Wenn ich vorher immer ein bisschen verkrampft im Umgang mit Constantin war, dann hat sich das mit einem Mal aufgelöst.
Er ist netter, als ich eigentlich dachte. Natürlich, ich stand auch schon vorher voll auf ihn, aber irgendwie war da in meinem Hinterkopf immer der Gedanke: „Er ist zu cool für dich!“ Und jetzt, wo wir zwei auf seinem Bett liegen, ist das alles plötzlich ganz anders.
Wir blödeln und lachen, wir reden über unsere Interessen, wir tratschen über Leute aus der Schule – klar, ein bisschen oberflächlich vielleicht, aber wer spricht auch schon beim ersten Date über seine tiefsten Wünsche und Gedanken? Es ist schön, hier mit Constantin abzuhängen, schöner als ich mir das vorgestellt hätte.
Fast bin ich etwas enttäuscht, als wir unten die Haustür auf- und zugehen hören und Claudine nach uns ruft.
Halt! Eigentlich ruft sie ja nur nach mir.
„Jaqueline?! Mädchen, bist du noch da? Würdest du bitte zu mir runterkommen?“
„Sofort, Claudine!“ antworte ich.
„Ok. Tschüß dann, bis morgen in der Schule“. Ich nehme an, dass Constantins Mum mich jetzt nach Hause fahren wird und verabschiede mich schnell von Constantin, der keine Anstalten macht, mich ins Erdgeschoß zu begleiten.
„Ciao Jaqui. War ein super Abend heute mit dir, aber ich glaube, meine Mum hat noch eine kleine Überraschung für dich“, grinst er und zieht sich wieder in sein Zimmer zurück.
Überraschung? Was für eine Überraschung?
Ich versteh’ nur Bahnhof. Eigentlich möchte ich jetzt nur noch nach Hause, aber was soll’s: Überraschungen sind schließlich dazu da, dass man sie entdeckt.
„Ich fahr’ dich gleich nach Hause, Schätzchen, aber würdest du vorher noch so lieb sein und mir einen kleinen Gefallen tun?“ lächelt mich Claudine bittend an.
„Natürlich“, entgegne ich und bin voll spannungsvoller Erwartung. Ich hab’ echt keinen blassen Schimmer, welchen Gefallen ICH dieser Super-Lady machen könnte.
„Ich komm’ eben aus der Agentur und soll mir die neue Abendkleid-Kollektion bis morgen durchsehen – also, weißt du, die haben echt einen Knall! Nicht mal 24 Stunden geben sie mir Zeit, zu entscheiden, was wir reinnehmen und was nicht!“
Ok, nicht grad ´ne leichte Entscheidung, aber was bitte hat das mit mir zu tun?
Ich erfahre die Antwort binnen 5 Sekunden, denn Claudine stürmt auf einen Schrank zu und zieht ein grasgrünes Cocktailkleid hervor.
„Wie findest du das, Schätzchen? Die Mädchen in der Agentur sehen darin allesamt aus wie Käsekuchen, doch trotzdem hat das Kleid und vor allem die Farbe etwas: Ich kann mich nicht entscheiden, ob wir es in die Kollektion nehmen sollen, es könnte entweder DER Hit werden oder total floppen. Würdest du mir zuliebe mal schnell reinschlüpfen? Ich habe nämlich den Verdacht, dass du mit deiner hellen Haut und deinen honigblonden Haaren genau der richtige Typ wärst, um das Kleid erstrahlen zu lassen.“
Na gut, ausnahmsweise. Ganz geil find’ ich das jetzt zwar nicht, hier mal auf die Schnelle den Kleiderständer zu spielen, aber ist ja nichts weiter dabei.
Seltsamerweise passt mir das Kleid wirklich wie angegossen, obwohl mein Busen etwas größer, meine Taille und Hüften ein ganzes Stück breiter sind, als das bei den gängigen Models der Fall ist.
Claudine mustert mich von oben bis unten, steht langsam auf und geht auf mich zu.
„Ich wusste es! Nur ein Mädchen mit solchen Haaren, mit solcher Haut und mit solchen Augen kann so ein Kleid tragen! Aber wenn sie es trägt, dann wirkt es einfach FANTASTISCH!“
Nun ja. Ich finde die Farbe zwar immer noch abscheulich – dieses Grün kann nur ein Laubfrosch tragen – aber Claudine ist so begeistert, dass sie mich vor einen wandhohen Spiegel drängt.
„Sieh dich an, Jaqueline! Sieh dich genau an! Siehst du wie deine Augen auf einmal leuchten, wie dein Teint auf einmal glänzt?“
Tatsächlich! Claudine hat recht!
Meine Haut sieht plötzlich aus wie mit Goldstaub überzogen und meine Augen sind grüner als jemals zuvor.
Ich finde mich schön, das erste Mal in meinem Leben richtig, wirklich schön.
Es ist ein komisches Gefühl.
Einerseits wünsche ich mir, immer so aussehen zu können, andererseits möchte ich nichts anderes, als endlich wieder in meine normalen Klamotten zu schlüpfen und nach Hause zu gehen in unser, ein wenig kitschiges, aber ur-gemütliches Häuschen.