Jodi Picoult :: Beim Leben meiner Schwester
>>Leg dich nicht mit dem System an, Anna<<, sagt er verbittert. >>Wir haben hier alle unsere festen Rollen. Kate spielt die Märtyrerin. Ich bin die große Enttäuschung. Und du, du bist der Friedensengel.<<
S.21
>>Meine Schwester ist todkrank, und meine Mutter will, dass ich für sie eine Niere spende<<, sagt sie aufgebracht. >>Ich glaube kaum, dass das Problem mit einer Handvoll kostenloser Kondome gelöst werden kann.<<
S.27
Bevor ich erkannte, dass das Lächeln eines Kindes eine Tätowierung ist: unauslöschbare Kunst.
S.34
Ich glaube an schicksalhafte Überschneidungen im Leben, dass wir gewaltige, weitreichende Entscheidungen treffen, ohne dass uns das in dem Augenblick klar ist. Wenn wir zum Beispiel an einer roten Ampel die Schlagzeilen der Zeitung überfliegen und deshalb etwas verzögert bei Grün losfahren und nicht von dem Lkw erfasst werden, der noch eben bei Rot auf die Kreuzung gerast ist. Wenn wir spontan in einen Coffee-Shop gehen und deshalb den Mann kennenlernen, den wir später heiraten werden, weil er gerade an der Theke in seiner Tasche nach Kleingeld kramt.
S.38
Als sie Kates Gesicht sanft zur Seite drehen, ist das Papiertuch unter ihrer Wange feucht. Meine Tochter lehrt mich, dass man zum Weinen nicht wach sein muss.
S.42
>>Eine Frau<<, sage ich, >>ist wie ein Lagerfeuer.<<
Paulie wirft die Zeitung hin und johlt. >>Hört, hört: das Tao von Captain Fitzgerald.<<
Ich achte nicht auf ihn. >>Ein Feuer ist etwas Wunderschönes, nicht? Wir schauen gebannt hinein, wenn es brennt. Wenn wir es im Zaum halten können, schenkt es uns Licht und Wärme. Nur wenn es außer Kontrolle gerät, müssen wir in die Offensive gehen.<<
S.50
>>Ich möchte mit meiner Mandantin sprechen<<, sagt Campbell Alexander.
>>Im Moment ist sie meine Tochter<<, sagt meine Mutter, und sie nimmt meine Hand und zerrt mich vom Stuhl. An der Tür kann ich mich noch einmal umdrehen. Campbell Alexander schäumt. Ich hätte ihm sagen können, dass es so kommen würde. Tochter übertrumpft alles, egal was gespielt wird.
S.106
In meiner Familie ist es eine traurige Gewohnheit, dass wir nicht das sagen, was wir sagen sollten, und das, was wir sagen, nicht so meinen.
S.108
Gammastrahlen, Leukämie, Elternschaft. Gerade die Dinge, die man nicht sehen kann, sind stark genug, um dich umzubringen.
S.124
Die Onkologie hat ihre eigene Logik. Es ist zwar nirgends schwarz auf weiß zu lesen, aber viele glauben daran: Wenn dir nicht richtig schlecht wird, wirst du auch nicht gesund. Wenn dich also deine Chemo völlig elend macht, wenn die Bestrahlung dir die Haut verbrennt – dann ist alles bestens. Wenn du deine Therapie dagegen mit nur ein bisschen Übelkeit und Schmerzen bewältigst, dann steht zu befürchten, dass die Medikamente irgendwie von deinem Körper ausgeschieden wurden und wirkungslos bleiben.
S.124/125
>>Wie sehen denn Väter aus – oder Mütter?<<
Sie scheint kurz darüber nachzudenken. >>Na ja , wie so Hochseilartisten im Zirkus, die so tun, als wäre das ein tolles Kunststück, dabei sieht man ihnen an, dass sie eigentlich bloß hoffen, irgendwie sicher auf die andere Seite zu kommen. So sehen Eltern aus.<<
S.148
Ein Foto sagt: Du warst glücklich, und das wollte ich festhalten.
Ein Foto sagt: Du warst mir so wichtig, dass ich alles andere weggelegt habe, um dir zuzuschauen.
S.155
Aber Kinder bleiben nun mal nicht da, wo sie sein sollten. Du drehst dich einmal um, und schwups ist sie nicht mehr in ihrem Zimmer sondern versteckt sich im Schrank; du drehst dich einmal um, und schwups ist sie nicht mehr drei, sondern dreizehn. Eltern zu sein bedeutet eigentlich bloß, die Kinder nicht aus den Augen zu verlieren, zu hoffen, dass sie nicht so weit weglaufen, dass man nicht mehr sieht, was sie als nächstes tun.
