• Bevor morgen die nächste FS erscheint (ich kann mich im Augenblick nur noch nicht entscheiden, wie lang sie sein wird, gibt's heute einen kleinen Einschub.
    Wie gesagt, keine Fortsetzung, sondern eine Reaktion auf eure Kommis und Spekulationen. Es scheint, dass bei den etwas komplizierteren Familienverhältnissen bei Elo-i und Menschen etwas Verwirrung aufkommt und damit ihr nicht jedesmal zurückblättern musst, habe ich versucht, beide Teile in jeweils einem kleinen Stammbaum zusammenzufassen, der dann auch noch hier als Bild veröffentlicht werden kann.
    Ich hoffe, man kann alles lesen, aber größer darf man die Bilder ja leider nicht einstellen.


    Zur Erklärung: Zusammengefasst sind alle derzeitigen Informationen


    Rot sind jeweils die Frauen, blau die Männer (nur die wichtigen aufgeführt).
    Mit je einer Linie hervorgehoben seht ihr die, welche in der Geschichte eine Rolle spielen.
    Besonders gekennzeichnet ist bei den Elo-i Adrian Blandfort, der als Mensch nicht zu ihnen gehört und bei den Menschen Zaide und Celia, weil sie definitiv keine Menschen sind.


    Unter den Bildern sind die einzelnen Personen noch einmal aufgeführt und kurz erläutert. Das Kreuz kennzeichnet die Verstorbenen.


    Ich hoffe, das hilft euch ein wenig, euch auch weiterhin in meiner Welt zurecht zu finden.



    Der Stammbaum beginnt mit Ashani, jener Herrscherin, welche die Wächterin Marhala geschaffen hat und ihrem Gemahl Zentos.
    Sie hatten drei Töchter: Malesta, Melynne und Myrmionne.


    Melynne (+) in der Mitte der Schwestern, kennt ihr schon, sie folgte ihrer Mutter als Herrscherin, blieb aber unverheiratet.


    Myrmionne (+)heiratete den Herrn der Finsternis Varenos und wurde damit zu Variks Mutter.


    Malesta (+)übernahm das Reich der Träume, ehelichte den Herrn der Seelen Goran und bekam zwei Töchter: Mardianne und Lyneia


    Mardianne (+), wie die Mutter Herrin der Träume, auch sie hatte zwei Töchter: Ranyia und Keyla


    Ranyia , die ältere wurde Nachfolgerin ihrer Mutter und blieb unverheiratet.


    Keyla, die jüngere, war als Melynnes Nachfolgerin vorgesehen und heiratete auf deren Wunsch hin Varik, den Herrn der Finsternis.


    Lyneia (+)übernahm die Funktion ihres Vaters und wurde Herrin der Seelen. Gemeinsam mit ihrem Mann Kaleb hatte sie ebenfalls zwei Töchter: Reshanne und Zaide.


    Reshanne wurde nach ihrer Eheschließung mit Cyros, dem Herrn der Elemente zunächst Herrin der Seelen wie ihre Mutter, bevor sie nach Variks Verrat Nachfolgerin von Melynne wurde.


    Zaide, ihre Schwester musste deshalb den Tempel der Ewigkeit als neue Herrin der Seelen übernehmen, trotz der Tatsache, dass sie mit einem Menschen (Adrian) ein Kind, namens Celia hatte.



    Nicht aufgeführt sind Daria, die Herrin der Natur und Zardon, der Herr des Lebens, weil über deren Verwandtschaft noch keine verbindlichen Aussagen getroffen wurden, ebenso wie Marhala, welche die älteste noch lebende Elo-i ist.



    Und jetzt zu den Menschen:





    Henry Blandfort (+)Viscount Landsdown (übersetzt Vizegraf, aber diesen Titel gibt es im Deutschen nicht) heiratete die französische Emigrantin Cressida de Volanche und zog mit ihr nach Amerika, weil er sich ihretwegen mit seiner Familie überworfen hatte.
    Die beiden hatten zwei Kinder: Adrian und Cassandra


    Adrian Blandfort (+)Viscount Landsdown heiratete heimlich und ohne dass es in den Familienchroniken vermerkt wurde die Elo-i Zaide (ohne natürlich ihre eigentliche Identität zu kennen) und wurde (definitiv) Vater einer Tochter namens Celia, die allerdings ebenso wenig in der Familiengeschichte auftaucht.


    Cassandra Blandfort (+)heiratete unter Beibehaltung ihres Namens Jonathan Fitzgerald, mit dem sie allerdings nur ein Kind hatte.
    Zwischen ihr und Catherine Blandfort liegen mehrere Generationen, die ich nicht alle aufgeführt habe (kenntlich durch die durchgestrichene Linie).


    Catherine Blandfort, das heutige Familienoberhaupt der Blandfort behielt bei der Hochzeit mit Frances Carmichael ebenfalls ihren Namen, den sie so an ihre beiden Kinder Nicolas und Arabella weitergab.


    Sollte euch das jetzt noch mehr verwirren, sagt's ruhig.


    Alle anderen Antworten gibt es morgen


    Liebe Grüße
    Nery

  • ***




    [FONT=&quot]Ranyia und Zaide hatten sich noch eine Weile die Köpfe über Variks Handlungsweise zerbrochen, aber keine Lösung gefunden. Und während dieser Diskussion fragte sich Zaide nicht zum erstenmal, wie viel die Herrin der Träume tatsächlich über jene schicksalhaften Ereignisse wusste. Mehr als sie zugab, jedenfalls. Doch da sie nicht gewillt schien, sie in diese Geheimnisse mit einzuweihen, vermutlich durfte sie das einfach nicht, kehrte Zaide schließlich in ihren Tempel zurück, wo sie sich beinahe mechanisch umkleidete, um dann hinab in die Große Halle zu gehen. Wenn auch ihre beiden Dienerinnen ihr das meiste der Arbeit abnahmen, so war doch noch immer sie die oberste Richterin der Toten, konnte nur sie das endgültige Urteil über die Seelen mancher Verstorbener fällen. Und die Menschen nahmen einfach keine Rücksicht auf ihre Sorgen. Sie starben trotzdem jeden Tag. Zaide ließ ihre Seelen an sich vorüberziehen, erlöste oder verbannte sie, oftmals härter, als sie es sonst zu tun pflegte, denn im Gegensatz zum Herrn des Lebens stand sie den Menschen mit Wohlwollen gegenüber. Doch heute war ihr einfach nicht nach Gnade zumute. Immer wieder schloss sie die Augen und suchte sich Celias glückliches Lächeln vorzustellen, das sie stets so sehr an den geliebten Mann erinnert hatte.



    [/FONT]Sie hatte genug! Eine Handbewegung von ihr beendete das Defilee. Sie erhob sich, ging ein paar Schritte und brach beinahe sofort wieder zusammen. Kraftlos ließ sie sich auf einen der Sessel ihrer Diener fallen und blieb dort vollkommen reglos sitzen, als wäre sie zu einer Statue erstarrt. In eisigen Schauern durchzog die Kälte der Verzweiflung ihren Körper und schien ihr Herz langsam aber stetig in Stein zu verwandeln. Konnte sie es wirklich einfach so geschehen lassen? Konnte eine Mutter, Elo-i oder Mensch ihr eigenes Kind der Vernichtung überlassen? „Nein! Nein! Nein!“ begehrte ihr Innerstes immer wieder dagegen auf, und doch wusste sie den Gründen der Vernunft und der Verantwortung, die ihr jeder ständig vor Augen hielt, fast nichts mehr entgegenzuhalten.
    Besorgt beugte sich Alyssa zu ihr hinunter und erschrak zutiefst über den entsetzlich leeren Ausdruck in ihren Augen.
    „Herrin, was habt Ihr denn? Bitte, kann ich Euch nicht irgendwie helfen?“
    [FONT=&quot]Lange erhielt sie keine Antwort. Wieder und wieder musste Alyssa sie ansprechen, ehe es ihr endlich gelang, zu ihr durchzudringen und sie leise, stockend und ohne sich zu bewegen von dem Gespräch mit Ranyia berichtete.



    [/FONT]Geschockt richtete Alyssa sich auf. Wenn Zaide nicht mehr zu ihrer Tochter gelangen konnte, bestand so gut wie keine Hoffnung mehr, Celias zurück in ihre Welt zu holen. Und das würde unweigerlich ihr Todesurteil bedeuten, soviel hatte Alyssa inzwischen begriffen.
    „Ich kann das nicht zulassen.“ flüsterte Zaide tonlos. „Ganz gleich, was es bedeutet, ich kann es nicht zulassen.“
    „Aber was wollt Ihr denn jetzt tun?“
    „Es gibt nur eines, was ich noch tun kann!“ Zaides Stimme hatte sich verändert. „Es mag zwar wahnwitzig sein, Reshanne und die anderen würden es auch niemals zulassen, aber ich werde zu ihm gehen.“
    Alyssas Augen wurden womöglich noch größer als sie ohnehin schon waren. „Zu ihm?“ Sie schien sich fast an den zwei kleinen Worten zu verschlucken. „Ist das Euer Ernst? Ihr wollt den Herrn der Finsternis aufsuchen? Was glaubt Ihr denn, soll Euch das bringen? Wenn Ihr überhaupt zu ihm gelangt.“
    [FONT=&quot]„Oh, keine Sorge. Das werde ich, Alyssa, glaub mir, das werde ich.“ Es klang zwar weitaus zuversichtlicher, als sie sich in Wirklichkeit fühlte, aber irgendwie glaubte sie, dass er sie vielleicht längst schon erwartete.



    [/FONT]Noch am selben Abend, die Dunkelheit hatte die Welt der Menschen mit einem kühlen, nur schwer zu durchdringenden Schleier bedeckt, rauschten die Blätter der alten Bäume im Garten, als ein plötzlicher scharfer Wirbelwind durch sie hindurch fegte.
    Direkt vor dem Balkon des Ateliers löste sich der Wirbel auf und Zaide trat heraus und verharrte, selbst ohne sichtbare Flügel mühelos in der Luft schwebend, vor dem Geländer. Prüfend sah sie sich um. Ein kaum hörbares Raunen und Wispern lag in der Luft, als wolle sie jemand davon abhalten, das Haus zu betreten.
    „Du hast es versprochen!“ mahnte sie entschlossen, wohl wissend, wer da zu ihr sprach. „Diesen letzten Versuch hast du mir zugestanden. Und ich werde nicht darauf verzichten.“
    [FONT=&quot]„Es sei!“ antwortete das Wispern, eine dunkle Welle kam auf sie zu, schlug über ihr zusammen und hüllte sie vollständig ein. Auf diese Weise selbst vor dem wachsamen Auge der Wächterin verborgen, schob sie sich elegant und einer schwarzen Wolke gleich empor, die Tür öffnete sich wie von Geisterhand und sie verschwand im Atelier ihrer Tochter.



    [/FONT]Gleich darauf stand sie an deren Bett und sah voll wehmütiger Zärtlichkeit auf das schlafende Mädchen hinunter. So ruhig und friedlich lag sie da, nichtahnend, in welch tödlicher Gefahr sie sich befand. Sogar Tür an Tür, wenn man es genau betrachtete.
    ‚Warum nur musstest du unbedingt in diese Welt’, seufzte Zaide, ‚warum nur hast du nicht auf mich hören wollen?’
    „Celia, mein Kind!“ flüsterte sie. „Hörst du mich! Träume, mein Liebling, tauche ein in das Meer der Erinnerung und erkenne, wer du bist, auf dass du zurückfindest in unsere Welt.“
    Sie beugte sich hinunter und hauchte ihr sanft einen Kuss auf die Stirn. Celias Lider begannen zu flattern, ihr Körper spannte sich und sank wieder zurück in die Kissen. Sie befand sich auf ihrer Reise.
    Ein letzter banger Blick noch und Zaide verschwand.


    +


  • „Guten Morgen mein Kind!“ Wie an jedem Tag schenkte Zaide ihrer Tochter ein freundliches Lächeln, als diese die Augen aufschlug und sich aufrichtete. Und Celia lächelte zurück, während sie die Beine über die Bettkante schwang und in die bereitstehenden Pantoffel schlüpfte. Doch statt wie sonst aufzustehen und ihre Mutter zu umarmen, blieb sie einen Moment länger sitzen.
    „Weißt du, was ich mich gerade gefragt habe, als du mich geweckt hast, Mutter?“ fragte sie. „Du bist niemals müde, du schläfst auch nie, genauso wenig wie all die andern unseres Volkes. Nur bei mir ist das anders.“
    „Nun, erwachsene Elo-i brauchen keinen Schlaf, unsere Kinder aber schon.“
    „Nur bin ich gar kein Kind mehr. Das hast du selbst gesagt. Mit der Initiation sollte das vorbei sein. Doch es hat sich nichts geändert.“
    [FONT=&amp]„Das liegt an dem menschlichen Erbe deines Vaters. Du wirst noch einige Zeit brauchen, bis sich dein Potential voll entwickelt hat und auch du keine Ruhephasen mehr brauchst. Sei nicht so ungeduldig!“ Dann scheuchte sie Celia aus dem Bett mit dem Hinweis, heute sei ein ganz besonderer Tag.



    [/FONT]„Was meint sie denn damit?“ Celia schielte vorsichtig um die Ecke nach ihrer Mutter, weil sie nicht hören sollte, dass sie versuchte, Alyssa auszuhorchen, die gerade dabei war, ihr das morgendliche Badewasser einzulassen. Aber die lächelte nur geheimnisvoll und schüttete eine Handvoll frischer Rosenblätter in das warme Wasser. Celia liebte diese Blumen, sie liebte ihren Duft, die leuchtenden Farben und das Gefühl der samtigen Blätter auf ihrer Haut.
    „Bitte, Alyssa, verrate es mir!“ bettelte Celia. „Du bist doch meine Freundin. Was hat Mutter geplant?“
    „Ihr solltet Euch mehr in Geduld üben, Herrin!“ wurde sie von Alyssa ermahnt, doch der Schalk in ihren Augen strafte ihren strengen Ton Lügen.
    „Dann werde ich eben Semira fragen!“ drohte Celia, ohne wirkliche Hoffnung, Alyssa damit erweichen zu können. Zu recht, wie sie schnell feststellte.
    [FONT=&amp]„Semira ist nicht da!“ sagte Alyssa und half ihr aus dem Nachtgewand. „Ihr werdet wohl doch warten müssen!“



    [/FONT]Nachdem sie sich beinahe eine halbe Stunde wohlig im Rosenwasser ausgestreckt hatte, brachte Alyssa ihr eines ihrer Lieblingskleider und hieß sie, vor dem Spiegel Platz zu nehmen. Auch das war ein Ritual, dass sie seit frühster Jugend nicht mehr anders kannte. Ganz gleich wie beschäftigt sie auch war, niemals ließ ihre Mutter es sich nehmen, ihr am Morgen das Haar zu bürsten, bevor Alyssa es in einer kunstvollen Frisur aufsteckte. Und beinahe jeden Morgen gab es dann die gleiche Diskussion. Denn Celia wäre es viel lieber gewesen, sie könnte ihre Haare immer frei und offen tragen.
    „Das ziemt sich aber nicht für eine Dame Eures Ranges!“ wurde sie dann jedes Mal von Alyssa belehrt, nur um ihr sodann die Mutter als leuchtendes Beispiel vorzuhalten. Und tatsächlich hatte Celia Zaide noch nie mit offenem Haar gesehen. Tiefschwarz mit glänzenden hellen Flechten türmte es sich stets auf ihrem Kopf und fiel in einem schweren Zopf über ihre Schultern.
    Aber heute beschloss Celia, die viel zu neugierig auf das besondere Vorhaben war, einfach alles mit sich geschehen zu lassen. Alyssa warf ihrer Herrin noch einen fragenden Blick zu und machte sich, nachdem diese zustimmend genickt hatte, ans Werk, während es sich Zaide auf einer der Bänke im Hintergrund bequem machte.
    [FONT=&amp]„Darf ich dich noch etwas fragen, Mutter?“ rief Celia ihr hinterher, und schrie auf, als Alyssa ihr mit einer Haarnadel die Kopfhaut entlang fuhr.



    [/FONT]„Ja, falls Alyssa dich am Leben lässt, schon!“ antwortete Zaide schmunzelnd. Genau deshalb hasste ihre Tochter das Aufstecken der Haare so.
    „Wie kommt es, dass Tante Reshanne so eine ungewöhnliche Haarfarbe hat? Soweit ich weiß, hat keiner von uns so eine Farbe. Höchstens noch ihr Mann Cyros, aber ich glaube, die hat er ihr nur angepasst.“
    „Gut beobachtet!“ erwiderte Zaide. „Auch ihre Haare waren einmal so schwarz wie die meinen. Sie wurden weiß, als sie Melynnes Energie empfing. Diese Energie ist mächtig, mächtiger als du es dir vorstellen kannst, und sie durchdringt und verändert alles, bis in die kleinste Zelle des Körpers. Auch Melynnes Haare verfärbten sich bei ihrer Einsetzung, das geschieht bei jeder neuen Herrscherin.“
    „Ah ja?“ Celia klang gar nicht begeistert. „Dann möchte ich lieber nicht Herrscherin werden. Ich mag meine Haare nämlich wie sie sind, selbst wenn das bedeutet, dass Alyssa mir weiterhin jeden Morgen beinahe die Haare ausreißt, damit du zufrieden bist.“
    Gleich darauf kam sie um die Ecke, drehte sich vor ihr im Kreis, die Arme weit ausgebreitet und rief voller Erwartung. „Und? Bist du zufrieden?“
    [FONT=&amp]Wieder nickte Zaide und konnte einen Anflug von Stolz nicht verhindern. „Du siehst wunderschön aus. Genau richtig, für diesen besonderen Anlass. Komm, lass uns nach draußen gehen.“



    [/FONT]Zaide erhob sich und wies mit ihrer Rechten auf die Tür. Da sie anscheinend nicht die Absicht hatte, voran zu gehen, trat Celia schulterzuckend durch die Tür hinaus auf den schmalen Absatz.
    Sie wandte sich bereits der Treppe zu, als sie von ihrer Mutter zurückgehalten wurde. „Das ist die falsche Richtung. Wir gehen auf den Balkon.“ Sie deutete nach rechts und Celia sah kurz hinüber.
    „Aber warum denn? Was ist denn da? Ich sehe gar nichts.“
    Zaide lächelte nachsichtig und stupste sie von hinten in den Rücken. „Du musst ja auch nichts sehen. Geh schon.“
    „Und was tun wir jetzt hier?“ fragte Celia ungeduldig, als sie die Brüstung erreichte und stehen blieb. „Hier ist doch nichts.“
    „Abgesehen von der bezaubernden Aussicht auf deinen Lieblingsplatz?“ Zaide lachte. „Du bist hier, weil du etwas lernen sollst.“
    „Lernen? Schon wieder Lernen?“ Celias Enttäuschung war deutlich zu hören.
    [FONT=&amp]„Ja, lernen.“ bestätigte Zaide ungerührt. „Du sollt lernen, wozu du deine Flügel bekommen hast.“



