Weil ja heute der "Weihnachtsvorfeiertag ist, wie ich ihn gerne nenne, und ich finde, man für Nikolaus nie zu alt werden kann (ich hab auch was in meinen Schuhen gefunden *g*), hier ein kleiner Beitrag zum heutigen Tage.
Enjoy!
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Achtung! Dies ist nur ein Nikolaus-Einteiler als Spin-Off zu meiner Weihnachtsgeschichte It's The Most Wonderful Time Of The Year! Wer mehr über Fabian lesen will, sollte dort mal reinschauen (dort ist er allerdings nur ein Nebencharakter).
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Es gibt ihn doch!
Es war kalt, bitterkalt.
Eisiger Nachtwind heulte durch die schmalen Häusergassen und hatte auch den hartnäckigsten Obdachlosen dazu gezwungen, eine Schutz bietende Wärmestube aufzusuchen. Seit die Stadt vor zwei Tagen von einem Schneesturm heimgesucht worden war, fielen immer wieder weiße Flocken vom Himmel, als wollten sie den schmutzigen Boden bis in alle Ewigkeit unter einer dicken Schneedecke verborgen halten.
Doch der plötzliche Wintereinbruch schien nicht nur den normalen Bürgern zuzusetzen...
"Och maaaaan... bestimmt ist der Schornstein wegen den ganzen Schnee zugefroren, und deswegen kann der Nikolaus nicht zu uns kommen. Oder er ist auf den Dach ausgerutscht."
Alexanders weinerliche Stimme ließ Manja genervt aufseufzen. "Es heißt 'dem Schnee' und 'dem Dach'", berichtigte sie ihren Bruder altklug, ohne von ihren Hausaufgaben aufzuschauen. "Außerdem kommt der Nikolaus gar nicht durch den Schornstein!" Natürlich wusste sie mit ihren neun Jahren schon längst, dass es weder den Nikolaus noch den Weihnachtsmann oder Osterhasen gab, aber ihr nicht einmal zwei Jahre jüngerer Bruder schien noch immer an diese fantastischen Geschichten zu glauben. Leider hatte ihre Mutter ihr strikt verboten, diese Illusion zu zerstören. "Und überhaupt, wo sollte er denn dann rauskommen? Aus der Heizung?"
Alexander zuckte mit den Schultern. "Mir doch scheißegal!"
"Alex, beherrsch dich!" Die harsche Stimme seiner Schwester Nicole ließ ihn erschrocken zusammenzucken. "Aber... aber alle meine Freunde haben etwas von ihn gekriegt", fuhr er mit zitternder Unterlippe fort. "Viktor hat sogar ein Rennauto gekriegt! Vielleicht kommt der Nikolaus ja nur nicht zu die Juden!"
"Red nicht so einen Unsinn und lass Manja endlich ihre Hausaufgaben fertig machen", murmelte Nicole. Wie kam Alex nur auf solche Gedanken? Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht viel über jüdische Bräuche; es interessierte sie einfach nicht, schon gar nicht, da der Nikolaus sowieso eine fiktive Person war. Aber vielleicht hatte er sogar Recht?
Sie wandte sich wieder Simon zu, ihrem jüngsten Bruder und Nesthäkchen der Familie. Juristisch gesehen war er zwar nur ihr Halbbruder, so wie auch Alex und Manja nur mütterlicherseits mit ihr verwandt waren; doch sie war erst zwei Jahre alt gewesen, als ihr leiblicher Vater im Sommer 1995 zusammen mit ihrem älteren Bruder Fabian ausgezogen war, und die Familie ihres Herzens waren nun einmal ihre Mutter, Manja, Alex und Simon... und einst auch ihr Stiefvater Jörn. Doch das war gewesen, bevor er arbeitslos wurde und mit dem Trinken angefangen hatte. Wenn sie ehrlich war, vermisste sie ihn nicht sehr. Inzwischen hatte sie auch wieder Kontakt zu ihrem richtigen Vater, und Fabian schaute fast jeden Sonntag Nachmittag bei ihnen vorbei.
Simons Zupfen an ihrem Pullover holte sie in die Gegenwart zurück. "Guck, Nikki, guck!"
"Na super, siehst du? Alle Steine drin! Noch mal?"
"Ja ja, noch mal!", jubelte Simon und ließ die bunten Bausteine wieder in seinen Schoß purzeln.
Nicole schenkte ihm ein abwesendes Lächeln.
Während Manja ihre Hausaufgaben beendete, herrschte Stille in der Wohnung, die nur von Simons Baugeräuschen regelmäßig unterbrochen wurde. Als sie ihr Heft zuklappte, ergriff Alex jedoch sofort wieder das Wort: "Warum ist er denn dann nicht gekommen? Er kommt doch schon immer letzte Nacht, oder nicht?!"
Manja konnte es sich einfach nicht verkneifen. "Es gibt ihn ja eh nicht, und das weißt du ganz genau", flüsterte sie, sodass Nicole es nicht hören konnte.
"Du lügst ja!", brauste Alex sofort auf. "Nic―"
"Na ja, oder vielleicht hat er ja einfach etwas Verspätung?", warf Manja hastig ein, bevor ihre Schwester etwas mitbekam. "Kann doch mal vorkommen, die Welt ist schließlich riesig!" Ihr war klar, dass der sogenannte "Nikolaus" erst dann seine Geschenke gebracht haben würde, wenn ihre Mutter nach Hause kam und ganz schnell und unbemerkt etwas in ihren Schuhen verstecken würde. Zwar hatte auch Manja sich am Morgen geärgert, diese leer vorzufinden, doch schließlich war ihre Mutter schon auf Arbeit gewesen, bevor Nicole sie alle geweckt hatte. Aber jetzt musste sie ja jede Minute kommen.
