Beiträge von DieMarry

    soo, ich komme mal wieder dazu, weiterzumachen.


    raya: Die Sache mit der Gedankenkommunikation wird im jetzt folgenden Kapitel näher erläutert, deswegen geh ich da jetzt mal nicht weiter drauf ein.


    Zu Mios "Gefolge" sage ich nur so viel, dass ja nirgends gesagt ist, dass sie wirklich auch verwandelt sind. In einem späteren Kapitel wird ein kleiner Hinweis auf den Grund ihrer "ewigen Jugend" gegeben. Ehrlichgesagt habe ich aber noch keine Stelle gefunden, an der das mal wirklich richtig genau ausdiskutiert werden könnte. Muss ich mich nochmal drum kümmern. *g*


    Ja, Mios Vorstellungen über Recht und Unrecht. Sind die nicht insgesamt etwas fragwürdig? Und sie werden wohl sogar noch viel fragwürdiger werden. Aber, wenn er halt so denkt, kann ich da leider auch nichts gegen tun. :fiu
    Dem Mann soll mal erstmal einer bekehren. *gg*
    Und wäre seine "Blutspenderin" nicht etwas offensichtlich als Verräterin ? :rolleyes


    Freu mich auf jedenfall wieder riesig über dein Kommi, also herzlichen Dank. :)



    Wünsche also dann viel Spaß bei der Fortsetzung!


    Im Kreuzverhör


    Christina betrachtete die Landschaft, die zügig am Beifahrerfenster des Aston Martin vorbeizog. Sie war erstaunlich fit, nach allem was passiert war. Vergangene Nacht hatte sie ruhig und fest geschlafen, seit Monaten das erste Mal. Und soweit sie wusste, war Mio die ganze Nacht hindurch mit irgendetwas in seinem Büro beschäftigt gewesen. Dass er seine Arbeit immer wieder unterbrochen hatte, um an Christinas Tür zu horchen, ob sie schlecht Träumte, konnte sie nicht ahnen. Denn er wusste von ihren Träumen und er wusste, dass diese Träume keine einfachen Albträume waren. Sie hatten eine gewisse Bedeutung. Doch er hatte außer ihrem ruhigen Herzschlag und ihrem leisen Atem nichts aus dem Zimmer hören können.


    Christina war sich sicher, dass Crawley südlich von London lag, warum fuhren sie dann schon eine ganze Weile nach Westen? Sie drehte sich zu Mio. Seine Augen waren hinter einer breiten schwarzen Sonnenbrille verborgen, die sich leicht um seinen Kopf bog, sodass seine Augen auch seitlich vor Licht geschützt waren. Seine rechte Hand lag locker auf der unteren Biegung des Lenkrads und seine Linke ruhte auf dem Schaltknauf zwischen ihnen. Er trug einen beigefarbenen Rollkragenpullover, der seine dunklen Haare betonte, seine Blässe jedoch nicht noch blasser wirken ließ. Sein Mantel lag hinter ihren Sitzen.
    Christina hätte sich am liebsten zusätzlich zu ihrer Jeans, dem dunkelroten Pullover und ihrer Jacke noch eine Mütze und einen Schal angezogen, denn sie empfand die Temperatur im Inneren des Wagens als kurz vor dem Gefrierpunkt. Doch Mio schien es immer wärmer zu werden, je höher die Sonne stieg, denn immer wieder wanderte seine Hand zum Regler der Klimaanlage.
    „Wohin fahren wir?“ fragte sie und konnte nicht vermeiden, dass ihre Zähne leicht klapperten, als sie den Mund öffnete.
    „Ich gehe nur auf Nummer sicher und fahre nicht den direkten Weg. De’Fellinis Leute werden uns schon noch früh genug wieder auf den Fersen sein, da müssen wir es ihnen nicht auch noch leicht machen.“ Sein Kopf drehte sich leicht zu ihr, doch sie konnte nicht erkennen, ob er sie ansah, oder eine der Anzeigen auf der Mittelkonsole.
    Er schien kurz zu zögern, aber dann fand seine Hand erneut den Regler der Klimaanlage und diesmal drehte er ihn ein Stück in die entgegengesetzte Richtung. Als nächstes fasste er zwischen den Sitzen nach hinten und griff nach seinem Mantel, den er Christina anschließend hinhielt.
    Christina nahm ihm das lederne Kleidungsstück aus der Hand und betrachtete es einen Augenblick unschlüssig, dann breitete sie es über ihren Beinen aus. „Danke.“ Murmelte Sie und zog den Mantel dann hoch, bis zu ihren Schultern.
    Ihr stieg neben dem Ledergeruch auch ein würzig süßer Duft in die Nase und sie wusste nicht, ob ihr das gefiel, oder nicht. Es war ein angenehmer Duft, jedoch vielleicht fast ein bisschen zu angenehm. Schon vorher war ihr der Geruch an Mio aufgefallen, doch bisher hatte sie nicht bewusst darauf geachtet.
    Sie kam einfach nicht dahinter, wer er eigentlich war. Natürlich wusste sie seinen Namen und sogar, was er war. Doch sie konnte nicht durchschauen, was für eine Person sich hinter der kühlen, respekteinflößenden Fassade verbarg. Diese kleinen netten Gesten wollten nicht ganz zu seinem schroffen Auftreten passen. Schon gar nicht dieser fast liebevolle Blick, mit dem er Anais am Abend zuvor angesehen hatte. Okay, sie kannte ihn kaum und für gewöhnlich war sie Niemand, der sich schnell ein Urteil über andere Menschen bildete, doch er war kein Mensch und sie hatte jetzt schon zweimal mitbekommen, dass er skrupellos andere….Wesen erschoss, die ebenfalls keine Menschen waren. Aber sie waren einmal Menschen gewesen, wenn es stimmte, was man über Vampire hörte und in Filmen sah. Sie hatten einmal Familie und Freunde gehabt, Menschen, die sie liebten und vermissten.


    Ihr Blick wanderte wieder zu Mio. Hatte er Familie? Hatte er jemanden, außer denen, die sie bereits kannte und die ihn wie einen Vorgesetzten behandelten? Wartete irgendwo jemand auf ihn? Vielleicht sogar in Crawley?
    Christina wurde bewusst, dass sie sehr viel wichtigere Dinge hatte, über die sie sich Gedanken machen sollte, statt Mio anzustarren und sich den Kopf zu zerbrechen, ob er Familie hatte.
    „Ich dachte am Tag könnten sie uns nicht verfolgen. War das nicht der Grund, weshalb wir mit unserem Aufbruch bis zum Sonnenaufgang gewartet haben?“ Fragte sie.
    „De’Fellinis Vampire können uns am Tag nicht folgen, doch er hat auch Beziehungen zu Geschöpfen, die das Tageslicht durchaus vertragen.“
    „Was für Geschöpfe sind das?“ Wollte Christina wissen.
    „Es wandeln nicht nur in der Nacht Dämonen unter den Menschen, Christina.“ Lautete die Antwort, in einer Tonlage, als würde er diese Tatsache für völlig offensichtlich halten.
    Christina blickte wieder aus dem Fenster, beobachtete die anderen Autos, die Straßenränder, die vereinzelten Büsche, an denen sie vorbeifuhren. „Sind welche in der Nähe?“ fragte sie verunsichert.
    „Nein.“ Antwortete er. „Ich würde es wissen. Und selbst wenn, könnten sie uns zumindest nicht sehen.“
    Christina blickte den Dunkelhaarigen verständnislos an.
    „Niemand kann uns sehen, nicht die Menschen um uns herum und auch sonst niemand. Ich habe eine Art Schutz über uns und das Auto gelegt. Die meisten Leute sehen gar nichts, besonders Aufmerksame sehen nicht viel mehr als einen leichten Schimmer, den sie für Einbildung halten.“
    Christina blinzelte und versuchte zu begreifen, was Mio gerade gesagt hatte. Dann kam ihr ein wirklich beunruhigender Gedanke. „Uns kann niemand sehen?!“ fragte sie aufgebracht. „Die anderen Autofahrer haben keine Ahnung, dass wir hier sind?“ Sie griff nach dem Gurt, der über ihrer Schulter lag und ihre andere Hand fasste nach dem Griff der Tür. Sie beobachtete die entgegenkommenden Autos und im Rückspiegel die Autos hinter ihnen. Ihr Hintermann fuhr tatsächlich etwas zu dicht auf, doch das konnte er ja nicht ahnen.
    „Es wird nichts passieren, Christina“ versuchte Mio sie zu beruhigen.
    Christina blickte ihn nun mehr als skeptisch an. Doch, als sie darüber nachdachte, musste sie zugeben, dass sie schon eine Weile unterwegs waren und sogar im engsten Stadtverkehr war nichts geschehen, sie hatte ja nicht einmal wahrgenommen, dass die Anderen sie nicht sahen. Sie versuchte, sich etwas zu entspannen.
    „Warum sind diese Typen eigentlich so interessiert an mir?“ fragte sie.
    Mio zögerte kurz, bevor er antwortete. „Erstmal hast du einen ihrer Leute auf dem Gewissen.“ Er sah sie prüfend von der Seite an und sprach dann weiter. „Außerdem scheint De’Fellini dich tatsächlich als Gefahr anzusehen. Er weiß seit langer Zeit von der Prophezeiung, doch hat er sie nie ernst genommen. Er glaubte, sie sei ein Märchen. Er hielt sich für unbesiegbar. Du hast direkt vor seinen Augen demonstriert, was geschehen kann, wenn man die Gefahr unterschätzt. Und selbst danach hat er offenbar gezögert, zu glauben, was wahr ist, sonst hätte er dich direkt ausgeschaltet. Inzwischen scheint er aber erkannt zu haben, wer du bist, also versucht er seinen Fehler, dich am Leben zu lassen, zu korrigieren, solang du noch relativ unschädlich bist.“
    Christina dachte einen Augenblick über seine Antwort nach. „Was meinst du mit, solange ich noch unschädlich bin?“
    „Du wirst nicht du selbst bleiben.“ Lautete seine Antwort und Christina schluckte. „Ich werde dafür sorgen, dass du deine Aufgabe erfüllen kannst und dafür sind einige Maßnahmen notwendig.“
    „Was soll denn das nun wieder heißen?“ Konnte er sich denn nicht einfach verständlich ausdrücken?
    „Es liegt ein spezielles Training vor dir. Du wirst in Allem, was du benötigst, unterrichtet. Du wirst zu einem Krieger ausgebildet.“
    Vor Christinas Augen tauchte das Bild einer muskelbepackten Person auf, in einer schillernden Ausrüstung gekleidet, mit riesigen Waffen in den Händen und überall am Körper. Sie sollte eine Kriegerin werden? Hätte sie die letzten Tage nicht erlebt, hätte sie Mio vermutlich lauthals ausgelacht, doch jetzt schwieg sie.


    Hätte sie gewusst, dass Mio ihr die eigentliche, alles entscheidende Information auch weiterhin verschwieg, obwohl er es ihr längst hätte sagen sollen, hätte sie vermutlich nicht einmal mehr geatmet.
    Doch Christina atmete weiter und ihr kam eine weitere Frage in den Sinn, an die sie bereits vorher gedacht hatte. „Was ist da letzte Nacht in der Garage passiert?“ Sprach sie jetzt schnell, bevor sie wieder der Mut verließ.
    Auch, wenn ihre Frage nicht besonders präzise war, wusste er was sie meinte. „Eine kleine Befähigung meiner Art. Ich bin in der Lage, Gedanken Anderer zu empfangen und ich kann sie auch meine Gedanken empfangen lassen.“
    Christinas Augen wurden kugelrund. Konnte er jederzeit alles, was sie dachte, hören? Was zur Hölle hatte er dann schon alles in ihren Gedanken lesen können? Sie durchforstete ihre Erinnerung nach Dingen, die sie Gedacht haben könnte und von denen er eigentlich nichts wissen sollte.
    „Bei dir funktioniert es bis jetzt nur, solange ich deine Haut berühre.“ Sprach Mio.
    „Und woher weißt du dann, was ich gerade gedacht habe?“ Er berührte sie doch gerade nicht.
    „Dazu musste ich deine Gedanken nicht empfangen, es war offensichtlicht.“ Wieder zuckten seine Mundwinkel.
    Es war ihr unangenehm, dass sie offenbar so einfach zu durchschauen war und darum stellte sie schnell eine weitere Frage, um von sich abzulenken. „Wie alt bist du?“
    „Ich wurde 1275 geboren.“ Antwortete er und es war offensichtlich, dass ihm Fragen zu seiner Person nicht besonders gefielen.
    Doch er konnte ihr ja nicht entkommen, dachte Christina, das hier war ihre Chance, endlich mehr über ihn herauszufinden. Für sein Alter von 734 Jahren hatte er sich aber sehr gut gehalten. Sie würde ihn auf Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig schätzen. „Wie alt warst du bei deiner Verwandlung?“
    Jetzt warf er ihr einen ernsthaft finsteren Blick zu. „Ich damals gerade dreißig Jahre alt, wie es üblich ist.“
    Christinas Kehle entsprang ein fragender, nicht besonders intelligent klingender Laut. „Wie es üblich ist?“
    „Ja, wie ich gerade sagte.“ Antwortete Mio. „Meinesgleichen erleben ihre Verwandlung üblicherweise kurz vor oder kurz nach ihrem dreißigsten Geburtstag.“
    „Aber, ich habe immer gedacht, man würde in einen Vampir verwandelt werden, wenn man von einem gebissen wird.“ Christina war verwirrt.
    Mio nickte. „Ungefähr so läuft es bei Vampiren ab. Bei mir jedoch nicht.“
    „Aber du bist doch ein Vampir. Warum war es bei dir anders?“
    „Ich hatte dir gesagt, dass die Bezeichnung als Vampir am ehesten meiner Art entspricht. Genau genommen bin ich keiner. Ich kam zur Welt, als das, was ich bin. Zu menschlich, um Vampir zu sein und zu sehr Vampir, um Mensch zu sein. Meine Art wird als Schattenwanderer bezeichnet.“
    In Christinas Kopf öffnete sich ein ganz neuer, unendlich langer Fragenkatalog. „Was unterscheidet dich von einem Vampir.“ War die erste von vielen weiteren Fragen.


    Mios Hand schloss sich unweigerlich fester um das Lenkrad und sein Blick verließ kurz die Straße und wanderte über die ländliche Gegend, durch die sie fuhren. Er hasste es, über sich selbst zu sprechen. Man hatte ihm gelehrt, so wenig, wie nur möglich, von sich selbst preiszugeben, denn je mehr ein Anderer über Ihn wusste, umso angreifbarer wurde er. Doch wusste er, dass Christina möglichst viel erfahren musste. Er biss die Zähne aufeinander und drehte leicht den Kopf von einer Seite zur anderen, um seine Nackenmuskulatur zu lockern, die gerade begann, sich zu verkrampfen.
    „Es gibt nur wenige feine Unterschiede.“ Sprach er. „Wie gesagt, wird man als Schattenwanderer geboren. Bereits, wenn wir zur Welt kommen, sind wir weniger menschlich und bis zum dreißigsten Lebensjahr findet langsam eine Entwicklung statt, während der immer mehr menschliches verschwindet. Durch die vollendende Verwandlung werden wir zu dem, was wir sind. Es ist ein Gen, welches vererbt wird.
    Schattenwanderer vertragen die Sonne in einem gewissen Rahmen, während Vampire sofort verpuffen, wenn sie mit dem kleinsten Sonnenstrahl in Berührung kommen. Sie nähren sich nicht täglich, wie andere Vampire. Es genügt, wenn ich einmal in sechs bis acht Wochen trinke. Üblicherweise haben wir einige Fähigkeiten, die Vampire nicht haben. Eine davon ist das Gedankenlesen und Gedankenprojizieren. Vampire können durch einige Tricks den Willen der Menschen manipulieren und sie so ihrem eigenen Willen unterwerfen. Bei uns funktioniert das anders. Wir beeinflussen das Denken, jedoch unterdrücken wir nicht den Willen. Ich habe allerdings außerdem einen gewissen Einfluss auf die Gefühle anderer Leute.“
    Christina gab einen Laut von sich, als wolle sie etwas sagen, doch er ignorierte sie und sprach weiter. „Schattenwanderer sind nicht auf die gleiche Weise, wie Vampire, nämlich durch einen Stich ins Herz oder durch Köpfen, zu vernichten. Außerdem altern Schattenwanderer, jedoch sehr viel langsamer als Menschen.“ Er verstummte, doch Christina hatte das Gefühl, als wäre das noch nicht alles. Und sie hatte Recht, denn Mio sprach nach einer Weile weiter. „Einige Leute behaupten, Schattenwanderer würden noch einen Teil ihrer Seele besitzen. Völliger Unsinn, meiner Meinung nach.“ Seine Stimme verriet tiefe Missbilligung.
    „Einen Teil ihrer Seele?“ Kam es stotternd über Christinas Lippen.
    „Vampiren wird durch den brutalen Akt der Verwandlung ihre Seele genommen. Sie stirbt. Alles was weiterlebt sind der Instinkt und der Körper. Weil Schattenwanderern ihre Verwandlung bereits von Beginn an vorbestimmt ist und der Körper Zeit hat, sich entsprechend vorzubereiten, ist die Verwandlung kein brutaler Akt der Gewalt. Darum glauben einige Leute, dass ein Teil der Seele bereits bei der Geburt oder während der Entwicklung verloren geht, ein gewisser Teil aber vorhanden bleibt.“
    „Wie viele Schattenwanderer gibt es?“ Fragte Christina, nachdem sie ihn einigen Augenblick lang stumm angesehen hatte, was der Verspannung in seinem Nacken nicht gerade gut bekam.
    „Es gab einmal sehr viele von uns, auf der ganzen Welt, in jeder Stadt, an jedem Ort. Jetzt gibt es nur noch genau zwei.“ Wut kochte in seinen Adern, brachte ihn dazu, die Zähne fest aufeinander zubeißen und so seinen gesamten Kiefer anzuspannen. Da er ihre nächste Frage bereits erahnen konnte, beantwortete er sie direkt, ohne darauf zu warten, dass sie sie stellte. „De’Fellini hat dieses Werk vollbracht. Er weiß, dass Schattenwanderer stärker sind, als Vampire jemals sein werden, also hat er sie Stück für Stück ausrotten lassen. Ich schätze, ein weiterer Grund ist, dass er nie über seine verlorene Zukunft hinweggekommen ist und aus irgendeinem Grund uns dafür verantwortlich macht.“
    Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass auch Christinas Blick sich verfinsterte und sie angespannt aus der Windschutzscheibe starrte. Dann sah sie ihn wieder an. Sie drehte ihren Rücken sogar zur Beifahrertür und zog ein Bein seitlich auf den Sitz, sodass sie jetzt in seine Richtung gewandt dasaß. Mio trat auf das Gaspedal, ignorierte, dass sie sich gerade in einer geschlossenen Ortschaft befanden und sorgte dafür, dass diese Fahrt und damit auch dieses Verhör nicht mehr allzu lange dauerten.
    „Kennst du den anderen?“ Fragte sie und damit hatte er nicht gerechnet.
    „Ja.“ Sagte er und das war alles, was er momentan auf diese Frage antworten wollte.
    Sie schien das zu begreifen, denn sie hakte nicht weiter nach.


    Sie hatte noch so unglaublich viele Fragen an ihn. Wann hatte er das letzte Mal getrunken? Wie genau funktionierte das? Was genau bedeutete die Sache mit dem Einfluss auf die Gefühle Anderer? Warum war er sich so sicher, dass die Geschichte mit der Seele Quatsch war? Doch sie wusste, dass diese Fragen warten mussten. Er wirkte bei jeder weiteren Frage zu seiner Person schlechter gelaunt. „Seit wann kennst du Cosmin?“


    Wie kam sie denn jetzt auf Cosmin? Musste jemand die Gedankensprünge von Frauen verstehen? Er versuchte es gar nicht erst. „Seit ein paar Jahren.“ Antwortete er, bemerkte aber an ihrem Blick, dass ihr diese Antwort nicht reichte. „Wir haben uns vor ungefähr 190 Jahren kennen gelernt.“
    „Wie?“
    Mio wusste, dass er ihr diese Geschichte früher oder später würde erzählen müssen. Vielleicht würde sie auch Cosmin fragen und der würde ihr eine ausführliche und ausgeschmückte Geschichte auftischen, weil er es liebte alte Geschichten zu erzählen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Es war eine schwierige und lange Geschichte, es würde Nerven kosten, sie zu erzählen. Und gerade jetzt hatte er diese Nerven nicht. „Eine lange Geschichte.“
    Christina war mehr als unzufrieden, doch sie bewies ein weiteres Mal, dass sie klug genug war, nicht zum falschen Zeitpunkt nach den falschen Dingen zu bohren. „Und Marali?“
    „Marali ist da, weil Cosmin da ist.“ Noch zwanzig Minuten, dann wären sie endlich in Crawley. Es wurde auch langsam Zeit, nicht nur, weil dieses Verhör wirklich lästig war, sondern auch, weil es fast Mittag war und darum für ihn unglaublich heiß und kräftezehrend.
    „Cosmin und Marali sind also ein Paar? Sind sie verheiratet?“
    „Ja.“ Er schaltete einen Gang tiefer, trat das Gaspedal jetzt noch weiter durch und rauschte an einer ganzen Autokolonne vorbei.
    „Wie alt sind Anais, Marali und Cosmin?“
    „Älter, als es scheint. Und nein, ich kann dir nicht sagen, wie das möglich ist.“ Wenn er dieses Tempo beibehielt, wären es nur noch zehn Minuten.


    Christina bemerkte durchaus, dass Mio nur noch sehr einsilbig auf ihre Fragen antwortete und von Minute zu Minute gereizter schien. Dass er es offenbar eilig hatte, ans Ziel zu kommen, verriet ihr ein Blick auf die Tachoanzeige. Da sie für den Zustand der schmalen Straße mindestens 100 Km/h zu schnell waren und andere Verkehrsteilnehmer ihnen im Notfall auch nicht ausweichen würden, hielt sie es für angebracht, lieber den Mund zu halten und Mio nicht vom Fahren abzulenken. Sie hatte wirklich keine Lust, nachdem die Stiche und Schnitte an ihrem Körper gerade abheilten, sich neue Verletzungen bei einem Unfall einzuhandeln.


    Schon kurze Zeit später entdeckte sie das Ortsschild von Crawley, doch sie fuhren nicht in die Stadt herein. Mio folgte einer Straße, auf der sie die kleine Stadt umrundeten.
    Die vorher eher flache Landschaft, die hauptsächlich aus Feldern und einigen wenigen Hügeln bestanden hatte, wurde jetzt immer mehr von einer dichten Waldlandschaft ersetzt.
    Plötzlich trat Mio auf die Bremse und bog rutschend in einen unbefestigten Waldweg ein, sodass Christina in den Gurt gedrückt wurde und ihr der Ledermantel von den Schultern rutschte.
    Der enge Pfad schlängelte sich durch die Bäume, deren Blattwerk beinahe das Auto berührte.
    Christina wurde es etwas mulmig und sie fragte sich, wo Mio eigentlich mit ihr hinwollte. Doch sie war sich auch nicht sicher, ob sie das wirklich wissen wollte. Mit einem fast fremden Mann, der ein offenkundig finsteres Auftreten zur Schau trug, in ein abgelegenes Waldgebiet zu fahren - der Albtraum einer jeden Frau.
    Christinas Hände rutschten unter dem Mantel an dem Innenfutter des Leders entlang. Hatte er nicht am Abend zuvor einige Waffen hier drinnen versteckt gehabt? Und schon stießen ihre Finger auf etwas Hartes, Schweres. Sie tastete den Gegenstand ab. Es fühlte sich ähnlich an, wie ein Messer. Ob sie im Falle eines Falles damit überhaupt etwas gegen Ihn ausrichten könnte?
    Doch genau in diesem Moment griff Mio nach dem Mantel und zog ihn ihr weg. „Den brauche ich gleich.“ Sagte er.
    Oh ja, klasse. Er brauchte gleich also den Mantel, in dem sich neben dem Messer bestimmt noch einige andere gefährliche Dinge befanden.
    „Wir sind da.“ Verkündete Mio plötzlich und Christina fragte sich im Stillen unweigerlich „Wo?“, denn sie konnte nichts sehen, außer alten Bäumen und Sträuchern.



    Geht gleich noch weiter.

    lidsi, das kommt mir sooooo bekannt vor. Könnte dir da so viele geschichten erzählen, wo mir ähnliche sachen passiert sind.
    Mal ein Beispiel:
    Ich bin auch jemand, der viel wert auf einen zuvorkommenden und korrekten Umgang mit Kunden und (ich nenn das jetzt einfach mal so) "Partnerfirmen" legt.


