Beiträge von Gifti


    „Bist du dir sicher?”
    „Sie ist schon lange nicht mehr die, für die wir sie halten. Vielleicht war sie das nie. Aber dass es soweit geht, hätte ich nie gedacht.” Vanessa stockte für einen Augenblick und sah mich an. „Sie hat die Drogen doch immer verflucht. Was hat der Kerl nur mit ihr gemacht? Was ist bloß… geworden? Aus ihrem Leben? Sie war doch immer die Erwachsene. Zu der man aufgeschaut hat. Sie hat sich so stark gegeben. Nach innen ist sie so schwach. So… zerbrochen.”
    „Woher weißt du das alles, Vanessa?” Sie schniefte und es rannen immer mehr Tränen über ihre Wangen.



    „Ich habe sie beobachtet. Einmal habe ich sie gesehen, wie sie was genommen hat, zufällig. Sie hatte rumgestottert und gesagt, es sei Medizin. Und sie war irgendwie sauer auf mich, wohl weil ich sie ertappt hatte. Da war ich misstrauisch und habe sie beschattet. Ich musste es wissen. Musste wissen, ob alles hier eine große Lüge ist. Telefonate, ihre Aufenthalte in Discos, Gespräche mit diesen komischen Typen. Und irgendwie passte auf einmal alles zusammen.



    Ihre Art. Ihre Beziehung zu diesem verdammten Jay. Ich hätte was machen können, Lia. Vielleicht hätte ich was machen können….” Vanessa senkte den Kopf und als ihre Tränen auf den Tisch tropften, stand sie auf.
    „Gib dir bloß nicht die Schuld”, sagte ich und nahm das weinende Mädchen in den Arm.



    „Aber was ist, wenn ich Schuld bin?”
    „Du weißt, wie Vera ist, du hättest nie was machen können. Du hättest nie mit ihr reden können, niemals.”
    Nun standen auch mir die Tränen in den Augen.
    „Du kannst nichts machen”, hörte ich mich noch mal sagen, vielleicht um es mir selbst einzureden. „Es ist nun vorbei.”
    Geben wir sie auf.
    Ich hasste mich für diesen letzten Gedanken, aber es war einfach das, was mir durch den Kopf schoss. Vielleicht war ich ein schlechter Mensch. Vielleicht auch einfach nur realistisch.



    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, erinnerte ich mich erst nach einem kurzen Moment an den gestrigen Abend. Irgendwie hatte ich das Gefühl, alles nur geträumt zu haben, war es doch auch so unwirklich erschienen, was mitten in der Nacht in meinem Zimmer vor sich gegangen war.
    Es war nun kurz vor neun Uhr und noch relativ dunkel, was darauf hindeutete, dass es wirklich langsam auf die kalte Jahreszeit zuging, die ich so hasste.



    Man musste sich immer warm anziehen, ich konnte meine Lieblingsklamotten nicht tragen, dauernd waren die Finger und Füße eingefroren, die Tage waren viel zu kurz, das Wetter viel zu schlecht und die Menschen dauernd mies gelaunt. Im Sommer war doch alles irgendwo so viel einfacher, unbeschwerter. Wenn es dann auch noch Adventszeit wurde, brach für mich der allerschlimmste Monat des Jahres an, denn Weihnachten war das Fest der Liebe, das Fest der glücklichen Familien, das Fest der Zusammengehörigkeit. Nur ich hatte niemanden. Weihnachten war grässlich. Aber zum Glück war es ja noch über zwei Monate hin. Noch würde ich mir meine Laune davon nicht verderben lassen. Dafür waren im Moment andere Themen zuständig.


    Ich war noch sehr müde, zwang mich aber aufzustehen, mir wahllos irgendwelche Klamotten überzuwerfen und schleifte durch mein Zimmer und in die Küche. Kira und Vanessa saßen am Tisch, es lief leise Popmusik und die Stimmung wirkte irgendwie verkrampft.



    „Morgen”, murmelte ich und bekam ein genuscheltes „Moin”, von Kira zurück, die sich mal wieder ihre Fingernägel polierte, wobei sie Stunden zubringen konnte, ohne auch nur aufzusehen.
    Vanessa hatte ihre schwarzen Haare zu einem unordentlichen Dutt gebunden und starrte abwesend aus dem Fenster.
    Ich holte mir ein Glas aus dem Schrank und kippte Milch hinein, die das durchsichtige Glas weiß anzumalen schien.
    „Kira… haben die echt… geheiratet?!”, fragte ich dann vorsichtig, als ich die Milch zurück in den Kühlschrank stellte.



    „Mhm…”, erwiderte das blonde Mädchen scheinbar unbeeindruckt ohne hochzuschauen, wie es ihre Art war. Ich lehnte mich an die Küchentheke und sah die beiden Mädchen am Tisch an.
    „Aber… ich mein… einfach so?” Ich konnte es überhaupt nicht fassen, es wollte nicht in meinen Kopf. „Ohne jemandem davon zu sagen? Die kennen sich doch ka…”



    Kira sah hoch und unterbrach mich, und erst jetzt sah ich, dass sie heute ungeschminkt war, was in den zwei Jahren noch nie vorgekommen war.
    „Ja”, meinte sie dann mit überraschend fester Stimme. „Ja. Einfach so. Diesen dreckigen Typen. Ohne was zu sagen. Ohne nachzudenken.” Sie wurde lauter, stand auf und schien auf einmal ziemlich aufgebracht zu sein. „Kann man sich das vorstellen?! Nein. Ich glaube es nicht. Das ist… krank. Die Frau ist krank.”



    Kira schrie nun fast, stand auf und schmiss ihre Polierfeile auf den Küchenboden.
    „Diesen beschissenen Dealer. Was der wohl in sie reingepumpt hat, dass sie ja gesagt hat. Es ist alles vorbei, jetzt kann sie’s voll vergessen, da kommt sie nich’ wieder raus. Hallo?… Heiraten, ja. Heiraten. Wie kommt man auf so was? Warum? Weil er nen Sportwagen fährt?” Kira lief durch die Küche und schien zu überlegen, ob sie sich wieder hinsetzen sollte, doch sie regte sich immer mehr auf und dann trat sie mit voller Wucht gegen den Kühlschrank.
    „Ich fass es einfach nicht. Wie lange kennen die sich? Ein paar Wochen?!”
    „Kira, beruhig dich”, versuchte ich, ihre Wut zu dämpfen. „Es ist nicht unsere Sache. Vielleicht… lieben sie sich?” Kira fing an, gezwungen zu lachen.



    „Ja. Lieben. Klar. Die. Grade die beiden. Sicher. Ich glaub ich dreh hier durch!!” Den letzten Satz schrie sie so laut, dass ich zusammenzuckte, dann nahm sie einen Kochtopf, der auf der Küchentheke stand und schmiss ihn mit voller Wucht auf den Boden.
    „Ich hasse sie.” Mit diesen Worten rannte sie aus dem Raum und knallte die Tür.
    Ich sah zu Vanessa, die die ganze Zeit über noch nichts gesagt hatte und völlig unbeteiligt schien, und sah, dass ihr eine Träne die Wange hinunter lief.



    War dieses das Ende? Auf einmal durchfuhr mich eine ungeheuer große Angst. Was war, wenn jetzt alles zerbrechen würde? Alles, was mein Leben noch ausmachte.
    „Ich weiß, dass sie Drogen nimmt”, gab Vanessa leise von sich, während sie weiterhin das Fenster fixierte. „Schon länger.”
    „Was?!” Ich setzte mich zu dem Mädchen an den Tisch.
    „Solche Pillen. Neuerdings besorgt er ihr Kokain. Sie ist total kaputt, Lia.”
    Ich schluckte und griff nach Vanessas Hand, doch sie zog sie weg.


    „Ach Kiiiriii”, juchzte Vera laut und übertrieben hoch, als sie sich zu ihr umdrehte. „Lass uns feiern.”
    Kira zog eine Augenbraue hoch und sah Mara und mich kurz entsetzt an, dann fiel ihr Blick wieder auf Vera.



    „Wir haben geheiratet”, quietschte diese. „Ist das nicht wundervoll?”
    Zuerst wurde mir die Bedeutung von Veras Worten gar nicht so bewusst. Doch dann, langsam, brannte es sich in mein Hirn. Sie … hatten … ge-hei-ra-tet? Sie?! Vera und … er? Niemals.
    „Man, du bist doch besoffen”, sagte Kira abwertend und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und nun seid still, ich muss schlafen.”