    [/FONT]„Fliegen? Beinahe atemlos fragte Celia das und ihre Augen begannen verdächtig zu glänzen. „Kann ich dann endlich fliegen, so wie du?“
    „Ja. Genauso wie ich.“ Celias glückliches Lächeln wirkte wie reiner Balsam auf Zaides verletzte Seele. Dies waren die Momente, die sie so liebte. In diesen kostbaren Augenblicken wusste sie wieder, warum sie all den Schmerz auf sich genommen und auch das Risiko mit Varik eingegangen war.
    „Weißt du, diese Flügel sind sehr wichtig für uns. Egal, ob sie nun sichtbar sind oder nicht, sie erlauben es uns, dem Boden zu entfliehen und uns in atemberaubender Geschwindigkeit fortzubewegen. Ohne unsere Flügel könnten wir uns weder in die Lüfte erheben, noch durch Wände gehen oder unsichtbare Türen öffnen. Und nur durch sie können wir zwischen den beiden Welten hin und her wandeln. Sie sind durchdrungen von unserer Energie und bilden eine Art Schild, der uns ganz nach Wunsch sichtbar oder unsichtbar werden lässt. Allerdings muss man erst lernen, sie einzusetzen. Für jeden Elo-i, der in unseren Kreis aufgenommen wurde, ist das der nächste wichtige Schritt. Besonders genug?“
    Celia nickte.
    „Dann solltest du deine Flügel jetzt sichtbar machen.“



    +


  • In ihrem jugendlichen Überschwang konnte Celia es gar nicht erwarten, sich endlich hoch hinauf zu schwingen. Nachdem sie ungeduldig Zaides erste Erklärungen angehört hatte, stieß sie sich ungestüm von der Brüstung ab und schrie sofort auf, denn sie fiel wie ein Stein. „Hilfe Mutter, Hilfe!“
    „Du musst deine Flügel schon bewegen, von selbst tun sie das nicht?“ rief Zaide und konnte kaum das Lachen zurückhalten, als sie ihre Tochter in dem Bemühen, den Sturz abzufangen, wie wild mit den Flügeln schlagen sah. Gefahr bestand ja zum Glück keine. Sie konnte sich selbst bei einem Aufprall nicht ernsthaft verletzen.
    „Langsamer! Gleichmäßiger!“ kommandierte sie. „Und gaaaaaanz sacht. Deine Flügel sind groß genug. Auf und ab, auf und ab!“
    Schneller als gedacht fand Celia hinein in den richtigen Rhythmus. Es gelang ihr nicht nur, sich in der Luft zu halten, sie sauste auch nach unten, rauschte direkt an der gerade angekommenen Semira vorbei, die erschrocken zur Seite sprang, und schraubte sich danach wieder in die Höhe.
    „Aber Celia!“ tadelte Zaide sie mit einem Augenzwinkern.
    [FONT=&quot]„Keine Sorge Mutter. Das ist herrlich! Wundervoll!“



    [/FONT]„Dann flieg mein kleiner Engel!“ wurde sie von Zaide ermuntert. „Teste deine Fähigkeiten, aber übertreib es nicht. Denke daran. Wer hoch hinaus will, kann sehr tief fallen.“
    „Ist das auch eines von diesen Menschen - Sprichworten, die du so liebst?“ erkundigte Celia sich lachend, während sie ihre majestätischen Flügel genau wie Zaide es gesagt hatte sacht auf und ab bewegte, um sich mit ihrer Mutter auf einer Höhe zu halten. „Warum kommst du nicht einfach mit? Dann kannst du selbst auf mich Acht geben!“
    Zaide schüttelte den Kopf. „Warst du es nicht, die eben noch behauptet hat, ich solle mir keine Sorgen machen?“
    „Ach komm doch mit , Mutter!“ verlegte sich Celia auf’s Bitten. „Nur eine klitzekleine Runde. Bitte!“
    [FONT=&quot]Ein einziger Blick in ihre Augen und Zaide konnte ihren Wunsch nicht mehr abschlagen. Das hatte sie schon als Kind spielend leicht geschafft, und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Also breitete Zaide ihre Schwingen aus und gesellte sich zu ihrer Tochter.



    [/FONT]Aus dem kleinen Ausflug wurde eine riesige Runde, Celia schien einfach nicht genug davon zu kriegen. Und Zaide verstand das. Sie konnte sich noch gut an ihre erste Flugstunde mit ihrem Vater erinnern. Sie waren so lange unterwegs gewesen, dass ihre Mutter ernsthaft böse gewesen war, als sie endlich wieder nach Hause kamen.
    Vollkommen erschöpft aber immer noch glücklich ließ Celia sich nach der Rückkehr auf die Krone ihres Lieblingsbaumes sinken.
    „Was meinst du, Kind? Reicht es für heute?“ fragte Zaide lächelnd und fügte, als sie nickte, noch hinzu: „Wir können es ja morgen wiederholen.“
    „Das war wirklich schön.“ seufzte Celia.
    „Aber?“ Ihr Tonfall beunruhigte Zaide etwas.
    „Ich finde es nur schade, dass mein Vater das nicht sehen kann, weißt du. Er hätte bestimmt gestaunt.“
    „Mit Sicherheit!“ Zaide atmete tief durch. Im Augenblick gab es kaum ein anderes Thema für ihre Tochter. Immer und überall kam sie auf ihn zu sprechen. Alles wollte sie wissen und ahnte nicht, wie schmerzhaft es noch immer für sie war. „Du solltest dich nicht selber quälen!“ riet sie Celia. „Auch für uns gibt es Dinge, die wir nicht ändern können.“
    [FONT=&quot]‚Aber das hätte nicht passieren dürfen.’ fügte sie in Gedanken still hinzu. Als sie zum Tempel zurückflog, weil sie plötzlich das Bedürfnis hatte, eine Weile allein mit ihren Erinnerungen zu sein, da bemerkte sie nicht, dass ihre Tochter ihr erstaunt nachschaute.



    [/FONT]Celia wusste genau, wo ihre Mutter hingeflogen war. Sie kannte den Tempel der Ewigkeit mindestens ebenso gut wie Zaide. Und sie wusste, dass es hoch oben unter dem Dach einen Raum gab, den sie nicht betreten durfte. Immer wieder rätselte sie, was ihre Mutter dort wohl in solcher Heimlichkeit tat. Bisher hatte sie ihre Neugier im Zaume halten können, doch jetzt wurde sie einfach übermächtig, nun, da sie ganz plötzlich erkannte, dass dieser Raum möglicherweise etwas mit ihr zu tun haben konnte. Und weil sie nun erstmals wusste, dass und wie sie durch die unsichtbare Barriere gelangen konnte, die Unbefugten den Zutritt verweigern sollte.
    In den späten Abendstunden, als sie Zaide in der Großen Halle wusste, flog sie heimlich dort hinauf und blieb mit klopfendem Herzen vor jener Wand stehen, hinter der sie Zaide schon so oft hatte verschwinden sehen.
    [FONT=&quot]Doch im gleichen Moment, als sie die Barriere überwunden hatte, wusste Celia, dass sie hier nicht hätte eindringen dürfen. Denn dieser Raum war nicht für sie bestimmt. Es war ein Refugium, ein Ort der Einkehr für die einsame Herrin des Tempels. Auf tief schwarzem Grund funkelten ihr von Wänden und Fußboden im Licht der augenblicklich aufgeflammten Kerzen Tausende von Sternen entgegen. Ihr genau gegenüber hing ein Baldachin über einem kleinen Tisch, der eine Vase mit Blumen trug. Ein einzelner Stuhl stand davor. Doch dieser Stuhl wartete nicht auf sie. Sie wollte schon umkehren, als sie unter dem schweren schwarzen Vorhang, den der Baldachin überspannte etwas golden aufblitzen sah.



    [/FONT]Obwohl ihr Herz vor Aufregung rasend schnell zu schlagen begann, wagte sie es doch, den inneren Kreis zu betreten. Während sie den Raum durchquerte, wurde ihr Blick immer wieder von den kleinen schwarz-goldenen Tischen angezogen, die mit allerlei alten Gegenständen beladen waren, deren Sinn sie nicht verstand.
    Vor dem Baldachin angekommen, stockte ihr Schritt, ihre Hand zögerte, den schwarzen Samtbehang fortzuziehen. Die Blumen auf dem Tisch direkt darunter waren noch ganz frisch, als hätte sie Zaide eben erst dort abgestellt. Vermutlich hatte die Mutter sie gleich nach dem Ausflug hierher gebracht.
    [FONT=&quot]Ihr Herz schlug laut und hart, fast bis zum Hals, sie zitterte am ganzen Leib, als wüsste sie längst, was sie sehen würde. Für einen Moment dachte sie daran, einfach wieder zu verschwinden und Zaide ihr Geheimnis bewahren zu lassen, doch dann griff sie entschlossen nach dem Stück Stoff und zog es fort.


    [/FONT]Ein goldener Rahmen kam zum Vorschein, der das Bild eines Mannes einfasste. Er schien sich in einem blühenden Garten zu befinden und er strahlte Zufriedenheit und Glück aus. Das Licht zauberte blitzende Reflexe auf seine blonden Haare, seine wachen grauen Augen musterten sie neugierig und kein bisschen missbilligend, wie sie es fast befürchtet hatte. Die leicht geöffneten Lippen deuteten ein gütiges Lächeln an. Schon erwartete sie jeden Moment, dass er mit ihr sprechen würde. Sie spürte eine eigenartige Vertrautheit mit diesem Mann, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben kennen. Ganz von selbst hob sich ihre Hand und strich über die gemalten Wangen.




    +


  • „Du hättest nicht hierher kommen sollen. Es war noch nicht an der Zeit.“ hörte sie die Stimme ihrer Mutter hinter sich und ließ die Hand wieder sinken. Seltsam. Sie hätte sich jetzt ertappt und schuldig fühlen sollen, doch sie tat es nicht. Im Gegenteil. Auf einmal wusste sie genau, dass sie doch ein Recht hatte, hier zu sein. Seinetwegen!
    „Ist das mein Vater?“ fragte sie, obwohl sie die Antwort eigentlich nicht hören musste. Tief in ihrem Herzen wusste sie es längst.
    „Ja!“ erwiderte Zaide schlicht. „Das ist Adrian Blandfort. Ich selbst habe das Bild im Garten von Landsdown Hall gemalt und es nach seinem Tod mitgenommen. Genau wie alles andere hier.“
    „Was sind das für merkwürdige Sachen Mutter?“
    [FONT=&amp]„Erinnerungen. Vor allem Erinnerungen. Aber auch Dinge, welche Verdacht ausgelöst hätten bei den Menschen.“



    [/FONT]„So wie das, zum Beispiel?“ Celia deutete ungläubig auf ein paar Bücher auf dem Tisch direkt neben ihr. Zaide nickte ernsthaft.
    „Eines davon ist das Kirchenbuch der dortigen Pfarrei, in der unsere Eheschließung eingetragen wurde, ganz obenauf liegt die Familienchronik deines Vaters. Er war so stolz, als er unsere Ehe dort verzeichnete und das Blatt für deine Geburt vorbereitete.“ Seltsam berührt strich Celia mit dem Finger über den Ledereinband.
    „Was wäre eigentlich geschehen, wenn er damals nicht gestorben wäre?“ fragte sie ganz nebenbei, dabei beschäftigte sie diese Frage schon seit sie von ihm erfahren hatte.
    „Wer? Dein Vater?“
    „Ja. Was wäre passiert?“
    Zaide warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. „Ich hätte mich entscheiden müssen, ob ich eine Elo-i bleiben wollte, oder nicht.“
    [FONT=&amp]„Warum?“ Celia ging weiter zum nächsten Tisch.



    [/FONT]Dort lagen eine Farbpalette, Pinsel, Schürze, die Utensilien eines Malers.
    „Ich habe sie seit seinem Tod nicht mehr benutzt.“ erklärte Zaide auf ihren fragenden Blick hin. Celia nickte und sah auf.
    „Also, warum hättest du dich entscheiden müssen?“
    „Weil wir nicht altern. Nicht so wie die Menschen. Und weil unsere Gesetze es so verlangen. Unsere Existenz muss ihnen verborgen bleiben. Wir können unter ihnen wandeln, Jahrhunderte lang, uns mit ihnen verbinden, doch wenn wir bleiben wollen, was wir sind, müssen wir diese Beziehungen früher oder später aufgeben.“
    „Und was hättest du getan?“
    „Ich musste diese Entscheidung nicht treffen.“
    [FONT=&amp]„Aber wenn doch?“ hakte Celia entschieden nach.



    [/FONT]„Worauf willst du eigentlich hinaus? Willst du wissen, ob ich deinen Vater genug geliebt habe, um all das hier aufzugeben, um für ihn den Tod zu wählen?“
    „Den Tod? Ich dachte, wir wären unsterblich!“
    „In gewisser Weise sind wir das. Unsere Körper sind nur eine Hülle für das, was uns tatsächlich ausmacht, reine Energie. Solange diese nicht verloren geht, sterben wir nicht, nicht einmal dann, wenn wir uns mit dem Universum verbinden. Denn das ist nur ein Übergang, bei dem wir uns unserer Hülle entledigen. Doch wenn wir diese Essenz aufgeben, werden wir zu Menschen. Und dann sterben wir auch, genau wie sie.“
    „Und hättest du ... das getan?“
    [FONT=&amp]Zaide schloss die Augen und nickte langsam. Und ob sie das getan hätte. Sie hatte es längst beschlossen, in dem Moment, als sie bemerkte, dass sie schwanger war. Und Reshanne hatte es gewusst. Darum hatte sie die Wächterin geschickt, um Adrian aus dem Weg zu räumen. Darum hätte sie auch Celia dem Tod überlassen, doch sie hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.



    [/FONT]Celias Gesicht erstarrte zu einer Maske, während sie sich langsam umdrehte. Sie heftete ihren Blick fest auf das Bild ihres Vaters und versuchte, den Sturm in ihrem Innern zur Ruhe zu bringen. Das konnte, das durfte doch nicht wahr sein. Und doch hatte sie Zaides Gedanken gerade klar und deutlich in ihrem Kopf vernommen, als wären es ihre eigenen gewesen. Wie hatte Reshanne das tun können? Und ihre Mutter hatte es gewusst, all die Jahre. Auf einmal verstand sie die merkwürdige Spannung zwischen den Schwestern. Und fragte sich dennoch, wie Zaide mit diesem Wissen hatte leben können. Unter halb geschlossenen Lidern warf sie einen versteckten Blick auf ihre Mutter. Ganz deutlich spürte sie ihre Trauer und den tief in ihr verborgenen Zorn. Einen Zorn, den sie selbst immer mehr zu fühlen begann. Ein Zorn, der sich weigerte, noch länger die Befehle jener Tante zu befolgen, die ihren Vater hatte ermorden lassen. Was kümmerten sie ihre Gründe. Ihretwegen hatte sie ohne ihn aufwachsen müssen, hatte sich stets nach ihm gesehnt, auch wenn sie niemals etwas entbehren musste. ‚Doch, das musste ich.’ dachte sie bitter. ‚Seine Liebe.’
    [FONT=&amp]„Celia?“ Wie unsicher sich Zaides Stimme auf einmal anhörte. Konnte sie etwa auch ihre Gedanken lesen? Doch nein. Sie war nur beunruhigt, weil sie so abwesend wirkte.



    [/FONT]Celia schluckte und wandte sich mit einem aufgesetzten Lächeln ihrer Mutter zu.
    „Weißt du, ich dachte gerade daran, ob ich nicht, wenigstens für eine kurze Zeit in die Welt der Menschen gehen könnte. Ich würde so gern mehr über sie wissen.“
    „Aber Kind!“ Zaide wirkte merkwürdig entsetzt. „So interessant sind sie nun wahrlich nicht. Was immer du wissen willst, kann ich dir auch erzählen.“
    „Nein Mutter! Ich möchte es sehen mit meinen eigenen Augen, es spüren, wie sie leben, wie sie lieben, was sie denken und fühlen. Schließlich sind sie ein Teil von mir und werden es immer bleiben.“
    „Es tut mir leid, mein Kind. Aber du hättest dir keinen schlechteren Zeitpunkt dafür aussuchen können. Daria erwartet dich. Schon deshalb wird Reshanne dir nie und nimmer die Erlaubnis dazu geben. Und noch brauchst du ihre Genehmigung.“
    „Dann verschieben wir es eben auf später. Es war ja auch nur so eine Idee.“
    [FONT=&amp]Sie streichelte zärtlich Zaides Hand, lächelte sie an und fühlte sich dabei wie eine Betrügerin. Doch sie war nicht bereit, ihrer Mutter zu sagen, was sie wirklich vorhatte, noch nicht. Erst musste sie sich selbst darüber klar werden, was sie wirklich wollte.




    [/FONT]„Danke Zaide!“ Zufrieden sah der Mann, der schon seit geraumer Zeit verborgen unter den herabhängenden Zweigen der Weide das Haus beobachtet hatte, zu den Fenstern des Ateliers hinauf und lächelte still in sich hinein. Sie waren doch so berechenbar. Glaubten tatsächlich immer noch, ihn aufhalten zu können. Aber dafür war es längst zu spät. All ihre Selbstgefälligkeit würde alsbald in Rauch und Feuer aufgehen.
    „Träum nur weiter, kleiner Engel! Schüre den Zorn in deinem Innern, lass ihn wachsen und gedeihen! Wir sehen uns, bald schon, ... bald!“



    +++

  • ***



    Es war noch früh am Morgen, die ersten Sonnenstrahlen stahlen sich gerade erst in Maras Zimmer und fanden sie doch schon seit Stunden über ein fürchterlich langweiliges Buch gebeugt. Sie verstand beim besten Willen nicht, wie man um etwas so Gewöhnliches wie die leider für Menschen nötige Nahrungsaufnahme einen derartigen Wirbel machen konnte. Warum reichte es ihnen nicht, die entsprechenden Nährstoffe einfach zu sich zu nehmen? Und was bitte sollte dieser merkwürdige Spruch bedeuten, das Auge würde mitessen? Warum sollte ein Auge essen und vor allem wie? Oh, sie verabscheute diese verrückte Welt!
    [FONT=&quot]Aber als Celia ihr gestern nach dem Frühstück dieses sogenannte Kochbuch in die Hand gedrückt und ihr höchst energisch geraten hatte, es doch endlich mal zu lesen, weil ansonsten sie das Kochen übernehmen würde, da war ihr nichts anderes übriggeblieben, als diesem Rat zu folgen. Celia würde das ganze Haus in Brand stecken, wenn sie den Ofen auch nur berührte! Feuer jeder Art bedeutete für sie und alle in ihrer Umgebung die größte Gefahr. Nur DAS konnte sie ihr unmöglich sagen. Das Mädchen war ohnehin schon viel zu misstrauisch. Sie spürte ihre heimlichen Blicke im Rücken, mal amüsiert, mal verständnislos, aber häufiger auch widerwillig. Es wurde somit immer schwerer, ihren Auftrag zu erfüllen.



