So, bevor die Fortsetzungen unregelmäßiger werden, weil mein Urlaub beendet ist, lass ich euch noch an der vierzehnten teilhaben 
Semesterferien und andere Katastrophen - XIV.
Entscheidungen
Der nächste Tag begann, wie der letzte aufgehört hatte; ich wurde das flaue Gefühl im Magen nicht los, weswegen sich mein Frühstück auf eine Tasse Kaffee beschränkte.
Erst langsam begriff ich, dass ich seit 22 Jahren in einer Lüge lebte; mein Bruder war nicht mein „richtiger“ Bruder, meine Mutter hasste meinen Dad, zumindest irgendwie, und mein Dad schikanierte alle.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Daniel die Küchentür aufmachte, und sich langsam und ziemlich blass im Gesicht in den Raum schob.
Hatte mein Dad ihn schon in die Finger bekommen…?
Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch, und sah mich an, das heißt, eigentlich sah er eher an mir vorbei.
„Hast du es gewusst…?“, fragte er nur leise.
„Nein…“, gab ich ehrlich zur Antwort, und fügte hinzu: „Es tut mir leid, Daniel…“
„Was soll ich denn jetzt machen?“
„Nichts…es wird sich doch nichts ändern; du bist und bleibst mein Bruder.“
„Ich…dachte wirklich das…“, ich unterbrach ihn: „Daniel…wenn es gar nicht mehr geht, dann ziehst du halt vorübergehend mit in die WG – die anderen werden bestimmt nichts dagegen haben.
Mom hat mir gestern alles erzählt…aber ich glaube nicht, dass sie es so weit kommen lässt, dass Todd dich wirklich rausschmeißt…“
Ich hatte absichtlich „Todd“ gesagt, ich wusste nicht, wie er auf „Dad“ reagieren würde.
Aber plötzlich hob er den Kopf und sah mich an wie eine Eisenbahn.
„Mom…? Was hat die damit zu tun…?!“
Ich zog die Brauen zusammen: „Na das…“, ich stockte, hatten wir vom selben Thema gesprochen?
„Daniel, wovon redest du?“
„Von Travis.
Gestern haben wir uns getroffen; wir waren am Strand, haben danach gegessen und dann wollte ich…na du weißt schon.
Er hat…angefangen zu lachen, und mich gefragt, ob ich wirklich glaubte, dass er schwul wäre.
Er wäre Schauspieler, und hierher gekommen, um sich auf eine Rolle vorzubereiten, weil ihn hier niemand kennt, und ich wäre ihm grade recht gekommen, mit meiner Naivität.
Danach…hat er mich rausgeschmissen.“
Ich biss mir auf die Lippen, ich hatte Glück gehabt, dass ich nicht weiter gesprochen hatte, somit war wenigstens nicht ich diejenige, welche ihm die Nachricht überbringen musste.
Wobei ich dachte, lieber ich, als mein Dad.
„Daniel…mein Gott…“
Ich stand auf und schlang meine Arme um ihn.
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„Das tut mir so leid…“
„Hannah…sag’s mir, warum passiert so was immer mir?
Warum bin ich immer der dumme?“
Ich konnte nichts auf seine Frage antworten; er schien einfach der geborene Pechvogel zu sein, und daran änderte man nichts.
„Wie…lange, also ich meine, ihr wart doch nur knappe 2 Wochen „zusammen“, oder?“
„Nein…eigentlich…“, er lachte bitter auf.
„Es ging schon viel länger, er wohnt noch nicht lange hier, aber länger als diese zwei Wochen, die du meinst.
Ich wollte dir ja schon davon erzählen, als du ankamst, aber du warst so fertig an dem Abend…hätte ich doch gleich was gesagt.“
„Das hätte höchstwahrscheinlich auch nichts geändert, und jetzt ist es zu spät, um sich Vorwürfe zu machen.
Außerdem trifft dich keine Schuld – Travis ist die Schlange.“
„Vielleicht…aber ich hätte doch…ich meine, so was merkt man doch.“
„Nein Daniel, so was merkt man nicht, und schon gar nicht, wenn man verliebt ist.“
Die Tür flog auf, und ich löste meine Umarmung – mein Dad platzte in die Küche.
„Ach…schön, dass ihr beide da seid, dann erspar ich mir eine große Ansprache vor jedem einzelnen.“
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Alleine der Ton, in dem er das sagte, rief einen Brechreiz in mir hervor.
Ich konnte mir denken, was er wollte, und war dennoch, so wie er es schon sagte, froh, dass er Daniel nicht alleine erwischt hatte.
Er machte sich nicht die Mühe, eine große Vorrede zu halten, sondern polterte gleich los.
„Daniel, da du ja sowieso anfängst zu studieren ab dem Herbst, halte ich es für besser, wenn du ab dann auf eigenen Beinen stehst, so wie Hannah.
Ich hab dir schon eine Wohnung besorgt, und die Kaution hinterlegt, für die Miete musst du selbst aufkommen, aber das dürfte kein Problem sein, irgendeinen Job finden Studenten ja immer.“
Ich riss die Augen auf – das konnte ja wohl nicht wahr sein.
Abgesehen davon, dass die beiden sich nie grün gewesen waren, aus mittlerweile verständlichen Gründen, behandelte er Daniel wie irgendein Spiel, das man wegwirft, wenn es einem nicht mehr gefällt.
Daniel sagte erstmal gar nichts, er war zu geschockt über das, was er eben gehört hatte; zumal es so ausgemacht war, dass er während seines Studiums zu Hause bleiben würde.
