• [FONT=&quot]Hier unterbrach Zardon seinen Bericht. Er wollte, er konnte seiner Tochter nicht sagen, wie er zum Tempel gekommen war und ihn zerstört und noch immer rauchend von letzten langsam verglimmenden Feuern vorgefunden hatte. Wie Melynne ihm im Schatten der fast verbrannten Statue der Großen Mutter davon erzählte, was seine Frau getan hatte. Wie sollte er Ranyia den Schmerz beschreiben, der durch seinen Körper raste, als ihm klar wurde, dass er sie verloren hatte, sie nie wiedersehen würde, ja dass er seine andere Tochter niemals würde ansehen können, ohne sich daran zu erinnern, dass sie ihm das Kostbarste in seinem Leben genommen hatte, unschuldig schuldig geworden war an seinem niemals mehr endenden Leid.



    [/FONT] Melynne brachte ihn nach oben auf die Terrasse des Tempels, wo sie Keyla zur Ruhe gebettet hatte.
    „Wie lange wird sie schlafen?“ fragte er beunruhigt, als er in ihr bleiches Gesicht und auf die fest geschlossenen Augen hinunter sah.
    „Eine Weile!“ antwortete Melynne. „Sie muss sich erst erholen von der Vereinigung. So etwas ist noch nie zuvor geschehen, die Große Mutter hat es nicht umsonst verboten. Sie vereint jetzt viel zu viel Macht in sich. “
    „Ja!“ stimmte er ihr zu, ohne auch nur annähernd zu verstehen, was sie ihm damit sagen wollte. „Wann wirst du sie wecken?“
    „Wenn die Zeit reif ist und wir Varik unter Kontrolle haben. Er darf sie nie wieder sehen.“
    „Auf keinen Fall.“ gab er ihr erneut recht.
    [FONT=&quot]„Du weißt, was das bedeutet?“ fragte sie daraufhin mit einem eigenartigen Unterton in der Stimme.



    [/FONT] „Unter keinen Umständen kann sie jetzt noch Herrscherin werden. Ich kann und will nicht das Risiko eingehen, dass sie ihn womöglich immer noch liebt und ihm die Welt zum Geschenk macht. Und ich werde ihr auch kein anderes Amt übertragen, das ist vollkommen ausgeschlossen, nach dem, was sie getan hat, darüber musst du dir im Klaren sein.“
    „Ja, aber, wozu willst du sie dann wecken?“ Ausgerechnet die immer so aktive Keyla sollte die Hände in den Schoß legen und nichts mehr tun? Das war unvorstellbar!
    „Ich habe deiner Frau versprochen, dass sie leben darf. Ich gewähre deiner Tochter die Gnade, um die mich ihre Mutter gebeten hat und ehre damit ihr Opfer. Aber ich werde sie nicht mehr in unserer Welt dulden. Ich darf es nicht.“
    „Was?“ fuhr er auf.
    „Ich werde sie in die Menschenwelt verbannen für den Rest ihres Lebens. Sie wird nie wieder zurückkehren!“
    „Aber das kannst du doch nicht tun!“ rief Zardon und schlug mit der Faust auf die Steinkante des Lagers, auf dem seine ahnungslose Tochter ruhte.
    [FONT=&quot]„Ich kann und ich werde!“ Melynnes Stimme klang unerbittlich, Zardon wusste, nichts, was er jetzt noch sagen konnte, würde sie umstimmen.



    [/FONT] Die Menschenwelt! Er wusste genau, was das bedeutete. Melynne in ihrer Angst vor Keylas Kräften würde sich nicht mit der Verbannung allein zufrieden geben. Er ahnte, dass sie Varik nicht in die Hand bekommen würden, dafür war er einfach zu gerissen, also bestand immer die Gefahr, dass er seine Gattin finden und erneut gegen sie alle benutzen würde. Schon in absehbarer Zeit, dessen war er sicher, würde Melynne von ihr verlangen, ihrer Kräfte zu entsagen und ein Mensch zu werden. Sie konnte gar nicht anders.
    Tief gebeugt verließ er die Terrasse. Wohl aus dem Gefühl heraus, ihm durch das doppelte Opfer, das er nunmehr bringen musste, etwas schuldig zu sein, hatte Melynne ihm zuvor die Erlaubnis erteilt, den alten Tempel des Lichts wieder aufzubauen und ihm gleichzeitig die Macht dazu verliehen, ihn vom Angesicht der Welt verschwinden zu lassen, sobald Keyla erwachte und zu den Menschen gegangen wäre.
    [FONT=&quot]Im ersten Moment hatte er das Geschenk ablehnen wollen, doch schon als er die ersten Stufen der einzigen Treppe betrat, die Keylas Feuersturm überstanden hatte, kam ihm ein abenteuerlicher Gedanke.



    [/FONT] Wenn sie auf Wunsch der Herrscherin zum Mensch würde, bedeutete das unweigerlich ihren Tod. Dafür aber hatte seine Frau sich nicht geopfert. Ihre beiden Töchter waren das Vermächtnis ihrer Liebe zu ihm. Er musste sie beschützen, beide, egal, was es ihn selber kosten würde. Sollte Melynne glauben, er füge sich ihrem Willen. Sie selbst hatte ihm gerade erst das Mittel in die Hand gegeben, das er brauchte, um die Herrscherin höchstselbst zu täuschen.
    Deren eigener verletzter Stolz kamen ihm dabei ebenso zu Hilfe wie das so schwer verwundete Herz, das die Enttäuschung nicht verwinden konnte. Melynne ließ ihre Nachfolgerin im Unklaren über die Geschehnisse um Varik und Keyla. So war es ihm ein leichtes, das Mädchen nach angemessener Zeit einfach verschwinden zu lassen.
    [FONT=&quot]Weitaus schwerer war es dagegen mit dem jahrhundertelangen Zorn und Hass seiner anderen Tochter zu leben. Wie gern hätte er Ranyia die Wahrheit gesagt, doch das durfte er nicht riskieren. Schon wegen des Herrn der Finsternis, der irgendwann wieder zurückkehren würde, und dann.....



    [/FONT] „Vater?“ Ranyias Stimme klang unsicher, zu lange hatte er jetzt schon still vor sich hin gestarrt. „Warum hast du diesen Mann hierher gebracht?“
    „Weil er Celia liebt, genauso sehr wie deine Mutter Keyla geliebt hat, wenn nicht sogar mehr. Er wird Celia zurückbringen.“
    „Du willst, dass er sich mit ihr vereinigt, wie Mutter es mit Keyla gemacht hat?“ Ungläubig schüttelte sie ihre Locken. „Aber er ist ein Mensch, Vater, er kann es nicht tun.“
    „Du hast mir nicht zugehört!“ erwiderte Zardon ohne den geringsten Tadel in der Stimme. „Er mag ein Mensch sein, aber hast du dir mal seine Augen angesehen? Es sind ihre, Mardiannes Augen, ihr Erbe in ihm ist stark, das konnte ich fühlen. Und mit ein wenig Hilfe von uns kann er es auch benutzen. Varik wusste das, oder was glaubst du, warum er dafür sorgte, dass sie sich ausgerechnet in ihn verliebte, ausgerechnet ihn tötete. Er fürchtet seine Macht, die ihn wie schon einmal alles kosten kann!“
    [FONT=&quot]„Aber wie kannst du denn so etwas einfach von ihm erwarten, Vater, ein solches Opfer?“



    [/FONT] Zardon zuckte verächtlich mit den Schultern. „Was verlange ich denn schon von ihm? Der Mann ist tot. Dies würde seinem Tod wenigstens einen Sinn geben. Deine Mutter hat sich aus Liebe geopfert, warum nicht auch er? Und außerdem ist dies sein Schicksal, schon seit seiner Geburt. Er hatte niemals eine andere Wahl, von der Minute an, als Varik sie vor seinen Wagen warf, war es schon um ihn geschehen. Du kennst Celias Kräfte, du weißt, wenn sie einem Mann ihre Gefühle schenkt, wird der sie wiederlieben, ob er nun will oder nicht. Und nun wird diese Liebe wenigstens einen guten Zweck erfüllen.“ Seine harten Worte und sein erschreckend kalter Tonfall ließen keinen Zweifel daran, dass er Nicolas nicht als seinen Nachkommen betrachtete, sondern in ihm nur einen jener Menschen sah, die er so verachtete. Nicht zum ersten Mal fragte Ranyia sich, wieso eigentlich. Sie glaubte sich nämlich daran zu erinnern, dass das nicht immer so gewesen war.
    „Und wozu erzählst du mir das jetzt alles?“ fragte sie ihren Vater mit einem unguten Gefühl, denn das war das Einzige, das er ihr noch nicht verraten hatte.
    [FONT=&quot]„Damit er seine Aufgabe erfüllen kann, muss ich ihn wiederbeleben. Aber dafür brauche ich seine Seele und die ist verschwunden.“ antwortete Zardon.



    [/FONT] „Ich dachte, du hättest sie, weil du doch auch den Körper...“ sie deutete auf den Mann im Sarg.
    „Nein, leider kam Theris zu spät.“
    „Ja aber, wenn weder du noch Reshanne und Zaide seine Seele haben, dann bleibt doch nur noch ....er....übrig.“ Entsetzt sah sie in das friedliche Gesicht von Nicolas, der nur zu schlafen schien. Was, wenn Varik nun auch ihn benutzte?
    „Nein!“ widersprach Zardon. „Varik hat ihn nicht, sondern....KEYLA.“
    Ranyias Augen wurden groß. „Das kann doch aber gar nicht sein“ flüsterte sie tonlos. „Keyla ist tot!“
    „Nein, ist sie nicht. Nicht tot im Sinne der Menschen. Sie kann nicht zurück in unsere Welt, aber sie ist noch da. Und ich denke, SIE war es, sie hat seine Seele versteckt, vor mir und allen, die nach ihm suchen! Deshalb brauche ich dich, du musst sie überzeugen, dass sie ihn gehen lässt, damit er seine Bestimmung erfüllt, du musst ihr klar machen, dass es der einzige Weg ist, uns alle zu retten.“
    Ich soll sie dazu bringen, ihren eigenen Enkel zu opfern? Ausgerechnet ich? Das kann ich nicht!“
    „Willst du lieber deine Schwester verlieren? Soll sie sich opfern, so wie deine Mutter?“ Er warf dem Mann im Sarg einen erbitterten Blick zu, bevor er entschlossen hinzusetzte: „Nein! Diesmal nicht!“







    +++


  • Es war schon reichlich spät, als JD endlich müde und erledigt ins Bett des Gästezimmers im dritten Stock fiel, in dem er nächtigte, seit Nicks kleine Schwester geradezu bei ihm eingezogen war.
    [FONT=&quot]Das Leben mit Bella war im Augenblick nicht besonders leicht, nicht weiter verwunderlich in Anbetracht der Umstände. Dennoch hatte er in den vergangenen zwei Tagen doch schon eine Veränderung feststellen können. Bella war dank Ben aus ihrem Schneckenhaus gekommen, redete wieder mit ihm, selbst wenn ihm das Thema ihrer Gespräche immer wieder Kopfzerbrechen bereitete. Nick! Sie glaubte fest daran, dass ihr Bruder immer noch bei ihr war, nicht nur in ihrem Herzen, das wäre ja verständlich, nein, als eine Art Geist. Erst heute Abend, kurz vor dem Schlafengehen, hatte sie ihn regelrecht geschockt mit ihrem Vorschlag, eine Art Seance abzuhalten, um mit ihm in Kontakt zu treten.



    [/FONT] Einfach rigoros ablehnen, wie er es eigentlich im ersten Moment vorhatte, konnte er nicht, aber so langsam schien es Zeit zu werden, doch mit Catherine darüber zu reden, bevor sich das Mädchen zu sehr in ihre Idee verstieg.
    Wenn er nur nicht befürchten müsste, dass sie ihm das übel nahm und sich dann wieder in sich selbst zurückzog! Verflixte Situation! Nein, er schlief gar nicht gut in diesen Tagen!
    [FONT=&quot]Justin schreckte nach oben. Er konnte nicht sagen, was genau ihn geweckt hatte, aber schon als er die Augen aufschlug, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Aufmerksam sah er sich in dem vom Mondlicht schwach erleuchteten Zimmer um. Die Tür stand offen, wie immer, aber doch weiter, als er es in Erinnerung hatte. Und der Hund, der normalerweise friedlich zusammengerollt in seinem Korb am Fußende schlief, war nicht da.