    Ich saß vor ein paar Wochen mit einigen Kollegen zusammen im Büro. Eine Kollegin hatte Geburtstag und hat Kuchen mitgebracht.
    Ich habe gerade eine ordentliche Ladung Kuchen im Mund, da klingelt das Telefon und ich seh auf dem Display den Namen eines Kollegen, mit dem ich mich ganz gut verstehe.


    Ich: *schmatz* *mampf* Hallo M****!! Wir essen grad lecka lecka Kuuuchään! Ätttsch!!!
    Aus dem Telefonhörer: Guten Tag Frau L****, H*** mein Name, Firma C**** ich möchte Sie und ihre Kollegen bitten, das Programm XY zu verlassen, da wir ein Update vornehmen möchten. (Der Mann saß im Büro des Kollegen, um unsere EDV zu warten)
    Ich: :eek: *schluck* *lochimerdbodensuch* Natürlich, selbstverständlich... entschuldigung....ähm... möchten sie vielleicht auch ein stückchen kuchen? *imbodenversink*

    Dieses Kapitel ist stellenweise schon beträchtlich gekürzt, da ich diese Stellen auch durch Umformulierungen in eine "jugendfreundlichere" Version nicht beibehalten konnte.

    Anais' Story


    Mio bewegte sich durch die dunklen Straßen Londons und achtete darauf, sich möglichst unauffällig im Schatten der Häuser und Seitenstraßen zu halten, denn er war sich sicher, dass De’Fellini noch weitere Leute auf ihn und Christina angesetzt hatte. Die Nummer in der Tiefgarage war schon verdammt knapp gewesen. Er hätte damit rechnen müssen, hatte er aber nicht. Und er hätte nicht lange fackeln sollen, sondern die vier direkt ausschalten sollen. Aber er hatte gezögert, weil Christina dabei gewesen war und er hatte ihr nicht mehr zumuten wollen, als unbedingt notwendig. Sie schien noch ziemlich angeschlagen gewesen zu sein und er hatte Sorge, dass ihr ein blutiger Kampf direkt vor ihrer Nase den Rest hätte geben können. Mio fluchte. Sowas sollte nicht passieren. Er sollte sich keine Gedanken um seine Begleitung machen müssen und sie sollte ein verdammter Kerl sein und keine Frau, die sich an ihn klammerte und schluchzte. Seine Wut spiegelte sich in seinen Schritten und seiner Körperhaltung wieder. Schon bald eilte er in einem außergewöhnlichen Tempo durch die Schatten.


    Er ging ein hohes Risiko ein, bei dem was er tat, aber es ließ sich nicht weiter aufschieben. Das war ihm gerade im Fahrstuhl mehr als deutlich bewusst geworden. Er musste sich nähren und das unbedingt noch heute Nacht, denn sonst würde er eine zu große Gefahr bilden. Er hatte bereits zu lang gewartet. Ihm wäre es lieber gewesen, sich direkt mit Christina und den anderen auf dem Weg nach Crawley zu machen, denn kaum einer wusste von seinem Haus dort und sie würden nicht so bald mit einem weiteren unerwünschten Besuch rechnen müssen.
    Zielstrebig suchte er sich den schnellsten Weg durch die nächtlichen Straßen, um möglichst bald sein Ziel zu erreichen und so schnell, wie möglich zurück zu kehren. Mit dem Wagen wäre es schneller gegangen, doch er wäre ein zu auffälliges und zu leichtes Ziel gewesen.
    Schon bald erreichte er das kleine, ungepflegte Gebäude am Ende einer Seitenstraße und trat mit einem prüfenden Blick über die Schulter durch die Tür.


    Im Inneren schlug ihm unangenehme Wärme entgegen und der Geruch nach Zigaretten, Alkohol und billigen Parfum. Er versuchte, nicht zu genau zu sehen, was an den verschiedenen Tischen in den schmalen Nischen in den Wänden vor sich ging, als er sich nach einer bestimmten Frau umsah.
    Er erblickte sie an der Bar mit einem Schnapsglas in der Hand, welches aussah, als wäre es seit Wochen nicht mehr mit Wasser und Spülmittel in Berührung gekommen. Sie trug ihre dunklen Haare offen und sie fielen in dicken Wellen über ihren Rücken. Gekleidet war sie mit einer Bluse, bei der nur die untersten zwei Knöpfe geschlossen waren und einem Rock, der kaum breiter war, als ein Gürtel.
    Mio überwand seinen Widerwillen und trat an sie heran.
    Als ihre glasigen Augen ihn erblickten, verzerrte ein breites Grinsen ihren Mund. „Du warst lang nicht hier, mein Großer.“ Gurrte sie.
    Sie rutschte an den Rand ihren Barhockers, auf ihn zu und streckte die Hände nach seiner Brust aus. Doch Mio nahm ihre Handgelenke und drückte sie von sich weg.
    „Ich habe nicht besonders viel Zeit.“ Antwortete er mit gereizter Stimme.
    Sie blickte ihn mit einem übertrieben gekränkten Gesichtsausdruck an. „Och, da habe ich so lang auf dich warten müssen und dann werden wir uns auch noch beeilen müssen.“ Sie schob ihre zu knallig bemalte Unterlippe ein Stückchen vor, doch dann breitete sich wieder dieses fletschende Lächeln um ihren Mund aus. *
    Mios Nacken- und Schultermuskulatur verspannte sich und es kostete ihn all seine Überwindungskraft, diesen dreckigen Schuppen nicht direkt wieder zu verlassen. „Du solltest endlich kapieren, dass du mit deinen Spielchen bei mir nichts erreichst.“
    Sie seufzte. „Seit so langer Zeit kommst du immer wieder zu mir und nie kriege ich dich dazu, auch nur ein klitzekleines Bisschen Spaß zu haben.“ Sie rutschte dann von ihrem Hocker, warf den Kopf in den Nacken und ging die Treppe an der linken Wand hinauf.


    Mio überzeugte sich selbst, dass es wirklicht notwendig war und folgte ihr mit einer derart finsteren Miene, dass ihm einige gestandene Kerle eilig aus dem Weg gingen.
    [...]
    So schnell es ging, verließ er das Zimmer und auch direkt das Gebäude.
    Als er in der kühlen Nachtluft stand atmete er tief ein und aus, kämpfte gegen den Würgreiz an und wischte sich kräftig mit dem Handrücken über den Mund.
    Gott, wie er das hasste. Wie er es verabscheute, darauf angewiesen zu sein. Natürlich hätte er sich seine Nahrung auch auf andere Weise und nach anderen Kriterien aussuchen können. Er hätte auf der Straße jagen gehen können, wie es die Mehrheit tat. Doch wenn er etwas noch viel mehr verabscheute, als diesen widerlichen Akt, wie gerade eben, dann war es, unwissende Menschen zu überfallen und zu etwas zu zwingen, wofür sie nicht bereit waren. Von der Dunkelhaarigen wusste er, dass sie an ihm und an dem was er tun musste einen gewissen Reiz empfand. Außerdem wirkte seine großzügige Bezahlung überzeugend. Auch musste er sich keine Gedanken darum machen, dass sie über ihn plaudern könnte, denn meistens war sie gar nicht klar genug im Kopf, um bewusst mitzubekommen, was vor sich ging.
    Mio wischte ein weiteres Mal über seinen Mund und spuckte dann auf den Boden, ehe er sich auf den Weg in seine Wohnung machte. Er wollte dringend duschen und diesen Geruch loswerden, der an seinen Klamotten und in seinen Haaren hing.


    Christina saß im Wohnzimmer auf einer breiten ledernen Couch. Ihre Knie waren noch weich und auch das Zittern ihrer Hände hatte noch nicht ganz nachgelassen, aber sie hatte sich inzwischen einigermaßen beruhigt. Cosmin hatte ihr versichert, dass niemand, der hier nichts zu suchen hatte, in die Wohnung gelangen würde. Anais hatte ihr eine Decke um die Schultern gelegt und ihr mit einem aufmunternden Lächeln eine Tasse Tee in die kalten zitternden Finger gedrückt. Es hatte ihr auch geholfen, erzählen zu können, was passiert war und Anais hatte geduldig zugehört und an den richtigen Stellen Mitgefühl und Schockiertheit zum Ausdruck gebracht.
    Nun betrachtete Christina seit einigen Minuten stumm das Mädchen, das während Christinas gesamter Erzählung kerzengerade einige Schritte von ihr entfernt gestanden hatte, wie ihr jetzt bewusst wurde. Anais bemerkte ihren Blick und sah auf.
    „Stimmt etwas nicht?“ fragte sie.
    Christina schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe mich nur gerade gefragt, wie Sie hier gelandet sind. Entschuldigung, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe mich einfach gefragt, ob er Sie auch einfach aus Ihrem Leben gerissen hat, ohne Ihnen eine Wahl zu lassen.“
    Anais’ ungewöhnlich reifer Blick wurde nachdenklich. „Das ist eine ziemlich lange und nicht gerade einfache Geschichte.“ Sagte sie leise.
    „Naja, es geht mich ja auch eigentlich nichts an.“ Sagte Christina schnell, da sie den Eindruck hatte, dass Anais nicht gern auf die Frage antworten würde.
    Doch das Mädchen überraschte sie, denn sie setzte sich nun endlich neben Christina auf die Couch und lächelte sie offen an. „Wenn sie es wissen möchten, erzähle ich es Ihnen gern.“
    Christina nickte und zog die Füße zu sich auf die Couch, um bequemer sitzen zu können.


    Anais blickte einen Moment vor sich auf den Teppich und schien in Gedanken ganz woanders zu sein. Dann blickte sie Christina traurig an. „Ich hatte keine einfache Kindheit.“ Begann sie. „Papa war bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen, als ich gerade erst fünf Jahre alt war. Von da an schlugen Mamon und ich uns allein durch. Sie war eine stolze Frau und nicht bereit, Hilfe oder Almosen anzunehmen. Ich musste früh helfen, so gut ich konnte. Wir lebten nicht im Überfluss, aber wir lebten gut.
    Bis wir unser Haus verloren. Papa hatte es von seinem Chef zur Miete bekommen und Maman und ich konnten auch nach seinem Tod noch die Miete aufbringen, denn es war für Mitarbeiter günstiger. Aber einige Jahre nach Papas Tod, begann der Chef Maman Besuche abzustatten und sich ihr auf eine Weise zu nähern, wie es sich nicht gehörte. Immer häufiger kam er und Mamon wies ihn immer wieder ab. Irgendwann schmiss er uns einfach heraus. Er ließ das Haus räumen, alle unsere Sachen wurden einfach heraus geworfen.“
    Christina fragte sich, wie so etwas einfach möglich war, es musste doch rechtlichen Schutz gegeben haben.
    „Wir nahmen, was wir tragen konnten und gingen. Maman sagte, wir müssten in eine günstigere Gegend gehen, da sie nicht noch einmal ein solches Haus zu einem ähnlichen Preis finden würde. Letztendlich landeten wir in einem der schlechtesten Teile Paris’. Wir lebten in einer Wohnung, deren Wände so dünn waren, dass wir die Kakerlaken in der Nachbarwohnung hören konnten.“ Ein trauriges Lächeln spielte um ihre Lippen. „ Aber wir hatten uns. Solang wir aufeinander Acht geben würden, könnte uns nichts passieren, sagte Maman immer, wenn ich mich nachts vor den lärmenden Nachbarn fürchtete.“
    Dann schwand das Lächeln vom Gesicht des Mädchens und ihre Augen wurden ernst. „Einige Jahre lebten wir dort. Eines Tages, ich muss so ungefähr vierzehn gewesen sein, tauchte unser früherer Vermieter auf. Die Tür stellte für ihn kein Hindernis dar. Und er war nicht allein. Er sagte, Maman hätte sich nicht so anstellen sollen und er wäre nie an ihr interessiert gewesen. Ich sehe es noch genau vor mir. Es war am frühen Abend. Ich saß in der kleinen Küche an dem Tisch und Maman hatte gerade gekocht. Als sie begriff, was der Mann zu ihr gesagt hatte, blickte sie mit angsterfüllten Augen zu mir, aber ich verstand nicht, was los war. Plötzlich zog einer der Begleiter des früheren Vermieters eine Pistole und schoss ihr in den Kopf. Ich versuchte wegzulaufen, doch sie fingen mich ab, bevor ich die Tür erreichte. Sie nahmen mich mit, einige der Nachbarn sahen aus ihren Türen oder ihren Fenstern, doch niemand tat etwas. Niemand half.
    Er nahm mich mit zu sich nach Hause. Es war ein schönes Haus. Groß und sauber und warm. Er sagte zu mir, wir würden fortan zusammen leben, er würde arbeiten gehen und ich würde für den Haushalt sorgen und wir würden glücklich sein. Ich war so verschreckt, dass ich einfach tat, was er sagte, denn ich hatte Angst, dass er mir antat, was er auch Maman angetan hatte. Ich kochte und putzte, ich aß mit ihm an einem Tisch, wir saßen abends zusammen im Wohnzimmer. Ich kümmerte mich um die Wäsche, während er seine Zeitung las. Ich fand sehr bald heraus, dass seine Frau ihn wenige Wochen zuvor verlassen hatte. Sie hatte die Kinder genommen und war weg gewesen. Manchmal weinte er sogar an meiner Schulter. Ich tröstete ihn, obwohl ich eigentlich dachte, dass er es nicht anders verdient hatte. Ein Mann, wie er, hatte nichts anderes verdient. Doch ich fühlte mich schuldig für diese Gedanken. Es war nicht mein Recht, so zu denken.
    Wir…“ Anais verstummte und ein angespannter Zug bildete sich um ihre Lippen, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und ihr Blick schien leer.
    Christina fragte sich, was passiert war. Das Mädchen hatte ohne zu zögern erzählt, wie ihre Mutter vor ihren Augen erschossen worden war. Was konnte schlimmer sein, als das? Was konnte schwerer zu erzählen sein? Sie wollte gerade sagen, dass sie nicht weitererzählen musste, wenn sie nicht wollte.
    Doch Anais hob den Kopf und sah Christina fest in die Augen. „Wir teilten uns auch ein Bett. Und er zwang mich, zu tun, was in einem Ehebett nun mal passierte. Doch ich wollte nicht. Ich wehrte mich und er bestrafte mich, schlug mich, sperrte mich ein. Es ging eine ganze Zeit so. Ich hatte Angst, davonzulaufen. Ich wusste nicht wohin, ich war schließlich noch fast ein Kind.
    Doch ich hielt es nicht lang aus. An einem Tag, der Winter hatte gerade begonnen, lief ich aus dem Haus, nachdem er sich am Abend einige Drinks zu viel gegönnt hatte. Vorher hatte er mich mit seinem Gürtel verprügelt, weil die Kartoffeln beim Abendessen zu weich gewesen waren. Er benutzte auch gern andere Gegenstände, die er greifen konnte, um mit ihnen auf mich einzuschlagen.“ Sie schwieg wieder einen Moment und Christina bemerkte, dass sie seit einiger Zeit die Luft anhielt. Nun holte sie tief Atem.
    „Ich lief also davon. Ich hatte weder Schuhe noch eine Jacke angezogen. Ich hatte Angst gehabt, dass es die entscheidende Sekunde zu lang gedauert hätte.
    Ich traute mich nicht in die Stadt, denn Maman hatte immer gesagt, sie sei nachts zu gefährlich für eine junge Dame. Also lief ich aus dem Ort heraus, versteckte mich in Büschen und Feldern, wenn ich glaubte, jemanden zu sehen oder zu hören.
    Ich glaube ich war tagelang gelaufen. Ich durfte nicht aufhören zu laufen, denn er hätte mich sonst gefunden. Aber irgendwann ließen meine Kräfte nach, bis ich nur noch sehr langsam einen Fuß vor den Anderen setzte. Ich hatte die Orientierung verloren und wusste nicht wo ich war, ich hatte Hunger und vor allem Durst, schlimmen Durst. Ich wurde unaufmerksam.
    Plötzlich stand ein fremder Mann vor mir. Ich weiß bis heute nicht, wo er herkam. Ich versuchte, vor ihm davon zu laufen, doch ich schaffte keinen einzigen Schritt, ehe seine Arme mich ergriffen hatten. Er war groß und er war schneller und stärker, als ich. Ich schlug um mich und schrie, wie ich nie vorher geschrieen hatte. Ich war überzeugt, dass er mich zurück zu ihm bringen würde. Er hielt meine Arme fest, drückte mich an seine Brust. Und als ich nicht mehr schreien konnte, hörte ich, dass er leise zu mir sprach. Ich begriff nicht, was er sagte, aber es beruhigte mich. Und dann merkte ich, dass er mich gar nicht gefangen hielt. Er hielt mich einfach. Seine Arme um mich gelegt, mein Gesicht an seiner Schulter, eine Hand lag an meinem Hals und er strich mit dem Daumen darüber, seine Stimme war leise und brummte direkt an meinem Ohr. Plötzlich wusste ich, dass ich nichts Schlimmes zu befürchten hatte. Neben ihm tauchte ein weiterer Mann auf. Er war sehr viel kleiner, als der Andere und auch älter. Er gab mir Wasser und er überließ mir seine Jacke. Es waren Miodrag und Cosmin.
    Das Nächste, was ich wieder weiß, ist, dass ich in einem warmen Bett aufwachte. Eine dunkelhäutige Frau mit knallroten Haaren saß an meiner Seite. Sie sagte sie heiße Marali und der Herr Miodrag hätte mich zu sich genommen.“ Anais schien aus eine Art Traum aufzuwachen und blickte Christina jetzt lächelnd an. „Seither bin ich bei ihm. Und in den letzten 85 Jahren habe ich ihn lieben gelernt.“
    Christina blickte sie verwirrt an.
    „Wie eine Tochter ihren Vater liebt.“ Ergänzte Anais schnell.
    Christina fragte sich, warum das Mädchen sich gezwungen sah, das klarzustellen. Und sie fragte sich, was sie verpasste, denn das Mädchen vor ihr war nicht viel älter als zwanzig Jahre und auch Cosmin und Marali waren mit Sicherheit noch keine 85 Jahre alt.
    Sie wollte gerade den Mund öffnen, um zu fragen, doch da wurde die Tür geöffnet.


    Anais sprang vom Sofa auf und machte einen tiefen Knicks.
    Mio trat durch die Tür, sein Haar glänzte feucht in dem Licht der Wandleuchten und seine Körperhaltung schien merkwürdig, verkrampft.
    „Anais.“ Sagte er, seine Stimme wirkte streng.
    Christina blickte zu dem Mädchen, welches sich jetzt aufrichtete, den Blick jedoch weiterhin gesenkt hielt. Als Christina zurück zu Mio schaute, bemerkte sie, dass sein Blick bei weitem nicht so streng war, wie seine Stimme zuvor. Er sah das Mädchen nachsichtig, mit fast sanften Augen an.


    Anais verließ den Raum und Mio schloss die Tür hinter ihr. Dann wandte er sich Christina zu und betrachtete sie eingehend. Sie unterdrückte den Impuls, sich ins Gesicht zu fassen oder über die Haare zu streichen. Stimmte irgendetwas nicht mit ihr?
    „Du solltest dich ausruhen, wir werden in ein paar Stunden aufbrechen.“ Sagte er dann.
    „Wann?“ fragte sie.
    „Cosmin, Marali und Anais werden jetzt gleich fahren. Wir fahren kurz nach Sonnenaufgang los.“
    Christina runzelte die Stirn. Waren Vampire nicht besonders Lichtempfindlich?
    „Aber, du bist doch…? Nach Sonnenaufgang…?“ Stammelte sie. „Also ich meine, die Sonne?“ Offensichtlich hatte er Recht damit, dass sie dringend Schlaf benötigte. Sie bekam ja nicht einmal mehr einen vollständigen Satz auf die Reihe. Allerdings bezweifelte sie, dass sie ruhig würde schlafen können. Nicht nur wegen dem, was mit ihr passiert war und was sie gesehen hatte, denn das schien ihren Verstand noch immer zu überfordern. Offenbar würde sie schon sehr bald mit ihm allein in dieser Wohnung sein. Und das beunruhigte sie. Denn auch, wenn sie ihm geglaubt hatte, als er sagte, er würde ihr nichts tun, fragte sich ein gewisser Teil in ihr doch, ob das auch für den Blutdurst in ihm galt.
    „Bis zu einem gewissen Grad stellt sie für mich kein Problem dar. Außerdem sind die Fenster meines Wagens speziell verspiegelt. Mach dir darum keine Gedanken.“ Erwiderte Mio. Sie sollte sich lieber Sorgen um sich selbst machen. De’Fellinis Leute hatten ja offenkundig reges Interesse an ihr gezeigt. „Nach Sonnenaufgang ist es für dich sicherer.“


    Christina streifte die Decke von ihren Schultern und stand auf. Sie hatte kein Interesse daran, Diskussion mit ihm anzufangen, darum würde sie wenigstens versuchen, etwas Schlaf zu bekommen.
    Als sie an ihm vorbeiging, kam ihr eine Idee. „Sag mal, was hat es eigentlich mit dem Knoblauch auf sich?“ fragte sie. Vielleicht hatte Marali ja in der Küche etwas Brauchbares, was ihr vielleicht wenigstens eine Sorge im wahrsten Sinne des Wortes vom Hals schaffen könnte.
    „Märchen.“ Antwortete Mio und Christina glaubte sogar, für den Bruchteil einer Sekunde, so etwas, wie ein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen. Zumindest hatten seine Mundwinkel ganz eindeutig, wenn auch nur minimal gezuckt.


    Soo das war es dann erstmal wieder.
    Lg
    DieMarry

    @ raya: freut mich, dass es dir wieder gefallen hat ;)
    Bei deiner Frage, ob Mio sich selbst auflöst, musste ich grad ziemlich lachen. Hatte da so eine ulkige kleine Szene im Kopf. "pflump" und weg *hihi*


    Ich mag mich zu deinen Fragen gerade nicht so wirklich weiter äußern. Hab Angst, zu viel zu verraten. Es wird von jedenfall die eine oder andere deiner Fragen früher oder später noch beantwortet werden.


    Dankeschön für dein Kommentar! :applaus



    Es geht weiter. Dieses Kapitel enthält wieder einige Änderungen. Wie bereits erwähnt, wer die Orginalfassung will, kann sich gerne per PN melden.


    Ungebetener Besuch



    Mio schmiss seine Kleidung von sich und rutschte unter die Bettdecke, dann rückte er sein Kissen unter seinem Kopf zurecht und schloss die Augen. Er war todmüde, denn eigentlich hätte er seit Stunden ruhen sollen. Es tat ihm nicht gut, um die Mittagszeit auf den Beinen zu sein. Außerdem war seine letzte richtige Mahlzeit eigentlich schon einige Tage zu lange er, weshalb er eh schon leicht geschwächt war.
    Für gewöhnlich schlief er ein, sobald er die Augen schloss oder spätestens wenige Atemzüge später, doch jetzt konnte er nicht einschlafen. Er öffnete wieder seine Augen und starrte an die stuckverzierte Zimmerdecke.
    Das Alles war doch schon jetzt zum scheitern verurteilt. Es konnte nichts werden. Absolut unmöglich. Es ging nicht um ein kleines Problem, dass mal eben im Handumdrehen beseitigt werden konnte. Es würde eine Schlacht werden, ein Krieg. Und ihr Gegner war nicht zu unterschätzen. De’Fellini allein war schon ein starker Gegner und hinzu kam sein nicht zu verachtendes Gefolge. Sie waren zahlenmäßig unterlegen. Und jetzt lag auch noch alles in der Hand einer Frau. Es war schon für einen gut ausgebildeten und unerschütterlichen Krieger so gut, wie unmöglich. Und diese Frau war vor nicht einmal einer Stunde einfach so vor ihm umgekippt.
    Vielleicht irrte er sich ja, vielleicht war sie gar nicht die Person aus der Prophezeiung. Er wünschte, er würde sich irren. Er wünsche, ihm wäre ein dummer Fehler unterlaufen.
    Doch das war leider ausgeschlossen, denn er selbst hatte den Beweis dafür gespürt, dass sie die Richtige war. Als ihre Finger seine Haut berührten, hatte er dieses heiße Kribbeln unter seiner Haut gespürt. Es war an seiner Wirbelsäule entlang gerast, hatte sich in seinem Brustkorb ausgebreitet, um sich in seinem Herzen zu bündeln.
    Er hatte gewusst, dass es eine Reaktion geben würde, doch er hatte nicht mit einem derartigen Effekt gerechnet. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Herz beteiligt wäre. Vor vielen Jahren hatte er es verschlossen, er hatte es von seinem Bewusstsein getrennt, es vollkommen isoliert. Er hatte gelebt, als wäre es nicht vorhanden und, dass er es heute gespürt hatte, machte ihn nervös. Es war die Art Nervosität, die ihn auch überkam, wenn er eingeengt war, wenn er sich nicht frei bewegen konnte. Das war nicht gut, gar nicht gut.
    Mit einem frustrierten Schnauben drehte er sich auf die Seite, verbot sich jeden weiteren Gedanken und schloss die Augen.


