Ich wandere an den hohen Stangenbohnen und Zuckererbsen vorbei. Unter einem Netz hat sich ein Jungvogel verfangen, ein Star, der wie wild mit den Flügeln schlägt. Ich lasse ihn frei, und er fliegt auf einen Baum. Ich gehe weiter.
Im Obstgarten hole ich die Eier aus dem Hühnerstall. Ich finde acht dunkelbraune gesprenkelte Eier, die noch warm sind, und werfe den Hennen und den Perlhühnern Körner hin. Die Stelle, an der Joe das Gehege ausgebessert hat, ist leicht zu finden, und ich sehe auch die Spuren des Gemetzels - Jessica ist es, die der Fuchs erwischt hat. Das Gras ist blutgesprenkelt, überall liegen Federn von ihr herum. Ich bücke mich und hebe sie auf, wunderschöne Federn, grau und elfenbeinweiß und ebenholzschwarz gemustert - aber Joe hat Recht, Perlhühner sind nicht intelligent. Sie sind schlau genug, nachts auf dem Baum zu brüten, aber wenn es hell wird, fliegen sie herunter, ohne darauf zu achten, was im hohen Gras lauert.
Ich nehme die Körbe und gehe Richtung Haus. Der Lavendel ist von Bienen umschwärmt. Jetzt muß der Kriegsrat doch vorbei sein, denke ich mir und spreche beim Laufen ein paar Gedichte vor mich hin. Nun schlafen rings die Blumen, weiß und rot, sage ich vor mich hin. Beim dritten Vers, Nun, eine Danae, unter Sternen liegt die Erde - und dein Herz liegt offen mir, nehme ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr und entdecke Lucas auf der hinteren Zufahrt.
Er schiebt ein Fahrrad und hat einen kleinen Matchsack umhängen, seine Version eines Reisekoffers. Er schaut verstohlen zum Haus zurück, als wolle er nicht gesehen werden. Ich trete hinter einem großen Busch hervor, und er erschrickt. Er zögert, dann bleibt er stehen - er hat keine Wahl, denn ich bin ihm in den Weg getreten. Lucas scheint nicht gerade erfreut, mich zu sehen, denn er lächelt nicht und begrüßt mich auch nicht.
"Das ist Julias Rad", sage ich.
"Ach ja? Ich hab mir das erstbeste geliehen."
"Wo willst du hin?" Ich blicke auf den Matchsack. "Du reist doch nicht etwa ab?"
"Was machst du denn für ein Gesicht an so einem schönen Tag, Maisie! Ich wollte nur einen Ausflug machen."
"Das glaube ich dir nicht. Du willst abreisen. Wieder mal. Deshalb schleichst du hier hinten herum wie ein Dieb. Wo fährst du hin? Weiß ..." Ich verstumme.
"Was?"
"Weiß es Finn? Hast du es ihr gesagt?"
Lucas blickt mich abschätzend an. "Weiß es Finn?", wiederholt er gedehnt. "Vermutlich nicht - gewiss nicht, weil ich mich erst vor zehn Minuten dafür entschieden habe. Ich wüßte nicht, was das für eine Rolle spielt. Aber da du mir ja nachspionierst, kannst du es ihr sagen, Maisie, nicht wahr?"
"Stimmt etwas nicht? Versäume ich hier irgendein Problem?"
Ich antworte nicht. Nach kurzem Schweigen färt Lucas fort: "Du kannst ihr sagen, dass ich mit dem Rad zum Bahnhof fahre. Von dort aus nehme ich den Zug nach Cambridge. Dort wohne ich bei einer Person, die Finn nicht kennt. Kannst du dir das merken?"
"Bei einer Frau?"
"Du siehst ja so giftig aus, Maisie", sagt Lucas. "Ich fürchte, ich muß dir sagen, dass dich das einen Dreck angeht. Und Finn ebenso."
"Wann kommst du wieder? Morgen? Du kannst nicht einfach so verschwinden, nicht nachdem ..." Ich verstumme und sage nichts über Finn, über ihr verstörtes und verzücktes Gesicht gestern Nacht. Lucas wartet; warscheinlich findet er das alles amüsant. "Nachdem - du noch mit mir verabredet bist", weiche ich aus. "Du hast gesagt, du willst mich morgen wieder malen."
"Hab ich das gesagt? Oh, tut mir Leid, dann müssen wir es auf ein andermal verschieben."
"Und das Porträt? Du bist noch nicht fertig mit dem Porträt."
"Das kann warten". Lucas Stimme klingt jetzt eisig. "Vielleicht mache ich es garnicht fertig, wer weiß. Die Atmosphäre hier ..." Er blickt zum Haus zurück und runzelt die Stirn. "Die stimmt einfach nicht. Und mit dir und deinen Schwestern stimmt auch etwas nicht. Irgendwas muss noch passieren, vielleicht muß ich es überdenken ... Doch die Probleme lassen sich bestimmt lösen, ich werde einen Weg finden, wie meistens. Leb wohl, Maisie. Viel Spaß auf Elde."