Beiträge von Gifti


    Das war die Untertreibung des Jahrhunderts, denn eigentlich hatte ich überhaupt keine Freunde, da ich mich vor allen abschottete, aus Angst sie könnten was über meinen Job erfahren. Das war zwar manchmal echt deprimierend, aber ich konnte einfach nicht anders. Was würden diese Leute denn denken? Spätestens, wenn sie davon erfuhren, wollten sie doch sowieso nichts mehr mit mir zu tun haben.



    Ich sah Phil kurz aus dem Augenwinkel an, konnte aber nichts aus seinem Gesichtsausdruck lesen. Auch erwiderte er nichts mehr.
    „Weißt du jetzt, wo es lang geht?”, fragte er nach scheinbar endlos langen unangenehmen Minuten der Stille.
    „Du kannst da vorne halten”, antwortete ich monoton und löste schon meinen Anschnallgurt, um klarzumachen, dass ich hier auch wirklich aussteigen wollte und er mich nicht bis zu meiner Wohnung fahren sollte.
    Phil fuhr rechts ran und brachte seinen BMW zum Stehen.
    „Also dann… ich wünsche dir alles Gute”, sagte er leise und irgendwie auch bedrückt.



    „Danke Phil. Danke für’s Fahren”, entgegnete ich und sah ihm zum ersten Mal heute in die Augen. „Das war sehr nett von dir.”
    Er nickte leicht und sah wieder nach vorne durch die Windschutzscheibe, als ich die Tür öffnete. „Lia…”, bemerkte er, als ich schon ausgestiegen war und grade die Tür hinter mir schließen wollte, „Was auch immer los ist… lass nicht zu, dass es dich runterzieht. Geh deinen Weg.”



    Eigentlich hätte ich mich gerne selbst ausgelacht, denn das war einfach nur lächerlich. Doch irgendwo tief in mir gab es wirklich dieses schreckliche Gefühl und die Angst, wenn mich ein Mann berührte, bildete ich mir ja schließlich auch nicht ein. Sie war echt.


    Die braunen und gelben Ahornblätter auf dem Gehweg wurden von vorbeirasenden Autos immer wieder hoch gewirbelt und winzig kleine Tröpfchen Nieselregen, die von oben, von der Seite und irgendwie auch von unten zu kommen schienen, perfektionierten diesen trüben Tag.



    Der Himmel war von einer dunkelgrauen Wolkenschicht bedeckt, die irgendwie den Anschein machte, als wollte sie jeden Moment herunterfallen und die Welt unter sich begraben.
    Ich wusste gar nicht genau, wo ich mich befand und so ging ich ohne nachzudenken und somit ziemlich unsinnig die Straßen lang, bog mal rechts und man links ab. Meinen Weg entschied ich hauptsächlich danach, welche Ampeln grade grün waren, was im Nachhinein betrachtet sicher nicht die beste Methode war, nach Hause zu finden. Wieso war diese Stadt auch so verdammt groß?
    Das hatte ich nun davon, dass ich mich immer nur in Umgebung der WG aufhielt. Jetzt wohnte ich hier schon so lange und verlief mich immer noch. Ich war aber auch so bescheuert, hätte ich doch jetzt schön und bequem in einem Mercedes mit Heizung und Radio auf dem direkten Weg nach Hause sein können.



    Aber dann hätte ich mit diesem ekligen Typen ins Bett steigen müssen, wäre es das wirklich wert gewesen?
    ‚Ja, wäre es’, redete mir mein Gewissen wieder ein. ‘Und du wärest um eine nicht zu verachtende Summe Geld und einen Kunden reicher, von deiner Handtasche und deinem ganzen geliebten Kram darin mal ganz abgesehen. Wenn du doch nur nicht immer so in deinem Selbstmitleid versinken würdest. Schau dich doch mal um, es gibt so viele Menschen, denen es schlechter geht als dir, du hast es doch echt gut getroffen. Hör bloß auf mit diesem kindischen Gehabe, sonst verlierst du bald nicht nur deine Kunden sondern noch viel viel mehr.’



    Reifenquietschen und ein bremsendes Auto neben mir rissen mich aus meinen Gedanken. Für einen Moment wurde mir heiß und kalt gleichzeitig, wie hatte Gerhard mich nur gefunden? Doch dann sah ich zu dem Auto und es war keiner meiner Kunden, sondern Phil, der junge Mann von jenem Discoabend.
    „Hey”, rief er mir zu, nachdem er das Fenster runtergekurbelt hatte. „Was machst du denn hier so ganz alleine? Kennst du mich überhaupt noch?”



    „Äh… hi… Phil”, war das Einzige, was ich heraus brachte. War es schlauer, jetzt schnell davon zu laufen? Schließlich hatte auch Phil mir an die Wäsche gewollt. Waren diese Typen eigentlich überall? Aber irgendwie war Phil mir von Anfang an nicht unsympathisch gewesen und nun wäre er eine grandiose Chance, aus diesem Stadtviertel wegzukommen.
    „Ich habe mich verlaufen”, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Und meine Handtasche… wurde… geklaut.”
    „Ach du Schande!” Phil sah erschrocken aus. „Willst du nach Hause? Steig ein, ich bring dich hin.”
    „Aber wir wissen doch beide nicht den Weg”, fiel mir ein. Vielleicht suchte ich auch nur einen Grund, nicht mit ihm mitfahren zu müssen.
    „Na ja, den Stadtteil werden wir ja wohl grade noch finden.” Er grinste. „Und von da aus weißt du es dann sicher. Komm steig ein, das Wetter ist doch echt eklig.”



    Ich nickte und öffnete zögernd die Tür des blauen BMWs. Angenehme warme Luft und leise Musik strömte mir entgegen.
    „Ich bring dich sicher nach Hause”, bekräftigte Phil noch mal, als er merkte, dass ich vor dem Einsteigen zögerte. „Und den Typen, der dir deine Handtasche geklaut hat… den solltest du anzeigen.”



    Phil und ich redeten nicht viel und ich sah möglichst die ganze Zeit aus dem Seitenfenster, um mein stark geschminktes Gesicht vor ihm zu verbergen. Er sollte mir bloß keine nervigen Fragen stellen, das fehlte mir grade noch.
    Der Weg nach Hause war ziemlich weit und mir wurde klar, dass ich in die komplett falsche Richtung gelaufen war.
    „Danke, dass du angehalten hast”, brachte ich heraus. „Ich hätte nie nach Hause gefunden.”
    „Ist doch klar”, sagte der blonde Mann sanft. „Und wegen neulich Abend… denk nicht mehr darüber nach, okay? Es ist völlig in Ordnung gewesen, dass du gegangen bist, ich war viel zu aufdringlich.”



    „Hm…” Ich biss mir auf die Unterlippe. Er sollte doch bitte, bitte nicht über dieses Thema sprechen.
    „Vielleicht können wir uns mal näher kennen lernen? Du machst auf mich so einen interessanten Eindruck. Wenn du willst natürlich nur.” Ich schluckte.
    „Phil… verstehe mich nicht falsch, du bist ein toller Typ. Aber… nun. Ich will das nicht. Ehrlich gesagt bin ich nicht so der Typ, der viele Bekanntschaften oder Freunde hat. Ich bin lieber alleine.”

    Vielen lieben Dank für eure lieben Kommis und sorry, dass ich jetzt erst wieder von mir hören lasse, hatte überhaupt keine Zeit! Hoffe, dass noch jemand mitliest und wünsche euch viel Spaß!




    Kapitel 8 - Teil 2




    Ich rannte in ein Kaufhaus, in dem sich zu meinem Glück sehr viele Menschen befanden. Sollte er hierher kommen, konnte ich um Hilfe schreien, man würde mich hier hören. Ich fühlte mich sicher. Auch wenn es lächerlich war.
    Als ich mich umschaute, bemerkte ich, dass ich mich im Präsentationsbereich eines Elektroladens befand, in dem bequeme Sofas standen, und so ließ ich mich erschöpft auf einem nieder. Langsam beruhigte sich meine Atmung wieder, während hinter mir grad die Präsentation des neuen, größeren, noch besseren Plasmafernsehers stattfand, der die Oberschicht - oder die, die gerne dazugehören würden, beglücken sollte.
    ‚Was war das denn jetzt?’, meldete sich mein Gewissen zu Wort. ‚Geht’s dir noch ganz gut? Du gehst jetzt sofort zurück und entschuldigst dich!’



    Ich wusste, dass das wohl die einzige Möglichkeit war, meine Blamage noch ein wenig zu retten, aber meine ganze Seele sperrte sich dagegen. Ich war entkommen und würde nun sicherlich nicht zurückgehen. Was war denn auf einmal mit mir los? Selbst am Anfang vor zwei Jahren war mir die Arbeit nie so schwer gefallen. Natürlich war es sehr gewöhnungsbedürftig gewesen, aber Vera hatte mir viele Tricks verraten und irgendwie hatte es doch immer funktioniert. Bis heute. Was machte ich, wenn Vera davon erfahren würde? Sie würde mich für absolut unfähig halten und mich auslachen, vielleicht sogar rausschmeißen. Und wie sollte ich nur meine Handtasche wiederbekommen?