Immerhin studierte er vor Ort, und nicht in einer anderen Stadt, wie ich.
Schließlich erhob er sich langsam, fast schwerfällig, und sagte völlig ausdruckslos: „Wie du meinst…Dad…“, und wollte schon zur Tür raus.
Dadurch, dass er so ruhig reagierte, hatte er meinen Vater aber erst recht auf die Palme gebracht; der hatte wohl erwartet, dass Daniel seinerseits ausrasten würde.
„Und dass mit dem Dad kannst du dir auch abschminken.
Wenn du’s genau wissen willst, du bist nicht mein Sohn, deine Mutter zog es vor, sich einen Bastard von irgendeinem anderen anzulachen.“
Mir fiel alles aus dem Gesicht, ich war froh, nicht wirklich was gefrühstückt, sondern nur Kaffee getrunken zu haben, ansonsten hätte ich mich wahrscheinlich wirklich übergeben.
„Dad, es reicht…!“, das konnte er doch nicht machen; er konnte nicht „einfach so“ sagen, dass Daniel nicht sein Sohn war, nicht nach 19 Jahren, in denen er sich immerhin aufgeführt hatte, wie ein Vater.
„Halt du dich da raus.“, fuhr er mich an.
Daniel hatte, während er die Tirade von meinem Dad über sich hatte ergehen lassen, mit dem Rücken zu ihm gestanden, und drehte sich nun um.
Und dann sagte er etwas, dass ich weder erwartet, noch ihm jemals zugetraut hätte.
„Erzählen Sie mir etwas, dass ich noch nicht weiß, Mister Lucas, Sir.
Und keine Bange, ich werde Ihre Geduld und Ihre Großzügigkeit kaum mehr länger als eine Stunde in Anspruch nehmen.“
Damit drehte er sich wieder um und verließ die Küche.
Mein Dad öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder, und mir ging es kaum anders.
Es dauerte einige Sekunden, bis ich mich wieder gefasst hatte.
„Todd…Mom hat Recht, du bist wirklich ein Arschloch.“, damit ließ ich ihn stehen, und ging Daniel nach, der mit Sicherheit schon dabei war, seine Sachen zu packen.
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Ich fand ihn denn auch in seinem Zimmer, bei eben jener Tätigkeit, die ich vermutet hatte.
„Daniel, er hat das nicht so gemeint, er…“
„Ist schon gut Hannah, er hat es genau so gemeint, wie er es gesagt hat, und ich auch.“
Mit hochrotem Kopf schmiss er einige Pullover in einen Koffer.
„Aber wenn…ich meine du hast es gewusst…?“, fragte ich leise.
„Natürlich habe ich gewusst, ich mag vielleicht nicht so intelligent sein wie du, aber ich bin nicht dumm, und auch nicht blind.“
„Aber woher…?“
„Oma hat sich irgendwann mal verplappert, als wir in den Ferien bei ihr waren, kannst du dich noch erinnern?“
„Ja…aber da waren wir noch Kinder.“
„Das ist doch egal – sie hat so was fallen lassen, was mich zum Nachdenken gebracht hat, und dann fing ich an, euch zu beobachten.
Ihr wart so anders als ich, und abgesehen davon muss man nur mal in den Spiegel sehen – ich habe viel von Mom, aber gar nichts von Da…von Todd.“
Ich nickte nur – was sollte ich auch sagen?
Anscheinend war ich die einzige, die jahrelang in einer Lüge gelebt hatte.
„Daniel…wo willst du denn jetzt hin?“
Er lachte kurz und bitter auf.
„Gestern hätte ich gesagt zu Travis…und heute…ich weiß es nicht…Hauptsache erstmal weg von hier.“
„Daniel, überleg dir das noch mal, du kannst nicht einfach abhauen.
Ich werde nachher mit Mom reden, die biegt das schon wieder hin.“
„Nein Hannah, lass gut sein.
Mom hat selbst schon genug unter diesem…Tyrannen zu leiden, ich find schon was.“
“Dann fahr wenigstens zum Strandhaus…dort kannst du erstmal bleiben, Dad war schon seit Jahren nicht mehr da.“
„Ja…vielleicht…“
Er hatte den Koffer inzwischen geschlossen, und nahm sich noch einen Rucksack aus dem Schrank, den er sich über die linke Schulter warf.
Den Koffer nahm er schließlich in die rechte Hand.
„So wie es ist, kann ich nicht hier bleiben Hannah…“
„Nein, wahrscheinlich nicht.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich wollte nicht, dass er geht, aber ich verstand auch, dass er es hier nicht mehr aushielt, und so wollte ich ihn nicht aufhalten.
„Mach’s gut…Lästerschwein“, das sagte er mit einem Anflug von einem Grinsen, „und pass auf dich und Mom auf, okay?“
„Daniel, meld dich, wenn du angekommen bist, ja? Wo auch immer das sein wird…“
„Mach ich.“
Er drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, und verließ das Zimmer.
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Ich blieb wie angewurzelt stehen, und hörte schließlich unten das Aufheulen eines Motors.
Das war zu viel für einen Vormittag, und als meine Mom schließlich den Kopf zur Tür hereinstecke bemerkte ich, dass ich zitterte.
„Er…hat ihn wirklich rausgeschmissen…“, krächzte ich hervor.
„Ich weiß…“
Wortlos nahm sie mich in den Arm, um mich zu trösten, aber das würde nichts nützen, nicht dieses Mal...
To be continued...