    [/FONT] „Du meine Güte!“ Celia staunte nicht schlecht, als sie nach einem leisen Klopfen vorsichtig den Kopf in Maras Zimmer steckte und sie mit dem Buch beschäftigt sah. „Hast du etwa die ganze Nacht gelesen?“ fragte sie mit Blick auf das scheinbar unberührte Bett, während sie zu ihr hinüber ging.
    „Ich war nicht müde!“ antwortete Mara ohne von den wenig interessanten Seiten aufzusehen. „Außerdem wolltest du doch ein ordentliches Frühstück heute morgen, nicht wahr?“
    „Oh, ähm, ja , ähm, apropos Frühstück!“ druckste Celia verlegen herum. „Ich fürchte, ich habe gestern Abend ganz vergessen, dir zu sagen, dass ich heute nicht frühstücken werde.“
    „Ah ja!“ Noch immer hielt Mara den Blick auf das Buch gerichtet. „Wenn du meinst, gut!“
    „Ja gut! Ich wollte dir auch nur schnell Guten Morgen sagen!“
    „Guten Morgen!“
    [FONT=&quot]„Gut, ich... geh... dann jetzt!“ Celia wandte sich leicht irritiert ab. „Ich wünsch dir einen schönen Tag. Bis heute Abend!“



    [/FONT] „Was?“ Nun schnellte Maras Kopf doch nach oben. „Bis heute Abend? Soll das heißen, du willst weg?“
    „Ja!“ bestätigte Celia lachend. „Das versuche ich dir ja zu erklären, aber du bist so vertieft in dieses ... Kochbuch.... Ich bin eingeladen, zum Frühstück. Ich werde jeden Moment abgeholt.“ Wie auf Bestellung drang in dem Moment ein leiser Hupton von der Straße zu ihnen hinauf und Celia begann zu strahlen, als sie durch das Fenster nach unten sah. „Ah da ist er ja schon!“ Mara folgte ihrem Blick und schüttelte missbilligend den Kopf.
    „Natürlich, er schon wieder!“ Zwar begrüßte die Gebieterin es durchaus, dass ihre Nichte sich in einen Menschen verliebt hatte, das erhöhte die Chancen, sie aus freien Stücken für immer in der Menschenwelt zu halten, ein Ziel, dass Reshanne aus unerfindlichen Gründen noch nicht aufgegeben hatte, doch irgendetwas an diesem Mann erschien ihr seltsam. Dass sie ihn nicht vollständig zu kontrollieren vermochte, ja, dass er ihre Hypnotisierungen regelrecht abzuschütteln schien, beunruhigte sie zunehmend, und es erinnerte sie in unangenehmer Weise an einen anderen Auftrag, Celias Vater. Damals hatte sie Zaide hinter der Abschirmung vermutet, doch Celia dürfte aufgrund ihrer Amnesie nicht dazu in der Lage sein. Allerdings war dieses Mädchen für jede Art von Überraschung gut.
    „Es wäre besser, wenn du hier bleibst. Du bist noch nicht wieder gesund!“ gab sie zu bedenken, wurde jedoch sofort von Celia unterbrochen.
    „Du machst dir zu viele Sorgen, Mara. Ich bin nicht todkrank, mein Problem sind fehlenden Erinnerungen, mehr nicht, und ich bekomme sie bestimmt nicht wieder, wenn ich hier den ganzen Tag die Wand anstarre, oder wie besessen eine Leinwand nach der anderen bemale. Irgendwann wirst auch du wieder arbeiten, und dann muss ich sowieso allein zurechtkommen!“



    „Alleine ja wohl kaum, wie man sieht. Nun, du musst wissen, was du tust!“ sagte Mara in ungewöhnlich spitzem Ton, gerade als Celia nach der Klinke griff, um die Tür hinter sich zu schließen. Sie hielt inne und wandte sich wieder um.
    „Bist du jetzt böse wegen des Frühstücks? Weil du extra das Buch studiert hast?“
    „Aber nein, geh nur, lass dich VON MIR nicht aufhalten!“ Celia schloss die Augen und fühlte, wie sie aus irgendeinem Grund von stetig wachsendem Zorn überfallen wurde.
    „WAS SOLL DAS?“ fragte sie, viel lauter als beabsichtigt und verlor von einer Sekunde zur nächsten die Beherrschung. „Du führst dich auf, als wärst du meine Gouvernante! Was passt dir nicht? Dass ich nicht den ganzen Tag zuhause sitze und jammere? Dass ich nicht von dir abhängig sein will? Oder dass es jemanden gibt, der mich mag? WAS? Verdammt Mara, es ist mein Leben, kümmere dich um dein eigenes!“
    [FONT=&quot]Marhala musste nicht erst hinsehen, um die dunkle Woge wahrzunehmen, die Celia in Sekundenschnelle eingehüllt hatte und nun mit gierigen schwarzen Fingern nach ihr selbst zu greifen schien. Sie spürte den eisigen Wind, der ganz plötzlich durch das Zimmer zu fegen schien, hörte das leise Knistern der Lampen hinter sich, als sich deren Überspannung in kleinen Blitzen entlud, die zwischen ihnen hin und herzuckten und das Glas schließlich mit einem Knall zum bersten brachten. Mara musste fast ihre ganzen Kräfte aufbieten, um Celia zurück- und von sich fernzuhalten, zumal sie selbst nicht einmal bemerkte, was um sie herum vorging. Sie stand einfach nur da und sah zu Mara hinüber, bis der ganze Spuk ebenso schnell verschwand, wie er gekommen war. Als wäre nicht das Geringste geschehen und ohne ein weiteres Wort verließ sie das Zimmer, während Mara das Buch achtlos zu Boden fallen ließ und ans Fenster trat.



    [/FONT] Draußen sah sie sein Auto stehen, und natürlich auch ihn selbst, wie er wartend im Gras hin und her ging und erleichtert aufatmete, als er Celia durch die Tür kommen sah. Wie vorsichtig, fast schüchtern er sie in den Arm nahm und küsste! Es hätte ihr beinahe ein Lächeln abgenötigt, wenn sie nicht so alarmiert gewesen wäre.
    Celias kleine Demonstration hatte sie zwar nicht erschreckt, dafür war sie viel zu alt und hatte viel zu viel gesehen in ihrem langen Leben, doch nun bestand für sie kein Zweifel mehr daran, dass ihre Zeit abgelaufen war. Sie mussten handeln, oder jedes Ärgernis, das dieses Mädchen nur genügend in Rage brachte, konnte ihre Umgebung ins Chaos stürzen und im schlimmsten Fall sogar das Ende der Menschheit bedeuten. Nicht dass es wirklich schade um die egozentrischen Kreaturen wäre, aber wie sie Varik kannte, würde er es nicht dabei belassen. Er verachtete die Menschen zwar mindestens ebenso sehr wie sie, doch sein eigenes Volk hasste er mit einer Inbrunst, die ihresgleichen suchte. Deshalb musste sie ihn aufhalten, um jeden Preis! Niemals durfte sie zulassen, dass eine neue Herrin der Schwarzen Seen erschaffen wurde, noch dazu mit einer Macht, der niemand, nicht einmal der Herr der Finsternis selbst gewachsen sein würde! Wie hatte er nur solch eine Torheit begehen können!




    +


  • „Danke für die Einladung!“ sagte Celia, nachdem Nick, ganz Kavalier, die Autotür aufgehalten hatte, damit sie einsteigen konnte. Allerdings fühlte sie sich von dem „Keine Ursache, gern geschehen!“ genauso verunsichert wie von seinem gezwungen wirkenden Lächeln, als er sich neben sie hinters Steuer setzte. „Stimmt etwas nicht?“ erkundigte sie sich besorgt.
    „Nein, wieso?“
    „Du wirkst so .... angespannt? Hat es was damit zu tun, was du mir sagen willst? Du hast gestern Abend am Telefon so was ähnliches angedeutet? Oder hab ich das missverstanden?“
    „Nein! Ich ....“ er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich hätte es schon gestern tun müssen, aber am Telefon schien es mir irgendwie nicht richtig zu sein. Ich, ich glaube, ich bin dir noch eine Erklärung schuldig!“
    „Erklärung? Wofür?“
    „Wegen der Sache mit Caroline.“
    „Deswegen? Aber ich sagte dir doch, das wäre nicht nötig!“
    [FONT=&quot]„Bitte!“ wehrte er ab und sie hielt inne. „Bitte ich möchte es hinter mich bringen, damit wir das Frühstück genießen können!“
    [/FONT]

    Er wandte den Kopf ab und starrte einen Moment durch die Windschutzscheibe nach draußen. „Ich kenne Caroline Vandermere schon mein ganzes Leben. Wir,... wir sind zusammen aufgewachsen, kamen eigentlich gut miteinander aus, auch wenn’s nicht immer ganz unkompliziert war. Aber irgendwann haben sich unsere Eltern in den Kopf gesetzt, wir gäben ein ideales Paar ab und lassen seitdem keine Gelegenheit aus, um uns beide zusammen zu bringen.“
    „Das hat sie mir gesagt!“ bestätigte Celia leise.
    „Wir sind miteinander ausgegangen, haben über die Pläne unserer Eltern gelacht und sogar schon über eine vorgetäuschte Verlobung nachgedacht, weil v.a. unsere Mütter so besessen von dem Gedanken sind. Ich dachte, dass Caroline, genau wie ich, das Spiel nur mitspielt, damit sie irgendwann Ruhe geben, aber jetzt ...?“
    „Jetzt bist du dir nicht mehr so sicher?“
    Er nickte.
    „Vielleicht hat sie sich, ohne es zu wollen, in dich verliebt. Wär’ das denn so ungewöhnlich?“
    [FONT=&quot]Wider Willen musste er lächeln, als er sich vorstellte, was Justin ihr jetzt wohl antworten würde. Caroline und sich verlieben? Eher würden die Feuer der Hölle zu Eis gefrieren. Vielleicht, wirklich nur vielleicht, lag Justin damit gar nicht so daneben.



    [/FONT] „Ich möchte nur nicht, dass du einen falschen Eindruck von meiner Beziehung zu Caroline bekommst. So wie sie sich aufgeführt hat, könnte man wirklich glauben, dass sie und ich....“
    „Und selbst wenn!“ diesmal unterbrach sie ihn.. „Ich bin nicht so naiv, um zu erwarten, dass es in deinem Leben vorher niemals eine andere gegeben hat. Für mich ist das ohne Bedeutung. Nur was du jetzt fühlst, zählt.“ Einen Moment lang schwieg sie, bevor sie den Kopf hob, ihn forschend ansah und leise fragte: “Liebst du sie?“
    „Nein!“ Nick antwortete ohne Zögern und wunderte sich gleichzeitig, wie sicher er sich dessen auf einmal war. „Ich liebe dich!“ Selbst wenn ich nicht weiß, wie das so plötzlich gekommen ist, fügte er im Stillen hinzu.
    „Das ist alles, was ich wissen muss.“
    Gott, er liebte ihr sanftes Lächeln, das Strahlen ihrer unergründlichen Augen und das .... „War das eben dein Magen, der da geknurrt hat?“
    Sie nickte. „Kein Wunder, dass er sich beschwert, denn eigentlich wurde ich ja zum Frühstück eingeladen, nur scheint mir, wenn wir weiter hier rumstehen, wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als mich doch noch auf Gedeih und Verderben Maras frisch erlernten Kochkünsten auszuliefern.“
    „Deine Freundin lernt kochen? Tatsächlich?“
    [FONT=&quot]„Mmhmh! Nur hab ich irgendwo gehört, du könntest das besser! Wo war das nur?“



    [/FONT] Nicolas fuhr mit Schwung die Auffahrt hinauf und stoppte vor dem Garagentor. Die Begegnung mit Caroline und seine Befürchtungen, wie Celia auf ihre (absichtlich?) wenig feinfühligen Eröffnungen reagieren würde, hatten ihm schwer auf der Seele gelegen. Zwar war noch nicht wirklich alles hinter sich gebracht, was er sich nach dem Gespräch mit Justin vorgenommen hatte, aber vor dem nächsten Teil würde er ihr doch erst mal ein ordentliches Frühstück gönnen. Zunächst hatte er an ein gemütliches Abendessen im Chez Madeleine gedacht, doch als sie ihm am Telefon stöhnend von den tagtäglichen Waffeln ihrer Freundin berichtet hatte, entschied er sich für Lucys berühmte Schinken-Eier bei sich zuhause. Die Gelegenheit war günstig, denn seine liebwerte Familie würde unterwegs sein, Bella in der Schule, seine Mutter, wie immer in den letzten Wochen, auf Shopping-Tour mit einer ihrer besten Freundinnen. Er hatte vergessen, was ihr nun schon wieder für die verflixte Party fehlte.
    „Hier wohnst du also.“ konstatierte Celia mit einem anerkennenden Blick, nachdem sie ausgestiegen war. „Ein ziemlich großes Haus für nur eine Person. Hmmh, ich korrigiere, zwei Personen!“
    „Wie? Was?“
    [FONT=&quot]Celia deutete mit einem verschmitzten Lächeln hinter ihn.



    [/FONT] „Bella!“ rief er überrascht, als er sich umdrehte. „Was machst du denn noch hier? Du solltest doch längst in der Schule sein.“
    „Also echt, Nick, dass du mit deinem Gedächtnis überhaupt noch operieren darfst, ist schon ein Wunder!“ Bella grinste und musterte dabei offen und ungeniert seine Begleitung. „Projektwoche!“ half sie ihm dann auf die Sprünge, als er sie immer noch verwirrt anstarrte. „Zwei Stunden später Schule?!“
    Er schlug sich die Hand vor die Stirn. „Natürlich, entschuldige. Celia, darf ich dir meine Schwester Arabella vorstellen. Bella, das ist ...“
    „Deine Freundin?“ beendete sie den Satz, als er kurz stockte. „Weiß Mum das schon?“
    „Bist du eigentlich immer so vorlaut?“ fragte er streng, doch sein Lächeln milderte den Ton ab. Zumal er Celia ebenfalls amüsiert vor sich hin glucksen sah.
    [FONT=&quot]„Nein, nur bei dir.“ Sie duckte sich, als befürchte sie eine entsprechende Antwort, grinste aber weiter aus der Deckung heraus. Hinter ihnen hielt ein Auto. „Oh, da ist Cara’s Mum. Ich muss los. War nett sie kennen zu lernen, Celia. Wir sehen uns ja dann auf Nick’s Party.“ Sprach’s, huschte an ihnen vorbei und überließ ihrem Bruder alle weiteren Erklärungen.



    [/FONT] Dem wurde durch Bellas plötzliches Erscheinen zum erstenmal richtig bewusst, wie wenig sie beide doch voneinander wussten. Celia konnte ihm nichts über ihren Hintergrund erzählen, weil sie sich nicht daran erinnerte, doch er? Warum hatte er nie ein Wort über seine Familie verloren? Gewiss, sie kannten sich noch nicht sehr lange, aber Gelegenheiten hätte es wahrhaftig genug gegeben. Dabei gab es ja nun wirklich keinen Grund, sich seiner Verwandtschaft zu schämen! Trotzdem hatte ihn immer etwas davor zurückschrecken lassen!
    Aber Celia schien ihm das weder übel zu nehmen, noch ihn drängen zu wollen. Sie beließ es dabei, ihn nach Bellas Abgang einfach lachend zu fragen, ob er vielleicht auf dem Dachboden noch weitere Geschwister versteckt habe, was er guten Gewissens verneinen und sich so erleichtert an die Zubereitung des Frühstücks machen konnte, während Celia sich auf seine ausdrückliche Einladung hin ein wenig in Haus und Garten umsah.
    [FONT=&quot]Nur als sie sich wenig später hungrig über die Eier hermachte und ihm dabei Loblieder über seine erstaunlichen Kochkünste und sein Heim gleichermaßen sang, da begann er sich ernsthaft zu fragen, ob sie Bellas Bemerkung über die Party einfach überhört hatte, oder aber sie bewusst ignorierte. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und erbot sich schließlich, ihnen zum Abschluss noch einen Espresso zu kochen, mit dem speziellen Hinweis, er sei ein Meister darin – zumindest in der Bedienung des Automaten!



    [/FONT] „Also gut!“ Er hatte sich gerade wieder neben sie gesetzt und wollte seine Tasse zum Mund führen, als sie es endlich aussprach. „Meinem Magen geht es sehr viel besser, die Sonne scheint, der Espresso ist köstlich, ich fühle mich gut, nur du scheinst immer noch mit etwas anderem beschäftigt zu sein. Willst du jetzt darüber reden?“
    Obwohl er darauf gewartet hatte, fühlte er sich von ihrer Direktheit nun doch etwas überrumpelt und holte tief Luft. Sie zu dieser vermaledeiten Party einzuladen, wie Justin es ihm geraten hatte, fiel ihm nicht sonderlich schwer. Sein eigentliches Problem bestand darin, dass er immer noch nicht wusste, welche Reaktion er sich auf seine Einladung wünschte. Sollte sie zustimmen oder doch lieber ablehnen? Die Vorstellung, jemanden, der so verletzlich war wie sie den klatschsüchtigen Geiern auf dem Silberteller zu präsentieren, behagte ihm noch immer nicht.
    „Nick?“ Er gab sich einen Ruck.
    „Ich weiß, es ist ein bisschen kurzfristig, aber solange kennen wir uns ja auch noch nicht.“
    „Jetzt machst du mich aber richtig neugierig!“
    „Am Samstagabend findet hier im Haus eine Dinnerparty statt. Eigentlich die Idee meiner Mutter, sie hält das für gesellschaftlich absolut notwendig. Aber weil dies mein Haus ist, muss ich auch als Gastgeber fungieren.“
    [FONT=&quot]Celia nickte in langsamem Verstehen. „Aha, das ist also die mysteriöse Party, von der hier alle ständig reden.“



    [/FONT] Nicolas nickte ergeben. Natürlich hatte sie es nicht überhört. „Es tut mir leid, schon wieder. Ich glaube, ich verbringe heute den ganzen Tag damit, mich bei dir zu entschuldigen.“
    „Es hat ganz den Anschein.“ schmunzelte sie. „Auch wenn mir im Augenblick noch nicht ganz klar ist, wofür genau du dich jetzt gerade zu entschuldigen versuchst.“
    „Weil ich es dir längst hätte erzählen müssen und auch, ..., weil ich dich längst hätte einladen sollen.“
    „Mich?“ Sie wirkte wirklich überrascht, als hätte sie in keinster Weise damit gerechnet. „Du willst mich einladen? Wieso?“
    „Wieso?“ Ha, das war eine verdammt gute Frage. Wieso wollte er sie zu einer langweiligen Hihg-Society-Party einladen, der er selber nur mit Grauen entgegensah?
    „Aus rein egoistischen Gründen!“ meinte er schließlich halb belustigt, halb ironisch. „Dann wäre wenigstens ein freundliches Gesicht an meiner Seite.“
    „Du scheinst keine besondere hohe Meinung von deinen Freunden zu haben!“ Das klang traurig, als würde sie ihn deshalb bedauern.
    „Es sind ja nicht meine Freunde, sondern die meiner Mutter!“ korrigierte er sie bitter und erntete einen noch verständnisloseren Blick. In Augenblicken wie diesen wünschte er sich, er könnte ebenfalls in ihrer Welt existieren, in der es anscheinend weder Bosheit, noch Verlogenheit zu geben schien.
    [FONT=&quot]Und dieser Wunsch wurde auf der Stelle noch verstärkt, als er hinter sich plötzlich eine leicht unterkühlte Stimme vernahm.