    Zum Glück hatte ich heute meinen Autoschlüssel nicht dabei gehabt und so konnte ich mich noch mit Black treffen, später, wenn ich erstmal irgendwie nach Hause gekommen war. Black. Der war doch an allem Schuld. Wieso musste der mich anfassen und damit alles aus der Bahn werfen? Was fiel ihm überhaupt ein? Als ob ich nun frei zugängliches Gut war, dass man einfach so begrabbeln konnte, wenn einem der Sinn danach stand. Plötzlich entwickelte ich eine Wut auf Black, über die ich mich selbst erschrak. Hätte ich ihn bloß nicht getroffen, ihn bloß nie kennen gelernt.



    Wieso war es überhaupt so weit gekommen? Ich wusste immer noch nicht, was er eigentlich von mir gewollt hatte damals im Beverly. Wie kam er nur dazu einfach so aufzutauchen und mein Leben zu durchkreuzen? Ich würde mich heute mit ihm treffen und ihn danach ausfragen, so viel stand fest.



    Natürlich nicht weil ich ihn mochte, einfach nur weil ich es wissen musste. Dann könnte ich ihn endlich vergessen und wieder zur normalen Routine zurückkehren. Ich brauchte nichts, was mich aus der Bahn warf und mich dermaßen verwirrte, ich brauchte einfach nur Routine und Beständigkeit. Dann würde das schon klappen und ich könnte wieder in Ruhe meinem Beruf nachgehen. Das war es schließlich, was ich wollte. Oder?



    Mir blieb nichts anderes übrig, als zu Fuß nach Hause zu gehen, denn ich hatte kein Geld für ein Taxi oder einen Bus dabei. Hoffentlich war in der WG überhaupt jemand da, sonst würde ich vor der Tür warten müssen, bis endlich jemand kam, und das konnte lange dauern. Wieso musste ich auch so kopflos davon rennen und meine Tasche zurücklassen? Warum? Wie ich sie wiederkriegen sollte wusste ich immer noch nicht. Außerdem hatte ich wohl nun Gerhard als Kunden verloren, was ja eigentlich der Sinn der Sache gewesen war, andererseits war er ein gut zählender Mann gewesen und so einen Ausrutscher durfte ich mir auf keinen Fall wieder erlauben.



    Für einen Moment erschrak ich. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee mir aufzulauern und mir die Handtasche persönlich zu überreichen, ich wollte ihn wirklich nicht mehr sehen, wie sollte ich ihn noch mal anschauen können?
    Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, meinen Kopf gegen eine Wand zu schlagen. Wie konnte man nur so dumm sein? Ich hatte mir diesen Job schließlich selbst ausgesucht und lästerte immer kräftig über die Unprofessionellen, aber wie professionell war es denn, vor einem Kunden wegzulaufen?



    In dieser Sekunde fiel mir ein, dass es ja irgendwie nicht das erste Mal gewesen war. Was war denn an jenem Abend in der Disco, als ich vor Phil in der Gasse weggelaufen war? Und auch Blacks Berührung hatte ich gestern energisch abgewehrt und war gegangen. War ich noch ganz dicht? Wollte ich jetzt etwa immer davonrennen, wenn mir ein Mann Nahe kam? Ich meine, konnte man ja gerne machen, aber mit meinem Job ließ sich das wohl kaum vereinbaren. Ich benahm mich wie eine Jungfrau vor ihrem ersten Mal, nur noch tausend Mal schlimmer.


    In der Cafeteria der Werbeagentur war es ungewöhnlich ruhig. Alec saß am alleine an einem kleinen Tisch in der Mitte, hatte die kaum zumutbare Hühnersuppe an die Seite gestellt und blätterte lustlos in der lokalen Wirtschaftszeitung.
    „Ahlger als Marketingmanager bei Jeffards bewährt“, prangte es ihm auf der dritten Seite in großen schwarzen Lettern entgegen.



    Erst als Alec den Artikel angelesen hatte, fiel ihm ein, dass Jeffards das Unternehmen war, bei dem Paul Louis gearbeitet hatte. Justus Ahlger war ein Kollege von Louis gewesen und hatte nach dessen Tod seine höhere Position eingenommen, an der er schon lange interessiert gewesen war, erzählte der Bericht. Ahlger war Alec unsympathisch, auch wenn er nicht sagen konnte, warum. Sein Lächeln auf dem kleinen Bild war falsch und er wirkte seelenlos wie ein Stein.



    Alec missgönnte ihm seine neu erreichte Position, auch wenn er wusste, dass es unbegründet und unfair war. Justus Ahlger bedauere den Tod seines geschätzten Kollegen sehr, hieß es in dem Artikel. Natürlich. Mit Louis Tod hätte Jeffards einen großartigen Mitarbeiter verloren. Pah. Wie Alec solche Heuchler hasste. Wieso druckten die Zeitungen so etwas, wo doch jeder wusste, dass Ahlger sich vor Freude wahrscheinlich kaum hatte halten können, als Louis verunglückt war und er nun Aussicht auf dessen Job hatte.



    Alec schüttelte den Kopf und legte die Zeitung beiseite. Er hatte noch zwanzig Minuten Mittagspause, aber das Nichtstun ödete ihn an. Mit einem Blick auf die Bedienung entleerte Alec die Suppenschüssel in den Mülleimer und ging zum Aufzug. Ein Auftrag für Hundefutter musste erledigt werden, aber das machte ihm keine Sorgen. Es war Kleinkram. Alec hoffte nur, es schnell genug fertig zu kriegen, um sich noch auf die Sportschuhkampagne vorbereiten zu können. Es war ein großer Fisch, den Robert Parker an Land gezogen hatte und Alec hoffte inständig, diesen Auftrag übernehmen zu können.



    Auch wenn er wusste, dass sein Chef sich seiner Qualitäten auch so sicher war, wollte er ihn besonders beeindrucken und somit alle Kollegen, die auch in Frage kommen würden ausschalten. Konkurrenzkampf war etwas, das ihm lag. Etwas, worin er der Beste war. Eine Disziplin, bei der er stets als Sieger hervorging. Als Alec mit dem Fahrstuhl nach oben fuhr, fragte er sich, wie weit er wohl dafür gehen durfte. Was war noch moralisch vertretbar?



    Wie weit würde er gehen, wenn Parker mal einem Kollegen eine dieser großen Chancen eben sollte?
    Wie weit war Justus Ahlger gegangen, um Louis loszuwerden?

    Danke ihr Beiden für eure Kommis!


    Kapitel 16 – Alec


    Die Lüge ist ein sehr trauriger Ersatz für die Wahrheit, aber sie ist der einzige, den man bis heute entdeckt hat.
    (Elbert Hubbard)


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    Er war ungerne auf diese Schiene ausgewichen, aber er hatte keine andere Möglichkeit mehr gesehen, an Samantha ranzukommen. Die Witwe war noch viel unfügsamer, als er gedacht hatte und hätte wohl wirklich die Polizei gerufen, wenn er sich nicht was ausgedacht hätte. Ihre Gefühle zu ihrem toten Mann so auszunutzen, hatte Alec fast wehgetan, aber er redete sich ein, dass es unbedingt nötig gewesen war.



    Seine Lüge mit gefälschten Dokumenten zu untermauern würde kein großes Problem darstellen, denn er hatte gute Verbindungen.
    Er war sich sicher, dass Samantha Louis ihren Mann noch immer so sehr liebte, seinem angeblichen Wunsch entsprechend handeln zu wollen und Tim Hitcher das Haus somit endlich zu verkaufen.
    Ja, so würde er sicher zu seinen Dreihunderttausend kommen und wieder einmal Erfolg haben.
    Als er zu Hause ankam stieß Alec mit einem Whisky auf sich an.


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    Es war 1.30 Uhr und Alec Liffrey lag wach. Allein dieser Umstand war schon ungewöhnlich für ihn, der sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal nicht innerhalb von zehn Minuten nach dem Hinlegen eingeschlafen war. Aber er konnte nicht nur nicht schlafen – er grübelte. Und er dachte an Samantha Louis, die Frau, durch deren leere Augen man meinte, in ihre gebrochene Seele schauen zu können.
    Eigentlich hatte sie es schon schwer genug, hatte schon genug Verlust erlitten durch den Tod ihres Mannes.



    Alec wusste, dass er so handeln musste, um Tims Wunsch zu erfüllen, auch wenn es weder rechtens, noch ethisch oder moralisch vertretbar war. Aber er war nun mal Geschäftmann. In der Geschäftswelt hatten Ethik und Moral nichts verloren, und Mitleid und Gewissensbisse schon gar nicht. Wieso dachte er überhaupt so viel darüber nach? Wahrscheinlich tat er Samantha Louis mit seinem Vorgehen sogar noch einen Gefallen, nahm ihr eine Last ab.



    Es war irrsinnig, alleine in diesem Haus leben zu wollen. Wie sollte sie die Kosten tragen, wie sollte sie sich um alles kümmern? Und es war ja nicht so, dass er es ihr stahl, sie würde ja genug Geld dafür bekommen, wahrscheinlich mehr, als das Haus wert war.
    Es wurmte ihn, dass er ihr es nicht mit rechten Mitteln abkaufen konnte, denn er war sich fast sicher, sie überzeugen zu können, wenn sie überhaupt für Verhandlungen bereit gewesen wäre, nicht gleich dichtgemacht und rumgeschrieen hätte.



