"Das Liebesgeheimnis!" nach einem Roman von Sally Beauman


  • Und dann geht irgendwas schief. Der Wasserhahn lässt sich nicht drehen, und als ich ihn endlich drehen kann, lässt er sich nicht mehr abstellen. Im einen Moment tropft er nur, im nächsten führt er sich auf wie die Niagara-Fälle. Das Licht wird furchtbar grell, dann furchtbar matt, und bevor ich irgendwas tun kann, rasen die ganzen vergeudeten Jahre im Raum umher, heulen in meinen Ohren, verhöhnen mich.





    Also tue ich das, was schon vorher klar war. Ich kann diese Freudlosigkeit nicht ertragen, diese tagtägliche Freudlosigkeit. Davor hat mich keiner gewarnt. In diesen Tonnen von Papier, die ich im letzten Jahr studiert habe zu bislang missachteten und verhöhnten Themen wie Midlife-Crisis bei Männern, Trauer-Schuld-Komplexe, Depression, hat nicht ein einziger Guru, Arzt, Spinner oder Scharlatan die Freudlosigkeit erwähnt.





    Keiner hat beschrieben, wie sie sich über Jahrzehnte herausschlängelt und man sie erst bemerkt, wenn es zu spät ist, wenn sie einen schon im Würgegriff hat und einem die Luft abdrückt. Und natürlich können sie auch kein Heilmittel dagegen vorschlagen - was nichts macht, da ich ja eines in der Tasche habe.





    Mehrere, genauer gesagt. Und um auf Nummer Sicher zu gehen, nehme ich gleich drei davon. Es ist schändlich und entwürdigend, und meine Hände zittern so heftig, dass die Hälfte des Heilmittels in den Niagara-Fällen landet, aber schließlich schaffe ich es. Ich hacke mir die kostbare vorletzte Line vom besten bolivianischen Stoff und ziehe sie mir in die Nase.





    Ich zerkaue zwei Amphetamin-Tabletten und schlucke sie mit Wasser. Ich zünde mir eine Marlboro an und blase ketzerische Qualmwolken Richtung Deckensensor, warte auf die Reaktion: rote Blinklichter, Alarm, Sprinkleranlage, zumindest Auftritt eines Uniformierten, aber - glaubt man´s? Gar nichts passiert. Rein gar nichts.





    Der irre Wasserhahn sprudelt weiter. Die Welt dreht sich.





    Mein Spiegelbild zersplittert und setzt sich neu zusammen. Und dann kommt die Erleichterung, kehrt die Sicherheit zurück, das Gefühl von Hoffnung, das man sich nur mit Hilfe von Chemie verschaffen kann. Hieronimo´s mad again. Mit einem Satz bin ich frei, draußen aus diesem Raum - und wieder in der Galerie.





    Nick hat sich nicht von der Stelle gerührt. Er reagiert auch nicht, als ich wiederkomme - was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, wie viele Lichtjahre vergangen sind, wie viele Galaxien ich aufgesucht habe. Einerlei, hier drin gibt es eine Menge zu sehen und zu erfahren, und dank meiner verbesserten Körperchemie und meinen wieder verschalteten Synapsen kann ich das alles mit neuen Augen betrachten.


  • An der Wand hinter Nick hängen einige von Lucas´späteren Arbeiten. Seine berühmten Spätwerke. Ich mag sie nicht. Das Licht ist gnadenlos und sein Blick auch. Zwei seiner Ehefrauen, diverse seiner Geliebten. Alle sehen bleich und blutleer aus, als hätte Lucas aus Transsylvanien sich an ihrem Hals festgebissen, ihnen das Blut ausgesaugt und - wenn er nur noch einen schwachen Puls spürte - sie in ihren letzten Zuckungen gemalt.





    Sie sind erbarmungswürdig reglos. Man merkt, dass der Tod sie ganz plötzlich heimgesucht hat. Da lasen sie ein Buch, spielten mit einem Kind, tranken ein Glas Wein, waren mit Sex beschäftigt, als es an der Tür klopfte. Alle einsteigen, sagte eine Stimme, und die Reise, die vor ihnen liegt, sieht man in ihren Augen, diesen fahlen Zombie-Augen, in denen es keine Hoffnung mehr gibt. Und dann liegt in diesen Augen auch noch ein bösartiges Funkeln, als wollten sie uns, den Betrachtern vermitteln, dass wir bald im selben Zug landen werden. Überdies - und das finde ich besonders unangenehm - spürt man auch, dass es keine lange Reise sein wird. Nächste Station Hades - und das war´s dann.





    Tja, besten Dank, Lucas, aber ich werde auf diese Tour verzichten. Ich habe kein Bedürfniss, mir diese ganzen nackten Frauen anzuschauen - Lucas malt fast ausschließlich Frauen. Die Zeichnung von Maisie an der nächsten Wand will ich auch nicht sehen, diese Zeichnungen, auf denen sie so entstellt und verzweifelt aussieht.





    Stattdessen betrachte ich die frühen Zeichnungen von Finn. Finn im Obstgarten, ein reizendes Mädchen, das mit einem Buch in der Hand unter einem Baum liegt, umgeben von Falläpfeln. Finn am Black Ditch, eine Nymphe neben einem dunklen ominösen Gewässer, dem Styx nicht unähnlich. Finn am Nun Wood, Finns Schlaf, Finns Traum. Finn, immer wieder Finn - hier hängen mindestens 15 Zeichnungen von ihr, stelle ich fest. Ich wusste gar nicht, dass Lucas Finn so oft gezeichnet hat, und einen Großteil dieser Bilder habe ich noch nie zu Gesicht bekommen.





    Eine Vielfalt schwarzweißer Finns, die mir vor den Augen zu tanzen beginnen. Wann hat Lucas all diese Zeichnungen gemacht?, frage ich mich. Wann hat er in diesem Sommer die Zeit dafür gefunden? Wo war ich, wenn er daran arbeitete, wenn sie für ihn Modell stand? Ich habe doch in jenem Sommer fast jede Stunde mit ihr verbracht.





    Doch so war es nicht. In diesem Sommer entfernte sich Finn von mir, ging mir verloren. Ich denke: Er ist mein Freund, versuche das zu erklären, Finn. Das scheint ein Satz zu sein, den ich vielleicht einmal gesagt habe, aber ich weiß nicht mehr, ob ich ihn nur gedacht oder auch ausgesprochen habe, und falls ja, unter welchen Umständen. Eifersüchtig war ich dabei, und ich bin es auch jetzt, eifersüchtig und einsam, vor mir eine Vielfalt an Finns, die ich niemals kannte und erahnte, die durch einen Tunnel der Vergangenheit tanzen und sich mir - wie immer - entziehen.





    Auf der letzten Zeichnung, einem Porträt mit dem Titel "Finn zuletzt", überschattet sie die Augen mit der Hand, und sie trägt einen Ehering. Lucas´Ehering - denn verheerenderweise war sie Lucas´erste Ehefrau. Die Zeichnung ist nicht datiert, und auch sie habe ich noch nie gesehen. Ich starre so angestrengt darauf, dass das Bild sich vor meinen Augen in ein Wirrwarr aus Linien und Punkten auflöst und keinen Sinn mehr ergibt. Wann hat Lucas diese Zeichnung gemacht? Als ihre kurze Ehe ein unerfreuliches Ende fand oder erst später? Oder womöglich an ihrem Hochzeitstag? Eine halbe Stunde, nachdem sie aus dem Standesamt in Cambridge kamen, würde ich sagen. "Finn zuletzt". Ja, das kann ich mir vorstellen. Es würde zu Lucas passen, dass er Begrüßung und Abschied in ein Bild fasst. Aber er ist ein talentierter Künstler, ein herausragender vermutlich, und solche Menschen sind sonderbar: Aus dem Unglück, das er im wirklichen Leben anrichtet, zieht er seine Inspiration, doch er bemerkt das Unglück gar nicht; in dieser Hinsicht ist er blind.





