[FONT="]Hier unterbrach Zardon seinen Bericht. Er wollte, er konnte seiner Tochter nicht sagen, wie er zum Tempel gekommen war und ihn zerstört und noch immer rauchend von letzten langsam verglimmenden Feuern vorgefunden hatte. Wie Melynne ihm im Schatten der fast verbrannten Statue der Großen Mutter davon erzählte, was seine Frau getan hatte. Wie sollte er Ranyia den Schmerz beschreiben, der durch seinen Körper raste, als ihm klar wurde, dass er sie verloren hatte, sie nie wiedersehen würde, ja dass er seine andere Tochter niemals würde ansehen können, ohne sich daran zu erinnern, dass sie ihm das Kostbarste in seinem Leben genommen hatte, unschuldig schuldig geworden war an seinem niemals mehr endenden Leid.
[/FONT] Melynne brachte ihn nach oben auf die Terrasse des Tempels, wo sie Keyla zur Ruhe gebettet hatte.
„Wie lange wird sie schlafen?“ fragte er beunruhigt, als er in ihr bleiches Gesicht und auf die fest geschlossenen Augen hinunter sah.
„Eine Weile!“ antwortete Melynne. „Sie muss sich erst erholen von der Vereinigung. So etwas ist noch nie zuvor geschehen, die Große Mutter hat es nicht umsonst verboten. Sie vereint jetzt viel zu viel Macht in sich. “
„Ja!“ stimmte er ihr zu, ohne auch nur annähernd zu verstehen, was sie ihm damit sagen wollte. „Wann wirst du sie wecken?“
„Wenn die Zeit reif ist und wir Varik unter Kontrolle haben. Er darf sie nie wieder sehen.“
„Auf keinen Fall.“ gab er ihr erneut recht.
[FONT="]„Du weißt, was das bedeutet?“ fragte sie daraufhin mit einem eigenartigen Unterton in der Stimme.
[/FONT] „Unter keinen Umständen kann sie jetzt noch Herrscherin werden. Ich kann und will nicht das Risiko eingehen, dass sie ihn womöglich immer noch liebt und ihm die Welt zum Geschenk macht. Und ich werde ihr auch kein anderes Amt übertragen, das ist vollkommen ausgeschlossen, nach dem, was sie getan hat, darüber musst du dir im Klaren sein.“
„Ja, aber, wozu willst du sie dann wecken?“ Ausgerechnet die immer so aktive Keyla sollte die Hände in den Schoß legen und nichts mehr tun? Das war unvorstellbar!
„Ich habe deiner Frau versprochen, dass sie leben darf. Ich gewähre deiner Tochter die Gnade, um die mich ihre Mutter gebeten hat und ehre damit ihr Opfer. Aber ich werde sie nicht mehr in unserer Welt dulden. Ich darf es nicht.“
„Was?“ fuhr er auf.
„Ich werde sie in die Menschenwelt verbannen für den Rest ihres Lebens. Sie wird nie wieder zurückkehren!“
„Aber das kannst du doch nicht tun!“ rief Zardon und schlug mit der Faust auf die Steinkante des Lagers, auf dem seine ahnungslose Tochter ruhte.
[FONT="]„Ich kann und ich werde!“ Melynnes Stimme klang unerbittlich, Zardon wusste, nichts, was er jetzt noch sagen konnte, würde sie umstimmen.
[/FONT] Die Menschenwelt! Er wusste genau, was das bedeutete. Melynne in ihrer Angst vor Keylas Kräften würde sich nicht mit der Verbannung allein zufrieden geben. Er ahnte, dass sie Varik nicht in die Hand bekommen würden, dafür war er einfach zu gerissen, also bestand immer die Gefahr, dass er seine Gattin finden und erneut gegen sie alle benutzen würde. Schon in absehbarer Zeit, dessen war er sicher, würde Melynne von ihr verlangen, ihrer Kräfte zu entsagen und ein Mensch zu werden. Sie konnte gar nicht anders.
Tief gebeugt verließ er die Terrasse. Wohl aus dem Gefühl heraus, ihm durch das doppelte Opfer, das er nunmehr bringen musste, etwas schuldig zu sein, hatte Melynne ihm zuvor die Erlaubnis erteilt, den alten Tempel des Lichts wieder aufzubauen und ihm gleichzeitig die Macht dazu verliehen, ihn vom Angesicht der Welt verschwinden zu lassen, sobald Keyla erwachte und zu den Menschen gegangen wäre.
[FONT="]Im ersten Moment hatte er das Geschenk ablehnen wollen, doch schon als er die ersten Stufen der einzigen Treppe betrat, die Keylas Feuersturm überstanden hatte, kam ihm ein abenteuerlicher Gedanke.
[/FONT] Wenn sie auf Wunsch der Herrscherin zum Mensch würde, bedeutete das unweigerlich ihren Tod. Dafür aber hatte seine Frau sich nicht geopfert. Ihre beiden Töchter waren das Vermächtnis ihrer Liebe zu ihm. Er musste sie beschützen, beide, egal, was es ihn selber kosten würde. Sollte Melynne glauben, er füge sich ihrem Willen. Sie selbst hatte ihm gerade erst das Mittel in die Hand gegeben, das er brauchte, um die Herrscherin höchstselbst zu täuschen.