    Christina sank tiefer in die ledernen Sitze des Sportwagens, als Mio das Gas antippte und die nächtliche Straße herunterfuhr. Sie blickte aus dem Seitenfenster und beobachtete die Passanten auf den Gehwegen.
    Sie fühlte sich beobachtet, bedroht, wie auf dem Präsentierteller. Sie hatte keine Ahnung, wer von den Leuten Mensch war und wer nur einer zu sein schien. Dieser Gedanke verschreckte sie und sie wandte den Blick ab. Stattdessen beobachtete sie, wie Mio den Gang wechselte und seine kräftige Hand auf dem Schaltknauf liegen ließ. Im dämmrigen Leuchten der Armaturenanzeigen konnte sie erkennen, dass sein Zeigefinger einen rasenden Takt tippte. Sie sah in sein Gesicht. Er wirkte ganz ruhig, konzentrierte sich auf den Straßenverkehr, durch den er den Wagen viel zu schnell manövrierte. Sie konnte nicht wissen, dass er sich eigentlich kaum aufs Fahren konzentrierte, sondern seine Sinne nach Anzeichen für eine Gefahr suchen ließ.
    Als sie wieder aus dem Fenster sah, erkannte sie, dass sie nur noch wenige Straßen von ihrer Wohnung entfernt waren und sie schluckte schwer. Es würde ihr bestimmt nicht leicht fallen, ihre wichtigsten Sachen zusammen zu suchen und dann ihr Zuhause wieder zu verlassen, ohne zu wissen, ob und wann sie zurückkehren würde. Um nicht sentimental zu werden, machte sie in Gedanken bereits eine Liste, von dem, was sie mitnehmen wollte. Ihre Kameraausrüstung und Kleidung, die ihr passte, standen ganz weit oben.


    Erst, als die beiden vor Christinas Wohnungstür standen, wurde ihr bewusst, dass ihr Wohnungsschlüssel in der kleinen Tasche war, die ihr nach ihrer Entführung abgenommen worden war. Auch ihre Geldbörse, mit ihren Papieren und ihr Handy waren darin.
    Sie sah Mio fragen an. „Ich habe keinen Schlüssel. Wir kommen nicht rein.“
    Der Angesprochene streckte die Hand aus und legte sie auf den Türknauf. Er machte eine schnelle Bewegung und die Tür sprang auf.
    Christina beäugte das Schloss, doch es schien unversehrt zu sein. Bevor sie etwas sagen oder fragen konnte, trat er durch die Tür und sah sich in der Wohnung um. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass es sicher war, winkte er sie herein.
    Nachdem Christina das Licht eingeschaltet hatte, ging sie direkt in ihr Wohnzimmer. Sie vermied es, die an den Wänden hängenden Bilder anzuschauen, denn sie wollte die Menschen, die sie so bald nicht wieder sehen würde, nicht vor Augen geführt haben. Sie durchquerte den Raum und öffnete die Tür zu ihrem Schlafzimmer, nur um direkt wieder geschockt zurück zu stolpern.


    Mio war direkt an ihrer Seite und schob sich vor sie. Er blickte sich in dem Schlafzimmer um.
    Rund um das Bett war die Füllung der Bettdecke und des Kopfkissens verteilt, die Schranktüren standen offen und die Kleidung war auf dem Boden verstreut, auch der Inhalt der Schubladen des Nachtschränkchens war ausgekippt und zerwühlt worden.
    Er konnte riechen, wer das angerichtet hatte. De’Fellinis Leute. Es stank förmlich noch nach ihnen, also konnten sie noch nicht lang wieder weg sein. Er wunderte sich nur, warum er sie nicht auch im Rest der Wohnung schon gerochen hatte. Bis sein Blick auf das geöffnete Fenster fiel. Da waren sie offenbar hereingekommen und auch wieder gegangen. Er vermutete, dass sie sie verjagt hatten, als sie die Wohnungstür geöffnet hatten.
    „Du solltest dich wirklich beeilen und so schnell es geht nur das wirklich nötigste einpacken.“ Sagte er zu Christina. „Sie werden bestimmt mit Verstärkung schnell wieder hier sein.“


    Doch sie schien seine Worte gar nicht zu hören, sie achtete auch nicht weiter auf das restliche Chaos im Raum sondern konzentrierte sich auf die hintere Ecke, in der ihre Kameraausrüstung verstreut lag.
    Objektive, Blitzgeräte, Reflektoren und Diffusoren lagen in großem Durcheinander auf einem Haufen. Drumherum waren kleinere Teile, wie Speicherkarten, zerbrochene Filter und Akkus verteilt.
    Sie hockte sich davor und nahm einige der Teile in die Hand, um sie auf Beschädigungen zu untersuchen. Äußerlich wirkte das meiste unbeschädigt, doch sie würde es später ausprobieren müssen, um zu wissen, wie viel wirklich kaputt war. Dann fiel ihr auf, dass ihr Kamerabody fehlte. Sie fing an, die geleerten Taschen, Koffer und Rucksäcke zu durchsuchen, doch sie konnte ihren wertvollsten Besitz nicht finden.
    Dann tauchte das Gesuchte in ihrem Blickfeld auf, von Mios Hand gehalten.
    „Suchst du das?“ fragte er.
    Sie nahm die Kamera an sich und untersuchte auch diese. Doch auch das letzte Geschenk ihres Vaters an sie schien in Ordnung zu sein. Also fing sie an, ihre Ausrüstungsgegenstände ordentlich zurück in die Taschen zu sortieren.
    Mio ging das Ganze nicht schnell genug und er nahm einige der Objektive auf, um sie in die entsprechenden Köcher zu stecken, doch Christina nahm sie ihm aus der Hand und tat es selbst.
    „Wir haben nicht viel Zeit. Was willst du eigentlich mit dem ganzen Zeug?“ Sage er.
    Sie ignorierte ihn noch immer, also stand er mit einem genervten Schnauben wieder auf und begann, sich in der Wohnung umzusehen.


    Die Einrichtung war schlicht und überwiegend funktional. Die Raumaufteilung war klar, fast schon kühl. Es gab wenig Dekoration, nur ein paar Fotos waren an ausgewählten Plätzen aufgestellt.
    Er erwartete von einer Frauenwohnung eigentlich etwas anderes. Er hatte mit farbigen Teppichen, Vorhängen und Dekorationen gerechnet, mit Blumen und Pflanzen in allen Ecken, vielleicht sogar den ein oder anderen Kitsch. Doch Christina schien Wert auf das Wesentliche zu legen, auf Struktur und Organisation. Aus reiner Neugier warf er auch einen Blick in den Kühlschrank, als er sich die Küche ansah. Er war so gut wie leer. Entweder aß sie so wenig wie er, nämlich für gewöhnlich gar nichts, oder sie war lange Zeit nicht zum Einkaufen gekommen.
    Als er zurück ins Wohnzimmer ging, erblickte er neben der Couch zwei geöffnete Koffer. Sie waren noch zur Hälfte bepackt, das konnte immerhin Zeit sparen.
    Er warf einen Blick hinüber zur Schlafzimmertür, doch von Christina war noch nichts zu sehen. Also ging er ins Badezimmer und schaute, ob er dort schon einmal etwas einpacken könnte. Dort fand er auf dem Waschbecken einen Kulturbeutel, mit den üblichen Hygieneartikeln bepackt. Er hatte nur noch Shampoo und Duschgel aus der Dusche zu nehmen und hatte alles, was er für nötig hielt, zusammen.


    Christina war noch immer im Schlafzimmer und er beschloss, nachzusehen, wie weit sie inzwischen war. Es konnte ja schließlich nicht ewig dauern.
    Als er durch die Tür trat, sah er Christina auf dem Boden hocken. Das Meiste hatte sie bereits wieder eingepackt und die Taschen und Koffer verschlossen. Nur noch die zersplitterten Filter lagen vor ihr auf dem Boden. Sie sah kurz über die Schulter zu ihm, drehte das Gesicht aber schnell wieder weg.
    Sein Magen krampfte sich zusammen und Unsicherheit kribbelte in seinem Nacken.
    Sie weinte und ihre Schultern zuckten unter den lautlosen Schluchzern. Ihre Finger umklammerten zitternd eine der Filterhüllen und ließen die dunklen Scherben im Inneren von einer Ecke zur anderen rutschen.
    Unschlüssig stand er an der Tür und beobachtete sie.
    Christina schmiss die Hülle mit den Scherben auf den Boden und stand auf. Sie griff nach einem der Rucksäcke und drehte sich zu ihm um. Ihr Blick war kühl, das Kinn leicht gehoben, als würde sie versuchen, über die geröteten Augen und die zitternden Lippen hinwegzutäuschen.


    Ohne darüber nachzudenken, ging Mio zu ihr, nahm ihr die Tasche aus der Hand und stellte diese auf dem Bett ab, dann schlang er einen Arm um ihre Schultern und zog sie sanft an sich. Als sie ihr Gesicht an seine Brust legte und ihre Arme sich um seine Taille schoben, legte er die andere Hand auf ihr Haar und wiegte sie leicht hin und her.
    „Sie waren hier, in meiner Wohnung.“ Murmelte sie an seine Brust und versuchte krampfhaft, nicht wieder in Tränen auszubrechen.
    Er wusste nicht, was er antworten sollte, also strich er nur stumm über ihr Haar.
    „Als wäre es nicht schon schwer genug, nach allem, was passiert ist, hierher zurückzukehren und zu wissen, dass ich mein normales Leben nicht wiederbekommen kann.“ Sprach sie weiter.
    „Ich weiß, Kleines, ich weiß.“ Antwortete er leise und fragte sich in der selben Sekunde, ob er sie tatsächlich gerade so genannt hatte. Schnell sah er hinunter in ihr Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen, drückte die Wange gegen seine Brust. Im gleichen Moment, merkte er, wie seine Schultern sich verspannten, wie Nervosität in ihm aufstieg. Zu nah, viel zu nah. Das war nicht gut. Er machte ihre Arme vorsichtig los und schob sie von sich.


    Kaum, dass Christina sich von ihm gelöst hatte, schämte sie sich. Ja, es hatte gut getan, sich anlehnen zu können, gehalten zu werden, in dem Moment, in dem sie glaubte, sich selbst zu verlieren. Aber sie kannte diesen Mann kaum und eigentlich war es nicht ihre Art, sich an Andere zu klammern. Eigentlich stand sie sehr gut auf eigenen Beinen. Sie kam sich albern vor und räusperte sich verlegen.
    „Ich habe meine Ausrüstung immer bei mir.“ Beantwortete sie jetzt die Frage, die er ihr bereits vorhin gestellt hatte, sie vermied es, ihn anzusehen und griff wieder nach dem Rucksack und lud sich auch noch einen weiteren auf den Rücken, griff dann nach den Koffern und klemmte sie sich unter die Arme, um auch die letzte Tasche greifen zu können.
    „Ich habe die Koffer im Wohnzimmer gefunden und auch die Tasche im Bad. Brauchst du sonst noch etwas?“ Fragte Mio, seine Stimme schien härter, als sonst, genau wie sein Blick.
    Christina schüttelte den Kopf und so ging Mio ins Wohnzimmer um die beiden Koffer zu holen.
    Ohne sich noch einmal umzusehen, verließen sie die Wohnung und kehrten zum Auto zurück.


    Schon wenige Minuten später erreichten sie die Tiefgarage und parkten nahe am Fahrstuhl. Sie stiegen aus und gingen zum Heck des Wagens, doch noch ehe der Kofferraum sich öffnete, vernahm Mio ein Geräusch hinter ihnen und drehte sich um. Sofort schob er Christina hinter seinen Rücken, um sie zu schützen, denn ihnen standen vier von De’Fellinis Kriegern gegenüber.
    Sie hatten sich in einem Halbkreis um Mio und Christina positioniert und waren bewaffnet, mit Schusswaffen und Schlagstöcken, einer von ihnen hielt sogar ein Schwert in der Hand. Ihre Gesichter blickten finster und aggressiv.
    Mio beförderte mit einem schnellen Griff eine Waffe unter seinem Mantel hervor.
    „Überlass uns die Frau, Miodrag Bäsescu, und es wird kein Blut vergossen werden müssen.“ Sprach der ganz Linke von ihnen mit einem ironischen Lächeln.
    Mio antwortete mit einem spöttischen Schnauben, welches beinahe wie ein Fauchen klang, er trat einen Schritt weiter nach rechts, in Richtung Fahrstuhl und zog Christina mit sich. Die Vier passten ihre Position an und versperrten immer noch den Weg.
    Er wollte die Situation nur äußerst ungern eskalieren lassen. Das würde unweigerlich Aufmerksamkeit, die er direkt vor seiner Wohnung gar nicht gebrauchen konnte, auf sich ziehen. Außerdem wollte er Christina hier heraus haben.
    Mios Hand rutschte weiter an Christinas Arm herab, bis seine Finger die nackte Haut ihres Handgelenkes berührten.
    Sobald der Weg frei ist, läufst du zum Fahrstuhl! Die Zahlenkombination ist 558235. Hallte es durch Christinas Kopf. Sie zog geschockt die Luft in ihre Lungen. Was zur Hölle? Mios Griff um ihr Handgelenk wurde fester. Ich werde dir ein Zeichen geben. Verwirrt starrte sie seinen Hinterkopf an. Sie schluckte und beschloss, dass sie hoffentlich später noch Gelegenheit haben würde, sich darüber zu wundern, momentan schien nicht der richtige Zeitpunkt.


    Sie versuchte um ihn herum, etwas sehen zu können, doch er versperrte ihr die Sicht.
    Das Quartett rückte näher und setzte mit den Waffen auf sie an. Auch Mio hob seine Waffe, doch schien es nicht besonders viel Eindruck auf ihre Gegner zu machen, schließlich konnte er höchstens einen von ihnen erschießen, bevor die anderen drei tätig werden konnten und einen von ihnen möglicherweise aufzugeben schien für sie kein Problem darzustellen.
    Christina beugte sich nach rechts um Mio herum und begegnete direkt dem widerlichen, fast lüsternen Blick des Schwertkämpfers.
    Mio beförderte sie jedoch schon im selben Augenblick mit einer energischen Bewegung seines Ellenbogens wieder direkt hinter seinen Rücken.
    Wieder machte er einen Schritt zur Seite und Christina warf einen Blick zur Fahrstuhltür. Wenn sie nur schnell genug wäre...
    Ein Schuss fiel und hallte von der niedrigen Betondecke wieder, * und Mio rempelte sie hart an, so dass sie sich mit einer Hand in seinen Mantel krallen musste, um nicht nach hinten umzufallen. Noch ehe sie sich wieder richtig gefangen hatte, folgte ein weiterer Schuss und sie sah den mit dem Schlagstock zu Boden gehen und einen Wimpernschlag später war er verschwunden.


    Mio zog an Christinas Arm, riss sie dicht an sich heran, um sie direkt kräftig von sich zu drücken und hinter seinen Wagen zu schubsen. Sie schlug schmerzhaft mit den Händen auf den Beton, ihre Handballen schürften auf, beinahe hätte ihr Kopf eine hässliche Delle in der Fahrertür hinterlassen, durch ihre Knie schoss stechender Schmerz, doch sie versuchte, es zu ignorieren und kroch weiter um den Wagen herum.
    Als sie die Motorhaube erreichte, wandte sie sich nach rechts, blickte zurück zu Mio und den restlichen Dreien und krabbelte auf allen vieren, so schnell es ging hinter den anderen geparkten Autos entlang zum Fahrstuhl. Sie konnte die Geräusche des Kampfes hören, weitere Schüsse fielen, das Schwert verursachte ein vernehmbares Surren, wenn er durch die Luft geschwungen wurde. Sie hörte Rufe, Schritte und Flüche.*


    Als sie das letzte Auto der Reihe erreichte, näherten sich ihr schwere Schritte und im nächsten Moment starrte sie auf schwere schwarze Stiefel. Sie wurde am Arm gepackt und hochgerissen. Als nächstes blickte sie in das überaus hässliche Gesicht des Schwertkämpfers und übler Atem schlug ihr entgegen, als er sein Gesicht nahe an ihres brachte. „Hey, Süße, wohin des Weges?“ fragte er sie und lachte leise.
    Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sie konnte nicht schlucken, viel mehr machte sich ein trockener Würgreiz in ihrem Hals bemerkbar. Bilder der Kapuzenfreaks und der dunklen, feuchten Kellerräume rasten durch ihren Kopf und machten sie kurzzeitig blind.
    Sie blinzelte heftig und erblickte dann Mio hinter dem Schwertkämpfer. Mit einem weiten Schritt trat er an ihn heran und * beförderte ein gezinktes Messer in den Brustkorb des Widerlings. Ihr Angreifer riss die Augen auf, dann lockerte sich sein Griff und er rieselte in Form von Staub zu Boden. Christinas Knie gaben nach und sie drohte bereits wieder hart auf den Boden aufzuschlagen, als sich Mios Arm um ihre Taille schob und sie hochgehoben wurde.


    Er schlug hart auf den Knopf des Fahrstuhls und Ausnahmsweise glitten die Türen auf, ohne dass sie warten mussten.
    Erst, als sich die Türen wieder hinter ihnen geschlossen hatten, stellte er sie zurück auf die Füße. Sie hielt sich an seinen Armen fest und ihr Blick irrte durch die kleine Kabine. Dann erblickte sie sich selbst in der spiegelnden Wand. Ihr Haar war wild zerzaust und sie war leichenblass.*
    „Alles okay?“ Fragte er sie mit harter Stimme.
    „Ich denke schon, ja.“ Antwortete sie schwach und blickte an sich herab, um nachzusehen, ob sie verletzt war, denn sie fühlte ihren Körper nicht.
    „Nein.“ Widersprach Mio und blickte auf ihre aufgeschürften Hände. Seine Augen verdunkelten sich, bis sie fast schwarz waren.
    Er drückte sie an die Wand und begab sich dann selbst mit merkwürdig ruckartigen Bewegungen an die andere Wand. Er starrte sie mit seinen angsteinflößenden Augen an und sie stand da und kam sich vor wie das Kaninchen vor der Schlange.


    Sie wagte kaum zu atmen, stand stillt, wie eine Statue und starrte zurück. Sie konnte beobachten, wie er tiefe Atemzüge durch den Mund nahm und seine Augen Stück für Stück die gewöhnliche Farbe wieder annahmen.
    Die Fahrt nach oben kam ihr wie einige Ewigkeit vor, doch endlich spürte sie das unangenehme Gefühl in ihrem Körper, als der Fahrstuhl zum stehen kam und nach dem Bing öffneten sich die Türen. Sie betraten die Wohnung und Mio rief nach Cosmin.
    Dieser kam den Flur heruntergeeilt und noch ehe er etwas sagen konnte, wies Mio ihn an, sich um Christina zu kümmern.
    „Selbstverständlich, Herr.“ Antwortete der kleinere Mann.
    „Ich muss noch mal los.“ Sagte Mio und blickte Christina an. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn und musterte sie von oben bis unten, als wolle er sich noch einmal vergewissern, dass sie nicht verletzt war.
    Erst jetzt bemerkte Christina eine Verletzung an ihm. Sein Mantel schien an seiner rechten Schulter aufgerissen, dunkles Blut sickerte über das Leder.
    „Du bist verletzt!“ Sagte sie und trat auf ihn zu. Doch er schob sie von sich, winkte ab und verschwand wieder im Fahrstuhl.
    Es hatte so ausgesehen, als wäre er angeschossen worden*. Ihr wurde bewusst, *was einige Stockwerke tiefer vor wenigen Minuten geschen war und ihre Knie wurden wieder weich.
    Cosmin schien ihren Zustand zu erkennen und fasste sie stützend unter den Arm.
    „Kommen Sie. Sie sollten sich setzen.“ Sagte er und führte sie durch die nächste Tür, hinter der sich das Wohnzimmer verbarg.



    Ich glaube, es folgt gleich noch ein weiteres Kapitel.

    Ja, ich denke hier kommt gleich noch ein Kapitel. Weil heut Sonntag ist *g*



    Erkenntnisse


    Und das hatte er tatsächlich, bis ihn das für seine Ohren laute Getrampel von Christinas Sprint und das Bing des Fahrstuhls geweckt hatten. Er war aus dem Bett gestürzt, hatte sich Hose und Hemd übergezogen und hatte gerade noch ihre blonden Haare in den Fahrstuhl verschwinden sehen, als er auf den Flur getreten war.
    Jetzt betrachtete er die Frau, die ihm gerade bis zur Brust reichte, und ihn misstrauisch, aber auch kampfbereit anfunkelte. Es kostete ihn viel Kraft, sich klarzumachen, dass sie absolut keine Ahnung haben konnte, in welche Gefahr sie sich gerade beinahe gebracht hätte. Am liebsten hätte er sie in die nächste Ecke gedrängt und sie angebrüllt, um zu erfahren, wie sie so viel aufs Spiel setzen konnte. Doch sie wusste ja nicht, was sie fast aufs Spiel gesetzt hätte.
    Aus den Augenwinkeln nahm er ein Stück weiter den Flur herunter eine Bewegung wahr. Anais tauchte mit einigen Handtüchern im Arm auf. Sie blickte verwirrt zu ihnen.
    „Besorge bitte Kleider für unseren Gast und bringe sie in das Gästezimmer.“ Ordnete er Anais an.
    Dann ging er einen Schritt auf Christina zu, doch diese machte einen Schritt von ihm weg.
    „Wo wolltest du in dieser Aufmachung eigentlich hin?“ Fragte er und deutete auf den Bademantel. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sich eine Frau, die er vor wenigen Stunden in einem Abendkleid und High Heels hier herein getragen hatte, sich in einem Bademantel und Barfuss auf die Straße trauen würde.
    „Zu einer Wohltätigkeitsgala bestimmt nicht.“ Erwiderte sie bissig.
    Er machte wieder einen Schritt auf sie zu und diesmal reckte sie kampflustig das Kinn, statt vor ihm zurück zu weichen. „Ich werde jetzt gehen.“ Sagte sie mit aller Bestimmtheit, die sie in ihrem Zustand aufbringen konnte.
    „Genau.“ Stimmte Mio zu. „Wir beide gehen jetzt zurück in das Gästezimmer, aus dem du gerade geflohen bist.“ Und mit diesen Worten fasste er sie am Oberarm, um sie zurück zu führen. Er hatte keine Lust, ewig hier im Flur herumzustehen und sich anstarren zu lassen. Eigentlich hatte er große Lust, sie in das Gästezimmer einzuschließen und sich wieder ins Bett zu legen. Es war eindeutig nicht seine Tageszeit.
    Doch Christina entwand sich seinem Griff und ging mit gerecktem Kinn vor ihm her zurück in das Zimmer. Offenbar versuchte sie, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, doch er konnte sie riechen.


    Er folgte ihr durch die offen stehende Doppeltür und schloss diese hinter sich, wobei er nicht nur das leise Klicken des Schlosses sondern auch das nervöse Hämmern ihres Herzens hörte.
    Er beobachtete, wie sie sich mit dem Hintern an das hölzerne Fußteil des Bettes lehnte, die Arme vor der Brust verschränkte und mit gereizter Miene in die andere Richtung, weg von ihm, starrte.
    Erst, als es leise an der Tür klopfte, registrierte er das leise Lächeln um seine Lippen und wischte es von seinem Gesicht, bevor er Anais öffnete. Er selbst verließ den Raum und wartete vor der Tür, bis das Mädchen wieder aus dem Zimmer kam.


    Als er wieder eintrat, schloss Christina gerade den letzten Knopf der hellen Bluse, die ein klein wenig zu kurz war. Er ging hinüber zu der Couch an der Fensterseite und setzte sich. Christina lehnte sich wieder an das Bett und versuchte den Saum der Bluse weiter herunterzuziehen, was nicht gelang.
    „Also.“ Sagte er. „Dich interessiert sicher, warum du hier bist.“
    Sie sagte nichts und blickte ihn auch noch immer nicht an. Also sprach er weiter. „Du solltest eigentlich noch gar nicht hier sein. Doch irgendetwas ist schief gelaufen, so dass der eigentliche Zeitplan, von dem ich ausgegangen bin, durcheinander geraten ist. Eigentlich hätten wir erst in vier Jahren zueinander finden sollen.“
    Der letzte Satz entlockte Christina so etwas wie eine Reaktion, zumindest sah sie ihn jetzt fragend an.
    „Ich bin Mio, das sagte ich dir bereits, aber ich bin mir nicht sicher, wie viel du mitbekommen hast. Und ich bin dein Tutore, dein Wächter.“ Eine ihrer Augenbraue hob sich bei seinen Worten langsam in die Höhe. „Ich sollte vielleicht von vorn anfangen. Eigentlich hättest du vorbereitet sein sollen, bevor dieses Gespräch stattfindet.“ Mio seufzte und stand auf, um mit weiten, ruhigen Schritten durch den Raum zu schreiten.