    Er hat Finn verlassen; er hat Julia verlassen - mehrmals, wenn man dem Tratsch glauben kann; ihre Begegnungen sind immer nur kurz und richten furchtbaren Schaden an. Lucas hat also zwei von den drei Mortland-Schwestern an Land gezogen, und unter anderen Umständen wäre Maisie in einigen Jahren wohl auch dran gewesen.

  • Wow .. Das ist ja alles ganz schön harter Tobak, den du uns da aufgibst. Das Finn tatsächlich mit Lucas verheiratet war, besser gesagt, dass die beiden überhaupt zusammen waren, hätte man sich eigentlich denken können. Aber trotzdem .. Du schilderst das alles so fesselnd und schmückst alles so bunt aus, das man meinen könnte, live dabei zu sein.


    Ist dumm, ich weiß, aber ich bin immer wieder aufs neue gespannt, wenn ich sehe, dass neue FS im Web stehen. Von daher: Mach fleißig weiter :-)))

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    ~~ Das LESEN ist die Möglichkeit, die Realität verblassen, und seinen Geist im Universum und der Zeit wandern zu lassen ... ~~[/CENTER]

  • Cyber19: Nein, es ist gar nicht dumm, ich finde es schön! Wenigst einer, der sich freut *fg* Glaub mir, es wird noch besser, auch wenn zwischendurch meist langweilige Passagen kommen, danach wirds meist interessant und so setzt sich alles wie ein Puzzle zusammen. *gg*


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    Doch bei Ihr hätte er kein leichte Spiel gehabt, denke ich und drehe mich zu dem Bild Die Schwestern Mortland um, als ich an die Maisie denken muß, wie ich sie kannte; die Maisie, die man nicht begreifen konnte, indem man sie als "absonderlich", "autistisch" oder "nicht richtig im Kopf" bezeichnete, wie sie es im Dorf gerne taten. Maisie war wie eine Landmine, eine tödliche Falle auf einem Schlachtfeld, eine alte Gerätschaft, die jederzeit explodieren konnte; die Maisie, die ich für unschuldig hielt und die in Wirklichkeit gefährlich war.





    Ich blicke in die undurchdringlichen grünen Augen, und wir starren einander an. Jahrzehnte sind wie verflogen, und genau in diesem Moment (Nick behauptet später, dass das Koks zu wirken begann) wird mir klar, dass dieses kleine verlorene Mädchen aus dem Rahmen entkommen möchte, in dem Lucas es eingesperrt hat, und dass es mir etwas erzählen will.





    Ich bewege mich rasch auf das Bild zu, wobei ich noch merke, dass Nick irgendwo rechter Hand aufsteht und etwas sagt - das wir gehen sollten, warscheinlich. Aber ich kann nicht stehen bleiben und ihm zuhören oder ihn auch nur kurz ansehen und auch den Aufseher nicht, der aufspringt.





    Nein, ich muß mich ganz und gar auf Maisie konzentrieren, auf das, was sie mir sagen und zeigen will. Schau genau hin, sagt eine vertraute Kinderstimme, und nein, ich bilde mir das nicht ein, ich habe nicht irgendeine Halluzination, es fühlt sich ganz anders an, als wenn ich aufgrund von Drogen, Alkohol und Verzweiflung irgendwelche Dinge sehe, die nicht da sind. Schau genau hin, sagt die Stimme, schau genau hin.





    Und das tue ich. Ich betrachte Maisie. Sie trägt das blaue Kleid, hält die winzige Schere in der Hand, die man kaum sieht. Maisie, in der Mitte des Bildes, ist auch der Quell von dessen Dynamik; man kann förmlich die Spannung zwischen ihr und ihren Schwestern spüren. Finn hält sie an der Hand, Julia umklammert ihre Schulter; der Himmel hinter ihnen leuchtet. Die drei verströmen eine unsichtbare Kraft, eine elektrische Spannung, die Funken schlägt und die auch mich erfasst.





    Das Bild erzeugt Unruhe, weil es modern und alt zugleich ist. Ich kann mich bemühen, es distanziert zu betrachten, in die Hymnen und Referenzen der Kunstkritik einzustimmen: Les Desmoisel les d´Avignon, Die Öffnung des fünften Siegels. Ja, wenn ich versuche, mit deren Augen zu sehen, erkenne auch ich die Anspielungen und Zitate; ich bemerke, dass die Pose der Schwestern an Botticellis Grazien erinnern - doch das ist bedeutungslos für mich. Drei Grazien, drei Schicksalsgöttinnen, drei Sybillen, drei Hexen: Mir fällt auf, das alle drei Schwester den Betrachter anblicken und ihr Kopf zugleich leicht nach oben geneigt ist, als sähen sie dort etwas anderes.





    Das verleiht dem Gemälde eine irritierende Perspektive, macht es schwindelerregend wie die Bilder von El Greco. Ich beschäftige mich mit dem Hintergrund, der eigentlich nicht wirklich erkennbar ist, ein Zimmer sein könnte, doch ich ging immer davon aus, dass es sich dabei um ein postmodernes Nirgendwo handelt, eine unheimliche Verdichtung dieses Ödlands des zwanzigsten Jahrhunderts.





    Diese angedeuteten gezackten wirren Umrisse entziehen sich der Interpretation, doch dahinter kann ich nichts erkennen. Was sich mir jedoch deutlich vermittelt, ist die rätselhaft bedrohliche Ausstrahlung von Lucas´Werk. Ich versuche, diese sonderbare Perspektive, diesen verfremdeten Realismus, diese Endzeitstimmung zu begreifen. Etwas Gewaltiges steht hier bevor, scheint das Bild zu schreien, doch ich bin nicht sicher, ob es ein freudiges oder ein grauenvollen Ereignis seien wird. Wo schauen die drei Schwestern hin? Sehen sie eine Widerauferstehung oder das Ende der Welt?


  • Schau genau hin, sagt die Stimme ein letztes Mal, und ich gehorche ihr, obwohl ich Unruhe hinter mir spüre. Ich trete ganz dicht an das Bild heran, so dicht, dass ich die Adern auf der Haut erkennen kann und die Pinselstriche der Luft.





    Und jetzt - offenbart sich das Bild. Diese scheinbar abstrakten Umrisse ergeben plötzlich Sinn: Ich erkenne sie. Dieser dunkle gefleckte Farbklecks im Vordergrund links, beispielsweise, kommt der mir nicht bekannt vor? Dieses unheinliche schlangengleiche Ding in den Schatten hinter Finn, diese Gestalt, die den Kritikern Rätsel aufgegeben hat - weiß ich nicht, wo sie hingehört? Und diese drei schwebenden verschwommenen Kugeln über den Köpfen der Schwestern, die von der Kritik als Monde gedeutet wurden, ein Dreigestirn, für immer fixiert in der Galaxie der drei Schwestern - nein, das sind keine Monde, das ist nichts Fantastisches.





    Was ich vor mir sehe, ist ein Ort - ein Ort, den ich mit verbundenen Augen erkennen würde. Der gefleckte Kleks ist ein Löwenfell. Das schlangengleiche Etwas ist ein geschmackloser Tisch, den einen der vielen Mortland-Onkel zur Zeit des Kolonialismus auf einem Markt in Kalkutta erstanden hat. Und bei den drei Monden handelt es sich um die Elfenbeinkugeln, die mich als Kind so sehr faszinierten, dass ich sie gerne selbst besessen hätte.





    Schau genau hin, dann bist du in der Bibliothek der Abtei. Dann bist du in der Marienkapelle. Oder, noch präziser: Du blickst in diesen Ort durch Bellas Wunderding, das unfromme Hagioskop, diese Öffnung in der Wand in Augenhöhe eines Mannes, in einem Gebäude, in dem ausschließlich Frauen lebten.





    Und zwar religiöse Frauen. Das ist sonderbar, und vielleicht läßt sich damit erklären, weshalb die Schwestern nach oben zu blicken scheinen und dieses instabile Schwindelgefühl das Gemälde bestimmt. Voyeurismus wurde in der Kunstkritik auch erwähnt bei der Interpretation - und doch hatte Lucas meines Wissens keine Kenntnis von dem Hagioskop. Er hielt sich nur selten in der Abtei auf und interessierte sich weder für die Geschichte noch für die Architektur des Gebäudes. Ich habe ihn nie dort Skizzen machen sehen - er hat immer nur draußen oder im Refektorium gearbeitet.