    „Aber es sti-himmt”, trällerte Vera und hielt ihre Hand in die Luft, aber da meine Augen noch immer vom Licht geblendet wurden, konnte ich nicht erkennen, ob sie tatsächlich einen Ring trug.
    Plötzlich stand Mara auf, die auf einmal Tränen in den Augen hatte und rot vor Wut geworden war.
    „Ihr habt was?!”, sie stellte sich vor Vera und sah sie direkt an und ich erschrak vor ihrem bestimmten Auftreten.
    „Freu dich lieber für mich, Kind”, sagte Vera, immer noch in einer unnormal hohen Stimmlage. Irgendwie erinnerte sie mich grade an meine Mutter.



    „Das ist krank”, schrie Mara. „Wenn das stimmt, seid ihr einfach nur krank. Vera, ich dachte du hast Träume. Und ein bisschen Würde.” Sie sah kurz zu Jay, der immer noch unbeeindruckt an der Wand lehnte.
    „Guck dir doch nur mal diesen Penner an. Was ist denn das für ein Mann? Ich fass es nicht.” Mit diesen Worten rannte Mara an den beiden Betrunkenen vorbei und ein paar Sekunden später hörte man ein lautes Türknallen.



    „Die Kleine ist neidisch auf unser Glück, Schnecke”, säuselte Jay unbeindruckt. „Und komm, es wird Zeit für unsere Hochzeitsnacht!” Er drehte sich um und verschwand aus der Tür. Ich sah ihm kurz hinterher und bei dem Gedanken, dass Vera mit ihm ins Bett gehen würde, wurde mir übel. Nein, das war nicht ihr Stil. Sie war immer ein bisschen seltsam gewesen, aber nicht so. Sie hatte Träume gehabt. Sie wollte nach Afrika ziehen. Niemals würde sie einen versifften Drogendealer heiraten.



    Da sah ich auf ihre Hand, und entdeckte den protzigen Ring mit dem viel zu großen roten Rubin an ihrem Ringfinger. Mein Glaube an die Menschheit verschwand mit einem Mal und ich wusste, dass dieses das Ende für Vera sein würde. Jeder hätte es gewusst.

    Wow, vielen Dank für eure ganzen Kommis :) Habe mich total gefreut!
    Und keine Angst, zu einer typischen Liebesgeschichte wird es ganz, ganz sicher nicht (;


    Kapitel 10



    Noch lange klangen seine Worte in meinem Kopf nach, als ich nachts in meinem Bett lag. Meinen Kunden am Abend hatte ich ohne weitere Zwischenfälle hinter mich bringen können, irgendwie war es mir wieder gelungen, gedanklich das Weite zu suchen. Als ich nach Hause gekommen war, erzählte Kira mir verwirrt, dass ‚irgendwer von so einem Hotel’ angerufen hatte und ‚irgendwas von einer gefundenen Handtasche gefaselt’ hatte.



    Mein Herz hatte einen Sprung gemacht, ich war zum Hotel gefahren und an der Rezeption hatte man mir meine Handtasche überreicht, aus der zu meinem Erstaunen nichts gefehlt hatte. Man sagte mir, eine Putzfrau hätte sie gefunden, also ging ich einfach mal davon aus, dass Gerhard sie einfach im Zimmer hatte liegen lassen, vielleicht hatte er sie auch gar nicht gesehen. Der Tag war also sozusagen wie am Schnürchen verlaufen und alles war gut gegangen, aber nun war es schon weit nach Mitternacht und ich lag noch immer mit geöffneten Augen in der Dunkelheit meines Zimmers und spürte, wie Engelchen und Teufelchen oder auch mein Gehirn und mein Gewissen in meinem Kopf kämpften.



    Was sollte ich nur machen? Für so eine Situation gab es keinen Ratgeber, kein Buch, in dem man nachschlagen konnte, keine Selbsthilfegruppe. Niemanden, den man um Rat fragen konnte, nicht mal jemanden, dem man sich einfach anvertrauen konnte. Man war einfach allein. Wie immer, wenn es darauf ankam.
    Ich wollte einfach, dass es aufhörte. Einfach ganz normal weiter machen.
    Grade, als ich mich umdrehte, um nun endlich zu schlafen hörte ich ein lautes Gepolter auf dem Hausflur, welches sich dann in unsere Küche verlagerte. Den Stimmen nach zu urteilen war es Vera mit noch einigen anderen Leuten, die sich lautstark unterhielten und wahrscheinlich auch nicht mehr ganz nüchtern waren.
    Ich zog mir die Bettdecke über die Ohren, doch kurz danach flog auch schon meine Zimmertür auf und grelles Licht blendete meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen.



    Es war Vera, die ungewöhnlich stark gestylt war und auf himmelhohen Pfennigabsätzen um mein Bett tanzte und jauchzte. Ich verstand gar nicht so wirklich, was geschah und musste erstmal meine Gedanken ordnen, aber sie zog mich aus dem Bett.
    „Oh Lia”, quieschte sie. „Lass uns feiern.” Die junge Frau taumelte herum und roch stark nach Alkohol.



    „Bist du bescheuert?”, fragte ich genervt und beschloss, ab heute grundsätzlich meine Zimmertür abzuschließen, dann kam auch schon Mara in mein Zimmer geschlurft, die so genauso verschlafen aussah, wie ich mich fühlte.
    „Lass uns doch in Ruhe”, meinte sie mit belegter Stimme zu der aufgedrehten Vera, aber diese tanzte nur noch mehr herum.



    „Könnt ihr euch alle mal aus meinem Zimmer verpissen?!”, fuhr ich sie an, viel lauter als gewollt, aber Vera schien mich überhaupt nicht zu hören.
    „Scha-hatz”, flötete sie, und kurz darauf kam auch ihr Freund Jay in die Tür. Nun war es aber wirklich genug, ich konnte es echt nicht fassen. Auch er taumelte und sah noch heruntergekommener aus als sonst.
    Mara stöhnte und ließ sich auf meinem Bett nieder.
    „Ich will schlafen”, knurrte sie und hörte sich sehr kindlich an. „Geht doch weg.”
    „Ihr glaubt nicht, was passiert ist”, kreischte Vera und schmiegte sich an Jay, der betont lässig an der Wand lehnte und die Arme verschränkt hielt.
    „Was?”, fragten Mara und ich gleichzeitig in genau demselben, genervt gleichgültigen Tonfall.



    Ich wollte es gar nicht erfahren, sie sollte einfach nur wieder abhauen. In diesem Moment sah ich, dass auch Kira in der Tür stand und ich fühlte mich, als wäre mein Zimmer plötzlich der angesagteste Treffpunkt der Welt.
    „Was geht’n hier ab? Könnt ihr mal leiser sein?!”, brachte Kira heraus, die so ungestylt ihrer Schwester irgendwie ähnelte. Ihre sonst so perfekt glatten blonden Haare standen ab, sie war sehr blass und ihre Augen sahen sehr klein aus.


    Was war sie für ein Mensch? Was hatte sie für Interessen? War sie jemand, der gerne las und malte oder war sie aktiv und sportlich? Ob sie viele Freunde hatte und auf Partys und in Discos ging? Hatte sie einen Freund? Was wäre wenn…
    „Paula!“
    Paulas Herz stockte und als sie die Augen öffnete sah sie, dass ihre Vorstellung, Ian ginge es so schlecht, dass er bald das Höchstmaß aller Leiden erreicht hatte, vom Anblick des jungen Mannes jäh übertroffen wurde.



    Ian zitterte und schwitzte am ganzen Körper. Seine Augen waren panisch aufgerissen, so wie sie es noch nie gesehen hatte und in seinem Gesicht spiegelte sich die pure Panik wider. Der junge Mann griff nach ihrem Oberarm, wie um sich an ihr festzuhalten und Paula merkte, dass er tatsächlich bedrohlich schwankte. Seine Finger krallten sich in ihre Oberarme.
    „Ian! Ian, was ist?!“
    Ian reagierte nicht auf ihre Frage, schwankte nur noch stärker und sah sich panisch um, als hätte er Angst, verfolgt zu werden und sie befürchtete, dass er starkes Fieber hatte.
    „Hey, was ist mit dir los, verdammt?!“
    „Paula, dieser Mann aus meinen Träumen… Es sind keine Träume, Paula. Sie sind Realität, es ist wirklich geschehen, ich weiß…“
    „Beruhig dich mal!“ Paula schob Ian ein Stück von sich weg und sah im in die Augen. „Was zur Hölle ist passiert?“



    „Ich habe ihn umgebracht, Paula! Ich habe es ganz deutlich gesehen. Er ist auf einen Stein gefallen und… es war doch keine Absicht! Luke hat… ich habe…“
    „Ian, wer ist Luke?!“
    Ian schaute hoch und seine Augen weiteten sich. Für einen Moment konnte Paula nicht einschätzen, ob er losschreien oder zusammenbrechen würde, aber dann schien er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einen klaren Gedanken zu formulieren.
    „Ich bin Luke. Luke ist ich. Er hat seinen Nachbar umgebracht. Ich bin ein Mörder, Paula!“


    -



    Kor wusste, dass es Zeit war, sich zu zeigen. Es konnte nicht länger so weitergehen und er musste endlich etwas Aufklärung in die Sache bringen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann war es zu spät und mindestens einer von beiden würde völlig den Verstand verloren haben. Ians Visionen machten ihm Sorgen, mehr als er sich zuerst eingestehen wollte und mehr, als er je vermutet hatte. Er wusste, dass es zu großen Problem kommen könnte – nein, würde. Es war nicht mehr abzuwenden und er konnte das Unheil nur noch eindämmen, aber es war Zeit, dass er was tat. Kor fuhr sich durch die Haare und schluckte einmal trocken, dann tippte er auf den kleinen weißen Schalter und der kleine Raum, in dem er sich befand, wurde in helles Neonlicht getaucht.