    Es schmeckte ihm gar nicht, dass er diese ganze Sache jetzt erst erklären musste, doch das ließ sich nun nicht mehr ändern. „Vor vielen Jahren, lange bevor du geboren wurdest, wurde eine Prophezeiung ausgesprochen. Die Prophezeiung handelt von einem Krieger, der das Unheil, das dem dunklen Reich durch den Schwarzen Herrscher beigebracht werden wird, vereiteln soll. Aufgabe des Kriegers ist es, das dunkle Reich zu retten und das Gleichgewicht zwischen Unsereins und Deinesgleichen zu wahren. Geschehen soll dies, wenn man der Prophezeiung glaubt, im dreizehnten nach dem Ende der Zeit.“ Er hielt in seinen Schritten inne und blickte Christina an. Beinahe hätte er, aufgrund ihres Gesichtsausdruckes gelacht. Sie hielt ihn eindeutig für verrückt.
    „Einige Jahre nachdem die Prophezeiung bekannt wurde, hatte einer der dunklen Mönche einen schlechten Traum und glaubte, ihm sei mitgeteilt worden, dass der Krieger es nicht allein schaffen würde und ein Wächter auserwählt werden soll. Der Wächter soll dem Krieger das entsprechende Wissen und die Fähigkeiten, die zur Rettung benötigt werden, vermitteln. Außerdem soll er als Stütze in der schwersten Zeit und als Licht im dunklen dienen.“ Während Mio erklärte, schritt er weiterhin kreuz und quer durch den Raum und nur, weil er sich zufällig im richtigen Moment zu Christina umdreht, bemerkte er ihren abschätzenden Blick zur Tür. „Du kannst nicht davonlaufen, Christina. Es ist dir vorherbestimmt, dein Schicksal, deine Zukunft.“
    „Und werde ich überhaupt nicht gefragt?“ Wollte Christina wissen.
    „Nein.“ Lautete die schlichte, aber bestimmte Antwort.
    Mio setzte seinen Spaziergang durch das Zimmer fort und erzählte Christina von dem Schwarzen, von seinem Sieg über den früheren Herrscher des dunklen Reiches, über seine Machenschaften gegenüber denjenigen, die nicht dem richtigen Klan angehörten und die gesetzlose Lebensweise seines Gefolges. Über die Angst und das Grauen, dass seither in seiner Welt herrschte und über die unnötigen Morde an den Menschen.


    Als er endete, schwieg Christina einen Augenblick und ließ sich das alles durch den Kopf gehen. Sie versuchte für eine Sekunde sogar zu begreifen, was sie gerade gehört hatte, bevor ihr bewusst wurde, wie blödsinnig das alles war. Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt, auch nur eine Sekunde zu glauben, was der Idiot da erzählte.
    „Woher weiß ich, dass Sie nicht ein armer Geisteskranker sind, der aus irgendeiner Einrichtung entflohen ist?“ Fragte sie.


    Die ungewöhnlich grünen Augen ihres Gegenübers fixierten sie für einige Sekunden, die Christina wie Minuten vorkamen, bevor Mio seine Hände zu seinem Kragen hob und begann, die Knöpfe des Hemdes zu öffnen.
    Christinas Kehle wurde eng. „Was soll das werden?“ Wollte sie mit gepresster Stimme wissen.
    Schritt für Schritt bewegte sie sich jetzt seitlich auf die Tür zu. Bis sie ein klickendes Geräusch vernahm, welches sich anhörte, als hätte jemand die Tür verschlossen. Jetzt sprang sie darauf zu und riss an dem Türknauf. Sie war tatsächlich verschlossen. Sie drehte sich wieder zu Mio um.
    Der hatte inzwischen auch den letzten Knopf geöffnet und schien sich gar nicht um sie zu kümmern. Er dreht ihr halb den Rücken zu, sodass er mit seiner rechten Schulter zu ihr stand und zog das Hemd nach unten, sodass es locker um seine Handgelenke fiel.


    Christina erblickte das Zeichen zwischen seinen Schulterblättern und glaubte plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Sie wusste erst nicht woher, doch sie kannte dieses Zeichen. Sie kannte dieses runde Symbol, von dem aus sich Schnörkel und Kringel ausbreiteten, wie verknotete Arme eines Kraken. Dann blitzte vor ihren Augen ein Bild auf, auf das viele weitere folgten und sie wusste, woher sie dieses Symbol kannte. Seit sie diese beunruhigenden Träume hatte, war es immer wieder vor ihrem inneren Auge aufgetaucht, wie eine Art Störsignal. Doch auch früher schon, bereits in ihrer Kindheit, was es in ihren Gedanken aufgetaucht. In den letzten Monaten war es fast ständig da gewesen. Christina atmete tief durch und ihr fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Sie wollte es nicht glauben.
    „Berühr es.“ Sagte Mio plötzlich und blickte über seine breite Schulter zu ihr.
    Christina dachte nicht einmal im Traum daran. Sie würde ihn ganz bestimmt nicht anfassen. Doch schon einen Wimpernschlag später wurde sie, wie von einem unsichtbaren Seil, zu ihm gezogen. Sie wollte nicht, sie wollte weg, sie wollte zurück in ihr normales Leben. Schon stand sie hinter ihm und streckte die Hand aus, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Ihre Fingerspitzen berührten glatte Haut, strichen dann an den Konturen des Symbols entlang. Und Christinas Atem stockte, als ein leichtes Kribbeln von ihren Fingerspitzen, durch ihren Arm, ihre Schulter, direkt zu ihrem Herzen fuhr. Dann begann es unter ihren Fingern zu knistern und ein leichtes Leuchten entstand, wie von einer elektrischen Entladung. Dieses knisternde Leuchten folgte ihren Fingern, als sie einem der Schnörkel, direkt neben Mios Wirbelsäule nach unten folgte.
    „Aber das kann nicht wahr sein.“ Flüsterte sie.
    „Es ist wahr.“ Entgegnete Mio.


    Christina ließ die Hand kraftlos fallen und Mio zog sein Hemd wieder zurück über seine Schultern. Und plötzlich fühlte Christina sich allein, einsam, kalt und verloren. Das Kribbeln fehlte, sie fühlte sich unvollständig.
    Mio dreht sich zu ihr um. „Genauso wahr, wie das hier.“ Sagte er mit leiser, grollender Stimme.
    Christina blickte in sein Gesicht, seine Augen waren nicht mehr grün, sondern schwarz. Dann entdeckte sie die spitzen, Zentimeterlangen Zähne, die aus seinem Mund ragten. Das war gar nicht gut. Das war zu viel. Ihre Augen verdrehten sich und alles um sie herum wurde schwarz, bewusstlos fiel sie nach hinten.
    Dass starke Arme ihren Sturz abfingen und sie vorsichtig auf den Boden legten, bekam sie nicht mehr mit.


    Kurze Zeit später kam sie wieder zu sich und erblickte einen Kopf mit silbergrauen Haaren und einem faltigen Gesicht über sich. Sie blinzelte heftig, damit ihr Blick sich klärte. Der Mann lächelte sie an und legte eine warme, raue Hand an ihre Stirn.
    „Bei allem Respekt, Herr, aber ich denke, es hätte sicher eine etwas sanftere Art und Weise gefunden werden können, es ihr zu sagen.“ Sprach er.
    Jetzt entdeckte Christina auch Mio, der hinter dem Grauhaarigen Stand und auf sie hinabblickte.
    Sie mochte es nicht, den Männern zu Füßen zu liegen, also rappelte sie sich auf und setzte sich hin. Nachdem die Welt aufgehört hatte sich zu drehen, stand sie langsam auf.
    Mio blickte sie weiter ausdruckslos an und sie starrte misstrauisch zurück. Eine ihrer Hände fuhr an ihren Hals und sie tastete über ihre Haut. Sie konnte nichts Ungewöhnliches fühlen. Um den Mund des Dunkelhaarigen, bildete sich jetzt ein geringschätziger Zug, die Zähne waren aber verschwunden.
    Ihr wurde plötzlich ein mit Wasser gefülltes Glas in die Hand gedrückt und sie sah wieder den alten Mann an.
    „Ich bin Cosmin.“ Stellte er sich vor. „Wenn sie noch etwas brauchen, sagen sie bitte bescheid.“ Mit diesen Worten verbeugte er sich erst vor seinem Herrn, dann vor Christina und verließ den Raum.
    „Trink.“ Ordnete Mio an.
    Christina beäugte misstrauisch das Glas. Als sie daran roch, wurde es ihr aus der Hand gerissen. Ehe sie etwas sagen konnte, kippte Mio das Wasser in eine Grünpflanze neben dem Kleiderschrank und nahm dann eine Wasserflasche vom Nachttisch. Das laute Zischen zeigte, dass die Flasche das erste Mal geöffnet wurde.
    „Du beleidigst mich.“ Sagte er, als er das neu gefüllte Glas wieder in ihre Hand drückte.


    Christina nippte an dem Wasser. Sie beleidigte ihn also, dachte sie. Erst bedrohte dieser Kerl sie und dann beschwerte er sich auch noch, dass sie ihn beleidigen würde. Was zum Teufel war eigentlich geschehen? Sie wünschte, das alles wäre bloß ein unheimlicher Traum. Sie wünschte, sie hätte einfach auf ihrem Geburtstag zu viel getrunken und würde schlecht träumen. Und sie wünschte, sie würde endlich aufwachen. Doch das alles schien zu real, um ein Traum zu sein.
    „Ich habe keinen Grund dich zu vergiften und ich habe auch kein Verlangen nach deinem Blut.“ Sprach Mio nun und blickte sie finster an.
    Christina verschluckte sich bei seinen Worten an ihrem Wasser. Sie hatte also richtig gesehen? „W-was bist du?“ Fragte sie.
    „Die Bezeichnung Vampir kommt meinem Wesen wahrscheinlich am nächsten.“ Lautete die Antwort.
    „Und diese Leute, die ich… retten soll. Sind die auch Vampire?“
    „Die meisten.“ Beantwortete er ihre Frage. „Aber es gibt auch andere, die unter der Herrschaft des Schwarzen zu leiden haben. Und denke daran, dass es auch um die Zukunft der Menschheit geht.“


    Christina stand da, mitten in dem großzügigen Schlafzimmer, mit ihrem Wasserglas in der Hand und fühlte sich, wie in einer anderen Welt. Vampire. Vampire? Was wollte er ihr denn als nächstes erzählen? Von Einhörnern und Elfen? Sie blickte ihn wieder an. Nein, er sah mit seinen dunklen Haaren, der dunklen Kleidung und dem abschätzenden Blick, mit dem er sie gerade betrachtete, eher aus, als wären Zombies und Geister als nächstes an der Reihe. Christina ging hinüber zu der Couch, um sich zu setzen und es kam ihr vor, als würde sie sich in Zeitlupe bewegen.
    Sie war entführt worden, so ein Freak, der sich jetzt als Vampir entpuppte, hatte sie gebissen, sie war geschlagen, gestochen und bedroht worden. Ihr wurde erzählt, es würde Vampire geben und der Mann, mit dem sie sich gerade allein in diesem Raum befand, war selbst einer. Sie wurde hier gefangen gehalten, konnte nicht zurück, konnte nicht vergessen, was sie gesehen und gehört hatte.
    Christinas Brustkorb schien sich zusammenzuziehen, ihre Lunge schien plötzlich zu klein zu sein. Sie versuchte zu Atmen, zog die Luft angestrengt durch ihren Mund in ihre Lunge. Doch es war nicht genug, hier war keine Luft. Sie konnte nicht atmen. Panisch schnappte sie nach Luft.
    Dann fühlte sie eine warme Hand in ihrem Nacken und ihr Kopf wurde nach unten, zwischen ihre Knie gedrückt.
    „Beruhige dich. Atme langsam.“ Sprach Mio, nahe an ihrem Ohr.
    Sie konnte seine Knie sehen, er hatte sich vor sie gehockt. „Ich glaube nicht, dass es besonders gut ist, wenn du schon wieder ohnmächtig wirst.“ Sein Daumen strich, wie schon am Abend zuvor, über die pochende Ader an ihrem Hals. „Einatmen.“ Sagte er und sie tat es. „Und langsam wieder ausatmen.“


    Einige Atemzüge taten sie so zusammen, bis das Surren aus Christinas Ohren verschwand und ihre Lunge scheinbar ihre normale Größe zurückerlangte. Dann richtete sie sich auf. Sie begegnete seinem Blick und er sah sie besorgt an, seine Augen schienen heller, als zuvor, seine Gesichtzüge fast ein bisschen weicher.
    „Ich werde dir nichts tun. Ich existiere noch, um dir zu helfen, den Grund deiner Existenz zu erfüllen.“ Sprach er jetzt leise und sah ihr direkt in die Augen.
    Christina glaubte ihm und nickte.
    Mio stand auf. „Wir werden in den nächsten Tagen die Stadt verlassen.“ Sagte er und seine Stimme war genauso kühl, fast geschäftsmäßig, wie vor ihrem kurzen Aussetzer auch.
    Christinas Kopf zuckte nach oben und sie starrte ihn an. „Ich kann nicht weg! Ich muss arbeiten. Vermutlich werde ich schon längst vermisst. Meine Freunde und mein Chef werden sich längst fragen, wo ich bin. Vielleicht haben sie mich sogar schon vermisst gemeldet. Ich muss in wenigen Tagen wieder abreisen, zu meinem nächsten Auftrag.“
    Mio schüttelte leicht den Kopf. „Christina, alle deine Freunde und Bekannten habe eine plausible Erklärung, dafür, dass du weg bist. Besser gesagt, du bist für sie gar nicht weg. Niemand vermisst dich.“
    Christina sprang von der Couch auf. „Was soll das heißen?“ Sie stand jetzt so nahe vor Mio, dass sich ihre Körper beinahe berührten und funkelte ihn an.
    „Nun, ich habe dafür gesorgt. Und es ist für deine Vorbereitung zwingend notwendig, dass wir aus London weggehen. Außerdem ist es hier zu gefährlich.“ Er blickte unbeeindruckt auf die Uhr. „In etwa acht Stunden geht die Sonne unter. Wir werden das Wichtigste aus deiner Wohnung holen und dann so bald wie möglich zu meinem Haus in Crawley fahren.“
    Christina schnaubte und ließ sich wieder auf die Couch fallen. Niemand vermisste sie, niemand vermutete, dass ihr etwas zugestoßen war und jetzt wurde sie auch noch von hier fort geschleppt. Aber sie glaubte ihm noch immer, dass er ihr nichts antun würde.


    „Hast du Hunger?“ Fragte Mio und Christina schüttelte den Kopf. „Du solltest etwas essen, du wirst die Energie brauchen. Komm mit.“ Er drehte ihr den Rücken zu und ging zur Tür.
    Christina blieb trotzig sitzen, denn er achtete offenbar gar nicht darauf, ob sie ihm folgte. Erst, nachdem er die Tür geöffnet hatte, drehte er sich zu ihr um und sah sie ungeduldig an. Also setzte Christina sich in Bewegung und folgte ihm durch den Flur. Sie gingen nach rechts, der Flur machte hier einen Knick und sie gingen an einigen Türen vorbei, bevor Mio eine von ihnen öffnete und sie hinein winkte.


    Die Küche war hell und geräumig, in der Mitte befand sich eine großzügige Kochinsel, links ein Esstisch, an der rechten Wand ein großer Kühlschrank. Die Fenster waren auch hier durch die Jalousien verschlossen.
    Am Esstisch erblickte Christina Cosmin und Anais und eine weitere rundliche Frau, mit ganz offensichtlich rot gefärbten Haaren und fast schwarzer Haut fuhrwerkte an der Kochinsel mit Töpfen und Pfannen. Es roch nach gebackenen Kartoffeln und Fleisch, nach Zwiebeln und Gewürzen. Christinas Magen knurrte und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie gar nicht wusste, wie lang ihre letzte Mahlzeit her war.


    Die Frau kam hinter dem Herd hervor und reichte Christina die Hand.
    „Hallo Schätzchen, ich bin Marali. Setz dich an den Tisch dort.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verfrachtete die Frau Christina auf den nächsten Stuhl am Tisch, neben Anais und kehrte zurück an den Herd, um einen Teller mit Essen zu befüllen.
    „Kann ich dir auch etwas Gutes tun, Miodrag?“ Fragte Marali und drehte sich wieder zur Tür.
    Christina folgte ihrem Blick, doch Mio war verschwunden.



    So, das war es dann erstmal wieder. Hoffe, es hat euch gefallen?
    Lg
    DieMarry

    @ raya: auch auf diesem Wege nochmal herzlichen Dank für dein Kommi! Deine Fragen beantworte ich jetzt bewusst einfach mal nicht, weil die Antworten darauf noch in der Geschichte kommen. Die eine früher, die andere etwas später erst.
    Die lange Fassung des Kapitels hast du ja schon bekommen.


    Also es geht weiter! Wünsche dir und auch allen anderen viel Spaß!



    Von Fluchtversuchen und verschlafenen Hausherren


    Mio manövrierte den Wagen durch den Verkehr und betrachtete Christina. Ihr Kopf lag seitlich an die Rückenlehne gelehnt, ihr verletztes Gesicht ihm zugewandt. Ihre Hände ruhten in ihrem Schoß, die Spuren der Fesseln waren deutlich auf ihrer Haut sichtbar. Ihre von getrockneten braunen Blutflecken übersäte Brust hob und senkte sich in einem ruhigen Takt. Sie wirkte auf ihn wie ein verletzliches Kind. Sein Blick glitt über das schwarze Kleid, den schlichten Schmuck und ihre Schuhe.
    Na, wenn das nicht ein Volltreffer war. Eine Frau. Eine nicht besonders große und nicht gerade kräftige Frau. In einem schwarzen Abendkleid und High Heels, mit akkurat gezupften Augenbrauen, soweit er das unter der Blutkruste erkennen konnte. Was sollte das hier eigentlich werden? Er hatte alles erwartet, aber nicht das. Also gut, eigentlich war er davon ausgegangen, dass es sich um einen Mann handeln würde, mit dem man arbeiten konnte, ohne sich Sorgen um teure Kleider oder manikürte Fingernägel zu machen. Er blickte noch einmal auf ihre Hände. Okay, wenigstens trug sie keine künstlichen Mörderkrallen.
    Es war nicht so, dass er etwas gegen Frauen hatte. Er wusste nur nie so recht, wie er mit ihnen umzugehen hatte. Und das machte die ganze Angelegenheit nicht gerade leichter. Außerdem bezweifelte er stark, dass eine Frau dem Bevorstehenden gewachsen war.
    Nun, er konnte es nicht ändern und sie mussten eben damit klarkommen.


    Er erreichte die Tiefgarage und parkte den Wagen. Als er ausstieg sah er sich nach allen Seiten um. Würde jemand sehen, wie er eine scheinbar bewusstlose, schwer verletzte Frau durch die Gegend trug, wären unangenehme Fragen, vielleicht sogar ernsthafte Schwierigkeiten vorprogrammiert.
    Doch es war niemand zu sehen und so ging er um den Wagen herum zur Beifahrertür, um Christina aus dem Sitz zu heben. Er versuchte, möglichst wenige ihrer Verletzungen zu berühren, als er sie in seinen Armen arrangierte.
    Nachdem er die Wagentür zugestoßen und abgeschlossen hatte eilte er zum Fahrstuhl. Das Ding ließ sich mal wieder ewig Zeit, bevor ein leises Bing ertönte und sich die Türen öffneten.
    Als er sich herunterbeugte und sich beinahe den rechten Arm verrenkte, bei dem Versuch, den Knopf zur obersten Etage zu drücken, ohne Christina fallen zu lassen, regte sie sich und gab leise gemurmelten Laute von sich.
    Oben angekommen steuerte er direkt auf das Gästezimmer zu. Auf dem Flur begegnete ihm Cosmin. Der alte Mann blickte erst auf Christina und sah dann seinen Herrn an. Er nickte wissend, dann verbeugte er sich kurz, bevor er davon eilte, um zu holen, was nötig sein würde.


    Mio legte Christina auf das breite Bett. Einen Augenblick kämpfte er mit den Verschlüssen der High Heels, bevor sie mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden landeten. Dann stand er ratlos vor dem Bett und wartete auf Cosmin.
    Schon wenige Augenblicke später tauchte dieser in der Tür auf, mit einer Tasche voller Verbandszeug in der Hand und Anais im Schlepptau, die eine runde Schüssel mit warmem Wasser und einige Tücher trug.
    „Anais wird sich um sie kümmern.“ Sprach Mio, ohne genau zu wissen, was für einen Unterschied es machen würde, ob sie oder Cosmin das Nötige erledigte.
    Cosmin stellte die Tasche neben das Bett und verließ dann zügig den Raum. Anais legte Schüssel und Tücher ab und blieb neben dem Bett stehen. Mio beobachtete, wie ihr Blick auf Christinas Brustkorb ruhte und versuchte in dem schummrigen Licht, welches vom Flur in den ansonsten dunklen Raum fiel, eine Bewegung auszumachen.
    „Sie schläft.“ Sagte er und ließ das Licht angehen.
    Anais nickte und betrachtete Christina nun mit mitfühlenden Augen, bevor sie nach einem der Tücher griff und es in das Wasser tauchte, bevor sie vorsichtig damit über die verletzte Stirn strich.
    Mio verließ den Raum und machte sich wieder auf den Weg in die Nacht, denn er hatte noch einige Dinge zu erledigen.


    Als Christina erwachte, wusste sie nicht genau, welcher Teil ihres Körpers am meisten schmerzte und noch weniger wusste sie, wo sie war. Unter ihrem Kopf fühlte sie ein weiches Kissen und auf ihrer Haut den seidigen Bezug einer leichten Decke. Auf ihrer Haut? Christinas Hand tastete unter der Decke an ihrem Körper entlang. Sie war nackt. Warum war sie nackt? Was zum Teufel hatten diese Freaks getan? Sie riss geschockt die Augen auf. Und war verwirrt.
    Sie fand sich in einem großzügigen Doppelbett wieder. Sie runzelte die Stirn und drehte den Kopf vorsichtig nach rechts. Ihr Blick glitt über einen hellen Teppich, cremefarbene Wände, blieb kurz an einer breiten Doppeltür hängen und glitt dann weiter an den Wänden entlang. Am unteren Ende des Raumes stand eine antik wirkende Kommode, deren Holz reich mit Schnitzereien verziert war, dann ein Spiegel, ein Stückchen weiter links Bücherregale neben einer breiten Couch. In der linken Wand befanden sich hohe Fenster und eine weitere Balkontür, die jedoch von Jalousien verschlossen waren.
    Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht allein war und zuckte erschreckt zusammen. Links neben ihrem Bett saß eine Frau und blickte sie aus dunklen Augen an. Bei genauerem Hinsehen bemerkte Christina, dass es sich eher um ein Mädchen handelte, höchstens zwanzig Jahre alt. Ein ovales Gesicht, makellose, jugendliche Haut, geschwungene Lippen und eine schmale Nase, das alles umrahmt von dunklen langen Locken. Doch diese Augen passten irgendwie nicht ganz zu ihr, sie wirkten älter. Sie waren nicht faltig oder trübe, aber sie wirkten so viel erfahrener, als es die einer zwanzigjährigen für gewöhnlich waren.
    „Mein Name ist Anais.“ Erklärte sie und legte das Buch, welches sie offenbar gerade gelesen hatte, auf den Nachttisch. „Der Herr bat mich, eure Verletzungen zu versorgen und auf euch Acht zu geben, also habe ich die verschmutzten Kleider entfernt, euch gewaschen und die Wunden gereinigt.“ Sie senkte den Blick auf ihre Hände.
    Das erklärte zumindest, warum Christina nackt war und sie war so erleichtert, dass sie sich nicht einmal gehemmt fühlte, bei dem Gedanken, dass diese Anais sie ungefragt ausgezogen hatte.
    „Ich bin Christina.“ Krächzte sie leise, denn ihre Stimme war durch die Vorkommnisse stark angegriffen. „Und ich weiß gerade nicht, wo ich bin.“ Sprach sie fast mehr zu sich selbst weiter.
    „Der Herr hat euch vor achtzehn Stunden hierher gebracht.“ Erklärte Anais. Als sie Christinas weiterhin fragenden Blick bemerkte, fuhr sie fort. „Ihr seit in der Stadtwohnung des Herrn Miodrag Bäsescu, in London.“
    So so, sie war also in der Stadtwohnung „des Herrn Miodrag Bäsescu", dachte Christina und in ihrem noch nicht ganz warmgelaufenen Gehirn tauchte das Bild des großen dunkelhaarigen Mannes auf, der sie aus der Hölle befreit hatte. Der sie befreit hatte, in dem er mindestens drei Leute umgebracht hatte.
    Nicht, dass sie wirklich etwas dagegen hätte, dass es jetzt drei dieser Kapuzentypen weniger gab, aber er hatte nicht einmal gezögert, alles aus dem Weg zu räumen, was ihm in die Quere kam. Unbehagen schlich sich in Christinas Bewusstsein. Wer wusste schon, was er vorhatte? Was, wenn er das schlimmere Übel war?
    Ruckartig richtete sie sich auf und ihr schwindelte, benommen schmiss sie die Bettdecke beiseite und hielt geschockt in ihrer Bewegung inne, als sie sah, wie schlimm ihr Körper zugerichtet war.
    Anais legte vorsichtig eine Hand auf Christinas Schulter. „Ich denke, ihr solltet lieber liegen bleiben.“
    Christina zwang sich zu einem Lächeln. „Ich müsste da mal dringend wo hin. Wo finde ich das Bad?“ Sie schob die Hand von ihrer Schulter und stand unter Schmerzen und schwankend auf. Sie brauchte dringend einen Moment für sich allein, um sich zu überlegen, wie sie aus dieser Sache wieder herauskommen könnte.
    Anais stütze sie und führte sie zu einer Tür, die nur einige Schritte vom Bett entfernt lag.


