Kapitel 110
Eine schwere Entscheidung!
Nur an die Schreie von Miri, die immerzu rief „Nein Lyreu tu es nicht“ konnte Hella erkennen, in welcher Gefahr sie sich momentan befand. Instinktiv suchte sie den Schutz von Garius, der Einzige, zu dem sie vollkommendes Vertrauen hatte. So schnell sie nur konnte, versuchte sie Garius zu erreichen. Doch ehe sie sich an ihm klammern konnte, stieß er sie mit solch einer Wucht von sich, das Helle kurz über den Boden nach hinten schwebte, bis sie schließlich unsanft landete. Im gleichen Moment ballte Garius seine Kräfte und stieß mit seinem rechten Arm Lyreu so gewaltig auf den Brustkorb, das Lyreu nicht schwebte, sondern flog. Erst 40 Meter weiter, landete Lyreu an einen Baum und war für ein kurzen Moment benommen. Doch er stand auf, fasste sich an seiner Brust, schüttelte sich ein paar Mal und setzte erneut zum Angriff an. Garius blieb keine Möglichkeit nach Hella zu schauen. Er hoffte auf Miri und auch, das sein Stoß Hella nicht zu sehr zugesetzt hatte. Er ließ auch Thoma, der mit fletschenden Zähnen da stand, nicht aus den Augen.
Miri kümmerte sich auch gleich um Hella, die nun ziemlich geschockt am Boden saß. „Alles in Ordnung?“ fragte Miri, faste Hella von hinten unter die Arme und zog sie zu einem Baum. „Ich glaub schon.“ keuchte sie nach Luft ringend. Garius stoß gegen Hella war nicht heftig gegenüber den von Lyreu, reichte aber um ihr das Atmen schwerfallen zu lassen. „Warum tut Lyreu das?“ fragte Hella und sah zu Miri hoch. Ihre Stimme klang ganz leise. Ihr Blick hatte einen flehenden Ausdruck und ihre Angst ließ sie am ganzen Körper zittern. „Glaub mir Hella, er will das nicht. Doch er kann nicht anders. Deine Wunde, der Geruch von deinem Blut lässt deine Ausstrahlung noch um ein Vielfaches höher erscheinen. Lyreu musste sich auch so schon immer zusammenreizen. Es war nur ne Frage der Zeit, bis das passieren musste. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf dem, was kommen wird, kommen muss und Lyreu ist noch einer von den Guten. Was meinst du, was Larius seine Meute mit dir machen wird? Ich wünschte Garius hätte dich schon verwandelt, das würde uns viel ärger ersparen.“
Lyreu rannte erneut zähnefletschend auf Hella zu. Blitzartig sprang Garius in seine Laufbahn und stieß ihn wieder von sich. „Töte ihn nicht!“ hörte Garius Miri von hinten flehen. „Ihr seid ja immer noch da? Bring Hella in Sicherheit!“ sagte Garius so schnell, das Hella selbst es gar nicht verstanden hatte. Thoma stand immer noch unschlüssig da. Eine Hälfte von ihm wollte auch zu Hella und die andere wollte Garius helfen. Der Geruch von Hella, ihr Blut und die enorme Anspannung, die in der Luft lag, ließ Thoma vergessen, was er in der Ferne gehört hatte. Er führte einen inneren Kampf. Einen Kampf zwischen seinem ich und dem, was er an dunklen Mächten geerbt hatte.
