Beiträge von DieMarry

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    Ich find die 'Werbung' einfach nur so gut.


    bei dem tv-spot kämpf ich jedesmal mit den tränen...

    Also ich bin eigentlich absolut kein Fußballfan... hab auch keine Ahnung davon, mache aber trotzdem bei dem Tippspiel auf der Arbeit mit... und ich hoffe, dass Deutschland Weltmeister wird, aber wirklich glauben tue ich nicht daran.


    Ja, diese Tröten haben mich bereits in den ersten paar Minuten des Eröffnungsspiels genervt. Es soll in Afrika so üblich sein und die WM ist nunmal dieses Jahr in Afrika, aber mir fehlen die Fangesänge und der deutliche Jubel usw auch total. Diese stetige Brummen bringt für mich absolut keine Stimmung rüber.


    Und ich denke auch, dass dieses Jahr nicht die gleiche Stimmung aufkommen wird, wie bei der letzten WM... Da war halt wirklich das Besondere, dass es bei uns war. Hatte mich damals irgendwie anfangs gegen die Stimmung gewehrt, weil mir die WM auf die Nerven ging, wegen dem ganzen WM-Scheiß, den man schon ein dreiviertel Jahr bevor es los ging überall gesehen hat. Und dann hats mich doch irgendwie mitgerissen und nachher war ich enttäuscht, dass ich nicht von Beginn an voll dabei gewesen bin.


    Dieses Jahr wird halt geguckt oder zumindest die Ergebnisse wegen des Tippspiels verfolgt, aber in richtiger WM-Stimmung bin ich nicht.

    danke für eure tipps...werd mal einlegesohlen probieren und wenn das nicht helfen sollte, mal beim schuster fragen, was dem dazu einfällt und was das kosten würde..

    war heut mit ein paar arbeitskolleginen in der mittagspause essen...


    T guckt sich die deko in dem restaurant an: ist ja echt hübsch hier... würd aber die herzchen da an dem mobile abmachen...
    F: warum das denn?
    T: Herzen sind albern... Ein Herz ist einfach nur ein Muskelklops...ein Kilo Gulasch sozusagen...
    wir anderen drei gucken sie total skeptisch an... nach ein paar sekunden
    M zu mir: hast du eigentlich nen freund?
    Ich: Nein.... wie kommst du da jetzt drauf?... wegen dem kilo Gulasch?

    ich hab da mal eine frage an die schuh-experten hier....
    also ich bin bisher eigentlich immer eher so der stiefel-typ gewesen... ob mit flachen, hohen oder ganz ohne absatz egal... hauptsache geschlossen und mindestens bis ans schienbein... auch im sommer
    nun habe ich aber beschlossen, mir für diesen sommer auch mal offene schuhe zu kaufen... sind u.a. ein paar pumps von s.oliver geworden... leider schlupfe ich da immer mit der ferse raus... nervt tierisch... im laden hatte ich die schuhe auch eine nummer kleiner an, aber das ging absolut echt gar nicht... da konnt ich keinen schritt mit gehen, ohne mir die zehen zu verkrüppeln... die eine nummer größer scheinen nun aber plötzlich zu groß zu sein...
    hab es schon mit gelstreifen für die fersen versucht... die halten leider nicht, weil im schuh son komisches material ist... dann habe ich jetzt einfach die schuhspitzen ein bisschen ausgestopft, so dass meine ferse meher hinten rangedrückt wird... aber auf dauer tut das auch weh an den zehen...
    hat jemand tipps, was ich noch versuchen kann? mag die schuhe eigentlich soooo gern... aber sieht ja affig aus, wenn ich unsicher durch die gegend stöckele, weil ich angst habe, rauszurutschen und umzuknicken...
    hilfe?

    Wir waren Freitagabend mit der ganzen Familie essen. Meine beiden kleinen Cousinen waren auch dabei. Und die beiden haben zwischen Hauptgang und Dessert Freundschaft mit einem Kind vom Nachbartisch geschlossen.
    Dann ist die Familie vom Nachbartisch kurz vor uns losgegangen und das Kind blieb extra nochmal an unserem Tisch stehen und rief laut "Tschühüüüs!" und hat gewinkt. Keiner außer mir hat reagiert.
    Nachdem die Familie weg war.
    Ich: "Ihr seit alle sowas von unfreundlich. Da sagt der kleine Junge extra Tschüss zu uns und keiner außer mir antwortet ihm."
    Alle anderen lachten.
    Meine Tante: "Ja, hast ja Recht.... aber das war ein Mädchen!"
    :kopfkratz

    Warum suchst du denn einen, der bereits vollgekritzelt ist?
    Ist es nicht irgendwie sinnvoller, sich einen "sauberen" zu besorgen (ob neu oder gebraucht ist jetzt mal egal) und den dann selbst zu bemalen?

    ich finde die sache mit der zeitumstellung auch sowas von bescheuert. es ist ja auch nicht nur so, dass man sich beim aufstehen wieder umstellen muss. ich finde, das zieht sich durch den ganzen tag. irgendwo gewöhnt man sich doch so einen rythmus an, zb. bei den pausen und den essenszeiten, wann man seine leistungshochs und -tiefs hat usw. ganz schön behämmert.
    aber vielleicht bin ich auch nur ein extremer gewohnheitsmensch und krieg einfach zu schnell die kriese, wenn ich meinem gewohnten trott nicht mehr nachgehen kann. *g*

    eigentlich sollte die vorgeschriebene kündigungsfrist in deinem arbeitsvertrag stehen (bzw in den dienstvorschriften). hab grad auch mal gegoogelt und da steht eine kündigungsfrist von vier wochen, nach dem siebten monat der beschäftigung.

    also habe bisher auch noch nicht so wirklich schlechte erfahrungen im kino mit anderen zuschauern gemacht... das übliche halt... große personen vor einem... quatschende leute hinter einem...


    einmal wars nur sehr nervig, dass hinter uns welche saßen, die meinten, ihre füße zwischen die vorderen sitze zu stecken (wo wir saßen)... die sitze waren halt versetzt angeordnet und auch absatzmäßig... und die meinten eben ihre beine hochlegen zu müssen... so hatten wir dann die füße unserer hintermänner neben unseren köpfen... sehr lecker....


    und ein anderes mal war ich mit einigen leuten in "die passion christi" und neben uns saßen zwei schon ältere frauen... waren mit kettchen und talismanen behangen und so... und die saßen da während des gesamten films und haben gebetet und geheult und gejammert.... hat waaaahaaansinnig genervt... warum gehen die in so einen film, wenn sie damit nicht klarkommen?? (wobei ich zugeben muss, dass ich bei einigen stellen in dem film auch lieber raus wollte)


    ansonsten auch mit einigen leuten ins gespräch gekommen und dan noch zusammen irgendwohin gegangen...

    @ raya: Wieder einmal herzlichen Dank für deine Rückmeldung!
    Und ja, du hast Recht, Mio birgt noch so einige Geheimnisse. ;) Die werden wohl so Stück für Stück aufgedeckt. Zumindest ist das so geplant. Wobei ich noch nicht genau weiß, ob das noch in diesem Teil der Geschichte passieren wird. Irgendwie entsteht in meinem Kopf bereits eine Fortsetzung der Geschichte, obwohl nichtmal die Hälfte des jetzigen Teils geschafft ist. :D Und irgendwie ist das auch albern, weil ich gerade mitten in einem Motivations-Loch stecke. :rolleyes


    Zu Christina fällt mir jetzt irgendwie gerade nur ein: "Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter." *g*


    Also nochmal dankeschööön!



    Übrigens sind nach diesem Kapitel nur noch zwei weitere Kapitel vorbereitet. Und wie gesagt, ich stecke zur Zeit irgendwie in einem Motivationstief und hänge schon eine ganze Weile an einer Stelle und komm da irgendwie einfach nicht weiter. Hmpf



    Die Fahrt in die lange Nacht


    Bevor ihr Training weiterging, gönnte Mio Christina noch einige Tage, in denen sie sich wenigstens einigermaßen von dem Schock und dem Schmerz erholen konnte.
    Inzwischen schien sie sogar wieder einen mehr oder weniger regelmäßigen Schlaf- und Wachrythmus zu finden, wobei auch dieser nicht wirklich normal schien. Inzwischen fühlte sie sich tagsüber matt und kraftlos, beinahe wie erschlagen, während sie fast wahnsinnig wurde, sobald die Sonne untergegangen war und sie nichts mit sich und ihrer Zeit anzufangen wusste. Unruhig wanderte sie erst in ihrem Zimmer von einer Ecke zur nächsten, fand schon nach kurzer Zeit einen Pfad durch das Zimmer, dem sie folgte. Doch, als auch das nicht mehr reichte, begann sie ziellos durch das große Hause zu streifen. Sie wanderte durch die Flure, traute sich jedoch nicht, Zimmer zu betreten, zu denen ihr der Zutritt nicht ausdrücklich gewährt wurde. So kam es dass sie immer wieder eine Runde durch die Eingangshalle drehte, um die lange Tafel im Festsaal lief und dabei die Bilder betrachtete, die Treppen heraufstieg und durch die Flure im Obergeschoss schlich. Immer wieder kam sie an der Tür von Mios Büro vorbei, klopfte jedoch nicht und immer häufiger lungerte sie bei Marali in der Küche herum. Sie hoffte, ihr bei irgendetwas helfen zu dürfen, doch die Köchin nutzte diese Gelegenheiten lediglich, um Christina immer wieder etwas zu Essen aufzudrängen. Darum hängte Christina sich lieber an Anais Fersen und das Mädchen schien sich über die Gesellschaft immer zu freuen, wenn sie auch immer noch sehr zurückhaltend und schüchtern war.


    Als Mio ihr mitteilte, dass sie sich nach Einbruch der Dunkelheit wieder in der Trainingshalle treffen würden, war Christina beinahe erleichtert. Sie mochte das Training zwar noch immer nicht, aber nichts war schlimmer, als sie drückende Langeweile, mit der sie kämpfte, wenn sie nicht gerade schlief.
    Plötzlich ging im Training alles ganz schnell. Seit Mio wusste, dass Christina die Muster in den Fenstern der Kapelle gesehen hatte, ließ er nicht mehr locker, bis sie auch bewusst Kraftfelder wahrnehmen konnte. Anfangs hatte sie Probleme, dann etwas zu sehen, wenn es von ihr verlangt wurde, doch sie gab nicht auf. Nach einigen Nächten, in denen sie nach dem Training mit Kopfschmerzen vor lauter verkrampfter Konzentration ins Bett gefallen war, fiel es ihr immer leichter. Erst klappte es nur bei leblosen Gegenständen und auch nicht wirklich zuverlässig. Doch dann konnte sie auch um Mio herum einen leichten Schimmer sehen, was jedoch sehr viel mehr Anstrengung und Konzentration kostete.
    Sobald sie diese Art des Sehens sicher beherrschte zog Mio auch im Verteidigungs- und Kampftraining das Tempo rasant an. Schnell konnte Christina die meisten seiner Angriffe routiniert abwehren, obwohl sie immer mal wieder einen heftigen Schlag einstecken musste. Wenn sie selbst Angreifen sollte, sah das ganze schon anders aus. Sie war viel zu zaghaft, traute sich nicht richtig, die Handgriffe und Schläge auszuführen, die Mio ihr gewissenhaft beibrachte. Sie schien keine wirkliche Chance gegen ihn zu haben und landete immer wieder mit dem Rücken auf den Matten, wenn er mit Leichtigkeit einen ihrer Angriffe abwehrte. Doch diese häufigen Rückschläge und Niederlagen stachelten nach einigen Tagen Christinas Ehrgeiz an und sie war engagierter bei der Sache als zuvor.


    Wenige Wochen später schaffte Christina es das erste Mal, Mio auf die Matten zu befördern. Er war blitzschnell an sie herangetreten, hatte mit einem Fuß versucht ihr rechtes Bein, auf dem sie fast ihr komplettes Gewicht gestützt hatte, wegzuziehen und gleichzeitig griff er nach ihren Schultern, um ihr Kreuz durchzudrücken und sie so auf den Rücken zu werfen. Doch Christina sah genau, was er vor hatte, obwohl sie, wie immer, wenn sie kämpften, die Augen fast ausschließlich geschlossen hatte, um sich voll und ganz auf seine Aura konzentrieren zu können. Es fiel ihr schwer, das reale Bild und das Abbild der Aura wahrzunehmen, wenn sie die Augen geöffnet hatte. Doch so erkannte sie die Veränderungen in seinem Kraftfeld und zog ihr Bein weg, eine Sekunde bevor er sein eigenes vorschieben konnte. Sie bückte sich unter Mios Griff hindurch, rammte ihm ihre Schulter in den Magen und griff nach seinen Knien. Dann machte sie einen Schritt vorwärts, so dass er halb über ihrem Rücken hing und richtete sich dann auf, wobei sie ihm die Beine wegzog und ihn so nach hinten über ihren Rücken schmiss. Schnell drehte sie sich um und konnte beobachten, wie er sich geschickt abrollte und im nächsten Moment bereits wieder vor ihr stand.
    Christina war von Schweiß überströmt, einige Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und klebten in ihrem Gesicht. Sie beugte sich vor und stützte sich auf ihre eigenen Knie, versuchte wieder zu Atem zu kommen. Herrgott, war der Typ schwer.
    Plötzlich ertönte Applaus und die Beiden drehten sich überrascht zur Tür der Halle. Cosmin stand dort und warf Christina einen anerkennenden Blick zu. Dann ließ er die Hände sinken und ging zu seinem Herrn.
    „Herr, ich habe die Information, um die er mich gebeten hattet.“ Sagte er mit einer tiefen Verbeugung und reichte Mio einen Umschlag.
    „Danke, Cosmin.“ Sagte dieser etwas abwesend und las das Schriftstück bereits.
    „Ihr kommt offenbar sehr gut voran.“ Sagte Cosmin jetzt und lächelte Christina breit an.
    Christina grinste zufrieden über ihren ersten Sieg zurück und sah dann neugierig zu Mio. Dieser hatte die Stirn in Falten gelegt und war offenbar wenig begeistert, von dem was er las.
    Nach einigen Sekunden blickte er endlich wieder von dem Papier auf. Er sah Cosmin zweifelnd an und dann huschte sein Blick mit einem unlesbaren Ausdruck zu Christina.
    „Ihr könntet sie mitnehmen, Herr.“ Schlug Cosmin vor und ein amüsiertes Funkeln trat in seine Augen.
    Christina glaubte für den Bruchteil einer Sekunde Entsetzen in Mios Augen zu sehen, doch es war schnell wieder verschwunden. „Es wäre zu gefährlich. Ich gehe allein.“
    „Mich wohin mitnehmen?“ Fragte Christina.
    „Im Falle eines Falles wäre es sicher ein lehrreiches Training und es ist nicht gerade bekannt, dass es dort zu besonders vielen Zwischenfällen kommt.“ Erwiderte Cosmin und Christina glaubte, der alte Mann würde sich von Sekunde zu Sekunde mehr amüsieren. „Es würde ihr sicher Freude bereiten und ihr bestimmt auch gut tun, mal wieder unter Leute zu kommen.“
    „Dort? Wo?“ Fragte Christina erneut dazwischen, da ihre erste Frage offenbar überhört worden war. „Unter Leute kommen?“
    Doch die beiden Männer schienen gerade ganz vergessen zu haben, dass sie auch anwesend war. „Das sind aber keine gewöhnlichen Leute, wie sie es gewohnt wäre.“ Erwiderte Mio.
    „Was ebenfalls von Vorteil ist. Sie könnte vertrauter werden, mit den Geschöpfen der Nacht.“ Cosmin schien gerade nicht viel Wert auf den Willen seines Herrn zu legen.
    Christina sah den Grauhaarigen, erstaunt über sein Benehmen, an und sie war noch erstaunter, dass Mio sich offenbar auch noch bequatschen ließ.
    Denn nun blickte er sie erneut an und musterte sie ausgiebig. „Sie hat bestimmt nichts Passendes anzuziehen. Ist das nicht bei Frauen immer so?“ Brachte er hervor, doch dieses Argument kam nicht wirklich überzeugend über seine Lippen. Ganz offensichtlich griff er gerade nach dem letzten rettenden Strohhalm.
    „Um die Bekleidung würde ich mich selbstverständlich kümmern. Zwei Tage sind mehr als genug, um etwas Angemessenes zu finden.“ Argumentierte Cosmin erneut dagegen und machte damit den letzten albernen Versuch seines Herrn, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, zunichte.
    „Sagt mir jetzt vielleicht endlich jemand, worum es geht?“ Fuhr Christina nun ungeduldig dazwischen.
    „Nichts!“ Schoss Mio.
    „Ein Ball.“ Erklärte Cosmin und fing sich einen bitterbösen Blick seines Herrn ein, den er mit seinem üblichen Lächeln erwiderte.
    „Ein … Ball?“ Die Blondine war verblüfft.
    „Der Ball wird jedes Jahr in der längsten Nacht des Jahres von Sir Hunbaur und seiner Gattin in seinem Herrenhaus nördlich von London veranstaltet.“ Cosmin ignorierte erneut den mörderischen Blick seines Herrn.
    „Du gehst zu einem Ball?“ Christina wandte sich jetzt erstaunt an den Dunkelhaarigen und hatte Schwierigkeiten, sich Mio in einem schicken Anzug und tanzend vorzustellen.
    „Für gewöhnlich nicht.“ Knurrte er gereizt. „Jedoch wird jemand dort seit, der uns behilflich sein kann, auf deine Freunde aufzupassen. Ich versuche schon seit ein paar Wochen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Es wundert mich allerdings nicht, dass er sich bis jetzt sträubt, darauf zu reagieren.“
    „Also werden wir zu diesem Ball fahren, um ihn persönlich zu treffen?“
    Ich werde hinfahren, um ihn zu treffen.“ Korrigierte Mio.
    Christina war etwas enttäuscht. Sie war zwar eigentlich kein Fan von vornehmen Tanzveranstaltungen, doch hatte Cosmin Recht und es würde ihr tatsächlich gefallen, auch mal wieder etwas anderes zu sehen, als dieses Haus. Doch sie würde bestimmt nicht betteln, mitgenommen zu werden, wie ein kleines Kind.
    „Welche Farbe bevorzugen Sie, Christina?“ Fragte Cosmin und als Christina ihn nur ratlos und verwirrt ansah, sagte er. „Ich werde schon etwas Passendes finden. Machen sie sich keine Sorgen.“
    „Was zum-?!“ Fuhr Mio auf, doch Cosmin war bereits aus der Trainingshalle geeilt, bevor sein Herr ein weiteres Wort sagen konnte.


    Mio stand in der Eingangshalle und zog das Patronenlager einer seiner Pistolen zurück. Zufrieden, dass ausreichend Munition geladen war, ließ er den Mechanismus wieder einrasten und schob die Waffe dann unter seinem linken Arm in das lederne Pistolenhalfter. Gerade kontrollierte er auch den Dolch, der hinten in seinem Gürtel seinen Platz hatte und tastete dann nach dem Springmesser in der Tasche seines schwarzen Wollmantels, als Marali und Cosmin die Eingangshalle betraten.
    Marali kam direkt auf ihn zu und begann, an seinem Smoking, den er unter dem Wollmantel trug, herumzuzupfen. Sie zog die dunkelrote Weste zurrecht, schob den Krawattenknoten an seiner Kehle in die Mitte und zupfte die schwarze Smokingjacke über seinen Schultern in Form. Mios Nerven waren sowieso gespannt, denn er hasste so einen schnöseligen Aufzug, er hasste verkrampfte Abendgesellschaften und er hasste es, wenn jemand an ihm herumfuschte. Doch er wusste, dass die resolute kleine Frau sich sowieso nicht davon abhalten ließe, also verschwendete er keine Energie für einen entsprechenden Versuch.
    Nachdem Marali mit seiner Kleidung zufrieden war, sah sie erst auf die schweren breiten Stiefel, die er an den Füßen trug, und blickte ihn dann missbilligend an. Er zog nur eine Augenbraue ein Stückchen hoch und wartete auf ihre Zurechtweisung, doch sie schwieg. Er würde sich garantiert keine albernen Lackschühchen oder Slipper anziehen und offenbar wusste Marali das.
    Ihr Blick wurde nun ernst. „Christina scheint etwas nervös zu sein. Ich glaube, sie ist noch nie auf einem Ball oder einer vergleichbaren Veranstaltung gewesen. Sag irgendetwas Nettes zu ihr. Sie würde sich bestimmt besser fühlen.“
    Jetzt schossen Mios Augenbrauen erneut in die Höhe. Irgendetwas Nettes? Was sagte man zu einer Frau, wenn man etwas Nettes sagen wollte? Er raufte sich mit einer Hand genervt die Haare, was nur bewirkte, dass Marali sich auf Zehenspitzen stellte und sich reckte, um die leicht gegelten Stoppeln wieder zu ordnen. Jetzt zuckte er tatsächlich gereizt mit dem Kopf weg und die kräftige Frau gab sich mit einem Schnauben zufrieden.
    Er war 734 Jahre alt, verdammt noch mal! Er brauchte niemanden, der an seinen Haaren herumwühlte und seine Klamotten kontrollierte.
    Ja verdammt, er war 734 Jahre alt und hatte gerade keine Ahnung, was er einer Frau sagen sollte, damit sie sich besser fühlte. Sein letztes Kompliment an eine Frau war so lange her, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Aber das konnte ja wohl nicht so schwer sein, schließlich hatte er genug Frauen gehabt. Allerdings war das schon einige Jahrzehnte Vergangenheit und er hatte sich damals keinen großen Kopf darum gemacht, was er zu sagen hatte. Schließlich waren es bisher nur einige Affären gewesen, die sich ausschließlich auf das Wesentliche konzentriert hatten.
    Es war auch total unwichtig, wie sie aussahen oder wie sie sich dabei fühlten. Es war ja nicht so, als hätten sie eine Verabredung oder sogar ein Date. Diese verdammte Aufmachung war reine Tarnung, damit sie sich unauffällig zwischen den ganzen Schnöseln und den dazugehörigen Schnepfen bewegen konnten. Sie würden das erledigen, was zu erledigen war und dort wieder verschwinden.


    Dann wurde Mio von einer Bewegung am obersten Treppenabsatz abgelenkt und er erblickte Christina, die mit Anais Hilfe die Stufen hinab schritt. Ihre Hand glitt leicht über das Treppengeländer und sie bewältigte jede einzelne Stufe mit einem vorsichtigen Schritt, während Anais seitlich hinter ihr herging und dafür sorgte, dass das Kleid sich nirgends verfing.
    Mios Blick glitt über den seidigen Stoff des Kleides, welches reinzufällig dieselbe dunkelrote Farbe hatte, wie seine Krawatte und seine Weste, was typisch für Cosmin war.
    Christinas blonden Haare waren in einem eleganten Gesteck an ihrem Hinterkopf befestigt, so dass ihr zierlicher Hals frei lag und nur einzelne kleine Strähnchen um ihren Nacken spielten. Der elegante Schwung von ihrer Schulter zum Hals wurde durch ein fingerbreites blutrotes Satinband mit winzigen schwarzen Verzierungen betont, welches eng an ihrer Haut lag. Ihre Schultern waren frei, denn das Kleid begann erst gewagt tief kurz über ihrer Brust und wurde scheinbar nur von der schwarzen Korsagenähnlichen Verschnürung um ihre Taille an Ort und Stelle gehalten. Der dunkle Stoff lief von ihrer Hüfte abwärts in weiten Bahnen aus und der untere Saum berührte minimal den Boden, als sie jetzt langsam durch die Halle auf ihn zukam.
    Mios Blick heftete sich auf das Satinband an ihrem Hals, er biss die Zähne aufeinander und seine Miene verfinsterte sich. Wer zum Teufel war auf diese bescheuerte Idee gekommen?


