Herr Vorsitzender, es ist soeben noch eine Studie reingereicht worden, die ich eigentlich gerne vorgetragen hätte, zur Unterfütterung meiner Argumente.
Am Institut für Arbeitsethik in Görlitz wurde eine Vergleichsstudie über die unterschiedliche Arbeitsweise von polnischen und deutschen Handwerkern durch geführt.
Stellen Sie sich vor Herr Vorsitzender, 5.30 Uhr Morgens. Es klingelt an ihrer Tür. Davor stehen Bolek und seine Handwerkertruppe um ihre Wohnung zu renovieren. Sechs energische Gesichter sagen nur eins: Lasst uns arbeiten, arbeiten, arbeiten!
Gleichzeitig an einem anderen Ort: Auch der deutsche Handwerksmeister ist schon aktiv. Er sägt! Auch sein Gesicht sagt nur eins: Lasst mich pennen, pennen, pennen!
5.32 Uhr: Bolek und seine Leute laden den Wagen aus. Sie sind am Morgen aus Warschau gekommen. In der Nacht haben sie in Braunschweig eine Doppelgerage aufgebaut und in Hannover zwei Dächer neu eingedeckt.
Sie Herr Vorsitzender erklären Bolek was zu tun ist. Die ganze Wohnung renovieren. Alle Tapeten ab. Im Wohnzimmer einen Wanddurchbruch, alle Elektriken neu, alle Rohrleitungen neu, alle Wände neu verputzen, die Decken abhängen, den Stuck erneuern, den Fußboden erhöhen, spachteln und streichen, das Bad neu fliesen, in die Küche Raufaser und Laminat. Bolek wundert sich. Er dachte es gibt Arbeit für den ganzen Tag.
6.30 Uhr: der deutsche Handwerksmeister dreht sich noch einmal um.
7.00 Uhr: Ihre Wohnung, Herr Vorsitzender, sieht aus wie Dresden 1945. Alle Tapeten sind runter. Bolek, Leschek und Malek schlitzen Elektroleitungen in die Wände. Antek und Spischek verputzen gleichzeitig und Franek bereitet schwitzend die Küche für den Laminat und die Raufaser vor.
7.30 Uhr: Der deutsche Handwerksmeister steht auf. Er geht ins Bad. Sieht sich selbst im Spiegel an und konztertiert: Dem deutschen Mittelstand ging es noch nie so schlecht wie heute!
7.50 Uhr: Die Polen haben die ersten Wände verputzt und verspachtelt.
8.00Uhr: Der deutsche Handwerksmeister Frühstückt. Dann holt er seinen Lehrling ab und macht sich auf den Weg zu Ihnen. Unterwegs bemerken die beiden, dass sie noch tanken müssen. Sie halten an. Jeder zwei Bier, zwei Korn, drei Jägermeister. Der Arbeitstag kann beginnen.
9.30 Uhr: Die Polen haben das erste Zimmer Ihrer Wohnung fertig verputzt. Sie arbeiten seit vier Stunden ununterbrochen. Sie werden ein wenig müde. Sie, Herr Vorsitzender, schlagen eine Pause vor aber die Polen haben ihre eigene Methode. Sie schrauben eine Steckdose ab. Jeder packt mal kurz an die Kontakte. Danach sind alle wieder hellwach und arbeiten weiter.
9.35 Uhr: Es klingelt. Der deutsche Handwerksmeister steht vor ihrer Tür. Er sieht aus wie der dicke Bruder der Bildecker Herzbuben, trägt einen Kittel und darunter ein T-Shirt mit der Aufschrift: Bier formte diesen schönen Körper! Seine Hose hängt so auf halb acht, dass Sie seine Gesäßbacken sehen können. Das sogenannte „Maurerdekollte´“. Er begrüßt Sie mit dem Satz“ Ich bin Firma Pütz. Sind Sie der verstopfte Siffon?“ Sie nicken und lassen ihn herein.
10.15 Uhr: Die Polen haben das zweite Zimmer fertig verputzt.
10.20 Uhr: Der deutsche Handwerksmeister schaut sich den verstopften Siffon an und sagt den klassischen Handwerkersatz : „Oh, oh, oh, oh dat wird teuer!“ Ein wichtiger Satz. Jedes „Oh“ bedeutet für Sie, Herr Vorsitzender, 50 € mehr als im Kostenvoranschlag ausgemacht war.
„Oh, oh, oh, oh dat wird teuer!“ ist einer von vier Sätzen die der deutsche Handwerker in seiner Ausbildung lernt. Die anderen drei Sätze lauten:
„An Ihrer Stelle würde ich das alles neu machen lassen!“
„Dat war ich nit. Das war schon vorher kaputt!“
Und
„ Brauchen Sie unbedingt eine Rechnung?“
Nach der Begutachtung des Siffons steht der Handwerker auf und macht erst einmal Frühstückspause.