    Was hätte er denn machen sollen? Diese kleine List war der einzige Weg, an sie heranzukommen. Er hatte vollkommen richtig gehandelt, vollkommen überlegt, vollkommen vertretbar.
    Wenn sie ihn nur nicht so angesehen hätte.
    Es war 3.40 Uhr, als Alec Liffrey einschlief.


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    Mit meiner ganzen Kraft stieß ich ihn weg. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so angewidert gefühlt. Ich drehte mich um und rannte in Richtung Tür, die zu meinem großen Glück nicht abgeschlossen war.



    Ohne mich umzudrehen und viel nachzudenken rannte ich aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und durch den Eingangsbereich aus dem Hotel.
    Erst als ich schon auf der Straße war fiel mir auf, dass ich meine Handtasche in dem Zimmer vergessen hatte, doch auf keinen Fall würde ich zurückgehen, da sollte er sie lieber behalten.



    Ich befand mich in einem mir weitgehend unbekannten Stadtteil und die Tatsache, dass ich ohne Auto hier war, machte es auch nicht besser. So schnell mich meine Stöckelschuhe trugen rannte ich die Straße entlang, mit dem Ziel möglichst schnell möglichst weit weg von dem Hotel zu kommen, damit er mich nur nicht noch fand. Ich fühlte mich wie ein Vergewaltigungsopfer auf der Flucht und konnte mir mein Verhalten selbst nicht erklären, aber dieser Impuls war so stark gewesen, dass ich ihm einfach folgen musste.

    Hallo liebe Leser! Ich danke euch sehr für die ganzen Kommis, habe mich echt darüber gefreut! Schön, dass euch das Thema gefällt!



    Kapitel 8 - Teil 1




    Mein Kunde hieß Gerhard und war Politiker irgendeiner erfolglosen Partei. Er war klein, rundlich und hatte eine Halbglatze, was ihn nicht besonders attraktiv machte. Gerhard war Single und einsam - und nicht besonders erfolgreich bei Frauen. Mich besuchte er mehr oder minder regelmäßig, je nachdem wie nötig er es grade hatte. Wir gingen nie ins Beverly sondern mieteten immer ein Zimmer in einem nobleren Hotel.



    Meine Vermutung war, dass er einfach nicht in so einem Stundenhotel gesehen werden wollte, um dem Ruf der Partei nicht zu schaden. Aber mir war es ganz Recht, gehörte das Beverly doch wirklich nicht grade zu meinen Lieblingslokalitäten und je weniger oft ich Stupsi oder der anderen Rezeptionsfrau in die Augen sehen musste, desto besser.



    Wortlos fuhren wir in dem blauen Bonzen-Mercedes durch die Stadt. Gerhard bestand immer darauf, mich abzuholen und natürlich war es mir immer Recht, was sollte ich auch dagegen haben. Stark geschminkt und mit einem aufgesetzten Dauerlächeln sah ich aus dem Fenster. Obwohl es leicht nieselte und der Wind die bunten Blätter aus dem Bäumen pustete, waren einige Mütter mit Kindern in der Stadt unterwegs.
    Ich mochte Kinder sehr und hatte immer davon geträumt, ein eigenes zu haben, auch wenn ich jetzt tief im Herzen wusste, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. Irgendwie stimmte diese Tatsache mich tieftraurig.



    Das Hotelzimmer war groß, einladend und romantisch eingerichtet mit einem wunderschönen französischen Bett.
    Wäre ich nicht für meinen Job hier gewesen, hätte ich mich sicher wohl fühlen können. Aber da meine Arbeit der einzige Grund war aus dem ich hier war, konnte ich es nicht genießen, sondern musste mich konzentrieren. Echte Freude über irgendetwas war nicht erlaubt, denn Freude bedeutete Ablenkung und Ablenkung bedeute unzufriedene Kunden.



    Als Gerhard mir Nahe kam und mich berührte, zuckte ich plötzlich zusammen und empfand ein Ekelgefühl. Seine Hand war verschwitzt und kalt und sein Mundgeruch widerte mich an. Normalerweise war spätestens dieses der Moment, in dem ich alle Gedanken und Gefühle ausschalten konnte und einfach nur noch funktionierte, doch irgendwie wollte mir dieses heute nicht so Recht gelingen. Auf einmal durchfuhr mich eine unerklärliche Panik und ich wollte nur noch der Situation entfliehen.



    ‘Reiß dich zusammen’, schoss es mir durch den Kopf. ‘Es ist eine ganz normale Routinearbeit, das machst du jeden Tag’, doch das machte es nicht besser. Ich kam mir plötzlich vor wie ein absoluter Neuling auf dem Gebiet und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Der Gedanke daran, mit diesem fetten alten Mann ins Bett zu gehen erschien mir auf einmal total abstrus und für einen Moment fragte ich mich, ob das wirklich die Arbeit war, die ich seit zwei Jahren täglich machte.
    Auch Gerhard merkte, dass irgendwas anders war.



    „Mach dich mal locker’, säuselte er, als er begann, seine Klamotten auszuziehen. Alles an ihm wirkte auf einmal so furchtbar abstoßend auf mich und als er seine weiße Feinrippunterwäsche entblößte, schaltete irgendwas in meinem Kopf komplett um. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt und mich überkam ein Übelkeitsgefühl.



    „Ich… kann nicht”, stammelte ich. Gerhard starrte mich für den Bruchteil einer Sekunde erschrocken an, dann grinste er aber widerlich.
    „Oh ein neues Spiel, Schnecke? Darauf steh ich.” Er kam auf mich zu und ich wich zurück. „Nein… nein, ich meine es Ernst, ich will heute…”
    „Komm her, du Flittchen”, unterbrach der Mann mich und zog sich an seinen alten Körper.


    „Lass uns in dein Zimmer gehen”, schlug Mara vor und die beiden Mädchen standen auf. Als sie die Tür hinter sich schlossen gab Kira einen genervten Seufzer von sich.
    „Kinder.”
    Ich war überrascht und verärgert über ihre Reaktion und da ich es für völlig unangebracht hielt warf ich ihr einen bösen Blick zu.



    „Was?! Ich mein’, die sollen sich mal nicht so anstellen, was ist schon dabei? Ich mach’s dauernd ohne Gummi, na und?!”
    Ich fühlte, wie meine Kinnlade langsam nach unten klappte.
    „Bitte?!”
    „Boah, bringt halt wirklich fast das Doppelte. Wenn die’s eben so wollen? Was soll schon passieren?”
    „Was passieren kann? Soll ich dir das mal aufzählen? Sei doch nicht so naiv, Kira.”
    „Blablabla, wie oft kommen all diese Krankheiten vor? Das wird wohl nicht ausgerechnet mir passieren. Ich mach’s auch nur bei denen, die gesund aussehen.”



    „Du weißt genau, dass man HIV niemandem ansieht!”, argumentierte ich entsetzt und war nun wirklich sauer. Wie konnte man nur so gleichgültig sein?
    „Boah Lia, du hörst dich an wie meine Mutter. Komm doch mal klar. Das ist doch nicht dein Leben. Was geht dich das an?”
    „Schon mal darüber nachgedacht, dass ich dich zu sehr mag, als dass ich dich verrecken sehen will?”, fragte ich fassungslos.



    „Mach dich mal nicht lächerlich”, spielte Kira alles herunter, immer noch mehr ihren Fingernägeln als mir zugewandt. „So tragisch ist das nun auch wieder nicht.”
    „Weißt du…”, begann ich, schluckte den Rest des Satzes dann jedoch herunter. Es hatte doch sowieso keinen Sinn. Ich hatte nie gedacht, dass Kira so naiv sein konnte, aber irgendwie hatte sie ja Recht, es ging mich nichts an. Und so schnappte ich mir die Fernsehzeitung und blätterte durch die bunten Seiten der Medienwelt.


    -



    Noch lange lag ich abends wach im Bett. Meine Gedanken kreisten um Vanessas Geständnis und Kiras Reaktion darauf, um meine Mutter, die mir wieder einmal versucht hatte ein Stück heile Familie vorzugaukeln und vor allem aber um Black und ich spürte noch immer seine Hand auf meiner Haut. Ich wollte gar nicht so abweisend zu ihm sein, aber ich war doch einfach gar nicht darauf vorbereitet gewesen. Ich war es nicht gewohnt, außerhalb meiner Arbeitszeit von Männern berührt zu werden, Außerdem war ich es auch nicht gewohnt, dass es mir gefiel. Wo sollte das auch hinführen? Wie unterschied man, von welchem Typen man Geld nehmen sollte und von welchem nicht? Einen Freund zu haben war mit diesem Job sowieso nicht möglich und absolut indiskutabel, welche Zukunft sollte uns also bevorstehen? Klar gefiel Black mir. Ich hatte gemerkt, dass er viel zu verbergen hatte, viel mehr als es zuerst schien. Aber er war doch ein netter Kerl und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass man sich sicher gut mit ihm unterhalten würde können, wenn er denn erstmal auftaute. Ich wollte immer noch unbedingt wissen, warum er zwei Mal mit mir im Beverly war und ich nahm mir vor, es auch noch herauszufinden.



