Ein nächtlicher Friedhof hätte manchem vielleicht Angst eingejagt, aber Martin war oft noch spät abends in der Kirche und fand, dass dies ein Ort der Ruhe und des Friedens war. Für ihn hatte der Kirchhof etwas Meditatives. Die Blumen, die ewigen Lichter, der Marmor...Catherine an so einem friedlichen Ort zu wissen, war ihm stets eine Beruhigung und ein Trost gewesen.
Als er an der Familiengruft der Farnsworths vorbeilief, erkannte er in einiger Entfernung eine dunkle Gestalt. Der leisen Stimme nach, die vom Wind zu ihm herübergetragen wurde, war es eine Frau.
"Ich brauche doch so dringend deien Rat", hörte er die Stimme sagen. "Ich weiß nicht, ob es richtig ist, es ihm zu sagen. Aber ich komme mir schäbig vor, wenn ich es ihm verheimliche. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Du fehlst mir so."
Als er näher kam, erkannte er Alison. Sie stand am Grab ihres Vaters und sprach leise mit ihm. Martin wollte nicht lauschen. Es war nicht richtig, ihre privaten Gedanken zu hören. Er musste sich irgendwie bemerkbar machen, ohne dass Alison einen Schreck bekam. Er räusperte sich vorsichtig.
Alison wandte sich um.
"Alison", sprach er sie mit ruhiger Stimme an, "ich wollte Sie nicht stören. Ich kam zufällig her und sah Sie hier stehen."
"Oh, Reverend Gordon", antwortete sie, "für einen kurzen Moment habe ich mich ganz schön erschreckt."
"Das tut mir Leid", sagte Martin. Er musste daran denken, was er gerade gehört hatte. Was hatte sie gemeint? Ob er sie darauf ansprechen sollte? Sie schien sehr verzweifelt. Vielleicht konnte er ihr helfen.
"Aber ich bin unhöflich, entschuldigen Sie", er streckte ihr die Hand entgegen, "ich habe Sie gar nicht richtig begrüßt."
"Ach, das macht doch nichts", sagte Alison ein wenig beschämt. Sie hoffte, dass er nichts von dem gehört hatte, was sie gesagt hatte.
Martin schaute verlegen, dann gab er sich einen Ruck. "Ich weiß, es ist nicht gerade die feine Art Leute zu belauschen und Sie müssen mir glauben, dass das auch wirklich nicht meine Absicht war. Ich habe auch nicht viel gehört, nur, dass sie große Sorgen zu haben scheinen."
Alison wurde rot. "Es ist nichts...ich..."
"Sie können mit mir über alles sprechen", sagte Martin und schaute ihr in die Augen.
"Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es ist alles sehr verwirrend und...", Alison konnte nicht weitersprechen. Sie musste weinen. Betreten stand Martin neben ihr. Das hatte er nicht gewollt.
"Entschuldigen Sie, Alison, ich wusste nicht..."
Vorsichtig nahm er sie in den Arm.
"Beruhigen Sie sich erst einmal. Sie zittern ja wie Espenlaub", sagte er und strich ihr über das Haar.
"Sie müssen es mir ja nicht erzählen, ich dachte nur vielleicht, dass es Ihnen hilft mit mir darüber zu sprechen."
Als Alison sich ein wenig beruhigt hatte, wischte sie die Tränen aus dem Gesicht und schaute ihn lange an.
"Ich versuche es", sagte sie. "Aber es wird mir nicht leicht fallen. Ich habe einfach Angst, dass Sie mich dann nicht mehr mögen. Es ist nämlich", platzte es aus ihr heraus, "dass ich Sie wirklich sehr gern habe."
Martin war perplex. Aber er lächelte. "Ich habe Sie auch sehr gern, Alison", sagte er. "Und ich kann mir nicht vorstellen, warum sich das so schnell ändern sollte."