    Christinas leichtes Lächeln gefror, als sie vor dem Dunkelhaarigen, der sie mit zornigen Augen anstarrte, stehen blieb. Unsicher strich sie mit den Händen über das Kleid und blickte an sich herab. Stimmte etwas nicht mit ihr?
    Sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken und so blickte sie ihn wieder an. Ihre Augen glitten über seine Schultern, die plötzlich wahnsinnig breit und kraftvoll wirkten. Sie beobachtete, wie seine Hände sich kurz zu Fäusten ballten und dann wieder lockerten. Ihr Blick schnellte zurück in sein Gesicht.
    Offenbar bemerkten auch die anderen seinen Gesichtsausdruck, denn sie konnte sehen, dass Marali ihm einen unsanften Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite verpasste.
    Mio hörte auf, Christina anzustarren und räusperte sich. Sah sie da tatsächlich Unsicherheit in seinen Augen?
    „Du äh…“ Er räusperte sich noch einmal und seine Augen huschten kurz zu Marali, bevor er sie wieder ansah, diesmal etwas freundlicher. „Du bist für den Anlass wirklich passend gekleidet.“ Sagte er.
    Wie bitte? Christina konnte sehen, wie Cosmin die Augen hinter dem Rücken seines Herrn verdrehte. Marali starrte Mio einen Moment ungläubig an und Anais begann, an Christinas Seite leise zu Kichern, was sie aber schnell hinter einem dezenten Hüsteln tarnte.
    Christina schluckte, atmete tief durch und schluckte noch einmal. „Danke.“ Murmelte sie und ihre Stimme zitterte. Dann konnte sie sich einfach nicht mehr beherrschen und brach in helles Lachen aus.
    Anais bekam einen regelrechten „Hustenanfall“ und Marali war die ungläubige Miene offenbar im Gesicht festgefroren, während Cosmin nun einfach nur noch den Kopf schüttelte.
    Mio sah einen nach dem anderen finster an und brachte sie so alle zum Schweigen, auch wenn Christina noch immer breit grinsen musste.
    Marali reichte ihr eine kleine Handtasche, die die Farbe ihres Kleides hatte. Sie wunderte sich einen Moment, denn die Tasche war federleicht und offenbar leer.
    „Gib mir deine Hand.“ Sagte Mio nun und Christina blickte ihn überrascht an.
    Sie lächelte leicht und reichte ihm ihre rechte Hand. Ein kleiner Teil in ihr erwartete, dass er sie galant an seinem Arm zum Auto führen würde. Doch Mio legte ihr das erstaunlich schwere Gewicht einer kleinen Pistole in die Handfläche und schloss dann ihre Finger um den Griff.
    „Halt! Ich will keine…“ Wandte sie ein.
    Doch Mio ignorierte sie. Er positionierte ihre Finger an der richtigen Stellen. „Hier ist die Sicherung.“ Erklärte er. „So öffnest du sie. Siehst du? Schau hin!“
    Christina drehte den Kopf in die andere Richtung aus Angst, die Waffe könnte plötzlich losgehen, und wollte ihre Hand wegziehen, doch er hielt ihre Finger fest mit seinen Umschlossen und zeigte ihr stattdessen mehrmals, wie sie die Waffe sicherte und Sicherung auch wieder löste.
    „Ich will die nicht haben!“ Äußerte Christina erneut, diesmal mit festerer Stimme.
    „Ziel am besten auf die Brust, die ist nicht so leicht zu verfehlen. Und lass unbedingt die Augen offen, wenn du abdrückst!“ Mio ließ ihre Hand los und Christinas ganzer Arm sackte ein gutes Stück nach unten.
    Geschockt blickte sie auf das schwarze matte Metall in ihrer Hand und am liebsten hätte sie das Teil einfach fallen gelassen. Doch sie hatte Angst, dass die Pistole losgehen würde, wenn sie auf den Boden schlug.
    „Ich werde nicht schießen!“
    „Musst du vermutlich auch nicht. Aber ich lasse dich nicht komplett schutzlos zwischen so vielen Leuten herumlaufen.“ Beharrte Mio. „Steck sie in die Tasche. So, dass du sie direkt richtig greifen kannst, also mit dem Griff nach oben.“
    Christina tat widerwillig, was ihr gesagt wurde.
    Cosmin half Christina in eine zum Kleid passende kleine Jacke und öffnete dann die Tür, um sie und Mio herauszulassen.
    Am Fuße der Treppe vor der Eingangstür wartete eine schwarze Mercedes S-Klasse Limousine auf sie, die bei weitem nicht so auffällig war, wie der auf Londons Straßen eher seltene Aston Martin.


    Die Fahrt nach London verlief schweigend, denn Christina wurde das Gefühl nicht los, dass Mios Laune sich bei jedem Seitenblick, den er ihr von Zeit zu Zeit kurz zuwarf, immer weiter verschlechterte und so beschloss sie lieber den Mund zu halten. Sie hielt ihre Handtasche wie ein empfindliches rohes Ei vorsichtig auf ihrem Schoß fest, schaute aus der Frontscheibe in die dunkle Nacht und versuchte, ihre wie zum Schutz hochgezogenen Schultern zu lockern und ihre angespannte Atmung zu normalisieren. Als wäre es nicht schlimm genug, dass sie nicht wusste, was für Gefahren gerade von außen auf sie lauerten oder was im Laufe des Abends auf sie zukommen würde, befand sich eine geladene Waffe auch noch in ihren eigenen Händen. Die Fahrt entspannt zu genießen, war so gut wie unmöglich.
    Offenbar hatte sie den Angriff in Mios Haus noch nicht sehr gut verarbeitet, denn es war ihr mehr als deutlich bewusst, dass eine große Gruppe untoter Mörder es auf sie abgesehen hatte und sie rechnete hinter jeder Kurve mit dem Schlimmsten.


    Als Mio den Wagen durch die ersten besser beleuchteten Straßen Londons lenke, war Christina erleichtert, dass sie zumindest nicht mehr von undurchdringlicher Finsternis umgeben waren.
    Doch plötzlich schoss eiskalte Panik durch ihre Adern, als Mio einen saftigen Fluch ausstieß und gleichzeitig das Gaspedal durchtrat, so dass Christina durch die Beschleunigung in ihren Sitz gedrückt wurde. Sie verrenkte sich beinahe den Hals, als sie einen geschockten Blick über ihre verkrampfte Schulter nach hinten warf und dort zu ihrem Entsetzen gleich zwei scheinbar riesige Geländewagen entdeckte, die förmlich am Heck des Mercedes klebten. In einer albernen Schockreaktion drehte sie sich blitzschnell auf ihrem Sitz wieder nach vorn und kniff die Augen zu, so als könnte sie ihre Verfolger dadurch tatsächlich einfach verschwinden lassen.
    Doch schon im nächsten Moment riss sie die Augen wieder auf, als sie aufgrund eines waghalsigen Wendemanövers, welches Mio inmitten des regen Samstagnachtverkehrs durchführte, gegen die Seitentür geworfen wurde. Ihre Handtasche rutschte von ihrem Schoß und landete irgendwo zwischen ihren Füßen, aber so hatte sie wenigstens beide Hände frei um sich am Armaturenbrett festzukrallen.
    Der Dunkelhaarige murmelte weiterhin Flüche und Ausdrücke, die sie nicht verstand und lenkte dabei den Wagen rasant aber geschickt durch die Automassen. Immer wieder warf er kurze Blicke in den Rückspiegel, änderte die Richtung und raste durch Lücken, die viel zu klein wirkten.
    Dann überfuhr er eine belebte Kreuzung, auf der mehrere Hauptverkehrsstraßen aufeinander trafen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern und Christina schluckte krampfhaft einen angstvollen Schrei herunter, denn von allen Seiten schienen andere Autos auf sie zuzukommen.
    Hinter sich hörte Christina ein ohrenbetäubendes Krachen und wütendes Hupen und wagte einen vorsichtigen Blick durch die Heckscheibe. Einer ihrer Verfolger war in einen Kleintransporter gekracht und die beiden Fahrzeuge waren auf groteske Art und Weise ineinander verkeilt, jedoch war der andere ihnen noch immer für ihren Geschmack viel zu dicht auf den Fersen.
    Plötzlich riss Mio das Steuer nach links, preschte über den Bürgersteig, wich panischen Fußgängern aus und schlitterte in einer engen Kurve in eine schmale Seitenstraße.
    Christinas Augen begannen zu schmerzen, denn schon mehrere Minuten lang hatte sie nicht mehr geblinzelt, aber sie konnte die Augen einfach nicht schließen und beobachtete aufgeregt schnaubend, wie massive Backsteinwände fast spürbar nahe an ihnen vorbeisausten. Dann erkannte sie, dass die schmale Gasse, in der sie sich befanden, bald enden würde und Mio mit Vollgas auf ein schäbiges Gebäude zuraste.
    „Stop! Bremsen!“ Sie riss ihren Blick von der Frontscheibe los und starrte Mio panisch an. Dann fiel ihr die Kinnlade noch ein gutes Stückchen weiter herunter. Lächelte er etwa?
    Endlich fand sein Fuß die Bremse und betätigte diese heftig. Christina wurde nach vorn geschmissen, bis der Gurt schmerzhaft in ihre Schulter schnitt und rutschte anschließend auf dem glatten Ledersitz herum, als der Wagen erneut herumgeschleudert wurde und jetzt einer nach rechts abzweigenden Seitenstraße folgte, die sie beim besten Willen vorher nicht hatte sehen können.
    Wenige hundert Meter weiter schoss die schwarze Limousine zurück auf eine belebte Hauptstraße und Mio ignorierte die quietschenden Reifen und das Hupkonzert der anderen Autofahrer. Schnell hatten sie weitere Kreuzungen überquert und rote Ampeln überfahren.
    Seit sie in die Seitengasse gefahren waren, hatte Christina den verbleibenden Geländewagen ihrer Verfolger nicht mehr gesehen und auch jetzt schien er nicht mehr hinter ihnen zu sein.
    Unvermittelt trat Mio erneut auf die Bremse und rutschte in eine Parklücke direkt am Straßenrand, mit einem schnellen Handgriff hatte er den Motor und gleichzeitig das Licht des Wagens ausgeschaltet und riss die Fahrertür auf.
    „Was tust du denn!?“ Wollte Christina wissen, doch statt einer Antwort bekam sie nur die Tür vor der Nase zugeknallt.
    Sie öffnete mit zitternden Fingern den Verschluss des Sicherheitsgurtes und wollte ebenfalls aussteigen. Aber Mio war in den wenigen Sekunden bereits komplett um das Auto herumgelaufen und drückte ihre Tür wieder zu, als sie sie gerade erst einen Spalt breit geöffnet hatte. Also blieb sie vor Panik keuchend auf ihrem Sitz und beobachtete, wie Mio sich vor den rechten Hinterreifen hockte. Sie klebte förmlich mit dem Gesicht am Fenster, um sehen zu können, dass er suchend mit einer Hand im Radinnenlauf herumtastete. Schon hatte er offenbar gefunden, wonach er gesucht hatte und stand mit einem winzigen Etwas in der Hand wieder auf. Bevor Christina auch nur begriff, was los war, warf der Dunklehaarige das kleine Ding auf die offene Ladefläche eines vorbeifahrenden Kleinlastwagens und saß auch schon wieder auf dem Fahrsitz. Die Tür fiel mit einem leisen Klicken wieder ins Schloss und in genau diesem Moment raste der dunkelblaue Geländewagen, der sie verfolgt hatte, an ihnen vorbei.
    Christina setzte erneut zum Sprechen an, doch Mio brachte sie durch das Heben seiner Hand erneut zum Schweigen. „Einen Moment noch.“ Murmelte er scheinbar völlig ruhig.
    Dann rasten zwei weitere Geländewagen der gleichen Bauart an ihnen vorbei und Christina konnte endlich wieder, wenn auch überrascht, blinzeln.


    Mio drehte sich zu Christina, deren Herzschlag und keuchende Atmung in seinen Ohren dröhnten. Als er sie jetzt ansah, erblickte er ein kreidebleiches Gesicht, wild blinzelnde Augen und zitternde Finger, die sich in das Leder des Sitzes krallten.
    „Alles klar bei dir?“ Fragte er, denn er konnte hören, dass ihre Pulsfrequenz plötzlich schlagartig abfiel und er befürchtete schon, dass sie ohnmächtig werden würde.
    Doch zu seiner Überraschung fing sie plötzlich an zu lachen. Erst nur leise und dann immer lauter werdend, bis sie hysterisch gackernd neben ihm saß und sich gleichzeitig Tränen aus den Augen wischte.
    Ihr Verhalten war für Mio Antwort genug auf seine Frage, also fuhr er zurück auf die Straße und lenkte den Wagen zügig durch den Verkehr. Sie mussten das Anwesen der Hunbauers erreichen, bevor De’Fellinis Leute merkten, dass sie ihre Spur verloren hatten.
    Nach ein paar Minuten hatte Christina ihren Anfall überwunden. „Wie konnte die uns finden? Ich dachte, uns kann niemand sehen?“
    „Sie haben ein GPS-System am Wagen angebracht und konnten so unsere genaue Route verfolgen. Vermutlich klebt das Teil schon seit dem Besuch in der Tiefgarage dort. Das würde auch erklären, wie sie uns in Crawley finden konnten. Würde mich nicht wundern, wenn dein Freund ein weiteres am Aston Martin angebracht hat, als er…“ Mio brach den Satz ab und warf Christina einen kurzen Seitenblick zu.
    Doch diese blickte mit unlesbarer Miene auf die Straße und ließ sich nicht anmerken, ob die Erinnerung an den Vorfall sie getroffen hatte.
    Es wurde höchste Zeit, dass sie jemanden auf der anderen Seite positionierten, um so zu wissen, was De’Fellini vorhatte. Aber genau das war schließlich der Grund, weshalb er sich diesen albernen Ausflug auf diesen noch viel alberneren Ball antat.
    Der Rückweg könnte noch ein Problem werden, aber damit würde er sich später befassen. Erst einmal mussten sie schließlich dort ankommen.



    So, das war es erstmal wieder.
    Hoffe, wie immer, dass es gefallen hat.
    Schönen Abend noch
    DieMarry

    Der Tag danach



    Sie versuchte auch weiterhin, sich zusammenzureißen. Mit zitternden Händen stellte sie die Schüssel auf den Tisch und ging dann zurück zur Couch, um auch das restliche Verbandszeug zusammenzuräumen.
    Doch schon, als sie die wenigen Schritte durch den Raum machte, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Krampfhaft schluckte sie, unterdrückte ein Schluchzen und sammelte die Mullpads und den zweiten Verband ein. Dann fiel ihr Blick auf einen dunklen Blutfleck auf der Rückenlehne der Couch, der zweifellos von Mio stammte und ihre Knie wurden weich.
    Langsam sank sie auf den Boden, stützte sich mit beiden Händen an der Sitzfläche der Couch ab und ein markerschütterndes Schluchzen brach tief aus ihrer Brust. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen und schon wenige Sekunden später wurde sie von einem heftigen Weinkrampf regelrecht geschüttelt.
    Das Bild von Marc, wie er tot an der Wand herunterrutschte, nachdem Mio seinen Kopf in einen grotesken Winkel nach hinten gedreht hatte, flammte vor ihren Augen auf. Sein Gesicht war aufgedunsen gewesen, seine Haut wächsern und seine Lippen hatten einen merkwürdigen orangefarbenen Ton gehabt. Die Haut an seinen Händen und seinem Hals hatte wie Papier gewirkt, durchscheinend und knittrig. Und dieser Geruch, den sie eingeatmet hatte, als er sie an sich gedrückt hatte.
    Christina wurde übel und sie sprang auf ihre unsicheren Beine, um ins angrenzende Badezimmer zu eilen. Doch mehr, als ein trockenes Würgen brachte sie nicht zustande, als sie auf den kalten Fliesen kniete.
    Marc hatte nicht verdient, so zu sterben. Er hatte überhaupt nicht verdient, irgendwie zu sterben. Er war kaum älter, als sie selbst gewesen. Er hatte noch so viel in seinem Leben vorgehabt, wollte irgendwann den einen richtigen Mann treffen, mit dem er glücklich werden wollte.
    Er hatte ihr einmal erzählt, dass er davon träumte, aus London wegzugehen. Er wollte seinen Seelenpartner finden und sich mit ihm ein kleines gemütliches Nest in einer kleinen Stadt, in der die Nachbarn sich morgens auf dem Weg zum Bäcker trafen und nach getaner Arbeit einen schönen Feierabend wünschten, suchen.
    Christina konnte sich noch gut daran erinnern, wie ungläubig sie ihn angestarrt hatte, nachdem er ihr das erzählt hatte. Denn sie hatte von ihm erwartet, dass er sich einen reichen Modeltypen suchen würde, mit dem er ein wildes Leben in ständig wechselnden Städten führten konnte.


    Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihm so viele Dinge nicht gesagt zu haben, obwohl sie oft stundenlang einfach zusammen gesessen und ohne Punkt und Komma gequatscht hatten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, so vieles über ihn nicht zu wissen, obwohl er ihr oft mehr über sich und vor allem sein Privatleben erzählt hatte, als sie hatte hören wollen. Und sie hatte das Gefühl, so viel mehr für ihn getan haben zu müssen, obwohl sie sich gegenseitig bei jeder Gelegenheit unterstützt und geholfen hatten.
    Durch Christina Brust schoss ein reißender Schmerz, als ihr bewusst wurde, dass sie schuld war, dass er viel zu früh und auf so eine schreckliche Art und Weise aus dem Leben gerissen worden war. Sie war Schuld daran, dass De’Fellinis Leute unvorstellbar grausige Dinge mit ihm gemacht hatten und ihn selbst nach seinem Tod noch nicht in Ruhe gelassen hatten. Sie war schuld daran, dass er misshandelt und gequält worden war und dass sein Körper bis über den Tod hinaus missbraucht worden war. Sie war schuld daran, dass er nicht in einem hohen Alter, nach einem erfüllten Leben, in dem er sich all seine Träume erfüllt hatte, friedlich eingeschlafen war.
    Christina Brust schmerze vom Weinen, ihre Arme und Beine verkrampften sich, weil sie das Porzellan, vor dem sie hockte, so fest umklammerte, ihre Augen brannten, ihr Kopf schwirrte und sie fror. Ihre Zähne begannen zu klappern und in ihren Gliedmaßen brach ein unbändiges Zittern aus.
    Schwerfällig und ohne es bewusst zu merken, erhob sie sich, schleppte sich zurück in ihr Schlafzimmer und kroch unter die Bettdecke, die noch immer genauso dalag, wie Christina sie vorhin vor Freude und Begeisterung zur Seite geworfen hatte.
    Sie zog die Decke bis über ihr Kinn, vergrub das Gesicht in dem Stoff und rollte sie auf der Seite fest zusammen. Doch das Zittern wollte nicht aufhören und auch gegen die Schluchzer und die Tränen kam sie noch immer nicht an.


    Mio marschierte durch die Flure des Hauses und bei jedem Schritt flammte der Schmerz in seiner Brust von neuem auf. Mit finsterer Miene strebte er sein Schlafzimmer an, stieß die Tür heftiger auf als nötig und schmiss das unbrauchbare Hemd in die Ecke. Durst brannte in seiner Kehle, so stark, dass es ebenfalls schmerzte. Unruhig schritt er durch den Raum, raufte sich die Haare, spannte seine Arme an und schüttelte sie zum Lockern wieder aus. Er war auf hundertachtzig, mindestens.
    Kurz entschlossen griff er rabiat ein neues Hemd aus dem Schrank, zog es sich über die Schultern, wobei er den erneuten Schmerz ignorierte und knöpfte es zu, während er schon auf dem Weg in die Einganshalle war.
    Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch genug Zeit hatte, als er den Aston Martin erreichte. Es ging ihm zwar gewaltig gegen den Strich, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als nach London zu fahren, wenn er Christina nicht unnötig gefährden wollte.


    Kräftig schlug er die Fahrertür zu, nachdem er eingestiegen war und ließ den Motor des Wagens aggressiv aufheulen, als er das Gaspedal durchdrückte. Kies schleuderte durch die Luft, als er die erste Kurve der Auffahrt passierte. Dem Tor gab er nur soviel Zeit, dass es sich gerade weit genug öffnen konnte, dass er knapp mit dem Wagen durch den Spalt preschen konnte.
    Er war vorhin verdammt kurz davor gewesen, seine verfluchten Zähne in ihren Hals zu schlagen und sich an dem zu bedienen, was durch ihre aufgeregt pochenden Adern gerauscht war. Er konnte noch genau sehen, wie sie sich über ihn gebeugt hatte, ihren Kopf zur Seite gedreht, um seinen Rücken sehen zu können. Ihr typischer warmer Duft, vermischt mit aufregender Panik war ihm direkt in die Nase gestiegen, hatte seinen Verstand ausgeschaltet. Er hatte nur noch ihr Blut singen gehört, mit jedem Atemzug ihren Geruch tief in seine Lungen gesogen und das Wasser war ihm im Mund zusammengeflossen.
    Selbst, als er seinen schlimmsten Hunger nach ihr besiegt hatte, hatte der Anblick ihrer zarten Handgelenke, ihrer hellen Haare und der geschmeidigen Haut, ihn doch beinahe wieder die Kontrolle verlieren lassen. Sie war ihm so nahe gewesen, dass er jeden ihrer Atemzüge gefühlt hatte, jede Bewegung ihrer Muskeln genauestens beobachten konnte.
    Allein bei der Erinnerung daran, begann sein Zahnfleisch wieder zu kribbeln und er spürte, wie seine Eckzähne sich erneut verlängerten, bis er den Mund leicht öffnen musste, damit sie sich nicht in seinen Unterkiefer bohrten.
    Er hatte nicht widerstehen können, hatte sie unbedingt kosten wollen. Doch er wusste, dass es kein zurückhaltendes vorsichtiges Kosten gewesen wäre. Es wäre ein wahrer Raub an ihrem Körper geworden.
    Und bei Gott, wie sie geschmeckt hätte. Allein der Geschmack ihrer Haut, als seine Lippen darüber gefahren waren und seine Zunge sich selbstständig gemacht hatte. Und dann hatte sich die dumme Idee in seinen Kopf geschlichen, dass sie es auch wollen würde. Für eine Sekunde war er davon überzeugt gewesen.
    Er konnte sie noch immer schmecken und der dunkle Teil seines Ichs schrie danach, umzukehren und sich einfach zu nehmen, woran er dachte.
    Fest umfasste er das lederne Lenkrad und öffnete das Seitenfenster einen Spalt breit, in der Hoffnung ihren Duft loszuwerden. Sein Fuß trat fester aufs Gas, doch es war bereits bis zum Anschlag durchgetreten.


    Schon bald hatte er Crawley hinter sich gelassen und raste diesmal die direkte Autobahnverbindung nach London entlang. Es hatte keinen Zweck mehr, sich verstecken zu wollen, warum also sollte er seine Nerven unnötig auf den Seitenstraßen strapazieren.
    In Rekordzeit hatte er die erleuchteten Straßen Londons erreicht. Er machte sich auch hier keine Mühe, unauffällig sein Ziel anzusteuern. Er ließ den Wagen einfach mitten auf dem Gehweg stehen, rannte beinahe die stinkende Seitengasse zu der zwielichten Bar herunter, bevor er es sich doch noch anders überlegen und in dieser Verfassung zu Christina zurückkehren konnte.
    Er wusste bereits, dass dies nicht das war, was er wollte, bevor er die schmale verdreckte Tür geöffnet hatte. Und als er die Frau mit den ungepflegten dunklen Locken erblickte, hätte er beinahe tatsächlich kehrt gemacht. Doch stattdessen schloss er die Tür mit Nachdruck hinter sich.
    Sie erkannte schnell, wie es um seine Stimmung bestellt war und er hätte am liebsten gekotzt, als er sah, dass ihre Augen begeistert aufleuchteten und sie sich beeilte, sich ihm schnurrend an den Hals zu schmeißen.
    „Wer war so gemein zu dir?“ Gurrte sie und ihre Hand landete zielsicher auf seiner Verletzung.
    Mio packte ihren Arm und schob sie unsanft von sich, was er aber auch getan hätte, wenn sie nicht direkt auf die gerade erst heilende Wunde gedrückt hätte.
    Die Frau ließ sich dadurch aber nicht beirren, es schien viel mehr, als würde diese ruppige Behandlung sie noch weiter anstacheln. „Lass uns nach oben gehen. Du wirst sehen, deine Stimmung wird sich schnell bessern, wenn ich dir erstmal zeige, was ich alles kann.“
    Mio verdrängte seinen Ekel und schob sie unsanft die Treppe herauf. Oben angekommen, zeigte sie ihm, welches Zimmer frei war und ehe sie wusste, was geschah, hatte er sie in den Raum geschoben, packte ihr Haar und zog ihren Kopf zurück. Sie stöhnte erfreut auf, was dafür sorgte, dass Mios Magen sich beinahe umdrehte.
    Ihn widerten diese Frau und die ganze Nummer, zu der er gezwungen war, einfach nur an. Ein Schauer fuhr ihm vor Ekel den Rücken hinunter, als er vergaß, die Luft anzuhalten und ein Gestank, der den Leichengeruch von vorhin bei weitem übertraf, in seinem gesamten Rachen brannte.
    Mit Gewalt wurde Christinas Duft aus seiner Nase, aus seinen Lungen geätzt und er hasste es. In diesem Augenblick hasste er sich selbst für das, was er tat.
    Ohne sich auch nur noch eine Sekunde Zeit zum Denken zu geben, biss er in den gestreckten Hals der Dunkelhaarigen und der säuerliche Geschmack ihres Blutes, welches augenblicklich seinen gesamten Mund überschwemmte, ließ ihn würgen. Mit aller Macht zwang er sich dazu, gegen den Würgreiz zu kämpfen und die warme Flüssigkeit zu schlucken.
    Es war Dreck im Vergleich zu dem, wonach er sich eigentlich verzehrte, doch seinem Körper war es egal, aus welchem Blut er die nötigen Enzyme und Nährstoffe zur Heilung ziehen konnte.