    [/FONT] Ein fernes Grollen drang von draußen in das Zimmer, dumpf und bedrohlich, mit einem seltsamen Zwischenlaut. Die feinen Stoffschlaufen an den abgekippten Fenstern flatterten im scharfen Luftzug. Zog da womöglich ein Sturm heran mit einem ordentlichen Gewitter im Gepäck?
    Vielleicht sollte er doch noch einmal nachsehen, ob alle anderen Fenster geschlossen waren? Und bei der Gelegenheit gleich nach Ben suchen?
    Leicht unwillig stieg er aus dem warmen Bett und fluchte sofort leise vor sich hin. Er war direkt in die Scherben seiner Nachtlampe getreten, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund völlig zerbrochen neben seinem Bett lag. Hatte der Hund sie heruntergerissen?
    Glücklicherweise war er nicht allzu fest aufgetreten, so dass sich nur einige wenige kleine Splitter in seinen Ballen gebohrt hatten. Noch während er sie mit zusammengepressten Lippen herauszupfte, bemerkte er draußen plötzlich einen grellen Lichtschein, der den Himmel erleuchtete, lief, leicht humpelnd hinaus auf den Balkon und ihm blieb der Mund offen stehen.
    [FONT=&quot]Es fing erst ganz langsam an, mit ein, zwei hellen Streifen, die sich am Nachthimmel abzeichneten. Doch dann wurden es mehr und mehr, der Himmel tauchte langsam ein in ein wahres Lichtermeer.



    [/FONT] Die Luft vibrierte, erfüllt von unzähligem Zischen und Surren, wie von einem Dutzend abschwirrender Pfeile, welche die Bogensehne verließen.
    Staunend beobachtete Justin den Meteoritenregen, der auf Ravensville herniederprasselte. Er konnte sich nicht daran erinnern, im Radio eine Ankündigung dieses Naturschauspiels gehört zu haben, und ein Spektakel diesen Ausmaßes wäre doch sicher eine Meldung wert gewesen.
    Eine ganze Weile stand er da, völlig verzückt von dem Anblick, der sich ihm bot.
    Doch dann mischte sich in das leise, nicht unangenehme Zischen wieder dieses Grollen, das er vorher schon vernommen, aber nun für eine Sinnestäuschung gehalten hatte. Und dieses Grollen kam nicht von oben, vom Himmel, sondern von unten. Beunruhigt lehnte er sich über das Geländer.
    Das Wasser im Gartenteich unter ihm begann zu zittern, die Bäume begannen zu ächzen und zu stöhnen.
    [FONT=&quot]„Mist!“ fluchte er, diesmal wesentlich lauter. Wieso ausgerechnet jetzt?



    [/FONT] Justin nahm sich nicht einmal die Zeit, nach seinen Schuhen zu suchen. Barfuss eilte er die Treppenstufen hinunter ins zweite Stockwerk.
    Er neigte weiß Gott nicht zu Panikanfällen, aber er kannte die Vorzeichen zu gut, als dass er nicht zumindest alarmiert wäre. Noch schien es lediglich ein Zittern zu sein, als hätte sich die gute alte Dame verschluckt, doch es konnte ganz plötzlich sehr viel mehr werden, vor allem wenn man bedachte, was sich da draußen noch abspielte. Und mit Bella in seiner Obhut würde er lieber auf Nummer sichergehen.
    [FONT=&quot]Überall im Haus vernahm er das sanfte Klirren von Glas, das im Einklang zu stehen schien mit dem Grollen, das sich unter ihm immer mehr verstärkte. Die überall auf den Tischen verteilten Vasen und Bilder rutschten über die glatten Oberflächen, hier und da klappte ein Rahmen um, zerbrach eine Vase beim Aufprall auf dem kalten Steinfussboden.



    [/FONT] Justin ging noch immer humpelnd und keinen Gedanken an die vielen kleinen Blutflecke, die er mit seinen Füßen überall auf dem Teppich verteilte in sein Arbeitszimmer und griff zum Telefon.
    Es war zwar eine höchst ungewöhnliche Zeit, aber da sein Freund diese Woche die Nachtschicht im Geophysikalischen Institut hatte, wäre das nur halb so schlimm. Wenn jemand wusste, was hier vor sich ging, dann er.
    Verdammt noch mal, wie war bloß gleich die Nummer? Es wurde wirklich Zeit, dass er mal seinen Nummernspeicher in Ordnung brachte. So benötigte er ein paar Minuten, bis er den richtigen Zettel gefunden hatte, nur um dann enttäuscht zu werden. Die Leitung war tot.
    Da hatten die hübschen leuchtenden Teilchen, die gerade vom Himmel regneten, wohl doch einigen Schaden angerichtet.
    Ein erneuter, diesmal aber heftigerer dumpfer Knall wie von einem Aufprall ließ ihn zusammenzucken und eine Entscheidung treffen.



    ++++++++++++
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  • Müde und noch halb schlafend kam Bella nach oben und blinzelte JD an, der vor ihrem Bett stand, in seinem blau-weiß-karierten Schlafanzug, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, weil er es gewöhnlich vermied, nicht angezogen vor ihr rumzulaufen.
    „Was ist denn los?“ murmelte sie murrend. „Ist doch noch mitten in der Nacht!“
    „Ich weiß!“ bestätigte Justin, hob aber trotzdem ungeduldig den Bettvorhang hoch. „Steh auf und zieh dir irgendwas Bequemes über. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
    „Och Mann, JD, ich versteh kein Wort. Wieso haben wir keine Zeit? Ich bin müde, ich will weiterschlafen.“
    [FONT=&quot]„Kannst du, aber nicht hier!“ erklärte Justin kategorisch und winkte mit der Hand. „Los komm schon, ich erklär dir alles später.“



    [/FONT] Ein Lichtstrahl erhellte für einen kurzen Augenblick das ganze Haus wie ein Blitz, ein neuerlicher Knall begleitet von einem unglaublichen Heulen ließ das Haus erzittern und Bella nach oben schrecken.
    „Was zur Hölle war das denn?“ platzte sie raus, ohne sofort eine Antwort zu erhalten, denn JD war ebenfalls herumgefahren und starrte durch die Glasfenster hinaus. „JD?“ wiederholte sie unsicher, als er weiterhin still blieb.
    Er drehte sich ruckartig herum und scheuchte sie endgültig aus dem Bett. „Los jetzt Mädchen, was immer da draußen passiert, das Bett hier ist der falsche Ort, um auf das Ende zu warten!“
    Der Schreck war ihnen beiden nach dem Knall genügend in die Glieder gefahren, daher verzichtete Bella auf jede weitere Diskussion, sondern schwang sich aus dem Bett, während Justin schon nach draußen lief, als ihm auffiel, dass er selber noch im Schlafzeug steckte. In der Tür drehte er sich noch mal kurz um.
    [FONT=&quot]„Ähm, versuch nicht, das Licht anzuschalten, der Strom ist ausgefallen!“ fügte er hinzu, als er sie nach dem Schalter greifen sah.



    [/FONT] Justin ließ ihr nicht viel Zeit zum Umziehen, also schlüpfte sie nur schnell in ihren Jogginganzug, bevor sie fasziniert aus dem Fenster sah. Obwohl im ganzen Haus nicht eine Lampe brannte, war es inzwischen taghell geworden. Pausenlos rasten kleine Lichterbälle auf die Erde nieder, hinter sich einen langen leuchtenden Schweif herziehend.
    „Bella!“ rief Justin, nun auch selber umgezogen, von der Tür aus.
    „Was denkst du denn, was da passiert?“ fragte sie ihn, während sie den Blick nicht von dem Schauspiel abwenden konnte.
    Aber der Mann in der Tür schüttelte den Kopf.
    „Ich hab keine Ahnung. Es sah erst nach einem einfachen kleinen Meteoritenschauer aus, dann dachte ich, die Erde würde beben, aber das scheint sich gegeben zu haben, nur dieses immer stärker werdende Feuerwerk da draußen bereitet mir Sorgen.“
    „Du meinst, es könnte gefährlich werden?“
    [FONT=&quot]„Na ja, es sieht so aus, als würden nicht alle Meteoriten verglühen, der Knall vorhin muss schon ein größerer Brocken gewesen sein. Und nun los, wir sollten uns beeilen, wer weiß, was da noch alles runterkommt.“



    [/FONT] „Und wo willst du hin?“ verlangte sie zu wissen, während sie hinter ihm her die Treppe hinunter hastete.
    „Ins Untergeschoss, das ist verstärkt und hat einen separaten Ausgang weiter draußen. Es mag vielleicht nicht viel bringen, wenn so ein Ding hier runterkommt, aber besser als oben!“
    „Und was machen die andern?“ fragte sie in plötzlichem Schreck und blieb mitten auf der Treppe stehen. „Was ist mit Mum? Corydale ist nicht weit von hier. Wir müssen sie anrufen!“ Catherine Blandfort war am vergangenen Tag zu einem geschäftlichen Termin in die 20 km entfernte Stadt gefahren und wollte erst am heutigen späten Nachmittag zurückkommen.
    Justin wandte sich um und griff nach ihrer Hand. „Die Leitungen sind tot, Bella, wir können sie jetzt nicht erreichen. Aber hab keine Angst, bei dem Krach wacht jeder in der Stadt auf. Und deine Mutter weiß genau, was sie zu tun hat, ok?“
    [FONT=&quot]Sie nickte, wenn auch nicht wirklich überzeugt, aber was konnte sie schon tun in diesem Moment. Dann aber fiel ihr Blick auf das leere Körbchen neben der Tür und sie schrie erneut auf. „Ben! JD, wo ist Ben?“



    [/FONT] Noch bevor er es verhindern konnte, hatte sie die Tür aufgerissen und rannte nach draußen, immer wieder laut Bens Namen rufend.
    Schon wieder fluchend lief Justin ihr hinterher und riss sie, als er sie einholte, am Arm zurück.
    „Sag mal, spinnst du? Einfach nach draußen zu rennen!“ fuhr er sie ungehalten an, und hätte sich im nächsten Moment ohrfeigen können, denn in Bellas Augen begann es sofort verdächtig zu glitzern.
    „Wir können ihn doch nicht hier draußen allein lassen!“ flüsterte sie. „Wenn ihm nun was passiert, oder schon ist?“
    Justin schlang den Arm um sie und drängte sie sacht in Richtung Haus zurück. „Mach dir mal keine Sorgen um ihn. Hunde sind sehr viel klüger als wir. Und sie spüren die Gefahr viel eher und verkriechen sich, wenn für uns noch alles völlig ruhig ist.“
    [FONT=&quot]Ihr skeptischer Blick veranlasste ihn, weiterzureden. „Weißt du, ein Geologe hat mir mal erzählt, dass man in China eine ganze Stadt mit über 90000 Einwohnern evakuiert hat, nur weil die Tiere sich merkwürdig benahmen. Kurze Zeit später wurde sie von einem Erdbeben vollständig zerstört.“



    [/FONT] So ganz überzeugt schien sie noch nicht zu sein, aber wenigstens stemmte sie sich nicht mehr gegen ihn. Er wollte schon erleichtert aufatmen, als sie sich plötzlich wieder umdrehte, nach oben starrte und rief: „Sieh mal da, der hat aber einen langen Schweif!“
    Und dann ging alles ganz schnell. Auf einmal war das Grollen wieder da, doch diesmal lauter und mächtiger als zuvor. Der Boden unter ihnen zitterte immer stärker, dass sie selbst zu schwanken begannen. Justin warf einen verzweifelten Blick zum Haus zurück. Nein, das schafften sie nicht mehr. Hinter ihnen ächzte und knirschte es, und Justin sah aus den Augenwinkel, wie sich die alte Tanne plötzlich in ihre Richtung neigte. Er packte Bella, riss sie zur Seite und zu Boden.
    „Liegenbleiben!“ befahl er, als der Baum nicht weit von ihnen zu Boden krachte. „Es dauert nicht lange!“


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  • Er sollte recht behalten. Nach nicht einmal einer Minute war der Spuk vorbei. Die Erde hatte sich in mehreren gewaltigen Rüttlern aufgebäumt und sich danach wieder beruhigt. Und während sie über den umgestürzten Stamm der Tanne kletterten, war Ben schwanzwedelnd aus irgendeiner Ecke auf sie zugestürmt.
    Abgesehen davon, dass Bilder und Spiegel von der Wand herab und einiges an Möbeln umgefallen waren, hatte das Haus selbst nicht allzu viel abbekommen. Seine erste Eigenkreation in bebensicherer Bauweise hatte ihre Bewährungsprobe bestanden.
    [FONT=&quot]Bella half ihm den ganzen Morgen, die verstreut liegenden Sachen wieder an ihren Platz zu räumen und war dabei wieder ungewohnt schweigsam. Er konnte sich schon denken, was sie beschäftigte. Jede halbe Stunde versuchte sie, die Handynummer ihrer Mutter anzurufen, doch sie bekam einfach keine Verbindung. Kaum dass der Morgen graute, war Lucy bei ihnen vorbei gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass es ihr und auch Blandfort Manor soweit gut ging, sie aber noch nichts von Mrs Blandfort gehört habe. Gegen Mittag funktionierte wenigstens das örtliche Telefonnetz wieder, und nun warteten sie darauf, dass sie sich bei ihnen meldete, bisher vergeblich. Irgendwann ließ sich Bella mit steinerner Miene aufs Sofa fallen.