    Und als wir uns schließlich alle an dem denkwürdigen Tag, als er das Gemälde enthüllte, im Refektorium einfanden, erwähnte er weder die Bibliothek, die Marienkapelle noch das Hagioskop, da bin ich ganz sicher. Oder doch nicht?





    "Wo hast du uns da hingestellt? Wo sind wir denn da?", fragte Maisie und brach damit das lange Schweigen. Es stank nach Terpentin.
    "In meine Fantasie", antwortete Lucas freundlich. "Und da werdet ihr auch bleiben", fügte er hinzu.





    Jemand muß ihm das Hagioskop gezeigt haben, denke ich jetzt. Wer, warum und unter welchen Umständen? Und dann, vergib mir Nick, setzt die Wirkung der diversen Substanzen tatsächlich ein, und mein Kopf geht ab wie eine Rakete. Mann, ist das schnell. Wie ein Greyhound, wie ein Bluthund, rase ich im Geiste Treppen hinauf, durch Flure und Vorzimmer, verfolge den Geruch dieses Sommers.


  • Mein Gehirn erstellt im Nu ein Abbild des labyrinthischen Inneren der Abtei, überprüft noch einmal die Position der Schwestern auf dem Gemälde und stellt zum ersten Mal fest, dass jenes irreale Licht, das auf dem Haar der Mädchen schimmert, von einer Quelle stammt, die ich kenne. Es fällt durch eines der Fenster in der Marienkapelle. Durch das mittlere Fenster, genauer gesagt: das Fenster, unter dem ich geboren wurde. Das Fenster, durch das meine Mutter - wenn man Bella glauben schenken kann, was man vermutlich nicht tun sollte - zum letzten Mal in ihrem Leben in die Welt hinausblickte, nur um dort etwas Grauenvolles zu sehen.





    Das Fenster, in dem Maisie stand, bevor sie zehn Meter in die Tiefe sprang oder ausrutschte - oder, das sollte man vielleicht auch bedenken, womöglich hinuntergestoßen wurde.
    "Was ist damals passiert? Ich muß es wissen -", sage ich laut.





    Zumindest glaube ich das, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, denn die Moleküle in der Luft scheinen sich ganz plötzlich jeglichen physikalischen Regeln zu widersetzen und wild durcheinander zu rasen, sodass die Luft in der Galerie Wellen schlägt. Ich erhalte einen ganz persönlichen Ausblick auf die Chaostheorie, kann sehen, wie sich das Universum auflöst.





    Nicht berühren. Treten Sie zurück, höre ich und fahre herum. Der Aufseher in Uniform kommt rasch näher, und er wirkt gar nicht erfreut, sondern äußerst aufgebracht. Er sieht rot und gereizt aus - komische Sache - je schneller dieser Neandertaler auf mich zuläuft, desto weniger kommt er voran. Er weicht vielmehr immer weiter zurück, scheint in einem düsteren Tunnel zu verschwinden, und das mit rasender Geschwindigkeit. Und in dem Augenblick, in dem mir bewußt wird, dass es höllenartig heiß ist in diesem Raum und ich aus dieser Hitze in eine kühle, dunkle, verheißungsvolle Leere versinken will, spüre ich, wie Nickolas Marlow, Arzt und Sohn eines Arztes, mich am Arm packt und davon abhält.






    Als Nächstes befinde ich mich draußen, in einer schwankenden Stadt auf unsicherem Boden, und atme hastig Auspuffgase ein. Ich sitze auf dem Rasen, den Kopf zwischen den Knien; Nick hält meinen Aktenkoffer und beugt sich über mich.





    Ich richte mich auf; ich will ihm unbedingt schnell alles erklären. Die Worte lassen sich leider nicht in die richtige Reihenfolge bringen, weshalb ich möglicherweise etwas hysterisch klinge, aber ich glaube, "Marienkapelle" und "Hagioskop" schaffe ich gerade noch. Bei "Perspektive" bleibe ich hängen, aber "Selbstmord?" bringe ich noch hervor.





    Dann halte ich inne, denn mir wird allmählich bewußt, wie Nick mich anschaut. Er wirkt leicht peinlich berührt, besorgt, beunruhigt und trotzdem ärgerlich. "Langsam einatmen", sagt er. "Gehts dir besser? Großer Gott, was für ein Zeug hast du dir reingezogen, Dan? Wann hast du zuletzt geschlafen? Oder was gegessen?"
    "Weiß ich nicht mehr."
    "Denk nach."
    "Ich erinnere mich an ein Kebab. Mit Chilis. Und Zwiebeln."
    "Vor kurzem?"
    "So ungefähr. Vor fünf Tagen? Sechs? Einerlei. Hör zu, Nick, das ist wichtig ..."





    Nick hört nicht zu, obwohl ich ihn am Sakko packe und auf ihn einrede. Er inspiziert meine Augen - will warscheinlich sehen, ob die Pupillen erweitert sind -, und was er dort sehen kann, scheint ihm nicht zu gefallen. Er hebt den Arm, und im Handumdrehen sitzen wir in einem Taxi.



    -geht noch weiter-


  • Ich weine ein bisschen - das passiert mir öfter, ich bin daran gewöhnt, kein Grund zur Sorge. Dann dämmere ich weg und komme an der Euston Road wieder zu mir. Ich erkundige mich, wo wir hinfahren.





    "Du kommst mit mir nach Hause", erklärt Nick. "Ich werde Dir was zu Essen machen und versuchen, dich zur Vernunft zu bringen."





    "Zu dir nach Hause?" Das ist eine Katastrophe. Ich habe den Türgriff schon in der Hand. "Kommt nicht in Frage. Das soll wohl ein Witz sein. Lass mich raus hier."
    Nick seufzt. "Es ist okay", sagt er und klingt dabei entsetzlich müde. "Julia ist nicht da."
    "Ehrenwort?"
    "Ehrenwort! Sie kommt frühestens um zwölf zurück. Sie ist bei irgendeiner Preisverleihung."



    -geht noch weiter-neues Kapitel-;)

  • Kapitel 13
    Im Palazzo Julia





    [B]Im Obergeschoss schimmert goldenes Licht; die Haustür ist schwarz lackiert und mit einem glänzenden Messingtürklopfer in Form eines Delphins versehen worden und - kann das wahr sein? Doch, es ist so: Vor den Fenstern hängen Blumenkästen. Es hat sich also einiges verändert, seit ich zum letzten Mal hier war - was nicht allzu erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass ich hier Hausverbot habe, und das seit wann?[/B]





    Neun Jahren. Das weiß ich ausnahmsweise genau. Vor neun Jahren war ich zum letzten Mal hier, bei der Tauffeier für Nicks und Julias zweites Kind, ihren Sohn Tom. Ich bin sogar Toms Pate (eine mutige Entscheidung von Nick, die auf heftigsten Widerstand von Julia stieß). Finn ist seine Patin.





    Neun Jahre. Finn mußte damals direkt nach der Feier beruflich ins Ausland, und seit damals habe ich sie nicht mehr gesehen. Zu Weihnachten schickt sie mir immer eine Karte. Auf der von letztem Jahr war ein Rotkehlchen zu sehen.





    Ich warte auf der Treppe, während Nick den Taxifahrer bezahlt. Der Motor tuckert, und ein sonderbarer blauer Dunst hängt über dieser mittlerweile sehr angesagten Gegend von Islington: du cóte de chez Nick. Wilkommen im Palazzo Julia.





    Als Nick die Tür aufschließt, höre ich, das oben jemand Geige übt, die Tonleiterin rauf und runter. Ein Hund bellt zur Begrüßung, auch im Obergeschoss, läßt sich aber nicht blicken. Tom habe ich zuletzt gesehen, als er fünf war. Nick hatte dieses Treffen arrangiert, wie alle anderen auch, und wir gingen zusammen in den Zoo.