    +++
    [/FONT]

  • ***



    „Störe ich?“ fragte die Stimme in einem Ton, der deutlich machte, dass die Person genau davon überzeugt war, jedoch nicht beabsichtigte, sich deshalb auch nur im geringsten unwohl zu fühlen.
    ‚Ja’ schrie Nicolas ungehalten, aber nur in seinem Kopf. ‚Ja du störst.’ Und dann zog er den Kopf ein und holte, immer noch innerlich stöhnend, tief Luft. ‚Wieso scheint heute einfach alles schief zu gehen? Verflucht noch mal, was machte sie denn schon wieder hier? Erst Bella und jetzt sie.’
    [FONT=&amp]„Es tut mir wirklich leid, Nicolas, ich hatte keine Ahnung, dass du bereits aus der Klinik zurück bist. Sagtest du nicht, du hättest heute morgen ein wichtiges Meeting mit den anderen leitenden Ärzten?“ Ihre Worte klangen wie immer wohlgesetzt, doch ihr Tonfall war eine Spur zu klirrend, um mehr als nur den Anschein von Höflichkeit aufrechtzuerhalten. Normalerweise hätte ihn das alarmiert und ihn dazu gebracht, augenblicklich eine Erklärung abzugeben, aber scheinbar hatte Justins Standpauke endlich seine Wirkung getan. Er dachte gar nicht daran. Nicht dieses Mal!



    [/FONT] Mit einem nur für Celia hörbaren Seufzer erhob er sich und wandte sich Catherine Blandfort zu, die mit scheinbar freundlich heiterer Gelassenheit auf die beiden herabsah. Aber Nicolas ließ sich von ihrem Lächeln nicht täuschen. Sie war alles andere als erfreut.
    „Guten Morgen, Mamà. Ja, ich hatte heute früh eine Besprechung in der Klinik, aber sie dauerte nicht allzu lang.“
    „Wenn ich das gewusst hätte, wirklich schade, ich hätte deine Hilfe gebrauchen können.“ Obwohl sie die junge Frau an seiner Seite so unauffällig es nur irgend ging einer intensiven Musterung unterzog, sprach sie dennoch so, als würde sie Celia zunächst gar nicht wahrnehmen. Und das ärgerte Nick, der das sehr wohl bemerkte, gewaltig.
    „Ich bin sicher, du bist wie immer auch ohne mich bestens zurecht gekommen.“ erwiderte er deshalb sarkastisch und Catherine zog prompt unwillig die Augenbrauen nach oben. Was war denn das für ein Ton? Das musste etwas mit dieser Frau zu tun haben, die, daran bestand für sie kein Zweifel, dieselbe sein musste, von der Caroline ihr erzählt hatte. Ihre Abneigung wuchs in gleichem Maße wie ihr Interesse.
    [FONT=&amp]„Willst du mir deinen Gast nicht vorstellen, mein Sohn?“ fragte sie und betonte das letzte Wort ganz besonders, um ihn daran zu erinnern, wen er vor sich hatte. Dennoch schien selbst das seine Wirkung auf ihn zu verfehlen.



    [/FONT] Celia war nach einem vorsichtigen Blick nach hinten erst einmal sitzen geblieben. Sie fühlte sich verunsichert, zum einen, weil ihr der Unmut jener Frau nicht verborgen blieb und sie nicht verstand, warum sie derart verstimmt war, zum andern weil sie dennoch von einem merkwürdigen Gefühl der Vertrautheit überflutet wurde, ungleich stärker, als es bei ihrem Sohn der Fall gewesen war. Und das verwunderte sie nicht nur, es erschreckte sie regelrecht. Denn sie war sich absolut sicher, ihr noch nie begegnet zu sein. Und trotzdem! Sie hatte Catherine Blandfort schon gespürt, als diese beinahe unhörbar den Raum betrat, noch bevor sie Nick überhaupt ansprach. Sie spürte ihre Kraft, ihren unglaublich starken Willen und auch ihren Drang, alles und jeden zu kontrollieren. Celia fühlte sich durch sie an jemanden aus ihrer Vergangenheit erinnert, ohne diesen jemand wirklich greifen zu können. Und während sie der wenig freundlichen Unterhaltung der beiden mit halbem Ohr lauschte, zuckten hier und da Bilder durch ihren Kopf, aus ihren Träumen, aus ihrem früheren Leben, sie hätte es nicht sagen können.
    [FONT=&amp]Eine Hand legte sich sacht auf ihre Schulter und als sie aufblickte, sah sie Nicolas über sich gebeugt mit einem verzweifelten Lächeln. Sie ließ sich von ihm aufhelfen und hatte dabei das Gefühl, er würde sich mehr an ihr festhalten, als sie sich an ihm. Beruhigend drückte sie ihm die Hand und trat seiner Mutter so gefasst wie möglich gegenüber.



    [/FONT] Deren Miene ließ rein äußerlich nichts von ihrer inneren Verfassung erkennen, ja sie ließ sich sogar dazu herab, dem ungebetenen Gast mit einem verbindlichen Lächeln die Hand zu reichen und einige höfliche Floskeln mit ihr auszutauschen. Celia hätte sich gewiss täuschen lassen, würde sie nicht immer noch Catherines verhaltenen Zorn spüren, der in leisen Wellen auf und nieder wogte. Was für eine Selbstbeherrschung sie doch besaß. Eine Dame durch und durch.
    „Wo, sagten Sie, haben Sie und mein Sohn sich kennen gelernt?“ fragte Nicks Mutter gerade. Der stöhnte hörbar auf. Jetzt hatte sie das Verhör begonnen.
    „Ich sagte gar nichts, Ma’am.“ erwiderte Celia, trotz ihrer Worte in höflicher Gelassenheit und bedeutete Nick mit einem einzigen Blick, nicht einzuschreiten. „Aber wir haben uns im Krankenhaus getroffen.“
    „Dann sind Sie Ärztin, oder ... Krankenschwester?“ Aus ihrem Munde hörte sich ersteres an, als wäre es undenkbar, letzteres, als würde sie es regelrecht befürchten. Nick, in Blickkontakt mit ihr hinter seiner Mutter stehend, schien das genauso empfunden zu haben, denn er verleierte die Augen und zuckte in hilflos entschuldigender Geste mit den Schultern. Wider Willen musste Celia schmunzeln.
    „Nein, Mrs Blandfort. Weder, noch. Ich bin Malerin.“




    +


  • „Und eine ziemlich gute noch dazu.“ fühlte sich Nick bemüßigt, wenigstens etwas zu dieser immer grauenvoller werdenden Unterhaltung beizutragen. Seine Mutter schien nämlich inzwischen jede Höflichkeit vergessen zu haben, denn sie bat den Gast nicht einmal, wieder Platz zu nehmen. Sie musste sehr, sehr wütend sein!
    „Malerin?! Nein wirklich?! Dann müssen Sie tatsächlich Talent besitzen, wenn sie davon leben können. Die Künstler haben es ja heutzutage dermaßen schwer! Kaum einer weiß die wahre Meisterschaft noch zu würdigen.“ An ihrem taxierenden Blick, der abschätzig über ihre Sachen von der Stange glitt, war unschwer zu erkennen, was sie von Celias sogenannter Kunst hielt. Dennoch nickte diese zustimmend.
    „Wie recht Sie doch haben, Ma’am. Ich weiß Ihr liebenswürdiges Kompliment zu schätzen, v.a. da Sie, im Gegensatz zu Ihrem Sohn meine Bilder ja noch gar nicht kennen!“
    Ihre feine Ironie traf ins Schwarze. Catherine horchte auf. Einerseits war sie empört und hegte doch gleichzeitig Bewunderung für die Haltung dieser Frau, die ihr ebenbürtig zu sein schien. Das konnten nun wahrhaftig nur wenige von sich behaupten, und noch war sie auch nicht bereit, das zuzugeben. Bevor sie allerdings ihre nächste Spitze abschießen konnte, sagte Celia.
    „Bitte verzeihen Sie, wenn ich unser anregendes Gespräch nicht weiterführen kann, aber ich muss mich leider verabschieden, ein wichtiger Termin. Sie haben sicher Verständnis.“
    „Natürlich, Miss ...“
    [FONT=&quot]„Moreau, Mamà.“



    [/FONT] Nicolas warf seiner Mutter einen vernichtenden Blick zu, bevor er zu Celia trat und demonstrativ ihre Hand an die Lippen führte, als wolle er damit beweisen, dass wenigstens einer in seiner Familie noch wusste, was sich gehörte. Catherine verstand den Wink und ihr Gesicht verzog sich zu einer verkrampft lächelnden Maske.
    Ihr Sohn hauchte indessen ein zarten Kuss auf Celias Hand und warf ihr dabei unter den gesenkten Augenlidern einen langen intensiven Blick zu, in dem alles das lag, was er ihr noch zu sagen wünschte. Und sie las in seinen Augen wie in einem offenen Buch.
    „Es tut mir so leid!“ sagte dieser Blick und „ich liebe dich!“
    „Mach dir keine Sorgen!“ antwortete sie ihm auf die gleiche stille Weise. „Es geht mir gut.“
    „Wirst du zu meiner kleinen Party kommen?“ fragte er gerade laut genug, dass seine Mutter es hören musste.
    „Wenn du möchtest!“ Nicolas ließ ihre Hand sinken.
    [FONT=&quot]„Ja, ... ja das möchte ich.“ sagte er und schenkte ihr ein dankbares Lächeln, als sie zustimmend nickte. „Komm, ich begleite dich nach draußen.“



    [/FONT] „Nicht nötig, ich finde allein hinaus. Auf Wiedersehen, Ma’am. Es war mir wirklich ein Vergnügen.“ Sie gab Catherine keine Gelegenheit, sich gebührend zu verabschieden. Nach einem freundlichen Kopfnicken drehte sie sich um und verließ hocherhobenen Hauptes das Haus, im Rücken den bohrenden Blick von Nicks Mutter. Deren Zorn war inzwischen quälender Unruhe gewichen, vermischt mit ernster Besorgnis. Caroline hatte von einer vorübergehenden Laune gesprochen, die man beobachten aber nicht fürchten musste. Doch nach dieser Vorstellung begann Catherine das ernsthaft anzuzweifeln. Ihr war die Glut in den Augen ihres Sohnes nicht entgangen. Und sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, dass er gerade in Gedanken nicht die Hand dieses merkwürdigen Mädchens sondern deren Mund geküsst hatte. Und das konnte nur eines bedeuten, dass er tiefere Gefühle für sie entwickelte, oder schon entwickelt hatte. Das würde auch die Veränderung erklären, die sie in den letzten Tagen an ihm bemerkt hatte. Während sie ihr seltsam berührt nachsah und dabei grübelte, was sie nunmehr tun sollte, fielen ihr plötzlich Cressidas Worte wieder ein. Er würde Caroline nicht lieben, es niemals tun, hatte sie gesagt und nun schienen sich ihre Worte zu bewahrheiten. Aber wenn schon nicht Caroline, musste es dann ausgerechnet Diese sein, eine Frau mit vermutlich zweifelhafter Herkunft und ebenso zweifelhaftem Beruf?



    Sie schüttelte den Kopf. Nein, das würde sie nicht zulassen. Das konnte nicht gut gehen. Nicolas ahnte zwar noch nichts davon, weil sie ihm den Brief ihrer Anwälte noch vorenthalten hatte, doch er würde in absehbarer Zeit das alte englische Erbe seiner Familie antreten und als Earl of Carver endlich wieder jenen Platz einnehmen, der ihrem Zweig der Blandforts von Rechts wegen zustand. Dafür brauchte er eine Frau, die den Aufgaben gewachsen sein würde, welche die Stellung einer Countess nun mal mit sich brachten. Diese junge Frau, die gewiss durchaus einige Qualitäten besaß, das wollte sie ja gar nicht ableugnen, betrachtete sie als ungeeignet. Das würde er letztlich einsehen müssen. Er war ihr Sohn, er war vernünftig und im Bewusstsein der Pflicht gegenüber seiner Familie von ihr erzogen worden. Er konnte gar nicht anders. Und je eher sie ihm das klar machte, desto besser.
    Catherine atmete tief durch, drehte ihren Kopf leicht in Richtung ihres Sohnes, der noch immer wortlos neben ihr stand und die Tür anstarrte, hinter der Celia soeben verschwunden war. „Die Höflichkeit in allen Ehren, Nicolas, doch es kommt natürlich gar nicht in Frage, dass Miss Moreau an unserer Dinnerparty teilnimmt.“ sagte sie in milder Arroganz, während sie sich gleichzeitig wieder abwandte, um ins Wohnzimmer zu gehen.“Ich bin sicher, sie wird es verstehen, wenn du ihr unser Bedauern ausdrückst.“



    „Unser Bedauern?“ Nick folgte ihr augenblicklich und hielt sie zurück. „Was soll das heißen, unser Bedauern? Und wieso sollte sie nicht an MEINER Party teilnehmen, ich habe sie soeben in deiner Gegenwart eingeladen. Verlangst du jetzt etwa von mir, dass ich sie wieder auslade?“ Fassungslosigkeit breitete sich über seinem Gesicht aus. So herzlos konnte seine Mutter doch unmöglich sein.
    „Allerdings verlange ich das von dir.“ bestätigte seine Mutter aber augenblicklich seine Befürchtung. „Du bist selbst schuld daran. Du hättest es mit mir absprechen sollen, dann würde dir und auch Miss Moreau diese Peinlichkeit jetzt erspart bleiben.“
    „Warum tust du das? Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, was ich für sie empfinde?“
    „Was du empfindest, was du empfindest?“ fragte Catherine ungehalten. „Mein Gott, Nicolas, du kennst sie jetzt wie lange? Tage, Wochen? Was wissen wir denn schon über sie. Wer sind ihre Eltern, woher kommt sie, was ist ihr Leben bisher verlaufen, kannst du mir das sagen?“
    „Nein, das kann ich nicht. Und sie kann dir auch keinen detaillierten Lebenslauf vorlegen, denn sie erinnert sich nicht daran. Sie leidet unter Amnesie.“
    „Amnesie? Auch das noch! Hergott, sie könnte eine gefährliche Verbrecherin sein und du erwartest, dass ich sie meinen Gästen zumute?“
    [FONT=&quot]„Deinen Gästen?“ fragte Nicolas gedehnt. „Hieß es nicht immer, es wäre meine Party? Und kann ich, zu meiner eigenen Party nicht einladen, wen immer ich will?“



    [/FONT] „Nicolas, überlege doch!“ Catherine versuchte, einen anderen, sanfteren Ton anzuschlagen, erneut beunruhigt durch seine ungewohnt heftige Reaktion. „Du musst doch auch an Caroline denken. Sie wird deine Gastgeberin sein! Was sollen UNSERE Gäste denken, wenn du mit einer anderen Frau an deiner Seite erscheinst.“
    „Sie sollen und werden sehen, dass Caroline und ich nichts anderes als Freunde sind, Mamà, zumindest was mich betrifft. Um Carolines eventuell verletzte Gefühle wirst du dich wohl selbst kümmern müssen, schließlich war es deine Idee, sie zur Gastgeberin zu machen, genauso wie diese Party hier abzuhalten.“
    „Aber...“ Catherine fehlten die Worte. Was ging hier vor?
    „Nichts aber!“ Er hörte sich erschöpft an, als er sich von ihr abwandte. „Ich wäre dir wirklich dankbar, Mamà, wenn du damit aufhören würdest, mein Leben für mich zu planen. Ich glaube, ich bin inzwischen alt genug, um selbst für mich entscheiden zu können.“
    „Was ist nur in dich gefahren, ich verstehe dich nicht mehr!“ konstatierte Catherine leicht gekränkt, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte.
    „Das kann ich mir vorstellen, Mamà, aber ich fürchte, du wirst dich daran gewöhnen müssen. Und bevor ich es vergesse, Justin wird, als mein engster Freund, natürlich auch da sein.“




    +


  • Nach der Auseinandersetzung mit seiner Mutter hatte er sich zu Justin geflüchtet, schon um weiteren Diskussionen zu entgehen. Denn wie er seine Mutter kannte, würde sie es mit Sicherheit nicht dabei belassen, sobald sie sich von ihrem Staunen erholt hatte. Von Justins Loft aus rief er Celia an und erkundigte sich besorgt danach, ob es ihr auch wirklich gut ging. Justin hatte gelacht und ihn damit aufgezogen, dass er sehr verliebt sein musste, so wie er sich anhörte. Na und! Es stimmte. Erst nachdem sie lange zusammen gesessen, geredet und gemütlich ein Bier getrunken hatten, das er sich nach Justins Ansicht redlich verdient hätte, war er schließlich wieder nach Hause gegangen. Seine Mutter war ausgegangen, seine Schwester noch bei ihrer Freundin Cara. Dankbar für die Ruhe warf er sich auf sein Bett und träumte vor sich hin.
    Später am Abend hörte er leise Klaviertöne von unten heraufklingen und wunderte sich. Sie hörten sich unsicher an und fehlerhaft, das konnte nur heißen, es war:
    „Seit wann spielst du Klavier?“ fragte er Bella erstaunt, als er sie da sitzen sah.
    [FONT=&amp]„Seit heute!“ gab sie schnippisch zur Antwort. Nick runzelte die Stirn. Bella hatte sich noch nicht mal umgezogen, und im Gegensatz zu heute morgen, schien ihre Laune absolut im Keller zu sein.



