Ich musste erst bei dem Spinnweb-Spiel mitmachen, deshalb geht's erst heute weiter, und diesmal isses echt viel
Semesterferien und andere Katastrophen - XIII.
Wahrheit und Lüge
Fünf Tage war es her, dass Lucille bei uns „eingezogen“ war, und sie war mehr als vorsichtig, mit allem was sie sagte oder tat.
Meine Mom war sofort dafür gewesen, dass sie bei uns blieb, während mein Dad…na ja, ihr könnt es euch denken.
Die ersten beiden Tage hatte Lucy fast ausschließlich mit Selbstvorwürfen verbracht, und mit Heulen; aber mittlerweile hatte sie sich wieder so weit in der Gewalt, dass sie nicht mehr in Tränen ausbrach, wenn sie sich nur im Spiegel ansah.
Am Nachmittag war Sidney vorbeigekommen, wie fast jeden Nachmittag, seit unserer „Aussprache“, und ich bekniete ihn dieses Mal, endlich zu Lestat rüber zu gehen, und mit ihm zu reden, denn so wie die Situation war, konnte es nicht weitergehen.
Er hatte zwar Bedenken, weil er der Meinung war, dass wir uns am besten nicht einmischen würden, ging aber schließlich doch, und wenn es nur mir zu Liebe war.
Außerdem hatte ich Lucille dazu überreden können, nicht den ganzen Tag im Haus herumzuhocken, und so hatte sie sich schließlich angeboten, für uns einkaufen zu gehen, und wollte später ein opulentes Abendessen kochen.
Daniel war – wie könnte es anders sein – am frühen Nachmittag zu Travis gegangen.
Bisher hatte ich mich zusammenreißen können, und weder meiner Mom noch meinem Dad etwas erzählt, auch wenn es mir unter den Nägeln brannte, wenigstens meiner Mom etwas zu sagen.
Ich hatte den Nachmittag also für mich, und bestellte eine Masseurin; nach dem ganzen Theater hatte auch ich mir etwas Entspannung verdient.
Grade hatte ich mich auf der Pritsche ausgestreckt und begann, die Massage wirklich zu genießen, und an nichts zu denken, als ich lautstark meine Eltern aus der Küche hörte.
„…dir gleich gesagt, das geht nicht gut!“
„Jetzt beruhig dich erstmal…nichts passiert.“
„NICHTS PASSIERT?
…mich vor der ganzen Stadt!
Und du… nichts passiert!“
„…verliebt…du nichts ändern!“
„…immer gesagt…nicht normal!“
„…IST normal…selbst wissen…glücklich…“
„…damals gesagt…nicht will, aber nein…“
„Du warst einverstanden!“
„…wusste ich nicht…missraten...DEIN SOHN!“
Das war’s, zuerst wurde die Küchentür, dann die Haustür lautstark zugeschlagen; mein Dad, dessen Stimme ich zuerst gehört habe, hatte offenbar das Haus verlassen.
Ich erhob mich augenblicklich von der Pritsche, und entlohnte und entließ den Masseur; schlimm genug, dass er den Streit bis hierher mitbekommen hatte.
Meine Mom fand ich auf dem Sofa in der oberen Halle – nicht weinend, aber sichtlich am Boden zerstört.
„Mom…?“
Ich setzte mich ohne zu fragen neben sie.
„Was…ist passiert…?“
Sie antwortete nicht gleich, so dass ich schon zweifelte, dass sie meine Frage gehört hatte.
Schließlich sah sie mich an.
„Dein Dad…hat Daniel in der Stadt gesehen…mit diesem neu hierher gezogenen Typen.“
Ich schluckte hart – ich hatte gar nichts sagen brauchen, mein Dad war mir, mal wieder, zuvor gekommen.
„Verstehe…“
„Hast du davon gewusst Hannah?
Ich hatte eigentlich gedacht, dass du vielleicht…ich meine natürlich, bevor du wieder mit Sidney zusammen gekommen bist…“
„Nein ich…“, ich überlegte kurz, es hatte jetzt auch keinen Sinn mehr, mein Wissen für mich zu behalten, „Ja, Daniel hat mir vor ein paar Tagen davon erzählt.“
Meine Mutter nickte nur kurz.
