Felix war sich nicht sicher, was sich Lena unter einem 19jährigen weltbewandten Philosophiestudenten vorstellte, aber er befürchtete, dass er dieser Vorstellung mit seiner Bekleidung nicht besonders nahe kommen würde. Aber er musste Prioritäten setzen. Und diesmal war es oberste Priorität, dass Lena ihn nicht erkannte. Er hatte sich seinen Bart rasiert, die Klamotten seines älteren Bruder angezogen und seine Dreadlocks machten das Outfit perfekt. Felix hoffte nur, dass die Perücke hielt. Dazu kam eine Sonnenbrille, die er aufgesetzt hatte, damit sie seine Augen nicht sehen konnte. Das Einzige, was nicht zu dem Gesamteindruck passte, war seine blasse Haut. Aber daran konnte er in der kurzen Zeit einfach nichts ändern. Schließlich versuchte er sich selbst zu beruhigen.
Doch so sehr er es versuchte, er war noch immer voller Zweifel. Im Internet konnte er einfach eine Suchmaschine fragen. Aber im wahren Leben? Würde überhaupt ein vernünftiges Gespräch zustande kommen? Würde Lena ihn mögen? Was wenn nicht? Und was zum Teufel würde er machen, wenn sie wirklich anfing ihn zu mögen und sich etwas Ernstes zwischen ihnen entwickeln würde? Ihr sagen: „Tschuldigung, ich hab dich die ganze Zeit verarscht, aber eigentlich hab ich mich in dich verliebt und ich wusste, dass ich auf normalem Weg nie eine Chance bei dir hätte?“
Lena betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Sie hatte die vergangenen 2 Stunden damit verbracht, ihre Haare und ihr Make-up hinzukriegen, wobei sie sich vor allem an Anleitungen aus einschlägigen Frauenzeitschriften gehalten hatte. Sie drehte sich nach allen Seiten und lächelte ihrem Spiegelbild zu. „Wow. Toll siehst du aus, Lena!“, sagte sie zu sich selbst.
Kurz bevor sie das Haus verließ, betrachtete sie noch einmal das Bild, dass ihre Mutter vor wenigen Monaten von ihre gemalt hatte. Wie anders sie doch darauf aussah. Noch beinahe kindlich. Sie konnte kaum noch glauben, dass das einmal sie gewesen war. Wieder einmal fiel Lena auf, wie sehr sie sich in den letzten Wochen verändert hatte. Sie ließ sich nicht mehr von jedem sagen, was sie zu tun hatte, sie traute sich endlich, ihre Meinung zu vertreten. Und sie himmelte nicht irgendwelche Typen an, bloß weil sie beliebt waren und gut aussahen.
Während ich sie beobachtete, wurde ich beinahe sentimental. Die kleine Lena war groß geworden. Sie wirkte schon beinahe erwachsen. Und sie war makellos schön geworden. Um die Sache mit Felix machte ich mir keine Sorgen. Lena würde das Richtige tun. Sie wusste, was sie tat.
Luft! Das war das Erste, das Penelopé auffiel, nachdem sie ihr Gefängnis verlassen hatte. Endlich Luft, frische, natürliche Landluft. Lara hatte sie zu einem Teich am Waldrand gebracht. Und sie hatte ihr sogar Kleidung gegeben. Normale Kleidung! Nicht wie das kratzige Ding dass sie sonst anhatte. Entspannt setzten sie sich auf den Boden, zwischen zwei kleinen Brunnen. „Ist es nicht schön hier?“, fragte Lara, „So ohne jede Angst, ohne Schmerzen?“ Penelopé nickte entspannt. Die Sonnenstrahlen kitzelten auf ihrer Haut. „Du hattest viel zu viele Schmerzen in deinem Leben, nicht wahr?“, fragte Lara weiter und blickte Penelopé verständnisvoll an. Diese nickte wieder, etwas unschlüssig darüber, woher Lara das wusste. „Glaub mir, ich kenne das. Man hat mir all das weggenommen, was mir gehörte. Man hat mich aus meiner Heimat vertrieben. Und als ich sie endlich wieder gewonnen hatte, hat man mir die Macht genommen.“ Für einen Moment wirkte sie seltsam schwach und verletzlich.
„Was ist passiert?“, fragte Penelopé vorsichtig. Lara begann zu erzählen. Wie man ihrer Familie den Ort Lorenhill entrissen hatte, wie ihre Mutter vergeblich versucht hatte, ihn zurück zu erlangen und gescheitert war. Dann erzählte sie, wie sie es geschafft hatte, sich Lorenhill wieder zu holen. Und nach dieser Geschichte war ich mir sicher, woher mir Lara bekannt vorgekommen war. Schließlich erzählte sie Penelopé, was auch für mich neu war. Wie ihr Sohn sich gegen sie gewendet hatte und sie ihn töten musste. Wie sie ihre Macht verloren hatte, als die Demokratie Einzug gehalten hatte. Wie sie sich dazu gezwungen war, die Räume der ehrwürdigen Schloss Lorenhills an Besucher zu vermieten, um nicht vollkommen bankrott zu gehen. Dann sah sie Penelopé an. „Wirst du mir helfen? Mit deiner Hilfe könnte ich wieder an die Macht kommen. Gemeinsam könnten wir alles schaffen.“
Penelopé überlegte einen Augeblick und ihr Blick wanderte zu den bunten Frauen.
Was waren sie schon? Willenlose Dienerinnen, die nur herumstanden und auf Laras Befehle warteten. Natürlich, sie hatten Macht. Theoretisch. Aber praktisch waren sie nur Laras Werkzeuge. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Nein, so wollte sie nicht enden. „Du würdest nicht so werden, wie sie“, las Lara ihre Gedanken. „Das wäre auch gar nicht möglich. Du bist klug, Penelopé. Und du hast Macht. Viel Macht. Ich bitte dich nicht darum, meine Dienerin zu werden. Ich bitte dich darum, mir zu helfen.“ „Ach ja? Und wozu würde ich denn dann werden? Was wird passieren, wenn ich mich dir anschließe?“, fragte Penelopé skeptisch. Lara wies auf einen der Brunnen. „Schau hinein.“, sagte sie.
(geht gleich weiter)