    [/FONT] „Das muss doch gar nichts heißen!“ versuchte er sich an einer Erklärung, wohl wissend, dass sie das alles im Grunde selber wusste. „Da sind bestimmt einfach nur ein paar Sendemasten umgeknickt und bis man die wieder aufstellen oder alles umleiten kann, das dauert halt seine Zeit. Jetzt, wo die Telefone hier wieder arbeiten, wird sie uns bestimmt bald erreichen.“ Sagte er das nun, um sie, oder um sich zu beruhigen? Er wagte sich kaum vorzustellen, was geschehen würde, sollte Mrs Blandfort tatsächlich etwas zugestoßen sein. Dann stünde Bella nämlich ganz allein auf der Welt. Es gab keine Tanten, Onkel oder Großeltern mehr. Ihre Mutter war seit Nicks Tod ihre einzige Verwandte. Nein! Er schüttelte den Kopf. Daran sollte er nicht einmal denken.
    [FONT=&quot]„Können wir den Fernseher anschließen und nachsehen, was die darüber bringen?“ fragte Bella leise und er nickte, obwohl er das nicht unbedingt für die beste Idee hielt. Den Flachbildschirm hatte er gestern erst gekauft, wegen Bella. Er selber kam ja nie zum Fernsehen, so selten wie er in letzter Zeit zuhause gewesen war. Und glücklicherweise hatte er ihn noch nicht ausgepackt, sodass er das Beben, eingehüllt in seine Verpackung sicher überstanden hatte.



    [/FONT] Das erste Bild, das sie nach dem Anschließen sahen, zeigte ein riesiges Loch, welches, wie die freundliche Stimme der Nachrichtensprecherin verkündete, durch das Beben in der vergangenen Nacht in die Hauptverkehrsader nach Corydale gerissen worden war, ein Beben, das, wie sie alle längst wussten kurz vor halb drei die Stadt Ravensville und etliche Ortschaften im Umkreis von gut 20 km erschüttert hatte, während sich den Bewohnern gleichzeitig ein wohl einmaliges Schauspiel geboten habe durch einen ungewöhnlich heftigen Meteoritenschauer.
    [FONT=&quot]Es habe leider keinerlei Vorzeichen gegeben, welche auf ein bevorstehendes Erdbeben hingewiesen hätten, so dass man die Bevölkerung nicht hatte vorwarnen können. JD schnaufte. Das hatten Beben nun mal so an sich, die meisten von ihnen traten ganz plötzlich auf.



    [/FONT] „Die schlimmsten Schäden wurden in Ravensville selbst verzeichnet“ fuhr die Nachrichtensprecherin fort und das Bild wechselte. „weniger durch das Beben selbst, als vielmehr durch zerfetzte Starkstrom- und Gasleitungen, wie hier am Barstow Drive, wo eine solche Leitung in den frühen Morgenstunden gleich an mehreren Stellen explodierte und dabei einige der anliegenden Häuser, hier im Bild die Nr. 239 in Trümmer legte. Erst nachdem die Feuerwehr mit einem Schaumteppich den Brand unter Kontrolle gebracht hatte, konnten die Rettungskräfte mit Hunden daran gehen, nach eventuell Verschütteten zu suchen.
    [FONT=&quot]Zur Stunde liegen uns aber noch keine Meldungen darüber vor, ob und wie viele Opfer zu beklagen sind.“



    [/FONT] Bella schrie auf und krallte ihre Hand in Justins Arm.
    „Das, das ist sein Haus, 239 Barstow Drive, das ist Nicks Haus.“
    Justin nickte, er hatte ebenso aufgehorcht als die Sprecherin den Straßennamen nannte. Und er konnte sich unschwer vorstellen, was nun in Bellas Kopf vorging. Catherine war, aus welchen Gründen auch immer nicht nach Blandfort Manor zurückgezogen, sondern in Nicks Haus geblieben. Bestimmt überlegte sie, ob ihre Mutter womöglich doch schon in der Nacht zurückgekommen war und jetzt.
    [FONT=&quot]Sanft löste er ihre Hand von seinem Arm und stand auf. „Komm, wir setzen uns jetzt ins Auto und fahren zur Polizei. Vielleicht wissen die ja schon Näheres.“



    [/FONT] Weiter musste er nicht reden, draußen klappte eine Tür und wenig später stand eine erschöpft wirkende, aber unverletzte Catherine in der Tür, die nur einen einzigen Satz sagte, bevor Bella ihr an den Hals sprang.
    „Gott sei Dank ist euch nichts passiert!“




    +++


  • Die düstere Stille der von ewiger Dunkelheit eingehüllten Eisfestung des Herrn der Finsternis wurde auf einmal von einem tief aus dem Erdinnern kommenden Grollen unterbrochen. Immer mehr verstärkte es sich, bis aus dem scheinbar in die Unendlichkeit hinabreichenden Brunnen ein heller Lichtschein brach, der das Wasser blutrot zu färben schien. Dies war für jeden von Variks unsichtbar wirkenden Dienern das Zeichen, dass ihr Herr aus den unterirdischen Feuersälen in sein kaltes Schloss zurückkehrte.
    [FONT=&quot]Zwei Gestalten wurden sichtbar, die sich langsam den Weg nach oben an die Oberfläche zu bahnen schienen.



    [/FONT] „Ich bin sehr zufrieden mit dir!“ meinte Varik, als sie beide trockenen Fusses den schneebedeckten Boden betreten hatten und Celia sich nach ihm umdrehte. „Du lernst ausgesprochen schnell!“
    [FONT=&quot]Kein freudiges Aufblitzen ihrer Augen quittierte sein offenkundiges Lob, kein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, sie nickte nur kurz mit dem Kopf, bevor sie sich wieder abwandte. Aber Varik störte sich nicht daran. Im Gegenteil, er meinte, was er sagte, er war mehr als nur zufrieden mit dem Ergebnis ihrer heutigen Lehrstunde. Zum ersten Mal hatte er sie mit hinunter genommen in die Tiefen der Erde, dort, wo er die Katastrophen dieser Welt erschuf, Seuchen, Beben, Stürme. Dort unten, wo sich die riesigen Feuerschlünde ins Innere der Erde öffneten, dort hatte er sie lehren wollen, ihre dunkle Macht zu gebrauchen und dabei festgestellt, dass sie kaum mehr einer Unterweisung bedurfte. Mit fast schlafwandlerischer Sicherheit hatte sie auf seinen Wunsch hin die Erde erbeben lassen, in einer Kraft und Stärke, die selbst ihn zunächst überrascht hatte.



    [/FONT] Diese Kraft dann in die richtige Richtung zu lenken war eine Kleinigkeit für ihn gewesen. Sie hatte ihn nicht einmal gefragt, wo das Erdbeben denn nun stattfinden würde. Ihre Konzentration war einzig und allein auf die Aufgabe gerichtet, die er ihr gestellt hatte. Der Kristallsaal hatte seine Wirkung diesmal also nicht verfehlt und seine Geduld wurde belohnt. Ihre Erinnerungen und die damit verbundene Traurigkeit, die er anfangs so gefürchtet hatte, schwanden mit jeder neuen Ruhephase immer mehr dahin, einzig ihre Wut blieb noch zurück und vergiftete ihr Herz, ganz so wie er es wünschte. Ihrer Transformation stand damit nichts mehr im Wege. Nur noch ein wenig mehr Zeit, und sie wäre soweit. Wie hätte er da nicht zufrieden sein sollen!
    [FONT=&quot]Und dennoch, während er nun neben ihr her ging, fühlte er sich weit weniger befriedigt als er es im Grunde sein sollte.



    [/FONT] Irgendwo in seinem Innern nagte ein unbequemer Gedanke an ihm, der Gedanke an die Einsamkeit der Äonen, die vor ihm lag, wenn es ihm diesmal gelang, das Herrscheramt zu erlangen. Keyla hatte nicht jeglichen eigenen Willen oder alle Gefühle verloren, nachdem sie die Transformation durchlaufen hatte, ihre bedingungslose Liebe war ihm erhalten geblieben und er hätte sie auch als Herrscher an seiner Seite gehabt. Doch ihre Enkelin war im Begriff nichts anderes zu werden, als die empfindungslose Marhala, eine Marionette in seinen Händen, ein Werkzeug, aber doch nicht mehr. Niemals würde sie ihm eine Gefährtin sein, so wie Keyla es gewesen war. Doch er konnte das Risiko einfach nicht eingehen, denn die neue Herrin der Schwarzen Seen, die er im Begriff stand zu erschaffen, würde weitaus mächtiger sein als ihre Vorgängerin, durchaus in der Lage, ihn nur aus einer Laune heraus mit einem einzigen Wimpernschlag zu vernichten, ebenso wie den Rest der Welt.
    [FONT=&quot]„Du solltest dich jetzt noch etwas ausruhen!“ meinte er. „Ich will nicht, dass du dich überanstrengst.“ Wieder nickte sie nur und begab sich ohne erkennbares Zögern zu ihrem Ruhelager.




    [/FONT][FONT=&quot]Zur gleichen Zeit im Garten von Blandfort Manor:



    [/FONT] „Guten Abend, Vater!“ sagte Keyla ohne eine Spur von Überraschung in der Stimme, als sie sich umwandte und dem Herrn des Lebens, der so plötzlich hinter ihr aufgetaucht war, gegenüberstand. „Wir haben uns lange nicht gesehen.“
    „Zu lange!“ stimmte Zardon ihr zu und legte die Hand auf das Torgitter. „Darf ich?“ fragte er. Keyla hob die Augenbraue, nickte aber langsam. Seine Bitte war ohnehin nur ein, wenn auch ungewohnter Akt der Höflichkeit.
    [FONT=&quot]Abwartend blieb sie vor dem schweren Steinkreuz stehen, unter dessen Sockel man dereinst ihren Sarg begraben hatte, als ihr menschlicher Körper dahingeschieden war. Schweigend musterte sie den Mann, der sich einst im Zorn von ihr getrennt und geschworen hatte, sie nie wiedersehen zu wollen.



    [/FONT] „Und nun bist du doch gekommen!“ konstatierte sie, während sie die Erinnerung an ihr letztes Treffen heraufbeschwor. „Ich weiß auch, weshalb....,“
    „Ranyia war also bereits bei dir?“ unterbrach er sie.
    „Ja, das war sie. Und wir sind uns beide einig, Vater. Ich werde ihn dir nicht überlassen.“
    Eigentlich hatte sie erwartet, dass er wütend werden würde, wie schon beim letzten Mal, doch statt dessen sagte er mit einem gütigen Lächeln, das sie beinahe veranlasst hätte, seine Hand zu ergreifen. „Du bist voreilig wie immer. Ihr beide seid es! Vielleicht hörst du dir doch erst an, was ich zu sagen habe. Immerhin geht es hier um das Wohl beider Welten und nicht um eine Familienstreitigkeit!“
    „Doch Vater, genau darum geht es. Um nichts anderes! Und das schon seit ich mich damals geweigert habe, Henry zu verlassen.“
    [FONT=&quot]„Fang nicht wieder davon an!“ verlangte er energisch. „Ich will über diesen...Menschen...nicht mehr reden!“ Beinahe schien es so, als hätte der mächtige Elo-i schon Schwierigkeiten, allein das Wort Mensch auszusprechen. Keyla schüttelte den Kopf und wandte sich ab.