Deren eigener verletzter Stolz kamen ihm dabei ebenso zu Hilfe wie das so schwer verwundete Herz, das die Enttäuschung nicht verwinden konnte. Melynne ließ ihre Nachfolgerin im Unklaren über die Geschehnisse um Varik und Keyla. So war es ihm ein leichtes, das Mädchen nach angemessener Zeit einfach verschwinden zu lassen.
[FONT="]Weitaus schwerer war es dagegen mit dem jahrhundertelangen Zorn und Hass seiner anderen Tochter zu leben. Wie gern hätte er Ranyia die Wahrheit gesagt, doch das durfte er nicht riskieren. Schon wegen des Herrn der Finsternis, der irgendwann wieder zurückkehren würde, und dann.....
[/FONT] „Vater?“ Ranyias Stimme klang unsicher, zu lange hatte er jetzt schon still vor sich hin gestarrt. „Warum hast du diesen Mann hierher gebracht?“
„Weil er Celia liebt, genauso sehr wie deine Mutter Keyla geliebt hat, wenn nicht sogar mehr. Er wird Celia zurückbringen.“
„Du willst, dass er sich mit ihr vereinigt, wie Mutter es mit Keyla gemacht hat?“ Ungläubig schüttelte sie ihre Locken. „Aber er ist ein Mensch, Vater, er kann es nicht tun.“
„Du hast mir nicht zugehört!“ erwiderte Zardon ohne den geringsten Tadel in der Stimme. „Er mag ein Mensch sein, aber hast du dir mal seine Augen angesehen? Es sind ihre, Mardiannes Augen, ihr Erbe in ihm ist stark, das konnte ich fühlen. Und mit ein wenig Hilfe von uns kann er es auch benutzen. Varik wusste das, oder was glaubst du, warum er dafür sorgte, dass sie sich ausgerechnet in ihn verliebte, ausgerechnet ihn tötete. Er fürchtet seine Macht, die ihn wie schon einmal alles kosten kann!“
[FONT="]„Aber wie kannst du denn so etwas einfach von ihm erwarten, Vater, ein solches Opfer?“
[/FONT] Zardon zuckte verächtlich mit den Schultern. „Was verlange ich denn schon von ihm? Der Mann ist tot. Dies würde seinem Tod wenigstens einen Sinn geben. Deine Mutter hat sich aus Liebe geopfert, warum nicht auch er? Und außerdem ist dies sein Schicksal, schon seit seiner Geburt. Er hatte niemals eine andere Wahl, von der Minute an, als Varik sie vor seinen Wagen warf, war es schon um ihn geschehen. Du kennst Celias Kräfte, du weißt, wenn sie einem Mann ihre Gefühle schenkt, wird der sie wiederlieben, ob er nun will oder nicht. Und nun wird diese Liebe wenigstens einen guten Zweck erfüllen.“ Seine harten Worte und sein erschreckend kalter Tonfall ließen keinen Zweifel daran, dass er Nicolas nicht als seinen Nachkommen betrachtete, sondern in ihm nur einen jener Menschen sah, die er so verachtete. Nicht zum ersten Mal fragte Ranyia sich, wieso eigentlich. Sie glaubte sich nämlich daran zu erinnern, dass das nicht immer so gewesen war.
„Und wozu erzählst du mir das jetzt alles?“ fragte sie ihren Vater mit einem unguten Gefühl, denn das war das Einzige, das er ihr noch nicht verraten hatte.
[FONT="]„Damit er seine Aufgabe erfüllen kann, muss ich ihn wiederbeleben. Aber dafür brauche ich seine Seele und die ist verschwunden.“ antwortete Zardon.
[/FONT] „Ich dachte, du hättest sie, weil du doch auch den Körper...“ sie deutete auf den Mann im Sarg.
„Nein, leider kam Theris zu spät.“
„Ja aber, wenn weder du noch Reshanne und Zaide seine Seele haben, dann bleibt doch nur noch ....er....übrig.“ Entsetzt sah sie in das friedliche Gesicht von Nicolas, der nur zu schlafen schien. Was, wenn Varik nun auch ihn benutzte?
„Nein!“ widersprach Zardon. „Varik hat ihn nicht, sondern....KEYLA.“
Ranyias Augen wurden groß. „Das kann doch aber gar nicht sein“ flüsterte sie tonlos. „Keyla ist tot!“
„Nein, ist sie nicht. Nicht tot im Sinne der Menschen. Sie kann nicht zurück in unsere Welt, aber sie ist noch da. Und ich denke, SIE war es, sie hat seine Seele versteckt, vor mir und allen, die nach ihm suchen! Deshalb brauche ich dich, du musst sie überzeugen, dass sie ihn gehen lässt, damit er seine Bestimmung erfüllt, du musst ihr klar machen, dass es der einzige Weg ist, uns alle zu retten.“
„Ich soll sie dazu bringen, ihren eigenen Enkel zu opfern? Ausgerechnet ich? Das kann ich nicht!“
„Willst du lieber deine Schwester verlieren? Soll sie sich opfern, so wie deine Mutter?“ Er warf dem Mann im Sarg einen erbitterten Blick zu, bevor er entschlossen hinzusetzte: „Nein! Diesmal nicht!“
+++