Es war ein düsterer Tag und trotzdem ging Sandy am Strand spazieren. Außer ihr waren nicht sehr viele Leute unterwegs und die ganze Zeit schon beschlich sie so ein eigenartiges Gefühl, welches sie sich nicht erklären konnte. Immer wieder drehte sie sich um, um zu schauen, ob ihr jemand folgte und unwillkürlich ging sie schneller. Es war noch ein langer Weg bis zu ihrem Ziel... Doch hatte sie eigentlich ein Ziel?
Umso mehr die Angst in ihr aufkeimte, umso weniger klar konnte sie denken. Sie konnte sich diese eigentlich Angst nicht erklären, sie war einfach da. Nach Außen hin wirkte sie ganz ruhig und gelassen. Doch innerlich versuchte Sandy mit aller Mühe die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken und einen klaren Gedanken zu fassen. Doch das wollte ihr nicht gelingen und so stieg sie die nächste Steintreppe des Strandes hoch und setzte sich auf ihre Lieblingsbank, auf die sie sich immer setzte, wenn sie nachdenken musste. Der Wind tanzte um ihre Nasenspitze und streichelte ihr langes schwarzes Haar. Sandy schloss die Augen und genoss die warme, vertraute Brise. So saß sie eine Weile auf der Bank beim Meer und dachte nach. Sie ließ sich alles,was an diesem Tag passiert war durch den Kopf gehen und vergaß für kurze Zeit ihre unerklärbare Angst...
"Hey, was machst du denn hier?", holte eine überraschte und zugleich vertraute Stimme Sandy aus ihren Gedanken. Sie drehte sich langsam und völlig verwirrt sah sie sich um. Sie konnte niemanden sehen. War es nur Einbildung?Aber sie hat es doch so deutlich gehört. Was ging hier an dem verlassenen Strand nur vor sich? Sandy beschloss nach Hause zu gehen. Es dämmerte schon und es würde nicht lange dauern bis es dunkel wurde. Sie blickte nochmal auf zu Meer und atmete tief ein.
Dann drehte sie sich um und wollte gehen, doch da stand auf einmal Mädchen vor ihr. Es hatte lange glatte schwarze Haare und war ziemlich klein. Es stand barfuß im Sand, den Kopf gesenkt, sodass ihr Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Sandy ging auf sie zu und blieb zwei Schritte vor dem Mädchen entfernt stehen. Ihr Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an-es war ein Mädchen aus ihrer Klasse. Sandy wusste nicht viel von ihr, denn sie war irgendwie eigenartig. Nie hatte sie mit einem Mitschüler gesprochen und sie meldete sich im Unterricht nur sehr selten.
"Hallo",sagte Sandy entschlossen...
Das Mädchen stolperte ein paar Schritte rückwärts. "Cassandra, nicht war?". Sandy war es ziemlich peinlich, dass sie den Namen ihrer Mitschülerin nicht genau wusste, doch schließlich nickte Cassandra schüchtern. Um die peinliche Stille zu brechen fragte Sandy: "Was machst du denn hier, auch die frische Luft genießen?". Sie lächelte freundlich. Schließlich stammelte Cassandra:"Ja und Nein. Ich muss noch ein paar Fotos für mein Referat am Mittwoch schießen, du weißt ja, übers Meer und so...". Das wusste Sandy eigentlich nicht, stimmte ihr dann aber doch höflich zu. Und so kam es, dass sie mit der ihr sonst so fremden Klassenkameradin ins Gespräch kam. Sie suchten nach ein paar guten Motiven für das Referat und plötzlich fiel Sandy wieder die mysteriöse Stimme bei der Bank ein...
"Sag mal, hast du auch jemanden reden hören?", fragte sie Cassandra. Doch diese wusste nicht, wovon sie sprach, also tat sie es vorläufig ab und probierte, das Gespräch mit Cassandra weiter auszubauen. Sie gab ihr noch ein paar Tipps für das Referat, welches über Möwen und ihren natürlichen Lebensraum handelte. Nach einer Weile wurde es ihr kühl. Und so fragte sie Cassandra, ob sie nicht Lust hätte, mit ihr im Strandcafe eine heiße Schokolade zu trinken und dort weiter zu plaudern. "Gerne", antwortete sie und so machten sie sich auf den Weg.
Kurze Zeit später saßen sie zusammen im Strandcafe und unterhielten sich wie alte Freundinnen. Sandy war etwas überrascht, wie gut sie sich mit Cassandra verstand und bereute es, sie nie angesprochen zu haben. Doch nach einer Weile bemerkte Sandy, dass Cassandra immer wieder einen nervösen Blick zur Tür warf und auch sonst irgendwie unsicher wirkte. Kurzentschlossen drehte sich Sandy zur Tür um. In unmittelbarer Nähe der Tür stand ein großer Mann mit stechenden blauen Augen. Sandy war er auf irgendeine Art und Weise, die sie nicht recht begründen konnte, unsympathisch.