    [/FONT] „Er war mein Ehemann und der Vater meiner Kinder, deiner Enkelkinder!“ erinnerte sie ihn leise, voller Trauer.
    „Er war ein Mensch!“ widersprach Zardon dennoch heftig. „Du hättest ihn gar nicht heiraten dürfen.“
    „Und warum nicht? Nach Melynnes Willen sollte ich für immer in ihrer Welt leben, hätte ich vielleicht für den Rest meines Lebens allein bleiben sollen?“
    „Nein, du hättest mir nur vertrauen und etwas Geduld haben müssen, dann wäre nichts von dem geschehen, was jetzt die Welt auseinanderreißt. Stattdessen hast du dich an einen Menschen verschwendet und das Unverzeihlichste getan, das ein Elo-i tun kann.“
    „Ja, aber du hast mich dazu gezwungen.“



    ++++++++++++
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  • Es hatte ein Tag des Glücks sein sollen, der Hochzeitstag ihrer Tochter Cassandra mit Jonathan Fitzgerald. Alles, was diese Freude an jenem herrlichen Sommertag überschattete, war die Tatsache, dass Henry noch immer durch Probleme mit seiner Mutter in England festgehalten worden war und so seine geliebte Tochter nicht hatte zum Altar führen können.
    [FONT=&quot]Aber Keyla quälte schon seit Tagen ein merkwürdiges Gefühl, eine Vorahnung von Unheil, die sie einfach nicht zur Ruhe kommen ließ, selbst heute nicht. Und so zog sie sich, als ihr der Trubel mit den über hundert geladenen Gästen zuviel wurde, für einen Augenblick in ihr Schlafgemach zurück und beobachtete nur vom Fenster aus, wie freudestrahlend Cassandra im Arm ihres Bräutigams über die Tanzfläche im Garten glitt.



    [/FONT] Nur wenig später öffnete sich die Tür und ihr Sohn kam herein.
    „Ist alles in Ordnung, Mutter?“ fragte er besorgt und blieb unsicher an der Tür stehen. Keyla schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln.
    „Aber ja, ich war nur ein wenig müde. Die Anstrengungen der letzten Tage, die vielen Menschen da unten. Und dann ist dein Vater nicht hier.“
    Adrian nickte, sichtlich erleichtert. Er wusste, seine Mutter war kein besonders geselliger Mensch. Große Gesellschaften liebte sie gar nicht. Dennoch erschien sie ihm gerade in den letzten Tagen schweigsamer als sonst und er hatte schon begonnen, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Aber so schien sie einfach nur ihren Ehemann zu vermissen, den, so ungewöhnlich das in ihren Tagen auch schien, sie aufrichtig liebte. Und Adrian bewunderte seine Eltern für deren vorbildliche Ehe sehr. Daher würde er ebenso wie für Cassandra nur aus Liebe heiraten.
    „Möchtest du dich ein paar Minuten zu mir setzen?“ fragte Keyla und er kam näher.
    [FONT=&quot]„Aber wirklich nicht lange, die ersten Gäste wollen bald aufbrechen und werden sich bestimmt wundern, wenn die Hälfte der Familie plötzlich fehlt.“



    [/FONT] Er hatte sich gerade setzen wollen, als die Tür erneut aufgerissen wurde und Cassandra völlig aufgelöst hereingestürzt kam. Tränen liefen über ihre Wangen und Keylas menschliches Herz zog sich für einen Moment derart schmerzhaft zusammen, dass sie meinte, es würde aufhören zu schlagen. Ihre Vorahnung, dieses dumme Gefühl, jetzt schien es sich zu bestätigen.
    „Kind, was hast du denn?“ fragte sie und streckte die Arme aus, um ihre Tochter an sich zu ziehen. Doch die blieb vor ihr stehen und sah ihr aus riesigen, fast tränenblinden Augen entgegen.
    „Ein Bote ist gekommen, mit einer Nachricht von Großmutter.“ Diesmal setzte ihr Herz tatsächlich aus. Cassandra musste es gar nicht aussprechen, sie wusste es schon in diesem Moment.
    [FONT=&quot]„Dein Vater ist tot!“ flüsterte sie tonlos und ihre Tochter nickte nur noch stumm.



    [/FONT] Hinter ihr ließ sich Adrian auf das Sofa fallen und starrte sie völlig geschockt an, während kein Laut mehr im Zimmer zu hören war. Nicht einmal der Lärm der noch immer feiernden Gäste drang mehr zu ihnen herauf.
    Keyla schwindelte. Nein! Das durfte einfach nicht wahr sein! Das durfte es nicht. Er war doch längst noch kein alter Mann, und er strotzte nur so vor Gesundheit. Ihre Hand umklammerte den Pfosten des Bettes, während die andere wieder und wieder über ihr Gesicht fuhr. Sie versuchte mit aller Macht jetzt nicht die Fassung zu verlieren, denn ihre Kinder ahnten nichts von der besonderen Natur der Mutter, und ihre Art von Gefühlsausbruch würden sie nur schwer verstehen, doch ging es beinahe über ihre Kräfte.
    [FONT=&quot]Denn jetzt endlich hatte sie verstanden.



    [/FONT] „Du hast es damals schon gewusst, und du hast mir kein Wort davon gesagt.“ warf sie ihrem Vater vor.
    „Doch, ich hatte dich gewarnt. Ich sagte dir, dass dieses Glück, dass du dir ertrotzt, nicht von Dauer sein kann. Und ich sagte dir, dass es besser wäre, gleich mit mir zu kommen, bevor du den Schmerz des Verlustes kennenlernst.“ Er griff nach ihrem Arm und streichelte sie sacht. „Ich habe alles getan, um dich zu schützen, und ich wollte dir nur meinen eigenen Schmerz ersparen, aber du warst zu stur, um das zu begreifen!“
    „Ich? Stur?“ Sie entzog ihm mit einem heftigen Ruck den Arm. „Du, ausgerechnet du hast von mir verlangt, meine Familie zu verlassen, meine Kinder, meinen Mann. Und als ich mich weigerte, bist du gegangen, im Zorn und hast ihn mir genommen.“
    [FONT=&quot]„Das stimmt nicht! Seine Zeit war gekommen. Das Herz deines Mannes war längst nicht so stark, wie du immer geglaubt hast.“ Erneut griff er nach ihr, doch sie riss sich los und verließ den Friedhof.



    [/FONT] „Du kannst vor der Wahrheit nicht davonlaufen, Keyla.“ meinte er, als er ihr, ohne auch nur einen Fuß zu heben, folgte. „Weder konntest du es damals, noch kannst du es heute. Ich bot dir die Chance, nach Hause zu kommen, all das hier hinter dir zu lassen, mehr als nur einmal. Aber du musstest ja unbedingt bleiben. Was hat dich hier gehalten? Dein Mann? Er ist gestorben. Deine Kinder? Die waren längst erwachsen und brauchten dich nicht mehr.“
    „Oh doch, sie brauchten mich sehr wohl. Jemand musste sie beschützen.“ flüsterte sie leise vor sich hin, aber Zardon verstand sie dennoch.
    „Hast du deshalb das Gebot übertreten? Weißt du eigentlich, was du damit angerichtet hast?“
    [FONT=&quot]„Ja, jetzt weiß ich es, aber damals nicht. Und es war nicht mal meine Absicht.“



    [/FONT]Sie hatte sich neben ihren Sohn auf das Sofa fallen lassen, während ihre Tochter sich vor ihnen auf dem Boden niederließ und den Kopf in ihren Schoß bettete. Während ihre Hände der Tochter sanft und tröstend über das vom Schleier bedeckte Haar strich, existierte derweil nur ein Gedanke in ihrem Kopf, quälte sie eine einzige Frage: hatte sie ihren Kindern den Vater genommen? War sie, wenn auch nur indirekt schuld an seinem Tod? Und was würde ihr eigener Vater noch tun, wenn sie nicht mit ihm kam? Würde er sich dann auch gegen seine Enkel wenden? Sie konnte diese Frage weder eindeutig mit ja noch mit nein beantworten. Soviele Dinge hatten sich verändert, seit sie aus ihrem dunklen Traum erwacht war und feststellen musste, dass sie fast die Welt zerstört und ihre Mutter vernichtet hatte. Diese, ihre menschliche Familie war nunmehr das wichtigste in ihrem Leben und nach den unmissverständlichen Worten ihres Vaters war sie nun auf sich allein gestellt. Durfte sie denn zulassen, dass sie von Wesen benutzt wurden, die sich als etwas Höheres, Wertvolleres betrachteten?





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  • Und dann hatte sie getan, was sie nicht hätte tun dürfen. Zuerst fast unbewusst, doch als sie bemerkte, was sie tat, entschied sie sich dafür, es auch zu vollenden. Aufgrund der Tatsache, dass sie ohnehin schon einen Teil der Kräfte ihrer Mutter besaßen, ohne sich dieser jemals zu bedienen, hielten sich die Schmerzen durch die plötzliche Übertragung in Grenzen und die Löschung dieser unerfreulichen Szene aus ihrem Gedächtnis bereitete der noch immer mächtigen Elo-i in Menschengestalt keine Schwierigkeiten.
    Danach fühlte sie sich angenehm beruhigt. Keine dieser menschlichen Plagen konnten ihnen nun noch etwas anhaben. Sie würden ein langes Leben führen können, ein hohes Alter erreichen, und, das erschien ihr damals das wichtigste zu sein, sie waren dem Zugriff ihres allmächtigen Vaters entzogen.
    [FONT=&quot]Doch ohne es zu wollen, hatte sie damit den Grundstein für die Tragödie gelegt, die sich vor nicht allzu langer Zeit hier abgespielt hat, hatte sie Varik das Mittel in die Hand gelegt, um beide Welten, die der Menschen und auch die der Elo-i in den Abgrund zu stürzen.



    [/FONT] Zardon setzte sich zu ihr und sah sie schweigend an. Wie sehr er sie doch vermisst hatte, die eine wie die andere Tochter. Er hatte sie damals beide verloren und das durfte ihm nicht noch einmal passieren.
    „Ich hätte nicht einfach gehen dürfen.“ murmelte er nach einer Weile vor sich hin, und gemessen an seinen Verhältnissen war das schon eine richtige Entschuldigung. Keyla drehte denn auch den Kopf zu ihm herum und meinte großmütig: „Wir haben beide Fehler gemacht, die wir jetzt korrigieren müssen.“
    „Eben!“ bestätigte er eilig.
    „Aber nicht, indem wir schon wieder unschuldiges Leben opfern.“
    „Wir opfern niemanden. Nicolas ist bereits tot, und an diesem Tod tragen wir keine Schuld.“
    [FONT=&quot]„Doch, Vater,“ widersprach sie ihm. „ich! Ich trage die Schuld an Celias Existenz, ich habe Varik zu ihr geführt, durch diese dumme Übertragung. Und das muss ich jetzt wiedergutmachen.“



    [/FONT] „Indem du was tust? Dich selbst opfern, wie deine Mutter es getan hat?“
    Ein schmerzvoller Schatten glitt bei Mardiannes Erwähnung über ihr Gesicht. Ihr Blick schweifte über den schwach erleuchteten Garten. Wie oft war sie in den vergangenen Jahrhunderten hier in mondhellen Nächten wie dieser die Wege entlanggewandert und hatte sich mit Vorwürfen gequält, dass sie so dumm, so blind vor Liebe hatte sein können, sich derart benutzen zu lassen. Und so war sie schließlich zu dem Schluss gelangt, es ihrer Mutter und ihrer selbstlosen Tat einfach schuldig zu sein, ihrer Enkelin nun den gleichen Dienst zu erweisen.
    „Ich frage dich: Hat unsere Familie denn noch nicht genug gelitten?“ hakte Zardon nach, als sie nicht antwortete.
    „Aber Nicolas und Catherine gehören ebenso zu unserer Familie, Vater. Und sie sind beide gänzlich ohne Schuld. Du kannst sie nicht beide für unsere Fehler opfern.“



    „Ich rede gar nicht von beiden.“
    „Aber Ranyia hat gemeint....., und ich denke auch....., Nicolas allein kann es nicht schaffen.“
    „Das muss er auch nicht. Ich werde ihm helfen.“ Keyla riss die Augen auf.
    „Du? Aber...das kannst du nicht, ich, .....du kannst die Vereinigung mit Celia nicht vollziehen!“
    „Stimmt!“ gab Zardon zu und sah sie traurig an. „Mit ihr nicht,.....aber mit ihm!“ Fast wäre Keyla aufgesprungen.
    „Das kannst du doch nicht tun!“ rief sie stattdessen. „Du bist der Herr des Lebens, wer sollte denn dein Amt übernehmen, wenn du dich auflöst?“
    „DU!“ Es verschlug ihr die Sprache. Sie starrte ihren Vater an, als hoffte sie, in seinen Zügen einen Hinweis darauf zu finden, dass er es nicht ernst meinen würde, vergeblich.
    „Das kann ich nicht, ich kann nicht mehr zurück.“
    [FONT=&quot]„Doch!“ widersprach er nicht zum ersten Mal in dieser Nacht. „Du kannst. Du hättest schon damals zurückkommen können. Ich hatte es ernst gemeint, ich hatte die Macht dazu und ich habe sie noch.“



    [/FONT] Er erhob sich und schickte sich an, zu gehen. „Überlege es dir, mein Kind, aber überlege nicht zulange. Du weißt genau, wo dieses Erdbeben hergekommen ist. Aber noch können wir ihn stoppen, dieser Mensch und ich, wir können Celia und Varik bezwingen. Nur wir beide, die Mutter brauchen wir nicht. Und du kannst deinen rechtmäßigen Platz in unserem Volk wieder einnehmen, wenn schon nicht als Herrscherin, so doch als meine Nachfolgerin. Denk darüber nach!“
    [FONT=&quot]Er verschwand genauso lautlos, wie er gekommen war und ließ Keyla mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Sein Angebot war mehr als nur verlockend, auch wenn sie die Vorstellung schockierte, dass sich nun auch ihr Vater ihretwegen opfern wollte. Doch es ging ja nicht nur um ihn, sondern auch.....