11.00 Uhr: Die polen fangen an zu tapezieren.
11.30 Uhr: Der deutsche Handwerksmeister kommt aus der Frühstückspause und macht sich am Siffon zu schaffen. Neben ihm steht sein Lehrling. Der deutsche Handwerksmeister kommt grundsätzlich immer mit einem Lehrling, denn das deutsche Handwerk ist traditionell irakisch strukturiert. Oben an der Spitze steht der Meister, dann kommt der geselle, dann kommt der Lehrling und dann, Herr Vorsitzender, dann kommen Sie. Was die Funktion des Lehrlings ist, ist noch nicht erforscht. In den meisten Fällen steht er einfach nur doof wie 100 Meter Feldweg daneben und hat den Mund auf. Mindestens 80% der deutschen Lehrlinge im Handwerk haben den ganzen Arbeitstag lang den Mund auf. Ethnologen vermuten das dies ein Sicherungssystem ist. Solange der Lehrling den Mund offen hat, weiß der Meister das er noch atmet und lebt. An den Bewegungen ist dies nicht festzustellen, denn während der Meister arbeitet steht der Lehrling unbeweglich und starr daneben. Woher sich auch der Begriff „Standort Deutschland“ ableitet. Der deutsche Lehrling bewegt sich so wenig, dass die deutsche Handwerkskammer für Lehrlinge im Dienst inzwischen Thrombosestrümpfe vorschreibt.
11.45 Uhr: Die Polen kacheln das Bad.
11.50 Uhr: Der deutsche Handwerksmeister stellt fest, dass ihm eine Muffe fehlt. Er schickt den Lehrling zum Auto. Sie rechnen das Bewegungstempo des Lehrlings mit dem Hin- und Rückweg zum Auto hoch und wünschen ihm bis zum wiedersehen schon mal frohe Ostern, fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch. Der Meister bleibt solange zurück, schaut sich um und stellt fest, dass er durst hat. Sie bieten ihm ein Glas Wasser an. Seine Antwort: „Ich will mich nicht waschen. Ich habe durst.
12.15 Uhr: Kleine Krise mit einem polnischen Handwerker. Franek hat einem Fehler gemacht. Es ist Ihnen, Herr Vorsitzender, aufgefallen, als er aus der Küche kam und stolz verkündete: „Sauna fertig Meister!“ Beim Blick in die Küche stellen Sie fest, er hat das Laminat an die Wand geklebt und die Raufaser auf den Boden.
12.20 Uhr: Der deutsche Lehrling kommt mit der Muffe zurück. Er hat natürlich die falsche Muffe mitgebracht. Die richtige ist nicht da. Der Meister schickt ihn los. Er soll zum Baumarkt sausen und die richtige Muffe holen. Der Lehrling saust los. Sie denken an den Stundenlohn der Beiden und begreifen zum ersten mal wie das Wort „Muffensausen“ wohl entstanden ist.
13.30 Uhr: Franek hat die Küche wieder in Ordnung gebracht und alle Elektriken der Wohnung verlegt.
15.00 Uhr: Nach seiner Mittagspause setzt der deutsche Handwerker seinen Engländer an den Siffon und verzieht plötzlich schmerzvoll das Gesicht. Das ist für Sie, Herr Vorsitzender, ein kritischer Moment. Wenn ein deutscher Handwerker vor Ihnen schmerzvoll das Gesicht verzieht handelt es sich um einen absoluten Notfall auf den Sie sofort und nur auf eine Art reagieren müssen. Ignorieren, Herr Vorsitzender! Wegschauen! So tun als hätten Sie nichts bemerkt! Sie, Herr Vorsitzender, machen den Kardinalfehler und fragen den Handwerker: „ Was haben Sie?“ Die Antwort: „Verkalkung im Ellenbogen. Furchtbar, kennen Sie dat? Ich war schon bei tausend Ärzten. Wenn ich Ihnen dat erzähl, jung gehste mal in die Auto und hohlste mal de Röntgenbilder.“
15.10 Uhr: Bolek und seine Truppe sind fertig. Ihre Wohnung ist renoviert und geputzt. Alles kostete zusammen nur 200€. Sie, also die Polen, fahren jetzt weiter nach München zu ihrer nächsten Baustelle.
15.50 Uhr: Sie, also Sie, Herr Vorsitzender, haben die gesamte Krankengeschichte des deutschen Handwerkers, seiner Familie, seiner Freunde, seines Dackels und der Familie und Freunde des Dackels gehört. Sie kennen seine Homorieden besser als er Ihren Siffon. Den Grund für seine Krankheiten weiß er natürlich auch. Die Arbeit, der Stress, der Druck den man als Mittelständler hat. Dieser unglaubliche Druck. Und diese unmenschlichen Steuern. Wenn er nicht grundsätzlich Schwarzarbeiten würde, könnte er die gar nicht bezahlen. Und dann noch die rot grüne Regierung. Das schlägt auf die Psyche. Er kann schon nicht mehr essen, nicht mehr trinken. Er hat nicht mal mehr Lust auf sex mit seiner Frau. Während er sein siebtes Bier köpft, stellen Sie sich vor, wie Handwerker überhaupt Sex haben. Rufen die wohl beim Orgasmus „Schatz ich komme“, oder rufen die „Schatz, halt dich bereit. Ich komme zwischen acht und 14 Uhr.“ Und berechnen die dafür die Anfahrt?
Plötzlich piept die Uhr des Handwerksmeisters.
15.58 Uhr: Feierabend! Sie werden nervös. Ihr Siffon. Sie schlagen vor, die Handwerker können doch eigentlich noch etwas länger arbeiten. Aber Meister und Lehrling schauen sich an wie zwei Teletubbies. Hirnforscher haben herausgefunden, dass die Kombination „länger“ und „arbeiten“ von deutschen Handwerkern nicht in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden kann. Also packen die Beiden alles ein und bitten Sie um insgesamt 420€ für den Arbeitstag. Und den Siffon, den werden die Beiden auch noch reparieren. Sie kommen demnächst wieder vorbei. Am besten Sie halten sich zwischen Mai und September schon mal grundsätzlich frei. Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender, dass Sie mir zugehört haben und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.