    „Kor!“ Ian war auf den Fliesen zusammengebrochen und Paula, die sich zu ihm niedergekniet hatte, fuhr ruckartig herum, als sie die Veränderung der Spiegelung im Augenwinkel wahrnahm.
    „Kor, endlich! Verdammt, wir müssen mit dir reden! Wo warst du so lange?“
    „Hallo erstmal. Wie ich sehe…“
    „Was siehst du?“ Ians Augen verengten sich zu Schlitzen und Kor war nicht zum ersten Mal froh darüber, dass er sich hinter einer bruchsicheren Scheibe befand. So geschwächt der Mann auch war, würde er auf ihn losgehen, ihn wahrscheinlich umbringen, wenn er die Möglichkeit dazu haben würde, darüber machte Kor sich keine Illusionen.



    „Ich brauche ein verdammtes Schmerzmittel!“ Ians Stimme klang trotz seiner Ausdrucksweise schwach und brüchig. „Diese Kopfschmerzen, woher kommen die? Was gebt ihr mir, dass…“
    „Machs wie Paula, Ian, und beruhig dich. Weißt du was für ein Tag heute ist?“
    „Es interessiert mich einen Scheißdreck, was für ein beschissener…“
    „Heute ist Donnerstag, Ian. Donnerstag ist Infotag. Es wird Zeit, ein bisschen Licht in die Sache zu bringen, das sehe ich ein und wenn du dich beruhigst…“
    „Ich soll mich beruhigen? Ich soll mich verdammt noch mal beruhigen?!“ Ian versuchte aufzustehen und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, dann brach er wieder zusammen.




    „Ich bin ein Mörder, stimmts? Ich weiß nicht, warum ihr mich Ian nennt. Ich bin Luke. Mein Name ist Lukas Kahrio, Doktor Lukas Kahrio und ich habe meinen Nachbarn getötet. Sag mir, dass das wahr ist! Sag mir nur, dass ich damit richtig liege und nicht meinen beschissenen Verstand verloren habe!“
    Kor sah zu Ian hinab, der auf den weißen Fliesen kauerte und nickte schwach.
    „Ja, Ian. Ja, dein Name ist Doktor Lukas Kahrio, du bist Wissenschaftler und deine sogenannten Träume sind Erinnerungen, die du nicht haben dürftest.“


    So, in diesem und im nächsten Kapitel gibts etwas Aufklärung... hoffe es gefällt euch und freue mich wie immer wie blöd über Kommis!


    16



    „Es ist wichtig. Du darfst jetzt nicht ausrasten…“
    Lukes Adrenalinspiegel stieg und als Steve noch einen Schritt näher kam, schubste er ihn grob zurück.
    „Luke! Ich will dir…“
    Luke stieß seinen Nachbarn erneut von sich weg und war erschrocken über die Kraft seines Stoßes. Steve verlor das Gleichgewicht und für den Bruchteil einer Sekunde schien die Zeit angehalten zu haben.
    Die Angst aus Lukes Gliedern war gewichen. Er fühlte sich sicher, ja, fast geborgen. Die ganze Szenerie erschien ihm auf einmal völlig irreal. Er spürte weder die Eiseskälte noch erschien ihm seine panische Angst wirklich, die bis eben sein Handeln bestimmt hatte.
    Dann drangen die Schallwellen an sein Ohr und das fürchterliche Geräusch zerberstender Knochen riss ihn aus seiner Trance.



    „Steve?“ Lukes Augen weiteten sich und sein Körper schien nicht fähig, ihm zu gehorchen, als er begriff, was er getan hatte.
    „Steve!!“
    Der Schnee um die Stelle, auf der Lukes Nachbar mit dem Kopf aufgeschlagen war, färbte sich dunkelrot. Steve hatte die Augen weit aufgerissen und sein Arm war schrecklich nach hinten verdreht.
    Alles verschwamm vor seinen Augen und Lukes Kreislauf drohte zu versagen. Was in Gottes Namen hatte er getan?!



    Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, aber dann gehorchten ihm seine Glieder endlich wieder und er fiel zu seinem reglosen Nachbarn auf die Knie.
    „Steve, kannst du mich hören?“ Was zum Teufel war passiert? Lukes Körper bebte. Mit zitternden Händen drehte er Steve auf die Seite. Der Anblick seines aufgeschlagenen Kopfes verschlug ihm den Atem, und er wusste, dass ihn diese Bilder von nun an in seinen Träumen verfolgen würden.



    „Schei.ße, Steve!!“
    Luke starrte auf seine blutverschmierten Hände und das Bild schien sich auf seine Netzhaut zu brennen.
    „Steve!“



    Dann plötzlich war alles still. Er spürte den dumpfen Schmerz kaum, als er auf den Boden aufschlug und die ihn empfangende erlösende Dunkelheit das Bild seiner blutigen Hände aus seinem Kopf radierte.


    -



    „Kor?“ Die Stimme des Mädchens klang ängstlich und ungewohnt zurückhaltend. „Bist du da?“ Sie hatte gehofft, er wäre es. Hatte gehofft, der Mann, der ihre einzige Verbindung zur Außenwelt war, würde das Licht hinter dem Einwegspiegel anknipsen, sein vernarbtes Standardgesicht zeigen und mit ihr reden. Es war ihr fast egal, was er sagte, aber er musste einfach mit ihr sprechen. Es war aussichtslos. Ian war zu nichts und wieder nichts zu gebrauchen, verhaderte sich in Wahnvorstellungen, während sie auf sich allein gestellt war.



    Kor musste der Schlüssel sein. Er war ihre einzige Möglichkeit, irgendetwas zu erfahren und selbst wenn er sie nur dumm anstarrte und hämisch grinste, war es besser, als tagelang auf die weißen Fliesen um sie herum zu starren, die sie wahnsinnig machten.
    „Kor, ich muss mit dir reden!“ Nichts. Sie sollte mittlerweile wissen, dass Kor dann erschien, wenn es ihm passte und ihnen zuliebe erst einmal gar nichts tat. Sie hatten keinen Einfluss auf ihn, konnten nur hoffen, dass er von alleine irgendwann wieder auftauchen wollte. Solange musste sie warten.



    Paula lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen, um sie von dem schonungslos aufdringlichen Weiß des Raumes abzuschirmen. Insgeheim hoffte sie, es würden sich irgendwelche Bilder in ihrem Gehirn manifestieren, irgendwelche Hinweise und seien es nur Bruchstücke, die sie zu ihrer Identität führen konnten. Sie hasste es, ein Nichts zu sein. Sie wusste, dass es Erinnerungen geben musste, irgendwo tief in ihr drin, die sich nur versteckt hielten und diese Tatsache des so Dichten und doch nicht Erreichbaren machte sie wahnsinnig. Es war, als läge ihr alles auf der Zunge und würde ihr gleich wieder einfallen, aber sie fand den Zugang nicht. Der Schlüssel fehlte.

    Hallo Dirgis,


    es ist Frühling bei ihnen ;) Samantha hatte ja auch erst den dicken Pulli an, hat ihn dann aber ausgezogen, um sich zu sonnen (wurde ja im Text auch erwähnt in Kapitel 17)


    Der Raum war leer.
    Wo war sie? Was würde er machen, wenn sie verschwunden war? Ian eilte über die glatten Fliesen zur Tür des Waschraumes und musste sich bemühen, das Gleichgewicht zu halten, die Zähne vor Schmerzen zusammenbeißend. Er riss die Tür auf und Paula drehte sich erschrocken zu ihm um.
    „Zum Glück!“ Ian atmete erleichtert durch. „Ich dachte, du wärst verschwunden.“



    „Wo soll ich schon sein?“ Paula sah ihn skeptisch an. Ihre nassen Haare klebten in ihrem Gesicht.
    „Lass uns doch zusammenbleiben.“ Ian ging nicht auf ihre Frage ein.
    „Ach Ian, du pennst doch den ganzen Tag!“ Das Mädchen nahm ein T-Shirt vom Wäschestapel und reichte es ihm. „Hier, zieh dich mal um, das müsste groß genug für dich sein. Du stinkst fürchterlich.“
    Ian reagierte nicht. Der Schraubstock um seinen Kopf spannte sich enger und Paulas Gesicht verzerrte sich.
    „Was soll das heißen, ich schlafe den ganzen Tag?“



    „Woher sollte ich wissen, ob du überhaupt noch mal aufwachst? Du pennst schon seit bestimmt zehn Stunden!“
    Paula schnaubte und drückte Ian das Shirt in die Hand. Als sie seinen Blick sah, hielt sie inne. „Was ist denn los?“
    „Diese Träume, Paula.“ Er musste sich am Waschbecken abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Sie bringen mich um.“
    „Ian, das sind nur Träume.“ Paulas abschätziger Blick sagte mehr als tausend Worte und das Schlimmste war, dass er sie verstehen konnte.