„Dad kriegt sich schon wieder ein, wir wissen doch alle, wie er ist…“
Sie sah mich an: „Diesmal nicht…er wird Daniel wahrscheinlich vor die Tür setzen.
Wie er es schon so oft vorhatte.
Ich zog meine Brauen zusammen: „So oft vorhatte?
Sie haben sich nie besonders gut verstanden, und Dad hat Daniel oft strammstehen lassen, aber rausschmeißen, weil er sich verliebt hat?“
„Hannah…Daniel ist…nicht Todds Sohn.
Er ist nur dein Halbbruder.“
Das traf mich wie eine Keule ins Gesicht.
Hatte ich eben noch überlegt, meiner Mom einen Schnaps einzuschenken, damit sie sich beruhigte, dachte ich nun darüber nach, mir lieber selbst einen zu holen.
„Mein HALBBRUDER?!“, platzte ich hervor.
„Aber…wieso…ich meine…wie…?!“
Meine Mom atmete tief durch, und setzte sich gerade hin.
„Bevor ich deinen Vater kennen lernte, gab es einen anderen, er hieß Alan.
Wir waren…sechs Jahre zusammen.
Wie Sid und du studierten wir zusammen, er Medizin, ich Psychologie.
Wir hatten grade beide den Abschluss in der Tasche, wollten uns ein Haus kaufen, eine Familie gründen.“
Sie unterbrach sich; es fiel ihr sichtlich schwer, über ihre Vergangenheit zu reden.
„Bis eines Tages…ich weiß nicht, was ihn dazu trieb, es war nicht seine Art, und er überfuhr mich damit, wie ein Bus.
Er dachte daran, nach Afrika zu gehen, er meinte, dort werde er mehr gebraucht als hier, wo die medizinische Versorgung sowieso schon eine der besten der Welt wäre.
Ich wollte es ihm ausreden, aber es hat nichts genutzt.
Ich verstand, dass er helfen wolle, es ehrte ihn, aber ich verstand seine Gründe nicht.“
Abermals stockte sie.
„Und er ging, schneller, als ich es erwartet hatte.
Ich konnte nichts dagegen tun…“, sie wischte sich eine Träne aus dem Auge, bevor sie fort fuhr.
„Ich hatte ihn so geliebt…ich wollte nur ihn, und in den ersten Monaten zerriss es mir das Herz, ihn nicht mehr um mich zu haben.
Und dann kam dein Dad.
Ich lernte ihn auf dem Geburtstag einer meiner Freundinnen kennen; weiß der Teufel, wie ich es damals auf die Party geschafft habe.
Er war aufmerksam, und überschüttete mich an jenem Abend mit Komplimenten, sorgte dafür, dass ich immer etwas zu trinken hatte, unterhielt mich, und brachte mich schließlich nach Hause.
Damals übrigens noch in einem ziemlich verlotterten Käfer, nicht in einer seiner Luxuskarossen, die er heute fährt; er war damals noch ein kleiner Bote bei Epic, bevor er sein eigenes Label gründete.
Ich wollte nichts von ihm, dazu hatte ich Alan zu sehr geliebt, und dein Dad gefiel mir damals nicht mal besonders.
Aber er ließ nicht locker, überraschte mich in den folgenden Monaten immer wieder mit Blumen und Geschenken, lud mich zum Essen ein.
Zuerst wollte ich nichts mehr, als ihn wieder loswerden, bis ich bemerkte, dass er mich zum Lachen brachte…das erste Mal, dass ich wieder wirklich befreit lachen konnte, seit Alan gegangen war.
Und eines Abends, wir waren im Kino gewesen, und anschließend hatten wir noch etwas getrunken…übernachtete er bei mir.“
Sie seufzte tief, und man konnte ihr ihre Erschöpfung ansehen.
„Wie dem auch sei, wir wurden ein Paar, und zwei Monate später fragte er mich, ob ich seine Frau werden will.
Alan hatte mich das nie gefragt, auch wenn ich insgeheim damit gerechnet hatte, dass er irgendwann fragen würde.
