Je näher mein Abschluss kam, um so dünner, perfekter wurde ich. Das Training zeigte endlich ein paar Erfolge und es gab sogar ab und zu einen oder zwei Tage an denen ich mir selbst gefiel. Ich fühlte mich mit jedem Tag leichter und leichter, manchmal dachte ich, mich einfach in die Luft erheben zu können und fortzufliegen...
Und je leichter ich wurde um so öfter bemerkte ich dass Mutters Blick beim gemeinsamen Essen zu mir herüber wanderte und voll Sorge auf der Miniportion auf meinem Teller fiel... Manchmal verfolgte ihr Blick meine Hand und hielt in meinem Gesicht inne, während ich minutenlang an einem winzigen Bissen Salat kaute.
Mutter war seit einiger Zeit sehr still geworden... und nachdenklich. Manchmal, wenn sie nach dem Duschen aus dem Bad kam hatte sie ganz rote Augen und sah sehr traurig aus. Vater sagte selten etwas. Seit kurzem verzog er sich mit seinem Teller immer ins Wohnzimmer und Julie schien ein wenig beleidigt, anscheinend war sie jetzt nicht mehr die Interessanteste. Und ich fühlte mich gut.
Am nächsten Tag bekam ich richtigen Heißhunger, ich hatte die ganze Nacht von riesigen Portionen von Essen geträumt und war weinend aufgewacht... Es war Samstag und meine Eltern waren mit Julie in den Park gefahren. Mein Körper wankte in die Küche und wollte nur noch essen! Und ich aß...
Nein... ich aß nicht, ich fraß! Wie ein ausgehungertes Tier stürzte ich mich auf alles, was noch nicht schimmelte oder im Abfalleimer war. Ich verlor die Kontrolle, ich war auf dem besten Weg mein perfektes ich über den Abgrund zu stoßen! Ich schlang Unmengen von Nahrung hinunter, Tränen rannen mir über das Gesicht und versalzten mein Essen – ich wollte nicht! Mein Kopf sagte "NEIN!!!" doch mein Körper gehorchte nicht mehr! Nachdem ich so lange die Macht über mich behalten hatte, verlor ich sie nun innerhalb von Sekunden...
Ich schniefte, schluchzte und ich fraß weiter... Bei jedem Bissen fühlte ich mich voller und voller, ich glaubt zu platzen! Endlich war der Teller leer... leider nicht nur der Teller, auch der halbe Kühlschrank... Und ich fühlte mich hohl und leer... mein Kopf war wie in Watte gepackt und ich zitterte am ganzen Körper... Und fühlte mich so schwer.... Erst jetzt wurde mir klar, was ich getan hatte – und im selben Augenblick, in dem ich mich selbst aufs schlimmste beschimpfte, wurde mir unglaublich übel.......
Ich musste mich vier Mal übergeben. Als ich mich wieder aufrichtete war ich vollkommen leer. Ich schwankte, immer noch war mir übel, in meinem Kopf drehte sich alles. Ich hörte die Musik meiner Anlage wie durch Watte, und ich fühlte mich so gräßlich schmutzig, ekelhaft schmutzig, zum einen, da ich meine Kontrolle verloren hatte, zum anderen hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen dem teuren Essen – aber ich war wieder leicht und leer.
Total benommen wankte ich aus dem Bad um Sport zu machen... Ich konnte nicht anders. Es MUSSTE sein! Wer Essen konnte, konnte auch Trainieren. Irgenetwas in meinem Kopf befahl mir, die "angefressenen" Kalorien wieder ab zu trainieren... und das obwohl diese sich gerade in die Kanalisation ergossen hatten. Trotzdem, ich musste es tun.
Ich begann mein Trainingsprogramm, auch auf die Gefahr hin, dass meine ganze Tagesplanung durch einander kam..... mein Herz raste schon nach den ersten paar Übungen, vor meinen Augen begannen schwarze Punkte zu tanzen.... Und dann gab mein Kreislauf einfach auf............
Ich weiß nicht, wie lange ich wohl dort gelegen habe... Ich war wach, aber irgendwie auch nicht. Ich war in ein dunkles Loch gefallen und sah mir selbst dabei zu... Ich spürte, wie meine Beine nachgaben, ich fühlte, wie ich stürzte und ich sah, wie ich auf den Boden prallte. Dabei hatte ich nur einen einzelnen schnellen Gedanken "Das hat bestimmt weh getan..." ich hatte den Aufprall nicht gefühlt... Eine Weile betrachtete ich mich von oben, ganz verschwommen... und ich war so unglaublich froh, liegen zu können, nicht sitzen, stehen oder laufen zu müssen...
Alles um mich herum fühlte sich weich und warm an, der Boden, die Luft... ich selbst. Ich konnte mich nicht lange so betrachten, dann wurde alles schwarz...
Wie viel Zeit vergangen war, wusste ich nicht, irgendwann schlug ich einfach die Augen auf und starrte an unsere Zimmerdecke. Ich wusste erst nicht recht, was eigentlich passiert war und versuchte mich aufzurichten.
Bei dem stechenden Schmerz, der mir dabei durch den Kopf und sämtliche Knochen fuhr, kam auch mein Gedächtnis zurück – Ich war wohl bewusstlos geworden... Meine Arme waren ganz weich und meine Hände fühlten sich so pelzig an...
Meine Beine waren wie Pudding und diese rasenden Kopfschmerzen hätten am liebsten meinen Schädel gesprengt... Es fiel mir sehr schwer mich aufzurichten und dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich endlich wieder auf den Beinen stand...
Mit war ganz scheußlich zumute... heiß und gleichzeitig kalt. Und ich fühlte mich auf einmal so unbeschreiblich schlapp... ich war froh, dass ich alleine zu Hause war... das hätte sicher eine Menge Ärger und dumme Fragen gegeben...
Mit letzter Kraft schleppte ich mich in mein Zimmer und legte mich ins Bett... wenig später schlief ich wie eine Tote und träumte nichts...........
Fortsetzung folgt