    [/FONT] Er baute sich direkt hinter ihr auf, strich ihr vorsichtig über den Kopf und fragte leise lachend: „Nun mal raus mit der Sprache, welche Laus ist dir heute über die Leber gelaufen?“
    Bella antwortete nicht. Stattdessen drehte sie unwirsch den Kopf zur Seite und hämmerte noch intensiver auf die Tasten.
    „Hehe!“ Nick trat einen Schritt zurück. „Wenn du einen Hammer brauchst, um das Klavier zu besiegen, hol ich dir einen aus dem Keller. Deine Finger sind viel zu schade dafür.“
    Wieder verzog sie nur das Gesicht, bevor sie auf einmal den Deckel zuknallte und sagte:
    „Ich hasse sie!“
    „Wen?“ Im Grunde war das eine überflüssige Frage, was ihm auch sofort bestätigt wurde.
    „Wieso muss ich zu dieser blöden Party kommen? Und dann hat sie auch noch diesen Sutton eingeladen. Das wird der ödeste Abend meines Lebens!“
    [FONT=&amp]Nick musterte seine Schwester aufmerksam. „Nun, das ist ja wohl nicht wirklich neu, oder? Wieso dann jetzt auf einmal die schlechte Laune? Nun komm schon Bella, wie soll ich dir helfen, wenn du nicht mit mir redest?“



    [/FONT] Auf diese kleine Ermunterung schien sie regelrecht gewartet zu haben. So schnell wie sie redete, hatte Nicolas Mühe ihr zu folgen. Aber so langsam wurden ihm die Zusammenhänge klar. Cara hatte seine Schwester heute in aller Unschuld gefragt, ob sie nicht doch am Samstag mit ins Kino kommen wolle. Und geködert hatte sie Bella damit, dass die Clique danach noch in ihr Stammdiner wollte, zu einem kleinen Konzert der Band von ....
    „Johnny spielt in einer Band?“ fragte er erstaunt. „Das hast du mir gar nicht gesagt!“
    Sie zuckte mit den Schultern. „Na ja.“
    „Und du willst jetzt unbedingt da hin, statt dich mit mir gemeinsam zu langweilen? Und ich hatte fest mit dir gerechnet.“
    „Heh, du wirst dich bestimmt nicht langweilen. Du hast doch deine Freundin. Sie scheint übrigens ganz nett zu sein.“
    [FONT=&amp]„Danke! Hast du mit Mum gesprochen?“



    [/FONT] „Was denkst du denn? Natürlich. Ich hab sie direkt von Cara angerufen.“
    „Und sie hat nein gesagt.“ Bellas Verfassung ließ keinen anderen Schluss zu.
    „Stimmt auffallend!“ bestätigte sie auch sofort. „Sie ließ mich gar nicht richtig ausreden. Hat sofort nein gesagt. Du, die hatte eine Laune, absolut zum fürchten.“
    „Daran bin ich wohl schuld.“ murmelte Nick vor sich hin. Nicht dass er glaubte, ihre Mutter hätte sie ohne die Auseinandersetzung heute morgen gehen lassen, aber vielleicht hätte Bella ja doch wenigstens eine kleine Chance gehabt. Verdammt noch mal, so konnte das einfach nicht weitergehen. Er war ohnehin gerade dabei, reinen Tisch zu machen. Dann käme es darauf jetzt auch nicht mehr an.
    „Komm schon Kleines.“ versuchte er seine Schwester wieder etwas aufzumuntern. „Lass den Kopf nicht hängen. Noch ist es nicht soweit. Lass mich noch mal mit Mum reden. Vielleicht kannst du ja nach dem Essen verschwinden.“
    „Meinst du, das klappt?“ Bella sah ihn zweifelnd an und Nick versuchte, nicht nur überzeugend zu wirken, sondern es auch selbst zu glauben.
    [FONT=&amp]„Ist doch meine Party, oder nicht?“



    [/FONT] „Oh, das ist einfach.... Du bist..... toll, klasse, absolut irre, ....“
    „Ja, ja. Schon gut. Ich hab’s ja verstanden.“ Nick lachte. Bella war wie verwandelt. Übermütig fiel sie ihm um den Hals und drückte ihn so fest sie nur konnte. Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, dass er sein Versprechen auch halten konnte. Leicht würde das mit Sicherheit nicht werden. Aber sie zu dieser Party zu zwingen, nur um familiäre Geschlossenheit zu zeigen, das war einfach absurd. Das musste ihre Mutter einfach einsehen!
    „So!“ Er schob sie sacht von sich. „Und jetzt gehen wir beide eine Runde schwimmen. Was hältst du davon?“
    [FONT=&amp]Sie hielt sogar sehr viel davon. Wie ein Wirbelwind rannte sie die Treppe hinauf, um ihre Badesachen zu holen, während Nicolas ihr in weitaus gemütlicherem Tempo folgte.



    [/FONT] Das hatte zur Folge, dass er auch später am Pool ankam als seine Schwester. Bella tanzte ausgelassen und übermütig am Pool herum. ‚Es ist schon seltsam, wie schnell Teenager ihre gute Laune wiederfinden’, dachte Nick bei sich und ermahnte sie gleichzeitig laut, nicht so nahe am Rand herum zu turnen.
    Natürlich hörte sie nicht auf ihn. Was sollte ihr schon passieren?
    Nick ging langsam um den Pool herum in Richtung Leiter. Zwar würde er viel lieber einfach hineinspringen, doch er hatte sich als kleiner Junge das Trommelfell verletzt und nur mit Hilfe einer komplizierten Operation war es gelungen, ihm sein Gehör zu retten. Seitdem durfte er allerdings weder springen noch tauchen. Gerade letzteres bedauerte er zutiefst, denn Justin war ein begeisterter Sporttaucher und hatte ihm so viel von seinen Abenteuern erzählt, dass er es zu gern selbst versucht hätte.
    „Bella“ ermahnte er sie erneut, als sie zu nahe an die Kante kam. „Pass auf!“ Doch es war schon zu spät. Ihr Fuß rutschte weg, sie ruderte mit den Armen in der Luft herum und verlor den Halt. Ihr Kopf schlug gegen die Kante und dann stürzte sie ins Wasser, noch bevor er sie erreichen konnte. Voller Entsetzen sah er sie wie einen Stein zum Grund sinken.




    +++

  • ***




    Totenstille lag über dem Anwesen. Kein Laut drang durch die Nacht, selbst der Wind schien den Atem anzuhalten, als Nick am Rand des Pools stand und auf die glitzernde Wasseroberfläche starrte, die sich nach dem Eintauchen von Bellas Körper langsam wieder glättete. Obwohl ihn das Entsetzen körperlich zu lähmen schien, ging er doch in Sekundenschnelle im Kopf seine Optionen durch. Um Hilfe zu rufen, wäre absolut zwecklos, da seine Mutter noch immer unterwegs und seine beiden Nachbarn, nach den dunklen Fenstern zu urteilen ebenfalls nicht zuhause waren. Bisher hatte er die Ruhe, die ihm die großzügigen Besitzungen hier boten, immer zu schätzen gewusst, jetzt verfluchte er sie.
    [FONT=&quot]Nein, wenn jemand Bella helfen konnte, dann nur er! Das Risiko, das er dabei einging, war ihm egal.



    [/FONT] Er wusste genau, was ihm geschehen konnte. Dafür hatte Catherine nach dem Unfall schon selbst gesorgt. Sie hätte es am liebsten gesehen, wenn er gar nicht mehr ins Wasser gegangen wäre. Aber eben weil ihr das nicht gelang, hatte sie damals mit ihm das gemeinsame Traumhaus verlassen und seinen Vater vor die Wahl gestellt, mit ihnen zu kommen oder aber allein zu bleiben. In Blandfort Manor gab es keinen Pool. Welche Wahl würde sie jetzt wohl treffen, müsste sie sich entscheiden zwischen dem Gehör ihres Sohnes und dem Leben ihrer Tochter? Nein, das waren ketzerische Gedanken und völlig unangebracht! Er schob sie beiseite, holte tief Luft und sprang. Es musste sein, denn er hatte keine Ahnung, wie er sonst rechtzeitig zum Grund des Pools gelangen sollte, ungeübt wie er war. Nur durch den Sprung konnte er hoffen, gleich tief genug zu kommen, um sie greifen zu können.



    Für seinen Vater, einen ehemaligen Marinetaucher, wäre das ein Leichtes gewesen, doch es war ihm vor dem Unfall kaum Zeit geblieben, seinem Sohn genügend beizubringen. Nick war zwar ein guter Schwimmer, aber als Taucher war er noch immer ein blutiger Anfänger.
    [FONT=&quot]Das Wasser schlug über ihm zusammen und er spürte den Druck, der sich sofort auf seine Ohren legte, unangenehm heftig und schmerzhaft. Er registrierte es nur ganz am Rand. Sein Blick und damit seine ganze Aufmerksamkeit waren fest auf Bella gerichtet, die er direkt vor sich im Wasser treiben sah. Ganz langsam drehte sich ihr Körper um ihre eigene Achse, für einen Moment dachte er schon, sie habe das Bewusstsein wiedererlangt. Doch ihre Augen waren noch immer geschlossen, ihre Arme hingen schlaff an ihrer Seite und bewegten sich scheinbar nur durch die Wellen, die er wohl selbst verursachte, während er auf sie zu schwamm.




    [/FONT] Und dann geschah es! Ein blendend helles, fast gleißendes Licht tauchte, einem Blitzstrahl gleich vor ihm ins Wasser ein und traf direkt auf seine Schwester. Es spannte ihren Körper, hüllte sie vollständig ein und ....
    [FONT=&quot]Nick war dermaßen fasziniert und fassungslos zugleich, dass er innehielt und dabei zusah, wie sich Bella langsam und wie von Geisterhand bewegt, der Oberfläche entgegenhob, wobei er völlig vergaß, dass er selbst noch immer unter Wasser war. Erst als seine Lunge zu schmerzen begann, brachte er sich mit kräftigen Stößen seiner Beine ebenfalls nach oben.



    [/FONT] Als er keuchend und nach Luft ringend auftauchte, sah er seine Schwester direkt über sich schweben, mit leicht ausgebreiteten Armen und noch immer eingehüllt in diesen seltsamen Strahlenkranz, während ringsum trotz der brennenden Lampen eine unheimliche Dunkelheit herrschte, als würde jegliches Licht von Bella regelrecht eingesaugt, um sie dort oben zu halten. Aus Furcht, sie würde augenblicklich abstürzen, wagte er es nicht, sie anzusprechen, noch sich mehr zu bewegen, als unbedingt nötig war, um nicht wieder unter Wasser zu tauchen. Er hatte keine Ahnung, was hier eigentlich passierte, er wusste nicht einmal, ob es tatsächlich geschah, oder sie womöglich beide bewusstlos und sterbend auf dem Grund des Pools lagen.
    [FONT=&quot]War es Wunschdenken, dass er Bella fast in Zeitlupe Richtung Beckenrand schweben sah? Dass sie sich genauso langsam herunter senkte, ihre Füße den Boden berührten und sie schließlich sanft von unsichtbar stützenden Händen vor den Liegestühlen niedergelegt wurde?



    [/FONT]Wunschdenken oder nicht, Traum oder Wirklichkeit, es hielt ihn nicht mehr im Wasser. Er schwamm zum Rand, stemmte sich nach oben, stieß die erste Liege zur Seite und drehte die auf der Seite liegende Bella auf den Rücken. Ängstlich suchte er nach ihrem Puls und schluckte schwer, weil er ihn nicht finden konnte. Doch dann besann er sich auf seine Ausbildung. Erste-Hilfe-Maßnahmen beherrschte er im Schlaf, er durfte nur nicht darüber nachdenken, wer da vor im lag. Und die Routine half. Er presste das Wasser aus ihrer Lunge und begann mit Herzdruckmassage und Beatmung. Immer wieder prüfte er ihre Lebenszeichen, um dann um so entschlossener weiterzumachen, bis er schließlich erleichtert aufatmete, als er ihren Puls leise gegen seine Finger klopfen spürte.




    +


  • [FONT=&quot]Glücklich und erschöpft ließ er sich auf den Boden fallen und hob Bellas Kopf in seinen Schoß. Ungehindert flossen die Tränen der Erleichterung über seine Wangen während er sie sachte streichelte. Seine kleine Schwester! Nicht auszudenken, wenn sie ... Er wollte es sich nicht einmal vorstellen. Ihre Geburt nach so vielen Jahren war ihnen allen wie ein kleines Wunder erschienen und genau solch ein Wunder war ihre Rettung heute. Der rational denkende Arzt in ihm versuchte es mit Halluzination und vorübergehender Orientierungslosigkeit zu erklären, hervorgerufen durch den plötzlichen Druck im Wasser. Verbunden mit seiner Angst um ihr Leben musste es ihm irgendwie gelungen sein, Bella nach oben zu holen und über den Beckenrand zu schieben. Doch tief in seinem Innern wusste er, dass es nicht stimmte. Etwas Außergewöhnliches war heute hier geschehen, etwas, das er nicht verstand, etwas, wofür er zutiefst dankbar war, ein Wunder eben.



    [/FONT] Leises Flüstern wurde vom plötzlich wieder aufgefrischten Wind zu ihm herüber getragen. Erst hielt er es für eine neuerliche Täuschung, doch dann wurde es immer deutlicher. Es war definitiv eine Stimme. Er blickte hoch und entdeckte .... nichts. Erst als er seinen Kopf zur Seite neigte, sah er sie hinter dem Zaun an der Hecke stehen, eine weißgekleidete Gestalt, eingehüllt in das gleiche, wenn auch längst nicht mehr so gleißende Licht wie Bella.
    Ganz still stand sie da und sah ihn an. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, dennoch glaubte er, dass sie ihn anlächelte.
    „Wer bist du...? Hast du....?“ flüsterte er heiser in ihre Richtung. „Ich meine, hast du meine Schwester aus dem Pool....?“
    Weder nickte sie, noch schüttelte sie den Kopf. Sie stand immer noch genauso regungslos vor dem alten Baum wie vorher. Dennoch hörte er ihre Stimme klar und deutlich neben sich, als hätte sie sich zu ihm herabgebeugt und würde ihm ins Ohr flüstern.
    „Es ist alles gut, Nicolas. Jetzt ist alles gut.“



    Wie zur Bestätigung wurde es auch ringsum wieder heller und Bella begann sich in seinem Schoß zu bewegen. Sie schlug die Augen auf und sah ihn verständnislos an. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte wie ein kleiner Junge einen Freudentanz aufgeführt, stattdessen zog er vorsichtig sein Bein unter ihr hervor und stand auf, während Bella sich aufstützte und stöhnte.
    Nick sah nur kurz nach unten, doch als er wieder aufblickte, verschwand die Gestalt schon hinter dem Baum.
    „Warte!“ rief er. „Wie hast du .... das gemacht?“
    Die Gestalt hielt inne, drehte sich um und sah ihn noch einmal an. Und diesmal spürte er angenehme Wärme in sich aufsteigen. Alle Angst, alle Sorge wichen aus seinem Herzen und machten einem tiefen Gefühl von Frieden Platz.
    [FONT=&quot]„Es ist alles gut!“ wiederholte sie. „Alles!“ Und dann blitzte das Licht erneut auf und sie löste sich vor seinen Augen einfach auf.



    [/FONT] „Mann, mein Kopf tut vielleicht weh, meine Rippen auch und mein Mund fühlt sich an, als hätt’ ich ihn mit Sand ausgespült. Was ist passiert?“
    „Wenn ich das nur wüsste.“ Er sah noch immer zu dem alten Baum hinüber und fragte sich, ob er nun wirklich gesehen hatte, was er sah, gehört hatte, was er hörte. Doch er fand keine Antwort.
    „Nick?“
    Er schüttelte sich, beugte sich hinunter, bemüht eine möglichst strenge Miene zu machen, und half seiner Schwester auf.
    „Was passiert ist? Du hast gerade eine Lektion darüber bekommen, warum es gut ist, auf seinen großen Bruder zu hören, du leichtsinnige Göre!“
    [FONT=&quot]Und dann zog er sie mit einem Seufzer der Erleichterung in seine Arme. „Jag mir bloß nie wieder einen solchen Schrecken ein!“ bat er sie, während er sie an sich drückte, als befürchte er, sie könne sich ebenso auflösen wie die Gestalt vorher. „Und jetzt ab, trockene Sachen anziehen und dann fahren wir ins Krankenhaus, zur Sicherheit!“



    [/FONT] Stunden später saß Nicolas müde, aber immer noch glücklich auf einem Stuhl an Bellas Bett und beobachtete seine Schwester aufmerksam, wie sie ruhig und friedlich da lag und schlief.
    [FONT=&quot]Seine Kollegen im Krankenhaus hatten ihn beruhigt, es ging ihr gut, Herz und Lunge arbeiteten wieder normal. Er hätte sie zwar am liebsten für eine Nacht dort gelassen, aber Bella hatte derart heftig protestiert, dass er, um sie nicht weiter aufzuregen, nachgegeben und sie wieder mitgenommen hatte. In regelmäßigen Abständen kontrollierte er Puls und Atmung in der sicheren Gewissheit, dass für alle Fälle sowohl Sauerstoff als auch ein Notfallset gleich hinter ihm bereitstanden. Manchmal hatte es schon Vorteile, stellvertretender Leiter der Chirurgie zu sein UND eine vermögende, einflussreiche Mutter zu haben.



    [/FONT] Nicolas schmunzelte. Seine Mutter!
    Aus Zorn über ihre Auseinandersetzung hatte sie ihr Handy abgestellt, als sie zu ihrer Freundin gefahren war, um sich über ihre missratenen Kinder zu beschweren. Er hatte Carolines Mutter anrufen müssen, damit sie Catherine benachrichtigte.
    Es dauerte keine halbe Stunde, dann war sie in das Untersuchungszimmer gestürmt. Es hätte ihn nicht einmal gewundert, wenn er vor der Tür eine Polizeieskorte vorgefunden hätte, damit sie mit Höchstgeschwindigkeit durch die Stadt rasen konnte. Und Nick bekam mal wieder Gelegenheit, die Wandlungsfähigkeit seiner Mutter zu bewundern. Nicht ein böses Wort kam über ihre Lippen, als sie Bella umarmte, nicht ein Vorwurf, dass er besser hätte auf sie Acht geben sollen. Im Gegenteil! Sie musterte ihn mit der gleichen Besorgnis wie zuvor ihre Tochter und schickte ihn trotz seiner Versicherung, dass ihm nichts fehle, selbst zur Untersuchung.
    Als die Sonne durch die Vorhänge schimmerte, erhob er sich, und ging nach unten.




    +


  • Nur mit Mühe war es ihm gelungen, Catherine zu bewegen, zumindest ein paar Stunden zu schlafen, nicht bevor sie ihm nicht wenigstens zwei Kannen Kaffee bereitgestellt hatte.
    „Mach ihr Sandwiches, wenn sie aufwacht! Die mag sie besonders!“ stand auf dem Zettel, den er auf der Küchentheke vorfand und wieder schmunzelte er. Als ob er das nicht wüsste. Er holte sich ein Messer und begann die hellen Toastscheiben mit allem zu belegen, was Bellas Meinung nach zu einem Sandwich gehörte. Als Kind hatte sie eindeutig zuviel ScoobyDo gesehen, konstatierte er dabei.
    [FONT=&amp]„Verdammt noch mal!“ fluchte er leise und griff sich an den Kopf. Im Krankenhaus hatte er versucht, es zu ignorieren, doch sein rechtes Ohr schmerzte noch immer. Es sah ganz danach aus, als wäre das Trommelfell doch wieder gerissen. Und diesmal endgültig. Genaueres würde ihm erst der HNO-Facharzt sagen können. Aber noch spürte er außer einem dumpfen Hall keine Veränderung in seinem Hörvermögen. Und solange sich das nicht änderte, würde er seiner Mutter auch nichts davon sagen.



