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Nur langsam verzog sich der dichte Nebel und gab den Blick auf ein Mädchen frei, das still und verträumt auf der Erde saß. In den langen, das Gesicht umrahmenden Haaren glänzte ein Diadem, das weiße, von einem braunen, goldbestickten Mieder gehaltene Kleid verlieh ihr einen Hauch von Verletzlichkeit. Ihre blaugrünen Augen blickten abwesend, fast ein wenig traurig auf einen Punkt vor sich, den wohl nur sie sehen konnte.
Friedvolle Stille herrschte ringsum, bis sie von einer kristallklaren Stimme unterbrochen wurde.
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[/B]„Dachte ich es mir doch, dass ich dich hier finde!“ Leicht belustigt, doch mit liebevollem Blick betrachtete die Frau das am Boden sitzende Mädchen. „Alyssa und Semira haben dich im ganzen Tempel gesucht. Was machst du denn nur?“
„Ich seh mir die Sterne an!“ antwortete das Mädchen, der abwesende Blick verschwand, sie lehnte sich nach hinten, vergrub die Hände im weichen Gras und sah demonstrativ nach oben in den Himmel.
„Soso, die Sterne!“
„Ja! Findest du nicht auch, dass sie wunderschön sind? Schön und .... so geheimnisvoll! Sie scheinen hier ganz nahe zu sein, als müsste ich nur die Hand ausstrecken, um sie zu berühren!“
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[/B][/B]„Und? Hast du es versucht?“
„Was?“
„Nach den Sternen zu greifen!“
„Aber das geht doch gar nicht!“
„Woher willst du das wissen?“ Die Frau kam zu ihr herüber und blieb direkt neben ihr stehen. „Was du kannst oder nicht kannst, weißt du erst, wenn du es versucht hast.“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Aber das ist vollkommen unmöglich, selbst für uns! Oder hast du schon einmal einen Stern berührt?“
Die Frau wollte gerade verneinen, aber dann hielt sie inne. „Ja, ich glaube, das habe ich schon.“ Sie lächelte still in sich hinein, als das Mädchen sie verständnislos und ungläubig ansah. Oh ja, sie hatte einen Stern berührt![B]
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[/B][/B][/B]Sie zögerte nur einen Augenblick, dann setzte sie sich zu ihr auf den Boden. „Ich habe sogar einen Teil davon mitgenommen.“ meinte sie schließlich.
„Du nimmst mich auf den Arm!“ Das Mädchen gluckste leise lachend vor sich hin, sah aber dann voller Staunen, wie sich ein verträumter, wehmütiger Zug über das Gesicht der Frau legte.
„Aber nein, ganz und gar nicht!“ versicherte sie.
„Und wo hast du dann diesen „Sternenteil“ versteckt?“ fragte ihr jüngeres Gegenüber, noch immer ungläubig in eher neckendem Ton. Doch die Frau ging nicht darauf ein.
„Er sitzt direkt vor mir!“ antwortete sie voller Ernst.[B][B]
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[/B][/B][/B][/B]Das Mädchen begann zu strahlen, als sie den Sinn ihrer Worte verstand. „Bin ich das wirklich, dein Stern?“ fragte sie, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden.
„Ja, das bist du! Nichts ist mir wichtiger.“
„Willst du mich deshalb nicht zu den Menschen lassen? Weil du fürchtest, mir könnte etwas geschehen?“ Ganz leise hatte sie es gesagt, aber die Frau verstand sie trotzdem und nickte.
„Genau deshalb. Du bist noch zu jung, und die Welt der Menschen birgt viele Gefahren, denen du noch nicht gewachsen bist.“
„Aber woher weißt du das, wo ich doch noch nie die Gelegenheit hatte, es zu versuchen. Und das sollte ich doch wohl, oder habe ich dich da eben mißverstanden?“
„Nein, das hast du nicht. Du sollst es versuchen, aber nicht jetzt!“
Wie um zu demonstrieren, wie wenig ihr die Wendung des Gesprächs gefiel, erhob sich die Frau und das Mädchen tat es ihr gleich.
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[/B][/B][/B][/B][/B]„Aber wann?“ verlangte sie zu wissen. „Wann wirst du mir endlich erlauben, den Tempel zu verlassen und all die Wunder zu sehen, die wir erschaffen?“
„Wenn du dafür bereit bist. Warum nur hast du es so eilig damit?“
„Weil ich mich nutzlos fühle. Alyssa, Semira, du, jeder hier hat seine Aufgabe. Nur ich nicht.“
„Natürlich hast du eine Aufgabe!“ widersprach die Frau heftig, aber das Mädchen wehrte ab.
„Lernen, lernen, lernen? Nennst du das eine Aufgabe?“
„Aber ja! Alle Kinder müssen lernen. Wie willst du deine Fähigkeiten richtig einsetzen, wenn du sie nicht beherrschst?! Wie willst du die Welt und ihre Geschöpfe lenken, wenn du nicht über das nötige Wissen verfügst?!“
„All das habe ich gelernt und noch vieles andere. Ich bin längst kein Kind mehr.“
„Nein, das bist du nicht! Sobald deine Initiation geschehen ist, wirst du deine Aufgabe bekommen. Falls man nichts anderes über dich bestimmt, könntest du mir helfen und die Seelen ins Licht geleiten. Nun? Wie wäre das?“
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[/B][/B][/B][/B][/B][/B]Hoffnungsvoll sah sie das Mädchen an, doch sie schien ihren Enthusiasmus nicht wirklich zu teilen. „Was ist?“ fragte sie unsicher. „Gefällt dir diese Aufgabe nicht?“
„Nein, das ist es nicht.“
„Was ist es dann?“
„Ich... ich dachte an etwas anderes. An ..... ein Versprechen von dir!“
„Ich weiß nicht, was du meinst!“ sagte die Frau, obwohl sie durchaus ahnte, wovon das Mädchen sprach. Und ihr Verdacht wurde auch sogleich bestätigt.
„Ich dachte an meinen Vater!“
„An deinen Vater? Wieso? Wieso jetzt?“ Die Stimme der Frau wurde für einen Moment ungewöhnlich schrill, bevor sie sich wieder beruhigte. „Du hast hier doch alles, was du brauchst, oder nicht?“ Sie versuchte, das Mädchen in ihre Arme zu schließen, doch sie wich ihr aus.[B][B][B][B][B]
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