    Christina bedankte sich für die Hilfe, schlüpfte durch die Tür und schloss diese schnell hinter sich, bevor das Mädchen auf die Idee kommen konnte, ihr ins Bad zu folgen. Sie lehnte sich an die Tür und blickte sich in dem luxuriösen Badezimmer um. Beinahe wäre sie vor Freude in Tränen ausgebrochen, als sie das cremefarbene Villeroy & Boch Porzellan und die gläserne Dusche erblickte.
    Nachdem drängende menschliche Bedürfnisse erledigt waren und Christina sich beim Händewaschen im Spiegel betrachtete, durchforstete sie ihr Gehirn nach einem Fluchtplan. Vorsichtig betastete sie die Platzwunde auf ihrer Stirn und legte dann Daumen und Zeigefinger an ihren Nasenrücken. Ihr musste doch etwas Brauchbares einfallen.
    Nach einem Augenblick des Hirnzermaterns öffnete sie die Augen wider und blickte an ihrem nackten Körper herab. Als allererstes musste etwas zum Anziehen gefunden werden. Sie blickte sich erneut in dem Badezimmer um und entdeckte neben der Dusche einen dunklen Bademantel, den sie sich überstreifte. Dann glitt ihr Blick zu dem runden Fenster über der Badewanne. Dieses war nicht durch Jalousien verschlossen und mit einigen Verrenkungen könnte sie sich mit Sicherheit hindurchzwängen. Kurzerhand kletterte sie in die Badewanne, um einen Blick durch das Fenster werfen zu können. Sie fand an der linken Seite des Fensterrahmens einen Verschluss, den sie öffnete, um den Kopf hinaus zu stecken. Sie blickte nach unten und stellte fest, dass dieser Plan Bockmist war.
    Die Menschen unten auf der Straße wirkten ziemlich klein. Sie musste mindestens im fünfzehnten Stock sein. Und es gab auch keine Möglichkeit, an der Hausfassade hinabzuklettern. Mist! Aber sie entdeckte auf der anderen Straßenseite, hinter den niedrigeren Häusern einen Park, der ihr sehr bekannt vorkam. Das musste der Hyde Park sein. Immerhin hatte sie also jetzt eine ungefähre Vorstellung davon, wo in London sie sich befand.
    Jemand klopfte verhalten an die Tür und Christina schloss schnell das Fenster und sprang aus der Badewanne auf den flauschigen Vorleger.
    „Miss, ist alles in Ordnung?“ fragte Anais.
    Nein verdammt, nichts war in Ordnung und konnte man sich denn hier nicht einmal in Ruhe einen brauchbaren Fluchtplan ausdenken, ohne gestört zu werden? „Ja, danke! Ich…“ Christina überlegte einen Moment. „Ich würde gern duschen.“ Schnell stellte sie das Wasser in der Dusche an und setzte sich dann auf den Badewannenrand.
    Okay, sie war in der Wohnung eines Mannes, der keine Skrupel davor hatte, andere Leute einfach über den Haufen zu schießen und diese Wohnung befand sich leider im fünfzehnten Stock eines Mietshauses. So weit, so schlecht. Außerdem hatte Christina so langsam das Gefühl, das Anais sich nicht einfach um sie kümmern sollte, sondern sie auch noch zu bewachen schien. Sie musste dieses Mädchen irgendwie loswerden und sich dann schleunigst aus dem Staub machen. In einem Bademantel. Herrlich!


    Christina hatte eine Idee. Sie stellte das Wasser in der Dusche wieder ab und ging dann zur Tür. „Anais?“ rief sie und erhielt direkt eine Antwort. Offenbar stand das Mädchen direkt auf der anderen Seite der Tür. „Ich finde hier keine Badetücher. Könnten sie mir vielleicht welche holen? Das wäre wirklich sehr freundlich.“
    Das Mädchen machte sich auf den Weg, Christinas Wunsch zu erfüllen. Als sie die Tür aufgehen hörte, steckte sie den Kopf aus der Badezimmertür und sah Anais auf den Flur verschwinden. Sehr gut. So schnell sie ihre schmerzenden Knochen dazu bewegen konnte, eilte Christina durch das Schlafzimmer und steckte den Kopf aus der Tür zum Flur. Niemand zu sehen. Aber wo musste sie lang? Diese Wohnung schien riesig zu sein.
    Sie zögerte nicht lang und lief nach links, schlich an der Wand entlang und hielt nach einer Tür Ausschau, die aussah, als würde sie raus aus dieser Wohnung führen.
    Bingo! Sie fand eine Doppeltür aus Holz, neben der sich ein kleiner bläulich leuchtender Schalter befand. Ein Aufzug.
    Sie vergaß die Schmerzen und sprintete darauf zu und riss sich gerade noch rechzeitig zusammen, um nicht lautstark auf den Knopf zu hämmern. Sie drückte ihn und wartete von einem Fuß auf den anderen tretend darauf, dass sich endlich die Türen öffneten. Es ertönte ein Bing, welcher ihr unnötig laut erschien und die Türen glitten auf. Christina warf einen hektischen Blick über die Schulter und sprang in den Aufzug, als die Türen sich endlich weit genug geöffnet hatten. Nun hämmerte sie tatsächlich auf den Knopf für das Erdgeschoss und wartete vor Aufregung keuchend darauf, dass diese verdammten Türen sich wieder schlossen. Lächelnd lehnte sie sich an die Rückwand der Kabine, als die Technik ihrem Wunsch nachkam.


    Doch zu früh gefreut, in letzter Sekunde rutschten breite Finger in den Spalt der Türen und drückten diese wieder auf. Vor Christina tauchte der große dunkelhaarige Mann, der sich Mio nannte, auf. Finstere grüne Augen blickten sie von oben herab an und Christina rutschte noch näher an die Rückwand der Kabine.
    „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“ Fragte er und seine Stimme verriet eindeutig, dass Christinas Fluchtversuch ihm gar nicht in den Kram passte.
    Die Blondine schluckte bloß und verfluchte in Gedanken die unzureichende Geschwindigkeit der Technik.
    Mio stellte sich neben die Aufzugtüren und winkte sie mit einer energischen Handbewegung heraus, wie ein ungezogenes Kind. „Ich hab dich nicht da rausgeholt, damit du direkt wieder zurück in deren Arme rennst.“
    Widerwillig verließ Christina den Aufzug und zog nervös den Kragen ihres Bademantels enger zusammen. Sie brachte einige Schritte zwischen sich und den Mann und betrachtete ihn misstrauisch. Die dunklen kurzen Haare standen etwas wirr von seinem Kopf ab, was nicht dadurch verbessert wurde, dass er mit seinen Fingern hindurch fuhr. Er trug ein halb zugeknöpftes dunkles Hemd, leicht knittrige schwarze Jeans und weder Strümpfe noch Schuhe an den Füßen. Er sah aus, als hätte er bis gerade eben noch geschlafen.



    Hm, soll ich gleich noch ein weiteres Kapitel posten?...hm... hm... hm

    Ich habe die Fortbildung überstanden und hier kommt die Fortsetzung.
    In diesem Kapitel muss ich einige Szenen kürzen bzw ändern, damit ich es hier im Forum posten kann (Ich habe die Stellen mit einem * markiert). Wer an der Orginalfassung interessiert ist, kann mir eine PN schicken.
    Viel Spaß!!


    Wer suchet, der findet...



    Acht Stunden später wurde der Dunkelhaarige durch einen reißenden Schmerz zwischen seinen Schulterblättern geweckt. Er sprang aus dem Bett. Noch ehe die Decke die Laken berührte, stand er vor dem Spiegel und betrachtete erneut das Zeichen auf seinem Rücken. Es glühte und ein dünnes Rinnsal dunkles Blut lief an seiner Wirbelsäule hinab. Er fluchte, riss eine schwarze Jeans aus dem Schrank, fluchte, griff nach einem dunklen Hemd und fluchte erneut, als es aufgrund des Blutes feucht an seinem Rücken klebte. Als er in die Stiefel stieg, warf er einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass er länger geschlafen hatte, als üblich. Dieses Ding auf seinem Rücken und die Sonne mussten ihm mehr erschöpft haben, als er gedacht hatte. Trotzdem war es noch eine knappe Stunde bis zum Sonnenuntergang.
    Er konnte nicht mehr warten, das machte ihm das Ding zwischen seinen Schulterblättern unmissverständlich klar. Er griff sich seine bevorzugten Waffen aus dem Schrank im Büro. Die Heckler&Koch MP5 K wanderte in die große Innentasche seines Mantels, eine MK23 und eine P30LS fanden ihre Plätze in seinem Hosenbund. In seiner linken Manteltasche verstaute er einige mit spezieller Munition beladene Magazine, in der rechten fand ein Springmesser, welches eine spezielle Behandlung mit einer ätzenden Flüssigkeit bekommen hatte, eine vorübergehende Unterkunft.
    Mit wenigen langen Schritten erreichte er den Fahrstuhl, der ihn wieder in die Tiefgarage brachte. Konnten diese Dinger mit der heutigen Technik nicht eigentlich mal schneller gebaut werden? In den scheinbar endlosen Sekunden, die der Fahrstuhl vom Obergeschoss zum Untergeschoss brauchte, starrte er sich in der spiegelnden Innenauskleidung der Kabine selbst in die glühenden grünen Augen und schlüpfte durch den ersten Spalt heraus, als die Kabinentüren sich öffneten.


    Das Schnurren des Motors hallte von der Decke und den Wänden der Tiefgarage wieder, als er die Rampe herausfuhr. Er hielt sich nicht lange mit dem von beiden Seiten kommenden Verkehr auf, sondern rutschte zwischen zwei Fahrzeugen auf die Fahrbahn und war einige hundert Meter vor ihnen, bevor sich einer von ihnen aufregen konnte.
    Er fühlte die letzten Sonnenstrahlen des Tages warm auf seine Haut durch die Scheiben des Wagens fallen, gegen das Licht in den Augen hatte er die Sonnenbrille bereits in der Garage aufgesetzt.
    Solange er den Wagen nicht verlassen konnte, würde er versuchen von der Straße aus einige Hinweise zu finden. Sobald dieser bescheuerte brennende Feuerball den Himmel geräumt hatte, würde er finden, was er suchte. Er musste.
    Im Gegensatz zu den meisten anderen seiner Art legten die Mitglieder der Entourage auf saubere, trockene Umgebungen keinen Wert. Sie bevorzugten es auf jeden Fall abgeschieden. Das Lagerhaus, welches er letzte Nacht nicht mehr filzen konnte, schien ihm ein passender Ort zu sein, an dem er seine Suche fortsetzen konnte.
    Also parkte er den Wagen in einiger Entfernung, so positioniert, dass er möglichst viel sehen konnte, vor dem alten Fabrikgebäude und wartete.


    Immer wieder schweifte sein Blick zur digitalen Uhr im Armaturenbrett, dann zum Himmel. Die Sonne musste inzwischen hinter dem Horizont, den er wegen der ganzen Gebäude nicht sehen konnte, verschwunden sein, doch es befand sich noch immer zu viel Licht in der Atmosphäre.
    Er schloss die Augen, konzentrierte sich einen Augenblick und bildete eine Art Schutz um sich selbst und das ganze Auto. Falls hier wirklich Leute der Entourage auftauchen sollten, würden sie ihn so nicht sehen können.
    Offenbar hatte er keinen Augenblick zu früh, gehandelt, denn eine Bewegung an der Seite des Gebäudes, die bereits im dunklen Schatten lag, erregte seine Aufmerksamkeit. Eine Gruppe von ungefähr 30 Mann kam aus dem Gebäude, sie sahen sich um und warteten noch einige Minuten im Schatten ab, bevor sie sich in alle Himmelrichtungen in Zweiergruppen verteilten.
    Das war der Beweis, dass er an der richtige Stelle war, denn die Männer, die gerade das Gebäude verlassen hatten, waren die so genannten Sammler. Es war ihre Aufgabe vor Tagesanbruch so viele Spender, Menschen von denen Blut genommen wurde, wie möglich einzusammeln. Sie gingen auf ganz unterschiedliche Weise vor, handelten, wie sie es bevorzugten. Einige von Ihnen hatten Gefallen daran, Frauen oder Mädchen die ganze Nacht hindurch ein gewisses Interesse vorzuheucheln oder sogar Spaß mit ihnen zu haben, um sie kurz vor Morgengrauen mitzunehmen, und zu de’Fellini zu bringen. Andere arbeiteten auf die klassische Kidnappertour. Sie suchten sich ihre Opfer gezielt aus, beobachteten sie, schlichen sich im richtigen Augenblick an und nahmen sie mit. Die Stümper unter ihnen griffen sich den erstbesten Menschen, den sie sahen und an den sie sich herantrauten und verschleppten ihn.
    Als er sich sicher war, dass nicht noch welche von ihnen nachkamen, verließ er den Wagen und lief zu dem Eingang, aus dem die anderen gerade gekommen waren.
    Vorsichtig, um keinen zu auffälligen Lärm zu machen, schob er die Stahltür beiseite und warf einen ersten wachsamen Blick in das dunkle Gebäude. Vor ihm erstreckte sich ein leerer schmaler Gang, an dessen Ende eine weitere Tür war. Es stank bereits hier nach ihnen und er fragte sich, wie viele wohl dort drinnen waren.
    Er griff sein Springmesser und ging auf leisen Stiefelsohlen auf die nächste Tür zu. Falls sich jemand direkt dahinter befinden sollte, musste er ihn ausschalten, bevor er sich bemerkbar machen konnte. Er konnte es sich nicht leisten, entdeckt zu werden, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Er hatte nur diese eine Chance, falls sie ihn bemerken würden, bevor er die Person in Sicherheit bringen konnte, würden die Mitglieder sie zweifellos direkt beseitigen. Es war für ihn sowieso nicht ganz begreiflich, warum sie das nicht längst getan haben, wo doch einer ihrer Wächter den Abgang gemacht hat.
    Er öffnete die Tür und blickte sich auch hier um. Nichts außer einer Treppe in die Tiefe. Am Fuße der Treppe konnte er Stimmen hören. Es waren zwei. Eine seiner Schusswaffen würde zu viel Lärm machen, also musste er schnell sein. Er verstärkte den Sichtschutz um sich herum und schlich die eisernen Stufen herunter.
    Unten angekommen erblickte er zwei Jünglinge, die ihren Posten offenbar nicht sonderlich ernst nahmen, denn sie hockten sich gegenüber und spielten Karten. * Der linke von ihnen blickte gerade auf sein Blatt, als der Rechte schon durch einen gezielten Schnitt an der richtigen Stelle außer Gefecht gesetzt war und als er aufblickte, geschah mit ihm das Selbe, bevor er auch nur blinzeln konnte.
    Der Dunkelhaarige beobachtete, wie die beiden Körper erst einfielen und sich anschließend mit einer kleinen Rauchwolke in Luft auflösten. Er griff die Bekleidung der beiden und warf sie in den nächstbesten dunklen Gang, wo sie hoffentlich nicht so bald gefunden wurden.
    Auf seinem Weg weiter den Gang hinunter warf er alle paar Meter einen prüfenden Blick in einen der abzweigenden Nebengänge, lauschte einen Moment und lief dann weiter. Bis jetzt war das ganze noch ein Kinderspiel und das beunruhigte ihn. Irgendetwas stimmte nicht, wenn de’Fellini es nicht für nötig hielt, sich ausreichend zu schützen.
    Das Zeichen zwischen seinen Schulterblättern schien inzwischen zu bluten, als wäre er angepiekt worden, denn er fühlte den Stoff seines Hemdes bereits an seinem gesamten Rücken kleben. Er konnte nur hoffen, dass er nicht anfing durch die Gegend zu tropfen.


    Eine ganze Weile lief er weiter diesen einen Gang hinunter und begegnete nichts und niemandem. Lediglich am intensiver werdenden Geruch konnte er feststellen, dass er dem richtigen Gang folgte.
    Dann hörte er aus einem der Nebengänge Schreie und blieb an der Abzweigung vom Hauptgang stehen. Er lauschte, den Griff des Messers fest umschlossen. An den Stimmen konnte der ausmachen, dass sich scheinbar gerade vier von de’Fellinis Leuten allerhand Methoden einfallen ließen um dieses Trommelfellzerfetzende Geschrei zu provozieren.
    Ein Teil in ihm, eine ziemlich abgelegene Saite in seinem Hirn fing an zu klingen und verursachte ihm ein drückendes Gefühl auf der Brust, welches er nicht deuten konnte. Da er gerade nicht die Zeit zur Gefühlsanalyse hatte, ignorierte er es und folgte den Geräuschen.
    Nach wenigen Metern zweigte von dem Seitengang, auf dem er sich befand, ein weiterer noch schmalerer Gang nach links ab. Er musste jetzt ganz in der Nähe sein, denn er konnte Blut riechen und die Schreie taten ihm in den Ohren weh.
    In diesem Moment öffnete sich links von ihm eine Tür und er sprang zur Seite, denn sein Sichtschutz half zwar bis zu einem gewissen Grad unentdeckt zu bleiben, jedoch wirkte es nicht gegen Geruch oder Geräusche. Was bedeutete, wenn jemand direkt an ihm vorbeigehen würde, würde er ihn durch seine anderen Sinne wahrnehmen und auffliegen lassen.
    Er bewegte sich lautlos einige Meter weiter den Seitengang hinunter und hoffte, dass, wer auch immer da gerade die Tür geöffnet hatte, in irgendeine andere Richtung verschwinden würde. Unentdeckt konnte er beobachten, wie zwei der Wächter in Richtung Hauptgang davoneilten. Diese beiden waren keine Jünglinge mehr, wie die, die er gerade erledigt hatte. Wenn er sich nicht täuschte und nach ihrem Auftreten ging, waren sie sogar schon ziemlich weit oben in der Rangfolge.


    Als sie außer Sicht- und Hörweite waren, schlich er zur Tür, aus der die beiden gerade gekommen waren und verharrte einen Augenblick, bevor er sie aufriss und zwei weiteren ranghohen Wächtern den Spaß verdarb. Der nähere von ihnen griff direkt an, ohne zu zögern und offenbar ziemlich erfahren im Kampf, denn der Dunkelhaarige musste als erstes einen knochenbrechenden Hieb gegen die Rippen wegstecken, bevor er mit der Faust das Kinn des Wächters erreichte und dessen Kopf fast 180 Grad nach hinten verdrehte.
    Aus den Augenwinkeln bekam er mit, wie der zweite noch verbleibende Wächter eine Art Dolch aus dem Oberschenkel des Opfers zog und dann versuchte zur Tür zu gelangen. Das Springmesser segelte mit einem surrenden Geräusch durch die Luft und traf genau ins Herz. Der war also ebenfalls weg vom Fenster.
    Sein Kampfgegner jedoch, machte gerade Anstalten, weitere Wächter auf den Plan zu rufen, in dem er mit einer Eisenstange, die er gerade vom Boden gesammelt hatte, gegen ein unter der Decke verlaufendes Rohr schlagen wollte, wohl um durch möglichst viel Lärm Aufmerksamkeit zu erregen.
    * Mit einem gezielten Griff und einem kraftvollen Zug hatte die Eisenstange den Besitzer gewechselt und wurde mit einem energischen Ruck und geübert Hand dazu verwendet, auch ihn auszuschalten. Der Wächter riss überrascht die Augen auf und starrte auf die Wunde in seinem Bauch. Dann glitt plötzlich aus seinem Ärmel ein weiterer Dolch in seine Hand, der den Dunkelhaarigen in die rechte Brust traf, bevor er auf die Knie fiel.
    Der Dunkelhaarige riss sich das Messer aus der Brust, versuchte die Benommenheit, die der Schmerz in seinem Kopf auslöste, abzuschütteln und griff nach seinem auf dem Boden liegenden Springmesser. Sein Gegner brachte gerade genug Kraft auf, um einen von den Wänden widerhallenden Schrei auszustoßen, der mit einem geschickten Schnitt durch die Kehle unterbrochen wurde.


    Einen Wimpernschlag lang, stand er da und betrachtete die beiden Aschehaufen, die die beiden älteren Wächter hinterlassen hatten. Denn während Jünglinge sich einfach in Luft auflösten, hinterließen ältere seiner Art durchaus Überreste. Dann erst sah er, mit wem genau die vier Wächter sich vergnügt hatten.
    Sie saß auf einem mitten im Raum platzierten Metallstuhl, die Arme vom Handgelenk bis zu den Ellenbogen an die Rückenlehne gefesselt. Ihr Kopf war nach vorn gefallen und blutverschmierte blonde Haare verdeckten ihr Gesicht. Das schwarze Abendkleid, welches ursprünglich wahrscheinlich recht ansehnlich gewesen war, jetzt jedoch zerrissen, verdreckt und stellenweise blutgetränkt war, und die ebenfalls schwarzen High Heels wirkten merkwürdig deplaziert. Aus mehreren Stellen an ihren Beinen, Armen und ihrem Oberkörper floss Blut.
    * Er ignorierte seine Verletzung und ging zu ihr. Er hockte sich neben sie und strich den Vorhang aus Haaren beiseite. Ihre Augen waren geschlossen, doch er konnte ihren Herzschlag und ihren flachen Atem hören. Er warf einen Blick auf ihren Hals, jedoch schien der, soweit er es sehen konnte, nicht verletzt zu sein. Mit dem Zeige- und dem Mittelfinger hob er sachte ihr Kinn an. Unbewusst registrierte er, dass das Zeichen auf seinem Rücken, nicht mehr nervtötend brannte und blutete, sondern nur noch leicht kribbelte.
    Da bewegten sich ihre Lippen und leise Laute ertönten. Er runzelte die Stirn, denn er wusste nicht, ob sie etwas gesagt hatte.
    Sie räusperte sich und wiederholte, diesmal kraftvoller. „Ich habe keine Angst vor dir, du Bastart!“ Ihre Stimme war rau, brüchig und leise und trotzdem beeindruckte ihn eine derartige Ansage in diesem Zustand, auch wenn sie glatt gelogen war, wie er an der Beschleunigung ihres Herzschlages und dem Geruch von Angst, der von ihr ausging, wie frischer Zitronenduft, erkennen konnte.
    Dann öffneten sich ihre Augen und blickten unter einer Blutkruste, die sich in ihren Augenbrauen gesammelt hatte, hervor in sein Gesicht. Sie blinzelte, sah ihn noch einmal an und ihr Kinn begann zu zittern. Oh nein, dachte er, nicht das. Alles nur nicht das, doch schon rollten Tränen über ihre Wangen und sie begann leise zu schluchzen.


    Doch nicht aus Angst, wie er dachte, sondern weil sein Anblick ihr sagte, dass diese Freakshow hier endlich vorbei war und er sie hier herausbringen würde.
    Christina hatte sich die ganze Zeit über nicht einmal erlaubt zu heulen und jetzt, wo es scheinbar endlich einen Ausweg gab, brach sie in Tränen aus. Wäre sie nicht so erschöpft gewesen, hätte sie sich wahrscheinlich geschämt.
    Sie fühlte, wie die Fesseln an ihren Armen sich lockerten und das Blut mit einem schmerzhaften Stechen in ihre Fingerspitzen schoss. Dann der nächste Schmerz, als er ihre Arme nach vorne zog und ihre Gelenke protestierten. Doch sie schluckte die Schmerzenslaute und auch die Tränen herunter und versuchte sich die bereits vergossenen von den Wangen zu wischen, was ihr nicht gelang, da ihre Arme nach der langen unnatürlichen Haltung nicht zu koordinieren waren.
    Im Augenwinkel sah sie eine Hand auf sich zukommen und sie zuckte verschreckt zurück, bevor sie begriff, dass er ihr wohl nicht wehtun wollte, doch er hatte die Hand bereits wieder gesenkt.
    Sie sah ihn wieder an und wenn sie nicht inzwischen zu halluzinieren begonnen hatte, dann blickte er sie mit einem leicht ratlosen, ja fast verwirrten Gesichtsausdruck an. Er hatte auch noch kein Wort zu ihr gesagt.
    Christina richtete sich vorsichtig auf und versuchte auf die Beine zu kommen, was in ihrem Zustand und den mörderischen High Heels an den Füßen nicht wirklich einfach war.
    „Meinst du, du kannst laufen? Wir haben nicht besonders viel Zeit.“ Erklang ein angenehmer Bariton an ihrer Seite, als sie sowieso gerade in seine Richtung zu kippen drohte. Er fing sie kurzerhand auf und hob sie von den Füßen. Kurz wechselte er seinen Griff, arrangierte ihr Gewicht, so dass ein Arm unter ihren Kniekehlen lag, der andere ihren Rücken stützte und ihr Kopf an einer breiten Brust ruhte.