    [/FONT] Er schnappte sich den Teller und lief damit nach oben in das Zimmer seiner Schwester.
    „Guten Morgen, Kleines!“ begrüßte er sie, als sie die Augen öffnete und ihn anstrahlte. Gott, was war er froh, das zu sehen. „Wie geht es dir? Gut geschlafen?“
    „Wie ein Bär.“ bestätigte sie und lugte begierig nach dem Teller in seiner Hand. „Hmmh, Sandwiches, riecht verführerisch!“
    [FONT=&amp]Dann fiel ihr Blick auf den Wecker und sie fuhr hoch. „So spät schon? Heilige Schande! Ich fürchte, ich hab keine Zeit mehr für dein schönes Sandwich. Das hab ich bei dem ganzen Ärger gestern ganz vergessen, dir zu erzählen, ich hab Cara versprochen, ihr beim Aufbau ihres Projektes zu helfen. Ihre Mum steht bestimmt jeden Moment vor der Tür, um mich abzuholen.“



    [/FONT] „Tut sie nicht!“ widersprach Nicolas und stellte den Teller auf dem Schreibtisch ab. „Ich hab sie vorhin angerufen und die Schule auch. Du bleibst heute zuhause und auch den Rest der Woche! Kein Unterricht, kein Shopping, keine Ausflüge. Heute hast du Bettruhe, morgen kannst du aufstehen und dir’s im Garten gemütlich machen.“
    „Aber...“
    „Kein aber, Bella. Das war kein kleiner Unfall gestern, sondern eine traumatische Erfahrung für deinen Körper. Du wärst beinahe gestorben. Mum und ich sind uns da einig. Entweder das, oder du gehst wieder zurück ins Krankenhaus, such’s dir aus.“
    Was waren denn das für Töne? Bella schluckte. So energisch hatte sie ihren großen Bruder noch nie reden hören.
    „Muss das denn wirklich sein?“ fragte sie leise. „Die ganze Woche?“
    „Ja, die ganze Woche. Aber ....“ er kam wieder zu ihr und sah mit einem spitzbübischen Lächeln auf sie hinunter. „Wenn du brav bist, reden wir noch mal über das Kino!“



    Nicolas dröhnte ihr Gekreische noch im Ohr, als er nach unten ging. Das war das Beste, was er seiner kleinen Schwester in dieser Situation hatte sagen können. Sie würde die bravste Patientin sein, die er sich vorstellen konnte, darauf war Verlass. Wenn er jetzt noch eine passende medizinische Erklärung fand, warum eine Dinnerparty zu anstrengend für sie sein würde, ein Kinobesuch mit der Clique aber nicht, dann stand Bellas Glück erst mal nichts mehr im Wege.
    Im Vorbeigehen sah er durch die Glastür, wie draußen das Gartentor geöffnet wurde.
    [FONT=&amp]Er hatte heute morgen nicht nur die Schule und Mrs Redkin angerufen, sondern noch jemand anderen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie auf der Stelle zu ihm kommen würde, vor allem nicht nach der Show, die seine Mutter am vergangenen Tag veranstaltet hatte. Er hatte einfach nur ihre Stimme hören wollen.



    [/FONT] Heute schimmerten ihre Augen in tiefem Blau, als sie ihn nach dem ersten Kuss aufmerksam ansah.
    „Wie geht es deiner Schwester jetzt, alles in Ordnung? Ist sie wach?“ erkundigte sie sich, doch er hatte, während er bejahte, den Eindruck, als hätte sie ihn eher nach seinem eigenen Befinden gefragt. Dabei hatte er von seiner eigenen Untersuchung kein Wort erwähnt.
    „Du siehst müde aus!“ fuhr sie dann auch fort.
    „Ich bin müde!“ antwortete er. Todmüde, um genau zu sein. Alles andere wäre eine Untertreibung. Laut sagte er jedoch: „Ist nicht der Rede wert, ich werde mich nachher einfach noch etwas hinlegen.“
    „Und du hast Schmerzen!“ Sie sagte es, als hätte sie seine eben gemachte Bemerkung gar nicht vernommen.
    [FONT=&amp]„Wie meinst du das?“ fragte er verwirrt. Und jetzt verschwand der Ernst aus ihrem Blick und machte dem Schalk Platz.



    [/FONT] „Na wie werde ich das wohl meinen?“ Sie schmiegte sich eng an ihn und umarmte ihn lachend. Ihre Hände umfassten seinen Nacken und begannen, ihn mit hauchzarten Berührungen zu streicheln. Auf und ab, über die Haare, den Hals hinab. Wieder und wieder. Dabei sah sie ihm ständig in die Augen, während ihre Hand mal hier, mal da liegen blieb. Sie schien eine wohlige Wärme auszustrahlen, die ihn genauso ruhig und friedvoll werden ließ, wie schon in der Nacht am Pool. Gleichzeitig begann er sich besser zu fühlen, nicht nur entspannt, sondern auch erfrischt. Er meinte sogar zu spüren, wie die Kraft förmlich in ihn zurückfloss, direkt durch ihre Hand. Die Müdigkeit wich, seine verkrampften Muskeln lockerten sich.
    „Hmmh, das tut gut!“ murmelte er und zog sie noch näher an sich. Als er sie gleich darauf küsste, waren die Schmerzen in seinem Ohr verschwunden.




    +++

  • ***



    [FONT=&quot]Da er ja gerade erst nach seiner Schwester gesehen hatte und bis zum Termin im Krankenhaus noch genügend Zeit blieb, gestattete Nick sich selbst noch ein paar ruhige Minuten mit Celia außerhalb des Hauses, um mit ihr zu reden. Vielleicht hatte er sie ja genau deshalb heute morgen angerufen. Er vertraute ihr, als wäre sie schon sein ganzes Leben an seiner Seite gewesen. Und er hatte keine Ahnung, wieso. Verrückt, absolut irre, wie Bella sagen würde, aber wahr. Schon während sie ihn auf diese beruhigende Weise gestreichelt hatte, war ihm der Gedanke gekommen, ihr von dem nächtlichen Spuk, ein besseres Wort fiel ihm nicht ein, zu erzählen. Wer wenn nicht sie würde das verstehen oder gar glauben können. Immerhin schien ihr ganzes Leben nur aus einer Ansammlung von Merkwürdigkeiten zu bestehen. Also schlug er, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, fast automatisch den Weg zum Pool ein. Und Celia stellte keine Fragen, sondern folgte ihm ohne Zögern.



    [/FONT] Bis er schließlich vor dem Zaun, der den Pool vom restlichen Garten trennte abrupt stehen blieb. Er sah hinüber auf das klare blaue Wasser, das in der letzten Nacht seiner über alles geliebten Schwester beinahe zum Verhängnis geworden wäre, wenn nicht plötzlich dieser „Schutzengel“ aufgetaucht wäre. Mehr noch als gestern war er überzeugt, sich das alles nicht eingebildet zu haben. Diese Frau war da gewesen, sie hatte Bella wie auch immer aus dem Wasser geholt und vielleicht hatte sie auch ihn selbst vor schlimmerem bewahrt. Nur wie sollte er das alles Celia erklären, wenn er selbst nicht konnte.
    [FONT=&quot]„Gar nicht!“ hörte er ihre Stimme in seinem Kopf und fühlte gleichzeitig, wie sie nach seiner Hand griff und sie fest drückte. Doch es war ihm nicht bewusst, seine Gedanken laut ausgesprochen zu haben. Ohne den Kopf zu drehen schielte er von der Seite zu ihr hinüber. Ruhig und abwartend stand sie neben ihm, die Augen genau auf den alten Baum gerichtet. Wenn er es nicht besser wüsste, er hätte geschworen, sie würde jetzt und hier genau das sehen, was er letzte Nacht gesehen hatte.



    [/FONT][FONT=&quot]Und damit hatte er gar nicht so unrecht. Als er mit ihr durch die Pforte ging und ihr dabei erzählte, wie Bella seiner Meinung nach gerettet worden war, konnte sie das Geschehen vor sich sehen, als wäre sie dabei gewesen, als würde sie die Bilder direkt aus seinem Kopf empfangen. Sie sah Bella, die gerade wieder zu sich zu kommen schien und Nick, der sich nicht entscheiden konnte, worauf er seine Aufmerksamkeit richten sollte, auf seine Schwester oder auf die Frau, die gerade hinter den Bäumen verschwand. Celia dagegen konzentrierte sich vollständig auf sie. Für einen Moment dachte sie, sich selbst dort stehen zu sehen, so vertraut schien ihr die Gestalt zu sein. Natürlich war das vollkommen unmöglich, dennoch, zum erstenmal seit ihrem Unfall sah sie jemanden, von dem sie mit absoluter Gewissheit sagen konnte, das er zu ihrer Vergangenheit gehörte. Dumm nur, dass dieser jemand kein Mensch zu sein schien und sie es deshalb Nick nicht sagen konnte.



    [/FONT] „Es könnte doch wirklich ein Engel gewesen sein.“ meinte sie daher nur mit einem schüchternen Lächeln, als er mit seinem stockenden Bericht zuende war und sie mit einem Blick ansah, der sie regelrecht anzuflehen schien, ihn nicht für verrückt zu erklären. Wie gewünscht, atmete er auf und zog sie dankbar in seine Arme.
    „Möglich, ja, allerdings habe ich mir einen Engel immer anders vorgestellt, so mit Heiligenschein und großen Flügeln.“
    „Womöglich hast du die Flügel nur nicht gesehen. Vielleicht kann man sie nur sehen, wenn sie es wollen.“ Ein eigenartiger Unterton lag in ihrer Stimme, ganz so, als wäre sie sich dessen ganz sicher. Und während Nick ihr forschend in die Augen sah, fühlte Celia auf einmal, dass sie tatsächlich sicher war, diese Frau besaß Flügel, wunderschöne hell leuchtende Flügel. Das Gold ihrer Haare umrahmte ihr Gesicht wie ein Heiligenschein und in ihren Augen vereinte sich die Tiefe des Ozeans mit dem dunklen Grün der Wälder. Genauso wie in Nicks.



    +

  • Währenddessen:



    Bella hatte mit Genuss das dicke Spezialsandwich verspeist, das Nick ihr aufs Zimmer gebracht hatte und sich den Computer angeschalten. Den ganzen Tag im Bett zu verbringen, war eine absolut öde Vorstellung! Wie konnte Nick nur so etwas von ihr verlangen. Er war doch sonst ein so gutmütiger Kerl, den sie, wenn sie es wollte, um den kleinen Finger wickeln konnte, nur in dieser Sache schien er absolut keinen Spaß zu verstehen. Wenn sie also wollte, dass er weiterhin auf ihrer Seite stand, würde ihr wohl nichts weiter übrig bleiben, als sich an seine Anweisungen zu halten, so gut es eben ging. Nur warum unbedingt im Bett? Was sollte sie da machen?
    Der Türknauf drehte sich. Auch das noch. Bella klappte den Bildschirm runter, sprang ins Bett, schnappte sich das Buch auf ihrem Nachttisch und schlug es wahllos auf irgendeiner Seite auf. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Mutter das Zimmer betrat.
    [FONT=&quot]„Guten Morgen, Arabella!“



    [/FONT] „Wie geht es dir, mein Schatz?“ fragte sie, während sie sich zu ihr hinunter beugte, um ihr die Stirn zu befühlen.
    „Gut, Mum! Ich habe kein Fieber.“ antwortete sie leicht genervt, ohne den Blick vom Buch zu heben. Sollte Ihre Mutter ruhig merken, dass sie immer noch sauer auf sie war. Statt ihr nun aber eine Strafpredigt über den unangemessenen Ton zu halten, wie sie es sonst zu tun pflegte, beugte sich Catherine noch weiter nach vorn und betrachtete interessiert den Einband des Buches.
    „Was liest du denn da?“ fragte sie und zog gleichzeitig die Bettdecke unter Bella glatt.
    Sie wusste genau, was ihrer Tochter auf der Seele lag und vielleicht hatte Nicolas recht. Sie würde mit ihm darüber reden müssen. Mein Gott, wo war die Zeit geblieben, das Kind wurde erwachsen, viel zu schnell für ihren Geschmack.
    „Jane Austen, Mum!“ Bella verzog das Gesicht. „Hast du mir doch selber in die Hand gedrückt.“
    „Und? Ist es interessant?“
    [FONT=&quot]„Geht so.“



    [/FONT] Catherine unterdrückte nur mit Mühe ein Schmunzeln.
    „Ah ja,“ sagte sie dann „und wo bist du gerade?“
    „Mum!“ Stöhnend sah Bella von dem Buch auf. „Reicht es nicht, dass ich es lese, muss ich dir jetzt auch noch eine Beschreibung abliefern?“
    „Aber nein, ganz und gar nicht.“ Catherine strich ihrer Tochter sacht eine Strähne aus dem Gesicht, bevor sie sich aufrichtete. „Ich dachte nur gerade, wie schwer es doch sein muss, die Buchstaben auf dem Kopf zu lesen. Bestimmt wäre es einfacher, wenn du das Buch richtig rum hältst.“
    Bella schluckte. „So ein Mist!“ Wieso musste sie immer so genau hinsehen. Dabei hatte sie gehofft, es würde ihr nicht auffallen. Seltsamerweise schimpfte sie noch immer nicht.
    [FONT=&quot]„Benutz das Haustelefon, wenn du etwas brauchst, mein Schatz.“ sagte Catherine stattdessen und verließ lachend das Zimmer.



    [/FONT]Noch immer lachend betrat sie den großen Saal des Hauses. Nun, ja, Saal wäre vielleicht zuviel gesagt, doch es war unzweifelhaft der größte Raum, der sich mit seinen Nischen über die gesamte Grundfläche des Hauses erstreckte. Normalerweise mied sie diesen Raum, obwohl er für sie nur mit Erinnerungen der schönsten Art angefüllt war. Doch eben deshalb schmerzte es sie auch so. Hier hatten ihre Eltern, zähneknirschend, auf ihren Wunsch hin, das große Bankett ausgerichtet anlässlich ihrer Hochzeit mit Frances. Die ganze Nacht hatten sie durchtanzt, selbst als die anderen Gäste alle längst verschwunden waren. Wie sehr hatte sie es genossen, in seinen Armen durch den Raum zu wirbeln. Frances war ein fantastischer Tänzer gewesen. Wenn sie in sich hinein hörte, konnte sie noch immer die Klänge ihres Brautwalzers vernehmen. [FONT=&quot]Wie glücklich war sie doch einmal gewesen. Nein, sie durfte nicht ungerecht sein, sie war es immer noch.



    [/FONT] Und deshalb hatte sie entschieden, diese für ihre Familie so wichtige Dinnerparty hier stattfinden zu lassen. Sie hoffte, die Atmosphäre und der Zauber, den dieser Raum einst auf sie ausgeübt hatte, würden auch bei ihrem Sohn ihre Wirkung nicht verfehlen.
    Sie hatte Tische und Stühle von Blandfort Manor herbringen lassen und persönlich die Arrangements überwacht. Jetzt musste sie sich nur noch einmal abschließend über die Sitzordnung Gedanken machen. Nicks seltsame Anwandlung, diesen unbekannten Niemand einzuladen, brachte ihr sorgsam zusammengestelltes Gefüge vollkommen durcheinander. Wo sollte sie diese Person nur platzieren, wenn es ihr nicht in letzter Minute gelang, es Nick auszureden? Sie konnte doch unmöglich einen ihrer alten Freunde ihretwegen vor den Kopf stoßen.
    [FONT=&quot]Hmh, was für eine verzwickte Angelegenheit! Wenn sie sich doch nur besser konzentrieren könnte!



    [/FONT][FONT=&quot]Aber an diesem Morgen war das leichter gesagt als getan. Der Schock der vergangenen Nacht saß ihr noch immer in den Gliedern. Wenn sie vom Fenster aus in den Garten blickte, hinunter zum Pool, lief es ihr immer wieder kalt den Rücken herunter. Dieser verfluchte Pool! Schon das zweite Mal, dass er versuchte, ihr eines ihrer Kinder zu nehmen. Und immer dann, wenn sie nicht anwesend war. Seit ihrer Rückkehr nach Blandfort Manor hatte sie die Erinnerung an Nicks Unfall erfolgreich verdrängt. Jetzt sah sie das Bild wieder vor sich. Wie sie nach Hause gekommen war und Frances ihr tropfnass und totenbleich entgegenhastete, auf dem Arm ihren bewusstlosen Sohn. Die bangen Stunden im Krankenhaus, vor dem OP, Frances, der immer wieder aufsprang, hin und herlief und sich die wildesten Vorwürfe machte und ihre eiserne Ruhe nicht verstand. Dabei waren es nur blankes Entsetzen und furchtbare Angst gewesen, die sie regelrecht auf ihren Stuhl klebten, ihre anerzogene Selbstbeherrschung, die sie nicht den Verstand verlieren ließ, auch nicht während der drei grausamen Wochen, die ihr Sohn im Koma gelegen hatte.



    [/FONT] Nicht im Traum wäre ihr in den Sinn gekommen, ihren Mann für Nicks Unfall verantwortlich zu machen. Der Junge war ein ziemlich wildes Kind gewesen, unruhig und unbelehrbar. Kein Risiko schien ihm zu hoch zu sein. Daran konnte nicht einmal der Unfall etwas ändern. Nachdem sie ihn trotz des Verbotes wieder im Pool erwischt hatte (wollte dieser Dummkopf doch tatsächlich einen Kopfsprung vom Brett ausführen, weil sein Vater stolz auf ihn sein sollte!), da war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihn fortzubringen. Zu eindeutig waren die Warnungen der Ärzte gewesen. Gott, diese endlosen Diskussionen mit Frances, der nicht begreifen wollte, dass es an ihnen war, den Jungen vor sich selbst zu schützen!
    [FONT=&quot]Erst der so unerwartet frühe Tod seines Vaters hatten Nick verändert, ruhig werden lassen, zu ruhig vielleicht. Sein ganzes weiteres Leben war nur noch geprägt von selbstgewählter Verantwortung und Pflicht, ihr und Bella gegenüber und für seine Arbeit. War ihr Junge glücklich? Cressida sagte, nein.



    [/FONT] Catherine zuckte zusammen und spähte erneut zum Fenster hinaus. Was war denn das?
    Sie schon wieder, dachte sie, nachdem sie das Mädchen erkannt hatte, das ihr Sohn dort am Pool erst in seine Arme nahm und dann küsste. Hatte sie ihre Ahnung also gestern nicht getrogen, Nick war tatsächlich verliebt. Verliebt in diese Frau. Arme Caroline. Wie hatte sie sich nur in seinen Gefühlen so täuschen können. Catherine konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine ähnliche Situation zwischen Nick und ihrer Wunschschwiegertochter beobachtet zu haben. Selbst Bella gegenüber benahm er sich unbefangener und zärtlicher.
    Catherine zog sich vom Fenster zurück und eilte die Treppe hinunter.




