Kapitel 1.6
Ich weiß nicht wie lange ich schon auf den Stufen vor dem Haus in dem Kira's Appartment liegt sitze und warte. Janet meinte sie würde sich um Mikes Mutter kümmern, und ich frage mich warum ich in Gedanken dazu übergegangen bin Michael Sanderson so vertraulich als Mike zu betiteln, als würden wir uns schon seit Jahren kennen.
Vielleicht weil irgendwann jeder Fall anfängt einen persönlich zu berühren, zumindestens empfinde ich es so.
Das Opfer hört auf nur ein Bild oder ein paar Daten zu sein, sobald man sich näher mit ihm und seinem Leben beschäftigt... so wie mit Mike eben.
Die meisten kennen ihn aus den Klatschkolumnen der Zeitungen, wo er als Playboy mit Hauptberuf Sohn ein kleines Abo zu haben scheint... oder zu haben schien.
Aber mit dem Umstand, das er zumindestens bi sein könnte und den Schwierigkeiten mit seiner Mutter, der dieser Umstand heraufbeschworen hat gibt es eine Sache, die ihn vor meinem geistigen Auge zum Leben erweckt.
Denn Schwierigkeiten innerhalb der Familie, die Probleme und Schikanen die es mit sich bringt eben nicht (nur) auf das andere Geschlecht zu stehen... die kenne ich zur Genüge. Das Gefühl es den Menschen, mit denen man Kraft des Blutes doch enger verbunden sein sollte als mit allen anderen nicht recht machen zu können, die stumm anklagenden Blicke der Eltern das man eben nicht eines Tages für die lang ersehnten Enkel sorgen wird... das Schamgefühl das man als Teenager hat wenn man in der Umkleidekabine die anderen Jungs beobachtet, weil einem immer wieder gesagt wird das es wiedernatürlich ist sich sexuell an etwas anderem zu orientieren als an Frauen. Am besten noch im Rahmen einer Ehe, aus der viele Kinder entspringen.
Aber im Gegensatz zu Mike hatte ich nie daran gedacht es vor der Welt zu verheimlichen. Ich könnte mir im Spiegel nicht mehr in die Augen sehen... egal wie hart es war dazu zu stehen.
Aber der Gedanke der mich dabei wirklich nicht loslässt ist die Frage, wie Kira sich dabei wohl gefühlt haben muß...
Kira.
Ich höre die Schritte die im Dunkel des hereinbrechenden Abends an den Wänden der Häuserschluchten wiederhallen und fühle seine Erschöpfung fast körperlich. Er hat wohl einen harten Tag hinter sich... in den Clubs rumhängen bis der Morgen graut, danach noch fast 10 Stunden Arbeit an irgendeiner Tankstelle, wenn ich mich richtig erinnere...
Aber das wird mich nicht daran hindern ihm noch ein paar Fragen zu stellen.
"Hey..." murmele ich. Es ist eine ruhige Wohngegend. Wohl der Grund warum er die harte Arbeit auch sich nimmt... mit seinen Auftritten allein könnte er sich ein Appartment hier nicht leisten.
Eine kleine innere Stimme sagt mir das er nicht der Typ ist, der sich verkauft oder der so leicht Hilfe annimmt. Also kann das mit ihm und Mike nur wegen dem Kick des Verbotenen und wegen echten Gefühlen gelaufen sein... nicht weil Kira an Mikes Geld wollte, das dieser unzweifelhaft hatte.
Aber ich versuche mich von dieser Vermutung - denn mehr ist es bisher noch nicht - nicht beeinflussen zu lassen.
Was mir schwer fällt, wie ich unwillig feststelle.
"Hey..." kommt es müde, aber auch mißtrauisch zurück. "Was wollen Sie noch von mir?"
"Wir haben die Informationen überprüft, die Sie uns gegeben haben, Mr. Okasaka." antworte ich und stemme mich von der Treppe, um ein paar Schritte auf ihn zuzugehen. "Und festgestellt, das Sie uns scheinbar ein paar Sachen verschwiegen haben."
"Ach ja? Also sitzt Charly immer noch da. Wundert mich das er noch nicht von euch Cops mitgenommen wurde. Erregung öffentlichen Ärgernisses oder wie ihr das nennt."
"Hat eine Sonderlizenz." erwiedere ich mit einem schiefen Grinsen, weil mich dieser Umstand gerade herzlich wenig interessiert.
"Na, wie auch immer. Vielleicht sollten Sie mit reinkommen. Ich brauch einen Kaffee bevor ich Ihnen die zahlreichen Fragen, die Sie bestimmt noch an mich haben werden zufriedenstellend beantworten kann."
Dagegen kann ich nichts sagen, und so folge ich ihm in das kleine Appartment das er sein Zuhause nennt... und bin überrascht von dem Geschmack, den Kira hat. Wesentlich "normaler" als ich mir das vorgestellt hätte.
Naja. Bis auf ein paar Kleinigkeiten.
"Das gehört meiner Mutter. Sie hat es beim letzten Mal hier gelassen." wirft er mir amüsiert zu, als er meinen Blick bemerkt.
"Ah ja."
Seine Mutter. Natürlich. Wahrscheinlich hängen die geschmackvolleren Stücke bei ihm im Kleiderschrank.
Er geht zu der kleinen offenen Küche, die eine Ecke des Wohnraums einnimmt, während ich mich weiter umsehe.
"Crash Bandicoot?" Jetzt ist es an mir amüsiert zu klingen.
"Ja, wenn der Abend mal wieder zu lang wird."
"Ich dachte Sie hätten den Club, um ein wenig Zeit tot zu schlagen?"
Er lacht. "Ich trete dort auf, weil ich das Singen liebe und weil es ein guter Nebenerwerb ist. Man erlangt Praxis und lernt coole Leute kennen. Aber ich hänge dort doch nicht 7 Nächte die Woche ab. Sehe ich aus wie Superman? Und übrigens, Finger weg von der Konsole."
Woher er weiß, das es mir in den Finger gejuckt hat mal kurz "Crash Bandicoot" anzuspielen ist mir ein Rätsel.
Aber er hat inzwischen auch den Kaffee herausgeholt und so stehe ich wieder auf und trete an die Theke.
"Sie und Mr. Sanderson hatten also eine Affäre. Ist das richtig?"
Er nutzt die Zeit, das Pulver in die Maschine zu geben um sich seine Worte zurecht zu legen. "Affäre..." setzt er dann an und verstummt noch einmal kurz.
"Affäre ist schon zuviel gesagt. Wir waren nicht einmal zusammen im Bett. Wenn Sie mich fragen, wollte er einfach nur etwas menschliche Nähe. Und da war es egal ob diese Nähe zu einer Frau oder einem Mann bestand. Das ich es war lag wohl einfach am Timing. Es hätte auch jeder... oder jede andere... sein können."
Ich nehme es ihm ab. Es klingt logisch. Außerdem ist es der Glanz in Kiras Augen, als er das sagt. Michael war wohl nicht der einzige, der menschliche Nähe brauchte.
"Charly sagte uns, das Michael Ihnen ein paar Minuten später gefolgt ist. Haben Sie ihn an diesem Abend dann noch einmal getroffen?"
"Nein. Ich bin in den Bus gestiegen, der um 1 Uhr 21 von der Haltestelle dort an der Ecke losfährt. Wenn er mir nachgekommen ist, hat er mich wohl verpasst. Aber bevor Sie mich weiter verdächtigen hätte ich da noch was für Sie, das Ihnen vielleicht weiter hilft."