    Außerdem wollte ich was über sein Leben herausfinden, was er machte, und nicht zuletzt seinen Namen. Ich wusste, dass er nicht nur einer von Hugos normalen Drogenfreunden war, dafür war er einfach nicht der Typ. Aber was war es dann? Was verheimlichte er? Wie sah sein Leben aus und was war sein Ziel? Er hing garantiert nicht schon jahrelang nur mit Stan im Stadtpark rum, dessen war ich mir sicher. Ich beschloss, mich morgen noch mal mit ihm zu treffen, gleich nach meinem Kunden morgen Mittag. Dieses Mal würde ich mich weder abwimmeln lassen nicht abhauen, wenn er mich berührte. Vielleicht sollte ich ganz einfach gar nicht reagieren, was würde er dann machen?


    „Aber du brauchst doch einen richtigen Job!” Sie tat entrüstet.
    Natürlich, es konnte ja nicht sein, dass ihre Tochter eine von den Menschen am unteren Ende der Angesehenheits-Skala geworden war. Aber brauchte ich auch nicht irgendwo viel mehr eine richtige Mutter? Eine Familie? War es nicht das, was mir fehlte?
    „Ich habe mich bei einigen Stellen beworben, Mama. Es sind ein paar Vorstellungsgespräche in Sicht”, log ich.
    „Oh, wie schön. Hihi, das freut mich für dich. Es geht dir doch gut?!”
    „Ja, natürlich geht es mir gut, Mama.”
    „Das ist schön zu hören, Schätzchen. Ich muss dann auch mal wieder auflegen, du weißt ja, der Haushalt und alles, man ist doch immer beschäftigt.”
    „Natürlich Mama. Man sieht sich ja dann”, antwortete ich mit dem Wissen, sie nie wieder zu sehen. „Ja, ich hab dich auch lieb.”



    Kapitel 7 - Teil 3



    Am Abend hockten Vanessa, die sich mittlerweile wieder abgeregt hatte, die beiden Schwestern und ich auf der Couch vorm Fernseher rum. Mara aß Chips und machte Kira mit dem Knistern der Tüte wahnsinnig, während diese sich die Nägel lackierte. Vanessa lag in ihrem Pyjama zusammengerollt auf dem anderen Sofa und wir beide verfolgten mehr oder minder gespannt eine langweilige Soap.



    Es war also ein ganz normaler Abend, ohne Vera, die, wie wir vermuteten, sicher bei Jay war und sich dort amüsierte. Sie war immer gegen Drogen gewesen und ich fand es absolut unverständlich, wie sie sich nun mit einem dreckigen Dealer abgeben konnte, aber das wusste wohl nur sie selbst. Sein roter Sportwagen war eines von Veras Lieblingsargumenten, aber eigentlich wussten wir alle, dass Vera nie dermaßen oberflächlich gewesen war. Vielleicht hatte sie sich geändert. Vielleicht war es auch was anderes. Ich beschloss, nicht mehr so viel darüber nachzudenken.



    „Mensch kannst du mal aufhören zu fressen?!”, schrie Kira plötzlich Mara an und wir alle zuckten erschrocken zusammen. „Das macht mich voll kirre, ich vermal mich dauernd. Du bist sowieso schon fett genug, du isst ja nur noch!”
    „Ach halts Maul”, gab Mara zurück, „besser als so ein abgemagertes Stück wie du.“
    „Du bist doch fresssüchtig”, brüllte Kira, den Nagellackentferner aufdrehend. „Schau, wie viel du in dich reinstopfst! Das ist doch nicht normal. Niemand isst so viel wie du, das ist ja eklig. Und mit so was bin ich auch noch verwand, ich fasse es…”



    „Könnt ihr mal die Fressen halten!?!”, schrie Vanessa auf einmal dazwischen und übertönte selbst Kira. „Ihr benehmt euch wie die Kleinkinder, meine Güte. Ich will hier fernsehen!”
    Kira und Mara verstummten und wir drei sahen uns erstaunt an. Was war bloß mit der sonst so stillen Vanessa los? Noch nie hatte ich sie schreien hören. Was war passiert?
    „Was geht’n mit dir Mädel?”, fragte Kira, nachdem die erste Schrecksekunde vorbei war.
    „Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!”, keifte Vanessa, während ihr Tränen aus den Augen schossen und sie aufstand, um in ihr Zimmer zu rennen, doch Mara sprang ebenfalls auf und hielt sie fest.



    „Was hast du denn?”, fragte das blonde Mädchen und zog ihre Freundin wieder auf das Sofa. „Was ist passiert?”
    „Ach nix man”, schmollte Vanessa.
    Kira tat desinteressiert und wischte an ihren Nägeln rum, aber ich wusste genau, dass sie heimlich sehr neugierig war, was Vanessa so durcheinander brachte. Auch ich war gespannt und sah das verheulte Mädchen an, das auf mich auf einmal einen heruntergekommenen Eindruck machte. Ich hatte das Gefühl, sie war viel blasser als sonst, hatte ihre schwarzen Haare zu einem unordentlichen Dutt gebunden und ihre Hautunreinheiten heute ausnahmsweise mal nicht überschminkt.
    „Man ich hab’ halt ‘nen bisschen Stress okay?!” Vanessa schien nicht reden zu wollen und Mara nahm sie tröstend in den Arm.
    „Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst, ja? Egal was es ist.”
    Vanessa schwieg eine scheinbar endlos lange Zeit, dann nahm sie jedoch ihren Mut zusammen und erzählte uns, was sie so belastete.



    „Vera hat herausgefunden, dass ich mit manchen Kunden ohne Kondom schlafe.”
    „Du tust was?!” Maras Augen weiteten sich und auch ich traute meinen Ohren nicht.
    „Ja man ich weiß, dass wir das nicht sollen, aber manche bezahlen weit über 100 extra.”
    „Bist du noch zu retten?”, fragte Mara entsetzt. „Warum machst du das?”
    Vanessa liefen wieder Tränen über die Wangen. Sie schaute zu Kira, die sich oberflächlich unbeeindruckt zeigte und sich weiter ihren Fingernägeln widmete, und dann zu mir. Ihr Blick war teils verlegen und teils hilflos und obwohl ich echt schockiert war, tat sie mir Leid.
    „Hast du mal an die Krankheiten gedacht?”, fragte Mara weiter.



    „Ja man, ich denke die ganze Zeit daran, denkst du ich finde das toll?! Mara… meiner Familie geht’s nicht so gut, du weißt, dass sie kein Geld haben und mein Vater ist krank. So verdiene ich etwas extra, was ich ihnen zuschicke. Ich will ihnen doch nur helfen…” Sie gestikulierte wild, schluchzte und Mara nahm sie wieder in den Arm.
    „Du bist ein viel zu guter Mensch”, flüsterte sie. „Aber das darfst du nicht machen. Wir kriegen das anders hin, ich kann dir ein bisschen Geld geben… wir finden einen Weg. Setz deine Gesundheit nicht so aufs Spiel, das wollen deine Eltern doch auch nicht.” Vanessa nickte langsam und vergrub ihr Gesicht in Maras Schulter. Ich war überwältigt von der Freundschaft der beiden, und wie toll sie miteinander umgingen. Es musste so unglaublich schön sein, eine richtig gute Freundin zu haben.

    Kapitel 7 - Teil 2



    Salzige Tränen liefen mir die Wangen hinunter, als ich meinen Citroen durch den zähfließenden Stadtverkehr nach Hause lenkte. Ich fühlte nur eine tiefe Leere in mir und dachte nicht viel nach, erst das Geschreie aus der WG, welches mir schon im Treppenhaus entgegentönte, holte mich in die Realität zurück. Grade als ich die Tür öffnen wollte flog diese mir entgegen und eine aufgebrachte Vera stürmte heraus.



    „Du bist so was von unreif”, schrie sie noch mal die tränenüberströmte Vanessa an, die wie ein Häufchen Elend am Küchentisch rumsaß, dann polterte sie Treppen herunter und knallte die Haustür so laut, dass ich Angst hatte die Fenster würden zerbrechen. Zurück blieb nur das Schluchzen von Vanessa, das das nervende Geräusch der Geschirrspülmaschine durchbrach.
    „Was ist denn hier los?!”, fragte ich irritiert, während ich meine Stiefel und meine Jacke auszog.



    „Ach, die blöde Kuh spinnt doch”, entgegnete Vanessa sauer. „Die hält sich voll für was Besseres, denkst wohl sie ist die Geilste!” Mit diesen Worten stand Vanessa auf und stapfte in ihr Zimmer, wie sie sauer die Tür hinter sich knallte. Ich wunderte mich sehr über die herrschenden Zustände im Haus. Was war bloß vorgefallen? Hatte ich was verpasst?



    Noch nie hatte ich Vanessa so verheult und aufgebracht gesehen, war sie doch immer die Schüchternste und Zurückhaltenste. Dass zwischen Kira und Mara die Fetzen flogen, war alltäglich, man hatte sich daran gewohnt und wie schoben es auf die Tatsache, dass Geschwister eben so waren. Aber zwischen Vera und Vanessa war doch immer alles harmonisch gewesen? Mir fiel auch kein Grund ein, warum man sich mit Vanessa streiten konnte, war sie doch immer völlig unauffällig und würde auch nie provozieren. Eigentlich war sie überhaupt nicht der Streittyp. Ich grübelte. Was konnte nur gewesen sein? Jetzt interessierte es mich wirklich.