    +


  • [FONT=&amp]Jetzt galt es einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie musste umgehend herausfinden, wer dieses Mädchen eigentlich war, notfalls mit Hilfe eines Privatdetektivs. Und sie musste sich eingehender mit ihr unterhalten. Sollte sie sich wider Erwarten doch als passend herausstellen, würde sie Nick den Weg freimachen, mit Carolines Eltern könnte sie relativ leicht fertig werden. Gesellschaftlich hatte sie von den beiden ohnehin nichts zu befürchten, vor allem jetzt nicht, wo sie in kürzester Zeit nicht mehr nur Mrs Blandfort, sondern die Countess of Carver sein würde. Sie verzog den Mund. Zwar hatten die alten Adelstitel nicht nur in Amerika längst an Bedeutung verloren, dennoch würde sie der neue Rang in Verbindung mit ihrem Vermögen weit über jeden in ihrem Freundeskreis stellen. Niemand durfte es dann auch nur wagen, ihr Schwierigkeiten zu machen! Allerdings würde sie ihre Position auch keiner unwürdigen Person überlassen. Auch das galt es Nicolas unmissverständlich klar zu machen. Vielleicht wurde es wirklich an der Zeit, dass sie ihm von dem Brief der Anwälte erzählte, vielleicht würde er dann verstehen. Vielleicht!



    [/FONT] Sie blieb mit gekreuzten Armen am Fuß der Treppe stehen und wartete auf die beiden. Glücklicherweise betrat das Mädchen zunächst allein das Wohnzimmer und erschrak nicht wenig, als Catherine plötzlich hervortrat und sie ansprach.
    „Guten Tag, Miss Moreau.“ Sie wählte einen höflichen, wenn auch nicht gerade freundlichen Ton, um den Eindringling in ihre Familie zu begrüßen.
    „Guten Tag, Mrs Blandfort!“ grüßte Celia leicht verunsichert zurück. „Ich, ..., Nick, Nicolas hat mir von dem Unfall berichtet, er kommt ... auch gleich, ...ich... wollte ... Ihre Tochter ... kurz besuchen. Sie darf doch.... Besuche empfangen?“
    [FONT=&amp]„Natürlich, sehr freundlich, Miss. Ich wusste allerdings nicht, dass sie Arabella bereits kennen.“



    [/FONT] Catherine kam langsam auf sie zu, ging um sie herum und Celia fühlte sich, als würde sie von einem Löwen umschlichen, der sich jeden Moment auf seine Beute zu stürzen gedachte.
    „Kennen wäre das falsche Wort, ... Mrs Blandfort!“ versuchte sie zu erklären, während sie ihr durch eigene Drehung zu folgen versuchte. „Wir sind uns gestern nur kurz begegnet, hier vor dem Haus, als sie zur Schule ging.“
    [FONT=&amp]„Ah ja.“ Es schien sie nicht wirklich zu interessieren, stattdessen blieb sie endlich stehen und musterte Celia aufmerksam von oben bis unten. Ihr Blick glitt von den Schuhen über Rock und Shirt hinauf zu ihren Haaren, wo er hängen blieb. Für den Bruchteil einer Sekunde glitt ein abschätziger Ausdruck über Catherine Blandforts Gesicht, dann hatte sie sich sofort in der Gewalt. Um ihre Frisur hatte sich Celia nie Gedanken gemacht, sie war nun mal so! Aber hier, vor Nicks Mutter schämte Celia sich ein wenig für ihre schlecht geschnittenen, ewig zerzausten, ja leicht zotteligen Haare. Vor allem wenn sie diese mit dem perfekt gepflegten, in glänzenden schwarzen Wellen liegendem Haar ihres Gegenübers verglich.



    [/FONT] „Nun, Miss Moreau, bevor Sie zu meiner Tochter hinauf gehen, ein Wort noch, wenn Sie gestatten.“ Sie wartete Celias Zustimmung gar nicht ab. Dass man ihr einen Wunsch abschlagen könnte, zog sie nicht einmal in Betracht.
    „Da sich zwischen Ihnen und meinem Sohn eine gewisse Beziehung entwickelt zu haben scheint...“
    „Mrs Blandfort ....“Celia kam nicht weit, sondern erntete sofort einen hochmütigen Blick, der sie auf der Stelle verstummen ließ.
    „Lassen Sie mich bitte ausreden!“ verlangte Catherine, bevor sie fortfuhr. „Da es nun mal so ist, wäre es sicher angebracht, wenn wir uns ebenfalls etwas näher kennen lernen würden. Und das möglichst noch vor dem Dinner. Ich wüsste sonst gar nicht, wen ich Ihnen als Tischherrn zuweisen sollte.“
    [FONT=&amp]„Tischherrn?“ Celia sah nicht nur verwirrt aus, sie war es auch. „Wozu brauche ich denn einen Tischherrn?“



    [/FONT] Catherine atmete tief durch. Das konnte ja heiter werden. Das Mädchen hatte ja keinerlei Ahnung von den gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Hoffentlich wiesen ihre Manieren nicht die gleichen Mängel auf.
    „Nun, meine Liebe.“ belehrte sie Celia in leicht herablassendem Ton. „Bei einem solchen Dinner bekommt jede Dame einen Tischherrn, der sie zu Tisch führt und für ihre Unterhaltung sorgt. Auf diese Weise wird niemand ausgeschlossen. Wir halten in unserer Familie sehr auf die alten Traditionen, das hat Ihnen Nicolas sicher schon gesagt.“
    Da es von ihr erwartet wurde, nickte Celia mechanisch. Anders als am gestrigen Tag, wo sie sich hatte sammeln können, fühlte sie sich heute restlos überrumpelt von dieser resoluten Frau, Was wollte sie nur von ihr? Und was sollte diese „meine Liebe“, wo sie doch Catherines Ablehnung deutlich spüren konnte.
    [FONT=&amp]„Vielleicht meine Liebe“, da war es schon wieder, „sollten wir uns beide in Ruhe darüber unterhalten, bei einer Tasse Tee zum Beispiel. Was halten Sie davon, mich in Blandfort Manor zu besuchen, sagen wir morgen Nachmittag?“



    [/FONT] Celia kam gar nicht mehr dazu, ihrer Verwunderung Ausdruck zu verleihen, anzunehmen oder abzulehnen, denn Catherines Augen weiteten sich plötzlich und sie fuhren beide herum, als hinter ihnen jemand fragte:
    „Störe ich?“ Nick war ziemlich beunruhigt, als er seine Mutter mit Celia allein sprechen sah. Er hätte damit rechnen müssen, dass es sie nicht lange in ihrem Bett hielt. Wie machte sie das nur, trotz des Stress und so früh am Morgen derart perfekt auszusehen, während es ihm gerade mal gelungen war, schnell unter die Dusche zu springen und sich etwas anderes anzuziehen, bevor er Bella ihr Frühstück brachte? „Nun?“ wiederholte er seine Frage, als keine der Frauen Anstalten machte, seine Frage zu beantworten.
    „Oh nein, ganz und gar nicht.“ Catherine lächelte erst ihn und dann Celia strahlend an. „Ich habe Miss Moreau nur begrüßt und wollte sie gerade zu Bella hinaufgeleiten, aber das kannst du ja jetzt übernehmen. Miss Moreau!“ Sie nickte Celia zu, bevor sie beide einfach stehen ließ und in die Küche ging.




    +++

  • ***



    Celia kehrte erst gegen Mittag nach Hause zurück. Zwar hatte Nick nach dem Besuch bei seiner Schwester partout darauf bestehen wollen, dass sie zum Lunch blieb, doch die Aussicht, schon heute mit Catherine Blandfort an einem Tisch zu sitzen und von ihr nicht nur beobachtet, sondern auch beurteilt zu werden, erschien ihr nicht besonders reizvoll. Es brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie genüsslich diese Frau die Chance nutzen würde, sie nach allen Regeln der Kunst auszufragen. Doch was hätte sie ihr antworten sollen? „Verzeihen Sie, Madam, aber ich weiß rein gar nichts über mich.“? Selbst Nicolas hatte einsehen müssen, dass er ihnen beiden damit keinen Gefallen tat.
    [FONT=&amp]Daher hatte Celia sich nach dem Besuch bei Bella höflich, aber distanziert von seiner Mutter verabschiedet, die sie mit einem bezeichnenden Blick und ohne dass Nick etwas davon bemerkte, an ihre Verabredung erinnerte.



    [/FONT] Die Frau gab ihr Rätsel auf. Erst diese unverhohlene, fast schon verächtliche Ablehnung und jetzt ihre Einladung, von der sie nicht recht wusste, ob sie diese tatsächlich annehmen sollte. Genauso wie sie sich noch nicht entschieden hatte, Nick zu dieser merkwürdigen Party zu begleiten. Nach Catherines Worten zu schließen, schien das eine sehr formelle und wie Bella es ausgedrückt hatte, schrecklich steife Angelegenheit zu werden.
    Bella! Sie war ein so liebenswertes Mädchen, das man sofort ins Herz schließen musste. Und wie es schien, beruhte das sogar auf Gegenseitigkeit. Sie hatten Nick hinaus geschickt und sich über eine Stunde miteinander unterhalten. Ganz glücklich über die Abwechslung machte Bella es sich zur Aufgabe, ihr genüsslich all die kleinen und großen Schandtaten ihres Bruders zu erzählen, von denen sie wusste (dabei waren das nicht so viele, wie sie es gern hätte) und so gab es viel und herzlich zu lachen.
    [FONT=&amp]Ja, Bella schien hocherfreut zu sein über die Wahl ihres Bruders und betrachtete sie beinahe schon als Schwester. Ganz anders dagegen ihre Mutter.



    [/FONT] Celia ging hinauf in ihr Zimmer und blieb nachdenklich vor dem Spiegel stehen. Das also hatte Catherine bei ihrer Musterung gesehen! Kein Wunder, dass sie von ihr nicht begeistert war. Einem Vergleich mit Caroline Vandermere konnte sie unmöglich standhalten.
    Unwillig zupfte sie an ihren Strähnen herum. Wann und vor allem warum war sie nur auf die Idee gekommen, sich die Haare derart schneiden zu lassen?
    Ein Bild tauchte aus den Tiefen ihres Gedächtnisses auf, eine Schere blitzte auf, lange dunkle Strähnen fielen eine nach der anderen zu Boden, Tränen tropften darauf. Die Hand, welche diese Schere führte, das wusste sie auf einmal wieder, war ihre eigene. Und sie war es auch, die weinte.
    „Wieso?“ Celia blickte ihr Spiegelbild an, als könne ihr dies eine Antwort geben. „Warum hast du das getan?“
    [FONT=&amp]„Um uns zu befreien.“



    [/FONT] Celia zuckte zurück. Der Spiegel war angelaufen, ihr Bild verschwommen, nur der Kopf, ihr Kopf schob sich langsam über die glatte Oberfläche hinaus. „Warst du das eben?“ flüsterte sie atemlos und der Spiegelkopf nickte. „Aber das ist unmöglich!“
    „Warum denn? Du glaubst doch auch daran, dass diese Frau mit den Flügeln existiert, warum dann nicht ich?“
    „Woher weißt du davon?“ Celia flüsterte noch immer, als fürchte sie, jemand könne sie in dem leeren Haus hören. Der Kopf lachte leise.
    „Ich bin du. Und du bist ich. Wir sind eins.“ Ungläubig schüttelte Celia den Kopf, um die Halluzination zu vertreiben, ohne Erfolg.
    „Es wird Zeit. Geh und finde die Antworten auf deine Fragen, bevor es zu spät ist.“ Celia riss die Augen womöglich noch weiter auf und ihr Bild machte dasselbe.
    „Was meinst du mit zu spät? Und welche Fragen?“
    „Das weißt du doch längst!“
    [FONT=&amp]„Aber...!“



    [/FONT] Stille!
    Celia tippte vorsichtig mit dem Finger in den Spiegel, ihr Ebenbild tat es ihr gleich. Sie zog den Kopf zurück, der andere entfernte sich ebenfalls. Wie es ein Spiegelbild nun einmal tun würde, nicht mehr und nicht weniger!
    „Hörst du mich noch?“ fragte Celia dennoch und ließ den Blick gespannt auf ihrem Abbild ruhen. Doch der Spiegel gab keine Antwort.
    „Ach du liebe Güte, was mach ich denn hier?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist doch .... verrückt! Ja, einfach nur verrückt!“ Sie redete mit sich selbst. Sie führte nicht einfach Selbstgespräche, oh nein! Sie redete mit ihrem Spiegel und .... der antwortete ihr! Jedenfalls glaubte sie das! Selbst Nick würde das einfach nur...verrückt nennen!
    [FONT=&amp]„Erzähl das bloß niemandem“, ermahnte sie sich selbst und seufzte. Als ob sie nicht andere Probleme hätte!



    [/FONT] Zum Beispiel etwas Passendes zum Anziehen zu finden, sowohl für Catherine’s Teaparty als auch für das Grand Dinner. „Abendkleid!“ hatte Bella gesagt und dabei die Augen verdreht. Ihr gefiel dieser Kleiderzwang offensichtlich genauso wenig wie Celia selbst. Nur musste sie sich nicht fragen, ob sie so etwas auch besaß! Entnervt öffnete Celia die Schranktür und durchstöberte ihre Sachen.
    Schon an anderen Tagen war ihr aufgefallen, wie bunt durcheinander gewirbelt ihre Kollektion schien, Farben, Muster, Schnitte, von jedem etwas. Nichts davon ließ auf einen bestimmten Stil schließen, oder auf Stil überhaupt! Was für einen merkwürdigen Geschmack hatte sie vor ihrem Unfall besessen! Und wie sehr hatte er sich inzwischen geändert! Völlig entmutigt ließ sie die Arme sinken. In diesem Schrank fand sich wirklich alles, was man so brauchte – oder auch nicht -, .... nur kein Abendkleid!
    „Toll!“ dachte sie und zog ein gelbes Kleid heraus. Es war recht hübsch, aber wohl leider nicht das richtige für diesen Anlass. Allerdings – sie hielt es vor sich und, nach einem kurzen argwöhnischen Blick betrachtete sie sich damit im Spiegel – ja, es war hübsch genug für den Augenblick.




    +


  • Kurz entschlossen streifte sie es über und ging nach draußen. Irgendwo im Regal müsste doch ein Modekatalog liegen. Bella, die es cool fand, um Rat gebeten zu werden, hatte gemeint, jede Frau müsste so etwas wenigstens für Anregungen (die Celia jetzt dringend brauchte) zuhause haben, selbst wenn man in den Kreisen ihrer Mutter natürlich nur in Designerläden kaufte. Das allerdings würde Mara vermutlich nicht tun, nicht weil ihr das Geld fehlt, denn daran schien sie nie auch nur einen Gedanken zu verschwenden, sie legte einfach keinen besonderen Wert auf ihr Äußeres. „Und ich wohl auch nicht!“ fügte Celia im Gedanken an ihr Kleiderchaos hinzu.
    Suchend glitt ihr Blick über die Bücher des Regals. Nein, da war nichts, was irgendwie nach Mode aussah. Aber es gab ein paar andere interessante Sachen, mit denen sie sich ablenken konnte. Sie griff nach einem Buch mit rotem Einband und dem romantischen Titel: Sommerliebe. „Das wäre doch was für eine ruhige unbeschwerte Stunde!“ Sie sehnte sich nach ein paar Augenblicken ohne Schwermut, ohne Zweifel an allem und jedem, ohne quälende Fragen nach ihrem eigenen Ich. Doch als sie es aufschlug, fand sie nur leere Seiten! Irritiert klappte sie es wieder zu und griff nach einem anderen. Wieder das Gleiche, nichts als leere Seiten. Was waren das für eigenartige Bücher?!
    [FONT=&quot]Aber vielleicht hatte Mara ja so etwas Ähnliches wie einen Katalog in ihrem Zimmer!



    [/FONT][FONT=&quot]Celia lief zu Maras Tür, öffnete sie und hielt inne. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass es Mara ganz und gar nicht recht war, dass jemand ihr persönliches Reich betrat, wenn sie sich nicht im Haus befand. Warum konnte Celia allerdings nie so recht verstehen. In diesem Zimmer gab es nichts, was andere nicht sehen sollten, nichts Geheimnisvolles, nicht einmal etwas, das auf irgendeine Weise auf den Besitzer schließen ließ. Absolut gar nichts Persönliches. Keine Fotografie (wie auch im ganzen Haus nicht), keine Andenken, kein Wäschestück, nichts. Und auch in ihrem Bücherregal standen lediglich zwei Ratgeber - Wie führe ich erfolgreich meinen Haushalt? (Was???) und das Kochbuch, in dem sie gestern gelesen hatte. Kein Roman, kein Gedicht- oder Fotoband, wie sie in Nicks Regalen standen, kein einziges Fachbuch zur Archäologie oder Geschichte. Wie und mit was arbeitete Mara? Von einem Büro oder ähnlichem in der Stadt war nie die Rede gewesen.



    [/FONT] Die Sache kam Celia immer merkwürdiger vor. Vor allem weil Mara ihren diesbezüglichen Fragen in der Vergangenheit stets so erfolgreich ausgewichen war. Nun, dies war ihre Gelegenheit, wenn sie der Sache auf den Grund gehen und sich hier weiter umsehen wollte. Das musste sie einfach ausnutzen!
    [FONT=&quot]Gleich neben ihr an der Tür stand Maras Kleiderschrank. Ein guter Anfang. Sie öffnete die Türen und stutzte schon wieder. Hatte sie sich bei ihrem Schrank noch über das kunterbunte Durcheinander gewundert, so fand sie jetzt das genaue Gegenteil vor. Hier herrschte beinahe gähnende Leere. Zwei einfache Kleidersäcke hingen an der Stange, auf dem Boden lagen eine Hose und zwei Shirts sorgfältig zusammengelegt. Das sollte alles sein, was ihre Freundin an Kleidern besaß? Das konnte gar nicht sein, denn auch Mara wechselte täglich ihre Sachen. Nur, wo bewahrte sie die auf, wenn nicht in ihrem Schrank? Fragen über Fragen und keine Antworten! Irgendetwas stimmte hier nicht! Ganz und gar nicht!



    [/FONT] In immer größer werdender Hast begann sie systematisch das Zimmer zu durchsuchen, riss Schranktüren und Schubladen auf, selbst unter dem Bett sah sie nach. Aber sie fand überall .... nichts.
    Nicht einmal ein Staubkorn. Alles wirkte peinlich sauber und ... unbewohnt. In den Einschüben des Schreibtisches entdeckte sie nicht einmal ein Blatt Papier oder einen Bleistift.
    Was mochte das nur bedeuten? Mara hatte doch erzählt, sie habe das Haus schon vor Jahren gekauft. Da hätte sich im Laufe der Zeit so manches ansammeln müssen.
    [FONT=&quot]Sie stand auf und lief durch das ganze Haus, Raum für Raum bot das gleiche Bild. Alle Möbel, die man brauchte, waren vorhanden, doch die meisten Schränke waren leer, ganz so als sei dieses „Heim“ ganz auf die Schnelle hergerichtet worden. Für sie?