    Ja, er würde genauso reagieren. Nur verdammte Träume. Und er war ein kranker Irrer.
    „Und wenn nicht?“ Seine Stimme wurde lauter, was sofort mit einem noch heftigeren Stechen in seinem Kopf quittiert wurde. Ob sie ihm was gaben, das diese Kopfschmerzen auslösten? Wozu? Er fragte sich, wie seine Mitgefangene angesichts ihrer Situation so ruhig bleiben und sich über Kleidung Gedanken machen konnte. Wieso schien nur er den Verstand zu verlieren? Was war mit ihm los?
    „Du steigerst dich da in was rein. Vergiss das und lass uns mal lieber Gedanken darüber machen, wie wir hier rauskommen.“



    „Wir kommen hier nicht raus. Das ist ein beschissenes Gefängnis ohne Ausgang!“ Ian fragte sich, wie lange er sich noch auf den Beinen halten konnte. Der Raum begann sich vor seinen Augen zu drehen und grotesk zu verzerren und er fühlte sich, als hätte er eine halbe Falsche Wodka intus.
    „Es gibt für jedes Problem eine Lösung“, entschied Paula und er wurde fast aggressiv angesichts ihrer Sorglosigkeit. War sie so blind?
    „Wie kann dir das alles so egal sein?“ Ian gab seine Haltung auf und ließ sich auf die kalten Fliesen sinken. Der Presslufthammer in seinem Kopf wurde immer unerbittlicher.



    „Und wie kannst du dich so in deine verdammten Träume reinsteigern? Ich glaube nicht, dass sie uns hier drinnen abkratzen lassen wollen, das wäre ja völlig sinnlos. Wir müssen uns halt gedulden!“
    „Die haben dir doch irgendwas gegeben…“ Er krächzte.
    „Was?“ Sie konnte Ians Stimme kaum verstehen.
    „Die haben dir irgendwas gegeben, damit du ruhig bist und alles so hinnimmst!“



    „So ein Schwachsinn! Deine scheiß Verschwörungstheorien, ich habe sowas von die Schnauze voll davon!"
    Paula warf Ian einen verachtenden Blick zu.
    „Ich habe darauf jedenfalls keinen Bock. Du machst einen ja verrückt. Ich gehe jetzt, vielleicht taucht Kor ja bald mal wieder auf und lässt was verläuten. Im Gegensatz zu dir ist mir der fast noch sympathisch!“
    Das Mädchen drehte sich um und verschwand durch die Eisentür, die hinter ihr zuknallte. Ians Flehen hörte sie nicht mehr. Aber es war auch egal. Ihm war alles egal, wenn nur diese Schmerzen aufhören würden. Er krümmte sich auf den Fliesen zusammen wie ein Embryo und blieb dann regungslos liegen. Sterben. Er wünschte sich nichts mehr, als zu sterben und dem allen zu entfliehen.


    15




    „Es hat einfach nicht länger warten können.“
    Luke sah seinen Nachbarn fragend an. Wusste er, wie spät es war? Was konnte so wichtig sein, dass…
    „Kannst du kurz mitkommen? Es dauert nicht lange, ich möchte dir nur kurz etwas zeigen.“
    Luke atmete tief durch und seufzte. Na gut.
    „Ich bin gleich wieder da“, hörte er sich zu seiner Frau sagen, als er sich den dunklen Schurwollmantel überwarf. „Nur eine Minute.“
    Dann folgte er Steve in die klirrende Kälte.



    Es schneite noch immer und feine weiße Flocken setzten sich in der Wolle seines Mantels fest, während er sich bemühte, mit seinen neuen Stiefeln nicht durch den allerhöchsten Schnee zu stapfen. Die Nacht war dunkel und trotz des Schnees erstaunlich klar. Luke fröstelte und klappte den Kragen seines Mantels hoch, als Steve plötzlich stehen blieb.
    „Es tut mir Leid, Luke“, sagte er und seine Worte wurden vom eisigen Wind davon getragen. „Es tut mir wirklich Leid.“



    Ein eisiger Schauer lief Luke über den Rücken. Irgendetwas in der Stimme seines Nachbarn war anders als gewöhnlich. Irgendetwas stimmte nicht. Es war verrückt, aber plötzlich verspürte er eine unheimliche Angst in sich aufsteigen. Eine Gestalt huschte vorbei, aber er nahm sie nur aus dem Augenwinkel wahr. Die kalten Schneeflocken schienen sich in sein Gesicht zu brennen und Steve trat einige Schritte auf ihn zu.



    „Luke, hör zu…“ Plötzlich griff sein Nachbar nach seinem Oberarm. Luke wehrte ihn grob ab, während er einen Schritt zurück wich.
    „Fass mich nicht an!“
    Was war mit ihm los? Er konnte es sich selbst nicht erklären. „Was willst, du Steve?! Wieso holst du mich mitten in der Nacht aus meinem Haus?“
    „Du musst jetzt gut zuhören.“ Steve atmete tief durch und schien sich unauffällig flüchtig umzusehen.



    „Pass auf, mir ist das zu blöd, ich werde jetzt wieder nach Hause gehen. Meine Frau wartet sicher schon und…“
    „Nein!“ Steves Augen weiteten sich. „Nein, Luke, das geht auf gar keinen Fall. Ich muss dir…“
    „Bleib von mir fern!“ Lukes Herz raste und obwohl er nicht wusste, woher seine plötzliche Angst kam, hatte er seinen ganzen Körper auf Verteidigung eingestellt.
    „Es ist wichtig. Du darfst jetzt nicht ausrasten…“



    Ian riss die Augen auf und schnellte hoch. Er war klitschnass geschwitzt und sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Er schmeckte Blut und realisierte erst nach einigen Sekunden, dass es aus seiner Nase lief.
    „Paula?!“
    Ian setzte sich auf die Kante der Pritsche, während er annahm, vor Kopfschmerzen ohnmächtig zu werden und das hellrote Blut aus seiner Nase tropfte auf die perfekt weißen Fliesen des Fußbodens.



    „Paula?!“
    Er zitterte am ganzen Körper. Seine Kopfschmerzen drohten, ihn um den Verstand zu bringen. Es fühlte sich an, als hätte jemand sein Gehirn in einen Schraubstock eingespannt und würde diesen gemächlich aber stetig enger drehen, bis es endgültig platzte und dieses ganze Horrorszenario endlich vorbei war. Ihm war schon fast egal, was danach kommen würde, seinetwegen konnte er sterben, hauptsache dieser Albtraum hatte endlich ein Ende.



    „Verdammt Paula, wo bist du?!“ Seine Stimme war entsetzlich schwach.
    Ian stand auf und der ganze Raum schien sich zu drehen. Er fasste sich an seinen Kopf und spürte, dass kleines, weiches Haar nachgewachsen war. Er hatte also keine Glatze. Sie hatten ihm den Kopf rasiert. Warum?
    Der junge Mann schleppte sich zur Tür und stemmte sich gegen diese. Für einen Moment befürchtete er, sie würde verschlossen sein und Panik machte sich in seiner Magengrube breit, aber dann gab das Metall quietschend nach.
    „Paula?“


    Catherine hatte sich bereit erklärt, Samanthas Auto zu fahren und so saß Samantha auf dem Beifahrersitz des blauen Mercedes und starrte auf einen Punkt auf der Fensterscheibe. Es war ungewohnt, wieder Auto zu fahren und noch ungewohnter war es, nicht Paul, sondern Catherine neben sich sitzen zu haben. Sie verabscheute Autofahren. Nie hatte sie es besonders gemacht, aber seit sein Auto Pauls Todesurteil gewesen war, hatte sie vorgehabt, nie wieder in eines zu steigen. Wie es sich wohl für ihn angefühlt hatte? Wieso hatte er das Lenkrad verrissen, er war doch immer so ein guter Fahrer.