    Die Sonne hatte den höchsten Punkt ihrer Laufbahn bereits überschritten, als ein sachtes Klopfen an Christinas Tür ertönte und Cosmin kurz darauf eintrat.
    Stundenlang hatte Christina mit ihrer unbändigen Trauer über den Verlust ihres Freundes dagelegen. Irgendwann waren ihre Tränen versiegt und Wut und Selbsthass hatten sich in ihr aufgebaut. Wut darüber, dass ihrem Freund so etwas angetan wurde und Selbsthass, weil sie es nicht zu verhindern gewusst hatte.
    Als Cosmin sich leise bei ihr für die Störung entschuldigte, wischte Christina sich über ihre Wangen, auf denen die Tränen salzige Spuren hinterlassen hatten.
    Cosmin drehte ihr den Rücken, gab ihr so einen Moment, sich einigermaßen zu fassen, während er das Verbandszeug und die Schüssel aufnahm. Doch dann legte er alles zurück auf den Schreibtisch, griff ihren Morgenmantel von der Stuhllehne und kam zu Christina ans Bett.
    Auffordern streckte er die Hand aus. „Komm.“ Sagte er leise, „Steh auf.“
    Christina tat einfach, was ihr gesagt wurde. Sie hatte keine Kraft überhaupt irgendeinen Gedanken zu fassen. Sie rutschte unter der Decke hervor und stand auf.
    Cosmin legte ihr den Mantel um die Schultern und rieb über ihre Arme, als er merkte, wie sehr sie noch immer zitterte. Dann legte der alte Mann eine seiner warmen, von der Arbeit schwieligen Hände an Christinas Wange und sah sie mit so wissenden und verständnisvollen Augen offen an, dass sich bereits ein neuer Kloß in ihrer Kehle bildete.
    „Ich möchte dir etwas zeigen, was dir vielleicht wenigstens ein bisschen helfen könnte.“ Sagte er leise.


    Christina sah ihn einfach weiterhin an und so führte Cosmin sie aus dem Zimmer. Mit einer Hand stützte er sie unter dem Ellenbogen und ging mit ihr durch die Flure, die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle. Sie durchquerten den Festsaal und er öffnete ihr eine hinter der Holzverkleidung der Wände verborgene Tür. Hier waren die Flure schmal und es gab keinerlei Verzierungen an den Wänden.
    Christina folgte einfach seiner Leitung, fragte nicht, wohin er sie brachte, denn es war unwichtig.
    Nach einigen Minuten öffnete Cosmin eine weitere Tür, die Christina allein nie gesehen hätte und führte sie in einen Raum, bei dessen Anblick sie jetzt doch überrascht den Kopf hob.


    Sie war nie besonders gläubig gewesen, hatte sich nie vorstellen können, dass es eine höhere Macht gab, die das Geschehen auf der Welt in irgendeiner Weise beeinflusste, oder den Menschen helfen konnte, mit ihrem Leben zurecht zu kommen und doch spendete der Anblick der kleinen Kapelle mit den Buntglasfenstern und dem schlichten Kreuz an der Forderseite ihr direkt ein nicht greifbares Gefühl von Trost und Geborgenheit. Sie hörte, dass Cosmin sie allein ließ und die Tür leise schloss, doch sie drehte sich nicht zu ihm um.
    Direkt neben der Tür blieb sie stehen, erfasste, wie das von den Fenstern farbige Licht Muster auf den Steinboden und die weiß verputzten Wände verteilte, folgte mit ihrem Blick dem schmalen Mittelgang zwischen den wenigen Holzbänken und betrachtete die dicken weißen Kerzen, die auf eisernen Ständern unter dem an der Wand hängendem Kreuz standen. Irgendetwas an dem Licht stimmte nicht, denn wenn sie sich nicht täuschte, sollte die Sonne sich zu dieser Tageszeit auf der anderen Seite des Gebäudes befinden. Und doch war das Licht sehr hell, es blendete nicht, aber die farbigen Lichtflecken verteilten sich deutlich im gesamten Raum, es wirkte fast magisch.


    Langsam ging Christina mit leisen Schritten den mittleren Gang entlang und sah sich weiterhin bedächtig um. Immer wieder kehrte ihr Blick zu den weißen Kerzen zurück und schließlich blieb sie vor ihnen stehen. Auf einer etwas versteckten kleinen Ablage an einem der Kerzenhalter entdeckte sie eine Streichholzschachtel und sie folgte ihrem Gefühl, griff ohne genauer darüber nachzudenken, denn dazu fühlte sie sich noch immer nicht in der Lage, nach der Schachtel und entzündete mit den Gedanken bei ihrem verlorenen Freund die mittlere Kerze.
    Sie beobachtete, wie die erst sehr kleine Flamme schnell an Größe gewann und leicht in einem unspürbaren Luftzug züngelte. Das tiefblaue Herz des Lichts weitete sich aus, bis nur noch eine kleine hellgoldene Spitze darauf thronte.
    Nicht sicher, was sie tun sollte, glitt ihr Blick erneut durch den Raum und über die wenigen Reihen der Bänke. Schließlich ging sie bis zur zweiten Reihe und ließ sich auf dem glatten Holz nieder.


    Lange saß sie dort, ließ das besondere Licht auf ihr Gesicht und ihre Hände fallen, atmete die trockene Luft, in der ein ebenfalls besonderer undefinierbarer Duft lag und dachte an Dinge, die sie mit Marc erlebt hatte oder über die sie miteinander gesprochen hatten. Sie weinte nicht, denn sie hatte das Gefühl, all ihre Tränen in den vergangenen Stunden vergossen zu haben und die beruhigende Atmosphäre machte es ihr leichter, mit dem Schmerz umzugehen, ohne zu leiden. Und obwohl kein einziger Laut an ihre Ohren drang und sie eindeutig allein in der kleinen Kapelle war, fühlte sie sich nicht alleingelassen, denn alles hier gab ihr das Gefühl, getröstet zu werden.


    Das Licht hatte sich bereits über goldene Töne zu einem diffusen Schimmern gewandelt und die Flamme der Kerze war inzwischen einige Zentimeter tief ins innere der des Wachszylinders gesunken, als Christina die Scharniere der Tür leise knarren hörte. Sie warf einen Blick über die Schulter und erkannte Mio, der im Schatten des hinteren Teils der Kapelle stehen blieb und sie überrascht ansah.
    „Ich wusste nicht, dass du hier bist.“ Sagte er und seine Stimme hallte von den Wänden wider, obwohl der Raum nicht sehr groß war.
    Christina blickte wieder zur Stirnseite der Kapelle, betrachtete erneut das schlichte Kreuz. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, oder, ob sie lieber gehen sollte.


    Sie hört, dass Mio sich ihr näherte, doch er blieb nicht bei ihr stehen, sondern ging weiter durch den Mittelgang zu den Kerzen. Erst dort stoppten seine Schritte, er senkte den Kopf und murmelte leise Worte, die Christina nicht verstehen konnte, bevor er ebenfalls einen der Dochte entzündete. Im Gegensatz zu der Blonden, verweilte der große Dunkelhaarige noch einige Zeit direkt unter dem Kreuz und hielt weiterhin den Kopf gesenkt. Christina fragte sich, ob er stumm betete.
    Erst jetzt, als sie ihn dort sah, das Symbol des christlichen Glaubens direkt über ihm, die gerade entzündete Kerze direkt neben ihm, wurde ihr bewusst, wie paradox dieses Bild war, wie unpassend diese kleine private Kapelle im Hause eines halben Vampirs schien. Ein weiteres Rätsel seines Wesens.


    Nach einer Weile drehte Mio sich wieder um und kam nun tatsächlich zu ihr. Erst blieb er zögernd im Mittelgang direkt neben der Bank, in der sie saß, stehen, bevor er sich neben sie setzte. Er wirkte viel zu groß, seine Beine viel zu lang für den kleinen Raum zwischen dieser Bank und der vorderen, doch es schien ihm keine großen Probleme zu bereiten, Platz zu nehmen.
    Christina blickte ihn kurz von der Seite an, verwundert von seinem Verhalten, doch sie wandte den Blick wieder ab, als sie merkte, dass seine grünen Augen direkt auf sie gerichtet waren, ihr direkt in die Seele zu blicken schienen, als sich ihre Blicke kurz begegneten.
    „Es tut mir wirklich sehr leid, was mit deinem Freund geschehen ist.“ Sprach er leise und Christina konnte fast die Vibrationen seines Baritons spüren.
    Nun schluckte sie. Ihr Verstand wusste, dass er keine Schuld an dem hatte, was vorgefallen war. Ihr Kopf hatte begriffen, dass nicht Mio ihren Freund umgebracht hatte. Doch ein Teil ihres Herzens gab ihm trotzdem die Schuld und warf ihm vor, Marc auf dem Gewissen zu haben. Ihr Herz begriff nicht, was ihr Verstand irgendwann in den letzten Stunden offenbar aufgenommen hatte.
    „Es gab wahrscheinlich keine andere Möglichkeit.“ Antwortete sie und sprach ebenfalls leise. Doch sogar sie selbst konnte den Zweifel an dieser Aussage in ihrer Stimme hören.
    „Die gab es tatsächlich nicht.“ Mio arrangierte seine Beine anders. Offenbar war die schmale Bank doch unbequem für ihn. Oder war er nervös? „Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, hätte ich sie gewählt. Aber er war bereits tot. Das meiste seines Ichs hatte seinen Körper bereits vor einigen Tagen verlassen und niemand hätte ihn zurückholen können.“
    Christina blieb stumm, hatte erneut mit den Tränen zu kämpfen.
    „Aber es tut mir sehr leid, dass du das mit ansehen musstest.“ Sprach Mio darum nach kurzem Schweigen weiter.
    Christina nickte, sah ihn jedoch auch weiterhin nicht an und starrte stattdessen auf ihre Knie. Schnell wischte sie sich eine Träne, die nun doch ihre Wange benetzte, aus dem Gesicht, dann räusperte sie sich mehrmals. „Was passiert nun mit ihm?“
    Sie wusste nicht genau, ob sie das wirklich wissen wollte. Sie hatte Angst davor, eine Antwort zu bekommen, die ihren Schockzustand nicht gerade bessern würde. Aber sie musste es trotzdem wissen.
    „Seine Familie wurde informiert.“ Antwortete Mio und nun schnellte Christinas Blick doch zu ihm.
    Man hatte seiner Familie erzählt, was mit Marc passiert war? Seine Familie wusste, dass er von einem kaltblütigen Vampir ermordet wurde und dass sein Körper selbst nach seinem Tod auf eine widerwärtige Art und Weise missbraucht wurde? Christinas Herz schrie auf vor Trauer und Mitleid für die Angehörigen. Wie sollten sie mit dem Wissen klarkommen?
    „Offiziell ist er vor einigen Tagen mit seinem Wagen von der Straße, die durch ein Waldstück führte, abgekommen und gegen einen Baum gerast. Er wurde erst jetzt zufällig von einem Spaziergänger an einer von der Straße nicht zu sehenden Stelle gefunden.“ Erklärte Mio.
    „Er wird also ein Begräbnis und eine Trauerfeier bekommen, wie er es verdient?“ Fragte Christina nach. Sie wusste, dass Marc darauf viel Wert gelegt hätte, auch wenn ihr selbst ein Begräbnis nach ihrem Tod nicht wirklich wichtig wäre.
    Als Mio nickte, fühlte sie sich plötzlich, als wäre ein Teil der schweren Last von ihren Schultern genommen worden und ein Laut der Erleichterung entfloh ihren Lippen. Nun brach sie erneut in Tränen aus. Ihr Schniefen und das leise Schluchzen wirkten sehr laut in dem sonst stillen Raum und es war ihr unangenehm, vor Mio die Fassung zu verlieren.
    „Entschuldigung.“ Murmelte sie und wischte sich hektisch mit beiden Händen über das Gesicht. Sie wischte die Tränen beiseite und versuchte auch, ihr Gesicht vor ihm zu verbergen. Verdammt, er musste sie für so eine labile Heulsuse halten, schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie vor ihm in heulte. Und die Gründe für ihre vorherigen Tränenausbrüche wirkten plötzlich so unsagbar unbedeutend.


    Plötzlich fühlte Christina eine warme Berührung in ihrem Nacken, denn Mio strich mit der Hand darüber, als er ihr einen Arm und die Schultern legte und sie vorsichtig näher an seine Seite zog. Erst wollte sie sich von seinem Arm befreien, denn seine Finger ruhten nun an ihrem Hals, strichen wiedereinmal beruhigend über ihre Haut und sie wollte nicht, dass er sehen konnte, welch ein Chaos in ihrem Kopf gerade herrschte. Doch eigentlich war das sowieso ganz offensichtlich, auch wenn er nicht ihre Haut berührte und so wusste, was sie dachte. Also legte sie den Kopf an seine Schulter und ließ sich von seinem stillen Trost beruhigen.
    Einige Zeit saßen sie so da. Keiner sagte etwas, Mios Daumen strich weiterhin langsam über die Seite Christinas Halses, sie lauschte seinem ruhigen Atmen, nahm mit jedem Atemzug seinen Duft in sich auf und wurde nach einiger Zeit ganz ruhig, fast träge.
    Inzwischen waren ihre Tränen versiegt und sie ließ ihren Blick wieder durch den Raum schweifen, soweit das möglich war, ohne den Kopf von seinem bequemen Platz zu heben.
    Dann wurde ihre bewusst, dass sie eigentlich im Moment keinen Trost mehr benötigte und es sich einfach an Mios Seite bequem gemacht hatte und das Gefühl seiner Nähe genoss, sich wieder vollständig fühlte. Schnell richtete sie sich auf, rückte ein kleines Stückchen von ihm ab und sah ihn kurz etwas verlegen an.
    „Diese Muster in den Fenstern sind wirklich unglaublich schön.“ Plapperte sie schnell drauf los, um die Stimmung aufzulösen und sich außerdem von dem ruhigen Blick, der schwer aus Mios Augen auf ihr lastete, abzulenken.
    „Ein Freund der Familie hat sie für meine Mutter gefertigt, als das Haus gebaut wurde.“ Sagte Mio und auch er richtete sich nun etwas gerader auf.
    „Mich würde wirklich interessieren, wie er dieses schimmernde Muster in das Glas bekommen hat.“ Murmelte sie. „Hat er das auch in der Eingangshalle mit dem Boden gemacht?“
    Plötzlich blickte Mio sie durchdringend an, sein Blick bohrte sich förmlich in sie, während seine restliche Miene keine Gefühlregung erahnen ließ. „Du meinst die Symbole?“ Fragte er. „Du kannst sie sehen?“
    Christina nickte, doch dann hielt sie verwirrt in der Bewegung inne. Was sollte die Frage, ob sie die Symbole sehen konnte? Sollte sie sie denn nicht sehen?
    „Für die Symbole ist meine Mutter selbst verantwortlich. Sie liebte es, Kraftfelder zu bemalen.“
    „Kraftfelder bemalen? Du meinst diese Aura, von der du gesprochen hast?“ Sie sah den Dunkelhaarigen etwas verwirrt an. „Aber das könnte ich doch gar nicht sehen.“
    Oder etwa doch? Sie hatte die Symbole in der Eingangshalle ja schon vor Wochen bemerkt. Dann konnte sie es schon die ganze Zeit?
    „Sieht aus, als kämen wir endlich mit dem Training voran.“ Mio stand auf.
    „Warte.“ Sagte Christina schnell, als er sich schon von ihr abwandte. „Was ist, wenn Marc nicht der einzige ist, auf den sie es abgesehen haben? Sind meine anderen Freunde auch in Gefahr?“ Angst schnürte ihr bei dieser Frage beinahe die Kehle zu.
    „Ich werde mich darum kümmern.“ Versprach Mio, ohne in seinen Schritten innezuhalten.
    Erst an der Tür blieb er noch einmal stehen. „Dieses Haus ist nur sicher, solange wir niemanden willkommen heißen, der hier nichts zu suchen hat. Lasse nie wieder jemanden ohne meine Erlaubnis herein, Christina.“



    Weitere Kapitel werden irgendwann in den kommenden Tagen folgen, wenn ich mal wieder Zeit finde.
    Hoffe es hat euch gefallen.
    Ich wünsche dann auf diesem Wege noch allen Leserinnen und Lesern einen guten Rutsch und ein erfolgreiches Jahr 2010.


    Gruß
    DieMarry

    Sooo, die Weihnachtstage sind überstanden und mein dicker Bauch ist endlich wieder soweit geschrumpft, dass ich mich wieder bewegen kann *g*


    raya: Selbstverständlich bekommst du die Vollversion. ;)
    Also ich denke Christina hatte eigentlich nicht speziell etwas gegen die Klamotten, sondern gegen die Vorahnung, die diese Klamotten ihr vermittelt haben. Und ich kann dir aus eigener Erfahrung versichern, dass so ein Brustpanzer echt total unbequem sein kann... vorallem wenn man ihn falsch herum anzieht *gg*


    Und mit der Vermutung, dass Christina die ganze Situation, in der sie steckt, noch nicht richtig erfasst hat, liegst du richtig. Versetz dich mal in ihre Lage. Sie wurde entführt, sie wurde befreit, aber steckt seit dem in einer anderen (zugegeben nicht ganz sooo schlimmen) Gefangenschaft, sie wurde nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt und Mio strengt sich ja auch irgendwie nicht wirklich an, ihr mal richtig zu erklären, was genau eigentlich auf sie zukommt. Außerdem steckte sie zu dem Zeitpunkt, als Marc an ihrem Fenster stand, in soetwas wie einer Depression und war einfach nur glücklich, ihn zu sehen.


    Zu dem Rest deines Kommis schweige ich noch immer wie ein Grab. *g*



    Allgemeiner Hinweis: In diesem Kapitel musste ich hier und da wieder einige winzige Änderungen vornehmen. Die Stellen sind wieder mit einem * gekennzeichnet.


    Von Verlust, Schmerz und Selbstbeherrschung



    Mio hatte in seinem Büro gesessen und gearbeitet, als ein flammender Schmerz über seinen Rücken schoss und er gleichzeitig die Anwesenheit eines Unbefugten in seinem Haus spürte. Gerade war er von seinem Stuhl aufgestanden, als Christinas Schrei deutlich an sein Ohr drang.
    Auf direkt Weg war er zu ihrem Zimmer geeilt und das erste, was er bewusst wahrnahm, als er die Tür geöffnet hatte, war ihr gehetzter Blick und der Funken von Erleichterung, als sie ihn entdeckte. Dann sah er die roten Striemen an ihrem Hals und den dafür Verantwortlichen, der gerade versuchte, sich über den Balkon aus dem Staub zu machen.


    Mio sprang an Christina vorbei, packte den Fremden gerade noch am Fuß, als dieser sich mit dem Kopf voran über die Balustrade schmiss. Mit einem kräftigen Ruck beförderte er ihn zurück auf den Balkon und knöpfte sich den Jüngling, wie er jetzt erkannte, ausgiebig vor.
    Wut über das ungefragte Eindringen in seinen Bereich und den Angriff auf Christina kochte durch seine Adern, als er den schlanken Körper des Fremden gegen die Hauswand schmetterte und ihn dort mit einem unnachgiebigen Griff um die Kehle festhielt.
    Weit aufgerissene dunkle Augen starrten ihn an und ein widerwärtiger Geruch nach Verwesung kribbelte ihn in der Nase und Mio erkannte, dass es sich hierbei um keinen von De’Fellinis Rekruten, ja nicht einmal um einen Anwärter, handelte. Es war lediglich ein Lockvogel, eine versklavte Seele, die De’Fellini für seine Zwecke missbrauchte. Es war ein Kinderspiel, dieses armselige Etwas aus dem Weg zu räumen, denn es verfügte über kaum mehr, als menschliche Kräfte. Es war schließlich nicht mehr, als ein Mensch. Ein toter Mensch, der mithilfe abartiger Tricks noch für kurze Zeit handlungsfähig gehalten wurde.


    Mios Griff um den Hals des Toten wurde bereits fester. Er bräuchte ihm lediglich das Genick zu brechen und so sämtliche Nervenverbindungen zu unterbrechen, um ihn endgültig ins Nirwana zu schicken.
    Doch in diesem Moment tauchte Christina direkt neben ihm auf. „Stopp!“ rief sie verzweifelt. „Bitte nicht, Mio! Das ist Marc, er ist mein Freund.“
    Der Dunkelhaarige wandte den Blick von dem Toten ab und sah in Christinas bleiches, verstörtes Gesicht. „Das ist nicht dein Freund, Christina. Er ist tot.“ Sagte er und eine Sekunde war er abgelenkt. Sein Griff lockerte sich nur minimal, doch diesen winzigen Moment der Unachtsamkeit machte der Angreifer sich zu Nutze und beförderte ein leicht schimmerndes Messer aus seinem Hosenbund hinter seinem Rücken.
    Mio schob Christina mit seiner freien Hand ein Stück von sich und blickte gerade wieder zurück auf seinen Gefangenen, als er sah, wie die schimmernde Klinge sich mit einem leichten Aufwärtswinkel direkt unter dem Brustbein in seinem Körper versenkte. Das leichte Brennen des Mals auf seinem Rücken wurde nun vollständig von einem brüllenden Feuer in seiner Brust überdeckt.
    Mit einem schmerzerfüllten und wütenden Laut auf den Lippen starrte Mio wieder in das Gesicht des Anderen, der ihn nun mit einem dümmlichen Grinsen auf den Lippen anblickte. Ohne weiteres Zögern wechselte er seinen Griff und drehte den Kopf des Toten um mehr als 180 Grad nach hinten. *Das sofortige Erschlaffen des toten Körpers verriet, dass Mio erreicht hatte, was er wollte. Achtlos ließ er den * Körper an der Wand herunterrutschen und griff nach dem Messergriff, der aus seiner Brust ragte. Er hörte Christinas panische Laute, sah aus dem Augenwinkel dass sie kreidebleich zwischen ihm und ihrem vermeintlichen Freund hin und her sah und offenbar nicht sicher war, ob sie weglaufen oder bleiben sollte. Doch seine größte Aufmerksamkeit galt gerade dem Messer in seinem Körper, denn offenbar war es kein einfaches Kampfmesser. Für gewöhnlich traten keine deutlich nach verbranntem Fleisch stinkenden Rauchschwaden aus seinen Wunden, wenn er angepiekst wurde. Als seine Finger sich um den dunklen Griff schlossen, um es herauszuziehen, trat auch an seiner Hand sofort qualm auf und seine Haut war schwer verbrannt. Geschockt zog Mio seine Hand zurück, spürte, wie sich das Brennen in seinem Inneren immer weiter ausbreitete*. Ihm wurde erst grell weiß und dann schwarz vor Augen, bevor er wieder normal sehen konnte und Christina anstarrte, die mehr als nur geschockt zurückstarrte.
    Mio stieß ein schmerzerfülltes Stöhnen aus, dem ein Hustenanfall folgte, der dafür sorgte, dass der Schmerz der Verbrennung jetzt seinen gesamten Körper übernahm.
    Er versuchte genug Luft zu holen, um zu sprechen, doch es gelang nur ein röchelndes Keuchen über seine Lippen. Verdammt, Christina musste Cosmin holen. Und zwar, sofort und so schnell, wie möglich. Da er offenbar nicht mehr sprechen konnte, deutete er mit einer Hand energisch in Richtung ihrer Schlafzimmertür, während er sich mit der anderen bereits am Geländer des Balkons abstützen musste.
    Doch Christina ging nicht. Sie kam mit angsterfülltem Blick auf ihn zu.
    Schlechte Idee. Sie durfte ihm nicht zu nahe kommen, denn sein Körper handelte für gewöhnlich in einer solchen Situation gegen seinen Verstand und rein nach Überlebensinstinkt. Und er konnte das Blut, welches durch die Panik angestachelt, mit einem lauten Rauschen und Pochen durch ihren Körper pumpte, schon fast auf seiner Zunge schmecken.
    Er kämpfte gegen seinen Körper, um sich von ihr wegzudrehen, sie von sich zu schieben, doch sie drückte seine abwehrende Hand einfach beiseite und drehte ihn an seiner Schulter wieder zu sich.
    „Soll ich es rausziehen?“ drang ihre bebende Stimme, wie durch Watte zu ihm.
    Doch Mio dreht den Kopf von ihr weg, biss die Zähne so fest aufeinander, dass seine verlängerten Eckzähne sich in seine eigene Unterlippe bohrten und versuchte krampfhaft, sie davon abzuhalten, näher zu kommen.
    In einer winzigen Ecke seines kaum noch vorhandenen Bewusstseins, erklang Cosmins Stimme und Mio hoffte nur, dass sein alter Freund Christina schneller aus seiner Reichweite bringen würde, als er die Kontrolle verlieren konnte.
    Doch genau in dieser Sekunde spürte er Christinas schmale Hand, die sich fest gegen seine Brust drückte, *die Finger ihrer anderen Hand sich um das Messer schlossen. Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper. Die Klinge wurde aus seiner Brust gerissen.
    Mio fiel auf die Knie, stieß Christina mit einem energischen Stoß von sich und griff sich mit den Armen so kräftig um den Kopf, dass sein Kinn heftig auf seine Brust gedrückt wurde.
    Mit angestrengtem Keuchen atmete er ein und aus, versuchte seine verletzte Lunge von Christinas Duft, von dem Geruch nach ihrem Blut zu reinigen und hoffe das Pochen ihres Herzens ausschließen zu können, wenn er sich nur fest genug die Ohren zuhielte.
    Scheiße, er durfte die Kontrolle nicht verlieren, durfte seinen Instinkt nicht siegen lassen. Er brauchte kein Blut, redete er sich in Gedanken ein. Er hatte vor noch gar nicht so langer Zeit getrunken. Die Verletzung konnte nicht derart schlimm sein. Er konzentrierte sich nun voll und ganz auf das Brennen in seinem Körper. Versuchte, die einzelnen Verletzungen zu erspüren und sie heilen zu lassen. Doch es funktionierte nicht.