    Ich legte meinen Kopf in meine Arme auf den Tisch und dachte nach, als ein paar Minuten später Kira in die Tür kam. Sie war völlig durchgeschwitzt, hatte einen roten Kopf und eine schnelle Atmung, offensichtlich kam sie grade aus dem Fitnessstudio



    „Hey Kira, alles klar?”, begann ich, doch der Versuch, ein Gespräch mit ihr anzufangen war vergeblich, denn sie war spät dran, hatte in ein paar Minuten einen Kunden und musste noch duschen. So blieb ich wieder alleine in der Küche sitzen, einsam und allein, nur das monotone Geräusch des Geschirrspülers im Hintergrund laufend, welches nach einer undefinierbaren Zeitspanne vom Klingeln des Telefons übertönt wurde. Völlig unmotiviert aufzustehen wartete ich einen Moment, doch der Anrufer ließ sich nicht abwimmeln und das Gerät klingelte munter weiter. Genervt stand ich auf und griff zum Hörer.



    „Ja?!”
    „Oh hallo”, plapperte eine hohe Frauenstimme los.
    „Hier ist Else, ich hätte gerne meine Tochter Lia gesprochen.”
    „Mama, ich bin am Apparat”, antwortete ich, nun noch genervter, und seufzte. Was wollte die denn jetzt?
    „Oh, hihi, ich erkenn dich gar nicht mehr, du hörst dich ja so erwachsen an jetzt”, schallte es mir entgegen.



    „Ähm, ja…. klar.” Ich fand es irgendwie bezeichnend, dass meine Mutter nicht mal mehr meine Stimme erkannte. Seit ich ausgezogen war, hatten wir den Kontakt so gut wie möglich vermieden, von beiden Seiten. Seit Jahren hatte ich sie nicht mehr gesehen, manchmal hielt sie es aber wohl für ihre mütterliche Pflicht, ab und zu mal bei mir anzurufen. So konnte sie ihr Gewissen beruhigen, denn sie kümmerte sich ja schließlich um mich. Natürlich wusste sie nichts von meinem Leben, ich tischte ihr irgendwelche Lügen auf, um mir nerviges Nachgefrage und Diskussionen zu ersparen. Meine Mutter hatte keine Ahnung, was für ein Mensch ich geworden war, ich wusste dass es sie irgendwo auch nicht interessierte, und so konnte es ruhig dabei bleiben.
    „Was machst du denn so Schätzchen?”, fuhr sie fort. „Hast du endlich einen Job gefunden?”
    Ich hatte wirklich keine Lust auf dieses Gespräch.
    „Ach, so dies und das Mama. Was sich grad so ergibt.”


    Unwillig ließ Samantha sich wieder auf den Stuhl fallen. Catherine lehnte sich an die Küchentheke und lauschte den beiden gespannt. Ob es ein Fehler gewesen war, den Herren in das Haus zu bitten?
    „Ich wusste nicht, dass Paul Ihnen nichts von mir erzählt hatte“, begann Alec. „Entschuldigen Sie daher bitte mein unerwartetes Auftreten gestern. Paul war vor seinem Tod zu mir gekommen, weil er Ihr Haus verkaufen wollte.“
    „Paul hätte das Haus nie verkauft!“, schrie Samantha nun fast und Catherine glaubte zu sehen, dass sie Tränen in den Augen hatte.



    „Leider doch, Frau Louis. Wir hatten aber damals keinen Käufer, daher melde ich mich erst jetzt. Wir haben jetzt einen Interessenten, der sofort unterschreiben würde.“
    „Herr Liffrey. Ich weiß nicht, welche Beziehung Sie zu Paul hatten und was er Ihnen erzählt hat. Aber seien Sie sicher, er hätte dieses Haus nie verkauft und vor allem nicht ohne mir davon zu erzählen. Entweder irren Sie sich, oder Sie lügen mir ins Gesicht!“
    „Ich verstehe Ihren Unglauben“, sagte Alec verständnisvoll. „Aber ich habe das ja alles schriftlich. Natürlich kann ich Ihnen die Dokumente vorlegen.“
    Samantha schien eine Zeit lang zu überlegen.



    „Aber wenn ich nun nicht mehr verkaufen will?“, fragte sie schließlich deutlich gefasster.
    Alec ging nicht richtig darauf ein.
    „Wir haben die Unterschrift ihres Mannes, es war sein Wunsch. Sie werden diesem Wunsch doch nachkommen, Frau Louis?“


    Lieben Dank für eure Kommis und das superliebe Lob, ich habe mich total gefreut!


    Hier der nächste Teil!



    Kapitel 15 – Catherine


    Life is what happens to you while you are busy making other plans.
    (John Lennon)

    -



    Sie hatte Glück, Samantha hatte scheinbar einen guten Tag. Ganz so depressiv, wie alle erzählten, empfand Catherine sie gar nicht, aber vielleicht verstellte sie sich auch nur.
    Irgendwie hatte Cathi es sogar geschafft, ihre Schwester zum Kochen zu überreden und so standen sie jetzt gemeinsam in der Küche und schnippelten Gemüse, brieten Putenbrust und kochten eine asiatische Soße.



    Samantha redete zwar kaum und schnitt schon seit einer gefühlten Ewigkeit an den Paprikas herum, aber immerhin hatte sie sich bereit gezeigt, vom Sofa aufzustehen und überhaupt irgendwas zu machen.
    Natürlich war sie mit Gedanken bei Paul, aber man konnte auch nicht zu viel von ihr erwarten. Worüber sollte sie denn sonst nachdenken? Sie erlebte doch nichts anderes mehr.
    Es war nicht der richtige Weg, Samanthas Gedanken ändern zu wollen; man musste ihr Umfeld ändern, ihre Taten, ihr Handeln, dann würde sie automatisch auf andere Gedanken kommen. Cathi nahm sich vor, sie in den nächsten Tagen auf jeden Fall aus dem Haus zu kriegen, und sei es nur, um zu ihrer Mutter zu fahren. Wenn man seit sechs Monaten im Haus saß, konnte man ja nur depressiv werden.



    Catherine würzte die Soße, als es an der Tür klingelte. Da sie Elena freigegeben hatten und Samantha keine Anstalten zum Aufstehen machte, beschloss sie, selbst die Türm zu öffnen.
    Ob ihre Schwester wohl Besuch bekam? Es hieß doch, sie würde so einsam sein?
    Als Catherine die Tür öffnete, stand sie einem großen, schlanken Mann gegenüber, der mehr als verwundert schien, sie zu sehen. Scheinbar hatte er Elena erwartet.
    „Guten Abend, ich bin Alec Liffrey“, sagte er nicht ohne Stolz, als sie ihn erwartend anschaute. „Ist Frau Louis zu Haus?“



    „Natürlich. Kommen Sie rein.“
    Catherine ließ den jungen Mann eintreten. Wer er wohl war? Sie hatte gar nicht gewusst, dass Samantha noch Besuch erwartete, geschweige denn, dass sie so attraktive Männer kannte. Ob er ein Freund war? Vielleicht sogar ein möglicher Nachfolger Pauls? Nein, das wäre wohl zu viel des Guten, obwohl sie es gutgeheißen hätte.
    Sie erwartete ein Lächeln Samanthas, als sie den Besucher in die Küche führte, doch dieser entgliten alle Gesichtzüge.



    „Was wollen Sie denn hier?“ Catherine musste sich nicht bemühen, die Verachtung aus ihrer Stimmlage zu hören.
    „Guten Abend, Frau Louis“, begrüßte der Mann sie freundlich.
    Samantha warf Catherine einen strafenden Blick zu.
    „Verschwinden Sie aus meinem Haus.“
    Catherine war mehr als irritiert. Samanthas Abscheu gegenüber Alec Liffrey war unverkennbar. Doch woher kam sie? Was hatte dieser Mann ihr getan?



    „Frau Louis, bitte entschuldigen Sie, dass ich sie so spät noch störe. Ich dachte, wir können uns vielleicht noch mal über mein Angebot unterhalten…“
    Obwohl Alec Liffrey freundlich und besonnen war, blieb Cathi die Distanz und die Überlegenheit in seiner Stimme nicht verborgen. Dieser Mann war mehr als selbstbewusst und er wusste, was er wollte. Aber warum war er hier? Von was für einem Angebot redete er? Und warum schien Samantha ihn so abgrundtief zu hassen, wo er doch ganz sympathisch war?



    „Cathi, dieser Mann will das Haus kaufen!“, klärte ihre Schwester sie auf. „Ist das noch zu fassen? Spaziert hier rein, als wäre er ein gebetener Gast und bildet sich ein, mich mit ein bisschen Geld bestechen zu können.“
    „Frau Louis…“, der Mann lächelte. „Darf ich mich setzen?“
    „Nein! Ich weiß nicht, was Sie hier noch wollen, ich denke, es ist alles gesagt.“
    „Ich möchte mit Ihnen über Ihren Mann reden.“ Alec gab nicht auf.