    „Samantha, ich rede mit dir!“
    Die junge Frau zuckte zusammen.
    „Äh, was? Tut mir Leid.“
    „Soll ich beim Friseur warten? Oder lieber in der Zeit schon einkaufen?“
    „Ähhh…“ In Samantha sträubte sich alles dagegen, alleine im Friseursalon zu sitzen, aber wenn sie daran dachte, durch überfüllte Supermärkte zu laufen, wusste sie nicht, was schlimmer war.
    „Geh nur“, sagte sie dann, um die Zeit in der Stadt möglichst kurz zu gestalten. „Ich werde das wohl schaffen.“
    „Ich bin stolz auf dich, Sam.“



    Irgendwie fühlte sie sich wie ein kleines Kind. Himmelherrgott, sie war dreißig, sie würde es wohl alleine zum Friseur schaffen. Was war nur aus ihr geworden? Sie sollte sich echt mal zusammenreißen.
    Samantha richtete ihren Blick nach vorne und straffte die Schultern. Sie musste langsam aufhören, sich lächerlich zu machen.
    „Aber färben muss ich mir die Haare nicht, ja?“
    „Na wir wollen es mal nicht übertreiben!“ Catherine lachte. „Hast du dir schon jemals die Haare gefärbt?“
    „Du meinst außer damals mit zwölf? Nein, nie.“ Auch Samantha konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    „Okay, darüber reden wir jetzt lieber nicht…wir waren ja jung, hm?“
    Ja, sie waren jung gewesen damals. Sorgenfrei. Hätten sie das nicht für immer bleiben können?


    Vielen Dank für deinen Kommi Dirgis, habe mich sehr gefreut!



    Kapitel 18 - Catherine




    Sie war stolz auf sich. Stolz, dass sie es geschafft hatte, ihre Schwester aus ihrem Loch herauszuholen, und sei es nur für einen Moment. Es war der richtige Weg gewesen, mit ihr nach draußen zu gehen, in die Natur, die Samantha früher so geliebt hatte.
    Natürlich hatte sie an Paul gedacht, aber wie sollte sie auch nicht? Sie wollte Samantha ihren Mann nicht vergessen lassen. Das würde sie niemals. Aber sie sollte es akzeptieren. Paul würde nicht wiederkommen und sie sollte wissen, dass sie trotzdem weiterleben konnte. Sie musste diese Leere in ihrem Leben überwinden.



    „Was hältst du davon, wenn wir campen gehen? In den Wäldern, du und ich. Wie früher. Wir könnten unser Essen über Feuer braten und Beeren sammeln. Vielleicht…“
    „Cathi...“ Samantha sah ihre Schwester an, die so widersprüchlich war, mit ihrem Modelaussehen und den teuren Designerklamotten, an der schmalen Schulter einen Picknickkorb hängend und die Absicht vertretend, einige Tage in völliger Wildnis zu verbringen.
    „Ich glaube, das geht mir ein bisschen zu schnell. Ich kann jetzt nicht… ich meine…ich hab…“



    „Du hast die letzten sechs Monate in einem Haus verbracht, meinst du?“ Catherine hob den Kopf und ihre blauen Augen blitzten. „Dann wird es jetzt Zeit, für sechs Monate in der Natur!“
    „Cathi!“ Samantha konnte es nicht fassen.
    „Ja, war ja nur ein Scherz.“ Catherine grinste. „Aber wir fahren nachher in die Stadt, okay? Ich muss noch ein paar Besorgungen machen und du…“
    „Aber das kann doch Elena erledigen.“
    „Elena? Elena?! Die arme Frau braucht mindestens ein Jahr Auszeit von dir. Weißt du überhaupt, wie du sie ausnutzt?“



    Samantha biss sie auf die Lippe. Ja, sie wusste es. Sie wusste es ganz genau. Aber wie hatte ihre Schwester das so schnell erfasst? Wie konnte sie ihr das ganz unverblümt an den Kopf werfen?
    „Elena kriegt erstmal zwei Wochen Urlaub. Sie hat das mehr als verdient. Und wir beiden Hübschen… wir gehen in die Stadt. Nur einkaufen, nichts Schlimmes. Einkaufen, Sam.“



    Catherine spürte, wie Samanthas Blick sie durchbohrte, aber sie würde nicht nachgeben. Samantha musste raus aus dem Haus, da gab sie diesem verlogenen Makler im übertragenen Sinne Recht. Das Leben wartete auf sie, sie konnte nicht wie eine 70-jährige Witwe nur noch in den Gemäuern sitzen und auf ihren Tod warten.
    „Und ich was?“



    „Was?“
    „Du hast gesagt, du müsstest ein paar Besorgungen machen und ich…? Was ist mit mir?“
    Catherine schnaubte. Sie hatte eigentlich vorgehabt, das Thema vorerst doch nicht anzusprechen.
    „Du solltest zum Frisör, Sam.“
    „Zum Frisör?“ Samantha konnte es nicht fassen.
    „Ja. Deine Haare sehen schrecklich aus. Und eine neue Frisur ist wie ein neuen Leben, oder wie war das?“
    Sie waren beim Haus angekommen und Samantha öffnete das schwere Eisentor.



    „Es war die Liebe, Cathi. Nicht die neue Frisur.“ Sie fragte sich, ob ihre Schwester sie mit Absicht provozieren wollte.
    „Ach, wie auch immer. Die Zotteln müssen ab. Es ist Frühling, Zeit für eine flotte Kurzhaarfrisur. Glaub mir, du wirst dich gigantisch fühlen!“
    „Ich will aber…“
    „Sam…“ Catherine sah ihrer Schwester in die Augen, als sie das Türschloss öffnete. „Du wirst mich dafür lieben!“


    „Du hast Recht, es ist nicht einfach ein Job, den man einfach so wechseln kann, wenn er einen anödet. Und ich kann nicht so einfach mein ganzes Leben über den Haufen werfen, ich habe doch gar keine Perspektive.”
    Black entgegnete nichts und so schwiegen wir, während es mir so vor kam als liefen wir drei Mal um den ganzen Park.
    „Weil du keine Träume hast”, sagte er schließlich.
    „Du solltest wieder beginnen, zu träumen.”



    Seine Hand fühlte sich stark und warm an und irgendwie fühlte ich mich plötzlich geborgen. Ewig lange gingen wir so wortlos nebeneinander her, ohne einander anzugucken, einfach ganz selbstverständlich, wie ein Paar, ganz normal und glücklich, und niemand sah uns komisch an.
    Unter rot-gelben Kastanienbäumen neben einem kleinen See blieben wir dann schließlich stehen und sahen für einen Moment auf das schimmernde Wasser, bis Black sich zu mir drehte.



    „Ich mache so was eigentlich nicht”, sagte er leise. „Nicht, dass ich schwul wäre, aber ich habe es auch nicht so mit Mädchen. Aber du faszinierst mich irgendwie, Lia. Schon als ich dich das erste Mal sah, habe ich erkannt, dass du viel mehr bist, als das, wofür die Menschen dich halten. Unter deiner ganzen Schminke steckt etwas ganz Besonderes. Und dieses hat es nicht verdient, so versteckt zu sein und vielleicht auch bald begraben zu werden. Lass es frei.”
    Black sah mir direkt in die Augen, so wie er es getan hatte, als wir uns kennengelernt hatten, aber jetzt war es mir nicht mehr unangenehm.



    Es fühlte sich gut an, gut, warm, und richtig. Ich dachte nicht mehr über meine Vorsätze nach, ihn heute auszufragen und danach nie wieder zu sehen, auch dachte ich nicht daran, dass ich vor einigen Tagen noch Todesängste hatte, als ich ihm gegenüber gestanden hatte. Selbst der Gedanke, dass kein normaler Mann jemals was mit einer Hure anfangen würde, kam mir erst später. Im Moment war ich einfach nur eine ganz normale junge Frau, die einen ganz normalen jungen Mann kennen gelernt hatte, und mit ihm und seinem ganz normalen Durschnittshund im Park spazieren ging. Wie Menschen das eben so machen.



    „Darf ich dich küssen?”, fragte ich. Nicht, weil ich es mit meinem Gewissen abgeklärt hatte und es für okay befunden hatte, sondern einfach weil mir danach war. Und dann war mir auch nicht danach, eine Antwort abzuwarten und ich tat es einfach und noch heute spüre ich seine weichen, ganz besonderen Lippen auf meinen. Noch nie hatte ich mich so gut gefühlt, auch wenn es vielleicht das Falscheste war, was ich machen konnte. Es war mir egal. Niemals werde ich diesen Kuss vergessen.