"So, und die letzte Runde schaffst du alleine, ja?" Simon nickte überzeugt, und Nicole erhob sich, froh, das ermüdende Spiel für heute hinter sich zu haben. Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz nach neun, und Simon hätte schon längst im Bett sein müssen – doch wie sollte sie ihm erklären, dass heute kein Nikolaus zu ihnen kommen würde, wenn er doch alle seine Freunde aus dem Kindergarten besucht hatte?
'Oh Mama, hoffentlich bringst du etwas Kleines mit', bat sie innerlich. Ihr war bewusst, dass diesen Monat nicht mehr viel Geld übrig war, erst recht nicht, wo doch bald Weihnachten vor der Tür stand... doch wie sollte die das den Kleinen erklären? Selbst Manja, die immer so abgeklärt tat, würde wahnsinnig enttäuscht sein. 'Lieber Gott, wenn es dich gibt, lass Fabian bitte Recht haben...' Sie hatte nach der Schule kurz mit ihrem Bruder telefoniert und war dabei auch auf das Thema Nikolaus gekommen, doch Fabian hatte ihr versichert, dass ihre Mutter es bestimmt nur am Morgen vergessen hatte. Sie betete, dass das zutraf... und auch, dass sie bald kam, denn viel länger würde Simon gewiss nicht so friedlich bleiben. Er gähnte schon jetzt alle zwei Minuten.
Es dauerte jedoch noch weitere zwanzig Minuten, bis ihre Mutter endlich den Hausflur betrat.
Ute war hundemüde, und der heftige Schneefall draußen hatte versucht, ihr auch das letzte bisschen Energie aus den Knochen zu saugen. Wieder lag ein furchtbar anstrengender Arbeitstag in der Praxis hinter ihr – einige Patienten hatten ihr heute besonders zugesetzt, als wäre sie als Sprechstundenhilfe für Praxisgebühren und lange Wartezeiten höchstpersönlich verantwortlich. Sie war heilfroh, endlich nach Hause zu kommen.
"Ach du―" Ihr blieben die Worte im Hals stecken, als sie Alex' mit mehr Willen als Können geputzte Stiefel auf dem Schuhschrank erblickte. Heute war Nikolaustag!
Ute blieb stehen und starrte wie versteinert auf die erwartungsvollen Schuhpaare. Warum nur hatte sie nicht daran gedacht? Sie war es doch selbst gewesen, die vor einigen Jahren vorgeschlagen hatte, statt Chanukka den Nikolaustag und Weihnachten zu feiern, wie die Kinder es von all ihren Freunden gewöhnt waren. Es war ihr finanziell ganz recht gewesen, nur an einem statt an acht Tagen Geschenke parat haben zu müssen; das teure Weihnachtsfest hätte sie sowieso auf keinen Fall ausfallen lassen können. Nun erinnerte sie nur noch die Menorah an die Traditionen aus ihrer Kindheit.
Kaum hatte sie die Tür aufgeschlossen, kamen ihr ihre Kinder auch schon entgegen gestürzt.
"Mama, da bist du ja endlich!" Manjas Freude war ausgeprägter als sonst, und Ute ahnte, wonach ihre Tochter gleich als nächstes schauen würde, sowie sie aus dem Türrahmen trat.
Ihr Sohn Alexander schien kurz vor den Tränen zu stehen. "Mama, Mama, der Nikolaus war immer noch nicht da! Er kommt bestimmt nicht wegen den ganzen Schnee!"
"Hallo Mami." Nicoles Gesichtsausdruck war unmissverständlich; ihre Größte schien sofort erkannt zu haben, dass ihre Taschen so leer waren wie ihr knurrender Magen.
Ute setzte ein gezwungenes Lächeln auf. "Ich weiß ja nicht, wie der Nikolaus das so hält, aber ich würde auch nichts bringen, wenn meine Kinder um halb zehn noch nicht einmal im Schlafanzug sind!"
Sie hatte nicht einmal Zeit zum Blinzeln, so schnell stürmten Manja und Alex in ihr Zimmer – wahrscheinlich glaubten die beiden nun erst Recht, es gäbe gleich eine Mini-Bescherung. Ute trat sich mental in den Hintern.
"Nikaus!", zwitscherte Simon und streckte ihr beide Hände entgegen.
"Simon, auch du musst erst mal einen Schlafanzug anziehen", ermahnte Ute ihn. Sie schenkte Nicole ein zögerndes Lächeln. "Machst du ihn schnell fertig? Ich weiß, dass du sie schon den ganzen Nachmittag hattest, aber―"
"Na klar", unterbrach Nicole sie und nahm den sofort quengelnden Simon auf den Arm. "Komm, kleiner Fratz, Zeit zum Zähneputzen!"
Ute nickt ihr dankbar zu – was würde sie nur ohne ihre Große tun? Einen Augenblick warf sie einen skeptischen Blick in den Kühlschrank. Gähnende Leere – nichts anderes hatte sie erwartet. Immerhin hatte Nicole daran gedacht, zum Abendbrot den Eintopf von gestern warm zu machen; den hätte sie sonst wegwerfen können. Aber für einen Naschteller gab der Kühlschrank nichts her. Eine Tüte mit pappigen Waffeln, das war alles. Sie konnte ihren Kindern doch nicht dasselbe geben, was sie schon in ihrer Brotbüchse gehabt hatten!
Ute spürte, wie ihr Tränen der Verzweiflung in die Augen traten. Was war sie denn für eine Rabenmutter, dass sie nicht einmal etwas zum Nikolaus mitgebracht hatte?! Eine Tüte Gummibärchen und ein paar Malbücher hätte sie sogar aus der Praxis abzweigen können.