    [/FONT] Ein sanfter Luftzug signalisierte ihr, dass sie nicht mehr allein war. Doch sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer sich da hinter ihr auf der Bank niedergelassen hatte.
    „Wer war der Mann, der da eben gegangen ist?“ fragte er leise.
    „Mein Vater.“
    „Zardon?“ rief er überrascht. „DER Zardon?“ Sie nickte und er beugte sich nach vorn, um ihr Gesicht zu betrachten. „Du siehst nicht sehr glücklich aus!“ meinte er dann. „Verrätst du mir auch, was er hier wollte?“
    Wieder nickte sie, doch diesmal widerwillig.
    „Wir müssen uns wirklich unterhalten, Nicolas. Dringend!“




    +++


  • Seid gegrüßt, hochverehrte Leser!
    Gestattet, dass ich mich vorstelle.
    Mein Name ist Nery. Ich gehöre zu den Cha-yi und stehe als Chronistin des hochedlen Volkes der Elo-i im Dienste der Bewahrerin Ranyia. Neben der ehrenvollen Pflicht, die Geschichte der beiden Welten für die Nachkommen festzuhalten, wird mir ab und an auch eine andere nicht minder wichtige Aufgabe zuteil, die Betreuung jener Sterblichen, denen es gestattet wird, ausnahmsweise unser Reich zu betreten.
    Vor einigen Monden, noch bevor sich der düstere Schatten des Herrn der Finsternis über unsere beiden Welten legte, gab es wieder einmal eine solche Ausnahme. Und ich würde die Gelegenheit gern nutzen, euch heute davon berichten.
    Ich erinnere mich noch genau.
    [FONT=&quot]Verborgen hinter der alten Weide neben dem Eingangstor erwartete ich die Ankunft unserer Gäste. Und ich musste gar nicht lange warten!



    [/FONT] „Ok Leute!“ sagte das Mädchen mit dem Seitenzopf, offenbar die jüngste der Neuankömmlinge und sah die andern, die ebenso wie sie soeben scheinbar aus dem Nichts erschienen waren, verwirrt an. „Erklärt mir jetzt mal einer, was hier gerade passiert ist und wie wir hierher kommen?“
    „Viel wichtiger wäre, wo HIER ist!“ entgegnete der Mann neben ihr und warf der Blondine zu seiner Rechten einen eher hilflosen Blick zu. Die lächelte ihm freundlich zu, zuckte aber mit den Schultern.
    „Ich fürchte, ich hab auch keine Erklärung. Ich habe gerade an meinem Computer gesessen, als plötzlich dieser Strudel auftauchte und mich mit sich zog.“
    „Ja, so war es auch bei mir.“ bestätigte der Mann.
    „Vielleicht sollten wir uns erst mal miteinander bekanntmachen, wenn wir schon gemeinsam hier gelandet sind?!“ schlug die Frau nach einem weiteren Blick in die Runde vor. „Ich bin Cassio.“
    „Marf.“
    „Ich bin Lucy“ stellte sich das Mädchen mit dem Seitenzopf vor, und reihum folgten nun auch die anderen Cassios Vorschlag.
    „Nath. Nathskywalker.“
    „Gotti.“
    [FONT=&quot]„Und ich bin Lenya. Was machen wir denn jetzt? Wir können ja nicht einfach auf dieser Brücke stehenbleiben.“



    [/FONT] „Vielleicht kann ich euch da behilflich sein?“ fragte ich, indem ich aus dem Schatten trat und die sechs drehten sich in meine Richtung. Ihre Augen wurden groß, als sie mich am anderen Ende der Brücke direkt vor dem schmiedeeisernen Tor stehen sahen. Ich winkte ihnen zu und bat sie, doch näher zu kommen.
    Ein wenig zögernd, aber doch neugierig folgten die Menschen meiner Einladung, immer wieder einen misstrauischen Blick nach rechts und links auf das dunkle Wasser des Sees werfend. Diese Brücke flößte aber auch nicht unbedingt Vertrauen ein, denn statt auf starken Pfosten zu ruhen, schien sie regelrecht über dem Wasser zu schweben. Nun, sie würden bald sehen, dass so ziemlich alles bei uns auf diese Weise funktionierte.
    Ein Wink von mir, und das Tor öffnete sich.



    Hinter mir hörte ich die staunenden „Ah“s und „Oh“s unserer Besucher, als sie den nur spärlich beleuchteten Garten gleich hinter dem Tempel betraten. Kein gewöhnlicher Sterblicher setzte hier je seinen Fuß hinein, außer natürlich jenen, die vom Rat der Fünf für würdig befunden wurden und deren andächtiges Staunen beim Anblick unserer verzauberten Welt mich längst nicht mehr überraschte. Ich lächelte still vor mich hin, bevor ich die anfängliche Begrüßung wiederholte.
    [FONT=&quot]„Willkommen! Willkommen am See der Träume, Auserwählte! Habt keine Furcht, euch wird nichts geschehen!“



    [/FONT] Nachdem alle auf den von mir bereitgestellten Hockern Platz genommen hatten, die Augen erwartungsvoll auf mich geheftet, begann ich ihnen, wie ich es schon so oft getan hatte, das Wesen der Elo-i und ihres Verhältnisses zu den Menschen zu erklären.
    „Meine Gebieterin, in deren Garten ihr euch nun befindet, ist Ranyia, die Herrin der Träume, welche die Geschichten dieser Welt sammelt und verwahrt, auf dass sie nicht vergessen werden und vor allem den Menschen zu Erbauung und zur Lehre dienen, wenn diese, in tiefem Schlummer ruhend, den Tempel der Bewahrerin aufsuchen.
    Darüber hinaus bleibt den Sterblichen unsere Welt jedoch verschlossen.
    [FONT=&quot]Nur einmal in hundert Jahren, so will es der Brauch seit den Tagen der Großen Herrscherin Ashani, empfangen wir einige ausgewählte ganz besondere Menschen hier bei uns, und es obliegt mir und meiner Herrin, diese Besucher, also euch durch unser verborgenes Reich zu führen.“


    [/FONT] Meine Eröffnung löste erwartungsgemäß erst ungläubige Fassungslosigkeit und danach eine gewisse Euphorie bei den Menschen aus. Es hielt sie kaum auf ihren Plätzen, als ich ihnen mitteilte, dass wir unseren Rundgang beginnen würden, sobald meine Herrin hier eintreffen würde. Und natürlich wurde ich, während wir auf ihr Erscheinen warteten mit Fragen nur so überschüttet. Warum mussten die Menschen nur immer alles so genau wissen?
    Marf, der einzige Mann in dieser Runde erwies sich als besonders neugierig. Kein Wunder, denn wie er mir erzählte, hatte er in seiner Welt eine ähnliche Funktion inne, wie ich in der meinen. Er war Journalist und sprühte förmlich vor Begeisterung, gerade DIE Story seines Lebens zu erleben.
    Ich dämpfte seine Freude nur ungern mit dem Hinweis, dass er nichts davon, was er hier sah, in einer Zeitung drucken durfte.
    [FONT=&quot]„Aber warum denn nicht? Warum sollen die Menschen denn nicht wissen, dass ihr existiert?“ wandte er ein.



    [/FONT] „Was würden die Menschen denn durch dieses Wissen gewinnen?“ Die sanfte Stimme meiner Herrin enthob mich einer Antwort und nicht nur Marf fuhr herum. Auch die anderen kamen jetzt interessiert wieder näher.
    „Darf ich vorstellen!“ sagte ich mit hörbarem Stolz. „Meine Gebieterin, Ranyia, Herrin der Träume, Hüterin und Bewahrerin über Geschichte und Geschichten der Menschen und der Elo-i!“
    „Ich freue mich, dass ihr gekommen seid.“ meinte sie freundlich, nachdem sie alle mit einem leichten Nicken ihres Kopfes begrüßt hatte. „Und wir sollten uns auch gar nicht lange aufhalten. Die Nacht ist kurz, und es gibt viel zu sehen. Deshalb werden wir uns jetzt trennen. Während Nery mit ihrer Gruppe zunächst dem Tempel der Ewigkeit einen Besuch abstattet, werde ich mit den anderen der Großen Gebieterin unsere Aufwartung machen.“
    „Welche Gebieterin?“ fragte Nath und sah meine Herrin, die ihr direkt gegenüberstand verwundert an. „Ich dachte, du bist das!“
    [FONT=&quot]Ranyia lachte. „Nein, unsere Herrscherin, die Nachfolgerin der Gründerin ist Reshanne. Und sie erwartet euch in ihrer offiziellen Residenz, dem Ratstempel.“



    [/FONT] Sie nickte mir zu, und ich bat die ersten drei der Gruppe mit mir zu kommen. Am Rand des Gartens stand ein von zwei Säulen getragener filigran geschnitzter Bogen, in den ein großer klarer Spiegel eingelassen war. Ich zeigte darauf und bat sie, durch ihn hindurch zu gehen.
    „Dadurch?“ Gottis Stimme klang skeptisch.
    „Dies ist der einzige Weg für die Menschen, das Traumreich zu verlassen. Anders könnt ihr euch in unserer Welt nicht bewegen, denn ihr habt keine Flügel, so wie wir. Aber es besteht gar kein Grund zur Sorge. Versuch es ruhig.“
    Bei dem Wort Flügel horchte sie auf, doch auf mein Drängen hin warf sie mir noch einen letzten unsicheren Blick zu, streckte den Zeigefinger aus und berührte damit die kalte Oberfläche des Spiegels. Ihre Fingerspitze tauchte hinein und verschwand, ebenso wie gleich darauf ihr ganzer Körper.
    „Und jetzt ihr!“ forderte ich Cassio und Lenya auf und die beiden folgten Gotti ohne Zögern.



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  • Die andere Gruppe unter Ranyias Führung ging nach uns durch den Spiegel und erreichte gleich darauf durch einen weiteren Bogen den Ratstempel. Bevor sie mit ihnen das erste Tor durchschritt, drehte sich Ranyia noch einmal um und gab ihnen Verhaltensmaßregeln.
    „Dies ist nicht irgend ein besonderer Ort, es ist das Zentrum der Welt, der heiligste Ort der Elo-i. Nicht einmal ich kann ihn einfach betreten, ohne vom Rat gerufen worden zu sein. Dass euch die Gebieterin hier empfängt, ist eine besondere Ehre, die ihr zu schätzen wissen solltet.“
    „Oh Mann, ich glaub, ich kriege keinen einzigen Ton raus, wenn die mich was fragt.“ flüsterte Lucy Marf zu, der sie anstupste und meinte:
    „Ach was, halb so schlimm. So ein Abenteuer erleben wir nie wieder.“



    Natürlich durten sie in den Ratssaal selbst nicht hinein, das war einfach undenkbar, aber sie konnten von außen ein paar scheue Blicke hineinwerfen, als Ranyia sie an dessen Mauern entlang in den hinteren Teil des Tempels führte, wo sie am Rand eines verwunschen anmutenden kleinen Teiches von zwei Frauen begrüßt wurden.
    Während Reshanne, die gestrenge Herrin der Welt, sich ungewohnt umgänglich beim Empfang der Gäste aus der Menschenwelt zeigte und sich schnell in eine Unterhaltung mit den Mädchen verwickeln ließ, zog sich Ranyia nach einer leichten Verbeugung in ihre Richtung mit dem Hinweis zurück, sie werde die Besucher später wieder abholen. Doch ganz gleich wie fasziniert die Menschen auch von der Herrscherin waren, so glitt ihr Blick doch immer wieder ehrfürchtig zu der anderen Frau hinüber, die in anmutiger Weise ihnen gegenüber auf einem Stein saß. Es war natürlich weniger die Frau selbst, welche die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zog, sondern vielmehr ihre mächtigen Schwingen, die sich über ihre Schultern ausbreiteten.
    [FONT=&quot]Reshanne, die das bemerkte, lächelte nachsichtig. Es kam schon selten vor, dass ein Wesen jemand anderem mehr Beachtung schenkte, als ihr selbst.