    Dann schien sie tatsächlich zu halluzinieren, denn plötzlich schlug ihr Wind ins Gesicht und als sie nach vorn schaute raste die Tür, die sie so lange versucht hatte zu erreichen, auf sie zu. Als nächstes schienen die Wände der Tunnel vor ihren Augen zu verschwimmen und die Lampen, die alle zwei bis drei Meter angebracht waren, zuckten an ihr vorbei.
    Dann kam alles ebenso plötzlich zum Stillstand und die kräftigen Arme, die sie eben noch locker gehalten hatten, umfassten sie fester, was ihr ein leises schmerzvolles Stöhnen entrang. Einen Wimpernschlag später, fand sie sich auf wackeligen Beinen an eine kalte Wand gelehnt wieder, ein breiter schwarzer Rücken vor ihr und drei von diesen Freaks rannten auf sie zu. Es knallte zweimal ohrenbetäubend laut durch die Gänge und zwei von ihnen schienen direkt vor ihren Augen zu verpuffen. Der dritte erreichte ihren Engel, wie sie ihn jetzt kurz entschlossen taufte, da er ihr keinen Namen verraten hatte. Doch noch ehe sie wusste, was los war, vollführte ihr Engel eine Vorwärtsbewegung mit seinem rechten Arm und auch der Dritte war ins Nichts verschwunden.
    Wieder umfassten sie kräftige Arme und hoben sie vom Boden und sie sausten weiter. Es ging eine Treppe herauf und eine Sekunde später schlug ihr frische Londoner Nachtluft entgegen. Sie hätte auf der Stelle gleich wieder heulen können, doch sie schluckte es erneut runter.


    Es war merkwürdig dunkel, denn scheinbar befanden sie sich in einem Teil der Stadt, in dem offenbar kein Geld für Straßenlaternen übrig war. Vor ihr, ein Stückchen weiter die Straße runter leuchteten plötzlich Blinker eines Autos auf und in der nächsten Sekunde ging die Tür auf und sie fand sich, von der Innenraumbeleuchtung geblendet nach der ewigen Dunkelheit, wie es ihr schien, im Beifahrersitz des Wagens wieder. Dann fiel die Tür neben ihr wieder zu und das Blenden ließ für eine Sekunde nach, bevor es erneut aufleuchtete und direkt wieder erlosch.
    Der Motor des Autos wurde angelassen und hörte sich sehr teuer an. Dann wurde sie in den Sitze gedrückt, als sie ohne Licht die Straße entlang rasten.
    Christina drehte vorsichtig den Kopf und sah ihren Fahrer an. Sie war plötzlich sehr müde, konnte kaum noch die Augen aufhalten.
    Dann bemerkte sie, dass er eine Hand an ihrem Hals hatte und mit dem Daumen in einem langsamen Rhythmus über die Ader an der linken Seite ihres Halses, die direkt von ihrem Herzen heraufführte, strich. Er sah auf sie herab, mit ungewöhnlich grünen Augen.
    „Name?“ krächzte Sie. Eigentlich hatte sie fragen wollen „Wie ist dein Name?“ oder „Wie heißt du?“, vielleicht auch „Wer bist du?“ aber das wäre viel zu anstrengend gewesen.
    „Mio.“ Erwiderte die angenehme Baritonstimme ihres Engels schlicht.
    „Christina.“ Nuschelte sie und ihren Augen fielen bereits zu.
    „Schlaf jetzt.“ Hörte sie noch, doch das tat sie bereits.



    Ich hoffe es hat euch gefallen! Würd mich über die eine oder andere Rückmeldung freuen.
    Falls ein Mod in diesem oder in folgenden Kapiteln trotz der Änderung noch auf etwas stoßen sollte, was hier nicht ganz herpasst, bitte ich um kurze Mitteilung. Ich werde das dann ändern.


    Gruß
    DieMarry

    So, da ich die kommenden zwei Tage wegen Fortbildung nicht zu Hause bin (ich "freu" mich ja so :angry ) kommt jetzt hier die Fortsetzung.... bin grad am überlegen, ob ich gleich zwei Kapiel online stelle... hmm, mal drüber nachdenken :p...



    Alte "Freunde"


    Der Dunkelhaarige warf einen Blick gen Himmel. Dieser hatte zwischenzeitlich über ein edles königsblau zu einem pastellblau mit leichten rosafarbenen Nuancen gewechselt. Seine Haut kochte bereits und an seinen Händen erkannte er, dass er inzwischen Verbrennungen hatte. Und die Sonne brachte ihm eine der wenigen Verletzungen bei, die bei ihm nicht von selbst abheilten.
    Er hatte noch immer keine Spur, doch es hatte keinen Zweck mehr.
    Einen Block weiter in Richtung Osten lag eine alte Fabrik, die er eigentlich noch genauer unter die Lupe nehmen wollte, aber das würde er nicht mehr schaffen.
    Also kehrte er um, hielt sich so gut es eben ging in den Schatten der Gebäude versteckt. Nach wenigen Minuten hatte er seinen Wagen erreicht, sprintete darauf zu, öffnete die Zentralverriegelung schon von weitem und schlüpfte mit einem erleichterten Aufatmen auf den Fahrersitz. Dieser Aston Martin war mit speziell für ihn angefertigten Scheiben ausgestattet, so dass ihm hier drinnen das Sonnenlicht nicht mehr viel anhaben konnte. In den Augen tat es trotzdem noch weh. Also setze er seine ebenfalls speziell gefertigte Sonnenbrille auf und machte sich schlechtgelaunt auf den Weg zu seinem Stadthaus.


    Er musste sich dringend etwas einfallen lassen, wie er dieses Problem in den Griff bekam. Es hing einfach zu viel davon ab. Nicht nur für ihn selbst, sondern für viele Andere, die waren, wie er.
    Er sah nur eine Möglichkeit, um eventuell an Informationen heranzukommen, die er benötigte, um zu finden, was er suchte. Und das schmeckte ihm überhaupt nicht, was auch der Grund dafür war, dass er diese Möglichkeit nicht sofort in Anspruch genommen hatte.


    Wenige Minuten später erreichte er die Tiefgarage seiner Unterkunft in der Stadt. An der Einfahrt schob er die Karte in die Verriegelung neben dem Tor, welches sich Sekunden später, für seinen Geschmack viel zu langsam, aus dem Weg bewegte. Er parkte den Wagen in der erstbesten Lücke und eilte zum Fahrstuhl, der ihn in die oberste Etage des exklusiven Miethauses brachte.
    Cosmin wartete bereits an der Eingangstür seiner Wohnung auf ihn. Für gewöhnlich war er nicht bis nach Morgengrauen unterwegs und offenbar hatte sich der kleinere Mann bereits Gedanken gemacht.
    „Herr, wenn ihr wünscht, werde ich die Salben holen und sie in euer Schlafgemach bringen.“ Bot er mit der üblichen tiefen Verbeugung an, sobald er sah, in welchem Zustand sein Herr sich befand.
    „Danke, Cosmin. Ich werde mich später selbst darum kümmern.“ Er betrat den Eingangsbereich seiner Wohnung, um anschließen direkt in seinem Büro zu verschwinden.


    Schnell ging er zum Telefon, bevor er es sich wieder anders überlegen konnte und wählte eine Nummer, die mit Sicherheit nirgendwo auf der Welt registriert war.
    Es klingelte genau dreimal, bevor sich am anderen Ende der Leitung eine rauchige weibliche Stimme meldete. „Wie schön mal wieder von dir zu hören, alter Freund. Es ist schon viel zu lange her, seid wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben.“ Wobei sie das Wort „gesprochen“ derart Betonte, dass dem Dunkelhaarigen wieder alle Gründe durch den Kopf gingen, weshalb er gezögert hatte, diesen Anruf zu tätigen.
    „Ich bin auf der Suche nach jemandem.“ Er hatte nicht die Geduld für diese Art Plauderei und kam direkt auf den Punkt. „Du kannst dir denken, worum es geht und ich bin sicher du weißt bereits, wo die Person sich gerade befindet.“
    „Oh, aber es ist noch gar nicht soweit, oder vergeht die Zeit inzwischen schneller, als ich dachte?“ Natürlich begann sie mit solchen Spielchen, damit hatte er gerechnet und doch nervte es ihn.
    „Offenbar ist es soweit, sonst würden wir dieses Telefonat nicht führen.“ Er hatte alle Mühe, nicht so genervt zu klingen, wie er war, denn sonst wäre dieses Gespräch schneller beendet, als ihm lieb sein konnte. „Also, weißt du etwas?“
    „Natürlich weiß ich bescheid.“ Lautete die Antwort und die Stimme wurde noch eine Spur rauchiger. „Aber du weißt, dass meine Antworten ihren Wert haben.“
    „Natürlich, wie konnte ich das nur vergessen, Vesna. Was willst du?“ Er unterdrückte es, mit den Zähnen zu knirschen.
    „Wir haben uns lang nicht mehr gesehen und wir hatten doch immer eine vergnügliche Zeit, oder nicht?“ Sie erwartete keine Antwort von ihm. „Ich vermisse das. Ich wünsche, dass du mich mal wieder besuchen kommst.“
    Darauf konnte sie lange warten.
    „Oh, da fällt mir ein, ich werde demnächst sowieso in London sein. Ich schlage vor, ich komme dich dann einfach mal besuchen. Man sollte solche Gelegenheiten doch nutzen, findest du nicht?“ Sie lachte ein Lachen, welches sie wahrscheinlich für verführerisch hielt, doch ihm verursachte es allenfalls Kopfschmerzen, wenn er in der Lage gewesen wäre welche zu empfinden.
    Bei ihrem so genannten Vorschlag handelte es sich keineswegs um etwas, was man ablehnen konnte. Ebenso wenig meinte sie mit einem Besuch ein gewöhnliches Treffen unter Freunden, was sie nicht waren. Ein weiteres Problem, aber damit würde er sich später beschäftigen müssen. „Demnächst“ bedeutete unter Ihresgleichen keineswegs das Gleiche, wie unter normalen Sterblichen, denn sie hatten ein anderes Gefühl für Zeit.
    „Also?“ fragte er, inzwischen machte er sich nicht mehr die Mühe seine Gereiztheit zu verbergen.
    „Es könnte dich interessieren, dass der Schwarze sich seit einigen Tagen in London aufhält.“ Diese Information war ihm nicht neu. „Und man munkelt, es hätte einen äußerst interessanten Zwischenfall auf einer seiner netten kleinen Partys gegeben.“ Okay, das war ihm tatsächlich neu. Und das war auch der Grund, weshalb er sich dieses Telefonat überhaupt antat. Vesna war zwar eine Art Ausgestoßene, doch sie hatte zuverlässige Informationsquellen, die sie zu nutzen wusste.
    „Was meinst du mit Zwischenfall?“ hakte er nach, denn von allein würde sie keine Details verraten.
    „Die Antwort auf diese Frage kostet dich aber einen kleinen Gefallen, wenn wir uns endlich wieder sehen.“ Säuselte Vesna.
    Er schwieg, denn er war sich nicht sicher, ob er so genau wissen wollte, was für einen Gefallen sie von hm einfordern wollte. Damit würde er sich ebenfalls auseinandersetzen, wenn es soweit war.
    „Offenbar war einer der Spender keine gute Wahl und ist einem der Wächter nicht besonders gut bekommen.“ Erklärte Vesna.
    Der Dunkelhaarige zwang sich zu etwas, was man als Verabschiedung bezeichnen konnte und legte auf. Weitere Informationen hätte er von ihr sowieso nicht bekommen und er konnte sich bereits denken, was sie mit „nicht besonders gut bekommen“ gemeint haben könnte.


    Als der Schwarze wurde in ihren Kreisen das Oberhaupt ihrer Art bezeichnet. Einst war er als Emanuele De’Fellini geboren worden. Ein Sohn des mittelalterlichen italienischen Adels. Er war behütet und gut bewacht am Hofe seines Vaters, dem Diktator von Florenz, aufgewachsen. Ihm war eine glorreiche Zukunft vorhergesehen.
    Doch es kam anders, als er auf einem nächtlichen Ausflug in die Stadt, um seinem jugendlichen Verlangen nach Mädchen nachzugeben, überfallen und am nächsten Morgen tot aufgefunden wurde. Noch vor seiner Beerdigung war sein vermeintlicher Leichnam verschwunden und wandelte als Unsterblicher durch die Welt. Er galt und gilt noch immer als eines der meist gefürchteten Monster, dass fortan sein Unwesen in der Dunkelheit der Nacht trieb. Seinen Verlust der Zukunft und seines Standes in der Gesellschaft versuchte er durch unbarmherzige und abstoßende Morde an jungen Frauen zu rächen.
    Nur wenige Jahrzehnte nach seiner Verwandlung schloss er sich dem Klan der Entourage an. Ein italienischer Klan, der sich nicht von Gesetzen in seinen Machenschaften einschränken ließ und schon immer versuchte an die absolute Macht zu gelangen, egal was es kostete.
    Vor ungefähr zweihundert Jahren gelang es De’Fellini das damalige Oberhaupt ihrer Art, welches dem spanischen Klan der Creyentes entsprang, auf grausame Weise zu stürzen und seinen Platz einzunehmen. Seither herrschte Angst und Schrecken in ihrer Welt, denn der italienische Klan verlangte das alleinige Existenzrecht und eliminierte alles, was einem anderen Klan oder einer anderen Rasse angehörte. Doch bedeutete die Herrschaft der Entourage ebenfalls eine große Gefahr für die Existenz der menschlichen Rasse, denn die Mitglieder dieses Klans hielten sich nicht an das wichtigste und älteste Gesetz der Geheimhaltung. Es war ihrer Art gestattet, zu nehmen so viel sie zum Überleben benötigten, doch sie durften nicht töten. Von einigen Ausnahmen mal abgesehen. Es gab mehrere Millionen ihrer Art auf diesem Planeten und die meisten von Ihnen benötigten mindestens zwei Sterbliche pro Nacht. Würden sie ohne Rücksicht auf Verluste töten, was ihnen in die Finger geriet, würde die Menschheit innerhalb kürzester Zeit ausgerottet sein. Und das würde auch das Ende ihrer eigenen Rasse bedeuten.


    Er musste also herausfinden, wo genau der Schwarze sich aufhielt. Das dürfte nicht sehr schwer sein, denn er scharrte für gewöhnlich ein nicht gerade kleines Gefolge um sich herum und so viele von ihnen auf einem Haufen hinterließen unwillkürlich Spuren. Er hatte es auch gar nicht nötig, sich zu verstecken, denn ihm war bekannt, dass er im Allgemeinen nicht besonders beliebt war und wusste sich vor möglichen Übergriffen wirksam zu schützen. Um einiges schwieriger, als ihn zu finden, dürfte es also werden, an ihn heranzukommen. Außerdem schmeckte dem Dunkelhaarigen gar nicht, was Vesna über den so genannten Zwischenfall gesagt hatte. Aber wenn bereits alles verloren wäre, würde er das mit Sicherheit wissen.
    Grimmig blickte er auf die absolut lichtundurchlässigen Stahljalousien vor den Fenstern. Er konnte erst wieder tätig werden, sobald die Sonne untergegangen war. Bis dahin konnte er nur hoffen, dass er die Person, die er suchte, noch lebend finden würde. Fürs erste musste er sich um die Verbrennungen seiner Haut kümmern und sich dann schlafen legen. Die Begegnung mit der Sonne hatte ihm viel Kraft gekostet und es brachte niemanden etwas, wenn er kommende Nacht geschwächt war.
    Es fiel ihm schwer, einfach abzuwarten. Er war jemand der handelte und nicht auf ein Wunder hoffte, ohne etwas zu tun. Doch ihm waren die Hände gebunden. Und er hasste es.
    Er verließ das Büro und machte sich auf den Weg in sein Schlafzimmer, welches sich am anderen Ende seiner großzügigen Wohnung befand, auf der Nordseite.


    Gerade hatte er die schwere Holztür hinter sich geschlossen und die wohltuende Dunkelheit auf seinen Augen begrüßt, da klopfte es bereits. Er seufzte, drehte sich aber zur Tür herum und gewährte Eintritt.
    Anais betrat mit gesenktem Blick die Dunkelheit und machte einen tiefen Knicks. Die junge Französin war bereits länger bei ihm, als man glauben könnte, wenn man sie sah. Vor rund 85 Jahren war er durch besondere Umstände quasi über sie gestolpert und hatte sie kurzerhand mitgenommen, da ihr damaliger Zustand ihn sehr an einen Teil seiner eigenen Vergangenheit, über den er nicht einmal nachdenken wollte, erinnert hatte. Und noch immer hatte sie sich nicht an ihn gewöhnt. Er konnte ihr Unbehagen riechen.
    „Herr, ich bringe eure Salben.“ Flüsterte sie fast. Offenbar hatte Cosmin sie geschickt.
    Er schickte einen Gedanken in den Raum, wodurch die Wandlampen gedämpftes Licht verbreiteten. Er bevorzugte die absolute Dunkelheit, da seine Augen dafür geschaffen waren, doch er wusste, dass Anais die Dunkelheit verabscheute.
    „Richte dich auf, Anais.“ Sagte er und wandte sich von ihr ab, um zur Chaiselongue zu gehen, die an der gegenüberliegenden Wand zwischen zwei durch Stahl verdeckte Fenster stand. „Du bist nicht hier, um mir zu dienen und ich bin nicht dein Herr.“ Er wusste nicht mehr, wie oft er ihr das bereits erklärt hatte.
    „Ich diene euch, da mir nicht bekannt ist, wie ich sonst wieder gutmachen kann, was ihr für mich getan habt, Herr.“ Sie trat weiter in den Raum hinein, die Schale mit der Salbe fest umklammert vor ihrem Bauch.
    „Stell sie dort auf den Tisch.“ Er deutete auf den antiken Beistelltisch neben seinem Bett. Antiquitätenhändler hätten beim Anblick seiner gesamten Einrichtung wahrscheinlich einen begeisterten Schreikrampf nach dem anderen bekommen, doch für ihn waren diese Möbel sein einfaches Eigentum, das ihn schon viele Jahre begleitete.
    „Wenn ich euch behilflich sein dürfte.“ Wisperte Anais und trat zögerlich auf ihn zu.
    Er spürte mehr als deutlich, dass sie sehr viel lieber diesen Raum so schnell wie möglich wieder verlassen wollte, doch er spürte auch, dass sie diese Tat für ihr Selbstwertgefühl brauchte und er sie verletzen würde, wenn er sie wegschickte.
    Also setzte er sich auf die Chaiselongue, krempelte die Ärmel seines dunklen Hemdes bis zum Ellenbogen hoch, legte seine Hände mit den Innenflächen nach oben auf seine Knie und beugte den Kopf minimal zurück. Er beobachtete, wie Anais die Schale neben ihm auf dem weichen Polster abstellte, ihre Finger in die weiße Masse tauchte und ihn dann ansah. Er schloss die Augen, saß reglos wie eine Statue da und atmete ruhig und flach. Seine Lungen benötigten zwar keinen Sauerstoff, doch war es ein natürlicher Reflex des Körpers und er hielt es für Energieverschwendung, diesen unterdrücken zu wollen.
    Er hörte wie Anais die Luft tief in die Lungen saugte und langsam wieder herausströmen ließ, dann hörte er das Rascheln ihrer Kleider, als sie sich vor seine Knie hockte. Ihr Herzklopfen verriet ihre Nervosität, ebenso wie das Rauschen ihres Blutes in ihren Adern. Dann… nichts, außer Atem, Klopfen und Rauschen.
    In seinen Beinen begann es zu kribbeln, ebenso in seinen Armen. Er musste den Impuls unterdrücken, ungeduldig mit dem Bein zu wippen. Konnte gerade noch das Zucken eines seiner Finger verhindern. Die Muskulatur in seinem Nacken und seinen Schultern spannte und verhärtete sich langsam. Er hasste es, so still sitzen zu müssen. Er hasste es, sich nicht bewegen zu können, wie er wollte. In Gegenwart der Menschen musste er sich eh rund um die Uhr nervtötend langsam bewegen, um sie nicht zu verschrecken. Er bekam den Drang aufzustehen, ein paar Schritte zu gehen, vielleicht sogar ein paar der Gewichte in der Ecke zu stemmen. Wenn sie sich nicht bald fangen würde, würde er sie doch wegschicken.


    Endlich fasste sie nach seinem rechten Handgelenk, drehte er herum und begann Salbe auf seine Haut zu streichen. Vorsichtig, viel zu langsam. Es war seltsam, wie sie versuchte, ihm keine Schmerzen zuzufügen. Es war völlig absurd. Er war doppelt so groß, doppelt so breit und wahrscheinlich dreimal so schwer wie sie. Er hatte Waffen, von denen sie wusste und weitere, von denen sie keine Ahnung hatte. Er könnte ihr ohne die kleinste Anstrengung das Genick brechen. Und sie ging mit ihm um, wie mit einem rohen Ei. Es reizte ihn noch mehr, doch er riss sich zusammen.
    Nach der rechten nahm sie sich seine linke Hand vor und dann sein Gesicht. Vorsichtig strich sie die kühle Salbe erst auf seine Stirn, dann die Wangen, die Nase, die Augenlider. Er spürte, wie seine Haut die Salbe absorbierte, anders als handelsübliche Produkte. Diese war von einer Freundin nach einem alten Rezept für ihn angefertigt worden.
    Als nächstes fühlte er die sanfte streichende Berührung an seinem Hals, links über der Halsschlagader. Seine Hand schnellte hoch und umfasste fest ihr Handgelenk. Finster blickte er sie an. „Das genügt.“ Seine Stimme war rau, tief, seine Augen dunkel.
    Anais blickte ihn geschockt an, dann öffnete sich ihr Mund zu einem leisen Schmerzenslaut und sie blickte auf ihr Handgelenk. Augenblicklich ließ er es los und stand auf.
    Das Mädchen senkte den Kopf und griff nach der Schale. „Entschuldigt, Herr. Die Verletzung an eurem Hals…“ sie stockte. „Benötigt ihr noch etwas, Herr?“
    „Danke, Anais. Du kannst jetzt gehen.“ Er versuchte seine Stimme weich klingen zu lassen, war sich aber nicht sicher, ob ihm das gelungen war.
    Sie verließ schnellen Schrittes den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.


    Er trat vor den kunstvoll verzierten Spiegel, neben dem Kleiderschrank, zog die linke Seite seines Kragens beiseite und betrachtete die Wunde, von der Anais gerade gesprochen hatte. Bereits viele Jahre befand sie sich dort, viel länger als Anais bei ihm war. Doch sie sah aus, als wäre sie ihm erst vor kurzem zugefügt worden und vermutlich würde sie nie abheilen. Für gewöhnlich achtete er sehr darauf, sie durch seine Kleidung zu verdecken. Anais hätte nicht von ihr wissen sollen, niemand sollte das. Doch er wusste, dass sie nicht darüber sprechen würde, mit niemandem.
    Sowohl seine Hände, als auch die Haut in seinem Gesicht waren in den wenigen Minuten bereits wieder verheilt und makellos.
    Er streifte sein Hemd von den Schultern, ließ die Hose auf den Boden rutschen, entledigte sich im Gehen seiner Socken und legte sich in das große Bett. Kaum hatte er die Augen geschlossen, da befand er sich auch schon im Tiefschlaf. Ein Schlaf ohne Träume, denn seinesgleichen war dazu nicht imstande.