    [/FONT] Es hielt sie nicht mehr in dem mysteriösen Haus. Sie brauchte frische Luft, denn sie hatte das Gefühl, jeden Moment zu ersticken. Am liebsten wäre sie sofort wieder zu Nick gefahren , um sich von ihm ihre Ängste und Zweifel zerstreuen zu lassen. Aber könnte er all diese Merkwürdigkeiten wirklich erklären? Und dann hatte er genug zu tun mit sich und Bella und seiner Mutter, die ihm sicherlich im Nacken saß, um ihn auszufragen.
    [FONT=&quot]Also ging sie stattdessen in den Garten, wo sie sich trotz der Erinnerung an die furchtbare Stimme, die sie hier gehört hatte, stets leichter und freier fühlte. Sie wanderte ein paar Minuten durch das Gras, das wild und ungeschnitten auf dem unplanierten Boden wuchs. Seltsam, dass es ihr nicht früher aufgefallen war, aber auch hier hatte alles den Anschein, als wäre es nicht fertig geworden. Der kleine aber tiefe Teich war nur zur Hälfte bepflanzt, es gab keine Blumenrabatten, keine Wege. Eine Gartenschaukel stand im Schatten einer Weide und hier und da reckte sich eine vereinzelte Blume der Sonne entgegen.



    [/FONT][FONT=&quot]Celia kletterte nach unten zu ihrem Lieblingsplatz, der Denkerecke am Rand des kleinen Weihers, setzte sich und ließ die Beine über der Wasseroberfläche baumeln. Abgelenkt durch ihre zart knospende Liebe zu Nick hatte sie sich lange geweigert, all die Ungereimtheiten bewusst wahrzunehmen, vielleicht zu lange. Für eine Freundin unternahm Mara viel zu wenig, um ihr dabei zu helfen, ihre Vergangenheit zu erforschen. Im Gegenteil. Sie schien alles daran zu setzen, sie von ihrer Suche abzubringen. Warum nur? Langsam begann sie zu glauben, dass Mara mehr, sehr viel mehr wusste, über sie wusste, aber es aus unerfindlichen Gründen für sich behielt. Und es schien ihr sehr recht zu sein, dass sie sich nicht erinnerte. Aber warum bloß? Was hatte Mara davon, wenn ihre Amnesie anhielt? Es konnte nicht um Geld gehen, doch worum dann? Warum gab sich jemand wie Mara soviel Mühe, für sie eine solche Illusion zu erschaffen, und eine Illusion musste all das hier sein, eine andere Erklärung konnte es hierfür kaum geben. Ein abenteuerlicher, furchtbarer Verdacht kam in ihr auf. Gehörte Nick etwa zu dieser Illusion dazu?



    [/FONT] „Hallo schöne Frau!“ Eine freundliche Männerstimme durchbrach die zunehmend drückend werdende Stille. Celia blickte auf und sah einen Mann am oberen Rand des Weihers stehen, der sie entschuldigend anlächelte. „Die Vordertür stand offen, ich habe geklingelt und gerufen, und weil keine Antwort kam, hab ich mir Sorgen gemacht. Alles in Ordnung mit Ihnen?“
    „Ja, danke, Mr ...!“ antwortete Celia und suchte verlegen in ihrem Gedächtnis nach dem Namen des Mannes, sicher ihn nach dem Unfall schon gesehen zu haben. „Ähm ….Mr Andrews?” Erleichtert sah sie ihn nicken.
    „Damien, bitte nennen Sie mich doch Damien!“




    +++

  • ***



    [FONT=&quot]Währenddessen wanderte Reshanne unruhig durch den Ratstempel, den Blick immer wieder hinauf in die Weiten des Himmels gerichtet, als fände sie dort Rat und Hilfe all jener, die vor ihr auf diesem Thron gesessen hatten. Doch das Universum schwieg. Und sie musste allein eine Lösung für ihr Dilemma finden. Sie war die Lenkerin, die Hüterin, die Mutter aller Geschöpfe. Wenn ihr das Rauschen und Zischen der hohen Fontainen am Eingang zuviel wurde, genügte eine einzige Handbewegung von ihr, um das Wasser in der Luft erstarren zu lassen. Ein Gedanke reichte, und aus Tag wurde Nacht, ein Wort von ihr veränderte die ganze Welt. Und dennoch, trotz oder gerade wegen dieser Macht fühlte sie sich verunsichert und einsam. Dabei hatte Reshanne diese Macht gar nicht gewollt. Sie war ihr aufgedrängt worden, von ihr, deren Namen man selbst jetzt noch nur ehrfürchtig flüsterte, der großen Melynne.



    [/FONT] Sie war älter als jeder andere Elo-i, eine ganze Generation lag zwischen ihr und den anderen. Jeder vertraute ihrer Weisheit. Bevor sie, die Herrscherin ihre letzte Reise zu ihren Vorfahren antreten konnte, galt es, eine Nachfolgerin zu finden, die nicht nur aus der Herrscherlinie stammte, sondern auch von Geburt an über die nötigen Gaben verfügte. Keine leichte Aufgabe, die Anforderungen waren hoch, und es verwunderte niemanden, dass Melynne, die selbst keine Kinder besaß, so lange gezögert hatte, bis sie endlich eine Kandidatin bestimmte und zur Ausbildung in ihren Palast holte, eine Ausbildung, wie sie umfangreicher nicht sein konnte und viel Zeit in Anspruch nahm.
    [FONT=&quot]Gerade zu dieser Zeit übernahm Reshanne den Tempel der Ewigkeit von ihrer Mutter und später sollte sie in einer heiligen Zeremonie an deren Stelle in den Großen Rat eingeführt werden. Es hätte ein erhebender Augenblick sein sollen, der aber niemals kam. Denn eine furchtbare Katastrophe erschütterte die Grundfesten des Rates, die Auserwählte verschwand und auch der Ratsherr Varik kehrte dem Tempel sowie seinem Volk den Rücken.



    [/FONT] Und Melynne? Sie zog sich von der Welt zurück, für lange, lange Zeit, bis sie, ganz plötzlich nach ihr, Reshanne, schickte.
    [FONT=&quot]Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie mit unsicheren Schritten das Allerheiligste ihres Volkes betrat und den langen Weg zum Thron der Herrscherin zurücklegte. Kein anderes Mitglied des Rates war anwesend. Hoch aufgerichtet stand Melynne vor ihrem Sessel und sah auf sie hinunter, während Reshanne sich ehrerbietig vor ihr verneigte und sie mit zitternder Stimme ihrer Ergebenheit versicherte. Das Zittern rührte nicht so sehr von der ehrfurchtgebietenden Erhabenheit der Großen Halle her, als von der ungewöhnlichen Anwesenheit der Wächterin, die stumm und scheinbar gleichgültig zur Rechten des Thrones stand und sie dennoch offenkundig musterte. Wer hätte nicht vor ihr gezittert, dem strengen Arm der Gebieterin, dem einzig unverletzbaren Wesen, das allein die Macht besaß, ein Mitglied ihres Volkes zu töten, wenn die Herrin es befahl?



    [/FONT] Und dann sagte sie es, einfach so. Ganz beiläufig, als ginge es nur um eine neue Stellung an ihrem Hof, veränderte Melynne ihr Leben für immer und Reshanne riss erschrocken den Kopf nach oben.
    „Ich?“ stotterte sie ungläubig. „Ich soll Eure Nachfolgerin werden?“
    Die Herrscherin nickte ungerührt.
    „Aber wieso ich?“
    „Weil ich es so wünsche.“ Melynnes Stimme klang hart und unerbittlich. Aber Reshanne war von dieser Wendung zu überrascht, um darauf zu achten.
    [FONT=&quot]„Ich war doch gar nicht vorgesehen, Herrin, ich .... kann das nicht!“



    [/FONT] Melynne kam die Stufen herunter und blieb vor Reshanne stehen. Zum ersten Mal blickten ihre Augen voller Güte auf sie hinunter. Das arme Kind! Sie zitterte nicht zu unrecht, selbst wenn sie gar nicht wusste, nicht einmal ermessen konnte, was ihre Wahl wirklich bedeutete. Sie streckte ihre Hand aus, strich Reshanne beinahe zärtlich über die Wange und ließ es zu, dass sie ihre Hand umschloss und an ihr Herz drückte.
    „Keine Sorge, mein Kind! Niemand wird als Herrscherin geboren, ich genauso wenig wie du. Ich bin mir deiner Fähigkeiten sehr wohl bewusst, und sie sind absolut ausreichend. Was du sonst an Kräften benötigst, wird dir bei deiner Einsetzung von mir übereignet zusammen mit dem Wissen, das auch mir zur Verfügung steht. Glaube mir, wenn ich sage, du kannst es, dann ist es auch so!“
    [FONT=&quot]„Aber ich habe doch schon ein Amt, Gebieterin!“ wagte Reshanne vorsichtig einen erneuten Einwand. „Ich habe den Tempel meiner Mutter übernommen.“



    [/FONT] „Ich weiß.“ antwortete Melynne, wandte sich ab und begab sich zurück zu ihrem Sessel. „Jemand anderer wird ihn übernehmen.“
    „Es gibt doch niemanden mehr, nur mich. Ich bin zwar bereits verheiratet, doch ich habe noch kein Kind.“
    „Aber eine Schwester, deren Gaben beinahe genauso groß sind, wie die deinen.“
    Reshanne erbleichte. „Zaide? Das geht nicht, Herrin, verzeiht mir, doch es ist unmöglich, sie ist...., sie lebt bei den Menschen.“
    „Bei den Menschen!“ Melynne spuckte das Wort förmlich aus. „Sie hat dort nichts zu suchen, sie ist ohne meine Erlaubnis dort. Und sie wird gebraucht. Du wirst sie zurückrufen.“
    „Aber sie ... ist ... glücklich, sie ... ist.... verliebt!“ Reshanne flüsterte nur noch.
    „Denkst du, das weiß ich nicht längst.“ fuhr Melynne sie an, ohne sich zu ihr umzudrehen. „Es ist ohne Bedeutung. Noch ist sie eine Elo-i und wird tun, was ich, was du befiehlst.“




    +


  • Sie schnitt mit einer energischen Handbewegung jeden weiteren Widerspruch Reshannes ab, setzte sich und gab der noch immer regungslos verharrenden Wächterin einen Wink, worauf diese vortrat, sich erst vor Melynne verneigte und dann vor Reshanne niederkniete.
    „Ich bin Marhala, Hüterin der Großen Halle, Werkzeug und strafender Arm der Herrscherin. Dein Wille sei mein Gesetz, dein Wort mein Befehl. Ich werde dir dienen, wie deinen Vorgängern und deinen Nachfolgern, oh Erbin der Großen Mutter.“
    [FONT=&quot]Reshanne wusste nicht, ob und was sie auf diese zeremoniellen Worte erwidern sollte, doch Marhala schien das auch nicht zu erwarten, denn sie erhob sich und sah ihr für einen winzigen Augenblick nur in die Augen. Reshanne erschrak vor der Kälte, die ihr entgegenblitzte, Kälte und eine entsetzliche Leere. Hatte sie diese Worte auch vor der andern gesprochen? Und hatte sie diese dennoch später beseitigt, auf Melynnes Befehl? So manches Gerücht war ihr darüber zu Ohren gekommen, zu wenig, um sicher zu sein, doch genug, um dieses Geschöpf, über das sie nun gebieten sollte, mit Argwohn zu betrachten.



    [/FONT] „Du musst sie nicht fürchten, Reshanne, du nicht!“ versicherte ihr Melynne, als habe sie die Gedanken ihrer neuen Nachfolgerin erraten und befahl der Wächterin, die Halle zu verlassen.
    „Sie ist mir unheimlich!“ flüsterte Reshanne, da ihre Stimme ihr noch immer den Dienst verweigerte und erhielt ein leises, aber wenig freudvolles Lachen zur Antwort.
    „Auch mir erschien sie so bei meiner Ernennung. Aber genauso soll sie sein, unheimlich und furchterregend. Nur so kann sie ihre Aufgabe erfüllen.“
    „Bei Eurer Ernennung? Dann muss sie wirklich so alt sein, wie man sagt!“ Diesmal blickte Reshanne ihr beinahe ehrfürchtig nach.
    „Oh sie ist viel, viel älter. Sie war einmal die zweite Kandidatin für das Amt der Herrscherin neben meiner Mutter. Die beiden waren einander ebenbürtig in Herkunft und Macht. Aber es musste eine Wahl zwischen ihnen getroffen werden. Und diese Wahl fiel auf meine Mutter, die, um das Gleichgewicht zwischen den beiden großen Familien wiederherzustellen, Marhalas Bruder Zentos heiratete, meinen Vater.“
    [FONT=&quot]„Und Marhala? Wenn sie quasi Eure Tante ist und selbst Eure Schwestern längst hinübergegangen sind, wie ist sie, ich meine, wie konnte sie dann, so..., so...“



    [/FONT] „So alt werden?“ vollendete Melynne ihre Frage, während sie Reshanne winkte, ihr durch die Halle zu folgen. „Weil sie anders ist als wir. Ganz anders.“ Reshanne musste sie derart verwirrt angesehen haben, dass Melynne sich entgegen ihrer Absicht entschloss, ihr doch einiges über Marhala zu erzählen.
    „Es waren wohl keine leichten Zeiten damals“ sie seufzte kurz „zwar hatte man eine starke Herrscherin und in meiner Mutter eine ebenso starke Nachfolgerin, aber keine von ihnen konnte überall sein. Sie brauchten eine Verlängerung ihres Armes, ihres Willens. Und hier kam Marhala ins Spiel. Nachdem meine Mutter statt ihrer erwählt worden war, machte die alte Herrscherin Marhala, die sich ihr Leben lang vergeblich auf diese Aufgabe vorbereitet hatte, einen Vorschlag, den diese schließlich annahm, warum, weiß niemand, ich glaube, nicht einmal sie selbst kann sich noch daran erinnern. Ashani und Marhala verbanden sich vollständig miteinander, so etwas war vorher noch nie geschehen und kam auch nie wieder vor.“ Melynne hielt einen Moment inne, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen, dann schüttelte sie sich und fuhr fort. „Sie wurden vollkommen eins, bevor sich Marhala wieder von ihr abspaltete, nach außen hin ein eigenständiges Wesen ja, doch im Grunde nur eine weitere Erscheinungsform meiner Mutter. Fortan nannte man sie die Wächterin. Sie lebt durch die Kraft der Herrscherin, jede Nachfolgerin schenkt ihr neue Energie. Dadurch ist sie wahrhaft unsterblich.“



    „Aber sie wirkt so kalt, so teilnahmslos, als besäße sie gar keine Gefühle.“
    „Die hat sie auch nicht. Sie würden nur stören.“
    „Aber...“
    „Kein aber, Reshanne. Marhala ist, wie sie sein muss. Was Ashani damals brauchte war ein Werkzeug, kein Berater. Dafür hatte sie den Großen Rat. Nur weil die Wächterin nie, niemals eine Anweisung der Herrscherin in Frage stellen würde, genießt sie deren absolutes Vertrauen. Gefühle brächten das nur in Gefahr. Marhala wusste das und hat aus freien Stücken darauf verzichtet.“
    „Das hört sich, ..., grausam an.“
    [FONT=&quot]„Grausam?“ Melynne schien einen Moment zu überlegen, bevor sie vor dem Podest, welches sich ihrem Thron direkt gegenüber befand, stehen blieb und nickte. „Vielleicht, aber notwendig. Andernfalls gäbe es unsere Welt womöglich gar nicht mehr. Auch du wirst noch dankbar dafür sein, dass sie existiert, glaube mir.“ Sie verstummte abrupt und schien auf einmal mit ihren Gedanken weit fort zu sein.



    [/FONT] Reshanne wagte lange nicht, sie zu stören. Sie wusste durch ihre Mutter, wer einmal auf dem Stuhl, der nun verhangen war, Platz genommen hatte. Varik, der Verräter, wie er jetzt mit Abscheu und auch mit Furcht überall genannt wurde, auch wenn niemand so genau wusste, worin sein Verrat denn nun genau bestanden hatte. Die altehrwürdige Ordnung habe er ändern wollen, um selbst zu herrschen, war alles, was bekannt wurde.
    „Ich hätte ihm seinen Wunsch so gern erfüllt!“ sagte Melynne plötzlich leise und gab damit zu erkennen, dass sie Reshannes Gedanken sehr wohl empfangen hatte. „Und er besaß auch alle Voraussetzungen, mehr als jeder andere in seiner Generation. Doch das Gesetz ist unerbittlich, nur eine Frau darf das Erbe der Großen Mutter antreten. Ich hoffte, ihm würden die Möglichkeiten genügen, die ich ihm bot, als ich ihn in den Rat berief und ihn schließlich mit meiner Nachfolgerin verheiratete. Ja ich glaubte sogar daran, dass sie vielleicht gemeinsam regieren könnten, sie auf dem Thron und er im Hintergrund.“ Als sie sich umwandte, um Reshanne anzusehen, vermochte sie kurz den tiefen wilden Schmerz zu sehen, der im Innern der Herrscherin wütete, bevor sie sich wieder fing. „Ich hatte mich geirrt.“ konstatierte sie bitter. „Er wollte alles oder nichts.“
    [FONT=&quot]„Und seine Frau?“



    [/FONT] „Keyla? Sie war zu schwach, um gegen ihn anzukämpfen. Es war ein leichtes für ihn, sie auf seine Seite zu ziehen, zumal sie ihn liebte, über alle Maßen. Also tat sie, was immer er von ihr verlangte. Dieses dumme Ding, das keine Ahnung hatte, was sie damit anrichtete, wie gefährlich er war.“ Genausowenig wie ich, fügte sie im Stillen hinzu, bevor die neugierige Reshanne, die sich unverhofft bietende Chance nutzend, ihre nächste Frage stellte.
    „Was ist aus ihr geworden?“
    Melynne zuckte mit den Schultern. „Sie existiert nicht mehr, Keyla wurde bestraft, wie unsere Gesetze es verlangen!“ Melynnes melancholischer Anfall schien vorüber zu sein. Erneut winkte sie Reshanne ihr zu folgen und verließ die Große Halle.
    „Genug davon.“ wehrte sie gleichzeitig weitere Fragen ab und Reshanne seufzte. Es hätte sie brennend interessiert, warum mit Varik nicht ebenso verfahren worden war. Stattdessen erklärte Melynne recht energisch: „Es reicht, wenn du weißt, dass dieser Platz mit Verrat besudelt wurde. Er darf nie wieder besetzt werden. Am besten lässt du das Podest abreißen!“
    „Aber der Rat besteht aus sechs Mitgliedern.“ wandte Reshanne ein.
    „Jetzt nicht mehr. Dies ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Von nun ab werden nur noch fünf von uns im Rat sitzen. Und den Herrn der Finsternis lass der Vergessenheit anheim fallen.“




    +