    Minutenlang hockte er dort auf dem Steinboden des Balkons, die Arme fest um seinen Kopf gelegt, in sich zusammengesunken. Durch die Konzentration auf seine Verletzung, hatte er wenigstens seinen Blutdurst wieder relativ sicher unter Kontrolle.
    Er erspürte Cosmin neben sich.
    „Kann ich Ihnen aufhelfen, Herr?“ Fragte er und Mio fühlte die Hand seines Freundes an seinem Oberarm.
    Langsam ließ er die Arme unter Schmerzen sinken, blickte erst Cosmin an und dann Christina.
    „Ich helfe dir.“ Sagte sie und kam auf ihn zu.
    „Nein!“ Stieß Mio hervor. „Bleib bloß weg von mir!“ Noch hatte er seinen Blutdurst nicht vollständig wieder unter Kontrolle und es würde ihm nicht gerade helfen, wenn sie ihm zu nahe kam. Außerdem sollte er eher ihr helfen und nicht andersherum. Schließlich war er ihr Tutore. Sollte es zumindest sein. Doch, da er diese Aufgabe gerade gründlich vermasselt hatte, wurde er wütend, was ebenfalls nicht besonders hilfreich war.
    Christina blickte ihn einen Moment verunsichert an, doch dann fiel ihr Blick wieder auf die deutliche Wunde in seiner Brust und sie kam doch auf ihn zu und packte seinen anderen Arm.
    Und Mio biss erneut fest die Zähne aufeinander und ließ sich gegen seinen Willen von Cosmin und Christina aufhelfen und ins Haus bringen.
    Die Beiden steuerten mit Mio zwischen sich auf Christinas Bett zu, doch der Verletzte protestierte und Schlug stattdessen den Weg zu der Couch ein. Ihr Bettzeug war von ihrem Geruch durchtränkt, was seine Beherrschung möglicherweise wieder gefährlich ins Schwanken bringen konnte.
    „Ich werde das Verbandszeug und Anais mit der Salbe holen.“ Sagte Cosmin, nachdem Mio auf dem Polster der Couch abgesetzt worden war.
    „Lass Anais schlafen und hol nur die Salbe.“ Ordnete Mio an. Noch eine potenzielle Blutspenderin konnte er in diesem Raum nicht gebrauchen. „Und du setzt dich da drüben an den Schreibtisch und bleibst mir vom Leib.“ Befahl er Christina.
    Cosmin verließ den Raum, um alles Nötige zu besorgen und zu Mios Überraschung befolgte auch Christina ohne Widerrede seine Anweisung und verzog sich auf die andere Seite des Zimmers.
    „Bist du verletzt?“ Fragte er mit harter Stimme.
    Christina schüttelte stumm den Kopf.
    Also schloss Mio die Augen und versuchte nicht zu tief zu atmen, um Christina möglichst wenig zu riechen. Er konnte ihr Blut noch quer durch den Raum rauschen hören, doch er versuchte es zu ignorieren. Wenn Cosmin seine Wunden ersteinmal versorgt hatte, würde sein Körper nicht mehr nach Blut schreien, um die Wundheilung in Gang zu bringen. Es war sowieso ungewöhnlich, dass dieser Drang dermaßen stark war und seine Verletzung offenbar noch absolut nicht begonnen hatte, sich zu schließen.


    Christina saß auf dem hölzernen Schreibtischstuhl und beobachtete Mio. Ihrer Meinung nach, hatte er absolut Recht, so wütend auf sie zu sein. Er schien sie ja fast zu hassen. Und immerhin hatte sie den vermeintlichen Marc ins Haus gelassen und Mio dann auch noch abgelenkt, als er ihr zur Hilfe kam. Sie war schuld daran, dass er so schwer verletzt dort auf der Couch lag. Offenbar hatte sie es auch nicht besser gemacht, dadurch, dass sie das Messer aus seiner Brust entfernt hatte. Sie wusste, dass man bei solchen Verletzungen das Objekt besser im Körper ließ, damit es möglicherweise verletzte Gefäße verschlossen hielt. Doch es hatte so ausgesehen, als hätte er es selbst herausziehen wollen, aber nicht gekonnt. Und sein Blick hatte sie erschreckt. Er hatte so geschockt ausgesehen und es schien von Sekunde zu Sekunde schlimmer geworden zu sein. Und dieser Rauch, der aus seiner Wunde getreten war. Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen, als sie das Messer gepackt und daran gezogen hatte.
    Er hatte immer so stark und unangreifbar auf sie gewirkt. Sie hatte sich so voll und ganz auf seine Stärke und seinen Schutz vor den Leuten, die sie jagten, verlassen, dass es sie gerade mehr schockte, ihn in seinem derzeitigen Zustand zu sehen, als zu wissen, dass ihr toter Freund auf dem Balkon lag.


    Cosmin kam zurück und er hatte einen großen Salbentiegel, dicke Rollen Wundverband, sowie Wasser und Handtücher bei sich.
    Christina hatte das Gefühl, ihre Fehler wieder gutmachen zu müssen. Sie musste aufwiegen, dass sie erst einfach die Tür geöffnet und dann auch noch dafür gesorgt hatte, dass Mio diese Verletzung abbekommen hatte.
    Schnell stand Christina von ihrem Platz auf und wollte Cosmin die Sachen aus den Händen nehmen. „Ich werde das machen.“ Verkündete sie. Sie war schuld an Allem und nachdem er sie vor einigen Wochen aus den Fängen von De’Fellini befreit und sichergestellt hatte, dass ihre Wunden versorgt wurden, war es das Mindeste, was sie tun konnte.
    Doch noch ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, war Mio ihr ins Wort gefallen. „Cosmin wird das machen! Ich habe deinen Freund umgebracht, du solltest mir nicht helfen!“ Das stimmte nicht. Der Mann war längst tot gewesen, noch bevor er überhaupt diese Stadt erreicht hatte, aber Mio hoffte, Christina unter diesem Vorwand von sich fernhalten zu können.
    Und Christina wusste das. „Du hast gesagt, er wäre schon tot gewesen.“ Äußerte sie, was er gerade gedacht hatte.
    Cosmin reichte ihr unter dem zornigen Blick seines Herrn die Utensilien. „Ich denke, ich sollte mich lieber um die Reinigung des Balkons kümmern.“ Sagte er und lächelte Christina aufmunternd an, bevor er den Raum wieder verließ.


    Christina wollte gerade gar nicht darüber nachdenken, was mit Marcs Körper geschehen würde. Sie hoffte nur, dass Cosmin ihn nicht an ihre vorbeitragen würde. Sie wollte seinen toten Körper nicht noch einmal sehen. Nachdem Mio ihn ausgeschaltet hatte, hatte man ihm deutlich ansehen können, dass er bereits einige Tage nicht mehr lebte.
    Marc hätte eine richtige Beerdigung verdient. Mit Gottesdienst und Trauerfeier und Allem, was dazu gehörte. Irgendwann vor ewigen Jahren, wie es Christina gerade vorkam, hatten sie in einer trüben Stunde über ihren Tod und alles Folgende gesprochen. Marc hatte sich eine äußerst schicke Trauerfeier ausgemalt, auf der alle seine bisherigen Liebhaber heulend Sekt tranken und außerdem alle Liebhaber, die er gern gehabt, aber nie bekommen hatte. Bei diesem Gedanken musste Christina kurz Grinsen, was ein deutliches Zeichen für ihren Schockzustand war.
    Sie schüttelte den Gedanken an ihren Freund ab, denn sie wollte nicht jetzt zusammenbrechen, nicht solange Mio sich noch in seinem derzeitigen Zustand befand. Sie würde sich Zeit nehmen zu trauern, doch jetzt gerade war das nicht möglich.


    Christina wandte sich wieder Mio zu, der sie mit einem finsteren Blick ansah. Sie versuchte, sich nicht einschüchtern zu lassen, denn schließlich brauchte er ganz offenbar dringend Hilfe.
    Sie ignorierte Mios Blick, der, wie sie glaubte, vor Hass auf sie nur so sprühte. Dass der Dunkelhaarige lediglich zu ihrem Schutz versuchte, sie nicht an sich herankommen zu lassen, kam ihr gar nicht in den Sinn.
    Unter seiner genauesten Beobachtung trat sie an ihn heran, stellte die Wasserschüssel neben seinen Füßen auf dem Boden ab und legte die restlichen Sachen neben ihm auf die Couch. Christina kniete sich neben seine Beine und legte ein weiches Tuch in das warme Wasser. Als sie Mio aus dieser Nähe genauer betrachtete, wäre sie beinahe vor ihm zurückgeschreckt, denn seine Augen blickten sie tiefschwarz und wütend an, an seiner Unterlippe waren kleine Verletzungen, die von seinen imposanten Eckzähnen verursacht worden waren. Seine Schultern wirkten plötzlich wahnsinnig breit, seine Arme waren angespannt, sodass sich die einzelnen Muskelpartien deutlich unter der Haut abzeichneten. Alles an ihm strahlte pure Kraft und Gefahr aus.
    Christina wünschte kurz, sie hätte Cosmin die Versorgung der Wunden überlassen, denn sie war sich plötzlich nicht sicher, ob sie ihm in seiner momentanen Stimmung tatsächlich so nahe kommen wollte, wie es notwendig war. Doch nun war es zu spät. Sie hatte gesagt, sie würde es tun, also würde sie es jetzt auch tun.
    Sie versuchte, sich ihre Unsicherheit nicht ansehen zu lassen. „Mach das Hemd auf.“ Sagte sie und ließ ihre Stimme bewusst fest klingen.
    Mio rührte sich nicht. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt auf seine Oberschenkel gelegt und unternahm nicht die kleinste Muskelanstrengung. Er sah sie einfach weiterhin angsteinflößend finster an, demonstrierte ihr mehr als deutlich, dass er ihre Hilfe nicht wünschte.
    Christina unterdrückte ein Seufzen, versuchte ihn zu ignorieren und streckte langsam die Hände nach den Knöpfen seines Hemdes aus.
    „Nagut, dann halt eben einfach nur still.“ Sagte sie und hoffte, dass er das Zittern ihrer Finger nicht bemerken würde.
    „Ich rate dir, nicht die kleinste falsche Bewegung zu machen.“ Knurrte Mio und seine Stimme sorgte dafür, dass sich Christinas Nackenhaare aufstellten.
    Wenn sie nur wüsste, was er als falsche Bewegung definierte.
    Vorsichtig griff sie mit den Spitzen von Daumen und Zeigefinger sein Hemd und begann langsam die Knöpfe zu öffnen, wobei sie penibel darauf achtete, seine Haut nicht zu berühren. Mio verfolgte jede ihrer Bewegungen mit immer noch schwarzen Augen und sie konnte sehen, dass seine Schultern sich immer mehr anspannten.
    Nachdem sie auch den letzten der Knöpfe geöffnet hatte, schob sie beide Hemdshälften zur Seite und warf einen raschen Blick auf den Einstich. Es blutete zwar nicht so stark, wie sie erwartet hatte*. Und doch verursache der Anblick ihr Übelkeit, denn nie zuvor hatte sie eine derartige Verletzung gesehen und sie war geschockt.*


    „Mein Gott!“ Stieß sie hervor. „Mio, du brauchst dringend einen Arzt!“ Ihre Hände krampften sich in den Stoff, als erneute Panik ihren Körper befiel.
    „Versuch mal einem Arzt meine Herzfrequenz zu erklären und warum ich nicht schon längst tot auf dem Boden liege, wie es jeder gewöhnliche Mensch mit solch einer Verletzung tun würde.“ Knurrte Mio gereizt. „Vergiss den Arzt und hilf mir, das Hemd loszuwerden.“
    Christina kam auf die Füße. Mio setzte sich auf und beugte sich leicht nach vorn, so dass sie ihm den blutverschmierten Stoff von den Schultern schieben und anschließen ganz fortziehen konnte. Auf seinem Rücken sah sie, dass rund um die Ränder des Symbols Blut aus seiner Haut sickerte und an seiner Wirbelsäule herabrann.
    „Mio, dein Rücken!“ Kam es erneut erschreckt über Christinas Lippen.
    „Ich weiß.“ Murmelte er mit tiefer, grollender Stimme und Christina erstarrte, als sie merkte, dass er sein Gesicht nahe an ihren Hals geschoben hatte. Er atmete tief ein und langsam wieder aus. Sie blieb wie festgewachsen über ihn gebeugt stehen und erschauerte, als sein warmer Atem über ihre Haut strich, ihren Nacken kitzelte und warm unter den Kragen ihres T-Shirts blies.
    Mit hämmerndem Herzen spürte sie, wie er mit seiner Nase sachte ihr Haar beiseite schob und mit den Mund leicht über ihren Hals glitt. Sie holte tief Luft, als seine Lippen von ihrem Schulteransatz aufwärts, bis unter ihr Ohr strichen. In ihrem Kopf begann es zu schwirren und sie ahnte, dass es an dem würzigen Duft lag, den er plötzlich deutlich aussandte. Ein warmer Schauer rieselte erst ihren Rücken hinab und breitete sich dann bis in ihre Finger- und Zehenspitzen aus, als sie die warme feuchte Berührung seiner Zunge auf ihrer Haut wahrnahm.
    „Ich hatte dich gewarnt, keine falsche Bewegung zu machen.“ Schnurrte er leise, direkt unter ihrem Ohr, wobei sie die Spitzen seiner Zähne über ihre Haut kratzen spürte.
    Christinas Augen schlossen sich langsam und sie war über sich selbst verwundert, als ein kleiner, kaum hörbarer, aber eindeutig flehender Laut über ihre Lippen kam. Sie wollte es plötzlich. So sehr sie sich auch vorher vor seinen messerscharfen Zähnen gefürchtet hatte, wollte sie plötzlich, dass er es tat. Dass er zubiss. Sie wollte wissen, wie es war. Doch vor allem erfüllte sie plötzlich der Wunsch, ihm zu geben, was sein Körper offenbar brauchte.
    Mios Kopf ruckte plötzlich zurück. „Verschwinde!“ Stieß er heftig hervor und beugte sich von ihr weg.
    Christina richtete sich so schnell auf, dass sie sich beinahe einen Nerv im Rücken einklemmte. Mit zittrigen Knien und noch immer nicht ganz klarem Kopf ging sie wieder zurück zum Schreibtisch, der ja offenbar vorher schon ein sicherer Ort gewesen war. Verwirrt von seinem Verhalten und vor allem von ihrer eigenen Reaktion beobachtete sie, wie Mio sein Gesicht in den Händen vergrub und mit den Fingern heftig seine Kopfhaut bearbeitete.
    „Tut mir leid. Genau das hatte ich vermeiden wollen.“ Hörte sie ihn sagen. „Gib mir eine Minute.“


    Christina blieb still, beobachtete nur, wie die Muskeln in seinem gesamten Oberkörper arbeiteten. Seine Schultern spannten sich an und entspannten sich wieder, genau wie seine Oberarme und die Muskeln auf seinem Bauch und seiner Brust, was mit Sicherheit nicht ganz Schmerzlos sein dürfte. Seine Beine zuckten unruhig.
    Insgeheim fragte sie sich, warum er sich entschuldigte, denn sie musste sich eingestehen, dass es ihr gefallen hatte und dafür schämte sie sich. Es war nicht normal, sie sollte so nicht fühlen. Erstrecht nicht, wenn man bedachte, dass sie zusammen arbeiten sollten. Ihre Beziehung sollte auf einer rein professionellen Ebene bestehen, voll und ganz auf das Ziel ausgerichtet sein. Es sollte keinerlei derartiger Spannungen zwischen ihnen bestehen. Und dieser Zwischenfall gerade, hatte sie ganz eindeutig auf einer unprofessionelen Ebene berührt.
    Immer noch betrachtete sie, wie Mio versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Wer konnte ihr schon übel nehmen, dass sie bei einem Mann, wie er einer war, gefühlsmäßig auf Abwege geriet, dachte sie mit einem leichten Schmunzeln. Doch er war kein einfacher Mann, er war ja nicht einmal ein richtiger Mensch und das sollte ihr eigentlich nach dem, was gerade geschehen war, mehr als deutlich bewusst sein und zu denken geben.


    Nachdem einige Minuten, in denen Mio mit sich selbst kämpfte und Christina ihren Herzschlag zu beruhigen versuchte, stumm verstrichen waren, ließ der Dunkelhaarige langsam die Hände sinken und lehnte sich wieder in der Couch zurück, wobei er das Gesicht vor Schmerzen verzog.
    „Geht es dir gut?“ fragte er mit leiser Stimme, als würde er sie nicht erschrecken wollen.
    Christina nickte. „Ja, alles okay.“ Sie versuchte zu lächeln, war sich aber nicht sicher, ob ihre Miene nicht eher einem irren Grinsen ähnelte, darum ließ sie es schnell wieder bleiben.
    Mio nickte und winkte Christina wieder zu sich. „Dann lass uns das hier hinter uns bringen.“ Seine Eckzähne waren inzwischen wieder in seinem Mund verschwunden und in seinen Augen konnte sie sogar auf diese Entfernung einen Hauch von dem üblichen Grün ausmachen, auch wenn sie noch immer sehr dunkel waren.