    Wir mußten so tun, als seien wir uns zufällig begegnet, falls Spitzel-Julia dahinterkam, wer ihren Sohn ein Eis gekauft und mit ihm und seinem Papa den Pinguinen zugesehen hatte. Seither habe ich mein Patenkind nicht mehr zu Gesicht bekommen, obwohl ich Tom sehr gerne mag. Er ist ein melancholischer kleiner Bursche, Dinosaurierexperte - früher habe ich ihm ständig neue Saurier geschenkt, nach denen ich ganz London absuchte.





    Vier Jahre lang habe ich ihn nicht gesehen, und daran wird sich auch jetzt nichts ändern. Er ist mit seinem Kindermädchen oben und muß bestimmt gleich ins Bett; Nick wird hochgehen, um ihm gute Nacht zu sagen, ich soll in der Küche auf ihn warten. Er kann mir nicht in die Augen schauen, als er das sagt. Wir stehen unbehaglich in der Diele herum.





    Nick tut mir Leid - und ich nehme ihm das nicht übel. Ich möchte nicht, dass er wegen mir Schwierigkeiten hat, und wenn Julia dahinterkommt, dass ich hier war, bricht die Hölle los. Außerdem habe ich eine lebhafte Vorstellung davon, wie ich aussehe. Wie ein Stadtstreicher oder ein Irrer ... Tom würde nur einen Schreck bekommen. Nein, ich sollte mich lieber nicht blicken lassen.

  • So ihr Lieben,


    bevor ich heute noch weiter schreibe, möchte ich unbedingt was los werden (und ich wette irgendein Mod hat wieder was zu meckern, was mir ziemlich egal ist)..
    Mir geistert schon länger was im Kopf herum, was mich beschäftigt.
    Klar, ich sehe an den Hits, das meine FS gelesen wird, aber es wurmt mich trotzdem.
    Denn es gibt so einige FS`s hier, die WIRKLICH zugespammt werden, mit Kommis etc und da wird nichts aber auch gar nichts zu gesagt. Jedenfalls bisher nicht.


    Überall in anderen FS´s werden Kommis noch und nöcher geschrieben und kein Mod sagt was, obwohl meist mehr Kommis als Fs darin enthalten sind :confused:


    Ich gebe mir mit meiner FS wirklich sehr sehr viel mühe und ich bemühe mich um regelmäßige Fortsetzungen, vielleicht liegt es auch daran, das sollte ich vielleicht bedenken. Aber mir macht das Schreiben sehr sehr viel Spass und ich würde es nicht aushalten, ne ganze Woche nichts zu schreiben :D


    Dennoch würde ich ab und an gerne ein wenig Zuspruch haben, denn so ganz alleine für mich zu schreiben, ist dann doch nicht soo spaßig. Und ich denke, wenn´s schon so eine Regelung für FS gibt (die mit dem rumspammen), dann sollte diese eingehalten werden, aber dann bitte überall und nicht nur bei MIR!! :misstrau


    Also bitte, werte Leser und Leserinnen, schreibt was, irgendwas, per PN gehts auch, das gibt mir dann wenigst etwas das Gefühl, das meine FS wirklich gelesen wird und das sie gefällt.


    Und nur zur Sicherheit, falls ein Mod hier das als Spam abhackt, keine Angst, ich werde später meine FS fortsetzen und diese an diesen Post dran hängen, sofern das dann geht, wenn keiner dazwischen was geschrieben hat, Danke!


    Super lieber Grüße, Baby2oo4:p


    Edit: So es geht weidda
    @Leoniemaus: Vielen Lieben Dank für dein Karma und deinen schönen Kommi dazu.




    Ich wandere in den Keller. Auch hier hat sich einiges verändert - die Küche nimmt das gesamte Untergeschoss ein, ist etwa so groß wie ein Tanzsaal. Klinker, ein derart fein abgestimmtes Lichtsystem, dass man stundenlang daran herumspielen könnte. Ich drehe an ein paar Dimmern und Halogenlampen. Kein Zweifel, ich befinde mich in Julias Reich: Es ist furchtbar protzig.





    Nick lässt mich nicht lange warten. Als er zurückkommt, hat er Mantel, Sakko und Krawatte ausgezogen und die Hemdsärmel hochgerollt. Jetzt sieht er nicht mehr so sehr wie der namhafte Onkologe aus, der er ist, sondern eher wieder wie mein alter Freund, mit dem ich in meiner ersten Zeit in London zusammenwohnte.





    Nick war schon immer alles, was ich nicht bin - zum Beispiel diszipliniert, moralisch, standfest, zurückhaltend. Und er war auch schon immer praktisch veranlagt - was sicher durch seine Ehe mit Julia verstärkt wird. Das verhießende Mahl ist prompt in Vorbereitung: Mir wird ein Platz an dem riesigen Tisch zugewiesen, ich bekomme ein Glas Delphic Spring, was das schmackhafteste Mineralwasser ist, das ich jemals getrunken habe, und Nick bereitet das Essen für den abtrünnigen Freund der Familie zu.





    Er öffnet den bombastischen Kühlschrank - so groß wie in einer Leichenhalle - und holt einen dieser superpraktischen Plastikbehälter mit beschriebenem Etikett heraus. Julia hat Suppe gekocht, und das wird bestimmt ein Leckerbissen. Nick schüttet die nahrhafte Suppe in einen Kryptonite-Topf auf dem gigantischen Herd. Dann werden - ich glaube es kaum - sage und schreibe 3 Sorten Brot aufgetischt; irgendwas rundes Italienisches, das mit Rosmarin und Knoblauch gesprenkelt ist, ein unförmiges, deftiges, das irgendwie irisch aussieht, und - das piéce de resistance - ein riesiger, nach Hefe riechender Laib mit brauner Kruste.



    -geht noch weiter-

  • Ich möchte noch loswerden, das wir jetzt bei über 500 Bildern angelangt sind. Wow, sag ich da sogar zu mir selbst *fg*


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    Eine nahrhafte Dreifaltigkeit, die Julia vermutlich geschaffen hat, während sie gleichzeitig die perfekte Mutter und Hausfrau gibt, ihr Reich regiert und Preise für ihr Dasein als Alphaweibchen im Fernsehen entgegennimmt.





    Nick spürt, dass mich dieses Brot beschäftigt. Er fürchtet vielleicht, dass ich mich darüber lustig machen will; vielleicht ist ihm aber auch nur eingefallen, dass es sich bei dem Brot meiner Wahl um dieses elastische Weißbrot handelt, das so stark konserviert ist, dass es sich mindestens einen Monat hält, ohne zu schimmeln, sogar in meiner Küche. "Vollkornmehl", sagt er mit leicht entschuldigendem Unterton. "Julias Spezialrezept. Wird dir gut tun. Aus organischem Anbau und steingemahlen, nehme ich mal an."





    Oh, das nehme ich auch an, Nick. Ich weiß, wo das Mehl für dieses Brot herkommt: aus Arkadien, von den Feldern unserer Kindheit in Suffolk, da kommt es her. Es hat nie sauren Regen abbekommen und ist auf Boden gewachsen, der natürlich gedüngt und nicht mit Chemikalien besprüht wurde. Es wurde vor dem Wind geschützt von alten Hecken, die kleinen Vögeln, Schmetterlingen und anderem kleinem Getier Lebensraum boten. Es wurde mit der Hand gemäht, nicht von einer monströsen benzinschluckenden Maschine.





    Es reifte in goldenen Garben, trocknete unter der Sonne des Herrn und wurde von meinem Vater, Großvater, Urgroßvater gedroschen und geworfelt. Meine Großmutter las die Ähren und sang dabei ein Lied von Wordsworth, und ich möchte wetten, dass sie selbst die Säcke nähte, in denen das Getreide zur Mühle gelangte, wo es von einem Mann Chaucer´schen Zuschnitts genau so gemahlen wurde, dass es die richtige nussig schmeckende Konsistenz hatte. Dieses Brot ist England. Es ist meine Vergangenheit - und Nick und ich gehören der letzten Generation an, die sich an diese Vergangenheit erinnern kann. Als Jungen erlebten wir den Anfang des Untergangs von Arkadien. Inzwischen existiert es nicht mehr.