    „Ich habe nicht damit gerechnet”, ergriff Black nach einem kurzen Moment des Schweigens das Wort und strich mir über die Wange. Auf einmal war er mir so vertraut, so als würden wir uns schon ewig kennen.
    „Ich auch nicht”, gab ich zu. „Niemals. Eigentlich wollte ich dir heute sagen, dass ich dich nie wieder sehen wollte.” Auf einmal sprudelte es nur so aus mir heraus und Black lachte.



    „Lia… du solltest es dir gut überlegen und die richtige Entscheidung treffen. Nicht die, die dir oberflächlich geeigneter erscheint, sondern die, die aus deinem Herzen kommt. Mach das, was du wirklich machen willst. Wenn dieser Job dein Herzenstraum ist – mach ihn. Wenn nicht, dann hör damit auf. Am besten sofort.”
    Ich schluckte.
    „Woher weißt du, dass es um meinen Job geht?”



    „Es geht immer um deinen Job. Eben weil er nicht dein Job ist, sondern dein Leben. Und das ist doch nicht richtig. Du bist doch so viel mehr.”
    Ich spürte einen Klos im Hals und musste kämpfen, um meine Tränen zurückzuhalten. Er hatte Recht. So Recht.
    „Black, ich kann nicht aufhören”, begann ich, als wir weiter gingen.

    Alleine bleib ich am Essenstisch zurück. Im Moment ging wirklich alles drunter und drüber. Es wurde mir mal wieder klar, wie wenig wir dafür gemacht waren, unseren Job unser ganzes Leben lang auszuüben, das konnte ja einfach nicht klappen. Vielleicht sollte man nach Alternativen suchen. Aber gab es die? Nein.



    Ich stellte mir mich beim Bewerbungsgespräch vor, einem strengen Chef im Anzug gegenübersitzend.
    „Und, was haben Sie so die letzten Jahre lang gemacht?” „Och, ich habe mit 16 die Schule geschmissen und bin ausgezogen… denn so dies und das, nichts richtig halt, Hartz IV… die letzten zwei Jahre lang war ich Hure. Könnten sie mich nun bitte einstellen?”
    Es war absolut aussichtslos, diese Blamage brauchte ich mir gar nicht erst geben.
    Ich schob meine Gedanken beiseite und rief Black an, um mich heute wieder mit ihm zu treffen, ein letztes, abschließendes Mal.



    Ich schwor mir, dass ich mein Leben danach wieder ordnen würde, ich musste es einfach, durfte mich nicht noch mehr aus der Bahn werfen lassen.
    Aber einmal noch.



    Wir hatten beschlossen, uns wieder im Stadtpark zu treffen, aus irgendwelchen Gründen schien Black sich wirklich oft dort aufzuhalten. Ich saß auf einer Bank, während der kühle Herbstwind um mich herumwirbelte und die Blätter zum tanzen brachte und beobachtete eine scheinbar glückliche Familie, die auf der Wiese Ball spielte. Man hörte das Lachen der Kinder, die auf dem nassen Grünumhertollten, sich ins Gras schmissen und wieder aufstanden und sich mit ihren Eltern den kleinen Ball zuwarfen.



    Sie kümmerten sich nicht um ihre durchnässten und dreckigen Klamotten und auch die Kälte schien ihnen nichts auszumachen. Wie gerne wäre ich manchmal so unbeschwert wie ein Kind gewesen. Einfach alles auf sich zukommen lassen, machen was man will und nicht an morgen denken. Aber diese Zeiten waren leider viel zu schnell vorbei gewesen und würden niemals wiederkommen.



    Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich ein großes schwarzes Etwas auf mich zugerannt kommen sah und überlegte grade, wie ich mich am besten retten konnte, als ich Stan erkannte. Eine Sekunde später kam auch schon sein Herrchen um die Ecke. Er klatschte in die Hände und lachte.
    „Er kennt dich schon!”, rief Black mir zu. „Haut mir das Vieh doch einfach ab!”
    Er beugte sich zu seinem Hund runter und kraulte dessen Fell. Black machte heute einen ganz anderen Eindruck als sonst, irgendwie viel fröhlicher. Seine schwarzen Haare sahen gepflegter und glatter aus und seine dunklen Augen funkelten noch mehr als sonst, als er mich ansah.



    „Hi Lia”, sagte er schließlich. „Sorry für Stans Verhalten. Er macht das sonst nie, ich glaube er mag dich.” Skeptisch beäugte ich Blacks Begleiter. Diese Sympathie beruhte nicht grade auf Gegenseitigkeit. Mir war immer noch schleierhaft, wie man sich freiwillig so ein Tier zulegen konnte. Und der sollte ausgerechnet mich mögen? Sicherlich nicht, wahrscheinlich wollte er mich lieber fressen.



    „Gehen wir ein Stück?”, fragte Black und ich bemerkte, dass sich mittlerweile einige Sonnenstrahlen den Weg zur Erde bahnten und der Tag nicht mehr ganz so trüb war. Die Blätter glitzerten gold im Licht und alles bekam auf einmal eine viel angenehmere Atmosphäre. Vielleicht war die Welt ja doch noch nicht verloren.



    Black und ich gingen nebeneinander her, unsere Füße machten die üblich patschenden Geräusche auf dem nassen Kiesweg und ansonsten hörte man nur das Gezwitscher einiger weniger Vögel, welches mir heute nicht störend vorkam, und ab und zu das Lachen eines Kindes. Es war ein schöner Tag, und als Black plötzlich meine Hand nahm, zog ich sie nicht weg.

    Danke euch! Ja, sorry, dass es solange nicht weiterging. Als kleinen Ausgleich stelle ich die nächste Fortsetzung schon gleich mal on, hoffe das ist okay!


    Zitat

    auch wenn ich mal davon ausgehe, dass es ein happy end gibt (...)

    Tzzzzzzzzz!





    Kapitel 9 - Teil 1



    Frierend stand ich vor der Haustür und klingelte schon zum zweiten Mal die dritte Klingel von links. Unsere Klingel. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich schon jemals zuvor hier gestanden und auf das erlösende Geräusch der Gegensprechanlage gewartet hatte, denn normalerweise besaß man ja Schlüssel, um in seine eigene Wohnung zu kommen. Wenn man nicht grade so verrückt war wie ich.
    Ich starrte auf die Tür, als versuchte ich sie durch Hypnose zum aufspringen zu bewegen, aber sie ruhte unbeeindruckt im Rahmen. War denn wirklich niemand zu Hause? Was sollte ich dann machen?



    „Wer’s da?”, klang es mir plötzlich genervt entgegen und ein Stein fiel mir vom Herzen.
    „Hey… ich bin’s, Lia. Hab keine…” Aber in diesem Moment ertönte auch schon dass vertraute Geräusch, das bedeutete, dass sich die Tür sich nun öffnen ließ. Erleichterte betrat ich den Flur und lief die zwei Treppen bis zur Wohnungstür hoch, in der auch schon Mara auf mich wartete, einen Kuchenteller in der Hand.



    „Schlüssel verloren?”, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue und vollem Mund.
    „Ist ‘ne lange Geschichte”, entgegnete ich nur und wir gingen zusammen in die Küche. Auf dem Tisch befanden sich zwei halbleere Chipstüten, eine Tüte Schokoriegel, einige Stücke Obst und der Rest von Maras Kuchen.
    „Veranstaltest du ne Fressorgie?”, fragte ich verwundert und schnappte mir eine der Chipstüten, als ich mich erschöpft auf einen Stuhl fallen ließ.



    „Ach, ich hab halt manchmal so Hunger”, entgegnete Mara und schob sich einen großen Teil ihres Kuchenstückes in den Mund. „Weiß auch nicht wieso. Eigentlich ist mir ja schlecht.”
    Ich kramte auf dem Boden der Chipstüte nach den letzten Krümeln. Es musste lange her sein, dass ich zum letzten Mal irgendetwas kalorienreiches gegessen hatte.



    „Dir ist schlecht aber du isst trotzdem so viel?”, fragte ich, zu der jungen Frau aufsehend.
    „Ja, weiß auch nicht, es schmeckt irgendwie im Moment so gut.”
    Mir fiel auf, dass Mara auch in den letzten Tagen oder Wochen schon immer übermäßig viel gegessen hatte und plötzlich hatte ich eine beunruhigende Idee.



    „Schwanger?”, fragte ich nur und Mara sah erschrocken auf.
    „Quatsch”, antwortete sie dann aber schnell. „Woher denn?”
    „Mal ehrlich Mara… du isst für mindestens zwei. Und wenn dir dabei auch noch schlecht ist… Außerdem schläfst du auch ziemlich viel im Moment, oder?”
    „Man Lia hör auf, ich bin doch nicht schwanger, das würde man doch merken… Oder?”
    Mara legte ein angebissenes Kuchenstück weg.
    „Da habe ich ehrlich gesagt noch nie drüber nachgedacht…”
    Plötzlich schien sie sehr beunruhigt.