    Christina ging hinüber zu Mio, hockte sich wieder neben ihn und griff nach dem Tuch in dem inzwischen fast kalten Wasser. Mio drehte den Kopf leicht in die andere Richtung, als sie die Hand zu seiner Brust führte und vorsichtig um seine Wunde herum tupfte. Er rührte sich keinen Millimeter mehr, saß vor ihr, wie eine Statue und sah sie nicht an. Erst, nachdem sie bereits einige Male das Tuch in dem Wasser ausgespült hatte und sich daran machte, auch die verbrannten Hautstellen zu reinigen, bemerkte sie, dass sein Brustkorb sich ebenfalls kein Stück bewegte. Er Atmete nicht. Schnell blickte Christina in sein Gesicht, doch seine Augen waren geöffnet und folgten jeder ihrer Bewegungen.
    Vorsichtig tupfte sie jetzt mit dem Tuch direkt auf die Stichwunde, versuchte dabei so wenig Schmerzen, wie möglich zu verursachen. Sie konnte den Schmerz nicht ganz vermeiden, doch Mio ließ sich kaum etwas anmerken.
    *
    „Es sieht aus, als müsste es mindestens genährt werden.“
    Mio schüttelte den Kopf, blieb jedoch stumm. Zum Sprechen hätte er ja auch Atmen müssen.
    Christina legte das Tuch zurück in das Wasser und betrachtete das Töpfchen mit der Salbe. Auf dem Etikett stand kein Name. Es waren lediglich die Inhaltsstoffe per Hand darauf geschrieben. Offenbar handelte es sich um ein individuelles Rezept, welches speziell für ihn angemischt wurde. Sie hatte absolut keine Ahnung, was für eine Salbe es war und wie genau sie anzuwenden war.
    Mio beobachtete mit ungeduldiger Miene, wie Christina unsicher die kleine Dose in der Hand drehte, bis er sie ihr aus der Hand nahm und den Deckel abschraubte, wobei er bei der Bewegung seiner Arme vor Schmerz das Gesicht verzog.
    Also nahm Christina ihm die Salbe wieder ab und tauchte ihren Finger in die kühle Masse. Vorsichtig begann sie, an den äußersten Rändern der Hautpartie mit den Brandblasen entlangzustreichen. Mio hielt noch immer still, hatte inzwischen den Kopf soweit gesenkt, dass er ihre Arbeit genauestens beobachten konnte.
    Langsam verteilte Christina die Salbe auch an den direkten Rädern des Stichs, wobei Mio jetzt doch zuckte, als sie mit dem Zeigefinger so vorsichtig, wie möglich, direkt auf der Wunde Salbe verteilte. Christina zuckte mit der Hand zurück, doch Mio bedeutete ihr, weiterzumachen.
    Endlich war sie mit der Versorgung der Wunde zufrieden. Es hatte zumindest solang er sich nicht bewegte, aufgehört zu bluten und die Salbe war überall ausreichend verteilt. Sie hoffte nur, dass die Anwendung direkt auf der Wunde so vorgesehen war.
    Christina stellte das Töpfchen zurück auf die Couch und zog scharf die Luft in die Lungen. Erst jetzt bemerkte sie, dass Mio auch auf der linken Seite seines Halses verletzt war. Sie war bisher so mit dem Stich in seiner Brust beschäftigt gewesen, dass sie den Schnitt an seinem Hals nicht bemerkt hatte.
    „Du bist auch am Hals verletzt.“ Stellte sich fest und deutete die Stelle mit der Hand an ihrem eigenen Hals an.
    „Mach dir darum keine Gedanken.“ Sprach Mio endlich wieder.
    Christina bemerkte, dass sein Blick wieder abweisender wurde und beschloss, sich dann eben um seinen Rücken zu kümmern.
    „Dreh dich zur Seite.“ Sagte sie und stand auf. Doch dieses Mal beugte sie sich nicht direkt über ihn, sondern stellte sich so hin, dass sie seitlich hinter ihm stand.
    Mio tat, was sie gesagt hatte. Er drehte sich auf der Couch leicht zur Seite, beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel.
    Zu Christinas Überraschung blutete Mios Rücken inzwischen nicht mehr. Zwar klebte noch Blut auf seiner Haut, doch dieses war schon beinahe getrocknet und es floss kein neues mehr nach. Auch hier strich sie vorsichtig mit dem nassen Tuch über die Haut und entfernte das Blut.
    Die Haut an den Rändern des Symbols war gerötet und wirkte gereizt, aber es waren keine Risse, Schnitte oder andere Verletzungen zu erkennen. Verblüfft legte Christina das Tuch zurück und wollte nach der Salbe greifen.
    „Die ist nicht nötig.“ Meinte Mio jedoch.
    „Wie konnte das so schnell verheilen? Ich habe gar nicht gesehen, dass er dich auch dort mit dem Messer erwischt hat.“
    „Die schnelle Heilung ist bei mir normal.“ Erklärte Mio missmutig. „Das Symbol dient unter Anderem dazu, mir mitzuteilen, ob du in Gefahr bist. Je nachdem, wie groß die Gefahr ist, fängt es nur an zu kribbeln und zu brennen, oder es blutet. Aber es verheilt schnell wieder.“
    „Warum ist dann die andere Wunde nicht von allein verheilt?“ Hakte Christina neugierig nach.
    Mio seufzte. „Das Messer muss präpariert gewesen sein. Die Sonne kann mir die einzigen Wunden zufügen, die nicht von selbst heilen. Ich vermute, dass das es UV-bestahlt war.“
    Christina stellte sich wieder vor Mio und griff nach Mullpads und einem der Verbände. „Also heilen deine Wunden für gewöhnlich immer so schnell?“
    Mio nickte und Christina warf noch einmal einen Blick auf die Wunde an seinem Hals. Zu gern würde sie wissen, warum er so ein Geheimnis darum machte und sie nicht versorgen lassen wollte. Doch sie fragte nicht, schließlich wollte sie nicht riskieren, dass er sich wieder aufregte.
    Vorsichtig platzierte sie eines der weichen Mullpads direkt auf der Wunde, wo es dank der dicken Salbenschicht von selbst kleben blieb. Bevor sie um Mio herum griff, um das erste Stück des Verbandes um seinen Oberkörper zu legen, erlaubte sie sich einen prüfenden Blick in seine Augen. Doch inzwischen wirkte er wieder relativ gefasst.
    Nachdem sie den gesamten Verband um ihn gewickelt hatte, half er ihr sogar, indem er das Ende festhielt, während sie es mit kleinen Häkchen fixierte. Dabei fiel ihr auch die Verbrennung an seiner rechten Hand auf.
    Vorsichtig griff sie nach seinem Handgelenk, platzierte es auf seinem Knie und strich seine Finger gerade. Auch auf diese Wunden strich sie etwas von der Salbe. Doch einen Verband wollte Mio um seine Hand nicht.
    Als Christina das restliche Verbandsmaterial zusammenräumte und die Salbendose wieder zuschraubte, hätte sie beinahe vor Erleichterung geseufzt. Sie hatte es geschafft.
    „Danke.“ Murmelte Mio und sah ihr erst jetzt das erste Mal seit seinem kleinen Ausrutscher wieder direkt in die Augen.
    „Das war das Mindeste, was ich tun konnte.“ Erwiderte Christina und bemerkte, dass seine Augen endlich wieder ihr übliches leuchtendes Grün hatten.
    „Nichts von dem, was passiert ist, ist deine Schuld.“ Versuchte Mio, sie zu überzeugen.
    Christina wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, denn sie selbst war noch immer der Meinung, dass sie gleich zwei große Fehler gemacht hatte. Also lächelte sie ihn einfach kurz an, wandte aber den Blick ab, als sie bemerkte, dass er sie mit fast weichen Gesichtszügen betrachtete.
    „Was ist mit deiner Schulter?“ fragte er plötzlich, was Christina überraschte.
    Sie selbst hatte die Schmerzen in ihrer Schulter vollkommen verdrängt, da sie so auf das Geschehen um sie herum konzentriert gewesen war. Doch jetzt, wo Mio sie wieder daran erinnert hatte, spürte sie wieder das kräftige schmerzhafte Pochen in ihrem Schultergelenk.
    „Ich bin vorhin gestolpert und darauf gefallen.“ Gab Christina zu. „Aber es ist halb so wild.“ Sie versuchte, ihre Verletzung mit einem Schulterzucken abzutun, was jedoch prompt dafür sorgte, dass sie aufgrund des stechenden Schmerzes, der kurz durch ihren gesamten Arm zog, das Gesicht verzerrte.
    Mio legte seine linke Hand leicht auf ihre Schulter und griff mit der rechten nach ihrem Arm. Vorsichtig bewegte er ihn in kreisenden Bewegungen, tastete dabei mit seinen Fingern das Gelenk ab. Christina versuchte, nicht zurück zu zucken, als ihr die Bewegung wehtat. Im Vergleich zu seiner Verletzung war ihre Schulter nur eine kleine Lappalie.
    „Scheint nicht gebrochen zu sein.“ Mio ließ sie wieder los.
    „Ich sagte ja, es wäre halb so wild. In ein paar Stunden werde ich vermutlich kaum noch etwas davon merken.“
    „Wie fühlst du….“ Begann Mio, doch Christina ließ ihn nicht ausreden.
    „Ich komm schon klar.“ Sie nahm die Wasserschüssel und trug sie zum Schreibtisch. Eigentlich nur, um seinem aufmerksamen Blick zu entgehen.


    Sie wollte nicht zusammenbrechen. Noch nicht, nicht jetzt. Wenn sie an den Abend in ihrer Wohnung dachte, war es ihr schon unangenehm genug.
    Mio schien ihr Verhalten als deutliche Abweisung zu verstehen, was es ja auch war. Er fragte nicht weiter nach und erhob sich. Christina konnte den Stoff seines Hemdes rascheln hören, als er es sich locker über die Schulter warf und dann wortlos den Raum verließ.




    So ich glaube, da ihr so lange warten musstet und weil gerade Weihnachten war, gibt es gleich noch ein Kapitel.

    Heiligabend gab es dieses Jahr Rahmgeschnetzeltes mit selbstgemachten Spätzle, Kartoffeln und Rotkohl. Als Nachtisch gab es Eis.


    1. Weihnachtsfeiertag gehen wir jedes Jahr mit der Familie mütterlicher seits essen, da hatte ich dieses Jahr schlicht und einfach Wiener Schnitzel mit Pommes. Hatte da irgendwie keine Lust auf irgendetwas besonderes. Und zum Dessert Waffeln mit Zimtkirschen.


    2. Weihnachtsfeiertag gehen wir jedes Jahr mit der Familie väterlicher seits essen, da hatte ich (wie schon seit Jahren) Schweinemedaillons mit Champignons und Kroketten. Dessert habe ich ausfallen lassen. Und nach dem Essen gehen wir immer noch bei meiner Oma Kaffetrinken. Wie jedes Jahr gab es Marzipanziegel (ist glaube ich in der Form nur in dieser Region bekannt) und Marschalltörtchen (sind bei uns auf jeder Familienfeier Pflicht).

    vor ein paar tagen auf der arbeit...


    Ich zu einer Kollegin: N. und ich haben gerade beschlossen, dass wir am wochenende zusammen bäckchen platzen :D
    Kollegin und N.: :hahaha:hahaha

    Und gleich noch eins.


    Freunde...?


    Mio blieb neben der Tür zum Wohnzimmer stehen und beobachtete, wie Christina ihr helles Haar mit einer energischen Kopfbewegung über ihre Schulter zurückwarf und mit hoch gehobenem Kinn in Richtung Eingangshalle stolzierte. Ein amüsiertes Lächeln bildete sich um seinen Mund, welches er jedoch schnell wieder verschwinden ließ, als Christina sich plötzlich schwungvoll umdrehte und ihn zornig ansah.
    „Was ist eigentlich mit meinem Traum von vorhin?“ Wollte sie wissen.
    „Ich sage dir bescheid, wenn wir darüber sprechen können. Ich möchte vorher noch jemanden dazu bitten.“ Erklärte Mio.
    „Wozu?“
    Warum war sie eigentlich so sauer? Er hatte ihr schließlich nicht wirklich etwas getan. „Das erkläre ich dir dann.“
    Die Tür zur Eingangshalle fiel heftiger, als notwendig hinter Christina ins Schloss und Mio schüttelte leicht den Kopf. Er hatte soetwas von Anfang an geahnt.
    Wieder machte er sich klar, dass er an dieser Situation nicht ändern konnte und es schon irgendeinen Sinn haben würde, dass ausgerechnet diese Frau auserwählt wurde.


    Er ging hinüber zu der Bar, die hinter einer verzierten Schranktür verborgen war, und schenkte sich einen doppelten Whiskey ein. Zwar war er nicht auf irgendeine zusätzliche Flüssigkeit neben Blut angewiesen und auch der Alkohol hatte bei ihm kaum eine Wirkung, doch er wusste den Geschmack zu schätzen und nahm so einen kräftigen Schluck.
    Er ahnte, dass Christina nicht nur über die Behandlung, die sie in der vergangenen Stunde über sich hatte ergehen lassen müssen, verärgert war. Er hatte genug in ihrem Kopf gesehen, um zu erahnen, dass irgendetwas an ihm oder besser gesagt, ihre Reaktion auf ihn sie verärgerte. Ihm selbst ging es kaum anders. Auch ihm war wieder Bewusst geworden, was passierte, wenn er ihre Haut berührte. Schon kurz nachdem sie aufgewacht war und er ihren Traum gesehen hatte, hatte er es wieder gespürt. Noch deutlicher war es eben gerade gewesen. Und ihm gefiel das ebenso wenig, wie es Christina zu gefallen schien. Doch er war stärker als das, was dort passierte. Dass es ausgerechnet zwischen einer Frau, wie Christina und ihm geschah, machte die ganze Sache nicht gerade leichter und erfüllte nicht gerade den Zweck, zu welchem diese Verbindung eigentlich vorgesehen war, aber er würde es einfach nicht an sich heran lassen. Darin hatte er schon einige Jahre Übung und es würde kein beachtenswertes Problem darstellen.
    Mit diesem Gedanken nahm Mio einen weiteren Schluck aus dem Glas und verließ dann das Wohnzimmer, um seiner Arbeit nachzugehen.


    Einige Stunden später schreckte Christina hoch, als sie hörte, dass ihre Zimmertür geöffnet wurde. Verschlafen starrte sie Anais an, die eintrat und sie entschuldigend ansah.
    „Es tut mir leid, dass ich störe, aber der Herr erwartet uns in seinem Büro.“ Sprach sie leise.
    Christina sah jetzt zu den Fenstern herüber, durch die das dämmrige Morgenlicht ins Zimmer fiel. Sie hatte schon wieder geschlafen. Das konnte doch nicht wahr sein, sie war vorhin nicht einmal zwei Stunden auf den Beinen gewesen, bevor sie sich wieder ins Bett gelegt hatte. Und eigentlich hatte sie sich nur einen kleinen Moment ausruhen wollen.
    „Ich komme sofort.“ Sagte sie und warf die Bettdecke beiseite.
    Sie trug noch immer diese breite Hose mit den vielen Taschen und das schwarze Shirt. Schnell ging sie hinüber zu ihren Koffern und suchte ein paar Kleidungsstücke heraus, die eher ihrem Geschmack entsprachen.


    Nachdem sie schnell im angrenzenden Bad geduscht und sich etwas anderes angezogen hatte, während Anais auf dem Flur gewartet hatte, gingen beide durch die Flure des Hauses. Anais führte sie in den östlichen Flügel, wo sie eine Treppe herauf in den dritten Stock stiegen und dort noch einmal einen langen Flur heruntergingen, bevor das Mädchen vor einer der vielen Türen stehen blieb und leise anklopfte.
    Mios Stimme ertönte und bat sie herein. Als sie eintraten stand er von einem breiten Schreibtisch auf, an dem er offenbar gearbeitet hatte und deutete auf eine kleine Sitzgruppe.
    Anais und Christina setzten sich, Mio jedoch blieb vor ihnen stehen. „Erzähl Anais von deinem Traum.“ Sagte er zu Christina.
    Diese blickte nun Anais an. Was hatte sie denn damit zu tun? Doch Anais blickte Christina mit einem leichten Lächeln erwatungsvoll an, als wäre es das selbstverständlichste der Welt, sich einen albernen Albtraum anzuhören.
    Nach kurzem Zögern begann sie zu erzählen, an was sie sich noch erinnern konnte und sie kam sich von Minute zu Minute alberner vor, denn Anais Blick wurde immer nachdenklicher, zeitweise fast finster.
    Nachdem sie ihre Erzählung beendet hatte, ergänzte Mio noch einige Details, die er offenbar in ihren Gedanken gesehen hatte und die sie inzwischen wieder vergessen hatte.
    Nun setzte er sich ihnen doch gegenüber. „Also, was sagst du?“ Fragte er Anais.
    Diese senkte den Blick auf ihre Knie und sagte eine Weile gar nichts. Sie schien angestrengt nachzudenken.
    Christina war gespannt, was sie zu sagen hatte und hoffte, dass sich endlich klären würde, warum Mio unbedingt mit ihr darüber sprechen wollte. Mio hingegen schien immer unruhiger zu werden. Er ließ es sich nicht in seiner Körperhaltung, seiner Miene oder eine nervösen Regung anmerken, doch Christina glaubte zu spüren, dass Anais seine Geduld durch ihr Schweigen fast ausreizte.
    Endlich hob das Mädchen den Kopf und sah Mio fast schüchtern an. „Ich denke, wir werden Besuch bekommen.“ Sagte sie und hielt einen Moment inne, als würde sie eine Reaktion von Mio oder Christina erwarten. Doch, als Christina sie nur weiterhin ratlos ansah und Mio mit unbewegter Miene dasaß, sprach sie weiter. „Und ich denke, es wird kein Besuch sein, über den wir uns freuen sollten. Jemand weiß, wo wir sind, oder besser gesagt, wo Christina ist. Und sie wollen sie zu sich holen.“
    „Sie?“ Fragte Christina.
    „De’Fellinis Leute.“ Antwortete Mio.
    „Woher weißt du das?“
    „Weil sonst niemand in Frage kommt.“ Erklärte er.
    „Aber, was ist, wenn nicht De’Fellini dahinter steckt? Vielleicht suchen doch meine Freunde nach mir.“ In Christinas Stimme schwang eindeutig eine große Portion Hoffnung mit.
    „Nein.“ Widersprach diesmal Anais. „Es sind keine Freunde.“
    Mio stand auf. „Okay, ich hatte es bereits vermutet. Danke für deine Hilfe, Anais.“ Sagte er und das Mädchen stand auf und verließ mit einem Knicks den Raum.
    Auch Christina erhob sich. „Und jetzt? Was tun wir jetzt?“
    „Nichts.“ Lautete die einfache Antwort.
    Christina sah Mio verständnislos an.
    „Es ist vollkommen unmöglich. Sie können dich nicht einfach hier wegholen. Es gibt keine Möglichkeit für sie, hier herein zu kommen.“
    „Es dürfte nicht allzu schwer für sie sein, ein paar Fenster einzuschlagen, oder einfach die Tür aufzubrechen.“ Äußerte Christina unsicher.
    „Denkst du wirklich, dieses Haus ist komplett schutzlos?“ Fragte Mio, wartete aber keine Antwort ab. „Mach dir darüber keine Gedanken.“
    Christina seufzte und blickte sich nun etwas genauer in dem Büro um. Auf dem Schreibtisch lag ein großer Haufen Papiere und Schriftstücke.
    Doch bevor sie etwas Genaueres erkennen konnte, stellte der Dunkelhaarige sich wie zufällig in ihr Sichtfeld. „Du hast geschlafen, als Anais dich holen kam?“ fragte er und sah ihr nun aufmerksam ins Gesicht.
    Christina wich wieder einmal seinen grünen Augen aus, obwohl sie selbst nicht wusste, warum es ihr so schwer fiel, ihn direkt anzusehen. Sie nickte nur.
    „Bist du noch müde?“
    „Ich bin seit Tagen ständig müde.“ Sagte sie und fragte sich, warum ihn das interessierte.
    „Hast du Hunger?“ Fragte er nun.
    Christina zuckte die Schultern. „Ich könnte wohl etwas essen.“
    Er ging zur Tür und bedeutete ihr, ihm zu folgen.


    Kurze Zeit später betraten beide die Küche im Keller des Hauses, nachdem Mio mit ihr zügig durch die Flure gegangen war, wobei er den vom Tageslicht erhellten Bereichen geschickt ausgewichen war.
    Marali begrüßte die beiden herzlich. Sie ließ ihre Arbeit kurz liegen, verfrachtete Mio auf einen der Stühle am Tisch und strich ihm noch einmal mütterlich über die Schultern, bevor sie sich Christina vornahm und auch ihr einen Platz zuwies.
    Christina war ein bisschen verwundert, über die Art und Weise, wie die Köchin mit Mio umging, behandelten ihn alle anderen doch mit einer gehörigen Portion Respekt, doch sie hatte keine Zeit, sich weiter Gedanken darüber zu machen, denn schon landete ein Teller mit Rührei vor ihr auf dem Tisch.
    „Mio?“ fragte Marali mit einem leicht ironischen Unterton und hatte schon einen zweiten Teller in der Hand, den sie gerade ebenfalls mit Rührei befüllen wollte.
    Doch der Angesprochene schüttelte den Kopf und widmete sich wieder Christina.
    Er saß ihr gegenüber und sah sie mit seinen auffallend grünen Augen aufmerksam an. Christina wich wieder einmal seinem Blick aus und konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Teller, obwohl sie eher lustlos mit der Gabel in dem Ei herumstocherte. Es ärgerte sie, dass sie sich von ihm so einschüchtern ließ, denn für gewöhnlich ließ sie sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
    „Iss.“ Forderte er sie auf und Christina gehorchte automatisch, was ihren unterschwelligen Ärger weiter schürte, denn eigentlich mochte sie plötzlich gar nichts mehr essen.
    Sie kaute widerwillig auf dem Rührei herum und eigentlich schmeckte es wirklich gut, doch ihr Appetit war vergangen, sobald sie den Teller vor sich gehabt hatte. Drei weitere Bisschen schaffte sie, bevor sie die Gabel zurück auf den Teller sinken ließ.
    Also sie ihren Blick wieder hob, begegnete sie Mios nachdenklicher Miene.
    „Ich habe wohl doch keinen Hunger.“ Sagte sie und kam sich albern vor, sich ihm erklären zu wollen.
    „Hast du Durst?“ Fragte er.
    „Nein.“ Lautete ihre Antwort. „Ich bin ziemlich müde.“ Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen.
    „Geh schlafen.“ Mio stand auf. „Ich möchte, dass du weiter übst, was wir heute Nacht begonnen haben, wenn du dich ausgeruht hast.“ Damit verließ er den Raum.


    Christina blickte ihm mit gerunzelter Stirn nach. Erst verprügelte er sie mehr oder weniger und nun behandelte er sie wie ein Kind, dem man sagen musste, wann es zu essen, zu trinken oder zu schlafen hatte. Das wurde ja immer schöner.
    Marali setzte sich zu ihr an den Tisch. „Einen Penny für deine Gedanken.“
    Christina lächelte. „Ich zerbreche mir den Kopf darüber, was hinter ihm steckt. Was hinter dem Ganzen hier steckt.“ Gab sie zu.
    „Lass dir von mir einen Rat geben, Christina.“ Ein nachdenkliches Lächeln spielte auch um ihre Lippen. „Versuch gar nicht erst ihn zu verstehen, oder was hier vor sich geht. Ich habe in der Zeit, die ich nun hier bin, gelernt, dass ich glücklicher bin, wenn ich so wenig, wie möglich, von dem, was hier passiert, weiß.“
    „Wie lang bist du schon bei Ihm und Cosmin?“ Fragte Christina.
    „Ich habe bei 100 Jahren aufgehört zu zählen.“ Verriet sie mit einem Augenzwinkern.
    „Was ist das Geheimnis?“ Hakte Christina nach. „Warum sehen Cosmin, Anais und du so jung aus?“
    „Gesunde Ernährung, viel Bewegung, frische Luft und ausreichend Schlaf.“ Schmunzelte Marali.
    Christina sah ihr Gegenüber etwas enttäuscht an.
    „Das wichtigste ist in unserem Fall wohl die Ernährung.“ Gab Marali einen Hinweis. „Wie du dir vielleicht schon denken konntest, stamme ich aus Afrika, geboren und aufgewachsen bin ich in einem winzigen Dorf, weit ab von der Moderne. In meinem Stamm wurde viel altes und sehr nützliches Wissen von Alt an Jung vermittelt und dieses Wissen nutze ich, um Cosmin und Anais zu helfen, das zu erledigen, wozu sie sich verpflichtet fühlen.“
    Marali erhob sich und räumte Christinas Teller vom Tisch, was für sie das Zeichen war, dass dieses Gespräch beendet war.


    Mio betrat nachdenklich sein Büro, dessen Fenster zu dieser Tageszeit abgedunkelt waren und so das Licht vollständig aussperrten. Im stockfinsteren ging er zielsicher zu seinem Schreibtisch und ließ sich auf dem breiten Lederstuhl nieder. Nachdenklich starrte auf das Telefon, nahm es aber gar nicht wahr. Offensichtlich hatte sich nur das Aufeinandertreffen zwischen ihm und Christina um einige Jahre vorverlegt. Wenn er sich nicht täuschte, würden noch weitere Ereignisse folgen, die eigentlich noch einige Jahre auf sich warten lassen sollten.
    Eigentlich dürfte ihn das schon gar nicht mehr wundern, in Anbetracht der vergangenen Tage. Das Problem war nur, dass er sich offenbar mit einigen Dingen früher auseinandersetzen musste, als es ihm lieb war.
    Genervt drehte er den Kopf von einer Seite zu anderen, um die Verspannungen in seinem Nacken zu lösen und machte sich anschließend daran, die Dinge, die nötig waren, vorzubereiten.