    Ein depriemierender Gedanke. Aber irgendwie können die Jungen das nachholen, sage ich mir. Sie können jederzeit Thomas Hardy lesen, oder - falls ihnen das heute zu antrengend vorkommt, was vermutlich so ist - Fernseh-Kochsendungen von la Julia anschauen.





    Wie fühlt es sich wohl an, frage ich mich, als ich Nick zuschaue, wie er Eier verquirlt - wie fühlt es sich wohl an, in derartiger Perfektion zu leben? Wie wäre ihm wohl zumute, wenn ich ihn mit zu mir nehmen würde, in dieses andere London, das kaum zwei Kilometer entfernt ist: Reste von zwei Wochen alten Döner Kebab und Chicken Tikka Massala und Big Boy Burger, die im vollen Abfalleimer in der Küche vor sich hin modern; ein Haufen ungespültes Geschirr im Becken, weil die Spülmaschine schon seit Äonen kaputt ist. Was würde er zu saurer Milch und grünem Brot (ja, irgendwann schimmelt auch dieses Weißbrot) sagen? Und zu den Tonnen von Nicey-Spicey-Soßen in den Regalen - ich habe die Kampagne für die gemacht und bin zur Strafe mit dem Zeug überschüttet worden - und den millionen staubiger prähistorischer Herby Toppings, die alle schön viel Glutamat und künstliche Aromastoffe enthalten? Käme er wohl zu dem Schluß, dass mein Verfallsdatum auch abgelaufen ist?





    Oder würde er sich in einen der alten Sessel fallen lassen, sich einen ordentlichen Drink geben lassen, Fish und Chips aus der Zeitung futtern, dieses wundervolle Lächeln von früher lächeln - und reden: stundenlang, bis Mitternacht, bis zwei, drei Uhr morgens, fröhlich und vergnügt, wie wir früher waren, vor Julia?





    Ich beobachte ihn. Er schüttet die nahrhafte Suppe in zwei elegante Schalen. Das Zeug riecht gut. Er stellt allerhand leckere Happen auf den Tisch: Lachs, der nie eine Zuchtfarm zu Gesicht bekommen hat und nie mit rosa Farbstoff gefüttert wurde, sondern sich frei und unbekümmert in kristallklaren Flüssen tummelte. Die Eier sind von glücklichen Hühnern - bestimmt von Stellas Hühnern, die Finn und ich gefüttert haben. Der Käse kommt aus der Molkerei von Flora McIver, mein Paps hat den Salat angebaut, und der Schinken stammt von einem prächtigen Schwein, das sich nach Herzenslust im Schlamm suhlen und im Obstgarten herumwühlen durfte - einem dieser 260 Pfund schweren Heavy Hogs, die Colonel Edwardes züchtete, in jedem verlorenen Reich, das einmal meine Kindheit war.

  • So ein gibbet noch *gg*




    Es ist ein Festessen. Es ist grandios - und todtraurig. Denn während Nick so still und rasch und patent am Arbeiten ist, sehe ich den Ausdruck in seinen Augen, und - vor mir kann er das nicht verbergen, ich kenne ihn zu gut - ich sehe, dass auch er befallen ist von der Freudlosigkeit. Er leidet an derselben Krankheit wie ich, und es erschüttert und schmerzt mich, als ich es merke. Wann ist das passiert, frage ich mich. Wann hat Nick sich so verändert, wann verschwand die hoffnungsfrohe Lebendigkeit unserer Jugend aus seinem Gesicht, so spurlos, als wische man eine Gleichung von einer Schiefertafel?





    Eigentlich ist das ganz offensichtlich; wenn ich nicht zwei Jahrzehnte lang mit Davonrennen beschäftigt gewesen wäre, hätte ich es schon längst bemerkt: schätzungsweise zehn Minuten nach seiner Hochzeit mit Julia.





    "Bist du glücklich, Nick", frage ich ihn irgendwann beim Essen. Ich weiß nicht recht, wieso ich ihm plötzlich diese Frage stelle, eigentlich wollte ich mich nach Finn erkundigen, tastete mich allmählich zu Finn vor - weil ich weiß, dass sie mit ihm und Julia in Kontakt steht. Eine dämliche Frage: Bist du glücklich? Wer wird die schon jemals ehrlich beantworten?





    "Gelegentlich", sagt Nick - was ich für eine ziemlich ehrliche Antwort halte und was der Wahrheit bestimmt näher kommt als alles, was ich gesagt hätte. Hätte er mich gefragt, hätte ich ihm geantwortet: Klar, hatte neulich mal den typischen Hänger, aber das hab ich hinter mir, und jetzt gehts wieder bergauf... oder irgendwas Blödes in dieser Art. Aber ich muß zwanghaft lügen, was mein Wohlbefinden betrifft.





    Keiner wird je zu hören bekommen, dass ich mich nicht wohl fühle, geschweigedenn irgendwas über noch üblere und womöglich dauerhafte Krisen. Depressionen, Trübsinn, kompletter Verlust des Selbstvertrauens, Schlaflosigkeit, Alkoholsucht, Selbstanklagen wegen meiner zahllosen Fehler und Idiotien, ein niederdrückendes Bewußtsein der Sinnlosigkeit, ein verheerendes Interesse an Drogen, Seilen, Rasierklingen und Barbituraten? Nein, mein Herr, ich doch nicht. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere - das ist mein Lebensmotto.





    "Wann warst du wirklich richtig glücklich, Nick?", frage ich weiter, und zu meinem Erstaunen - ich hatte damit gerechnet, dass er das Thema wechselt - scheint Nick wirlich über die Frage nachzudenken, als hätte er sie sich in letzter Zeit selbst schon gestellt. Er sitzt mir gegenüber: Mitte Vierzig, dunkelhaarig, gut aussehend, ernst, bedächtig, rücksichtsvoll und kultiviert. Seine Schläfen werden grau, was ihm prima zu Gesicht steht.





    Der gute Gatte, der gute Arzt: Ich kann mir vorstellen, wie erleichtert seine Patienten sind, wenn sie ihn zum ersten Mal sehen. Die Frauen fühlen sich zu ihm hingezogen, immer schon. Und wie krank man auch sein mag, bei seinem Anblick schöpft gewiss jeder Hoffnung. Selbst wenn die Therapie nicht anschlägt, weiß man doch, dass man bis zum Ende aufmerksam betreut wird - und dass dieses Ende unter seiner Aufsicht dann sanft und würdevoll verlaufen wird.





    Nick runzelt die Stirn. "Tja", sagt er, "als Kinder waren wir ja wohl beide glücklich."
    Ich lasse ihm das durchgehen, ohne zu widersprechen. Nick ist in einem großen georgianischen Haus aufgewachsen, als Kind fürsorglich gebildeter Eltern. Er bekam ein Stipendium für eine gute Schule und brachte dort hervorragende Leistungen. Mit einem weiteren Stipendium studierte er im Imperial College in London und schloß sein Medizinstudium als Bester seines Jahrgangs ab. Er hatte immer saubere Kleider und gewaschene Haare als Kind.

  • Hallo Baby,

    nach längerer Abwesenheit, bin ich endlich weider da und hatte ja eine Menge zum nachlesen:D

    Es ist fazienierend wie die Lebensgeschichten bis ins heute von allen mitteinadner verstrickt sind.

    Lucas - Frauenheld? tragiscge Figur? Lebenskünstler mit schlechten Ende? Oder einfach nur jemand der sich mit einer Begenbenheit aus der Kindheit nicht auseinandergesetzt hat und darüber stolbert?

    Finn und Julia - sind die beiden Schwestern glücklich ?