    Also, das war es soweit erstmal wieder.
    Hoffe, es hat gefallen. Wie gesagt läuft momentan eher noch die Einleitung.
    Gruß
    DieMarry

    Noch mehr Kommis! Freu mich wirklich immer riesig über Feedback, da ich eigentlich schon seit längerer Zeit schreibe, aber nie wirklich etwas veröffentlicht habe und merke gerade, dass das wirklich voll motiviert, wenn man Rückmeldungen von anderen Lesern bekommt. Und damit meine ich nicht nur Lob, sondern auch Kritik, denn die Hilft einem sich zu verbessern und Fehler zu finden, die man selbst nie bemerkt hätte.


    raya: Ja, du hast Recht (und Shii natürlich auch) mit der Annahme, dass es in Richtung Fantasy geht. Vielleicht hätte ich vorher darauf hinweisen sollen, dass alles frei erfunden ist und keineswegs der Realität entspricht. *g*


    Der Titel bezieht sich darauf, dass der Dunkelhaarige ja meint, dass das, was gerade geschieht, eigentlich noch gar nicht geschehen sollte. Wird vielleicht nicht wirklich deutlich, das gebe ich zu. Aber es bezieht sich auch auf einige Dinge, die noch folgen werden.
    Ich habe eigentlich sowieso kein großes Talent, Überschriften oder Titel für Kapitel zu formulieren. Also lasst euch davon nicht zu sehr beeinflussen. Es wäre vielleicht auch eine Überlegung wert, einfach "Kapitel 1", "Kapitel 2" usw zu schreiben. Werd da mal drüber nachdenken *g*
    Es freut mich jedenfalls wirklich sehr, dass dir die Story (bis jetzt) gefällt. Hoffentlich bleibt das auch so ;)


    Shii: Du kannst gerne immer deinen Senf dazu geben! *g*
    Bei der Gruselszene möchte ich dich dann gleich mal vorwarnen, dass im jetzt folgenden Kapitel eine "gruselige" Situation folgt, die nicht wirklich gruselig ist, worüber der Charakter in der Story aber genauso denkt. Es ist also schon ein bisschen so gewollt. *g* Also nicht zu enttäuscht sein.


    Und es ist zur Zeit auch noch so gewollt, dass noch relativ wenig verraten wird und man nicht so wirklich weiß, was eigentlich los ist, weil es der Person in der Geschichte gerade nicht anders geht. Bis jetzt bekommt ihr ja auch erst sozusagen die Einleitung in das eigentliche Geschehen zu lesen. Aber ich verspreche, dass alles (soweit ich nichts vergesse) im Laufe der Geschichte Stück für Stück immer weiter aufgeklärt wird.
    Also, wenn euch irgendwas auffällt, was irgendwann mal angedeutet wurde, aber auch ewig später noch nicht aufgeklärt ist, dann sagt mal kurz bescheid. Ich habe schließlich alles im Kopf und auch das entsprechende Hintergrundwissen. Da ich keine Person bin, die sich vorher genauestens alles durchplant und notiert, kann es durchaus mal passieren, dass ich plötzlich irgendein Wissen vorraussetze, es aber nie erklärt habe. :rollauge


    Achja und die Absätze. :rolleyes Ich hab mir da irgendwie so ein bisschen angewöhnt, hauptsächlich dann richtige Absätze zu machen, wenn es einen Szenenwechsel gibt oder die Sicht der Personen gewechselt wird. Aber ich werde mal versuchen, etwas mehr Aufmerksamkeit auf die Absätze zu legen.



    Ich möchte hier auch noch im Allgemeinen darauf aufmerksam machen, dass die ersten 13 bis 14 Kapitel vermutlich relativ zügig aufeinander folgen. Danach kann es durchaus passieren, dass es zwischen den einzelnen Kapiteln etwas länger dauert. Habe bis jetzt die ersten 13 bis 14 Kapitel fertig und auch schon an anderer Stelle veröffentlicht. Danach hoffe ich einfach mal auf eure Geduld *g*


    So, nun geht es aber weiter!

    Wohl bekommts ... oder auch nicht.


    Viele viele Male Ein- und Ausatmen später wurde die Tür erneut geöffnet und dieses Mal stand eine ganze Gruppe von Kapuzenträgern davor. Schon im nächsten Augenblick stürmten sie den Raum, jeder von ihnen griff sich einen der Gefangenen. Auch Christina wurde unsanft im Genick gepackt und auf die Beine gezerrt. Ihr Kapuzenträger schob sie energisch vor sich her aus dem Raum. Christina stolperte und schwankte. In ihren Beinen stach und brannte es, als die Blutzirkulation wieder einsetzte, ihr Schädel pochte und sie glaubte, er würde jeden Moment explodieren. Ihr wurde schwarz vor Augen, dann komplett Weiß. Übelkeit drückte ihr die Luft ab und im nächsten Augenblick spürte sie schon die Galle in ihrem Hals hochsteigen. Krampfhaft schluckend kämpfte sie gegen den Würgreiz an und stolperte weiter vorwärts, den anderen folgend.


    Christinas Kopf wurde nach unten gedrückt, so dass sie auf ihre eigenen Füße starrte, doch wenn sie den Schmerz in ihrem Kopf ignorierte und die Augen verdrehte, konnte sie modrige Betonwände erkennen, an denen alle zwei bis drei Meter eine flackernde Lampe angebracht war. Sie passierten einige schmalere Gänge, die von dem breiten Gang, auf dem die Gruppe sich gerade fortbewegte, abzweigten. Christina schielte in jeden dieser Gänge, hofften auf eine Möglichkeit zur Flucht. Doch sie entdeckte nichts dergleichen.


    Plötzlich kam die Gruppe zum stehen. Einige der Gefangenen fingen an, rumzuzappeln, sich zu wehren, wollten sich losreißen. Doch diese Versuche wurden mit brutalen Handgriffen von den Kapuzenträgern unterbunden.
    Im nächsten Augenblick wurde rechts von Christina eine breite Stahltür beiseite geschoben und offenbarte das Ziel ihrer kleinen Wanderung.


    Vor Christina erstreckte sich eine riesige Halle. Die Wände waren mit schwarzen Tüchern abgedeckt. Die Decke war so hoch, dass Christina sie in dem Dämmerlicht der Kerzen, die als einzige Lichtquelle dienten, nicht mehr sehen konnte. Fenster konnte sie keine entdecken, so dass sie vermutete, dass sie sich einige Meter unter der Erdoberfläche befanden. Am oberen Ende der Halle war eine Art Podest aufgebaut, auf dem drei Stühle angeordnet waren. Auf den beiden äußeren Stühlen hatten ebenfalls Kapuzenträger Platz genommen, zwischen ihnen saß ein Mann mit einem bordeauxfarbenen Umhang, dessen Haut aussah, als würde er schon seit langer Zeit in ein Grab gehören.
    Vor dem Podest war eine lange Tafel in U-Form angeordnet, an der unzählige weitere Kapuzenträger saßen und scheinbar in ihre Richtung starrten.


    „In was für einem abgedroschenen Horrorfilm bin ich denn hier gelandet?“ schoss es Christina kurz durch den Kopf.
    Dann wurde sie von ihrem Kapuzenträger vorwärts geschubst, bis in die Mitte der Halle, was bedeutete, dass sie nun von Kapuzenträgern umzingelt waren. Als auch die anderen um sie herum versammelt wurden, riss Christina sich aus dem Griff ihres Kapuzenträgers los und warf ihm einen giftigen Blick zu.
    Auch wenn in ihrem Hinterkopf die Erkenntnis aufleuchtete, dass er sie wahrscheinlich sowieso gerade loslassen wollte, gab diese Befreiung ihrem Ego einen wohltuenden Schub, den sie gerade dringend benötigte.


    Die Gestalten, die sie hier hereingeführten hatten, verteilten sich an die lange Tafel.
    Christina blickte die mittlere Gestalt auf dem Podest wütend an. Das konnte doch wohl alles nicht ganz ernst gemeint sein. So langsam aber sicher wurde sie stinksauer. Was sollte das denn hier für eine hirnverbrannte Aktion werden?
    Dann traf der Blick des Bordeauxmantels ihren zornigen Blick und Christina hatte das Gefühl, als wäre ein eisiger Windstoß durch ihr Gesicht gefegt. Pechschwarze Augen musterten sie von Kopf bis Fuß. Dann folgte ein erneuter Windstoß.
    Der Bordeauxmantel runzelte seine sowieso schon faltige Stirn und starrte sie intensiver an. Christina wollte instinktiv wegschauen, doch sie konnte ihren Blick nicht lösen.
    Ihre Augen klebten förmlich an diesem runzeligen Gesicht, mit puderweißer Haut, umrahmt von rabenschwarzen Haaren und einem ebenso schwarzen Kinnbart.
    Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geglaubt, der Kerl wäre geradewegs einem Schwarzweißfilm entflohen. Haut weiß, Augen schwarz, Haare schwarz. Außer seinem roten Umhang, schien nichts an ihm farbig zu sein.
    Dann sah er weg von ihr und machte eine winzige Handbewegung.


    Ein kollektives Fauchen ging durch die Reihen der Kapuzenträger und einige von ihnen erhoben sich von ihren Plätzen.
    Christina nahm wahr, wie Elena sich neben sie in die Gruppe drängte und wimmerte. Auf der anderen Seite von ihr stand einer der Männer, dessen Gesicht sie keinen Namen zuordnen konnte, und kämpfte ganz offensichtlich gegen aufsteigende Panik an.
    Die Kapuzenträger, die ihre Plätze verlassen hatten, kamen jetzt auf die Gruppe Gefangener zu und begannen, sie zu umzingeln.
    Die restlichen Kapuzenträger, die noch an den Tischen saßen, hatten die Köpfe geneigt und begannen zu murmeln. Dieses Murmeln wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Es schien einer Melodie oder zumindest einem Takt zu folgen. Der Takt wurde schneller, das Gemurmel lauter, die Gruppe wurde weiter zusammengedrängt.


    Christina starrte stoisch in die glühenden Augen, die sie betrachteten. Sie würde sich nicht von der Angst lähmen oder sich das Gehirn von Panik vernebeln lassen.
    Diese Situation ähnelte einer der Zwischenfälle, die während ihres Aufenthalts in Vietnam, vorgefallen waren. Nur, dass die ganze Situation damals nicht so sehr an eine Freakshow erinnert hatte. Entscheidend war jedoch, dass sie damals fast heil aus der Geschichte herausgekommen war. Und sie war fest entschlossen, dass es diesmal nicht anders sein würde.


    Die rechte Hand ihres Gegenübers schnellte vor, packte sie um den Hals und riss sie zu sich heran. Christina wurde herumgedreht und prallte mit dem Rücken gegen den Körper ihres Gegners.
    Auch die restliche Gruppe wurde jetzt auseinander gerissen. Panische Schreie und verzweifeltes Betteln um Gnade hallten vermischt mit dem Singsang der restlichen Freaks von den hohen Wänden wider.
    Christina zögerte nicht. So fest sie konnte, rammte sie ihren Ellenbogen in die Leistengegend des anderen. Doch außer einem überraschten Grunzen, entlockte sie ihrem Angreifer damit keine weitere Reaktion.
    Offenbar hatte er auch keine große Mühe, sie an Ort und Stelle zu halten, denn lässig hob er seine freie Hand und zog die Kapuze von seinem Kopf. Er hätte sogar ein ganz hübscher Kerl sein können, fand Christina, würde dieses dreckige Grinsen nicht eine ganze Reihe schockierender Zähne entblößen.


    Jetzt schwappte die Panik, die sie versucht hatte zurückzudrängen, gnadenlos über sie hinweg. Christina schlug um sich, trat gegen alles, was sie erreichen konnte, kratzte und biss, doch es half scheinbar gar nichts. Er grinste nur noch breiter, legte seine Hand auf ihre Wange, als würde er sie liebkosen wollen und drückte unnachgiebig ihren Kopf zur Seite.
    Christina blinzelte heftig, und biss die Zähne zusammen. Sie würden ihm nicht die Genugtuung liefern und jetzt auch noch anfangen, zu heulen oder zu schreien. Fest krallte sie sich in seine Hände, die sie umklammerten und versuchte seinen Griff zu lösen. Dann spürte sie, wie spitze Zähne ihre Haut am Hals durchstachen. Ihr wurde schwarz vor Augen, doch sie würde jetzt keinen Ohnmachtsanfall zulassen. Sie schnappte hektisch nach Luft, ein-, zwei-, dreimal.


    Dann plötzlich ließ er von ihr ab, röchelnd ging er auf die Knie. Christina drehte sich verwirrt zu ihm um. Jetzt war er es, der nach Luft schnappte, sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Dann plötzlich schien sein Körper ineinander zusammenzufallen. Seine Augen wurden milchig, seine Wangen fielen ein, seine Hände verschrumpelten, dann fiel sein leerer schwarzer Kapuzenumhang mit einem leisen Rascheln, welches Christina in den Ohren dröhnte, obwohl um sie herum ganz anderer Lärm herrschte, zu Boden und er war verschwunden.
    Christina blickte sich um, die anderen Kapuzentypen waren noch immer mit den restlichen Gefangenen beschäftigt und offenbar blieb der kleine Vorfall mit ihrem Blutsauger nicht unbemerkt, denn der Bordeauxumhang stand von seinem Platz auf dem Podest auf und begann in einer fremden Sprache befehle durch die Halle zu brüllen.


    Christina fackelte nicht lange und nahm ihre Beine in die Hand. Im vorbeirennen versuchte sie, Elena aus den Armen eines blonden Beißers zu befreien. Doch der blickte mit blutverschmiertem Gesicht auf und ließ das leblose Mädchen einfach zu Boden gleiten.
    Also setzte Christina, noch weiter zur Eile angespornt, ihren Weg zur Tür, durch die sie hereingeführt worden waren, fort. Nie zuvor in ihrem Leben, hatte sie sich so schnell bewegt. Das Adrenalin in ihrem Kreislauf verhalf ihr zu übernatürlichen Leistungen. Ihre Füße schienen den Boden gar nicht zu berühren und schon einen Wimpernschlag, nachdem sie losgesprintet war, erreichten ihre Fingerspitzen den Griff der Tür.


    Doch dann hingen an ihren Beinen je zwei von diesen Horrortypen und ihr Gesicht segelte geradewegs dem Boden entgegen. Sie fühlte quasi schon den kalten Beton an ihrer Nase, als sie auch an den Armen gepackt und so ihr Fall gebremst wurde.
    Sechs von ihnen hingen an Ihr und schleppten sie vor das Podest. Christina keuchte und wehrte sich, doch gegen sechs solcher Typen gab es für sie keine Chance.


    Der Bordeauxumhang begab sich von seinem Podest und blickte mit seinen schwarzen Augen direkt in Christinas. Diesmal war es nicht nur ein kalter Windstoß, sondern ein Angriff, der ihr den Atem verschlug. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrem Kopf breit, es schien fast, als würde langsam ihre sowieso schon in Mitleidenschaft gezogene Stirn eingedrückt werden.
    Einen Augenblick später war es vorbei und Christina bildete sich ein, für einen kurzen Moment Angst im Gesicht des anderen erkennen zu können.
    Er wandte sich von ihr ab und gab ihren Körperklammern Befehle, die sie nicht verstand.


    Ein gezielter Schlag auf ihre bereits vorhandene Platzwunde am Kopf ließ alles um sie herum in Schwärze versinken.



    So, das war es auch hier ersteinmal. Ich hoffe, es hat gefallen und vielleicht hat es ja auch ein bisschen mehr Hinweise auf den Verlauf der folgenden Geschichte gegeben (oder tauchten jetzt doch nur mehr Fragen auf? :p ).
    Ich habe jetzt mal versucht, den Text etwas zu strecken. Ehrlichgesagt weiß ich gerade nicht, ob mir das so gefällt. Wirkt für mich gerade etwas, wie ein Flickenteppich, aber ist vielleicht auch einfach eine Gewöhnungssache. Ich lass es erstmal so.


    Lg
    DieMarry

    Auf der Arbeit. Ich hatte mein Handy neben meinem Computerbildschirm liegen, weil ich auf eine SMS gewartet habe. Und nebem dem Handy lag mein Taschenrechner.


    Ich: drücke (mit den Gedanken noch bei der Sache, an der ich gerade arbeitete) nebenbei auf eine Taste auf dem Taschenrechner. "Hm, immernoch keine SMS von XY."
    Kollegin: :roftl:roftl
    Ich: :confused: ...... *denk* ...... :roftl

    Danke für dein Kommi, Shii! Freut mich total, dass ich schon so schnell eine Rückmeldung bekomme. :applaus
    Ja du hast Recht, es gibt ab und an mal einige Schreibfehler und mit den Kommata spiel ich manchmal auch Glücksrad. *g* Wobei ich meistens eher das Gefühl habe, zu viele Kommata zu setzen, als zu wenig. Aber im Eifer des Gefechts kommt das eben mal vor. Ich schaue meine Texte selbstverständlich auch immer nochmal auf Fehler durch, aber ich finde es wahnsinnig schwer, eigene Texte zu korrigieren. Man weiß ja, was da steht und liest deswegen automatisch nicht mehr sooo genau, wie Andere es tun.
    Also, ich freu mich, dass es dir gefällt! Nochmal danke!



    Erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt...


    Noch ehe die durch den Aufschlag ausgelösten Vibrationen in der Eisenstange verklangen, traf nur wenige Kilometer vom Schauplatz Christinas Angriffs entfernt ein kristallenes Cognacglas auf Ebenholzparkett und zersprang in tausende winzige Splitter.
    Mit zwei langen Schritten erreichte der große Dunkelhaarige die gläserne Vitrine an der holzvertäfelten Wand des Büros und riss sich sein Hemd von den Schultern. Geschockt betrachtete er im spiegelnden Glas der Vitrine das untrügliche Zeichen zwischen seinen Schulterblättern, das nicht dort sein dürfte. Den linken breiten Arm über die rechte Schulter schlingend befühlte er vorsichtig, was er sah und zuckte aufgrund des brennenden Schmerzes zurück.
    Die großen Doppeltüren wurden geöffnet und Licht fiel aus dem Flur direkt auf den entblößten Rücken, als wolle es das Offensichtliche noch bekräftigen.
    Ein kleiner Mann fortgeschrittenen Alters im schwarzen Frack betrat den Raum und verbeugte sich tief. „Ich vernahm ein Klirren, Herr.“ Er erblickte die im einfallenden Licht golden schimmernde Flüssigkeit und die Scherben. „Ich werde mich darum kümmern, Herr.“
    Er war schon wieder auf dem Weg durch die Tür, als der Dunkelhaarige auf ebendiese zustürmte, mit einem Gesicht noch bleicher als gewöhnlich. „Herr?“ fragte der Frackträger vorsichtig.
    „Vergiss das Glas, Cosmin, fahr den Wagen vor.“ Und schon war der Dunkelhaarige in einem der Gänge verschwunden, um zu holen, was er brauchte.
    Cosmin richtete sich aus seiner Verbeugung auf, straffte seinen Frack und eilte in die andere Richtung, um dem Wunsch seines Herrn zu folgen.


    Diverse Utensilien flogen in kurzer Abfolge in eine schwarze Tasche, unter anderem ein Handy, ein GPS-Gerät, Verbandszeug, denn er wusste nicht, wie schlimm es stand, und einige Stichwaffen. Zwei kleine Handfeuerwaffen, eine kompakte Armbrust und ein langer Mantel aus schwarzem Leder fanden ihren Platz direkt am Körper des Dunkelhaarigen.
    Einen Wimpernschlag später stand er vor dem Haus, direkt neben dem nachtschwarzen Fahrzeug, aus dem Cosmin gerade ausstieg.
    „Wünschen Sie, gefahren zu werden, Herr?“ Cosmin neigte den Kopf, so dass sein Blick auf den schweren Stiefeln seines Herrn ruhte.
    „Nein, ich fahre selbst.“ Die Wagentür fiel ins Schloss und der V12 Motor des Aston Martin DBS erwachte mit einem sanften Schnurren, welches sich in ein wütendes Fauchen verwandelte, als der Wagen die Straße entlang schoss.


    Der Wagen raste auf der Gegenfahrbahn an einer ganzen Reihe anderer Autos vorbei, die Lichter der Straßenlaternen zuckten durch den Innenraum des Wagens.
    Er hätte es nicht missachten sollen. Es war seine Aufgabe, seine einzige Chance. Schon seit Monaten hatte er in unregelmäßigen Abständen für wenige Tage ein leichtes Kribbeln gespürt. Doch es war noch nicht die Zeit gewesen, einzugreifen. Es war auch eigentlich jetzt noch nicht die Zeit. Doch das mehr als deutliche Brennen machte ihm klar, dass er besser schon gestern gehandelt hätte. Er war nicht komplett Tatenlos gewesen. Aber er hatte aus der Ferne gehandelt.
    Ein wütendes Schnauben entfloh seiner Brust. Es war schon gestern deutlicher geworden. Doch es hätte alles Mögliche bedeuten können. Was es jetzt bedeutete, war ziemlich eindeutig. Er war auf dem besten Wege es zu versieben. Seine einzige Chance den Bach runtergehen zu lassen.
    Er spielte mit Kupplung und Gas, wich anderen Fahrzeugen aus, ignorierte diverse Verkehrsregeln, Warnleuchten, schoss ohne zu zögern quer über eine belebte Kreuzung. Der fließende Verkehr kam ihm vor, als würde sich alles durch eine zähflüssige Masse bewegen. Nicht schnell genug. Doch das machte nichts, außer, dass es seine sowieso zum reißen gespannten Nerven weiter reizte.
    Sein Reaktionsvermögen übertraf jegliches andere auf der Welt, seine Sinne erfassten weitaus mehr, als die aller anderen Lebewesen auf Erden. So fand er Mittel und Wege durch den Innenstadtverkehr, die schier unmöglich schienen.
    Er spürte, dass er näher an sein Ziel kam. Doch war er noch nicht in der Lage es genau zu orten. Scheiße, es war zu früh, viel zu früh. Das Ganze hätte anders ablaufen müssen.
    Kurzerhand riss er das Steuer nach rechts, rutschte in eine Seitenstraße, die eigentlich viel zu schmal für den Wagen, vor allem bei dem Tempo, wirkte. Er kam zum Stehen, das Schnurren verstumme, die Lichter erloschen.


    Ein Blick auf die Uhr verriet, dass in einer knappen Stunde die Sonne aufgehen würde. Mit einem heftigen Fluch auf den schmalen Lippen stieg der Dunkelhaarige aus dem Wagen.
    Für einen Augenblick stand er dort, an den Wagen gelehnt, die Augen geschlossen und schickte seine Sinne auf reisen. Durchsuchte die kleinsten Ecken und Winkel im Umkreis von einigen Kilometern. Er atmete tief ein, filterte die verschiedensten Gerüche. Das Problem war, dass er nicht wusste, nach welchem Geruch er suchen musste. Er horchte, schlüsselte die verschiedensten Geräusche auf. Doch wusste er nicht, nach welchem Atem und welchen Herzschlag er suchen sollte. Er wusste nichts. Seine Faust grub ein tiefes Loch in die nächste Backsteinwand.
    Von massenhaftem Gesindel, an dem er nicht Interessiert war, mal abgesehen, fand er rein gar nichts. Das Brennen und Prickeln auf seinem Rücken machte ihm aber deutlich, dass er nicht weit weg sein konnte. So kam er nicht weiter.
    Also machte er sich auf den Weg, die umliegenden Straßen in einem Umkreis von zwei Kilometern zu durchkämmen. Dabei konzentrierte er sich auf die Stelle zwischen seinen Schulterblättern, hoffte, dass sie ihn zum Ziel führen würde.
    Er begann in kleinen Kreisen, die er spiralförmig weiter ausbreitete, die Gegend abzusuchen. Er stieß auf Schnapsleichen, auf Obdachlose, die mehr tot als lebendig in dunklen Ecken vegetierten, Junkies im Rausch ihres letzten Schusses. Alles nicht brauchbar. Merkwürdig war auch, dass offenbar keinerlei Gestalten seiner Art anzutreffen waren. Die Sonne würde zwar sehr bald aufgehen, aber dennoch waren für gewöhnlich um diese Uhrzeit noch einige Nachzügler unterwegs. Nicht so heute Nacht.