    „Mein Mann geht Sie überhaupt nichts an!“, giftete sie.
    „Ihr Mann vielleicht nicht, aber das Angebot, dass er mir vor seinem Tod gemacht hatte.“
    „Sie kannten meinen Mann nicht!“
    „Ich kannte Ihren Mann sehr gut“, behauptete Alec und ließ sich ruhig auf einem Stuhl nieder. „Bitte setzen Sie sich, Frau Louis, ich möchte mit Ihnen reden.“


    „Mit wem hat er zum Schluss zusammengearbeitet?“
    Alec hatte einen Notizzettel aus seiner Jackentasche gekramt und schrieb eifrig auf sein Papier, als Michael ihm ein paar Namen nannte.
    „Wieso interessiert dich das alles?“, fragte er, als die Tomaten-Mozzarellabrote, die beide bestellt hatten, weil sie als absolute Spezialität des Cafés galten, gebracht wurden.
    Alec musterte sein Brot und schien zu überlegen, ob er auf Michaels Frage antworten sollte, dann aber wich er aus.
    „Kennst du seine Frau?“



    „Samantha? Nur flüchtig. Von Feiern und so, du weißt schon.“
    „Wie schätzt du sie ein?“
    Michael war irritiert. Alec hatte doch wohl kein Interesse an Pauls Witwe? Unter diesen Umständen würde er das Gespräch sofort beenden.




    „Ach Quatsch“, wiegelte Alec ab, als Michael seine Vermutung zu Sprache brachte.
    „Frauen interessieren mich nicht. Und selbst wenn, diese würde es auch dann nicht. Es tut mir Leid, so über die Frau deines Freundes zu sprechen, aber…“
    Michael wusste, was er meinte.
    „Sie war früher anders“, fiel er Alec ins Wort.



    „Stark, unabhängig, sehr intelligent, eine echte Führungsperson. Und wunderschön.“
    Michael hatte sofort verstanden, was Paul an ihr gefunden hatte.
    „Was arbeitet sie?“
    „Sie war in der Telekommunikationsbranche. Hat sich schnell hochgearbeitet, und das als Frau.“
    „Und nun arbeitet sie nicht mehr?“
    „Nein, nicht soweit ich weiß.“




    Alec begutachtete sein Brot, von dem er irgendwie mehr erwartet hatte. Er stellte noch einige weitere Fragen, auch bezogen auf Pauls Haus, doch Michael konnte ihm nicht viel dazu erzählen. Nur ein Mal war er bei Paul zu Hause gewesen. Er erinnerte sich noch an das riesige Anwesen, an den wunderschönen Garten, an die neidischen Blicke seiner Frau und an die vielen Zimmer, durch die sie geführt wurden, aber all dies half Alec nicht weiter.



    „Weißt du, wieso er gegen den Baum gefahren ist?“, fragte Alec plötzlich unvermittelt.
    „Nein. ‚Aus ungeklärten Ursachen’ heißt es. ‚Wegen schlechter Witterung’, in anderen Quellen. Es ist uns allen ein Rätsel, Paul war ein sehr guter Fahrer. Aber so ist es wohl nun mal, es kann wohl jeden treffen.“
    Michael schien betroffen zu sein und Alec verzichtete auf weitere Fragen.
    „So kurz vor seiner Beförderung. Hoffentlich hat die Polizei ihre Arbeit gut gemacht“, murmelte er nur noch leise, aber Michael hörte nicht hin.

    Es tut mir so Leid -.-
    Ja, es gab hier ewig lange keine Fortsetzung, sorry. Erst kam ich nicht dazu und dann, als ich sie reinstellen wollte, hab ich die FS nicht mehr gefunden, weil sie zu weit runtergerutscht war :/ Auch mit der Suche hatte es nicht so richtig funktioniert. :misstrau
    Als ich sie dann vorgestern endlich ausgegraben hatte, hatte ich keine Energie mehr und dachte, ach es interessiert eh keinen mehr und so... dumm, ja ich weiß.


    Naja, jetzt ist sie wieder da und es geht auch weiter, habe ein paar neue Kapitel auf Vorrat gemacht, damit sowas nicht nochmal passiert!
    Hier also endlich Kapitel 14!




    Kapitel 14 – Michael


    Wer sich keine Zeit für seine Freunde nimmt, dem nimmt die Zeit die Freunde.
    (Russisches Sprichwort)



    Mit jedem hatte er gerechnet, aber niemals mit Alec Liffrey. Dass er seinem alten Freund noch mal begegnen würde, hatte er stets für so unwahrscheinlich gehalten wie den Einschlag eines Asteroiden in sein Haus in Kiel.
    Und nun wollte er sich mit ihm treffen, hatte ihn in eine kleine Bar am Stadtrand eingeladen. Michael konnte es kaum glauben.
    Er hoffte, dass Alec ihm sein Zuspätkommen entschuldigen würde, als er seinen Mercedes durch den zähfließenden Verkehr lenkte. Was hatte Alec mit Paul Louis zu schaffen? So viel Michael auch darüber nachdachte, er konnte sich keinen Reim darauf machen.



    Zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit kam Michael im ‚Bolero’ an. Alec saß bereits an einem Tisch etwas abseits und hatte sich etwas zu trinken bestellt. Als er Michael sah, stand er auf und schien sich ehrlich zu freuen.
    „Schön, dass du kommen konntest“, begrüßte er ihn. „Das hier war leider der einzige freie Tisch. Setz dich doch.“ Alec deutete auf den Stuhl an dem kleinen runden Zweiertisch.
    „Ich hätte nie gedacht, dich noch mal zu sehen“, gab Michael zu, als er sich setzte. „Das erscheint mir alles ziemlich unwirklich.“



    „Nun, du könntest mir tatsächlich helfen“, kam Alec gleich zum Punkt.
    „Was kannst du mir über Paul Louis erzählen?“
    Die Kellnerin kam und nahm die Bestellung auf und dann erzählte Michael ohne Umschweife los. Es gab keine Geheimnisse über Paul Louis und auch wenn er nicht wusste, warum dieser Alec interessierte, gab er ihm bereitwillig Auskunft.
    „Paul und ich haben zusammen bei Jefferds gearbeitet. Er war ein ehrenhafter Mann. Und gut war er. Verdammt gut. Ich mochte ihn.“
    „Würdest du sagen, er war reich?“, fragte Alec geradeaus. Vielleicht wollte er wissen, ob Paul Schulden gehabt hatte.



    „Geldprobleme hatte er bestimmt nicht“, gab Michael zur Auskunft, den die Frage verwunderte.
    „Er hat immer viel gearbeitet. Zu viel, wie einige meinten. Aber Paul wurde auch belohnt für sein Engagement. Er war einer unserer besten Geschäftsmänner. Der Chef wusste, was er an ihm hatte, bezahlte ihm mehr, beförderte ihn. Es gab natürlich Neider.“
    „Hatte er Feinde?“
    „Feinde nicht. Jedenfalls niemanden, der es öffentlich machte. Alle waren sehr bestürzt über seinen Tod.“


    Als wir wieder im Park waren und an einem See vorbeischlenderten, blieb Black plötzlich stehen.
    „Du bist was ganz Besonderes, Lia”, sagte er und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und seine Hand fühlte sich warm und schön an. Ich hielt sie fest.



    Für einen Moment schien die Zeit angehalten zu haben und wir standen nur so da, dann besann ich mich aber schnell wieder und nahm seine Hand von mir weg.
    „Du solltest mich nicht anfassen”, sagte ich und klang zickiger als gewollt. Black erwiderte nichts und sah mir nur tief in die Augen, was mich zu Boden blicken ließ.
    „Ich… sollte gehen”, stammelte ich und drehte mich weg, doch er hielt mich zurück.
    „Warte, Lia.”
    Für einen Moment sah es so aus, als wollte er noch etwas sagen, doch dann folgte nur ein leises „Es tut mir Leid”, und er ließ meine Hand los.



    Ohne ihn noch mal anzusehen ging ich schnellen Schrittes davon und hoffte, dass er mir nicht folgen würde, obwohl ich nicht wusste, warum.

    „Lass uns in ein Café gehen”, durchbrach ich die Stille. „Mir ist kalt.”
    Black antwortete nicht, rief aber Stan zu sich und dann gingen wir in die kleinste der drei Gaststätten des Parks und setzten uns an einen kleinen Tisch an der Wand.



    „Was hältst du von einer heißen Schokolade?”, fragte Black, nachdem er es irgendwie geschafft hatte, seinen Riesenhund unter dem Tisch zu verstauen.
    „Das wäre fantastisch”, stimmte ich zu und tatsächlich wunderte ich mich, dass er meinen Geschmack so gut erraten hatte.
    „Willst du reden?”, fragte er.
    „Ich weiß nicht, worüber.”
    „Es ist auch nicht wichtig, irgendwas.”
    „Na ja, da du mich heute ja nicht bezahlst, können wir ja mal über dich reden.” Ich brannte wirklich darauf, mehr über den mysteriösen Mann zu erfahren. „Wer bist du?”
    „Wer ich bin?”, wiederholte er, sah mir in die Augen und lächelte. „Ich bin Black. Das weißt du doch.”
    „Da geht’s schon los, wie ist dein richtiger Name?”
    „Ich heiße Black.”
    „Natürlich. Ich meine, welchen Namen du ursprünglich hattest.”
    „Meinst du, der Name passt nicht zu mir? Ich finde ihn nicht schlecht.”