S.176
Ich bin Feuerwehrmann geworden, weil ich Menschen retten wollte. Aber ich hätte genauer sein sollen. Ich hätte Namen nenne sollen.
S.177
>>Ihre sexuellen Erlebnisse<<, stellte Seven fest, >>hören sich an wie ein Auffahrunfall.<<
Aber das stimmt nicht ganz. Ein Unfall ist ein Unfall. Ich dagegen springe ja förmlich vor fahrende Autos. Ich lege mich sogar mitten auf die Fahrbahn. In mir steckt irgendein irrationaler Teil, der noch immer daran glaubt, dass Supermann sich nur dann bemüßigt sieht, jemanden zu retten, wenn der es
auch wert ist, gerettet zu werden.
S.189
>>Wissen Sie, was Ballerinen haben?<<
Essstörungen, denke ich.
S.193
Seit ich sieben bin, weiß ich, wir ich entstanden bin, und es war keine große Sache für mich. Erstens einmal, als meine Eltern es mir erzählten, fand ich die Vorstellung, dass sie Sex miteinander hatten, ekelhafter als den Gedanken, in einer Petrischale erschaffen worden zu sein. Zweitens nahmen zu der Zeit schon unzählige Frauen Fruchtbarkeitshormone und brachten Siebenlinge zur Welt, weshalb meine Geschichte so originell gar nicht mehr war. Aber ein Designerbaby? Von wegen. Wenn meine Eltern schon so einen Aufwand mit mir betrieben haben, dann hätten sie mir auch gleich die Gene für Gehorsam, Demut und Dankbarkeit einpflanzen können.
S.216/217
Es gibt nämlich zum Beispiel einen Ort namens Little Compton, aber keinen, der Big Compton heißt. Es gibt Upper Darby, aber kein Lower Darby. Alle möglichen Ortsnamen grenzen sich von etwas ab, das gar nicht existiert.
S.248
>>Ich bin es satt, dass als Ersatzteillager herhalten zu müssen. Ich bin es satt, dass keiner mich fragt, wie es mir dabei geht. Es macht mich krank, aber eben nie krank genug für diese Familie.<<
S.257
Eine Onkologiestation ist wie ein Schlachtfeld, und es gibt eine glasklare Befehlshierarchie. Die Patienten sind die einfachen Soldaten. Die Ärzte kommen wir strahlende Helden hereingefegt, um gleich wieder zu verschwinden, aber sie müssen auf dem Krankenblatt deines Kindes nachsehen, wie der Stand der Dinge beim vorherigen Besuch war. Die Krankenschwestern sind die fronterfahrenen Feldwebel – sie sind zur Stelle, wenn dein Kind so hohes Fieber hat, dass es in Eis gebadet werden muss, sie bringen dir bei, wie man einen Portkatheter durchspült, oder geben dir einen Tip, aus welcher Stationsküche du noch Lutscher stibitzen kannst, oder sagen dir, welche Reinigung auch Blut- und Chemotherapieflecken herausbekommt. Die Krankenschwestern wissen, wie das Stoffwalross deiner Tochter heißt, und zeigen ihr, wie man aus Papierhandtüchern Blumen bastelt, mit dem sie ihren Infusionsständer schmücken kann. Die Ärzte planen zwar die Feldzüge, aber die Krankenschwestern machen den Kampf erträglich.
S.269/270
Mit Ärzten, die als Zeugen vorgeladen werden, ist das so eine Sache: Sie vermitteln mit jeder Silbe, jedem Wort, dass nichts an ihrer Aussage die Tatsache aus der Welt schafft, dass Patienten auf sie warten und Menschen sterben, während sie förmlich unter Zwang im Zeugenstand sitzen. Ehrlich gesagt, stinkt mir das gewaltig. Und ich kann einfach nicht anders, als die Sache irgendwie hinauszuzögern: Ich bitte um eine kurze Pinkelpause, nehme mir Zeit, um einen Schuh zuzubinden, sammele meine Gedanken und fülle Sätze mit bedeutungsschwangeren Pausen – alles nur im sie noch ein kleines bisschen länger zur Weißglut zu treiben.
S.382
>>Dr. Beata Neaux<<, sagt die Psychiaterin. >>1250 Orrick Way, Woonsocket.<<
Dr. No. Ich sehe mich im Saal um, aber anscheinend bin ich hier der einzige James-Bond-Fan. Ich nehme einen Block und schreibe einen Kommentar für Anna. Wenn sie mit Dr. Chance verheiratet wäre, hieße sie Dr. Neaux-Chance.
