Kapitel 232
Wir waren doch noch eher zuhause als die Kinder. Wahrscheinlich hatten sie nur noch den
späteren Film erwischt. Aber da sie in einer Gruppe unterwegs waren, machte ich mir keine
Sorgen. Ich ging in Venus Zimmer und öffnete dort die Fenster, damit frische Luft herein
kommen konnte um die stickige des heißen Tages zu vertreiben. Dasselbe wollte ich auch
bei Kim tun, doch sie hatte ihre Fenster gar nicht erst geschlossen gehabt. Hoffentlich hatte
sie jetzt keine Insekten im Zimmer. Mein Blick fiel auf den Fussboden, wo ihr Tagebuch samt
einem Stift lagen.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Das war typisch Kim. Letzte Woche erst hatte ich sie
nachts fluchen gehört, weil sie auf Toilette gehen wollte und mit dem Fuß gegen das Buch
oder irgendetwas anderes getreten war. Damit ihr dies nicht wieder passierte, wollte ich das
Tagebuch aufheben und auf ihren Schreibtisch legen. Ich ging in die Hocke und griff nach
dem Wälzer. Waren Tagebücher überhaupt so dick? Wahrscheinlich war es gar kein reines
Tagebuch, sondern einfach eines mit leeren Blättern für alles mögliche, was Kim eben als
solches nutzte. Mit der rechten Hand griff ich danach und wollte mich gerade erheben, als es
mir aus den Fingern rutschte und auf den Boden plumpste. Ich hatte noch versucht es wieder
aufzufangen, griff jedoch daneben. "Mist!" schimpfte ich leise.

Das Buch lag nun in der Mitte aufgeklappt da. Ich war erstaunt, dass Kim überhaupt schon
so viel geschrieben hatte. Das Datum, ganz oben auf der Seite, war so groß geschrieben,
dass ein Blinder es im dunkeln hätte lesen können. Es war noch nicht allzu lange her. Ich
wollte es gerade wieder an mich nehmen um es dann fort zu legen, als mein Blick auf die Mitte
der linken Buchseite fiel. Noch etwas stand dort in rieseigen Buchstaben. Das konnte nicht
sein! Mit aufgerissenen Augen und wie mechanisch nahm ich das Tagebuch, stand auf und
lief zu dem Sessel in der Ecke um mich dort hin zu setzen. Wie gebannt starrte ich auf die
Worte.
WIR BEGEGNTEN XIO!!!!

Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Es wiederstrebte mir zutiefst in den Tagebüchern
meiner Kinder herum zu schnüffeln, doch, sie mochten mir verzeihen, ich konnte nicht anders.
Ich las von dem Treffen auf dem Friedhof und das Venus Kim mitgenommen hatte mitten in
der Nacht. Das Xio dort tatsächlich auf sie gewartet hatte. Die ganze Geschichte. Wie lange ich
da saß, wusste ich nicht. Irgendwann hörte ich Schritte auf der Treppe und nun wurde mir
bewusst, was ich da getan hatte. Beschämt legte ich das Buch rasch auf Kims Schreibtisch
und ging zügig in das angrenzende Bad, als Kim auch schon herein kam. "Oh, Mami. Noch
nicht im Bett?" fragte sie mich. "Nein, ich bin etwas aufgeregt wegen der Fahrt morgen. Ich
werde mich jetzt aber auch hinlegen" antwortete ich ihr. "Dann gute Nacht Mami." Sie gähnte
herzhaft. "Gute Nacht mein Engel." Ich strich ihr durch ihr seidiges, blondes Haar und küsste
sie auf die Stirn um dann ihr Zimmer zu verlassen.