Miri kramte in einem der Rucksäcke und holte ein getragenes weißes T-Shirt raus. Sie rieb Hella das Blut vom Arm und versorgte notdürftig die Wunde. „Es ist zwar schon getragen, aber was anderes habe ich nicht. Naja vielleicht überdeckt mein Geruch ein wenig den Geruch deiner Wunde. Ist zwar eher unwahrscheinlich, aber immer noch besser, als wenn gar nichts drüber wäre.“ „Was machst du da?“ fragte Hella, als sie sah wie Miri ein paar trockene Blätter und kleine Äste sammelte. „Ich will dein Blut was auf dem Boden getropft ist verbrennen. Ich hoffe das Lyreu sich dann wieder beruhigen kann. Außerdem werden wir verfolgt und dein Blut würde uns verraten. Sie werden zwar auch so wittern, wo wir langgegangen sind, doch wenn sie die Witterung von deinem Blut aufnehmen, werden sie doppelt so schnell und auch leider so wild sein.“ Hella senkte ihren Kopf, zog ihr rechtes Bein an sich und legte ihren verletzten Arm darauf. Das Pochen der Wunde nahm Hella gar nicht so wahr. Die Angst um das, was da noch kommen mag, überwiegt jeden Schmerz. Nun wünschte sie sich auch, Garius hätte sie schon verwandelt. Auch wenn ihr die Vorstellung für die Prozedur der Umwandlung fehlte, wäre ihr alles recht gewesen, solange es von Garius kam. Die Vorstellung ein anderer Vampir würde sie verwandeln und sie würde dann ihn gehören, verlieh Hella erneut Gänsehaut. Über ein wohlmögliches Gemetzel wollte sie erst gar nicht nachdenken. Nun befürchtet Hella, das Garius keine Gelegenheit mehr bekommen würde, die Prophezeiung zu erfüllen.
Und in der Tat, hatte Garius im Moment andere Sorgen als an der Prophezeiung zu denken. Lyreu seine Kräfte ermüdeten nicht. Ganz im Gegenteil, es schien so als würden sie mit jedem Angriff wachsen. Immer mehr machte sich die dunkle Seite in ihm breit und zeigte Lyreu Möglichkeiten, wo er selbst nicht glaubte, dass er sie hatte. Doch führ ihn stand fest, um zu Hella zugelangen, müsste er erst Garius aus dem Weg schaffen. Doch Lyreu hatte sich da wohl etwas viel vorgenommen. Trotz der dunklen Kräfte, die ihm ummantelten, war Garius an stärke Lyreu bei Weitem noch überlegen. „Geh mir aus dem Weg!“ feuchte Lyreu, sah in Garius Augen um seine Stärke, die er nun fühlte, zu signalisieren. Doch Garius blieb davon unbeeindruckt und sagte; „Lyreu ich will dich nicht töten. Doch wenn du so weiter machst, dann habe ich keine andere Wahl. Du hast es Miri zu verdanken, das du überhaupt noch am Leben bist.“ Als er das Wort Miri hörte, hielt Lyreu kurz inne. Er schaute sich kurz um und fragte sich für einen Moment; „Was mache ich hier eigentlich?“ Doch im nächsten Moment trieb der Wind den Geruch von Hella direkt in seiner Richtung. Er war etwas anders. Der Qualm von den kleinen Feuerchen überdeckte etwas den Blutgeruch, aber nicht Hellas Aura.
Miri war sich sicher, alle Blutflecke verbrannt zu haben. Sie konnte genauso gut auf ihrem Geruchssinn vertrauen, wie jeder andere Vampir auch.
„Au …, ich glaub ich habe mir den Knöchel verstaucht.“ flüsterte Hella als Miri sie beim Aufstehen half. Hella traute sich nicht einmal laut zu atmen. Sie befürchte, dass jede Reaktion von ihr, die Situation verschlimmern könnte. Am liebsten würde sie sich unsichtbar machen und sie fluchte in Gedanken. „Man hätte mich auch mit meinem ersten Atemzug töten können. Wozu soll die Prophezeiung gut sein, wenn sie doch unerfüllbar ist? Von wem wurde sie veranlasst? Irgendjemand muss doch ihr Schöpfer sein.“ Doch Miri holte Hella aus ihren Gedanken. Sie nahm Hella auf ihre Arme und rannte los. „Bin ich zu schwer für dich?“ fragte Hella, als sie an Miri einen undefinierbaren Gesichtsausdruck sah. „Nein …! Ich merke kaum, dass du in meinen Armen liegst. Ich spüre und ich höre etwas. Doch durch das Elixier sind meine Sinne etwas geschwächt und ich kann einzelne Gerüche und Laute nicht genau herausfiltern. Wir sollten so schnell wie möglich hier verschwinden!“ meinte Miri und rannte noch etwas schneller.