    „Ich weiß es nicht Mara… ich mein, es kann ja immer mal was passieren. Aber… vielleicht solltest du mal einen Test machen?”
    „Meinst du wirklich? Oh Gott, Lia. Das will ich mir gar nicht vorstellen. Nein. Was mache ich dann bloß? Das darf nicht sein.” Maras sonst so kindlich süßer Gesichtsausdruck spiegelte nun plötzlich die pure Verzweiflung und Angst wider. Sie war doch selbst noch so jung, ein Kind würde überhaupt nicht zu ihr passen.



    „Es wird schon nichts sein”, versuchte ich sie wieder zu beruhigen, als sie ihren Kuchen auf dem Tisch abstellte. Aber was war, wenn doch?
    „Ich gehe morgen zum Arzt”, sagte Mara schließlich und stellte ihr Essen weg. Dann verließ sie die Küche, ohne noch ein Wort zu sagen.


    „Bist du bescheuert?!“ Paula riss sich grob los und starrte den jungen Mann hasserfüllt an. Was war passiert? Ian sah aus, als währe jegliches Blut aus seinem Körper gewichen. Sein Gesicht war kreidebleich und seine Gliedmaßen zitterten wie Espenlaub. Seine Hände und sein Gesicht waren schweißnass und er schien fast zu hyperventilieren.
    „Da ist jemand hinter der Spiegelscheibe, Paula! Ein Mann aus meinen Träumen, er hat eine riesige Verletzung am…“



    Das junge Mädchen warf Ian einen vielsagenden Blick zu und öffnete kurzerhand die Tür in den zweiten Raum.
    „Ich wette, du hast sie nicht mehr alle.“
    Ian blieb im Raum mit der Pritsche zurück. Keine zehn Pferde würden ihn mehr in das andere Zimmer zurück kriegen. Sein Herz raste und er drückte sich mit dem Rücken gegen die geflieste Wand, seinen Blick starr auf die Tür gehaftet, die sich in diesem Moment öffnete.



    Er war auf alles gefasst, nicht aber auf Paulas gelangweilten Blick, der ihm sagte, dass sie einzig und alleine darüber verärgert war, dass er sie aufgeweckt hatte.
    „Da ist überhaupt niemand! Du bist bestimmt geschlafwandelt oder so… Weck mich nicht noch mal wegen…“
    „Paula… Paula, du musst…, ach, *******!“
    Ian warf einen Blick durch die geöffnete Tür, aber er wusste, dass Steve verschwunden sein würde. Die Scheibe würde abgedunkelt sein, so wie eh und je und er musste sich tatsächlich fragen, ob er Wahnvorstellungen hatte.



    Ian zitterte, als er die Tür wieder hinter sich zufallen ließ. Psychopath. Er war nichts weiter als ein gestörter Psychopath.


    -


    Kor stand im Abgedunkelten und blickte dem Mann hinterher. Seine zitternden Hände ballten sich zu Fäusten. Wie lange würden sie noch durchhalten? Er tat dies alles nur in bester Absicht, wollte nur helfen; seinen Job machen. Zweifel, tief verborgen in seinem Unterbewusstsein, kämpften sich in seinen Verstand. War das die Lösung? War dieses wirklich der richtige Weg? Wann würde es ein Ende nehmen?


    *tiiiiiiief durchatme*
    *kraft sammle*
    *den thread mit einem kräftigen Ruck aus der Versenkung hol*

    Sooooo, da sind wa wieder :D
    Wisst ihr was? Ich hab das was^^ Es wird hier gleich weitergehen! Ja, tatsächlich! GEFANGEN lebt wieder!
    Dank der Nachfragen im Thread meiner anderen Fs habe ich mich zusammengerissen und kann euch endlich die Fortsetzung liefern (;
    Ich habe mich somit in den letzten 24 Stunden AUSSCHLIEßLICH mit Sims beschäftigt, aber was tut man nicht alles :D Habe es mir ja schließlich so ausgesucht.

    Wünsche euch schonmal viel Spaß und hoffe, dass ihr noch mitliest und die nächsten Kapitel euch gefallen!



    Ich liebe eure Spekulationen übrigens , sie sind der Hammer. Wenn ihr aus jeder eine Geschichte machen würdet, gäbe es tausend geile Bücher mehr!




    -



    14



    Rastlos lief Ian durch den Raum. Es war mitten in der Nacht, aber er hatte Angst vor dem Schlafen; Angst vor den Bildern, die ihn heimsuchen könnten, Angst, vielleicht Gewissheit zu erfahren, der zu sein, vor dem es ihm so sehr grauste. Er, ein Verbrecher. Ein Mörder.
    Ian schwitzte und seine Kleidung klebte an seinem feuchten Körper. Er war ausgelaugt, jede Bewegung schien ihn vor Schmerz zu zerreißen, seinen Kopf zum Platzen zu bringen, aber alle körperliche Pein war besser, als die seelische, die über ihn kommen würde, wenn er sich hinsetzen und ruhen würde.



    „Wer bin ich, Kor?!“, schrie er und seine Stimmbänder brannten. „Was habt ihr mit mir gemacht?“ Er erwartete keine Antwort. Wusste, dass Kor ihn wahrscheinlich sogar hören konnte, höchstwahrscheinlich sogar die Antworten auf all seine Fragen hatte, aber er erwartete nicht, dass er ihm helfen würde. Dann hätte er es schon längst getan.
    „Du bist ein Schwein!“, brüllte Ian und schlug mit seiner Faust gegen die kalte Spiegelwand, die unbeeindruckt in der Wand ruhte. „Ein verdammtes *********!“



    Der junge Mann drehte sich um und ging wieder einige Schritte in die andere Richtung. Das Pochen seines Pulses und seine inneren Aggressionen machten ihn verrückt.
    „Wenn es noch mal so einen scheiß Wunschtag gibt, wünsche ich mir einen beschissenen Boxsack!“, hörte er sich in die Leere des Raumes hinausschreien. „Hörst du das? Ich würde dir gern dermaßen…“
    Ian stockte. Das Licht hinter der Spiegelscheibe war angegangen und er fuhr herum. Kors Visage widerte ihn an, aber er musste ihn ansehen, ihm in die Augen sehen, um diesen dreckigen Mistkerl…



    Sein Herz machte einen Aussetzer. Als er es begriff, wurde ihm plötzlich eiskalt und heiß gleichzeitig und er stolperte am ganzen Körper bebend einige Schritte zurück.
    Hinter der Scheibe stand nicht Kor. Hinter der Scheibe stand Lukes Nachbar Steve. Der, aus seinen Träumen. Ians Kehle schnürte sich schlagartig zu und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    „Das… das ist nicht möglich!“ Ian hatte Probleme, sich auf den Beinen zu halten. „Das ist ein verdammter Traum, das kann nicht…“



    „Nichts ist nur ein Traum, Ian!“ Steves Stimme war grässlich kalt. „Du wünschst dir, nur in einem grässlichen Albtraum gefangen zu sein, aber ich kann dir sagen, so ist es nicht. Es ist schlimmer, viel schlimmer, denn aus Träumen wacht man wieder auf!“
    Steve lachte höhnisch und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Erst jetzt sah Ian die klaffende Wunde an seiner rechten Schädelhälfte, aus der dunkelrotes Blut sickerte.
    „Du bist nicht echt!“, wollte er brüllen, aber durch seine zugeschnürte Kehle brachte er nur ein jämmerliches Flüstern heraus. „Ich bilde mir das alles nur ein, du bist…“
    „Ja, wer bin ich, Ian? Erinnerst du dich an mich? Denk scharf nach! Wo hast du mich schon mal gesehen?!“



    „Das ist verrückt!“
    Ian wich einige Schritte zurück und erstarrte, als er auf harten Widerstand traf. Erst nach einer Sekunde begriff er, dass es nur die kalte Tür war, gegen die er rückwärts getaumelt war. Er besann sich, riss die Tür auf, die ihm plötzlich wie ein Ausweg aus all seinen Strapazen schien und stürzte in den Raum, in dem er Paula schlafend zurückgelassen hatte.
    „Ian?“ Das Mädchen saß noch immer an der Wand und wischte sich benommen den Schlaf aus den Augen. „Was ist los?“
    „Paula!“ Ian stürzte auf sie zu, packte sie an den Oberarmen und riss sie hoch. „Paula, da ist jemand… aus meinen Träumen, da ist, ich mein…“


    Samantha blickte auf den kleinen, glitzernden See und die Entenfamilie, die aus dem Schutz des Schilfes heraus kam, um im Wasser nach Nahrung zu suchen. Wie alt mochten die Küken sein? Ein paar Tage? Wie mutig sie waren, sich so klein, so schwach in diese schutzlose, grausame Welt hinauszutrauen. Aber was blieb ihnen Anderes übrig? Sie wollten leben und leben bedeutete, Wagnisse zu machen. Risikos einzugehen. Hindernisse und Ängste zu überwinden. War es das nicht, was das Leben ausmachte?