Nun, aber der war in Afrika, und dein Dad war hier, und so heirateten wir.
Den Rest kennst du.“
Sie endete, und sah mich an.
„Nein Mom…ich weiß, wie Dad sein Label gegründet hat, wie er die Stars den anderen Labels abgeworben hat, aber…verdammt, was ist mit Daniel?“
Abermals seufzte sie, bevor sie endlich ihre Erzählung fortsetzte.
„Es war…vor fast zwanzig Jahren.
Dein Dad hatte gerade einen Vertrag mit einer Gruppe von viel versprechenden Newcomern geschlossen, und wolle gleich ein Album mit ihnen aufnehmen.
Er war wochenlang nicht mehr als ein paar Stunden zu Hause, schlief teilweise sogar im Studio, und so langweilte ich mich, trotzdem ich dich den ganzen Tag um die Nase hatte.
An einem Freitag brachte ich dich zu meinen Eltern, ich wollte endlich mal wieder ausgehen und Spaß haben.
Ich ging ins „Weatherby“, den Club wirst du nicht mehr kennen, er wurde vor fast fünfzehn Jahren dem Erdboden gleich gemacht, aber damals war das der Club.
Endlich war ich wieder unter Menschen, tanzte und lachte, bis mir jemand auf die Schulter tippte.
Ich drehte mich um, und mich traf fast der Schlag.
Vor mir stand Alan.“
Ich lauschte atemlos ihrer Geschichte.
„Ich hatte ihn damals fünf Jahre lang nicht gesehen, aber als er vor mir stand, war schlagartig der alte Zauber wieder da.
Es war, als hätten wir uns niemals getrennt.
Wir scherzten und lachten, bis wir irgendwann darauf zu sprechen kamen, warum er überhaupt gegangen war.
„Ich habe damals glaube ich einfach kalte Füße bekommen“, sagte er, während er meine Hand nahm.
„Elaine…ich bin nicht gegangen, weil ich dich nicht mehr liebte.
Ich bin gegangen, weil ich dich zu sehr liebte.
Ich hatte Angst vor mir selbst, Angst, dass ich dich irgendwann verlieren könnte, Angst, nicht alles richtig zu machen.“
Unablässig streichelte er meine Hand, und ich war kurz vorm Heulen.
„Und deshalb fandest du es besser, dich einfach aus dem Staub zu machen, ja?
Mich einfach sitzen zu lassen, auf einem Trümmerhaufen, meine Träume und all meine Wünsche sterben zu lassen.
Das war feige Alan.“
Ich wollte aufstehen und gehen, doch er hielt mich zurück.
Elaine…ich bin gekommen, um es wieder gut zu machen…“, sagte er leise.
„Wieder gut machen? Nach fünf Jahren?
Wie du siehst bin ich verheiratet, es gibt nichts, was du wieder gut machen könntest.
Ich wünsche dir noch ein schönes Leben, Alan.“
Er hielt noch immer meinen Arm fest, und sah mir in die Augen.
„Ich sehe, dass du verheiratet bist…Elaine, liebst du ihn?“
Damit hatte er mich getroffen, ich konnte ihm nicht mehr antworten, und brauchte es auch nicht.“
Sie sah vor sich hin, in ihren Erinnerungen versunken, bevor sie wieder anhob.
„Es war mitten in der Nacht, als er mich nach Hause begleiten wollte.
Auf unserem Weg kamen wir an einem Motel vorbei, eine billige Absteige, die den Namen Motel nicht mal verdient hatte, so heruntergekommen war das Ganze.
Wir brauchten uns nur anzusehen, und jeder wusste vom anderen, was er dachte.
Wir mieteten ein Zimmer, für diese eine Nacht, der Typ an der Rezeption grinste anzüglich, doch nicht einmal da hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Schließlich wollten wir ja nur „Reden“, und das taten wir, aber es war alles gesagt, und das wussten wir.
Als wir zusammen saßen, war es wie früher, und obwohl auch wenn es falsch war, verbrachten wir schließlich die Nacht miteinander.
Und…Daniel ist das Ergebnis dieser Nacht.
Es brach mir fast das Herz, als wir uns verabschiedeten, und er mich zum letzten Mal küsste.