    [/FONT] Die Frau, die sie bisher so ernst gemustert hatte, winkte den beiden Mädchen, sich zu ihr zu setzen, während Marf vor ihr auf dem Boden sitzen blieb.
    „Warum trägst du Flügel und die andern nicht?“ wollte Lucy wissen.
    „Die andern tragen sie auch, nur siehst du sie nicht. Wir zeigen sie nur, wenn wir sie brauchen, sonst bleiben sie verborgen.“
    „Sie sind wunderschön!“ hauchte das Mädchen und Daria schien sich darüber zu freuen. „Sehen die der andern genauso aus?“
    Daria schüttelte den Kopf. „Nein, die Farbe unserer Flügel richtet sich nach der Aufgabe, die wir erfüllen, meine sind grün, die der Großen Mutter sind weiß und goldfarben, auf Ranyias schimmern die Sterne des Nachthimmels.“
    [FONT=&quot]„Das ist toll. Fliegen, das möchte’ ich auch gern können!“ seufzte Nath und Daria wandte den Kopf in Richtung Reshannes, die kurz nickte und dann Marf einen Wink gab, ihr zu folgen.



    [/FONT] Nachdem die beiden verschwunden waren, erhob sich Daria, griff nach Naths Hand und zog sie ebenfalls nach oben.
    „Du möchtest also fliegen?“ wiederholte sie verschmitzt. „Warum nicht? Komm, versuch es!“
    Überrascht und verwirrt schnappte Nath nach Luft. „Was? Fliegen? Ich? Aber wie denn, ich hab doch gar keine Flügel!“
    „Oh das macht gar nichts, vertrau mir. Hier ist alles möglich, wenn wir es wünschen. Halte dich einfach gut fest.“
    [FONT=&quot]Und noch bevor Nath etwas erwidern konnte, verlor sie den Boden unter den Füßen und schwebte an Darias Hand langsam nach oben.



    [/FONT] Sie flogen nicht allzu hoch, sondern blieben direkt über Lucy in der Luft. Trotz einger nicht gerade leiser Proteste entzog Daria Nath ihre Hand und gab ihr einen leichten Schubs, dass sie sich ein Stück von ihr entfernte.
    „Keine Angst!“ rief sie ihr zu. „Dir kann überhaupt nichts passieren! Dreh dich, genieß es!“
    „Pass bloß auf, dass du nicht runterfällst!“rief Lucy von unten herauf, die das Ganze mit sehr gemischten Gefühlen beobachtete.
    Daria zwinkerte Nath zu und sah dann zu Lucy hinunter. „Möchtest du vielleicht auch zu uns nach oben kommen?“
    Das Mädchen überlegte einen Moment, dann nickte sie und Daria streckte ihr die Hand entgegen und zog sie, als wären sie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden, zu sich nach oben.



    Und? Wie fandest du das?“ fragte Nath, als sie beide wieder sicheren Boden unter den Füßen hatten.
    „Wunderbar, toll!“ schwärmte Lucy. „Ich könnte das glatt noch einmal machen. Du nicht?“
    „Doch!“ stimmte Nath ihr mit einem wehmütigen Unterton zu. „Das könnte ich sofort.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Schade, dass WIR keine Flügel haben!“
    „Ja! Aber stell dir mal die dummen Gesichter in der Schule vor, wenn wir plötzlich mit Flügeln ankommen würden.“ Die beiden brachen in ungehemmtes Gelächter aus.
    „Hast du eine Ahnung, was Marf inzwischen macht?“ fragte Lucy, als sie sich endlich von ihrem Lachanfall erholt hatten.
    „Dieser Reshanne Löcher in den Bauch fragen, würd ich sagen.“ entgegnete Nath und lag damit gar nicht mal so falsch.




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  • Marf konnte einfach nicht aus seiner Haut. Er war Journalist mit Leib und Seele, und was sich ihm hier bot, war zu unglaublich, zu faszinierend, als dass er hätte widerstehen können. Er wanderte mit dem, wie Ranyia sich ausgedrückt hatte, mächtigsten Geschöpf dieser Erde durch die Gärten des Zentrums der Macht, vorbei an Mauern, die nichts zu halten schien, schwebenden Säulen und Figuren und er konnte Fragen stellen, soviel er wollte, Reshanne beantwortete jede von ihnen mit einer Geduld, die er nur bewundern konnte.
    Dennoch hielt er die Frage, die ihn am meisten beschäftigte, auf die er von Ranyia keine befriedigende Antwort erhalten hatte, lange Zeit zurück, bis er es schließlich wagte, sie nun auch der Herrscherin selbst zu stellen.
    [FONT=&quot]„Warum verheimlicht ihr den Menschen eure Existenz?“



    [/FONT] Reshanne blieb stehen, direkt neben einem kleinen Pavillon, aus dessen Innern ein eigenartiges Leuchten zu kommen schien.
    „Glaubst du denn, die Menschen würden unser Wesen verstehen, unsere Funktion in dieser Welt?“ stellte sie ihm nach einer Weile eine Gegenfrage, auf die er im ersten Moment keine Antwort wusste. „Wir halten eure und unsere Welt zusammen. Wir sorgen dafür, dass Regen fällt, die Pflanzen wachsen, das Leben überhaupt erst möglich ist. Und was tut ihr Menschen? Hier hinter mir befindet sich das Große Auge, durch dass ich beobachten kann, was auf der Erde so vor sich geht. Und was denkst du, muss ich da jeden Tag mit ansehen? Ihr zerstört, was wir aufbauen! Du und deine Begleiter, ihr seid nicht die ersten, die mich hier besuchen, immer wieder haben wir es versucht, Menschen mit einer Botschaft zu euch zu schicken. Ihr habt uns Götter genannt, Engel, Elfen und so vieles mehr, ihr habt ganze Religionen nach uns erschaffen, nur haltet ihr euch nicht einmal an eure eigenen Gesetze, wie sollte es euch mit unseren gelingen? Und die sind weitaus strenger als die euren. Nein, Marf, ihr habt zwar einen großen Schritt nach vorn gemacht, seit die letzten Menschen hier gewandelt sind, doch ihr steht noch immer am Anfang eurer Entwicklung. Später, sehr viel später einmal, werden wir uns euch offenbaren, aber noch seid ihr nicht bereit dazu.“



    Marf schluckte und schwieg einen Moment. Tief in seinem Innern wusste er, dass sie recht hatte.
    „Trotzdem ist es schade! Das wär ein Interview, das ich nur zu gern geführt hätte!“ scherzte er und Reshanne lächelte.
    „Aber das tust du doch gerade!“
    „Ja schon, nur leide wird es niemand lesen, weil ich es nicht drucken kann.“
    „Nein!“ Reshanne schüttelte den Kopf. „Wenn du das versuchen würdest, müssten wir dich vorher zum Schweigen bringen. Und das wäre doch schade, nicht wahr?“
    „Könntet ihr das wirklich tun?“ fragte er, obwohl er nicht daran zweifelte. Reshannes Lächeln verschwand, als sie nickte.
    „Wir könnten, und wir würden alles tun, um unsere beiden Welten zu beschützen. Ganz gleich, was es ist.“
    „Ich verstehe!“
    „Aber was ihr heute hier erlebt, das wird euch nie wieder jemand nehmen. Die Erinnerung an uns wird euch hoffentlich euer ganzes Leben begleiten und euch helfen, das Richtige zu tun. Und wer weiß, eines Tages, sehen wir uns vielleicht wieder!“
    „Wie denn? Wir sind doch nicht unsterblich!“
    [FONT=&quot]„Eure Seelen sind es. Aber das lass dir lieber von meiner Schwester Zaide im Tempel der Ewigkeit erklären.“



    [/FONT] Genau dorthin hatte ich währenddessen meine eigene Gruppe gebracht und sie in die Obhut von Semira, einer von Zaides Dienerinnen gegeben, die sie über einen Seitenaufgang zur Galerie des Tempelsaales brachte. Auch hier galt das Gesetz, dass kein lebender Mensch die Halle selbst betreten durfte. Nur von hier oben aus konnten sie einen Blick in das Allerheiligste der Herrin der Seelen werfen.
    „Erst wenn ihr dereinst selbst den letzten Weg antretet, werden wir euch dort unten vor Zaides Antlitz führen, auf dass sie über eure Taten urteilt und euch euren Platz zuweist in der Ewigkeit des Universums.“ erklärte Semira. „Und glaubt mir, sie ist sehr streng.“
    [FONT=&quot]Cassio ließ den Blick durch die Halle schweifen und stockte bei den Bilder an der gegenüberliegenden Wand. Eines davon zeigte ihre Führerin, das andere die junge Frau an der Seite der Elo-i dort unten im Tempel.



    [/FONT] Semira folgte ihrem Blick und antwortete auf die unausgesprochene Frage. „Das dort in der Mitte ist die Tochter unserer Herrin, Celia. Sie wird dereinst, wenn die Zeit kommt, die Nachfolge ihrer Mutter antreten. Auf den andern Bildern sind die menschlichen Dienerinnnen Zaides dargestellt, die im Laufe der Jahrhunderte hier gelebt haben, nachdem sie gestorben sind, so wie ich und Alyssa.“
    Cassio drehte sich überrascht nach ihr um. „Du bist tot?“ fragte sie ungläubig.
    „Aber ja! Schon seit beinahe zweihundert Jahren! Alyssa sogar noch ein Jahrhundert länger! Zeit bedeutet in dieser Welt gar nichts.“
    Gotti schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, das hört sich irgendwie unheimlich an.“
    „Warum denn?“ Lenya betrachtete Semira plötzlich mit ganz anderen Augen. „Man sagt doch immer, der Tod sei nicht das Ende, sondern nur ein neuer Anfang. Und hier haben wir endlich den Beweis!“
    [FONT=&quot]Semira nickte beifällig. Genauso hätte ihre Herrin es ausgedrückt. Mit einem kurzen Blick nach unten stellte sie fest, dass diese gerade die Halle verließ, das Zeichen, ihre Gäste nun nach unten zu führen.



    [/FONT] Zaide, die nur auf den ersten Blick recht düster wirkende Herrin der Seelen, empfing ihre Besucher auf ähnlich liebenswürdige Weise in den Säulenumgängen am Sockel des sich weit in den Himmel reckenden Tempels. Man ließ sich gemeinsam auf den steinernen Bänken nieder und Zaide erkundigte sich höflich nach ihrer Herkunft, ihrem Weg hierher, ihrem ersten Eindruck. Gotti hielt es nicht lange still auf ihrem Platz. Zu sehr reizte sie der zauberhafte kleine See, der sich direkt hinter den Säulen befand.
    „Gefällt er dir?“ fragte Zaide mit einem Seitenblick auf den Teich und ihre Gesichtszüge wurden mit einem Mal ganz weich. Ihre Augen wanderten an der Tempelmauer nach oben, als suchten sie nach einem ganz bestimmten Punkt und als Gotti es bestätigte, fuhr sie erfreut fort:
    „Das ist der Lieblingsplatz meiner Tochter. Sie sitzt gern dort am Ufer und beobachtet den Lauf der Sterne. Mach es dir ruhig gemütlich, ich denke, sie hat nichts dagegen!“
    [FONT=&quot]Das ließ sich Gotti natürlich nicht zweimal sagen.



    [/FONT] Gleich darauf saßen sie und Cassio, die sich ihr angeschlossen hatte, beide gemeinsam im weichen Gras, sahen hinauf in den Nachthimmel mit seinen tausenden funkelnden Sternen, die sich im Wasser widerspiegelten und unterhielten sich leise miteinander.
    „Ist es nicht traumhaft schön hier?“ flüsterte Gotti, als fürchte sie durch ein zu lautes Wort den Zauber dieses Ortes zu vertreiben.
    „Schön genug, dass man sich wünscht, nicht mehr fortgehen zu müssen!“ bestätigte Cassio mit einem Schmunzeln.
    Träumten sie das alles nur, oder befanden sie sich wirklich und wahrhaftig in einer Welt, die ihnen gleichermaßen fantastisch wie unwirklich erschien? Saß da hinter ihnen tatsächlich die Richterin der Toten und unterhielt sich mit Lenya über das Leben nach dem Tod?