Ein Lächeln zuckt um Annas Mundwinkeln. Sie hebt den runtergefallenen Stift auf und schreibt: Und wenn sie sich scheiden ließe und sie heiraten würde, dann wäre sie Dr. Neaux-Chance-Alexander.
S. 413/414
>>Man liebt einen anderen Menschen nicht, weil er vollkommen ist<<, sagt sie. >> Man liebt ihn, obwohl er es nicht ist.<<
S.435
>>Aber das ändert sich schlagartig, sobald man Vater oder Mutter geworden ist und der Mensch in dem brennenden Gebäude das eigene Kind ist. In diesem Fall würde nicht nur jeder verstehen, wenn man hineinliefe, um sein Kind rauszuholen – alle würde es erwarten.<<
Ich hole tief Luft. >>In meinem Leben gab es auch so ein brennendes Haus, und eines meiner Kinder war darin – aber die einzige Möglichkeit, es zu retten, war die, meine zweite Tochter hineinzuschicken, weil nur sie den Weg kannte. Ja, ich wusste, dass es gefährlich ist. Ja, mir war klar, dass ich sie möglicherweise beiden verlieren könnte. Ja, ich sehe ein, dass es vielleicht nicht fair war, sie darum zu bitten. Aber ich wusste auch, dass es die einzige Chance war, sie beide zu behalten. War es legen? War es moralisch vertretbar? War es verrückt oder töricht oder grausam? Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Es war richtig.<<
S.455/456
Alexanders Sprüche über seinen Hund:
>>Ich habe eine eiserne Lunge<<, sagt Campbell Alexander knapp, >>und der Hund passt auf, dass ich nicht zu nah an Magneten rangehe.<<
S.25
>>Wofür ist Bello denn dann da?<<
>>Ich habe SARS<<, erwidere ich. >>Er registriert die Leute, die ich anstecke. <<
S.91
>>Das ist ein Servicehund.<<
Verwirrt beugt sich der Pförtner vor und sieht sich meine Augen an. Ich mache das gleiche bei ihm. >>Ich bin kurzsichtig. Er hilft mir die Straßenschilder lesen.<<
S.97
>>Das ist ein Servicehund.<< Da ihm das offenbar nichts sagt, helfe ich ihm auf die Sprünge. >>So was Ähnliches wie ein Blindenhund.<<
>>Sie sehen aber nicht blind aus.<<
>>Ich bin Alkoholiker auf Entzug<<, erkläre ich. >>Der Hund passt auf, dass ich mir kein Bier bestelle.<<
S.149
>>Das ist ein Servicehund.<<
>>Sie sind nicht blind.<<
>>Ich habe Herzrhythmusstörungen, und er ist in Erste Hilfe ausgebildet.<<
S.239
>>Das ist ein Servicehund, er kann nicht draußen bleiben.<<
Luigi beugt sich bis dicht vor mein Gesicht. >>Sind Sie blind?<<
>>Farbenblind<<, erwidere ich. >>Er gibt mir Bescheid, wenn die Ampel umspringt.<<
S.245
>>Was ist denn nun mit dem Hund?<<
>>Er dolmetscht für meine spanisch sprechenden Mandanten.<<
S.246
>>Wozu ist der Hund da?<<
>>Er lockt Frauen an<<, sagt der Anwalt.
S.258
>>Vor vielen Jahren hatte ich eine schlimme Entzündung im Ohr. Aber aus irgendeinem Grund schlugen die Medikamente nicht an, und der Gehörnerv wurde beschädigt. Ich bin auf dem linken Ohr völlig taub. Ich kann damit leben, aber bestimmte Sachen im Alltag klappen nicht mehr. Ich kann zwar hören, wenn ein Auto kommt, aber ich weiß nicht aus welcher Richtung. Oder im Supermarkt steht jemand hinter mir im Gang und will vorbei, und ich höre nicht, dass ich angesprochen werde. Ich habe Judge so abrichten lassen, dass er in diesen Fällen mein Gehör ist.<<
S.337/338
Ich bin Epileptiker, und der Hund warnt mich, wenn sich ein Anfall ankündigt. Ich überlege, ob ich es nicht einfach mal sagen soll, eine Premiere. Aber andererseits, man muss doch auch über sich selbst lachen können, oder? >>Ich bin Anwalt<<, sage ich und grinse sie an. >>Der Hund wittert Unfälle, aus denen ich Kapital schlagen kann.<<
S. 458
Ein rührendes Buch. Jetzt muss ich den Film sehen.