheibe und und das Glas mit dem Senf. Als sie das Messer in der
Hand hielt, da überkam sie eine solche Wut, das sie es in den Senf hineinrammte und
heftig darin herumstocherte. Doch wem sollte dies gelten? Rebecca? Lukas? Sich selber?
Nun standen sie da, die Sandwiches und warteten darauf verzehrt zu werden. Barbara
hatte keinen Hunger. Sowieso würde sie nicht essen, bevor Pierre nicht zuhause war.
Sie fühlte sich hundeelend. Wie sollte sie ihre Gefühle vor dem Jungen nur verbergen?
Tränen stiegen ihr in die Augen. Das Chaos an Gefühlen, dass in ihr tobte, war kaum
zu beschreiben, geschweige denn zu ertragen. Sie putzte sich ihre Nase mit einem
Küchenpapier und nahm am Tisch platz. Am liebsten würde sie von dort gar nicht
mehr aufstehen.
Ihr Make Up hatte sich völlig aufgelöst und sicherlich sah sie schrecklich aus. Durch
das Wohnzimmerfenster konnte sie den gelben Schulbus ranfahren sehen und kurz
darauf hörte sie auch den Schlüssel in der Tür. Rasch trocknete sie ihre Tränen mit
dem Papier, als Pierre auch schon strahlend um die Ecke gelaufen kam. "Hallo. Ich bin
da" meldete er sich zur Begrüßung. Er wollte noch etwas hinzufügen, sah dann aber
das verweinte Gesicht seiner Mutter. "Hast Du geweint?" Barbara erhob sich von ihrem
Stuhl und lächelte. in diesem Moment war ihr klar geworden, dass, egal was in der
Vergangenheit auch passiert war, sie Pierre immer wie ihr eigenes Kind lieben würde.
Insgeheim hatte sie Angst gehabt, Pierre nun mit anderen Augen zu sehen. Das war nicht
der Fall. Doch wie würde es bei Rebecca sein?
"Es ist alles in Ordnung mein Schatz. Ich habe mir nur-" Sie überlegte schnell, was sie
ihm sagen konnte, denn die Wahrheit ging natürlich nicht. "- den Finger eingeklemmt"
antwortete sie. "Oh. Arme Mama. Tut´s noch sehr weh?" Pierre versuchte auf Barbaras
Finger zu schauen, doch sie ließ sie geschickt hinter dem Rücken verschwinden. "Nein,
Pierre. Es tut nicht mehr weh. Man sieht auch nichts mehr. Komm, Du hast sicher hunger,
nicht wahr?" Pierre nickte. "Und wie. Ich bin auf dem Schulhof so viel umher gerannt."
Er lachte und flitzte ins Bad um sich die Hände zu waschen. Als er wieder kam, standen
die Sandwiches bereits auf dem Tisch. Er setzte sich und nahm sich eines der Brote.
"Sag mal, Pierre. Meinst Du, es wäre in Ordnung, wenn Du am Wochenende bei Deinem
Freund übernachten könntest?"
Pierre sah Barbara erstaunt an und antwortete mit vollen Backen, ganz gegen seine gute
Erziehung. "Ja, ich denke schon. Wieso?" Barbara versuchte ein fröhliches Gesicht zu
machen, damit ihre Geschichte auch glaubhaft wirkte. "Du weist doch, dass ich eine
Boutique habe." Pierre nickte. "Und da muss ich manchmal auch woanders hin reisen
um mir da die neuesten Kleidungsstücke anzusehen, weist Du?" erklärte Barbara ihm.
"Damit die Menschen dann schönere Sachen bei Dir kaufen können?" Barbara lachte.
"Ja so ungefähr".
"Bist Du dann lange weg?" "Nein. Nur 2 Tage höchstens. Ist das ok für Dich?"
Pierre biss wieder in sein Brot, kaute diesmal aber erst zuende und schluckte erst
herunter, bevor er antwortete. "Doch, das ist ok. Kann ich meinen Freund dann mal
anrufen und fragen?" "Ja, das wäre lieb von Dir."
"Weist Du Mama. So ein eigenes Geschäft wie Du hast ist doch toll. Du bist ganz viel
daheim bei mir und andere arbeiten für Dich. Und wenn Du dann manchmal auch weg
musst, ist das gar nicht schlimm. Solange Du wieder zu mir zurück kommst."
Barbara blutete das Herz, bei diesen Worten und sie stand auf um zu ihrem Sohn hin
zu gehen. Sie kniete sich vor ihm auf den Boden, damit er von seinem Sitzplatz
aus besser in ihre Augen sehen konnte. "Du bist ein wundervolles Kind, Pierre.
Und ich bin so glücklich, dass wir zwei uns gefunden haben." Sie umarmte
den Jungen und er kuschelte sich an ihre Schulter. "Ich auch, Mama" flüsterte
er ihr ins Ohr. Wieder flossen Barbara Tränen die Wangen herab, doch diesmal
wollte sie sich zusammen reissen.
Sie löste sich von Pierre und lächelte ihn an. "Ich bin gleich wieder da. Bin nur kurz
im Bad. Und dann essen wir weiter, ja?" Sie ging in das Badezimmer und sah in den
Spiegel. "Große Güte Barbara. Du siehst zum kotzen aus" sprach sie zu sich selber.
Sie ließ kaltes Wasser in ihre zusammen gelegten Hände laufen und schleuderte sich
dies ins Gesicht. Dann cremte sie ihre Haut etwas ein und schminkte leicht ihre Augen.
So sah sie schon wieder menschlicher aus. Danach ging sie in die Küche zurück, wo
Pierre mit dem weiteressen auf sie gewartet hatte. Sie nahm ihr Sandwich und biss
hinein mit den Gedanken weit, weit entfernt.
Fortsetzung folgt.........