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  • „Und wonach beurteilst du die Menschen, wenn sie gestorben sind?“ fragte Lenya gerade. „Ich meine, wonach entscheidest du, was gut oder böse ist, und was geschieht dann mit den Seelen der Menschen? Und warum bleiben manche von ihnen auf der Erde zurück?“
    [FONT=&quot]Zaide gebot ihr mit der Hand Einhalt. „Das sind zuviele Fragen auf einmal. Hab ein wenig Geduld, ich werde versuchen, es dir zu erklären. Gut und Böse auseinanderzuhalten ist gar nicht so einfach, man kann sie nicht wirklich voneinander trennen, denn das eine kann ohne das andere nicht existieren. Aber so wie wir Elo-i uns bemühen, die Welt zu erhalten und voran zu bringen, so erwarten wir von den Menschen das Gleiche, natürlich innerhalb ihrer Möglichkeiten. Wer selbstsüchtig, nach etwas so unnützem wie Geld strebend, anderes Leben, egal in welcher Form vernichtet, der wird vor meinen Augen keine Gnade finden.“



    [/FONT] „Keine Gnade? Ich bitte dich, Zaide, du bist noch viel zu nachsichtig mit ihnen!“ sagte ein Mann in reichlich herrischem Ton, als er zu ihnen trat. „Diese Kreaturen haben das Leben nicht verdient, das ich ihnen schenke!“
    Lenya riss die Augen auf und musterte den Mann aufmerksam. Wäre er ein Mensch, was er nach seinem Reden zu urteilen, nicht war, dann hätte sie ihn als durchaus attraktiv bezeichnet mit seinem markanten Gesicht und den langen blonden Haaren. Richtig süß! Nur der verächtliche Blick seiner grauen Augen, den er ihr auf einmal mit hochgezogenen Augenbrauen zuwarf, störte sie.
    „Aber Zardon, ich bitte dich!“ tadelte Zaide sanft, ohne dass es den Mann irgendwie beeindruckt hätte und wandte sich dann an Lenya: „Das ist Zardon, wie ich ein Mitglied unseres Rates und der Hüter des Lebens auf der Erde. Und trotz meiner Einladung, die er ANGENOMMEN hat....“ fügte sie mit einem schärferen Unterton hinzu „.....ein wenig mürrisch heute.“
    „DU gibst uns Menschen das Leben?“ fragte Lenya erstaunt. „Aber Du scheinst keine besonders hohe Meinung von uns zu haben?!“
    [FONT=&quot]„Nicht die geringste!“



    [/FONT] „Das verstehe ich nicht. Wieso verachtest du uns Menschen so sehr?“
    „Warum?“ Zardon sah zu den beiden Frauen hinüber, die noch immer am Seeufer saßen und sich scheinbar nicht um seine Anwesenheit kümmerten. Aber natürlich entging ihnen kein Wort von dem, was hier gesprochen wurde. Würde er seine Maßstäbe anlegen, gab es an diesen beiden genauso wenig auszusetzen, wie an den anderen Gästen der Herrscherin. Sonst wären sie gar nicht hier. Konnte er sie alle gemeinsam verurteilen?
    „Euch Menschen fehlt der Respekt vor dem Geschenk, das wir euch zuteil werden lassen. Respekt vor allem Leben. Aber ihr habt nicht mal welchen vor eurem eigenen. Mag sein, dass es Ausnahmen unter euch gibt, aber es sind zu wenige, um wirklich ins Gewicht zu fallen!“
    „So ein Unsinn!“ dachte Cassio, als sie das hörte. „Einer muss ja mal anfangen!“
    „Besser eine Handvoll als keiner!“ fügte Gotti im Stillen hinzu.
    [FONT=&quot]Es kostete Zardon einige Mühe, nicht zu schmunzeln, als er diese Gedanken empfing. Da hatte Reshanne wohl doch mal eine gute Auswahl getroffen! Wenn diese drei freimütigen Damen wüssten, dass er sie hören konnte, ob sie dann noch die gleiche offene Rede führen würde.



    [/FONT] „Ihre Gedanken gehören ihnen, Zardon!“ hörte er Zaide sagen, als sie aufstand und zu ihm ging. Doch sie sprach nur in seinem Kopf. „Hör auf, sie zu belauschen und sei nicht so boshaft zu ihnen. Was sollen sie denn von dir denken!“
    „Dass ich aus meinen Vorbehalten keinen Hehl mache!“ entgegnete er auf die gleiche Weise.
    Zaide schüttelte den Kopf. „Genauso alt wie stur, das bist du!“ sagte sie und wandte sich wieder an die Frau auf der Bank, die von ihrem Gespräch nichts mitbekommen hatte. „Du wolltest wissen, wo die Seelen hingehen, wenn ihr Menschen sterbt, Lenya. Komm mit mir, ich zeige es dir!“
    Zardon fuhr auf. „Du wirst doch nicht.....“
    „Das ist doch kein Geheimnis! Außerdem werden sie es früher oder später sowieso herausfinden, wie jeder von ihnen, wenn du ihren Lebensfaden durchschneidest!“ spottete sie gutmütig.
    [FONT=&quot]Nachdem sie die beiden andern dazugebeten hatte, erzeugte sie einen riesigen Wirbel um sie alle und erhob sich mit ihnen in die Luft. Nur Zardon blieb zurück.



    [/FONT] Als der Wirbel sich auflöste, fanden sie sich auf dem Dach des Tempels in schwindelerregender Höhe wieder. Von hier oben aus sahen sie einen gigantischen Ring aus dunklen Monolithen hinter dem Tempel stehen, den sie vorher aufgrund der vielen Bäume schlichtweg übersehen hatten. Einige von den überdimensionalen Steinen bildeten schmale Durchgänge.
    [FONT=&quot]„Das dort sind die Pforten, durch welche die Seelen hinübergelangen. Eine führt in jene Welt, die ihr das Paradies nennt, aber im Grunde eine höhere Stufe der Existenz bedeutet. Ihr gegenüber liegt die Pforte für die Unbelehrbaren. Sie werden zurückgewofen in ihrer Entwicklung und müssen den ganzen langen Weg bis zum Menschen erneut durchlaufen. Die dritte ist für die Wiedergeborenen, welche sich etwas haben zu schulden kommen lassen, das ich nicht tolerieren, aber durchaus verzeihen kann. Ihnen wird eine neue Chance gegeben, es in einem weiteren Leben besser zu machen und so beim nächsten Mal die goldene Pforte durchschreiten zu können.



    [/FONT] „Ach du meine Güte, ist das hoch!“ stotterte Lenya und hielt sich lieber an Zaides Seite, während Cassio und Gotti neugierig über den Rand des Daches nach unten sahen. Ein bisschen schwindlig wurde ihnen aufgrund der Höhe schon, aber sie vertrauten einfach darauf, dass Zaide schon dafür sorgen würde, dass ihnen nichts geschah.
    „Keine Sorge!“ bestätigte Zaide. „Eure Zeit ist noch lange nicht gekommen. Und wenn ihr so weitermacht wie bisher, dann wird euer nächster Aufenthalt hier nur von sehr kurzer Dauer sein. Und es wird mir eine Freude sein, euch durch die Goldene Pforte schicken zu können. Doch bis es soweit ist, genießt euer Leben, jeden einzelnen Tag davon. Nutzt sie für etwas Gutes und belehrt Zardon eines Besseren, nämlich dass ihr sein Geschenk sehr wohl zu würdigen wisst. Nicht alle, aber viele von euch. Dann wird auch er vielleicht eines Tages den Glauben an die Menschen wiederfinden. Und nun....“ sie hüllte sie erneut in den Wirbel ein.....“wird es Zeit für euch, mit Nery zurückzukehren.“




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  • Nur wenig später fanden sich alle wieder im Garten am See der Träume ein. Die Menschen waren in ausgelassener Stimmung und erzählten sich lautstark gegenseitig von ihren Erlebnissen.
    Amüsiert hörten meine Herrin und ich ihnen eine Weile zu. Es hatte den Anschein, als habe ihnen der kleine Ausflug in unsere kleine Welt recht gut gefallen.
    „Darf ich noch eine Frage stellen?“ Marf grinste leicht verlegen, aber Ranyia schien über seinen Wissensdurst nicht verärgert, im Gegenteil. Derart ermutigt fuhr er fort.
    „Reshanne hat mir unter anderem erzählt, dass ihr uns Menschen zwar leiten wollt, wir aber dennoch immer unserem freien Willen folgen können. Mischt ihr euch wirklich niemals ein? Nicht einmal dann, wenn ihr wisst, dass Unrecht begangen wird und ihr es verhindern könntet? Was ist mit dem, was man Schicksal nennt, gibt es das und wenn ja, wer bestimmt das?“
    Ranyia ließ ihren Blick durch die Runde schweifen, alles wartete gespannt auf ihre Antwort.
    [FONT=&quot]„Das waren schon zwei Fragen!“ meinte sie dann. „Aber ich denke, sie lassen sich beide gemeinsam beantworten. Und zwar am besten auf die Art, wie ich es immer tue, wenn die Menschen mich in meinem Reich besuchen.“



    [/FONT] Sie winkte unseren Gästen, sich am Rand des Sees aufzustellen und bat sie gut hinzusehen. Ich wusste genau, was jetzt geschehen würde. Dieser See war in der Lage, die Gedanken meiner Herrin zu empfangen und für andere sichtbar auf seiner Wasseroberfläche darzustellen. Und nur die Bewahrerin selbst konnte die Macht des Sees heraufbeschwören, niemand sonst. Im eigentlichen Tempel existierte noch eine kleinere, weitaus weniger mächtige Variante von ihm, den sie für gewöhnlich benutzte, wenn sie den schlafenden Sterblichen im Traum erschien, um ihnen eine Geschichte zu erzählen.
    Unsere Gäste aber hatten Glück.
    Sie würden die Geschichte nicht nur hören, dank des Sees würden sie diese auch sehen können.
    [FONT=&quot]Immer klarer stieg das Bild aus den Tiefen nach oben, immer mehr konnte man erkennen. Und dann begann Ranyia zu erzählen:




    [/FONT] Ihr wollt also wissen, ob wir Elo-i das Schicksal für die Menschen wählen, oder ob ihr Menschen diese Entscheidung selber trefft?
    Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen, eine lange Geschichte über die Natur des Menschen, über unbändigen Hass und große Liebe. Und auch über Entscheidungen, die das Schicksal so vieler so nachhaltig beeinflusst haben, Entscheidungen, die vielleicht besser nie getroffen worden wären, oder womöglich mussten sie ja auch getroffen werden?
    Am Ende müsst ihr selbst entscheiden, wie die Antwort auf eure Fragen lautet!
    [FONT=&quot]Ihr könnt euch jetzt wieder setzen, der See wird das Bild in die Luft projizieren. Aber schaut genau hin und hört gut zu!

    [/FONT] Wir schreiben das Jahr 1558 und befinden uns in einem gerade neu erbauten Herrenhaus in England. Seht ihr dort unten die zwei, die so scheinbar friedlich am Feuer ihrer großen Halle sitzen? Von Geburt an Brüder, könnten sie doch unterschiedlicher nicht sein. Der eine arrogant und egoistisch, dabei durchaus charmant und anziehend, der andere aufgeschlossen, mutig, mit einem heiteren aber eher schüchternen Wesen.
    Einem gehört dies alles, der andere muss sein Schicksal der Königin anvertrauen. Nur welcher Königin, fragen sie sich gerade, der jetzigen oder der zukünftigen?“

    „Königin?“ warf Cassio fragend ein. „Sprichst du von Reshanne?“
    [FONT=&quot]„Nein, die Königin ist keine Elo-i, sondern ein Mensch. Hier geht es um Mary und Elizabeth von England. Die eine ist noch und die andere wird bald Königin werden. Aber das wissen die Brüder noch nicht. Sie müssen nur eine Entscheidung treffen, wem sie jetzt die Treue schwören, und sie können sich nicht einigen, das konnten sie nie, selbst als Kinder nicht. Und so werden sie sich schließlich trennen, im Streit. Doch dieser Streit und dessen Ursache wird ungeahnte Folgen haben.