    Nick - wie es sich jetzt herausstellt dürfte die anscheinend perfekte Ehe zweischen Julia und ihm doch nicht ganz so sein - ein glücklicher Mensch sieht anders bzw. strahlt mehr zufriedenheit aus

    MAise - auf die Lösung dieses Rätsel bin ich am meisten gespannt. Ist sie wirklich selbst aus dem Fenster gesprungen? Irgendwie kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen.:eek:

    500 Bilder - wow - und noch dazu von dieser super Qualität - macht immer Spaß die anzugucken

    und lass dich nicht von den wenigen Kommentaren abbbringen von deiner tollen FS- ich verstehe zwar auch nicht wieso so wenige schreiben:rolleyes - aber ich freue mich auf jede Fortsetzung und bin schon gespannt wann sich die ganzen Rätsel auflösen

  • gotti1836: Ich danke dir für deinen Kommi. Ich bezweifel das die Schwestern glücklich sind, und Lucas; ich hoffe, der kommt bald auch wieder in der FS vor, aber ich kann dir ja mal verraten, das sich BALD so ziemlich alles aufklären wird. Denn die Geschichte wird sich wieder total verändern, ob weitere Zukunft oder Vergangenheit? Ich verrate noch nix *gg*


    ---------------------------



    Sein Vater heilte Kranke, seine Mutter hatte leitende Funktionen beim Women´s Institute, dem Ortsverband der Tory Party und der Gemeinde inne. Sie hörten sich im Radio Konzerte an. Sie besaßen Bücher. Sie wußten, was sich gehört. Mrs. Marlow wußte beispielsweise, dass es sich für einen verliebten vierzehnjährigen nicht gehörte, Finn Mortland zum Geburtstag eine Flasche Parfum von Woolworth zu schenken. Nein, er mußte die richtige Wahl treffen. Etwas weniger persönliches wäre passender. Ich hörte auf ihren Rat und schenkte Finn einen Buchgutschein. Was ich heute, dreißig Jahre später, immer noch bereue.





    Die Marlows tranken keinen Alkohol, höchstens einmal ein Gläschen Sherry oder Wein an Festtagen. Sie schütteten sich nicht mit Dunkelbier zu wie Großmutter, und sie hielten im Gegensatz zu Großmutter auch nichts von Prügeln als Strafe - das war ja so erniedrigend. Sie waren kultiviert und fein; sie legten nicht wöchentlich einen Fünfer beiseite für ein anständiges Begräbnis und verjubelten nicht Joes halben Wochenlohn für eine Pferdewette. Sie waren nicht unzuverlässig und mußten nicht auf Pump einkaufen; sie klauten, knauserten und sparten nicht.





    Nick hatte keine winzige tyrannische unberechenbare Großmutter, die einen zwickte, und keinen todtraurigen und einsamen Vater. Er hatte keine Läuse, keine Schuppenflechte, litt nicht unter seinem Akzent, seinen Kleidern oder Tischmanieren ... soll ich Nick vor Augen halten, dass unsere Kindheit, wenn wir auch einige Aspekte in schöner Erinnerung haben, sehr unterschiedlich verlaufen ist? Ich tue es nicht. Nick ist ein lieber treuer Freund, und das war er immer. Ich denke daran, wie wir an diesem Teich bei der Abtei saßen, wie Nick Flussbarsche angeln wollte und ich einen Hai. Ja, Nick, damals waren wir glücklich. Wirklich und wahrhaftig.





    "Du warst in Cambridge glücklich. Ich am Imperial. Aber dieses Wort ist so mißbraucht worden." Nick arbeitet sich durch die Vergangenheit und legt die Stirn noch stärker in Falten. "Und danach, als wir zusammenwohnten. In meinem Beruf ... nun, da war ich immer ..."





    "Leidenschaftlich" ist das Wort, das er sucht, doch er benutzt es nicht. Stattdessen zuckt er die Achseln, bescheiden wie immer. "Arbeit ist gut", fährt er etwas verlegen fort. (Nick spricht nicht gerne über sich und hat warscheinlich auch keine Übung mehr darin, seit er mit Julia zusammen ist) "Ich kann Menschen helfen, wenigstens manchmal. Wenn ich arbeite, bin ich immer ganz dabei, dann stellt sich diese Frage ohnehin nicht."





    Ich kann ihm nicht ins Gesicht schauen und starre stattdessen auf den Tisch. Kann ich Menschen helfen? Nun, ich habe Texte erfunden, die sich den Leuten einprägen, die sie niemehr loswerden. Ja, ich lande in den Rumpelkammern des Gehirns, verquirlt mit Shakespeare-Zitaten, Gassenhauern, Redensarten, Wordsworth´Narzissen und Fußballergebnissen. Mit Elvis, den Fab Four und diesem obszönen My Way.





    Ich liege auf einem Haufen mit Filmausschnitten, Sprichwörtern, Bonmots, Literaturzitaten, Politikerlügen, Pornofotos und Promi-Skandalen. Sorry, aber keiner, der den Nicey-Spicey-Spot gehört hat, wird ihn jemals wieder vergessen, so sehr er sich das auch wünschen mag - und wer hat wohl diese unvergesslichen Zeilen ersonnen?





    Ja, mit meinen Kollegen habe ich meinen Beitrag zur Kultur geleistet. Oh, und eine Menge Waren verschoben, meinen Anteil an der Weltwirtschaft erbracht. Was erzeugt Konsumenten? Wer versetzt dich in Kaufrausch? Wer weckt Bedürfnisse, die noch gar nicht da waren? Ich. Zumindest habe ich das solange getan, bis ich nicht mehr dazu imstande war, weil es so ein Haufen peinlicher Schei*e war.


    -geht noch weiter-


  • "Und vom Beruf abgesehen?", frage ich, damit Nick weiterspricht, denn wenn er aufhört, wird er mir Fragen stellen, werde ich zum Thema, und das möchte ich unter allen Umständen vermeiden.





    "Als ich geheiratet habe", sagt er und steht auf, um Obst zu holen, wendet sich ab, damit ich sein Gesicht nicht sehen und ihm nicht in die Augen schauen kann. "Als meine Kinder auf die Welt kamen ..."






    Er setzt sich wieder und verfällt in Schweigen. Zwischen Nicks Kinder besteht ein großer Altersunterschied, dessen Bedeutung ich nicht einschätzen kann. Seine Tochter Fanny kam sieben Monate nach der Hochzeit zur Welt und muß jetzt um die Zwanzig sein. Sie hatten irgendwelche Probleme mit ihr, obwohl ich mich an die Einzelheiten nicht genau erinnern kann. Sie studierte ein Jahr in Oxford, brach dann das Studium ab, ging in den Sudan oder nach Yucatan, um sich selbst zu finden - so macht man das offenbar heutzutage -, und setzte ihr Studium an einer dieser Universitäten fort, die Frauen wie Julia akzeptabel finden, obwohl sie nicht zu den Elite-Unis gehören. Durham oder Edinburgh. Und sie haben noch den neunjährigen Tom. Bedeuten Nicks Worte also, dass er zum letzten Mal vor neun Jahren glücklich war? Oder bedeuten sie nichts? Mir entgeht nicht, dass er seine Ehe sehr kurz abhandelt - was mich nicht wundert. Er hatte zweifellos gute Gründe für seine Heirat mit Julia, doch ich bin sicher - war es immer schon -, dass Liebe keiner davon war.





    Ich nehme einen Apfel aus der Schale vor mir, beiße hinein und werde sofort von einer Welle der Wehmut erfasst. Der Apfel duftet süß; es ist ein Longkeeper, eine alte Sorte - ich gehöre zu den wenigen Menschen, die so etwas noch auf Anhieb erkennen. Sieht nicht sonderlich imposant aus, aber riecht und schmeckt wie die Äpfel, die ich in den Obstgärten der Doggett-Brüder gepflückt habe. Ich mochte diese beiden unverheirateten Brüder, die seit zwanzig Jahren tot sind.





    All diese Bäume, die sie angepflanzt, gehegt und gepflegt haben, gibt es nicht mehr; die Bäume waren zu groß, die Ernte war kompliziert, unrentabel; überdies ist mit Obst nicht mehr viel Geld zu machen - habe ich mir sagen lassen. Wird zuwenig gekauft und nicht subventioniert; bis auf Julia kauft jeder importiertes Obst. Ein einziger Mann mit einem Bagger brauchte nur einen Tag, um die Bäume alle auszugraben und zu verbrennen.