    Samantha zog ihren Pullover aus und legte sich in das Gras. Die jungen Halme kitzelten ihre ausgemergelten, weißen Unterarme und sie sah in den blauen Himmel hinauf. Sie wusste, dass er da oben war. Dass er auf sie wartete, auf sie aufpasste. Dass er noch immer für sie da war.
    „Danke“, hörte Samantha ihre schwache Stimme sagen. „Danke, Cathi, dass du mit mir hier her gegangen bist.“


    „Ich habe Angst vor der Welt da draußen“, gab Samantha zu, als sie an der Tür auf Catherine wartete, die sich nicht zwischen zwei Schuhpaaren entscheiden konnte.
    „Ich weiß. Aber deswegen musst du ihr begegnen und dich nicht wegsperren. Wie lange hast du den Wind nicht mehr auf deinem Gesicht gespürt oder die Sonnenstrahlen auf deiner Haut? Das geht so nicht weiter, Sam. Wir schaffen das. Weißt du, wie du mich damals am liebsten zur Schule gezogen hättest, als ich mich nicht hingetraut habe wegen dieses Idioten Bobby? „Du kannst dich nicht verstecken“, hast du gesagt, und jetzt sage ich es zu dir. Die Erde dreht sich weiter, Sam. Ganz bestimmt.“



    Samantha schwieg und sah ihrer kleinen Schwester in die Augen. Sie wusste, dass Catherine Recht hatte, das Selbstmitleid und die Depressionen mussten aufhören. Sie musste sich gefälligst zusammenreißen. Ihr Leben war trist und leer, aber es würde nicht erfüllter werden, wenn sie nichts dafür tat. Samantha atmete tief durch und öffnete die Tür nach draußen.
    Ein leichter Windhauch wehte herein und das Gezwitscher der Vögel drang an ihre Ohren.



    Natur. Wie hatte sie so lang ohne sie auskommen können? Catherine hatte sich für ein Paar Schuhe entschieden, den Picknickkorb aus der Küche geholt und schlenderte an Samantha vorbei nach draußen.
    „Na komm! Du wirst es nicht bereuen, ganz sicher!“
    Die Augen ihrer Schwester leuchteten, als Samantha die Haustür hinter sich schloss und ihr in Richtung Tor folgte. Nein, sie bereute es nicht.


    -



    Nur ein paar weiße Schäfchenwolken zierten den Himmel und die Sonnenstrahlen erwärmten Samanthas Gesicht. Der Geruch blühender Bäume und Wiesen lag in der Luft und Samantha wusste, dass sie diese Empfindungen vermisst hatte. Monatelang hatte sie nur die muffige Wohnungsluft des alten Hauses eingeatmet und die blühende Natur nur durch die Glasscheiben betrachtet. Sie hatte gewusst, dass das Leben hier draußen ihr auch ein Stück des ihren wiedergeben würde, und davor hatte sie Angst. Hatte Angst, andere Empfindungen als Trauer zu haben, zu genießen, zu leben. Sie konnte nicht leben, wenn…



    „Hier?“, riss Catherines Stimme sie aus ihren Gedanken. Samantha sah sich um und stellte fest, dass sie bereits am See angekommen waren. „Wie gedankenversunken war sie gewesen?
    „Okay, meinetwegen“, antwortete sie und erschrak über die Schwäche ihrer Stimme. „Ja, hier ist es schön.“



    „Was ist, wenn dieser Liffrey doch nicht gelogen hat?“
    Samantha saß auf der ausgebreiteten Picknickdecke und sah zu, wie ihre Schwester die mitgebrachten Snacks auf jener verteilte.
    „Was?“
    „Was ist, wenn Paul das Haus verkaufen wollte?“
    Catherina schaute entgeistert auf.
    „So ein Quatsch! Der lügt doch wie gedruckt. Du weißt doch wie das so läuft, in der Geschäftswelt. Der will das Haus haben und hat gemerkt, dass er es anders nicht bekommt.“



    Konnte das sein? Waren die Menschen so durchtrieben? Woher wusste dieser Mann von Paul?
    „Vergiss ihn echt, Sam. Wenn er das nächste Mal kommt, rufen wir die Polizei, Ende. Ich gebe zu, dass er eine Menge Charme hat, aber das kann er woanders ausleben. Der soll sich ein anderes Haus suchen.“
    Catherine reichte Samantha einen Teller mit einem belegten Brötchen und etwas Obst.
    „Und nun iss, ich hab mir so viel Mühe gegeben!“

    Sorry, dass das nächste Kapitel so lange auf sich hat warten lassen. Wünsche euch jetzt aber viel Spaß beim Lesen!



    Die ersten Bilder finde ich nicht gelungen, zum Schluss wirds dann aber besser...
    Hoffe, der Teil gefällt euch und wünsche euch viel Spaß beim Lesen! Über Kommis freue ich mich natürlich wie immer!




    Kapitel 17 – Samantha


    Natürlich kann man alle Gefahren vermeiden. Aber dann vermeidet man auch das Leben an sich. (H. Küls)


    -



    Sie hängten Wäsche auf die Leine und bügelten, um Elena zu entlasten und Samantha musste sich bemühen, ihrer Schwester nicht ins Gesicht zu sehen. Es war ihr unangenehm, vor Catherine so viel zu weinen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Nach der Ankunft ihrer Schwester hatte sie sich tatsächlich besser gefühlt. Sie hatte es genossen, dass jemand für sie da war, mit dem sie über alte Zeiten reden konnte, mochte die Nähe ihrer Schwester. Ja, einen Moment lang hatte sie sogar geglaubt, dass eine Chance bestand, irgendwann wieder einigermaßen normal weiterzuleben. Und dann war Alec Liffrey aufgetaucht.



    Wer war dieser Mensch, dass er einfach in ihr Haus spazierte, wie es ihm passte? Sollte Paul ihn tatsächlich gekannt haben? Sollte Paul wirklich vorgehabt haben, das Haus zu verkaufen?
    Nein, Samantha glaubte nicht daran. Glaubte kein Wort dessen, was dieser dahergelaufene Makler ihr erzählte. Es war einfach nicht wahr, es konnte nicht sein. Liffrey war ein Lügner, ein Betrüger. Er war doch nicht einmal Makler, er war in der Werbebranche. So leicht ließ sie sich nicht übers Ohr hauen, der konnte sich auf etwas gefasst machen. Ob sie ihren Anwalt anrufen sollte?
    Obwohl sie sich nicht ansah, erriet Catherine ihre Gedanken.



    „Ignorier diesen Typen, Samantha. Der ist es überhaupt nicht wert, vergiss ihn. Wir lassen ihn nächstes Mal einfach nicht mehr rein, da kann er klingeln und warten wie er will. Hey, mach dir über den keine Gedanken!“
    Catherine nahm eine Jeans aus dem Wäschekorb und schüttelte sie kräftig aus.
    „Lass uns heute was Schönes machen, ja? Was hältst du von einem Spaziergang zum See? Wir könnten picknicken!“
    „Cathi…“




    „Was denn? Es ist wunderschönes Wetter draußen, du musst mal wieder rausgehen. Hier drinnen hält es doch kein Mensch aus.“
    Samantha blickte auf die bunten Wäscheklammern, die die Kleidung an den Leinen hielten. „Ich fühle mich nicht so gut. Dieser Kerl gestern… ich glaube das ist alles ein bisschen viel.“
    „Lass dich von dem nicht runterziehen. Das ist nur so ein Idiot. Ich fände es gar nicht schlecht, wenn du das Haus verkaufst, das weißt du. Eine kleine Stadtwohnung würde dir tatsächlich besser stehen.“ Catherine fuhr fort, bevor Samantha etwas entgegnen konnte. „Aber darum geht’s ja gar nicht. Damit sollst du dich jetzt nicht befassen. Entspann dich einfach mal. Wir gehen Enten füttern und lassen ein bisschen die Seele baumeln. Keine Widerrede!“



    Samantha sah ihre Schwester an, die das letzte Handtuch aus der Wanne nahm und auf den Ständer hängte. Ihre Lippen zitterten und sie musste sich bemühen, die Tränen zurückzuhalten.
    „Cathi, ich möchte nicht rausgehen. Ich war seit einem halben Jahr nicht mehr draußen. Mir… ich…“
    Catherine drehte sich zu ihrer Schwester und nahm sie in den Arm.
    „Ich bin da, Sam. Ich bin immer da. Wir werden es schaffen, wir beide. Du brauchst keine Angst mehr haben.“