„Wow du bist wirklich stark.“ sagte Hella als Miri nur mit ein paar Schritten einen kleinen flachen Fluss überquerte. Miri musste grinsen, obwohl die Situation es kaum zuließ. Hella schaute nach oben, sah die Berge, die von beiden Seiten wie riesige Hände alles umfasten. Nur ein schmaler Fluss schien diese Ungetüme zu trennen. Als Hella sich die Felswände ansah, dachte sie; „Die sehen aus als gehörten sie zusammen, als wären sie mal eins gewesen. Welche Kraft ließ sie zerspringen? Wie in einem Puzzle passt der Felsvorsprung des einen Berges, genau in die Einbuchtung des anderen. Ich habe noch nie die Natur so intensiv wie jetzt wahrgenommen. Der Nachthimmel ist so seltsam klar und die Sterne …, wie Tausende leuchtende Augen die zu mir herabsehen und warten, was geschehen mag. Als ich noch klein war, sagte Paps immer, wenn wir die Sterne ansahen, >ein Stern ist deine Mutter und sie wird immer über dich wachen.<“ Fragend schaute Hella nach oben. Suchte bewusst den hellsten Stern, als würde sie glauben, dass dieser nur zu ihrer Mutter gehören könnte.
„Warum Mama …? Warum ich?“ doch auf eine Antwort würde sie wohl vergeblich warten.“
Miri legte Hella am Flussufer ab. „Was macht dein Bein?“ fragte Miri und Hella zuckte mit den Schultern. „Wir müssen das restliche Blut an dir abwaschen!“ Hella nickte und rutsche näher zum fließenden Wasser. „Schau in meinem Rucksack, da müsste noch ein Oberteil sein! Ich glaube ich hatte eins eingepackt, es ist genauso eins, wie ich anhabe.“ Miri nickte. Hella zog ihr Sweatshirt aus und machte sich bei der Gelegenheit auch etwas frisch. Die Kühle des Bergwassers tat ihr gut. Ließ ihren müden Körper auch wieder wach werden. Miri gab ihr das Oberteil und Hella zog es über. „Willst du das hier auch verbrennen?“ fragte Hella und zeigte Miri das tropfende Sweatshirt. Miri sah Hella mit großen Augen an und musste schmunzeln. „Es brennt nicht Hella, das Teil ist triefend nass. Schmeiß es im Fluss! So wird es auf natürliche Weise deinen Geruch verlieren.“ „Was meinst du, kann man das Wasser hier trinken?“ fragte Hella mit total trockener Kehle. Hella hatte unheimlichen Durst. Ihre Trinkreserven waren aufgebraucht. Sie hatten nur soviel eingepackt, wie sie für den Weg bis zum Tal der Vampire brauchten. Doch das Tal gab es ja nun nicht mehr und ihre Vorräte waren aufgebraucht. „Hier ist keine Industrie, keine Stadt ja nicht einmal ein Dorf. Das Wasser kommt aus den Bergen, es wird sauber sein.“ Miri hatte kaum zu Ende geredet, da hing Hella auch schon mit ihrem Mund im Wasser. Nachdem sie ihren Durst gelöscht hatte, füllte sie noch zwei Trinkflaschen.
An Verbandszeug hatte nun niemand gedacht. Doch Miri fand ne Rolle Heftpflaster, das wohl aus irgendeinem Baumarkt zu stammen schien. Es diente, um in Notfall noch die Vampirschutzhüllen sichern zu können. Doch es passte auch auf Hellas langem Riss am Arm.
Durch den schmalen stark klebenden Streifen wurde Hellas Wunde gut zusammengepresst. So konnte Hella ihren rechten Arm wieder normal bewegen, ohne befürchten zu müssen, dass die Wunde wieder aufriss.
*geht noch weiter*