    „Warum nennt man dich so?”, wollte ich wissen. „Ist es wegen deiner schwarzen Klamotten?”
    „Och, ich trage gar nicht immer schwarz.” Er sah an sich herab und grinste. „Na ja, aber es gefällt mir einfach.”
    „Woran liegt es dann? An den Haaren, an den Augen?”
    „Es liegt daran, dass ich das schwarze Schaf meiner Familie war”, sagte Black und schmunzelte. Irgendwie glaubte ich ihm diese Aussage nicht, fragte aber auch nicht mehr nach.
    Er sah mich weiter mit seinen warmen dunklen Augen an, und sein Blick kam mir nicht mehr unangenehm, sondern freundlich vor. Was hatte ich bloß gegen ihn gehabt?
    „Und sonst so? Was machst du sonst so?”
    Ich wollte unbedingt mehr über Black wissen, aber er erzählte ja einfach nichts. In diesem Punkt glich er mir vielleicht, auch ich wollte ihm ja nichts über mein Leben verraten.
    „Ach, so dies und das. Nichts Besonderes.”



    „Verkaufst du Drogen?”, fragte ich direkt und Black verschluckte sich an seiner Schokolade.
    „Ich?! Wie kommst du denn darauf? Ich hab Angst vor Drogen.” Er hustete. „Nein, damit habe ich nichts am Hut.”
    „Hm, ich finde, du siehst so aus…”
    „Ach ja?” Black schien wenig beeindruckt und nippte weiter an seinem Getränk.



    „Und hast du eine Freundin?” Für einen Moment lang schien es, als würde Black traurig sein, aber wahrscheinlich war es nur eine Einbildung, denn dieses Bild verschwand sofort wieder.
    „Nein… nein, natürlich nicht. Auch keinen Freund, falls du das meinst. Ich komme nicht darüber hinweg, dass du mich für schwul gehalten hast. Ich habe Stan, sonst niemanden. Er gehörte meinen Eltern, aber meine Eltern sind tot. Gestorben, vor kurzem, Unfall. Ich bin froh, dass er bei mir ist, er hilft mir. Sonst wäre ich allein.”



    Ich dachte kurz nach und wusste nicht, was ich sagen sollte. Die letzte Antwort von Black ließ ihn auf einmal schwach und nicht mehr unantastbar und gefährlich wirken.
    „Bist du zu mir gekommen, weil du einsam warst?”, fragte ich schließlich.
    „Was? Nein. Das hatte einen anderen Grund.”
    „Welchen?”
    In diesem Moment sprang Stan auf, stieß sich den Kopf am Tisch und rannte auf den Kellner zu, der einige Teller trug und diese nun fallen ließ.
    „Stan!!”, rief Black, rannte seinem Hund hinterher und griff ihn am Halsband. „Was fällt dir ein?!”



    Black half dem Kellner, das Geschirr aufzuräumen und entschuldige sich, doch es brachte nichts. Der junge Mann war sehr wütend und wollte, dass wir das Café verlassen, wenn wir unser ‘Vieh’ nicht unter Kontrolle haben.



    Ich erwartete, dass Black sich nochmals entschuldigen und kleinlaut an den Tisch zurück kehren würde, doch stattdessen verteidigte er seinen Hund, drückte dem Kellner das Geld für die Getränke in die Hand und knöpfte seine Jacke zu. Erhobenen Hauptes verließen wir zusammen die Gaststätte.

    Vielen lieben Dank für eure Kommis!
    Schwanger von Phil... hm, darauf war ich gar nicht gekommen :hua
    Ich hoffe, dass es auch ohne das spannender wird. Ich persönlöoch muss sagen, dass mir der erste Teil der Story gar nicht so gefällt, also es wird noch deutlich besser bzw spannender, versprochen!



    Kapitel 7 - Teil 1




    Schon kurz nach Zwei kam ich im Stadtpark an. Ich hatte mir eine graue Jeans und Pumps angezogen. Über meinem weißen Top trug ich eine Lederjacke, da der Wind wirklich kalt war und die dicken Wolken keine Sonnenstrahlen auf die Erde hinunter ließen. Der Hamburger Stadtpark war riesig und früher hatte ich hier gerne Zeit verbracht und mir alles genau angesehen, aber nun war ich schon lange nicht mehr hier gewesen. Wie alles hatte auch der Park nach und nach seine Faszination verloren, bis er für mich schließlich nur noch ein langweiliges Fleckchen Erde in dieser grauen Großstadt war, völlig unbedeutend, wie alles andere drumherum auch.



    Unbeeindruckt schlenderte ich mit hängendem Kopf die Wege entlang. Es war ziemlich leer und ruhig im Park, denn bei diesem Wetter saßen die meisten Menschen lieber mit ihrer Familie im Haus. Familie. Bei dem Gedanken daran krampfte sich mein Herz unwillkürlich zusammen.
    Ich kickte einen kleinen Stein weg, der auf dem Weg rum lag und er flog in das grau-grüne Gras am Wegesrand. Nicht mehr lange würde es dauern, bis hier alles von einer dicken Blätterschicht begraben war. Irgendwelche armen Stadtarbeiter würden immer und immer wieder versuchen, diese wegzuharken, nur um am nächsten Tag von Neuem zu beginnen. Kurz darauf würde der erste Schnee kommen, oder eher Schneematsch, wie es für Hamburg üblich war, und es würde kaum jemand mehr in den Park gehen, denn dann würde es noch mehr regnen als jetzt.



    Es würde trostlos und endlos aussehen, aber nur einige Monate später würde die Sonne wieder scheinen, das Gras würde wieder grün werden und die Bäume würden neue Blätter bekommen, um sie im Herbst wieder abwerfen zu können, damit die Stadtarbeiter nicht arbeitslos wurden. Es ging immer so weiter, ein Jahr nach dem anderen, auch in hundert Jahren würde es noch so sein. Der ewige Kreislauf hörte nicht auf, niemals, und es war ihm egal, ob die Menschen nun lieber Sonne als Regen hatten oder die Kinder lieber Schneemänner bauten als in Regenpfützen zu spielen. Die Natur kümmerte sich nicht darum. Mein Leben erschien mir auf einmal noch sinnloser als zuvor. Wenn ich nicht mehr da wäre, wenn ich sterben würde, würde auch das keinen Unterschied machen, es wurde alles weitergehen, Jahr für Jahr. Jedes Jahr, ohne auch nur eine Veränderung. Man würde zu meiner Beerdigung gehen und dann wieder zur Arbeit. Ich würde keine Familie haben, die sich an mich zurück erinnern würde, keinen Mann, der meinen Kindern von mir erzählte, niemand, der seinem Freund ein Foto von mir zeigte und eine lustige Geschichte über mich erzählte. Ich wäre einfach weg, aber beeindrucken würde es niemanden. Ich hatte keine Spuren hinterlassen.



    „Hi Lia”, rief Black und ich zuckte zusammen. Ich hatte nicht gemerkt, dass er hinter mir ging. Wie lange schon? Warum? Der Park war so groß.
    Black trug eine schwarze Lederjacke und grade als ich bemerkte, dass er seinen Hund nicht dabei hatte, kam dieser mit einem riesigen Ast im Maul angerannt.



    „Stan und ich sind schon den ganzen Tag hier”, sagte Black, nahm seinem Tier den Stock ab und warf ihn wieder weit weg. „Wir gehen oft hier her, der Park gefällt uns. Allerdings bevorzugen wir Tage wie heute, wenn niemand da ist. Es ist ruhiger.”



    „Hmm…”, entgegnete ich. Mir war es egal, ob sich nun zehn oder zehntausend Menschen im Park befanden, mittlerweile sah ich das gar nicht mehr. Ich überlegte, was ich sagen sollte, wenn Black mich nach dem Grund des Treffens fragte, doch zum Glück tat er dieses nicht.
    „Geht es dir gut, Lia?”, fragte er stattdessen, während wir nebeneinander den Weg entlangliefen.



    „Nein. Aber ich weiß nicht, warum. Alles erscheint mir so…”, mir fiel kein Wort ein.
    „Sinnlos?”
    „Ja genau, woher weißt du das?”
    „Ich kenne das. Kannte es, früher. Es hat einen Sinn, Lia. Alles.”
    „Vielleicht ist es das Wetter”, entgegnete ich, „Vielleicht macht mich das depressiv.”
    „Es ist nicht das Wetter, und das wissen wir beide”, sagte er und dann schwiegen wir lange.


    Luke blieb fern. Ian versuchte, sein Gesicht heraufzubeschwören, während er einschlafen wollte, aber es gelang ihm nicht. Er konnte sich kaum an ihn erinnern. Ian versuchte, sich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, die er nicht vergessen hatte. Er dachte an das Wohnzimmer, den Kamin und den Geruch der Kekse, aber er hatte Mühe, seine Gedanken festzuhalten, die immer wieder abschweiften.



    Er drehte sich auf den Bauch, das Gesicht in das harte Polster der Pritsche drückend, um seine Augen von dem Licht der Neonröhren abzuschirmen. ‚Luke, wer bist du? Sag mir, wer du bist!’ Er wusste nicht, wer Luke war, aber er hatte das Gefühl, ihm vertrauen zu können. Nein, Luke fühlte sich nicht an, wie ein Gegner. Er war vertraut.



    Während er krampfhaft versuchte, einzuschlafen, rekonstruierte Ian seine letzten Träume, so gut es ihm möglich war. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren und die andauernden Schmerzen in seinem Kopf drohten, ihn in den Wahnsinn zu treiben. „Ich dachte an Paula, in Gedanken an deine Mutter Pauline“, hörte er den jungen Mann auf dem Sofa vor dem Kamin sagen. Und dann hörte er ein zweites Mal dieses Türklingeln, welches die ganze Szenerie zerriss. Es war sein Nachbar Steve, jetzt erinnerte er sich wieder. Die Bilder in seinem Kopf wurden klarer, die Geräusche deutlicher.