Er strich mir das Haar aus dem Gesicht und sagte: „Alles wird gut Elaine…alles wird wieder gut…“
[I]
Wie ich wünschte, er hätte Recht behalten…“, die letzten Worte kamen nur sehr leise über ihre Lippen, bevor sie endgültig endete; es gab nichts mehr zu sagen.
„Du hast…Alan nie wieder gesehen?“
„Nein, nie wieder.
Als ich wusste, dass ich schwanger war, und dass das Kind nicht von Todd sein konnte, habe ich ihn angerufen, um ihm zu sagen, dass er Vater würde.
Und ich fand es das Beste, dass wir uns nicht wieder sehen würden.“
„Mom…du meinst, du hast ihm nicht mal erlaubt, sein eigenes Kind zu sehen?“
„Was sollte ich denn machen?
Ich liebte ihn, er liebte mich, ja, aber eine Scheidung wäre damals der Todesstoß gewesen, damals war die Gesellschaft noch nicht so tolerant, wie heute Hannah.
Und abgesehen davon waren meine Eltern erzkatholisch, was hätte ich tun sollen?“
„Aber was hat Dad dazu gesagt?!“
„Nun…ich habe lange mit mir gerungen, bevor ich ihm überhaupt etwas sagen konnte.
Großer Gott, ich habe sogar überlegt, ob ich ihm das Kind nicht einfach unterschieben sollte.
Für eine Abtreibung war es bereits zu spät, und selbst wenn nicht, ich hätte das nie übers Herz gebracht.
Irgendwann siegte mein Gewissen, und ich habe ihm alles gebeichtet, alles.
Ich dachte, er würde durchdrehen und mich vor die Tür setzen, und insgeheim freute ich mich sogar über diese Möglichkeit, schließlich hätte ich dann doch noch einen Weg gefunden, mit Alan zusammen zu sein.
Aber nichts davon passierte.
Er freute sich sogar, und meinte, es würde dem kleinen an nichts fehlen, und er würde ihn aufziehen, wie seinen eigenen Sohn.“
„…was er nie getan hat“, warf ich ein.
„Nein, dass hat er nie getan, er hat Daniel von Anfang an behandelt, wie einen Aussätzigen.
Ich glaube, er wollte mich unbedingt an sich binden, ich übte keinen Beruf aus damals, und war somit von ihm abhängig.
Ich glaube, er hat das alles nur getan, um mich für meinen Fehltritt bezahlen zu lassen.“
„Mom, das verstehe ich nicht…du arbeitest wieder, seit Daniel auf der Junior High war, du hättest dich leicht von ihm trennen können.“
„Das hätte ich, ja, aber ich habe nie gesagt, dass ich deinen Dad nicht liebe, es war nur nie so, wie es mit Alan war.“
„Und du liebst Dad…?“
Sie überlegte einen Moment, bevor sie antwortete: „Es war nicht alles nur schlecht, was ich mit ihm erlebt habe.
Aber ich weiß nicht, ob ich noch dasselbe für ihn fühle, wie ich es einmal war…“
Bevor ich etwas sagen konnte, kam Lucille zur Tür herein, mit Einkaufstüten beladen.
„Hi zusammen, tut mir leid, ist etwas später geworden, aber ich fange jetzt an zu kochen.“
Sie stockte, als sie die Mienen von meiner Mutter und mir sah.
„Soll…ich lieber wieder gehen…?“
„Nein Lucille, ich hab riesigen Hunger, lasst uns anfangen, Hannah und ich werden dir helfen.“, antwortete meine Mom ihr prompt.
Und so begaben wir drei uns in die Küche, wo Lucille uns von ihren Kochkünsten überzeugte.
Trotzdem wir uns zusammenrissen, wurde der Abend nicht so ausgelassen wie geplant, zumal weder mein Dad nach Hause kam, noch Daniel oder Sidney etwas von sich hören ließen.
Ich hatte meine Mutter nicht fragen können, aber ich hoffte inständig, dass Daniel noch nichts davon wusste, und dass vor allem nicht unser…mein Dad ihm die Wahrheit ins Gesicht schleudern würde…
To be continued...