Hoffentlich hatte sie mein verwirrtes Gesicht nicht bemerkt. An Venus Zimmertür blieb ich
stehen und klopfte kurz an. "Ja?" kam es von drinnen. Ich öffnete die Tür einen kleinen Spalt
und lugte in das Zimmer, wo Venus dabei war ein paar CDs zu sortieren und ordentlich auf dem
Schreibtisch abzulegen. "Hallo Mum." "Ich wollte Dir nur schnell eine gute Nacht wünschen"
flüsterte ich. "Die wünsche ich Dir auch." Sie winkte mir kurz zu und ich schloß die Tür wieder.
Einmal tief durchatmend ging ich in das Umkleidezimmer und entledigte mich meines Kleides
und schlüpfte in den Schlafanzug. Als ich das Schlafzimmer betrat hörte ich John bereits leise
atmen. Er hatte sein Nachtlicht noch an. Leise schlüpfte ich ins Bett und betätigte den Schalter
an der Wand um das Licht zu löschen. Ich war mir sicher, dass ich nicht einschlafen würde.

Irgendwann war ich doch in einen unruhigen Schlaf gefallen und der klägliche Rest der Nacht
war viel zu schnell vorüber. John war bereits aufgestanden und ich konnte den gebratenen
Speck bis ins Schlafzimmer riechen. Ich fühlte mich hundeelend. Nicht nur, weil mir einfach
der Schlaf fehlte, sondern auch, weil ich ein schlechtes Gewissen Kim gegenüber hatte.
Immerhin hatte ich einfach in ihr Tagebuch geschaut. Und weis Gott, ich wünschte, ich hätte es
nicht getan. Schon alleine, weil ich dann nicht wissen würde, was ich nun wusste. Als ich
gewaschen und angezogen in die Küche kam, stellte John bereits die Teller auf den Tisch. Es
dauerte nicht lange und auch die beiden Kinder kamen zum Frühstück. Ich versuchte mir nichts
anmerken zu lassen und fragte sie nach dem gestrigen Kinofilm aus. Richtig zuhören konnte
ich jedoch nicht. Immer wieder schwirrten mir Bilder im Kopf herum, die ich in Verbindung mit
dem Treffen der Kinder und Xio brachte.

Pünktlich um 10.00 Uhr kam mein Vater wie vereinbart zu uns. Er würde die Tage bei uns
wohnen und auf Kim aufpassen. Er trug unsere beiden Koffer nach draussen und sah sich
anschließend im Garten um. "Also ihr braucht euch wirklich keine Sorgen um die Pflanzen zu
machen. Das werde ich schon hinbekommen. Und Kim kann mir ja helfen." Dessen war ich mir
zwar nicht so sicher, aber ich ließ ihn einfach in dem Glauben. Wir verabschiedeten uns von den
Kindern, die bereits schon wieder auf dem Sprung waren und in die Stadt wollten. Nach einem
letzten Rundgang durch das Haus, kam John die Eingangstreppe herunter. "Alles fertig. Wir
könnten los" sagte er.

Mein Vater und er trugen je einen Koffer zum Auto und verstauten diese im Kofferraum. "Hast
Du alles?" fragte er mich und stieg auf der Fahrerseite ein. "Natürlich habe ich" antwortete ich
schnippisch und stieg ebenfalls ein. "Dann ist ja gut" meinte John grinsend und begann damit
das Navigationsgerät zu programmieren. Bob kam an meine Beifahrerseite und schaute durch
das offene Fenster "Hast Du auch alles, Ayleen?" fragte er lächelnd. "Papa! Ja, ich habe alles!"
"Na, dann wünsche ich Euch eine gute Fahrt und ein paar erholsame Tage." "Danke Paps." Ich
gab ihm noch einen Kuss, ehe er vom Auto wegtrat und ich das Fenster schloß. John startete
den Wagen. "Dann los. Ab in den Urlaub." Ich stockte. "Du, John. Wart mal kurz. Ich glaub ich
muss nochmal ins Haus." "Ok, also was ist es?" "Meine Handtasche" antwortete ich beschämt.
John schüttelte den Kopf und seufzte. "Beeil Dich bitte."

geht noch weiter.........