    Christina kam mit einem schmerzlichen Stöhnen zu sich. Sie öffnete die Augen, nur um sie direkt fest wieder zuzukneifen und sie erneut zu öffnen. Sie konnte nicht sehen. Ein geschockter Laut kam über ihre Lippen. Sie war blind. Augen zu, Augen auf. Kein Unterschied. Ihr Herz raste, ihr Blut rauschte und pochte schmerzhaft hinter ihrer Stirn. Sie fasste sich an den Kopf und zuckte zusammen, als sie die Wunde ertastete. Vorsichtig rieb sie sich die Augen. Es half nichts. Ihr Frontallappen fühlte sich an wie Brei und ihr Sichtfeld bestand aus drückender Schwärze. In ihrer Kehle bildete sich ein panischer Schrei. Doch sie besann sich, bevor er nach außen drang. Ruhe bewahren, bloß keine Panik. Panik half nichts. Sie drehte den Kopf hin und her. In ihrem Nacken knirschte es unangenehm.
    Sie fühlte eine harte, kalte Wand in ihrem Rücken. Ihre Hände begannen zu tasten. Offenbar hockte sie auf dem Fußboden, auf einem nassen Betonboden.
    Dann vernahm sie rechts von sich ein Geräusch. Immerhin funktionierte offenbar ihr Gehör noch. Es war eine Art Rascheln, als würde etwas oder jemand sich bewegen. Sie hielt den Atem an, rührte sich nicht, versuchte angestrengt irgendetwas zu sehen. Das Rascheln verstummte. Sie tastete weiter, stieß mit den Fingerspitzen auf Stoff. Unmittelbar neben ihr zuckte etwas, ein erschrecktes Keuchen drang an ihr Ohr. Sie schreckte ebenfalls zurück, wandte sich in die andere Richtung ab, sie hoffte zumindest, dass es die andere Richtung war. Dann stieß sie mit dem Kopf gegen etwas festes, aber eindeutig keine Wand. Schmerzerfüllt jaulte sie auf. Plötzlich war der schwarze Raum um sie herum von Schritten, raschelnden Stoff und panischen Lauten erfüllt.
    Eine zittrige Stimme drang an ihr Ohr. „Wer ist da?“ Es klang, wie ein junges Mädchen.
    Die Geräusche verstummten, auch Christina erstarrte in ihrer Bewegung.
    „Ich kann nichts sehen.“ Klagte das Mädchen weiter.
    „Ich auch nicht.“ Erklang eine weitere Stimme, ein Mann.
    Christinas Kopf zuckte nach oben. Wie viele Menschen waren hier?
    Sie lehnte sich wieder an die Wand, atmete tief durch. Sie war offenbar nicht allein. War das nun gut oder schlecht? Sie holte tief und zittrig Luft, setzte zum Sprechen an, doch die Worte blieben irgendwo in ihrem Hals stecken. Sie schluckte, versuchte es erneut. „Mein Name ist Christina.“ Erklärte sie der Dunkelheit vor ihren Augen. „Wie viele sind wir? Ich schlage vor, jeder nennt seinen Namen.“
    Es blieb Sekunden lang still. Dann erklang wieder die Stimme des Mädchens. Elena, nannte sie ihren Namen. Es folgte ein George. Michelle, Cyntia, Joe, Seal, Brian, Johanna, Britt, Jonathan und einige mehr. Christina zählte mit.
    „Okay, wenn jetzt alle ihren Namen genannt haben, dann sind wir fünfundzwanzig.“ Sie glaubte zumindest, sich nicht verzählt zu haben, war sich aber sicher. Ihr Hirn schwappte noch immer in ihrem Schädel.
    „Sechsundzwanzig.“ Meldete sich eine weitere Stimme. „Ich bin Bella.“
    Die Stille drückte erneut sekundenlang, vielleicht sogar für Minuten auf ihre Ohren. Sechsundzwanzig Leute, dachte sie. Aus welchem Grund könnten sechsundzwanzig Fremde zusammen in einen Raum gesperrt werden? Verschiedene Szenarien flackerten in ihren Gedanken auf und schnell verdrängte sie diese Frage wieder. Zu viel hatten sie in der Welt gesehen. Viel wichtiger war wahrscheinlich, wo sie eigentlich waren.
    „Haben wir Raucher unter uns?“ Fragte Jonathan, wenn sie sich nicht täuschte.
    Sie rauchte zwar nicht, aber eine Zigarette könnte sie wohl auch gerade gut gebrauchen, sollten diese doch angeblich in Stresssituationen beruhigen. „Oder jemand anderes, der eine mögliche Lichtquelle bei sich hat?“ fragte er weiter.
    Oh, gute Idee. Sie tastete nach ihrem Handy, hoffte, dass das Licht des Displays weiterhelfen würde. Vielleicht bekam sie ja sogar Empfang.
    Doch sie fand es nicht. Offenbar wurde es ihr abgenommen.
    Sie lauschte auf die Suche der anderen Leute um sie herum. Doch Einer nach dem Anderen verneinte die Frage.
    „Ich möchte bitte wieder nach Hause.“ Erklang wieder Elenas Stimme. Sie weinte.
    „Du kommst auch wieder nach Hause.“ Das musste Cyntia gewesen sein, vielleicht auch Britt.
    In Christinas Kopf bildeten sich Zweifel an dieser Aussage. Doch sie verbot sie sich.
    Keiner im Raum sagte etwas, alle lauschten auf Elenas leises Schluchzen und Cyntias oder Britts geflüsterte Beruhigungen.


    Plötzlich hallte ohrenbetäubendes Donnern durch den Raum. Einer der Männer fing an zu Brüllen. „Lassen sie uns raus!“ Schrie er und trommelte offenbar gegen eine Metalltür. Einige andere stimmten in das Geschrei ein.
    Panisches Rufen und Kreischen hallte von den Wänden wieder. Das Donnern gegen die Tür wurde kräftiger.
    Plötzlich durchschnitt Licht die Dunkelheit und Christina konnte sehen. Für den Bruchteil einer Sekunde wanderten Ihre Augen durch den Raum, nahmen die anderen Gefangenen in sich auf. Die meisten saßen, genau wie sie, an die Wand gelehnt auf dem Boden, andere drückten sich stehend in die Ecken, oder kauerten mitten im Raum. Doch die Erleichterung darüber, dass es offenbar tatsächlich nur stockfinster im Raum gewesen war und ihre Augen funktionierten, wurde von blanken Entsetzen niedergepeitscht, als sie sah, was die Tür geöffnet hatte.
    Eine große Gestalt stand vor ihnen, in einen schwarzen Umhang gehüllt, den Kopf unter einer riesigen Kapuze versteckt, unter der nur zwei rot glühende Augen hervorstachen. „Ihr werdet nicht mehr lang ausharren müssen, Menschen.“ Die dunkle, knurrende Stimme hallte ungewöhnlich in den Raum. „Und du kommst jetzt gleich mit.“ Eine verhüllte Hand schnellte vor und erfasste den Mann, der der Tür am nächsten stand, am Hals.
    Die Tür fiel wieder zu, Finsternis drückte wieder auf die Augäpfel und Totenstille auf die Ohren.
    Dann drangen nervenzerreißende Schreie durch die Tür, welche abrupt endeten.
    Plötzlich ließ das rauschen ihres Blutes in Christinas Ohren nach, ihr Herz hörte auf, sich aus ihrer Brust hämmern zu wollen und ihre Gliedmaßen zitterten nicht mehr. Sie hatte das Gefühl über sich zu schweben, ihren Körper verlassen zu haben.
    Obwohl sich wieder die absolute Schwärze vor ihren Augen ausbreitete, glaubte sie, sich selbst genau sehen zu können. Jedes Heben und Senken ihrer Brust, jede Bewegung ihres Halses, wenn die Schluckte und jedes Blinzeln ihrer Augenlider.
    Und es breitete sich eine wohlige Ruhe in ihrem Inneren aus. Sie lehnte den Kopf an die Wand und konzentrierte sich auf das Atmen. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, schlucken und weiter einatmen und ausatmen.



    Das war das zweite Kapitel. Würde mich natürlich auch hier über Kommentare freuen.
    Lg DieMarry

    Hallo!


    Ja also, ich habe kürzlich beschlossen, einfach mal meine Story auf euch loszulassen. Vielleicht gefällt sie ja sogar dem Einen oder Anderen. :rolleyes
    Wünsche euch viel Spaß beim Lesen.


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    Die Foto-Reporterin Christina Atwell ist es gewohnt in brisante, ja sogar lebensgefährliche Situationen zu geraten. Doch auf das, was an ihrem 26. Geburtstag über sie hereinbricht, hätte sie nichts und niemand vorbereiten können. Der Einzige, der ihr helfen kann ist Mio. Aber dieser scheint selbst ein wenig überfordert mit der ganzen Sitaution, hatte er doch mit allem gerechnet, nur nicht mit einer Frau. Schon gar nicht mit so einer, wie Christina. Würden sie die Aufgaben, die ihr bereits in die Wiege gelegt und ihm vor vielen vielen Jahren von einigen fanatischen Priestern auferlegt wurden, meistern?
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    Let's party!


    Christina drehte sich vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer ihrer kleinen Wohnung in London. Sie war zufrieden mit dem, was sie dort sah.
    Dieses schwarze Kleid umschmeichelte ihre Figur. Der V-Ausschnitt ließ ihr Dekoltè üppiger wirken, als es war und ihre weiblichen Hüften etwas schmaler.
    Sarah, mit der sie seit dem Kindergarten befreundet war, hatte ihren Beruf als Stylistin eindeutig richtig gewählt. Christina war froh, dass sie sich von ihr zu diesem Kleid hatte überreden lassen. Bevorzugte sie doch für gewöhnlich sportliche, funktionale und vor allem bequeme Kleidung.
    Noch einmal drehte sie sich von einer Seite zur Anderen und beobachtete im Spiegel, wie der Saum des Kleides um ihre Knie strich. Hier und dort zupfte sich noch etwas Stoff zurecht, dann fiel ihr Blick auf ihr Gesicht.
    Ihre Haut hatte in den letzten Wochen einen sommerlichen Braunton angenommen, der vermuten ließ, dass sie im Urlaub gewesen sein könnte. Doch die Ringe unter ihren Augen verrieten eindeutig, dass sie stattdessen hart gearbeitet hatte.
    Erst gestern Abend war sie von einem Auftrag als Fotografin aus Bangalore, Indien, zurückgekehrt. Im Auftrag ihres Arbeitsgebers hatte sie sich dort an eine Terrororganisation gehängt und dies zwischenzeitlich nicht ganz ohne selbst in Gefahr zu geraten. Doch diese gewisse Gefahr hatte sich in den letzten Jahren immer mehr in ihren Job geschlichen, so dass es für Christina kein ungewöhnlicher Auftrag gewesen ist. Erschwerend kam jedoch hinzu, dass sie seit Monaten kaum schlief und wenn sie doch schlief, wurde sie von wirklich gruseligen Albträumen heimgesucht.
    Christina runzelte die Stirn und dachte genauer über diese Träume nach. Begonnen hatte das Ganze in ihrer ersten Nacht in Ägypten. Sie wurde vor drei Monaten von ihrem Arbeitgeber dort hingeschickt, weil eine Urlaubergruppe, der auch eine für die britische Politik bedeutungsvolle Person angehörte, verschleppt worden war. Christina sollte die Aufklärungsabreiten vor Ort genauer betrachten und Bericht erstatten. Sie war mitten in der Nacht in Kairo aus dem Flugzeug gestiegen und direkt in ihr Hotel gefahren. Kaum hatte sie im Bett gelegen, wurde sie von sehr realen und äußert beunruhigenden Träumen belästigt. In diesen Träumen ging sie in der Regel ihrer Arbeit nach, wurde dabei jedoch von dunklen Gestalten, die sie nicht identifizieren konnte, verfolgt. Anfangs beschränkte es sich auf das Verfolgt- und Beobachtetwerden. Doch von Nacht zu Nacht und von Traum zu Traum schienen ihr diese Gestalten immer mehr auf den Leib zu rücken. Bis Christina schließlich fast jede Nacht auf unterschiedlichste Art und Weise angegriffen wurde. Zwei Dinge hatten diese Angriffe in ihren Träumen immer gemeinsam, sie waren äußert brutal und sie bekam ihre Angreifer nie zu sehen. Auch nachdem sie Ägypten verlassen hatte, hörten diese Träume nicht mehr auf.
    Sie sollte sich dringend Urlaub nehmen, dachte sie. Nur war dies nicht ganz so einfach. Das Geschehen in der Welt wartete nicht auf sie, gönnte ihr keine Pause.


    Das ungeduldige Klingeln an ihrer Wohnungstür kündigte Sarahs Erscheinen an und so straffte Christina die Schultern, ersetzte den müden Blick auf ihrem Gesicht durch ein fröhliches Lächeln, strich eine lange Strähne ihrer blonden Haare zurück an ihren Platz und öffnete ihrer Freundin die Tür.
    „Ich habe genau gewusst, dass dieses Kleid wie für dich geschaffen ist!“ verkündete Sarah nicht ohne einen gewissen Stolz auf ihre Leistung und betrachtete Christina von Kopf bis Fuß. Schließlich lächelte die zierliche schwarzhaarige Christina an. „Es ist schön, dich gesund wieder zu Hause zu wissen.“
    Christina verdrehte die Augen. Sarah hatte sich schon immer zu viele Gedanken um sie gemacht. Zugegeben, sie war ab und an etwas tollpatschig, aber wenn es darauf ankam, konnte sie sehr gut auf sich selbst aufpassen.
    „Los, lass uns feiern gehen!“ Sie hakte sich bei ihrer kleineren Freundin ein und beide machten sich auf den Weg in das Londoner Nachtleben.


    Eine halbe Stunde später betraten Christina und Sarah das Smoove. In diesem stilvollen R’n’B und HipHop Club hatten sie schon ganze Nächte durchgefeiert.
    Sarah strebte zielsicher auf einen Tisch im hinteren Bereich des Clubs zu und als auch Christina sich durch die tanzenden Menschen geschlängelt hatte und alle ihre engsten Freunde an einem großen Tisch versammelt sah, wäre sie am liebsten direkt wieder abgehauen. Sie hatte wirklich gehofft, ihre Freunde hätten es vergessen. Oder würden wenigstens so tun, als ob.
    Christina verfolgte Terrororganisationen, Menschenhändlergruppen und sogar Mafiabosse für ein paar aussagekräftige Fotos. Dabei geriet sie nicht selten in brenzlige Situationen, die häufig mit Verletzungen oder Traumata endeten und sie nahm dies, ohne mit der Wimper zu zucken, hin. Doch wenn es um Geburtstagsfeiern ging, speziell um ihre eigenen Geburtstagsfeiern, befiel sie das kalte Grauen.
    Ihre Freunde hatten offenbar mit aufkommenden Fluchtgedanken ihrerseits gerechnet, denn als Christina sich umdrehte, um diese Gedanken umzusetzen, standen ihr Marc und Jay gegenüber. Sie funkelte die beiden wütend an und wollte gerade zu protestieren beginnen, als sie bereits an den Oberarmen gepackt und zum Tisch ihrer Freunde geschoben wurde.
    „Und ihr wollt Freunde sein, ja?“ wollte sie von den beiden wissen.
    Doch als Antwort bekam sie von beiden je einen Kuss auf die Wange und ihr wurde gratuliert. Und auch die anderen umarmten, herzten und küssten sie lachend und gratulierten ihr. Gratulierten ihr zu einem weiteren Geburtstag, der sie näher an die grauenvolle 30-Jahre-Marke gebracht hatte. Gut okay, bis zu dieser Marke waren es noch immer vier Jahre. Nur noch vier Jahre, wie Christina mit Schrecken feststellte.
    Sie weigerte sich, sich für die Glückwünsche und Geschenke ihrer Freunde zu bedanken und dann fingen sie auch noch an, zu singen. Hecktisch blickte Christina sich um. Musste das denn so laut und so auffällig sein? Es mussten doch nicht alle Anwesenden mitbekommen.
    Natürlich bekamen es auch einige der anderen Gäste mit. Stück für Stück stimmten immer mehr Gäste in „Happy Birthday“ ein, egal, ob sie Christina kannten oder nicht. Sie hätte am liebsten einigen von ihnen mit irgendetwas den Hals gestopft.
    Mit hochrotem Kopf, ob vor Wut oder Scham wusste sie selbst nicht genau, stand Christina vor ihren Freunden und wartete, bis sie das Ständchen endlich zu ende brachten.
    Als die letzte Strophe schließlich verklungen war, drückte Marc ihr ein Glas Champagner in die Hand. „Hör auf, die Furie zu spielen, Christina. Wir wissen alle, dass du uns tief in deinem Herzen für das hier liebst.“
    Er sah sie mit einem so liebenswürdigen Lächeln an, dass Christinas Mundwinkel gegen ihren Willen nach oben wanderten und sie einfach zurücklächeln musste.
    Alle am Tisch brachen in Beifall und Jubel aus und Christina wurde auf einem Hocker zwischen Sarah und Marc platziert und reichlich mit Getränken und dem neuesten Geschichten aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis versorgt.


    Einige Stunden und viele Champagner- und Weingläser später machte Christina sich auf den Weg nach Hause. Mehr als beschwipst ließ sie sich von Marc seine für sie viel zu große Jacke überziehen und aus dem Club führen.
    Vor der Tür des Smoove atmete sie tief die von Autoabgasen und anderen Ausdünstungen, über deren Herkunft sie lieber nicht nachdenken wollte, geschwängerte Luft ein und lächelte. So anders, als die stickige Luft in Indien, die häufig nach den verschiedensten Gewürzen roch oder einfach bestialisch stank.
    Marc lachte über ihren zufriedenen Gesichtsausdruck. „Gib es zu. Du wärst enttäuscht gewesen, diesen Abend nicht erlebt zu haben.“
    Sie lehnte sich grinsend an ihn, als sie die wartenden Taxis ignorierten und sich zu Fuß auf den Heimweg machten. Natürlich hatte ihr der Abend mit ihren Freunden gefallen. Es war viel zu lange her gewesen, seit sie alle zusammen etwas unternommen hatten. Doch sie würde sich hüten, ihm das unter die Nase zu reiben. Das könnte in einem Jahr zu leicht gegen sie verwendet werden.


    „Und?“ Fragte Marc, kaum dass sie die erste Straßenlaterne passiert hatten „Bist du auf deinen Reisen durch Indien endlich auf deinen Prinzen gestoßen?“
    Christina hatte sich insgeheim schon gewundert, dass er sie nicht schon viel früher am Abend mit dieser Frage überfallen hatte. Seit ihre bisher einzige scheinbar funktionierende Beziehung vor vier Jahren überraschend zerbrochen war, war sie allein. Mit Daniel hatte sich das erste Mal eine Beziehung gehabt, die länger als nur wenige Monate gehalten hatte. Sie hatten es ganze eineinhalb Jahre geschafft und sie waren glücklich gewesen, hatten Pläne gehabt. Und dann hat sie ihre ersten Aufträge als Fotoreporterin bekommen. Nach den ersten zwei Monaten, in denen sie in der Welt unterwegs gewesen war, hatte er sie verlassen. Eine Beziehung hatte für ihn nicht auf diese Weise bestehen können.
    Christina schnaubte undamenhaft aufgrund der Frage und aufgrund der Erinnerung an Daniel.
    Das war für Marc Antwort genug, um seine übliche Rede über ihre angeblich zu hohen Ansprüche, ihr angeblich verschlossenes Auftreten fremden Männern gegenüber und ihr tatsächlich undamenhaftes Verhalten auszupacken.
    Marc selbst war für seine leidenschaftlichen, aber kurzen und vor allem schnell aufeinander folgenden Beziehungen bekannt. Bei Marc wirkte alles so einfach. Er sah, er liebte und er vergaß ohne Rücksicht auf Verluste. Wobei er Männer bevorzugte.
    „Ich glaube, ich habe im Moment gar keine Zeit für eine Beziehung.“ Antwortete Christina. „Ich habe noch nicht einmal meine Ausrüstung ausgepackt, weil ich in den nächsten Tagen schon wieder abreise und noch nicht einmal weiß wohin und für wie lange.“
    Marc lachte herzlich und Christina knuffte ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. „Also, wenn diese Ausrede nicht inzwischen einen Bart bis zum Boden hat. Du hattest bisher mehr als genug Gelegenheiten für einen aufregenden anonymen Quickie auf einer Flugzeugtoilette. Oder heiße Spielchen unter der Wüstensonne.“
    Bevor Marc sich weitere unanständige Szenarien ausmalen konnte, unterbrach Christina ihn lachend. „Du bist betrunken Marc!“ In diesem Moment stolperte Christina. „Und ich offensichtlich auch.“
    Sich gegenseitig aneinander abstützend wankten sie zusammen die dunklen Straßen entlang, plauderten und lachten, bis sie sich drei Straßen vor Christinas Wohnung trennten, da Marc von hier an in eine andere Richtung musste.


    In der Sekunde, nachdem Marc sich verabschiedet hatte, um wankend und stolpernd seinen Weg zu seinem Loft fortzusetzen, schlang sich ein kräftiger Arm um Christinas Taille und eine breite Hand drückte ihr Mund und Nase ab. Obwohl sie für eine Frau nicht gerade ein Leichtgewicht war, wurde sie ohne deutlich erkennbare Anstrengung von ihren High Heels gehoben und in eine stockfinstere Seitengasse gezerrt. Für einen Moment schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Überdeutlich nahm sie den Atem des Angreifers in ihrem Nacken wahr, registrierte seinen abstoßenden Geruch. Fühlte den Druck des Armes auf ihrem Bauch, des fremden Körpers an ihrem Rücken und das beklemmende Gefühl der Hand in ihrem Gesicht. Sie versuchte angestrengt, Luft durch ihre Nase einzuatmen, was nicht gelang. Dabei beobachtete Sie unbewusst, wie ihre Beine, wie die einer Schlenkerpuppe durch die Luft segelten, als sie herumgeschleudert wurde. Sie war von der Angst wie gelähmt. Hörte ihr eigenes Herz wie Paukenschläge, fühlte es von innen gegen ihren Brustkorb donnern. Ihr Blut rauschte in ihren Ohren. Und dann schoss Adrenalin durch ihre Adern. Sie versuchte, ihren Angreifer mit ihren spitzen Absätzen an den Schienbeinen zu treffen, mit den Daumen seine Augäpfel zu erreichen, um sie ihm notfalls aus dem Schädel zu drücken, damit er sie losließ. Doch noch bevor ihre Versuche, sich zu wehren, Erfolg erzielen konnten, sah sie einen zweiten Mann aus dem Schatten treten und im nächsten Moment sauste eine massive Eisenstange auf sie zu, um mit einen metallischen Scheppern und unsagbaren Schmerzen auf ihre Stirn aufzutreffen. Christina sackte bewusstlos in sich zusammen.



    Das wars erstmal.
    Lg DieMarry

    nabend


    ich wollte gerade meinen nick ändern.... und zwar möchte ich eigentlich nur dieses "}" weg haben... möchte also aus @}->- jetzt @->- machen, damit ich mich auch übers handy hier anmelden kann und mein handy dieses komische klammerding nicht macht....
    allerdings bekomme ich die meldung, dass der nickname (angeblich) einen punktstrich ( ; ) enthalten würde und das nicht erlaubt wäre.... aber da ist doch gar kein ";" in meinem nick.... was mach ich denn nun?


    gruß
    @}->-

    kollegin und ich standen heut nachmittag auf der arbeit hinter dem haus und zwar ohne jacken...


    sie (zittert und bibbert ohne ende): gott, das ist ja saukalt!
    ich: aaach... frieren macht schlank also beschwer dich nicht.
    sie: hä?
    ich: naja du spannst ja durch das zittern die ganze zeit deine muskeln an um so wärme zu produzieren und das verbrennt kalorien.
    sie: aach..dann muss ich mich nachher nur drei stunden nackt in den garten stellen und dann nehm ich ab?
    ich: ähm...naja....also du frierst dir zumindest mal den a*sch ab...

    was mich an dem Video mit dem "singenden" Mädel viel mehr aufregt, als ihr Aussehen (denn dafür kann sie nun wirklich nichts)


    1. ihre Brille... als ehemalige Brillenträgerin hatte ich beim Anschauen des Videos die ganze Zeit den Drang, die Brille weiter hoch zuschrieben.
    2. die Haarsträhne, die am Brillengelenk festhängt und die sich auch versucht, zur Seite zu "schütteln"
    3. dieses Starren in die Kamera... das macht einem ja Angst... hab mich beinahe erschreckt, als die bei 3:34 mal zur Seite geschielt hat


    da arme Mädel wird sich in ein paar Jahren wohl ziemlich für dieses Video schämen...


    sorry für Offtopic


    schönen Abend noch

    ich äußere mich dann hier auch mal... hab schon eine weile mitgelesen...
    also ich habe tee eigentlich immer gehasst! mich musste man wirklich immer zwingen, tee zu trinken. aber seit einigen jahren trinke ich ab und an mal ein tässchen, wenns wirklich sehr kalt ist. jetzt bin ich seit ein paar wochen irgendwie voll auf dem tee-trip. weiß auch nicht woher das plötzlich kommt.
    letzte woche habe ich jetzt auch erfahren, dass wir hier ein tee-kontor haben... hab mir da mal zwei sorten mitgenommen und zwar einmal "fehmaraner bickbeern" das ist ein tee mit apfel, karotte, rote beete, weinbeeren und erdbeeren... ziemlich süßlich, aber sehr lecker... ausserdem habe ich noch "waldperle" mitgenommen... der ist mit hibiskus, korinthen, holunderbeeren, schwarze johannisbeeren, heidelbeeren und hagebutte... auch lecker, aber schon säuerlicher.
    Als nächstes werde ich mir "rumtopf" kaufen. davon hatte ich eine kleine probe mitbekommen und die war fast leckerer, als die beiden sorten, die ich bereits gekauft habe.


    ich habe da noch eine frage an die leute, die sich mit tee auskennen... und zwar würd ich gern wissen, ob man früchtetee problemlos aus einer thermoskanne trinken kann? hab irgendwie mal gehört, dass tee in einem themobehälter einen seifigen geschmack bekommen soll. hat da jemand erfahrungen mit?

    warum probierst du es nicht einfachmal mit tages- oder monatslinsen aus? ich denke, du selbst kannst am besten entscheiden, was für dich das richtige ist...