    „Entschuldige die späte Störung, aber es hat nicht länger warten können“, hörte Ian die Worte des Nachbars. Er war gespannt, was jetzt kam, was der Grund für Steves Klingeln war. Wollte wissen, ob ihm das weiterhalf, inwiefern es in Verbindung stand mit den Dingen, die geschehen waren und was es ihm über Luke und die andere Welt verriet.
    Aber Steve sagte nichts mehr, Lukes Reaktionen blieben aus und die Situation erschien eingefroren, als hätte jemand die Pausetaste gedrückt.
    ‚Was ist los? Tut irgendetwas!’ Konnte das sein - das nichts mehr kam? Erinnerungen, die einfach so zu Ende waren?


    -



    Ian wachte schweißgebadet auf. Es war taghell und das Surren der Neonröhren rauschte in seinen Ohren. Wie spät war es? Er setzte sich auf, blickte sich hektisch um und sah Paula an die Wand gelehnt schlafen. Ein schneller Blick auf das kleine Fenster verriet ihm, dass bereits Nacht war.
    Er hatte geträumt. Nicht von Luke, wie er es sich vorgenommen hatte, sondern von Kor. Von der Gefangenschaft. Von dem Verhör, welches sie mit ihm gemacht hatten. Von dem, was noch kommen sollte. Und von ihm als Mörder.



    Ian zitterte und versuchte, den Traum aus seinen Gedanken zu bannen. Nein, er war kein Mörder. Sie versuchten nur, es ihm einzureden, um ihn zu zermürben. Er war kein schlechter Mann, er würde keinen Menschen umbringen, das könnte er niemals. Dann fiel ihm ein, dass er den beiden Männern beim Verhör genau damit gedroht hatte. Sie umzubringen. Und er wusste, dass er es ernst gemeint hatte.


    „Ich glaube, wir sind krank“, durchrissen Ians Worte die Geräuschkulisse von Paulas Schritten, die von den kahlen Wänden widerhallten.
    Der Blick des Mädchens fiel auf den Mann, der an der Wand lehnte, seine Beine an seinen Körper gezogen.



    „Es wird einen Grund haben, dass sie uns einsperren, dass sie uns Fragen stellen, dass wir nur mit Handschellen aus diesen Räumen kommen. Ich weiß nicht, ob das logisch ist, aber was ist, wenn wir in unserer Vergangenheit Schlimmes getan haben? Wenn wir Mörder sind?“
    Die Stimme des jungen Mannes brach.
    „Ian, das ist total absurd, ich glaube nicht…“
    „All diese Fragen, die sie mir gestellt haben. Ob ich mir vorstellen könnte, einen Menschen zu töten und an was ich mich erinnere… das fragen die doch nicht einfach so!“



    Paula setzte sich vor den Mann auf die kalten Fliesen, ihren Blick in seine grauen Augen gerichtet, die von kleinen Falten umspielt wurden.
    „Aber wer bin dann ich? Wieso sperren die uns zusammen ein? Das würde doch keinen Sinn machen. Sie sind die Verbrecher, Ian, nicht wir. Ich weiß nicht, was die da mit dir gemacht haben, aber…“
    „Ich saß ihnen gegenüber an einem Tisch.“ Ians Blick wurde hart.



    „Weißt du, wie das für mich war, wieder in einem normalen Raum zu sein? Nicht mehr auf dieses Weiß zu starren? Den einen Mann habe ich noch nie gesehen. Er hat geredet wie ein Psychologe und fragte immer wieder nach diesen Dingen aus der Vergangenheit… ich weiß doch nichts darüber. Ich träume von mir als Familienvater, aber sie sagen, ich habe nie eine Familie gehabt. Ich höre, wie Kor dich Paula nennt, aber der Andere fragt, wer Paula sei, als wärst du eine Illusion. Verstehst du? Als würde ich dich mir einbilden! Als wäre ich nicht ganz dicht!“ Ians Stimme versagte.



    „Aber Ian, ich weiß doch, dass das nicht so ist. Ich weiß doch, dass wir wirklich hier drin sind, in diesem… Gefängnis. Dass sie uns eingesperrt haben und nicht rauslassen und uns niemals so behandeln dürften, wenn das was Offizielles wäre und wir Kriminelle wären…“
    „Woher weißt du, dass sie Gefangene nicht so behandeln, nur weil sie es offiziell nicht so tun?“
    „Man Ian, jetzt hör auf. Wir müssen überlegen, wie wir hier rauskommen, bevor es uns aufgefressen hat, bevor wir keine Energie mehr haben, bevor… sie uns das alles so eingetrichtert haben, dass wir es glauben.“



    Ian schwieg. Er starrte auf die kahlen Fliesen, so wie er es am ersten Tag getan hatte und Paula wartete, dass er weinen würde, aber er tat es nicht. Einige Minuten starrte es so in die Ferne, bevor er Paula wieder ansah.
    „Nachzudenken fällt unheimlich schwer, wenn sie einem alles genommen haben, was man dafür verwenden könnte, nicht?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Ich habe dieses Nachdenken satt. Es zermatert meinen Kopf – es kommt nichts dabei raus. Wir haben überhaupt keine Anhaltspunkte!“



    Paula stand auf und begann wieder, durch den Raum zu gehen. Ian sah zu ihr auf. „Wir haben nichts. Überhaupt keine Gewissheiten, keine Konstanten, nur Variablen. Wie soll man ein Problem lösen, mit nichts als Variablen?“
    „Wir sollen es nicht lösen, Ian. Dafür sind wir nicht hier.“
    „Wofür dann? Wofür?!“
    Paula antwortete nicht, denn es war eine rhetorische Frage. Ian wusste, dass sie es nicht wissen konnte, erwartete keine Antwort, nicht von ihr.



    „Paula, ich werde versuchen, zu schlafen. Vielleicht sind die Träume meine einzige Möglichkeit, an Erinnerungen zu kommen. Und wenn es diese Chance gibt, werde ich sie nutzen.“
    Das Mädchen hielt inne, ihre Hände zu Fäusten geballt.
    „Diese Träume, Ian, wie kommst du darauf, dass sie echt sind? Sind sie nicht. Hier drin ist überhaupt nichts real und auf die Dinge in unseren Köpfen würde ich mich schon gar nicht verlassen!“
    „Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Lass mich schlafen, Paula, und wenn ich aufwache, sei da, damit ich es dir erzählen kann.“

    Lieben Dank für eure Kommis, euer Lob und eure Spekulationen. Ich habe mich sehr gefreut :)


    Blood on the ice, kurz zu deiner Kritik: Vielen Dank dafür, aber ich verspreche, dass es eine nachvollziehbare Erklärung geben wird, es ist also schon Absicht... vllt sollte ich das noch etwas klarer machen. Danke dir!


    (Achja, Immer wenn ich deine Signatur lese habe ich sofort nen Ohrwurm :D )


    Nun aber weiter mit Kapitel 13!


    13



    Der Regen prasselte unaufhörlich an das kleine Fenster und Paulas Blick folgt den kleinen Tropfen, die an der Scheibe abperlten. Regen. Wie sehr wünschte sie sich, ihn zu erleben, die kalten Tropfen auf ihrer Haut spüren zu können. In diesen vier Wänden gefangen zu sein, zermürbte nicht mehr nur ihren Geist, sondern begann auch, sich in ihre Seele zu fressen. Sie wusste nicht, wie ihre anfängliche Angst so schnell in Resignation und hatte umschlagen können, aber sie dachte nicht mehr daran, schnell aus dieser Hölle entfliehen zu können.



    Wie lange kann man einen Menschen von der Außenwelt isolieren, bis er seinen Verstand verliert? Wie lange dauert es, bis man anfängt, Neurosen zu entwickeln, geisteskrank zu werden?
    Seit Ian zurück war, hatte er kaum geredet. Nur in der Ecke gesessen, auf den Boden gestarrt und war vor Angst zusammengezuckt, als Paula aus dem Waschraum gekommen war. Wie lange dauert es, bis die menschliche Psyche bricht?



    Sie wusste nicht, was sie mit ihm gemacht hatten, aber sie war sich mittlerweile sicher, dass Kor – und er war nicht der Einzige -, sie von Zeit zu Zeit einzeln aus der Zelle holte, um irgendwelche Untersuchungen an ihnen zu machen.
    Wenn es stimmte, was Ian sagte, und er nicht halluzinierte, hatten sie ihn in einen Raum geführt und ihm Fragen gestellt. Wozu? Wer waren sie und was hatten sie vor? Was bezweckten sie mit alledem?



    Das junge Mädchen zerbrach sich den Kopf, konnte sich aber keinen Reim auf die Dinge machen, die mit ihr und um sie herum geschahen. Sie fühlte sich wie eine Maus in einem Versuchslabor, die weder Einsicht noch Einfluss in und auf das Geschehen hatte, und doch tragender Teil von alledem war. War es das, was hier vor sich ging? Ein Experiment? Waren sie Versuchspersonen?



    Paula rappelte sich auf und ging durch den Raum. Ihre Knochen und Glieder schmerzten vom Rumsitzen, von der Bewegungslosigkeit, der sie hier drin ausgeliefert waren. Das grelle Licht machte Paula müde, aber sie war zu angespannt, um ruhen zu können.