"Kennst du den Typ da?", fragte Sandy kurzentschlossen, "du schaust so oft zu ihm rüber." Cassandra schreckte auf. "Ach was... äähh... ich glaub es wird jetzt Zeit, dass ich nach Hause gehe." Sandy wusste, dass ihre Eltern sehr streng waren, das hatte Cassandra bei all ihren Gesprächsthemen immer irgendwie zum Ausdruck gebracht, aber das war sicher nicht der einzige Grund. "Ja gut, es wird auch für mich Zeit", sagte Sandy , "und es war wirklich ein schöner Nachmittag, also...". Noch immer warf Cassandra flüchtige Seitenblicke zur Tür und Sandy wurde langsam misstrauisch. "Und du meinst wirklich, das alles in Ordnung ist?". "Oh! Äh, ja natürlich, auch vielen Dank für den wunderschönen Nachmittag und danke, dass du mir beim Referat geholfen hast", meinte Cassandra schnell, und prompt schnappte sie nach ihrer Jacke und rannte aus dem Café...
Sandy sah ihr nach und musste feststellen, dass der Typ hinter Cassandra hereilte. "Und dann will sie mir erklären, dass sie ihn nicht kennt! Da stimmt doch etwas nicht.", dachte Sandy. "Eigentlich geht es mich ja nichts an, ich kenne Cassandra ja kaum." Aber ihr Gefühl sagte Sandy, dass sie sich beeilen sollte, um den beiden nachzulaufen.
Sandy drückte der etwas verblüfften Kellnerin einen Geldschein in die Hand und lief den beiden hinterher. Zuerst dachte sie, sie hätte die Spur der beiden verloren, als sie Cassandra und den seltsamen Mann wild gestikulierend am Strand sah. Sie schienen sich über etwas zu streiten. Beide waren völlig aufgebracht. Vorsichtig schlich Sandy zu einem naheliegenden Strandkorb und versteckte sich dahinter. Nun konnte sie fast jedes Wort des Streites hören...
"Nein,lass mich los!", sagte Cassandra mit verängstigter Stimme. Der Mann hatte eine raue, sehr unangenehme Stimme: "Jetzt hör mir mal zu,du kleine Schlampe! Wo ist es? Sag es mir, sonst lernst du mich von meiner schlimmsten Seite kennen! Antworte endlich!"
Cassandra find an zu weinen. Im Mondschein konnte Sandy ihr tränenverschmiertes Gesicht erkennen. Der Typ hielt sie am Handgelenk fest und drückte es so fest, dass Cassandra vor Schmerz kurz aufschrie. Sie flehte, er solle sie loslassen,aber daran dachte er nicht...
"Also, ich sag es dir zum letzten mal, denn meine Geduld ist langsam aufgebraucht. Entweder du beschaffst mir das Ding in den nächsten drei Tagen, oder...". Er machte eine grauenvolle Geste, grinste noch ein Mal Unheil verkündend und verschwand daraufhin in der Dunkelheit. Cassandra ließ sich in den Sand fallen und fing wieder verzweifelt an zu schluchzen. Sandy überlegte, ob sie zu ihr eilen sollte, doch gerade als sie einen Fuß in ihre Richtung setzen wollte, rappelte sich Cassandra hoch und eilte nach Hause...
Was wollte der seltsame Mann von Cassandra? Diese Frage beschäftigte Sandy auch noch im Laufe des nächsten Schultages. Immer wieder beobachtete sie Cassandra von der Seite. Cassandra wirkte wie immer unsicher und ihr ernster Blick verriet, dass sie sich Sorgen machte. Sandy hätte sie gerne nach dem gestrigen Vorfall gefragt, aber irgendwie traute sie sich das nicht. Außerdem war es Cassandra vielleicht unangenehm, dass Sandy alles mitbekommen hatte...
Sie war überrascht, als Cassandra sie in der Hofpause mit leiser Stimme ansprach: "Bitte, kommst du mit raus auf den Hof?! Ich möchte mit dir reden...!" "Ja klar", antwortete Sandy. "Geht es um diesen seltsamen Mann, der dich gestern verfolgt hat?" Cassandra war ein wenig schockiert. "Woher weißt du...!" "Ich bin hinter euch her gerannt und versteckte mich hinter einem Strandkorb, um mitzubekommen, was er von dir will. Aber viel wars ja nicht..." Cassandra schien es nicht so lustig zu finden, doch dann fing sie an zu erklären...
Sie begann zögerlich: "Hm... also. Dieser Mann verfolgt mich schon sehr lange! Fast überall wo ich bin, beobachtet er mich. Ich habe langsam sogar Angst, vor die Tür zu gehen." Sandy fragte etwas verwirrt: "Aber - warum verfolgt er dich?" "Naja...", Cassandra sprach nun leiser, "...ich habe etwas am Strand gefunden, das er wiederhaben will." "Was ist es denn?", fragte Sandy aufgeregt. Sie war es langsam Leid, ihr alles immer einzeln aus der Nase zu ziehen. Stille. Kurz darauf begann Kassandra wieder an zu sprechen:
"Naja, also...", sie kramte in ihrer Jackeninnentasche, "das hier". In ihrer zitternden Hand lag ein goldenes Amulett mit einem eingravierten Totenkopf. "Das ist ja echt gruselig", meinte Sandy begeistert, "hast du eine Ahnung, was es bedeutet?". "Nun ja...", Cassandra steckte das Amulett schnell wieder ein und begann dann hastig an zu flüstern: "Ich hab in ein paar alten Büchern meiner Großmutter nachgeschlagen, du weißt doch sie glaubt an Hexen und Magie...". Sandy nickte aufmerksam. "Naja, und da hab ich ein Bild gefunden mit diesem Medallion, gerade zu identisch! Und weißt du, was als Bemerkung drunter stand?!". Doch plötzlich wurden die beiden unterbrochen...