    Ich habe im Akkord gearbeitet für die Brüder, die immer nett zu mir waren. Im Winter half ich beim versiegeln der Aststümpfe mit Teer, im Sommer, bei der Ernte, und ich lagerte die Äpfel im Holzregal im Schuppen, wo es so intensiv nach Äpfeln duftete, dass ich den Geruch jetzt noch in Erinnerung habe. Finn war auch oft mit von der Partie. Wir hatten einen Lieblingsbaum, auf den wir immer im Frühling kletterten, wenn die Bäume mit Blüten übersät waren. Finn im Obstgarten: Gott, Erinnerungen können unerträglich sein.





    "Es gibt eine richtige und eine falsche Art, einen Apfel zu pflücken", sage ich jetzt mit dem Akzent der verstorbenen Brüder, den ich früher auch sprach. "Weißt du noch, Nick?"





    "Klar". Er legt mir die Hand auf den Arm, eine Geste des Trostes, der Verbundenheit. Und plötzlich bin ich müde, entsetzlich müde, so verflucht erschöpft, dass ich keinen Fuß mehr vor den anderen setzen könnte. "´tschulidge", sage ich. "Alles okay. Geht gleich wieder. Ich bin nur - etwas matt. Muß an dem vielen Essen liegen. Ich esse selten so gute Sachen, und dich so unerwartet zu treffen, war auch überraschend. Vor dem Gemälde ..."



    -später gehts noch weiter, jetzt schaff ich es nicht mehr-

  • Holla, kaum mach ich mal `ne Woche Urlaub, schon vermisst Du mich :augzu.
    Aber irgendwie hast Du recht, die Kommis hier sind recht rar gesäht. Allerdings hat es für die Leser auch Vorteile *egoistisch bin*, so muss man sich nicht aus Seiten voller Kommis Deine schönen Fortsetzungen raussuchen :augzu.
    Was mich sehr traurig :( gemacht hat sind die drei gefundenen Babyleichen. Aber sie erklären, wenn auch recht dürftig, das Verbleiben der Nonnen am Ort. Ob sie wachen, oder dort aus Strafe ausharren, wissen wohl nur sie allein. Dass Maisie ihr Geheimnis mit in´s Grab genommen hat, auch die Art, wie sie gestorben ist, stimmen mich nachdenklich. Ob eines mit dem anderen in Verbindung steht? Oder mit den Nonnen?
    Dan dagegen tut mir immer mehr leid :kopfstrei . So viel Erfolg, und doch so tief gefallen, ich wünsche ihm, dass er wieder auf die Beine kommt. Und Nick wünsche ich, trotz der "heile-Welt-Vassade", die er trägt, dennoch ein bisschen glücklich zu sein. Nicht vieles ist schlimmer, finde ich, wenn ein Mensch nach außen hin perfekt und glücklich ist, aber innerlich so "tot", und niemand merkt es, oder, wahrscheinlich im Falle Julias, will es merken.
    Auch wenn ich den Wechsel von Maisies Erzählperspektive "damals" zu Dans "heute?" noch nicht ganz verdaut habe, ich freue mich dennoch auf Deine Fortsetzungen :applaus , und auch, auf ein (hoffentlich aufklärendes, wenn auch ruhig noch nicht allzu baldiges) Ende.
    Liebe Grüße, cassio

    [RIGHT][SIZE=1]'...sometimes it's cruel to be kind!'[/SIZE][/RIGHT]

  • Hallo, grüß dich ..


    Also mal vorweg: Ich kann dich absolut verstehen. Es sind hier viele Fotostory´s, bei denen man vor lauter Kommis kaum noch die eigentliche Story finden kann (was allerdings nicht unbedingt für die Qualität der Story spricht..)


    Aber nun muss ich schon sagen, dass ich ein wenig gekränkt bin .. Ich schreib immer fleißig, sobald ich wieder online bin :-( Und dann ? *schnief*


    Ne, aber mal im ernst. Ich finde, dass die letzten Fortsetzungen wieder super klasse waren. Leider hat sich immer noch nicht viel aufgeklärt, aber ich bin guter Hoffnung endlich die Familien-Verhältnisse zu verstehen.


    Ist aber auch zu kompliziert .. Und ich dachte schon, ich hätte ne sonderbare Familie mit 12 Tanten und Onkels, usw. ..


    Dan ist für mich immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Warum ist er so abgestürzt ? Ist es wegen Julia ?


    Mach bald weiter, freue mich immer wieder wenn ich sehe, dass du neue FS eingestellt hast.


    Liebe Grüße

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    ~~ Das LESEN ist die Möglichkeit, die Realität verblassen, und seinen Geist im Universum und der Zeit wandern zu lassen ... ~~[/CENTER]

  • cassio: Ja natürlich hab ich dich vermißt *fg* Allerdings liegt das Ende dieser FS noch viele viele Fortsetzungen entfernt, denn diese FS nimmt noch ganz andere Kehrtwendungen und natürlich wird sich bald alles von selbst erklären, *hoff*
    Cyber19: Hehe, ja ich weiss, nicht nett von mir, aber kein Grund zum Schniefen, deine Kommis habe ich nicht übersehen, im Gegenteil, aber wie schon gesagt, ist es wirklich mickrig an Kommis, aber egal. Warum er so abgestürzt ist? Ich denke, da spielen viele Punkte eine Rolle, Finn? Julia? Lucas? Der Tod seines Vaters? Und nicht zu vergessen, wie sehr ihn der Tod von Maisie mit nimmt.
    Aber jetzt erstmal wieder viel Spass. Werden wieder ein paar mehr fs´s, ich schreib heute bis um 22h *puh, was vorgenommen hab* *gg*


    -------------------------------



    Ich gerate ins Stocken. Ich möchte ihm noch immer von Maisies Stimme erzählen. Von meiner Entdeckung. Doch diese Entdeckung verliert zusehends ihre Stahlkraft, wird verschwommen und matt. Lucas hat also Motive aus der Bibliothek im Hintergrund untergebracht. Na und? Ich bin doch bescheuert. Ich habe Maisies Stimme gehört? Läßt sich auf das Koks zurückführen, bin abgedreht. Nick würde wohl "Halluzination" dazu sagen. Nick ist Arzt, und Ärzte können einen - ich bin kein bisschen paranoid, nein - einweisen lassen. Will ich in einer Reha landen, in einer schicken Entzugsklinik mit einem Zwölf-Stunden-Programm? Nick würde bestimmt die Rechnungen bezahlen, und ich dürfte dann täglich da antreten, zusammen mit magersüchtigen Models, alkoholkranken Serienstars und traurigen Komikern?





    Ich heiße Daniel, und ich bin ...
    Danke bestens. Themawechsel. "Warum warst du denn in der Galerie, Nick?", frage ich. "Und dann ausgerechnet vor diesem Gemälde?"





    "Einfach so!" Er blickt zur Seite. "Die Ausstellung ist in ein paar Tagen vorbei. Ich wollte sie schon die ganze Zeit anschauen, hatte aber zu viel zutun. Bei der Vernissage konnte ich nicht - Julia war da. War einfach so eine Eingebung - ich kam grade da vorbei."





    Nein, so wars nicht, denke ich. "Du hast stundenlang vor diesem Bild gesessen, Nick, und hast dir keines von den anderen angesehen. Machst du das immer so in Ausstellungen?" "Wohl eher nicht. Aber dein Zeitgefühl stimmt nicht, Nick. Ich saß zehn Minuten da, höchstens eine Viertelstunden. Und eine Viertelstunde sollte diesem Bild ruhig jeder widmen."
    "Ich war rausgegangen, war auf dem Klo, kam wieder - und du hast mich nicht mal bemerkt."





    "Ich war in Gedanken versunken. Ich habe über die Vergangenheit nachgedacht. Über einen Satz aus deinem Brief von neulich: "der Sommer, in dem alles kaputtging". Ich dachte daran, wie wir Maisie damals fanden. Was danach passierte - an alles, was danach passierte. An die Launen des Lebens."




    -geht nachher noch weiter, muss mich erst um mein Töchterchen kümmern-

  • Maise .. Hast Recht .. Ihren Tod hatte ich schon fast verdrängt. Und das, obwohl er immer noch ein riesen Fragezeichen aufwirft.