    Einige Stunden später, kurz nachdem die Sonne untergegangen war, betrat Christina die Trainingshalle und war überrascht, als sie neben Mio auch Cosmin wartend vorfand. Während Cosmin sie mit einem freundlichen Lächeln begrüßte, wirkte Mio leicht ungeduldig. Christina fragte sich kurz, ob sie zu spät dran war, doch hatten sie keine genaue Uhrzeit für die Fortsetzung ihres Trainings festgesetzt. Also trat sie Mio mit erhobenem Kinn entgegen und erwartete schon eine Zurechtweisung über den Zeitpunkt ihres Erscheinens.
    Doch stattdessen erklärte dieser nur, dass sie heute direkt weiter versuchen würden, ihren inneren Blick zu trainieren und dass Cosmin ihnen dabei helfen würde.
    Christinas Motivation sank weiter gen Nullpunkt, denn sie hatte absolut kein Verlangen danach, sich ein weiteres Mal in den Kopf schauen zu lassen.
    Cosmin stellte sich Christina gegenüber und Mio positionierte sich, wie schon am Abend vorher, dicht neben ihr. Doch diesmal schien es aufgrund der Anwesenheit einer weiteren Person nicht so intim auf sie, wie zuvor.
    „Schließ die Augen.“ Sprach Mio nun leise und diesmal fiel es Christina leichter, dem nachzukommen. „Versuch alle unwichtigen Gedanken aus deinem Kopf zu entfernen. Konzentrier dich ganz auf deine Umgebung.“
    Christina würde das leichter fallen, wenn er ihr nicht so nahe wäre. Denn seine Stimme erklang direkt neben ihrem Ohr und sie konnte seine Anwesenheit förmlich spüren. Sie atmete tief durch, hielt die Augen fest geschlossen und versuchte ihn einfach zu ignorieren, versuchte sich von seinem leisen Atem, seinem Geruch und der Anziehungskraft, die erneut von ihm ausging, abzuschirmen. In Gedanken stellte sie sich Cosmins Gesicht vor, seine freundlichen Augen und die buschigen Brauen, seine Nase, seinen Mund und die Falten, die sich darum bildeten, wenn er lächelte. Sie versuchte seine genaue Position vor sich zu erspüren, versuchte zu erahnen, ob er sich ansah. Sie hatte bald ein ziemlich genaues Bild von ihm in ihrem Kopf, doch sah sie keinerlei Nebel oder Schimmer um ihn herum. Es bildeten sich leichte Falten auf ihrer Stirn, als sie mit aller Konzentration, die sie aufbringen konnte, versuchte irgendetwas zu sehen.
    Mio rührte sich neben ihr, was das Bild in ihrem Kopf sofort ungenauer werden ließ. „Ich versuche dir zu helfen.“ Erklärte er leise. „Ich zeige dir, wie es aussieht.“
    Als nächstes fühlte sie, wie schon am vorherigen Abend, seine Hand auf ihrem Arm. Sie widerstand dem Drang, wegzuzucken und versuchte jetzt auch, den Drang, ihm näher zu sein, von sich zu schieben. Sie würde sich besser fühlen, klang es kurz durch ihren Kopf. Sie würde wieder die perfekte Vollkommenheit spüren können. Christina drehte das Gesicht leicht in die andere Richtung, zwang sich zur Konzentration.
    Dann tauchte in ihrem Kopf ein Bild von Cosmin auf. Sie sah ihn, als hätte sie die Augen geöffnet und würde ihn direkt anschauen. Jedes Detail stimmte und auch alles andere um ihn herum entsprach zu hundert Prozent der Realität. Dann plötzlich wurde sie von einem hellen Leuchten geblendet. Wie dunstiger Nebel waberte ein grelles Licht von Kopf bis Fuß um den älteren Mann herum. Mio murmelte etwas, was sie nicht verstand, da ihr kompletter Verstand mit dem Bild in ihrem Kopf beschäftigt war. Cosmin begann leicht seine Hände zu bewegen und tatsächlich ging jeder Bewegung seines Körpers eine leichte Bewegung des Lichtnebels voraus.
    Ein kleiner Laut des Erstaunens kam über Christinas Lippen und automatisch öffnete sie ihre Augen, um zu sehen, ob dieser Nebel wirklich dort war. Doch Cosmin stand noch immer mit einem leichten Lächeln vor ihr und sah sie geduldig an, von dem Nebel war nun nichts mehr zu sehen.
    „Jetzt versuch es allein.“ Sagte Mio und nahm seine Hand von ihrem Arm.
    Christina schloss erneut die Augen, baute erneut das Bild in ihrem Geiste auf, doch wieder sah sie bei aller Konzentration und Anstrengung keinen Nebel.
    „Versuche zu erahnen, was er gerade tut.“ Murmelte Mio leise.
    Cosmin tat etwas? In ihrer Vorstellung stand er einfach mit seinem immer freundlichen Lächeln vor ihr. Doch sie hörte Stoff rascheln, also musste er sich bewegen. Nur hatte sie keine Ahnung, wie er sich bewegte.
    Frustriert öffnete Christina nach einer halben Ewigkeit, wie es ihr schien, die Augen und seufzte. „Ich kann nichts sehen.“ Sagte sie.
    „Ich hatte nicht erwartet, dass es auf Anhieb funktionieren würde.“ Sagte Mio. „Wir werden weiter üben müssen.“ Er wusste schließlich, dass es nicht mehr allzu lang dauern dürfte, bis sie tatsächlich in der Lage war, die Kraftfelder um sich herum zu erspüren. „Da wir mit der Verteidigung nicht besonders viel erreichen, solang du nicht sehen kannst, werden wir mit Ausdauer- und Krafttraining weitermachen.“
    Christina unterdrückte ein weiteres Seufzen. Sie hatte bereits leichte Kopfschmerzen und nun sollte sie sich auch noch durch die Gegend scheuchen lassen.
    Doch sie biss die Zähne zusammen und befolgte Mios Anweisungen. Erst wärmte sie sich durch lockeres Laufen rund um die Halle auf, bevor Mio ihr zeigte, wie sie mit den verschiedenen Geräten umzugehen hatte. Er machte ihr die Handhabung an jedem Gerät kurz vor, bevor sie es selbst versuchte, während er ihre Haltung korrigiert. Schon nach einer knappen Stunde war sie fix und fertig, obwohl Mio sie lediglich ein leichtes Training zum Einstieg durchlaufen ließ, wie er ihr erklärt hatte. Bei ihm sah Alles auch so wahnsinnig einfach aus, es kostete ihn nicht die kleinste sichtbare Anstrengung, obwohl bei seinen Demonstrationen meist noch dreimal so viel Gewicht an den Geräten hing, bevor er es für Christina anpasste. Während er locker neben ihr stand und sie beaufsichtigte, fühlte Christina jeden Pulsschlag in ihrem puterroten Kopf und beanspruchte Muskeln, von deren Existenz sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. Ihr Herz hämmerte in ihrem Brustkorb und ihr Atmen pumpte deutlich hörbar in ihre Lungen und wieder heraus.
    Jedesmal, wenn Mio sie endlich von einem der Geräte erlöste, flammte Hoffnung in ihr auf, dass es endlich genug war. Doch viele Male wurde ihre Hoffnung dadurch zunichte gemacht, dass Mio direkt ans nächste Gerät ging, um ihr auch dieses so erklären.
    Es war ihr unangenehm, wenn er ihr in den Rücken fasste, um zu vermeiden, dass sie ihre Wirbelsäule krumm machte, denn sie fühlte sich von Schweiß gebadet und sie versuchte ihm nicht direkt ins Gesicht zu keuchen, wenn er sich vor sie beugte, um die Haltung ihrer Beine oder Füße zu überprüfen. Allerdings war ihr bewusst, dass er ganz genau wusste, dass ihr Körper mehr als auf Hochtouren lief. Und es ärgerte sie, dass er sie weiter antrieb, obwohl ganz offensichtlich war, dass sie kurz vor einem Zusammenbruch stand.
    Nach unzähligen Wiederholungen an der Beinpresse ließ Christina ihre Füße auf den Boden fallen und legte den Kopf zurück, um Mio wütend anzufunkeln.
    „Ich mach nicht mehr weiter.“ Schnaubte sie. „Ich kann nicht mehr.“
    „Du kannst noch sehr viel weiter.“ Meinte Mio überzeugt.
    Doch Christina stand mit zittrigen Beinen auf und ihre Muskeln protestieren. „Nein, ich bin am Ende.“
    „Also gut, wenn du meinst. Morgen geht es weiter.“ Stimmte Mio schließlich zu, doch er ließ Christina durch seinen Blick mehr als deutlich spüren, dass er mit ihrer Leistung nicht wirklich zufrieden war.
    Christina war das gerade ziemlich egal. Sie ging mit letzter Kraft, wie sie glaubte, in Richtung Tür und überlegte für einen kurzen Moment sogar, ob es eine Option wäre, auf allen Vieren in ihr Badezimmer zu kriechen.



    Und auch in den kommenden Wochen schonte Mio sie nicht. Jeden Abend versuchte er, sie dazu zu bringen, Kraftfelder sehen zu können und jeden Abend scheiterte Christina an dieser Aufgabe. Jeden Abend starrte sie irgendwelche bescheuerten Dinge oder Cosmin mit fest zugekniffenen Augen an, nur um am Ende doch aufgeben zu müssen. Und jeden Abend scheuchte Mio sie daraufhin durch die Trainingshalle und einmal über sämtliche Geräte, als wolle er sie für ihr Scheitern bestrafen. Zumindest rede Christina sich das nach einigen Tagen ein, was ihre Stimmung nicht gerade steigerte. Von Tag zu Tag baute sich immer mehr Frust in ihr auf. Sie war sogar selbst unzufrieden mit ihrer Leistung, obwohl sie bei jedem Training sportlich mehr leistete, als in ihrem gesamten bisherigen Leben.
    Wenn sie nicht trainierte, schlief sie fast ausschließlich. Immerhin hatte die körperliche Erschöpfung den Vorteil, dass ihr Schlaf fest und traumlos war. Und trotzdem fühlte sie sich ständig unausgeruht und körperlich erschöpft. Außerdem langweilte sie sich, wenn sie gerade nicht schlief oder trainierte, denn alle im Haus gingen ihren üblichen Aufgaben nach, Mio sah sie außerhalb ihrer Trainingsstunde so gut wie nie und wenn, dann nur zufällig im Vorbeigehen.
    Nach einigen Wochen war sie so sehr in der Unzufriedenheit über sich selbst und in der Erschöpfung versunken, dass sie nicht einmal mehr merkte, wie sie sich veränderte. Sie aß nur noch wenig, ihre Kleidung war ihr inzwischen mehr, als nur eine Nummer zu groß, ihre Haut wirkte fahl, ihre Augen waren gerötet und schwer.
    Sie hatte die Schnauze gestrichen voll, von allem hier. Sie wollte sich nicht mehr durch das Training quälen, wollte nicht mehr ihre freie Zeit sinnlos vertrödeln oder dicke alte Bücher wälzen und sie wollte sich nicht mehr ausgelaugt und kränklich fühlen, obwohl sie mehr als die Hälfte der Tage verschlief. Dass Marali sie immer häufiger nach ihren Lieblingsgerichten fragte und so versuchte, sie dazu zu bringen, mehr zu essen, änderte daran auch nichts, denn Christina musste sich bei jeder Mahlzeit zwingen, ihren Teller zu leeren. Und auch, dass Anais immer wieder überraschend an irgendwelchen Ecken im Haus auftauchte oder kurz bei Christina vorbeischaute, um sie mit einem freundlichen Gespräch und einem aufmunternden Lächeln bedachte, konnte die Situation nicht besser machen.
    Christina war kurz davor, die ganze Sache über den Haufen zu werfen und zu streiken.


    Ziemlich genau drei Wochen nach ihrer ersten Trainingsstunde, wachte Christina das erste Mal wieder mit rasendem Herzen und schwirrendem Kopf aus einem Albtraum auf, der so schrecklich war, wie nie zuvor einer gewesen war. Sie erlaubte sich nicht, darüber nachzudenken, was sie gerade im Schlaf erlebt hatte.
    Es war stockfinster im Zimmer, denn es war tief in der Nacht. Heftig blinzelnd starrte sie in die Dunkelheit. Dann drang ein klopfendes Geräusch in ihr Bewusstsein.
    Schnell griff sie nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe und schon eine Sekunde später erfüllte gedämpftes Licht das Zimmer.
    Christina zog ihre Decke bis an ihr Kinn und sah sich auf der Suche nach der Ursache für das Geräusch ratlos um.
    Erst als ihre Augen ein drittes Mal zu den Fenstern huschten, entdeckte sie eine Person draußen auf dem Balkon. Dunkle Augen sahen sie durch das Glas hindurch an, während schmale Finger leise dagegen klopfen.
    Christinas Herz drohte vor Schreck auszusetzen, doch in einem kleinen Winkel ihres Bewusstseins tauchte das Gefühl des Widererkennens auf. Sie blinzelte ein weiteres Mal heftig, dann endlich erkannte sie die Person auf der anderen Seite des Fensters. Da draußen stand Marc.
    Ein schluchzender Laut der Erleichterung drang über Christinas Lippen und sie sprang aus dem Bett. Sie war so glücklich, ihn wiederzusehen, so froh darüber, mit seiner Hilfe vielleicht endlich von hier verschwinden zu können, dass sie ohne einen weiteren Gedanken zur Balkontür lief, um ihn hereinzulassen.
    Schwungvoll riss sie die Tür auf und schmiss sich ihrem guten Freund mit einem aufgekratzten Lachen in die Arme.
    „Was machst du hier? Wie hast du mich gefunden? Wie bist du unbemerkt hier herein gekommen?“ Christinas Stimme überschlug sich fast vor Aufregung, das Gesicht hatte sie fest an seine Schulter gepresst. „Bitte, hol mich hier raus!“
    „Genau das habe ich vor.“ Murmelte Marc leise. „Ich bin hier, um dich hier weg zu bringen.“ Fest hatte er seine Arme um sie gelegt, hob sie bereits leicht von den Füßen und begann sich zur Balustrade des Balkons umzudrehen.
    Doch plötzlich fühlte Christina sich gefangen. Seine Arme lagen zu fest um ihren Körper, mit der Hand presste er ihr Gesicht jetzt dicht an seinen Hals. Sie konnte kaum Atmen, denn ein unangenehmer Geruch schnürte ihr die Kehle zu. Und seine Stimme war anders. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem warmen, freundlichen Brummen, welches sie von ihm kannte. Ein eiskalter Schauer des Entsetzens jagte über ihren Rücken, als sie versuchte sich von ihm loszumachen und er sie stattdessen noch fester gegen seinen harten Körper presste.
    „Lass mich runter! Lass mich los!“ Schrie sie, plötzlich von heller Panik ergriffen.
    „Sei still!“ Fauchte er zurück. Doch er ließ sie runter, als sie begann wild mit den Beinen zu strampeln und gegen seine Beine trat.
    Christina machte sich komplett aus seinem viel zu festen Griff frei und starrte geschockt in das vertraute, aber plötzlich auch so fremde Gesicht. Dunkle Augen, die rein gar nichts von der gewohnten Wärme ausstrahlten, beobachteten jede ihrer Bewegungen aufmerksam. Ein berechnendes Grinsen spielte um Marcs Lippen und Christinas Herz dröhnte in ihren Ohren.
    „Was ist los?“ Schnarrte eine plötzlich komplett fremde Stimme. „Freust du dich gar nicht, deinen besten Freund zu sehen?“
    Christina stolperte über ihre eigenen Füße, als sie so schnell, wie möglich von ihm weg laufen wollte. Sie wusste nicht, wer oder was da vor ihr stand, aber es war nicht der Marc, den sie kannte.
    Hart schlug sie auf den Holzboden in ihrem Zimmer auf, ein stechender Schmerz raste durch ihre Schulter und machte sie einen Moment lang bewegungsunfähig.
    Diesen Moment nutzte der Fremde, um sie erneut zu packen und ihr diesmal fest den Mund zuzudrücken, doch nicht, bevor Christina es schaffte einen gellenden Schrei auszustoßen, der in ihren eigenen Ohren wehtat.
    Die andere Hand packte ihre verletzte Schulter und im nächsten Augenblick wurde sie daran hochgerissen, was sie einen erstickten Schmerzensschrei ausstießen ließ.
    Sie wurde von hinten umklammert, die Hand lag immer noch fest auf ihrem Mund und ihr Kopf war so weit nach hinten gestreckt, dass sie nur schwer atmen konnte. Die Erinnerung an den Abend ihrer Entführung schoss durch ihren Kopf und sie war wie gelähmt vor Angst, dass sie wieder zu den Kaputzentypen und De’Fellini gebracht wurde. Die Angst ließ ihren Blick verschwimmen und ihren Körper taub werden. Doch dann fiel ihr auf, dass der Angreifer sie fast so festhielt, wie Mio es bei ihrem ersten Training getan hatte. Nur dieses Mal waren ihre Arme nicht hinter ihrem Rücken eingeklemmt. Der feste Bariton von Mios Stimme hallte leise in ihren Ohren, sie hörte noch einmal, wie er ihr erklärte, welche Abwehrmöglichkeiten sie hatte. Plötzlich war in ihrem Kopf nichts anderes mehr, als die Erinnerung an seine Stimme und die Bewegungsabläufe, die er ihr gezeigt hatte. Das und auch das Adrenalin, welches durch ihren Körper pumpte, half ihr, die Angststarre abzuschütteln und sie rammte ihren Arm so fest sie konnte nach hinten. Sie spürte, wie ihr spitzer Ellenbogen auf die Rippen ihres Angreifers prallte. Eigentlich hatte sie ihn tiefer treffen wollen, doch auch dieser Treffer ließ ihn einen überraschten und schmerzlichen Laut ausstoßen. Den Schmerz in ihrer verletzten Schulter ignorierend setze Christina mit dem anderen Arm noch einmal nach und diesmal traf sie nicht auf harte Knochen, sondern fühlte, wie Organe sich im Körper des Anderen unter der Wucht des Aufpralls verschoben. Der Griff um ihren Körper und ihren Hals lockerte sich und Christina schaffte es, sich zu befreien. Sie saugte frischen Sauerstoff tief in ihre Lungen, endlich konnte sie auch wieder klar sehen. Und sie sah, wie ihre Zimmertür aufgestoßen wurde und ihr Tutore mit einem mörderischen Blick hereingestürmt kam.




    So das nächste Kapitel muss ich erst noch Forumstauglich machen und darum kann es vielleicht wieder ein bisschen dauern, bis es weitergeht. Muss mal sehen, wann ich Zeit habe, den Text zu entschärfen, ohne die komplette Spannung zu vernichten.


    Wünsche euch noch einen schönen Abend und noch einen viel schöneren vierten Advent (mein Gott, nur noch ein paar Tage bis Weihnachten :rollauge )
    Gruß
    DieMarry

    sooo zum vierten advent (der ja in ein paar minuten ist) gibt es dann mal eine fortsetzung *g*


    @ mondlicht: freu mich sehr über deine rückmeldung zu meiner story! Dankeschön!
    Zu Miodrag: Ja, den Namen gibt es tatsächlich. Ist ja ulkig, dass du dir den mal für einen Löwen ausgedacht hattest. *g* Ist aber (oder soll laut Internet) ein rumänischer Name sein, der auch bewusst so ausgewählt wurde.
    Tja ja, Mios etwas machomäßige Einstellung zu Frauen. Auf den Grund dieser Einstellung wird aber in viel späteren Kapiteln noch eingegangen werden. Habe den Teil zwar noch nicht geschrieben, der ist aber fest eingeplant.
    Und das "Ding" auf Mios Rücken wird auch noch weiter Erklärt. Hat natürlich seinen Sinn, auch wenn es nicht unbedingt den Sinn hat, den Mio selbst zu wissen glaubt. Klingt das jetzt zu geheimnisvoll? *flöt*


    Und zu Mio in Verbindung mit Christina bzw umgekehrt, sag ich jetzt einfach mal gar nichts. :D


    Und ich finde es absolut nicht schlimm, wenn du so viel schreibst. Kann gar nicht genug lesen. ;)


    Und zu der Frau, mit der Mio sich getroffen hat, kann ich jetzt gerade leider auch nichts sagen. Will ja nicht die Spekulationen gewisser anderer Leser beeinflussen *zu raya schiel*


    Nochmal Danke für deine Rückmeldung!


    @ raya: Auch dir wieder ein herzliches Dankeschön für deine Rückmeldung! Du motivierst einen richtig, weiterzuschreiben! Danke!


    Ich würde sagen, De'Fellini hat nicht nur ein kleines Egoproblem. Der Typ hat echt nen Zacken weg. *g*


    Mit Mios Haus hast du wohl Recht. Haben nicht alle Untote irgendwie total prollige Buden? *g* Klischee ist also hiermit erfüllt. Aber die hatten ja auch mehr als genug Zeit, sich das entsprechende Kleingeld zu beschaffen.


    Irgendwie kann ich dir gerade gar nicht viel mehr schreiben, weil ich ja nicht zu viel verraten will.


    Also dir auch nochmal Danke!


    Und jetzt geht es weiter!



    Von irrealen und realen Albträumen


    Christina stand von dem breiten Bett auf, die Fasern des flauschigen Teppichs kitzelten leicht zwischen den Zehen ihrer nackten Füße. Sie sah sich in dem dunklen Zimmer um, welches lediglich vom Licht des Mondes, das durch die vier Fenster rechts von ihr fiel, erhellt wurde. Aus dem Augenwinkel nahm sie einen Schatten am anderen Ende des Raumes wahr. Sie strengte sich an, mehr zu erkennen, doch es war zu dunkel. Sie drehte sich zu einem der beiden Nachttische um und schaltete die darauf stehende Lampe an. Augenblicklich flutete tiefrotes außergewöhnlich grelles Licht durch den Raum.
    Als Christina sich wieder zu dem Schatten umdrehte, den sie gesehen hatte, schreckte sie zurück, denn etwas kleines Dunkles zuckte schnell direkt vor ihrem Gesicht und war dann plötzlich wieder verschwunden. Sie drehte sich im Kreis und suchte die Wände und die Zimmerdecke ab. Schnell erblickte sie erneut dieses kleine, flatternde Etwas, welches durch den Raum flog, sie umkreiste. Erst dachte Christina, es würde sich um einen Vogel handeln, doch dann erkannte sie die lederartigen Flügel. Es war eine Fledermaus.
    Das Vieh kam jetzt schnell auf sie zu, umflog sie in einem engen Bogen und schwirrte wieder ans andere Ende des Raumes. Es machte vor dem Kleiderschrank kehrt und schoss wahnsinnig schnell auf Christina zu. Die kleinen runden Augen glühten rot, auch das Fell und die flatternden Flügel schimmerten rot in dem merkwürdigen Licht. Christina war erstarrt und sah die Fledermaus, wie in Zeitlupe, direkt auf ihr Gesicht zukommen. Sie beobachtete die Augen des Tiers, die sie fixierten, die Bewegungen der Flügel, das dadurch verursachte Auf und Ab des kleinen Körpers. Und dann konnte sie genau beobachten, wie sich das Maul öffnete und kleine, aber spitze rötlichweiße Zähne aufblitzten.
    Als nächstes spürte Christina einen schmerzhaften Biss an ihrem Hals. Sie zog die Schultern hoch, schlug mit den Armen um sich, um das Biest zu verjagen, stolperte zurück und sah dunkle Tropfen durch die Luft fliegen. Verwirrt und geschockt hielt sie inne und betrachtete ihre Hände, die blutüberströmt waren. Jetzt spürte sie etwas warmes Nasses über ihre Brust laufen, blickte an sich herab und beobachtete, wie sich der Stoff des weißen Kleides, welches sie trug, dunkelrot färbte.
    Ein erneuter Biss in ihrem Nacken ließ Christina vorspringen. Sie wirbelte herum und sah jetzt zwei von diesen Blutsaugern um sich herumschwirren. Blut lief jetzt auch ihren Rücken hinab.
    Ein stechender Schmerz in ihrer Wade veranlasste sie dazu, ihr Kleid hochzuheben und zwei weitere Fledermäuse kamen darunter hervor. Sie begann um sich zu treten und immer mehr von diesen schwarzen Tieren tauchten unter dem weiten bauschigen Stoff des Kleides auf. Christina riss sich den dünnen Stoff von den Schultern, streifte das Kleidungsstück ab und schlug und trat um sich. Ein ganzer Schwarm flog jetzt um sie herum, sie konnte das Schlagen der kleinen Flügel und das Fiepen der Tiere hören. Überall aus ihrer Haut trat Blut, strömte an ihren Armen, ihrem Bauch, ihren Beinen hinab und tränkte den hellen Teppich in seiner dunklen Farbe.
    Christinas Kehle wurde eng, sie konnte nicht schreien, konnte nicht richtig atmen. Sie stolperte durch das Zimmer, schlug gegen Möbel und versuchte vergeblich die Tür zu öffnen.
    Plötzlich drang ein Rauschen an ihre Ohren und im nächsten Moment bestand sie aus einem einzigen Schmerz, an ihrem gesamten Körper flatterten Flügel und spitze Zähne bohrten sich durch ihre Haut. Panisch riss sie die Augen und den Mund auf, versuchte genug Luft zu holen, um zu schreien. Bis auch ihr Gesicht befallen wurde, sie nichts mehr sehen konnte und eines dieser pelzigen Viecher sogar in ihren Mund kroch.


    Christina schmiss sich schwungvoll herum und Mio machte einen schnellen Schritt vor, um sie vor dem harten Aufprall auf dem Boden neben dem Bett zu bewahren. Er griff ihre Arme und zog sie auf die Beine, noch ehe ihre Augen weit genug geöffnet waren, um etwas zu sehen.
    Sie blinzelte heftig, schnaufte, gab panische Laute von sich und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Dann endlich konnte er sehen, wie ihr Blick auf sein Gesicht fokussierte, ihr Kopf ruckte zurück, sie blinzelte weiterhin heftig und er konnte sehen, wie die Muskeln an ihrem Hals kräftig arbeiteten, als sie mehrmals krampfhaft schluckte.
    Er beobachtete, wie ihre Augen von seinem Gesicht zu seinen Händen wanderten, die kräftig um ihre Oberarme lagen. Dann sah sie an sich selbst hinab, löste langsam ihre Finger aus dem Stoff seines Shirts, an dem sie sich festgekrallt hatte. Ihre Hände fuhren über ihren Hals und ihre Brust, sie drehte und wendete ihre Arme, betrachtete alles genauestens.
    Langsam aber sicher beruhigte sich die Ader an der linken Seite ihres Halses, dass unkontrollierte Pulsieren wurde ruhiger und auch ihr Herzschlag hämmerte nicht mehr lautstark in seinen Ohren. Ihr Atem ging noch immer ziemlich schnell und flach und er hatte noch nicht das Gefühl, dass sie stehen bleiben würde, wenn er sie losließe.
    „Alles okay.“ Sagte er. „Du bist in Ordnung.“
    Vorsichtig schob er sie einen Schritt zurück, bis ihre Waden die Seite des Bettes berührten, dann ließ er sie langsam darauf herunter.
    Christinas Blick wanderte jetzt durch ihr Schlafzimmer, tastete die Wände ab. Ruckartig drehte sie ihren Kopf und sah über die Schulter hinüber zu den Fenstern.
    Als Mio sicher war, dass sie wenigstens allein aufrecht sitzen konnte, ließ er ihre Arme los und holte sich den Stuhl vom Sekretär ans Bett. Er setzte sich ihr gegenüber, sagte nichts, beobachtete nur ihr Verhalten.
    Ihre Haare standen wirr von ihrem Kopf ab, ihre Schläfen und ihre Stirn waren leicht feucht und ihre Brust hob und senkte sich noch immer in einem zu schnellen Takt.
    „Ich hab geträumt.“ Sagte sie schließlich mit rauer Stimme, mehr zu sich selbst, als dass sie zu ihm sprach.
    „Ich weiß.“ Antwortete er, denn das war offensichtlich gewesen.
    Mio war bereits vor einigen Stunden wieder erwacht, doch hatte er noch einige Dinge vorzubreiten gehabt, bevor er zu Christina ging und sie wild um sich schlagend in ihrem Bett vorgefunden hatte. Immer wieder hatte sie heftig gezuckt, hatte sich von einer Seite zur anderen gedreht, die Arme in die Luft geworfen und erstickte Töne ausgestoßen.
    Er hatte neben dem Fußende ihres Bettes gestanden und sie beobachtet, hatte sie weiterträumen lassen, obwohl der Gedanke, sie zu wecken, durchaus präsent gewesen war.
    Jetzt saß er vor ihr und sie sah ihn schließlich wieder an. „Wie lang bist du schon hier?“ Fragte sie.
    „Nicht sehr lange.“
    „Du hättest mich wecken können.“ Ihr Blick wurde vorwurfsvoll.
    „Das hätte ich, doch es hätte keinem von uns beiden geholfen. Der Traum wäre zurückgekehrt, bis du ihn zu ende geträumt hättest.“ Erklärte er.
    Jetzt sah sie ihn fragen an. Woher sollte er das wissen? Doch ehe sie fragen konnte, sprach er weiter. „Erzähl mir, was du geträumt hast.“ Bat er halb und ordnete es auch halb an.
    Christina sah wieder an sich herab, zupfte an dem roten Pullover, strich mit der Hand über die dunkelblaue Jeans. Sie schien nachzudenken, wie sie anfangen sollte. Er bemerkte, dass ihre Hand leicht zitterte, als sie sie endlich auf ihrem Knie zum liegen kommen ließ. Also griff er an ihr vorbei nach der blauen Überdecke und zog sie über ihre Schultern, anschließen strich der den Stoff glatt und ließ seine Hand auf ihrer liegen.
    Er hörte, dass Christina begann zu sprechen, doch vor seinen Augen tauchten bereits viele kurze Bilder von einem roten Raum, schwarzen Fledermäusen und einem wallenden weißen Kleid auf. Er sah den dunklen Schwarm und sah das Blut auf dem Boden.
    Dann zog Christina ihre Hand weg. „Warum sagst du, ich soll es dir erzählen, wenn du eh nicht zuhörst?“ Wollte sie wissen, doch dann schien sie seinen offenbar etwas abwesenden Blick zu bemerken und ein leises „Oh!“ entsprang ihren Lippen.
    „Wir sprechen später darüber.“ Mio stand auf und ging zur Tür. „Zieh an, was in dem Kleiderschrank ist. Ich warte draußen.“
    Er hatte bereits eine Ahnung davon, was Christinas Traum bedeuten könnte, doch wollt er mit Anais darüber sprechen, bevor er Spekulationen äußerte. Er konnte nur hoffen, dass er sich irrte.
    Mio ging hinüber zu den Fenstern des langen Korridors und blickte in den nächtlichen Innenhof zwischen den beiden Gebäudeteilen. Die Bedeutung, die er hinter dem Traum vermutete, war vollkommen unmöglich. Er lebte seit langer Zeit in diesem Haus, vor ihm hatten seine Eltern hier gelebt und sie und auch er selbst hatten dafür gesorgt, dass nicht möglich ist, woran er nun dachte. Es war ebenso gut möglich, dass Christina mit den Ereignissen der vergangenen Tage überfordert war und ihr Bewusstsein versuchte im Schlaf zu verarbeiten, was sie im Wachzustand nicht verarbeiten konnte. Er wollte keine Panik auslösen, bevor er nicht wusste, dass sie wirklich begründet war. Nicht bei Christina und auch nicht bei den anderen.
    Nachdenklich strich er sich über das Kinn. Er sollte es wissen, er sollte wissen, wenn es wirklich passieren würde.


    Hinter sich hörte er Christinas Schritte auf der anderen Seite der Tür, bevor ebendiese sich einen Augenblick später öffnete.
    Mit einem äußerst skeptischen Blick trat Christina ihm gegenüber. Wortlos streckte sie die Arme ein Stückchen von sich, als wüsste sie nicht, wie sie ihren Unmut über die für sie getroffene Kleiderwahl äußern sollte.
    Er betrachtete das schwarze Shirt, welches sich um ihren Oberkörper spannte, die lange mit einigen Taschen versehene ebenfalls schwarze Hose und anschließend die breiten schützenden Stiefel an ihren Füßen. Sein Blick wanderte nach der allgemeinen Bestandsaufnahme zurück zu ihrem Oberkörper, wo sie über dem Shirt außerdem einen für das Training leichten, aber dennoch stabilen Brustpanzer trug.
    „Was soll dieses Ding?“ Fragte Christina und klopfte mit den Fingerknöcheln leicht gegen den Panzer. „Ich kann mich kaum bewegen und es drückt.“
    „Weil du ihn falsch herum angezogen hast.“ Mio trat auf sie zu, griff nach den Klettverschlüssen an den Seiten ihres Oberkörpers und riss sie auf. Anschließend hob er den Schutz aus Plastik über ihren Kopf. Erst, als er Christina komplett davon befreit hatte, sah er, wie sehr das Shirt tatsächlich ihre Figur umschmeichelte. Unweigerlich glitt sein Blick für eine Sekunde von ihrem Hals, über die Wölbung ihrer Brust und folgte dann der Kurve ihrer Taille. Er würde Cosmin anordnen, Christinas zukünftige Trainings- und Kampfbekleidung eine, vielleicht sogar zwei Nummern größer zu besorgen, dachte er und trat hinter Christina, streifte den Brustpanzer zurück über ihren Kopf, griff um sie herum, um nach den Klettverschlüssen zu angeln und befestigte sie. „Besser?“ fragte er.
    „Unwesentlich.“ Lautete die gemurmelte Antwort.


    Mio reagierte lediglich mit einem kaum merklichen Kopfschütteln auf Christinas Kritik an der Kleidung. Sie folgte ihm durch den Korridor, zur Treppe in der Eingangshalle, die jetzt von indirektem Licht erleuchtet war. Zusammen gingen sie die Treppe herunter und wandten sich scharf nach links, als sie unten angekommen waren. In der Mitte, zwischen den beiden Treppen befand sich eine breite Doppeltür, auf die sie nun zugingen.
    Christina musste sich während des gesamten Weges zwingen, Mio nicht immer wieder prüfend anzusehen, denn als sie sich umgezogen hatte, war ihr eine Frage in den Sinn gekommen. Kurzerhand beschloss sie, zu riskieren, sich zu blamieren und stellte die Frage, bevor sie sich ewig den Kopf darüber zerbrechen würde. „Kannst du dich etwa in so ein Fledermaus-Vieh verwandeln?“
    Mio lachte schallend auf und der tiefe Ton bewirkte, dass ein warmes Kribbeln an Christinas Wirbelsäule hinabrieselte. Eine weitere Antwort bekam sie jedoch nicht und so folgte sie ihm durch die Doppeltür.
    Dahinter befand sich ein weitläufiges, aber gemütliches Wohnzimmer. Rechts befanden sich einige Regalwände, die randvoll mit Büchern gefüllt waren, daneben war ein Kamin in die Wand eingelassen, ähnlich dem im Festsaal, davor standen zwei breite Ledersessel. An der Stirnseite des Raumes entdeckte Christina ein Piano. Sie fragte sich, ob es ein reines Dekorationsobjekt war oder, ob es von jemandem genutzt wurde.
    Auf der anderen Seite des Wohnzimmers stand eine lederne Sitzgruppe und mittig davor, auf einem niedrigen Sideboard, ein großer Flachbildfernseher. Christina versuchte, sich Mio entspannt auf der Couch sitzend und fernsehend vorzustellen, doch es wollte ihr nicht ganz gelingen. Der Mann wirkte einfach zu energiegeladen, um seine Zeit gemütlich vor der Mattscheibe zu verbringen.


    Zwischen zweien der hohen Bücherregale öffnete Mio eine weitere Tür und sie betraten nun einen weitläufigen, fast leeren Raum. Hier gab es keine Fenster und das Licht strahlte aus Halogenstrahlern von der Decke. Die Hälfte des Bodens war mit dunklen Matten ausgelegt, die andere wurde von diversen Trainingsgeräten in Anspruch genommen.
    Christina blieb neben der Tür stehen und sah sich um. Einen eigenen Trainingsraum in dieser Größe im Haus zu haben, war bestimmt von Vorteil, wenn man Sport mochte. Sie allerdings hasste Sport.
    Nicht besonders begeistert beobachtete sie, wie Mio hinüber zu der Mattenfläche ging und sich dann zu ihr umdrehte, um sie auffordernd anzusehen. Missmutig ging sie zu ihm.
    „Ich werde dir als Erstes beibringen, wie du dich selbst verteidigen kannst. Die beste Kampftechnik würde dir nicht viel helfen, wenn du nicht weißt, wie du Angriffen von anderen entgegen gehen musst.“ Erklärte er, als sie bei ihm angelangt war.
    „Ich habe bereits einen Selbstverteidigungskurs mitgemacht.“ Erwiderte Christina und hoffte, damit ihren Kopf aus der Schlinge ziehen zu können.
    „Das ist gut.“ Meinte Mio und sah sie mit einem Blick an, den sie beim besten Willen nicht deuten konnte.
    Bevor sie auch nur ein weiteres Mal geblinzelt hatte, fand sie sich mit dem Rücken an Mios Brust gepresst wieder, ihr rechter Arm war unangenehm zwischen ihren Körpern verdreht, eine breite Hand hatte sich kräftig um ihren Hals gelegt, ihren Kopf nach hinten gestreckt, so dass sie an die Decke starrte und nur schlecht Atmen konnte. Mios Gesicht befand sich dicht an ihrem Gesicht, sein Mund direkt an ihrem Ohr. „Glaubst du wirklich, das, was ihr Menschen Selbstverteidigung nennt, würde dir irgendetwas bringen?“ raunte er, wobei sein Atem warm über ihr Ohr und ihren Kiefer strich.
    Da sie mangels Luftzufuhr und aufgrund des zugedrückten Halses nicht sprechen konnte und auch ihren Kopf nicht schütteln oder nicken konnte, blinzelte Christina stumm in das grelle Deckenlicht.
    Mio ließ sie los und sie stolperte zwei Schritte vorwärts, ehe sie ihr Gleichgewicht wieder fand. Wütend blickte sie ihn an. Wer gab ihm das Recht, so grob mit ihr umzugehen? Doch statt ihrem Ärger Luft zu machen, schluckte sie ihn runter, denn Mios Blick verriet, dass er keine Diskussion dulden würde.
    „Lauf ein paar Runden um die Matten.“ Ordnete er an.
    „Wozu?“
    „Weil wir nicht besonders weit kommen, wenn du dir Muskeln oder Sehen verletzt, also wärm dich auf.“ Sein Ton wurde schärfer und sein Blick finsterer.
    Christina biss die Zähne zusammen, gab nach und begann, ein paar runden locker um das Mattenfeld zu joggen.
    Nach einer Ewigkeit, wie Christina glaubte, winkte Mio sie endlich wieder zu sich. Sie hatte das Gefühl, sie wäre nicht gerade erst aufgewärmt, sondern bereits völlig verausgabt. Doch Mio gönnte ihr keine Pausen, sondern begann, ihr einige Handgriffe, mit denen sie Schläge und Angriffe abwehren konnte, zu zeigen. Er erklärte ihr, wie sie ihr Gewicht richtig verlagerte und so für einen sicheren Stand sorgte, machte einige Bewegungsabläufe vor und Christina machte sie nach.
    Sie erinnerte das Ganze sehr an eine Tanzschule, in der ihr eine Choreografie beigebracht wurde und sie fragte sich, wie ihr diese einstudierten Bewegungen in der Praxis helfen sollten, denn dort würde nichts geplant oder vorhersehbar sein. Außerdem kam sie sich ziemlich albern vor, wie sie seine langsam vorgeführten Bewegungen nachahmte.
    Nach einer Weile ließ Mio sie die Bewegungen allein fortsetzen und umrundete sie, betrachtete sie von oben bis unten. Christina verfolgte ihn aus den Augenwinkeln, spürte, wie sein Blick ihren Körper streifte und es war ihr irgendwie unangenehm. Sie kam aus dem Konzept, vergaß Teile der Bewegungsabläufe und wurde ungenau. Zwischendurch griff er nach ihren Handgelenken und ihren Schultern und erklärte, wie Christina sie richtig halten und anspannen musste, um sich nichts zu brechen. Er korrigierte ihre Körperhaltung, wenn sie den Rücken krumm machte und dadurch ihre Wirbelsäule gefährdete, schob ihr Kinn hoch, wenn sie sich so sehr auf die Handgriffe konzentrierte, dass sie es unbewusst senkte.
    Schließlich stellte Mio sich vor sie. „Versuch mich abzuwehren.“ Ordnete er an.
    Christina richtete sich auf, konzentrierte sich und der erste Schlag traf kräftig auf ihren Brustpanzer, noch ehe sie bereit war. Trotz des schützenden Hartplastiks spürte sie die Wucht des Aufpralls in ihrer Magengegend. Sie hatte nicht einmal gesehen, dass Mio sich bewegt hatte.
    Ein weiterer Schlag folgte direkt auf ihr Schlüsselbein und Christina machte einen Ausfallschritt nach hinten, um ihr Gleichgewicht wieder zu finden. Sie biss die Zähne aufeinander, trat wieder auf Mio zu und beobachtete aufmerksam seine Hände, die er zu Fäusten geballt vor sich hielt, während er ihr ansonsten beinahe lässig gegenüber stand.
    Diesmal sah sie die Vorwärtsbewegung seiner rechten Faust und versuchte, Mios Arm beiseite zu schlagen, doch noch ehe der Bewegungsimpuls von ihrem Hirn, über ihr Rückenmark in die Nerven ihres Armes gelangen konnte, traf der dritte Hieb sie direkt vor die Brust und drückte die Luft aus ihren Lungen.
    „Schau nicht auf meine Hände, deine Reflexe sind zu langsam, als dass du meine Schläge abwehren könntest, wenn ich sie bereits ausführe. Sieh mir ins Gesicht, du musst erkennen, was ich vorhabe, ehe ich es tue.“ Forderte Mio sie auf.
    Christina musste sich zwingen, die Augen von seinen Händen abzuwenden und ihm in die Augen zu sehen und gerade als sie ihren Blick hob, trafen zwei weitere Schläge erst auf die linke, dann auf die rechte Seite ihres Brustkorbs.
    Langsam, aber sicher wurde Christina wütend. Was fiel ihm ein, auf sie einzuschlagen, wo er doch genau wusste, dass sie keine Chance gegen ihn haben würde? Tat es seinem Ego gut, eine sehr viel schwächere und eindeutig unterlegene Frau zu verprügeln? Christina stieß schnaubend die Luft aus, hielt die Hände auf Brusthöhe vor sich und starrte in Mios Augen. Für den kleinsten Bruchteil einer Sekunde zuckte Mios Blick zu ihrer rechten Taille und Christina führte eine instinktive Abwehrbewegung gegen ihn aus, noch ehe sie seinen Arm in Bewegung sehen konnte. Zwar handelte sie nicht, wie Mio es ihr vorher gezeigt hatte, aber trotzdem schaffte sie es, seinen Schlag von sich abzulenken und ins Leere gehen zu lassen. Etwas überrascht von dem kleinen Erfolg, huschte ein triumphierendes Grinsen über ihre Lippen ehe sie plötzlich mit dem Rücken auf die Matten aufschlug. Krampfhaft saugte sie wieder Luft in ihre Lungen, die sich anfühlten, als wären sie ineinander zusammengefallen und sah verwirrt an die Decke.
    In ihrem Blickfeld tauchte Mios Hand auf, doch statt sich aufhelfen zu lassen, rappelte Christina sich allein hoch und funkelte ihn wütend an.
    „Du solltest niemals die Konzentration verlieren.“ Meinte er.
    „Musst du gleich so hart zuschlagen?“ Fauchte Christina zurück.
    „Ich habe nicht einmal annährend so hart zugeschlagen, wie ich es könnte. Jedoch wird im Ernstfall niemand Rücksicht auf dich nehmen. Du musst lernen, zu wissen, was dein Gegner tun wird, ehe er es selbst weiß.“
    „Ich kann keine Gedanken lesen. Wie soll ich das also bitte machen?“ Wollte Christina wissen. Sie riss die Klettverschlüsse an den Seiten des Brustpanzers auf, denn für heute reichte es ihr. Trotz dieses sperrigen Teils konnte sie noch jeden einzelnen von Mios Treffern spüren.
    „Du musst dazu keine Gedanken lesen können. Du musst nur aufhören, mit deinen Augen zu sehen und lernen, dich auf deine Sinne zu verlassen.“ Er nahm ihr den Brustpanzer ab, den sie umständlich versuchte, über ihren Kopf zu ziehen. „Alles auf dieser Welt, jedes Objekt, jede Pflanze und jedes Lebewesen ist von einer Art Kraftfeld, einer Aura umgeben. Du kannst jede kleinste Bewegung anhand dieses Kraftfeldes erspüren, bevor sie geschieht, denn das Kraftfeld verändert sich, um die Bewegung überhaupt zu ermöglichen. Genau diese Veränderung musst du erkennen können.“
    „Ich soll Veränderungen in …Kraftfeldern erkennen können?“ fragte Christina in einer Tonlage, die eindeutig verriet, dass sie an seinem Verstand zweifelte.
    „Du kannst es sogar schon.“ Erwidert Mio. „Du hast es schon häufig getan, ohne es zu wissen.“
    „Achja?“
    „Hast du nicht schon häufig gewusst, dass etwas herunterfallen oder umkippen würde, bevor es geschah? Hast du nicht bereits nach einer Flasche gegriffen, eine Sekunde bevor sie überhaupt ins Schwanken geriet, weil du wusstest, dass sie umkippen würde?“ Er sah sie ernst an. „Genau das ist es, wovon ich rede. Du kannst es. Du musst nur noch lernen, es bewusst zu tun.“
    „Wie soll das gehen?“ Christina verschränkte die Arme vor ihrer Brust und war auf seine Antwort mehr als gespannt.
    „Schließ die Augen.“ Sagte er und als sie seiner Aufforderung nicht nachkam, sah er sie streng an, so dass sie die Lider schon deswegen senkte, um seinem leuchtend grünen Blick auszuweichen.
    Er stand dicht an ihrer rechten Seite, sein Gesicht nahe an ihr Ohr geschoben. „Hör genau hin, was um dich herum geschieht.“
    Christina versuchte, ihn zu ignorieren, denn es konnten sich kaum mehr als zwei Zentimeter zwischen ihnen befinden und sie konnte seine Nähe mehr als deutlich spüren. Sie atmete ruhig und konzentrierte sich auf die Umgebung. Sie hört ein leises Rauschen, hinter dem sie das Heizungssystem vermutete. Überdeutlich hörte sie Mios Atem und das Rascheln seiner Kleidung, wenn er sich bewegte. Darüber hinaus konnte sie ganz leise das Surren der Halogenleuchten an der Decke hören.
    „Jetzt versuch dir die Umgebung genau vorzustellen, mit so vielen Details, wie möglich.“ Sprach Mio leise.
    Das war schon schwieriger. Christina sah die dunklen Matten vor sich, auf denen sie standen, links von sich die Geräte, doch sie wusste schon nicht mehr genau, wie die aussahen. Sie sah die Tür, durch die sie hereingekommen waren, die Wände und die Lampen an der Decke. Nach einer Weile, nachdem sie sich alles so gut vorstellte, wie sie konnte, nickte sie leicht mit dem Kopf.
    „Und nun such dir etwas von dem, was du siehst, aus und konzentriere dich nur darauf. Versuch, das Kraftfeld darum herum zu erkennen. Es wirkt wie ein leichter Nebel.“ Vernahm sie die tiefe Stimme leise an ihrem Ohr. Kurz darauf fühlte sie seine warmen Finger an ihrem Arm und zuckte zusammen, als sie im ersten Moment leicht kitzelten, wodurch sie eine Gänsehaut bekam, bevor seine Hand locker auf ihrem Unterarm liegen blieb.
    Christina starrte gedanklich eine der Hanteln, die sie noch in Erinnerung hatte, an, doch sie konnte keinen Nebel sehen, nicht einmal einen leichten Dunst. Sie sah gar nichts. Und sie konnte sich kaum konzentrieren, denn nun verursachte Mios Atem auch noch eine Gänsehaut in ihrem Nacken, denn offenbar hatte er den Kopf leicht gedreht. Er war ihr zu nahe, in ihrer kompletten rechten Körperhälfte kribbelte es und sie wusste nicht, ob sie sich an ihn lehnen, oder vor ihm weglaufen wollte, denn wieder fühlte sie diese Ganzheit und Vollkommenheit, die sie auch schon gespürt hatte, als sie das Symbol auf seinem Rücken berührt hatte. Erst jetzt wurde ihr wieder bewusst, dass sie sich seither unvollkommen gefühlt hatte, als würde etwas von ihr fehlen, ohne, dass sie wusste, was es war. Außerdem war ihr deutlich bewusst, dass er sie berührte und dadurch alles, was in ihrem Kopf passierte, sehen konnte.
    „Konzentrier dich.“ Murmelte er und sein Shirt streifte ihre Schulter.
    Christina öffnete die Augen, trat einen Schritt von ihm weg und zog so ihren Arm unter seiner Hand weg. „Ich kann nichts sehen. Das ist doch totaler Blödsinn.“
    Mio blickte sie einen Augenblick durchdringend, mit unlesbarer Miene an, bevor er sich wegdrehte und zur Tür ging. „Ich denke, es reicht für heute. Wir werden es morgen Abend weiter versuchen.“
    Christina stapfte gereizt an ihm vorbei in das Wohnzimmer und hoffte, dass ihm bis dahin ein anderer Weg, bei dem er ihr nicht so nahe kommen und sogar in ihren Kopf gucken musste, für diese Übung einfallen würde.

    Da dieses Kapitel relativ unaufregend ist, hänge ich es gleich mal hinten ran. Aber es muss eben auch mal einfache Übergangskapitel geben. Sorry


    Mr. und Mrs. Bäsescu



    Plötzlich lichtete der Wald sich auf der rechten Seite etwas, während der Weg auf der linken Seite weiterhin dicht von Bäumen gesäumt war. Christina schaute an Mio vorbei aus dem rechten Fenster.
    Neben ihnen erstreckte sich jetzt eine Wiese, wie ein breiter grüner Streifen zwischen dem Wald und einem äußerst hohen Eisenzaun mit kunstvollen Schnörkeln. Der Zaun umfasste offenbar ein ziemlich weites Gebiet. Was genau sich dahinter verbarg, konnte Christina nicht sehen, denn auch auf der anderen Seite des Zauns befanden sich Bäume und Sträucher.
    Sie folgten dem Weg in einem weiten Bogen und kamen schließlich vor einem großen Tor zum Stehen. Christina sah durch die Eisenstäbe hinter dem Tor einen Kiesweg, der links und rechts von Sträuchern eingerahmt war.
    Das Tor teilte sich in der Mitte und die beiden Flügel öffneten sich, sodass sie nach kurzem Warten dem Kiesweg folgen konnten.
    Der Motor des Wagens schnurrte leise, unter den Reifen knirschten die kleinen Steine und im Inneren des Wagens herrschte völlige Stille. Christina blickte aus den Fenstern und versuchte irgendetwas zu entdecken. Plötzlich erspähte sie zwischen den Ästen und Zweigen der Bäume und Sträucher ein kleines hölzernes Gebilde. Sie runzelte die Stirn und versuchte angestrengt mehr von dem zu erkennen, was offenbar das Haus war. Doch als sie näher kamen und schließlich weiterhin dem Kiesweg folgten, erkannte sie, dass es sich lediglich um einen kleinen Holzschuppen handelte.
    Der Weg machte einen scharfen Knick nach rechts und mündete in einem großen kreisförmigen Vorhof. Erst jetzt konnte Christina das Haus sehen und sie starrte mit leicht geöffnetem Mund die hohe Fassade aus gräulichen Natursteinen, bis zu dem dunklen Walmdach herauf. Sie zählte anhand der Fenster drei Stockwerke. Oberhalb einer kurzen Treppe erblickte sie die Eingangstür, die gerade von Cosmin und Anais geöffnet wurde.