    Hat er vielleicht mehr für sie empfunden als nur als "kleine Schwester" seiner Freundin ? Neee, glaub ich irgendwie nicht .. Aber doch .. hmm ..


    Hatte überhaupt jemand in Maise mehr als nur die kleine, abgedrehte Schwester der beiden hüschen Schwestern gesehen ? (abgesehen von dem Schwein von Cousin oder Neffe oder so ..)


    Du bist echt fies .. Nun grübel ich den ganzen Abend ;-)

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    ~~ Das LESEN ist die Möglichkeit, die Realität verblassen, und seinen Geist im Universum und der Zeit wandern zu lassen ... ~~[/CENTER]

  • Cyber19: Entschuldige bitte, aber lass doch das Grübeln einfach und lass dich überraschen *fg* Geht jetzt auch schon weiter..


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    Wir schweigen beide. Soll ich ihn berichtigen? Ich habe Maisie gefunden. Nick kam etwa eine Minute später dazu, eine Minute, die mir im Rückblick wie eine Ewigkeit erscheint. Ich sage nichts - wozu? Außerdem ist mir gerade etwas aufgefallen. Nick zögert. Er wirft mir einen kurzen Blick zu, und ich spüre ganz plötzlich - Not. Womit ich bei Nick nicht gerechnet hätte. Ich kann es auch kaum glauben, aber doch, mein Sensor signalisiert eindeutig: eine Enthüllung. Nick will mir etwas offenbaren, merke ich - muß mir etwas gestehen. Ein sonderbares Gefühl: Plötzlich kommt mir der Mann wie mein Spiegelbild vor. Er ist nicht mehr der beherrschte ruhige Freund, den ich zu kennen glaubte; er ist wie ich - ein Drahtseiltänzer, der in einen Abgrund blickt.





    Ich bin stolz, bestürzt und verwirrt zugleich. Gewiss bin ich nicht gerade der naheliegende Kandidat, um jemanden aus der Misere zu helfen - aber ich werde Nick nicht hängen lassen. Ich werde mich revanchieren für seine jahrelange treue Freundschaft. Was er auch braucht - Rat, Mitgefühl, Trost, Beistand -, er soll es von mir bekommen. Aber was mag nur los sein? Ich schaue ihn an, er sagt nichts, und plötzlich weiß ich, worin dieses unausgesprochene und für Nick offenbar auch unaussprechliche Problem besteht. Untreue. Das ist die einzig plausible Erklärung für sein Zögern, die Scham und den Schmerz in seinen Augen; ich denke, guter Gott, endlich, endlich hat er jemanden kennengelernt: sein Lichtblick, und jetzt heißt es, die Anwälte anrufen, danke für die Zeit, Julia, und ciao.





    Und er kann wahrlich froh sein, wenn er sie los ist, wenn man mich fragt. Ich gehöre nicht gerade zu den Julia-Fans, und ich habe nie verstanden, wie sie es geschafft hat, sich Nick zu krallen. Er hätte eine besser Frau verdient, wahrhaftig, und es gab etliche Kandidatinnen: intelligente Frauen, schöne Frauen (nun ja, ich muß zugeben, Julia ist auch beides); warmherzige, treue, charakterlich gefestigte Frauen (das alles trifft auf Julia nicht zu).





    Natürlich, als Fanny zur Welt kam, saß Nick in der Falle. Und als Tom geboren wurde, erst recht. Er würde niemals seine Kinder im Stich lassen. Also hat er tapfer zwei Jahrzehnte in innerer Emigration durchgehalten, und diese Zeit hat ihre Spuren hinterlassen - das sehe ich in seinen Augen. Es kostet Lebensenergie, mit einer Frau verheiratet zu sein, die man nicht achten kann.





    Aber Tom ist erst neun Jahre alt - wer mag die Frau sein, die Nick umstimmen konnte? Sie muß ein außergewöhnlicher Mensch sein. Wann und unter welchen Umständen hat er sie kennen gelernt? Kann es jemand von seinem Krankenhaus sein? Er hat auch noch eine Privatpraxis, vielleicht ist es eine Nachbarin aus der Harley Street. Eine Fachärztin? Eine Herzchirurgin? Wer ist es?





    Ich möchte es zu gern erfahren. Ich fühle heftig mit ihm - obwohl meine Anteilnahme nicht ganz frei ist von eigennützigen Gefühlen, das gebe ich zu. In gewisser Weise triumphiere ich nämlich innerlich: So, jetzt kriegst du´s knüppeldick, Julia, und verdient hast du´s. Außerdem bricht eine gewisse sensationslüsternde Neugierde bei mir durch, die ich eigentlich scheußlich finde, aber ich bin nunmal kein Heiliger. Vielleicht sind mir diese unedlen Empfindungen anzusehen, denn Nicks Offenbarung bleibt aus. Er will etwas sagen - und schweigt dann doch. Er hat wieder seinen üblichen zurückhaltenden Gesichtsausdruck - und ich weiß, dass die Chance vertan ist.





    Stattdessen fängt er an, über mich zu reden, mich nach mir zu fragen. Was für Zeug ich nehme? Was genau und seit wann? Habe ich Arbeit? Habe ich die Wohnung meines Vaters ausgeräumt, oder gehe ich nochmal nach Suffolk zurück, um diese schwierige Aufgabe fortzusetzen? Was ist mit meinem Haus in London? Steht es immer noch zum Verkauf? Brauche ich Geld? Grüble ich immer noch über Maisies Unfall nach? Ist mir ein Antidepressivum verschrieben worden? Habe ich mich nach einer Therapie umgesehen?




    -geht gleich weidda-


  • "Ich war erschüttert, als ich dich gesehen habe, Dan", sagt er ruhig und einfühlsam. "Ich mache mir schwere Vorwürfe. Ich hätte vor sechs Wochen nach Wykenfield fahren sollen. Ich habe gewartet, weil du mich darum gebeten hast, aber das war ein Fehler. So kannst du nicht weitermachen. Möchtest du nicht mit mir darüber reden?"





    Viel gefehlt hätte nicht mehr, und ich wäre mit allem herausgeplatzt, denn es gibt einen Punkt, an dem die Einsamkeit mörderisch wird und man alles loswerden möchte. Und wie hätte ich das ein, zwei Stunden später bereut. Mich zu offenbaren, ist mir zuwider. Wenn man nichts mehr besitzt außer seinem Stolz, sollte man sich Offenheit verkneifen.





    Eine Unterbrechung rettet mich. Das Kindermädchen. Im richtigen Moment ruft sie von oben herunter. Tom hat einen schrecklichen Albtraum; er ist aufgewacht und will sich nicht beruhigen lassen. Ob Nick bitte mit ihm reden könne ... Nick steht auf. Er wirkt besorgt und schuldbewusst. "Tom schläft zur Zeit schlecht", sagt er. "Hat warscheinlich mit der Schule zutun. Julia hat viele Termine, und ich muß immer lange arbeiten, was sicher auch nicht förderlich ist ... ist es in Ordnung, wenn ich kurz hochgehe, Dan? Wird nicht lange dauern, dann koche ich uns Kaffee."





    "Ist okay. Wirklich. Kaffee wäre schön. Sag ihm liebe Grüße." Nick geht zur Treppe, zögert, geht dann hinauf. Ich bin beeindruckt; auf einem Tisch am Rand stehen reihenweise Alkoholica: Wodka, Gin, Whisky, Wein. Nick hat mich nicht aufgefordert, die Flaschen nicht anzurühren, er hat nicht einmal in die Richtung geblickt, im Gegensatz zu mir; ich mußte im Laufe unseres Gesprächs mehrmals dorthin schauen.





    Solches Vertrauen bin ich nicht gewöhnt. Ich fühle mich sofort stärker. Ich schaue auf die Uhr. Halb zehn, la Julia droht erst gegen Mitternacht. Wir haben mindestens noch eine Stunde. Ich frage mich melancholisch, wer wohl zuerst weich wird und auspackt - ich oder Nickolas?





    so, für heute ist schluss. Kapitel ist eh zu ende. Morgen gibbet dann das nächste, das 14. Kapitel..bis dann und gute Nacht *fg*