    Mio fuhr den Wagen direkt vor diese Treppe und Cosmin kam mit Anais die Stufen herunter. Mio warf sich den Mantel über die Schultern und zog den Kragen bis über den Kopf.
    „Warte kurz.“ Sagte er, öffnete dann die Tür und stieg aus. Einen Wimpernschlag später stand er an ihrer Tür, öffnete auch diese und ließ sie aussteigen. Er hielt sich dicht neben ihr und eilte mit ihr zusammen die Treppe zur Eingangstür herauf, während Anais und Cosmin Christinas Koffer und Ausrüstung ausluden.
    Schon, als sie den ersten Schritt über die Türschwelle machte, hallte das Klackern ihrer Absätze von den Wänden wider. Als nächstes fand Christina sich in einer weitläufigen Eingangshalle mit einer sehr hohen Decke wieder. Der Boden bestand aus dunklem Marmor, die Wände trugen zarte Pastellfarben und waren reich verziert. Auch die Decke war neben dezenten Stuckverzierungen hauptsächlich aufgrund der pompösen Bemalung ein Blickfang. Christina bedauerte, keine Zeit zu haben, sich genauer umzusehen, denn Mio drängte sie weiter. Inzwischen hatte er seinen Mantel richtig angezogen, den Kragen aber noch immer hochgestellt und weit in sein Gesicht gezogen.
    Die Treppe, die er sie nun heraufführte, erstreckte sich in zwei weite Bögen an der linken und der rechten Seite der Halle, um auf einem Plateau aufeinander zutreffen und sich dann wieder in gegensätzliche Richtungen zu trennen.
    Christina blickte über die Schulter in die andere Richtung, als Mio sie auf dem Plateau weiter nach links führte.
    „Deine Zimmer befindet sich im westlichen Flügel des Hauses.“ Sagte er knapp, denn offenbar war sein Gesprächsbedarf für heute mehr als gedeckt.
    Im westlichen Flügel? Wie groß konnte dieses Gebäude denn sein, dass es in Flügel unterteilt war? Von außen hatte es ja schon groß gewirkt, jedoch hatte sie keine Gebäudeabzweigungen gesehen, die als Flügel bezeichnet werden könnten.
    Doch, als sie die erste Etage erreichten, sah Christina, was er meinte. Sie gingen noch ein ganzes Stück geradeaus, bevor er sie einen nach rechts abzweigenden Flur herunterführte.
    Offenbar wirkte das Gebäude nur von vorn, als bestünde es aus einem einfachen rechteckigen Grundriss. An der Rückseite erstreckten sich tatsächlich zwei Flügel. Christina konnte durch die Fenster, an denen sie vorbeigingen, den gegenüberliegenden Teil des Hauses sehen. Sie bekam eine Vorstellung von dem Grundriss des Gebäudes. Es schien einem Trapez, dem die längste Seite fehlt, zu ähnlich.


    Plötzlich blieb Mio stehen und Christina lief beinahe in ihn hinein, denn sie hatte noch immer aus den Fenstern gesehen und konnte auch an seinen Schritten nicht hören, dass er stoppte, da der Boden hier oben mit einem weichen Teppich überzogen war.
    Er öffnete die dunkle Tür und Christina trat an ihm vorbei in das Zimmer. Sie suchte an der Wand neben sich nach dem Lichtschalter, doch Mio ließ die überall an den Wänden verteilten Wandleuchten bereits aufleuchten.
    Hier waren die Fenster nicht von modernen Stahljalousien verschlossen, das Tageslicht wurde von schweren blauen Vorhängen ausgesperrt. Die Wände waren mit hellblauer gemusterter Seide überzogen, der Boden bestand aus schlichtem Holzparkett. Um das breite kingzise Bett, auf dem mehrere ebenfalls blaue Decken aufwändig drapiert waren und an dessen Kopfende mehr Kissen lagen, als ein normaler Mensch gebrauchen konnte, erstreckte sich ein heller flauschiger Teppich. Links und rechts daneben standen antik wirkende Nachtschränkchen, auf denen sich kostbar aussehende Nachtlampen befanden. Links von Christina stand ein Sekretär, auf dem sie einige schwere Bücher entdeckte. An der hinteren Wand befanden sich ein monströser Kleiderschrank und daneben eine altmodische, aber schicke Couch.
    Christina ging zum Sekretär und betrachtete die Bücher. Es waren ziemlich alte und wahnsinnig dicke Wälzer, auf deren Rücken altenglische Titel standen.
    Sie drehte sich wieder zu Mio um und sah ihn fragend an.
    „Du brauchst dringend mehr Informationen über das, was dich erwartet. Also lies sie. Aber ich denke, du hast im Moment sicher Hunger. Ich habe Marali gebeten, etwas zu kochen. Die Küche ist im Untergeschoss, die zweite Tür neben der Treppe.“ Mit diesen Worten verschwand er und die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss.


    Christina blieb etwas verwirrt zurück und blickte sich erneut in dem Zimmer um. Als erstes musste mehr Licht herein, also zog sie die Vorhänge vor den vier Fenstern zurück. Sie entdeckte hinter einem von ihnen einen Balkon, also öffnete sie die Tür und trat heraus. Von hier aus hatte sie einen herrlichen Blick auf einen Teil des Gartens und sie konnte sogar bis zu dem Wald schauen, durch den sie gerade gekommen waren.
    Doch nach einigen Minuten, in denen Christina sich umgesehen und die frische Luft genossen hatte, knurrte ihr Magen vernehmlich und sie beschloss, sich auf den Weg in die Küche zu machen.


    Die Treppe zur Eingangshalle fand sie problemlos wieder, doch unten angekommen sah sie sich ratlos um. Die zweite Tür neben der Treppe? Welche von den beiden Treppen hatte er gemeint?
    Christina versuchte es mit der Tür neben der Treppe, die sie gerade heruntergegangen war, auch wenn die auf der anderen Seite der Halle ebenso gut gemeint gewesen sein könnte, denn diese waren sie vorhin herauf gegangen.
    Als sie die erstaunlich schwere Tür aufschob, sah sie direkt, dass sie falsch sein musste, denn vor ihr erstreckte sich nun ein riesiger Saal mit einer langen Tafel, an der unzählige Stühle gleichmäßig platziert waren. Es schien eine Art Festsaal zu sein. An den Wänden hingen kunstvolle Gemälde, an der Decke erblickte Christina drei glitzernde riesige Kronleuchter. Sie sah noch einmal über die Schulter, zurück in die Halle, trat dann durch die Tür und schloss diese hinter sich.
    Ihre Schritte waren auf dem Parkett deutlich zu hören und sie ging langsam durch den Raum, betrachtete den Aufbau des Tisches und der Stühle, den langen Tischläufer und die vielen Kerzenhalter, die darauf angeordnet waren. Dann fiel ihr Blick auf den Kamin, der sich an der hinteren Wand des Saals befand. Über dem Kaminsims hing das übergroße Gemälde eines Mannes.
    Er trug schulterlange dunkle Haare, seine Augen blickten stechend grün und streng aus dem Gemälde hervor. Er trug Kleidung, die mit Sicherheit vor einigen hundert Jahren in Mode gewesen sein könnte und an seiner rechten Hüfte erblickte sie eine lange Schwertscheide. Auf dem Griff des Schwertes ruhte eine behandschuhte Hand. Im Allgemeinen trug der Abgebildete eine aufrechte, scheinbar unerschütterliche Körperhaltung an sich und strahlte Stärke, Unnachgiebigkeit und Durchsetzungsvermögen aus.
    Erst als Christinas Augen wieder zurück zu dem Gesicht des Mannes wanderten, erkannte sie, dass es sich bei ihm scheinbar um Mio handelte. Er hatte sich kaum verändert. Seine Nase wirkte auf dem Gemälde schmaler, ebenso auch sein Kiefer, seine Frisur war eine andere, als heute und seine Lippen schienen auf dem Bild feiner. Wie alt mochte dieses Bild sein?
    Sie ging weiter an der Wand entlang und blieb an einem ebenso großen Gemälde stehen. Diesmal war eine Frau zu sehen. Sie hatte gelocktes rotes Haar und Augen mit der Farbe von Whisky. Um ihre vollen Lippen spielte ein dezentes vornehmes Lächeln, doch ihre Augen wirkten, als wäre sie sehr amüsiert oder wirklich sehr glücklich. Sie hatte eine blasse, makellose Haut, die aussah, als wäre sie niemals mit Sonnenlicht in Berührung gekommen. Die Frau trug ein tiefrotes wallendes Kleid, welches schulterfrei war und ihr Dekoltee sehr üppig wirken ließ. Es lag eng um ihren Oberkörper, ähnlich einer Korsage und lief von der Taille abwärts in weiten Wellen aus. Obwohl sie sehr zierlich und weiblich wirkte, strahlte auch sie eine gewisse Stärke aus. Wer konnte sie sein?
    Die Tür am unteren Ende des Saals wurde geöffnet und Christina schreckte aus ihren Gedanken. Schnell drehte sie sich um und ihr war bewusst, dass sie aussah, als wäre sie gerade bei etwas verbotenem ertappt worden. Vielleicht war sie das ja auch. Sie wusste nicht, ob sie hier sein durfte.


    Cosmin trat ein und ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, als er Christina erblickte. „Ah, hier sind Sie, Miss Atwell. Ich hatte bereits nach Ihnen gesucht.“
    „Das tut mir leid, ich wusste nicht, dass ich erwartet werde.“ Antwortete sie und es war ihr tatsächlich unangenehm. Sie war immerhin Gast in diesem Haus und es entsprach nicht ihrer Erziehung, ungefragt durch fremde Häuser zu wandern.
    Doch Cosmins Lächeln wurde breiter. „Es muss Ihnen nichts Leid tun, Miss Atwell.“ Sagte er. „Wie ich sehe, haben Sie gerade Mrs. Bäsescu betrachtet.“ Er deutete auf das Gemälde der Frau.
    Christina nickte stumm und wandte sich wieder dem Bild an der Wand zu. Sie war also Mios Frau. Damit war ihre Frage, ob Mio jemanden hatte, der auf ihn wartete, beantwortet. „Sie wirkt sehr freundlich. Ich habe sie noch gar nicht kennen gelernt.“ Wieso war sie nicht bei Mio?
    „Oh, das werden sie leider auch nicht können.“ Der Blick des alten Mannes drückte tief empfundene Trauer aus. „Sie hat vor langer Zeit diese Welt verlassen. Und sie hatte in der Tat ein überaus freundliches Wesen, welches es einem fast unmöglich machte, sie nicht in sein Herz zu schließen. Wir vermissen sie alle sehr.“
    „Das tut mir wirklich sehr leid.“ Murmelte Christina.
    „Nun, es war ihr eigener Wille, zu gehen und es war niemandes Recht, sie aufzuhalten. Sie konnte und wollte ohne den Herrn Bäsescu nicht weiter auf dieser Erde weilen.“ Nun wandte er sich zu dem Gemälde über dem Kamin.
    Und Christin blickte leicht verwirrt zwischen Cosmin, der Frau und dem Gemälde von Mio hin und her. „Das verstehe ich nicht.“
    „Der Herr war im Kampf gegen denjenigen, der nun auch Ihr Gegner ist, gefallen.“ Und als er Christinas nun komplett ratlosen Gesichtsausdruck sah, erklärte er. „Ich nehme an, Sie halten diesen Mann auf dem Bild für Herrn Miodrag Bäsescu. Tatsächlich handelt es sich jedoch um seinen Vater, den Herrn Bran Bäsescu. Sie sind sich sehr ähnlich. Hätte ich nicht schon vorher von Bran und Iljana gehört, hätte ich vermutlich, als ich diese Bilder das erste Mal sah, ebenfalls angenommen, dass es sich bei dem Gemälde um Miodrag handele.“ Er lächelte wieder.
    Dann wandte er sich in Richtung Tür. „Kommen Sie, Miss Atwell, Marali hat ihnen Mittagessen bereitet. Ich nehme an, der Herr hat Ihnen heute Morgen keine Zeit gelassen, zu Frühstücken.“


    Zusammen verließen sie den Saal und Cosmin führte sie durch die Eingangshalle. „Bitte, nennen Sie mich Christina.“ Sagte sie. Sie war es nicht gewohnt, so formell behandelt und angesprochen zu werden und sie hoffte, dass mit dem Verzicht der formellen Anrede auch diese bevorzugte Behandlung schwinden könnte.
    „Sehr gern, Christina.“ Sagte Cosmin, als er sie gerade durch die Tür auf der anderen Seite der Halle führte und sie einer steinernen, schlecht beleuchteten Treppe nach unten folgten.
    Die Küche befand sich in einem Kellergewölbe, welches Christina an alte Weinkeller oder Lager erinnerte, die sie vor ein paar Jahren beruflich in Frankreich besucht hatte. Auf den ersten Blick schien es ein ungemütlicher, kalter Raum zu sein. Doch nachdem Christina sich genauer umgesehen und die Umgebung auf sich hatte wirken lassen, empfand sie hier sogar eine gewisse Wärme und Geborgenheit.
    In jeder Wölbung der Decke befanden sich altmodische Lampen, die warmes Licht spendeten. An den Wänden standen Holzregale mit Kräutertöpfen, kleinen Fläschchen, Tiegeln und diversen Küchenutensilien. In der Mitte der Küche stand ein rustikaler runder Esstisch mit sechs Stühlen drum herum. Auf dem Tisch befand sich eine kleine runde Tischdecke, auf der wiederum ein Kerzenständer flackerndes Licht verbreitete. An der hinteren Wand befanden sich einige Schränke, sowie Herd und Spüle.
    Marali stand davor, rührte in verschiedenen Töpfen und Pfannen gleichzeitig und drehte sich zu Christina und Cosmin um, als sie sie hörte.
    „Setz dich, Mädchen.“ Sagte sie lächelnd zu Christina und diese gehorchte und nahm an dem runden Tisch platz. Marali wandte sich an Cosmin. „Und du, sag doch bitte Anais bescheid, sie ist im Garten.“
    Cosmin ging hinüber zu seiner Frau und versuchte etwas von dem Essen aus der Pfanne zu fischen, was ihm einen Klaps auf die Finger von Marali einhandelte. Also trollte er sich mit einem leisen Brummen wieder die Treppe herauf, um Maralis Bitte nachzukommen.
    Christina verfolgte diese kleine Szene mit einem Lächeln auf den Lippen, es wirkte so beruhigend normal in mitten dieser ganzen unrealen Ereignisse, die sie gerade erlebte.
    Marali arbeitete mit zügigen, gekonnten Handgriffen an mehreren Dingen gleichzeitig. Sie rührte in dem einen Topf, füllte bereits das Fleisch aus der Pfanne auf die Teller und streute ganz nebenbei noch ein paar Kräuter in einen weiteren Topf. Dabei bewegte sich die leicht rundliche Frau mit solch einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit, dass Christina sich ebenfalls ein Stück weit sicherer fühlte. Bis ihr auffiel, dass sie einfach nur jemand anderem bei der Arbeit zusah.
    Sie sprang von ihrem Stuhl auf. „Kann ich Ihnen helfen?“ Fragte sie.
    Doch sie kam keine zwei Schritte weit, bevor Marali sie zurück auf ihren Platz beförderte. „Danke, aber ich bin sowieso gerade fertig, spar du dir deine Kräfte, du wirst sie noch brauchen. Außerdem bin ich nicht „Ihnen“ oder „Sie“. Ich bin Marali, nicht mehr und nicht weniger.“
    Im nächsten Moment landete schon ein gut gefüllter Teller vor Christina auf dem Tisch und drei weitere fanden ihren Weg zu den Plätzen links und rechts von ihrem.
    Marali setzte sich neben Christina. „Iss bevor es kalt wird.“ Ordnete sie an und auch diesmal gehorchte Christina. „Wo bleiben die anderen zwei nur wieder?“ murmelte sie und fing bereits selbst zu essen an, als auch schon Schritte auf der Treppe zu hören waren.
    Anais nahm den Platz auf Christinas anderer Seite ein und Cosmin setzte sich neben seine Frau. „Entschuldige.“ Murmelten beide, als sie nach dem Besteck griffen.
    Marali nahm die Entschuldigung mit einem leicht verstimmten, aber doch liebevollen Blick zur Kenntnis.
    „Marali legt Wert auf pünktliches Erscheinen zu den Mahlzeiten.“ Erklärte Anais mit gedämpfter Stimme, doch natürlich konnte Marali sie hören.
    „Das ist ja wohl das Mindeste, was ich erwarten kann, wenn ich mir die Mühe mache.“ Sagte sie gespielt empört und Cosmin bestätigte sie durch einen kleinen Kuss auf ihre dunkle Wange, was der Köchin bereits wieder ein Lächeln auf ihr nicht ernsthaft böses Gesicht zauberte.


    Eine Weile war nur das Klappern von Besteck zu hören, während sie aßen, bis Cosmin das Wort ergriff und ein lockeres Gespräch zwischen ihm, Marali und Anais über noch zu erledigende Aufgaben, vergangene Ereignisse und aktuelle Themen entstand. Sie aßen, unterhielten sich und lachten. Christina beteiligte sich zwar nicht sehr aktiv an dem Gespräch, weil es hauptsächlich um Themen ging, von denen sie nicht viel wusste, aber sie hörte interessiert zu und lachte mit ihnen. Für eine Weile vergaß sie sogar den Stress der letzten Tage und die Dinge, die ihr bevorstanden. Sie fühlte sich wohl und vor allem normal.
    Bis Marali aufstand, um die Teller abzuräumen. Christina erhob sich automatisch ebenfalls von ihrem Stuhl und griff nach den Gläsern, um sie zur Spüle zu tragen. Doch Cosmin sammelte die vier Gläser ein, bevor Christina sie erreichen konnte.
    „Ich übernehme das, danke sehr, Miss…Christina.“ Sagte er und plötzlich war die Bevormundung wieder da.
    Plötzlich war die lockere Stimmung verflogen und sie kam sich wieder voll und ganz vor, wie ein Gast in einem fremden Haus. Was ja auch den Tatsachen entsprach.


    Da Christina wusste, dass es zwecklos wäre, Hilfe bei der Arbeit anzubieten, bedankte sie sich für die Mahlzeit und machte sich dann auf den Weg in ihr Zimmer.
    Doch diesmal blieb sie in der Eingangshalle stehen und betrachtete die Deckenbemalung genauer.
    Es erinnerte ein bisschen an eine griechische Sage. Sie erkannte einige Krieger auf ihren Pferden oder im Zweikampf, einen übergroßen Gegner, an dem mehrere der Krieger gleichzeitig ihr Glück versuchten und am Rand erblickte sie einige Frauen, die meisten mit kleinen Kindern in den Armen und einem sorgenvollen Blick auf den Gesichtern.
    Langsam ging sie die Treppe herauf und schaute sich genauer in der großen Halle um. Das Licht fiel durch Fenster, die vom Boden bis kurz unter die Decke reichten, und dadurch helle Sonnenlichtstreifen auf den Marmorboden zeichneten. Christina blieb auf der Zwischenetage, auf dem Verbindungsstück, an dem sich die beiden Treppen in der Mitte trafen, stehen und blickte, wie von einem Balkon in die Halle hinunter. Sie folgte mit den Augen den Mustern des dunklen Marmors und betrachtete die im Licht schimmernden Gesteinsmaserungen. Ihr Blick wanderte langsam zur Haustür und plötzlich nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, dass die Maserungen des Bodens eine Art Muster bildeten. Sie sah wieder zurück zu der Stelle in der Mitte der Halle, doch jetzt konnte sie dieses Muster nicht mehr wahrnehmen. Sie runzelte leicht die Stirn und konzentrierte sich auf die helleren grauen Schattierungen des Gesteins. Doch erst, als sich ihr Blick leicht verstellte tauchte dieses Muster wieder auf. Es war wie eines dieser wild gemusterten Bilder, in denen ein weiteres Bild verborgen war. Christina konnte so etwas wie ein Radkreuz erkennen, es war leicht verziert und dann sah sie auch, dass weitere Symbole rund um das Kreuz angeordnet waren. Doch konnte sie diese nicht richtig zuordnen.
    Christina blinzelte und die Zeichen waren verschwunden. Sie hatte eine Idee und ging zügig zurück in ihr Zimmer. Genau, wie sie gehofft hatte, war ihr Gepäck in der Zwischenzeit dort abgestellt worden. Sie nahm ihre Kamera und ein leichtes Teleobjektiv und kehrte zur Treppe zurück.


    Eine ganze Weile stand sie dort auf der Verbindungsetage und versuchte, das versteckte Muster des Bodens in einem Foto festzuhalten. Sie probierte mit verschiedenen Einstellungen, variierte die Brennweite und verstellte den Fokus, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Auf allen Bildern, die sie schoss, war lediglich die normale Musterung des Marmorbodens zu sehen, jedoch waren keine Zeichen oder Symbole zu erkennen.
    Sie gab auf und beschloss, bei Gelegenheit jemanden zu fragen, was sie Zeichen zu bedeuten hatten.


    Christina kehrte wieder in ihr Schlafzimmer zurück, verstaute ihre Kamera an ihrem Platz und sah sich unsicher, was sie tun sollte, in dem Zimmer um. Ihr Blick streifte ihre Koffer, doch sie war nicht in Stimmung, ihre Kleidung im Schrank zu verstauen. Dann erblickte sie die dicken Bücher auf dem Sekretär. Mio hatte gesagt, sie würde mit Hilfe dieser Bücher mehr über ihre Aufgabe erfahren, also nahm sie den kleinen Stapel und trug ihn zum Bett. Sie schob einige Reihen der Kissen auf den Boden und machte es sich dann mit den Büchern neben sich bequem.
    Sie nahm das oberste von ihnen und schlug es auf. Es war, wie auch schon die Beschriftung auf dem Buchrücken, in altenglischer Sprache geschrieben und als wäre das nicht so anstrengend genug, war die Schrift eindeutig handgeschrieben und nicht gerade leicht zu entziffern.
    Über die ersten Seiten holperte sie mehr, als das sie wirklich las. Sie war so konzentriert darauf, die Schriftzeichen richtig zu erkennen und die ungewohnte Sprache zu verstehen, dass ihr der Sinn des Textes entging. Nachdem sie sich etwas an die Schrift und auch an die Sprache gewöhnt hatte, blätterte sie zurück zu ersten Seite und begann von neuem. Und diesmal verstand sie, was dort stand. Es wurde ein Mann mit adeligen Wurzeln beschrieben, sein Stand in der Gesellschaft wurde erläutert und was für seine Zukunft beplant war. Nach einiger Zeit erkannte Christina immer mehr Parallelen zwischen der Erzählung in dem Buch und dem, was Mio ihr erzählt hatte, kurz bevor er sie durch die mehr als überraschende Zurschaustellung seiner imposanten Zähne von den Füßen befördert hatte. Sie erkannte schnell, dass das Buch von Emanuele De’Fellini handelte, auch wenn sein Name bisher kein einziges Mal genannt wurde. Interessiert arbeitete sie sich weiter durch den komplizierten Text und versuchte Verbindungen zwischen verschiedenen Personen und Zusammenhänge zwischen bestimmten Handlungen und Aussagen zu verstehen. Doch ebenso sehr, wie sie begann, die Zusammenhänge in dem Buch zu verstehen, merkte sie auch, wie anstrengend es war, dem Text zu folgen und ihre Augen schwerer wurden.



    So, das war es dann erstmal wieder.


    Lg
    DieMarry