    [/FONT] Kaum ein Jahr später lässt ein Schrei das ganze Haus in seinen Grundfesten erbeben und einer jener beiden Brüder, der Hausherr selbst liegt dort unten am Fuß der Treppe.“
    „Ist er tot?“ Der Ausruf war Lenya entwichen, noch bevor sie ihn zurückhalten konnte.
    „Noch nicht tot, doch sein Leben hängt an einem seidenen Faden. Niemand weiß, was in dieser Nacht geschehen ist, niemand hat es je erfahren, niemand, außer ihm UND IHR, dieser eigenartigen Frau, die dort oben unbeeindruckt auf dem Absatz steht.“
    „Wer ist das?“ wollte Gotti wissen. „Eine Verwandte?“
    [FONT=&quot]Ranyia schüttelte den Kopf. „Keine Verwandte, obwohl sie eine hätte sein sollen, aber seht selbst!“



    [/FONT] Langsam nur ist sie die Treppe hinuntergeschwebt, nicht gegangen, ein zufriedenes Lächeln liegt auf ihren Lippen als sie hinuntersieht, zu dem röchelnden Mann am Boden, einst nicht ohne Einfluss, doch nun so völlig hilflos, Stanley Morgan, zweiter Duke of Ravensdale.
    ‚Dies ist deine letzte Chance!’ flüstert sie mit einer Stimme, die nichts menschliches an sich hat. ‚Es ist die einzige Chance, ... für alle. Gib mich frei und es ist zuende, jetzt und hier!’
    Doch der Mann, dem jeder Knochen im Leib gebrochen scheint, lacht trotz der höllischen Schmerzen höhnisch auf. ‚NIE! NIEMALS’ ächzt er, bevor ihm die Sinne schwinden.



    Sie zuckt mit den Schultern und wendet sich ab. Seht ihr es?
    ‚Dann soll es so sein’ sagt sie, während sie ihn da liegen lässt am Fuß der Treppe, ‚du hast dein Schicksal besiegelt und das von allen, die dir nachfolgen werden in deinem Blut, in deinem Haus, in deinem Amt! Kein Ravensdale wird je wieder das Glück erfahren, das man mir genommen hat!’Spricht es und verschwindet.“

    „Einfach so? Dann ist sie kein Mensch!“ rief Lucy.
    „Ist sie nicht, nicht mehr!“
    „Dann war das eben ein Fluch?“
    „Oh ja. Und nun beantwortet mir eine Frage. Hatte dieser Mann eine Wahl?“
    „Klar und er hat nein gesagt!“ meinte Nath.
    „So ist es. Und er hat diese fürchterliche Entscheidung getroffen, nicht wir! Obwohl wir, das gebe ich zu, auch etwas mit seinem Schicksal zu tun hatten. Aber ich will nicht vorgreifen.“





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  • Dreihundert Jahre später schallen Rufe durch die gleiche Halle. Eine alte, sehr erregt wirkende Dame wird gerade hereingeführt. Ein Bote, heimlich aus diesem Hause abgeschickt, hat ihr soeben eine sehr beunruhigende Nachricht gebracht.
    Und wenn sie in das bleiche Gesicht der Frau auf der Balustrade blickt, sieht sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
    [FONT=&quot]Lady Elizabeth, diese alte und von vielen als exzentrisch betrachtete Dame weiß weit mehr von den Vorgängen in jenem Schloss als jeder andere, nur leider hat ihr bisher keiner Glauben geschenkt.



    [/FONT][FONT=&quot]Auch die Frau nicht, die ihr nun so ungläubig entgegen sieht. Man sieht Lady Alice nicht an, dass sie schon seit mehr als drei Jahren Witwe ist und einen längst erwachsenen Sohn hat. Von Mann und Sohn zärtlich umsorgt und geliebt, hat sie bisher ein ruhiges, beschauliches Leben geführt. Dennoch steckt in der zierlichen Person eine ungeahnte Kraft. Und die wird sie nun auch brauchen, denkt Lady Elizabeth, als sie in ungewohnter Eile die Treppe hinauffliegt, um die Frau, die seit beinahe einem Jahr nicht mehr gesehen hat, in den Arm zu nehmen.



    [/FONT] Gemeinsam betreten sie das alte herrschaftliche Schlafzimmer des Hausherrn, der bleich in seinen Kissen liegt. Fieber schüttelt den Körper von Patrick, dem jetzigen Duke of Ravensdale und einzigen Sohn von Lady Alice, ein Fieber, das niemand erklären kann, am allerwenigsten der Arzt, denn obwohl der junge Mann vom Pferd gestürzt war, hatte er keinerlei Verletzungen an ihm feststellen können.
    Elizabeth könnte es, aber wie soll sie der verzweifelten Mutter in diesem Moment erklären, dass ihr Sohn einem Fluch zum Opfer fällt, unschuldig für die Schuld eines anderen büßen muss.
    Sie würde es ihr sagen müssen, aber nicht jetzt, nicht sofort. Jetzt galt es ein anderes Gespräch zu führen, ein Gespräch auf Leben und Tod, mit IHR, die dafür verantwortlich war, dass ihr Großneffe Patrick Gerald Morgan im Sterben lag. Und sie würde sie nicht einmal suchen müssen.“



    Wie recht sie mit ihrer Vermutung hat, bemerkt sie gleich, als sie sich vom Bett wegdreht. Am gegenüberliegenden Fenster steht eine reglose Gestalt, die sie aufmerksam mustert.“
    „Sie erschrickt nicht mal!“ sinnierte Marf vor sich hin, kaum, dass das Bild vor ihnen erschienen war. Und Ranyia lächelte wieder.
    „Aber nein, warum sollte sie. der Anblick ist ihr vertraut, sie weiß, dass sie hier sein würde, sie war immer da, wenn ein Ravensdale starb, sie war der Grund für deren Tod.“
    „Heißt das, die bringt sie alle um, einen nach dem andern?“ In Lucy’s Stimme hört man gleichzeitig Fassungslosigkeit und Faszination.
    „Gewissermaßen, und nur Elizabeth weiß das. Schon einmal haben sie sich hier gegenübergestanden, vor vielen, vielen Jahren. Damals ging es gut für sie aus, doch diesmal? Elizabeth ist sich nicht sicher, fasst sich aber dennoch ein Herz. Ihr Großneffe hat nur eine Chance, nur sie kann ihm helfen. Doch wird es ihr gelingen, dieses hasserfüllte Herz zu erweichen?
    [FONT=&quot]Was meint ihr?“



    [/FONT] Ewartungsvoll schaute meine Herrin ihre Besucher an, als das letzte Bild verschwand.
    „Möchtet ihr die Geschichte zu Ende hören?“
    Natürlich wollten sie. Ich hätte mit nichts anderem gerechnet. Wenn meine Herrin eine Erzählung beginnt, verfällt jeder dem Zauber, der dabei von ihr ausgeht.
    Und diesmal wird das alles noch verstärkt durch die Magie des Sees.


    Wollt auch ihr wissen, was damals geschehen ist?
    Dann kommt uns besuchen, lasst euch nieder an unserem See und lauscht den Worten meiner Herrin.
    Auf bald dann, lebt wohl!





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    Das war also nun meine Art von Trailer für meine nächsten Pläne, wenn Celia beendet ist.
    Wer sich nun fragt, ob sie das wirklich sind, die User hier aus dem Forum, ja, das sind sie, selbst in ihrem eigenen Spiel erschaffen und mir netterweise zur Verfügung gestellt.
    Ich bin sehr froh, dass ihr euch mit mir auf die Reise gewagt habt und hoffe, ihr hattet dabei genauso viel Spaß wie ich.
    Bleibt mir auch weiterhin so treu, wenn Ranyia euch die Geschichte von Patrick und seinem Hausgeist weitererzählt.


    Einen ganz besonderen Dank möchte ich aber an dieser Stelle noch an zwei User richten:
    einmal an meine liebe Freundin und zuverlässige Beraterin Lenya, ohne deren Hilfe und Zuspruch diese ganz spezielle FS niemals zustande gekommen wäre.
    Und zum andern an Julsfels, die mir mit ihrer Begabung im Meshen gerade sehr dabei hilft, einige sehr wichtige Details für diese neue Geschichte zu schaffen, und dabei einen Haufen Arbeit leisten muss. Bald werdet auch ihr ihre tollen Kreationen bewundern können!:knuddel
    Danke euch beiden!


  • Mit einem ausgesprochen mulmigen Gefühl griff JD nach dem Telefon. Hin und her hatte er überlegt, ob er mit Catherine über Bellas Fantastereien reden sollte, oder lieber nicht. Es behagte ihm ganz und gar nicht, Bellas Vertrauen gewissermaßen zu hintergehen, aber langsam nahmen seine Sorgen überhand. Erst heute morgen war sie wieder mit dieser Idee einer Seance an ihn herangetreten, und ihm fehlte jede Vorstellung, wie er sie von diesem Gedanken abbringen sollte. Auch wenn er durchaus verstand, wie tröstlich der Gedanke für Bella sein musste, durfte er sie noch darin bestärken? Nicht zum erstenmal bedauerte er es, keine Geschwister zu haben, dann stünden ihm jetzt wenigstens ein paar eigene Erfahrungen zur Verfügung. Und so wusste er sich einfach keinen andern Rat mehr, als Catherine um Hilfe zu bitten.
    [FONT=&quot]Doch während er noch darüber nachdachte, ob er auch das Richtige tat, wurde ihm die Entscheidung bereits abgenommen, denn gerade als seine Finger den Hörer berührten, schrillte das Signal los. Unwillkürlich zuckte Justin zusammen, bevor er abnahm.



    [/FONT] ‚Na wenn das mal keine Gedankenübertragung ist’ dachte er, als sich Catherine Blandfort am andern Ende meldete. Aber das kleine Lächeln, das er sich noch eben erlaubt hatte, verflog rasch, als er die Besorgnung in ihrer Stimme vernahm.
    „Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, Justin, ich weiß, Sie sind mit ihrer Arbeit ohnehin schon im Verzug....“
    „Nein, nein,“ wehrte er ab, obwohl sie damit natürlich recht hatte. Glücklicherweise hatte er die meisten seiner Termine verschieben können, damit er sich um Bella kümmern konnte, und zum Glück hatte er derzeit relativ verständnisvolle Kunden. „Was gibt es denn? Irgendwas nicht in Ordnung?“
    „Ist Arabella schon zurück?“ Justin stutzte, was war denn das für eine komische Frage? Catherine kannte doch ihren Stundenplan besser als er. Natürlich war Bella zurück, leider mit einer furchtbaren Laune, wie er vorhin feststellen durfte, als sie ihre Tasche regelrecht in den Flur geworfen hatte und sich ohne viel Worte in den Garten verzogen hatte. Womöglich hatte sie eine schlechte Note gefangen und wusste jetzt nicht, wie sie das ihrer Mutter beibringen sollte. In solchen Sachen verstand Catherine keinen Spaß, wahrscheinlich nicht einmal in dieser Ausnahmesituation! Daher hatte er beschlossen, zu warten, bis sie von selbst mit der Sprache rausrücken würde.



    „Einen Moment bitte!“ bat er und warf einen Blick aus dem Fenster. „Alles bestens. Ich kann sie sehen, Mrs Blandfort, was ist denn los? Stimmt etwas nicht?“
    „Wie lange ist sie schon da?“ verlangte Catherine zu wissen, zwar eindeutig erleichtert, aber auch schon leicht ungehalten. Justin sah kurz zur Uhr hinüber, bevor er mitsamt dem Telefon auf den Balkon hinaustrat, und Bella beobachtete, wie sie mit viel zu hektischen Zügen ihre Bahn im Wasser zog.
    Oh ja, sie hatte eindeutig schlechte Laune, und wie!
    „Seit ungefähr einer Stunde, seit die Schule aus ist.“ beantwortete er die Frage nach einer kurzen Pause und hörte erstaunt, wie Catherine mit einem deutlich hörbaren äußerst undamenhaften Schnauben sagte:
    [FONT=&quot]„Eben nicht!“



    [/FONT] „Würdest du wohl einen Moment rauskommen, Bella, ich hätte da was mit dir zu besprechen?!“ sagte Justin nur wenig später, nachdem er aufgelegt hatte und hinunter in den Garten gegangen war. Die Rolle, die er jetzt gezwungen war, zu spielen, gefiel ihm ganz und gar nicht, aber vermutlich war das immer noch besser, als die Sache der aufgebrachten Catherine zu überlassen, die er nur mit Mühe davon hatte abhalten können, sofort hier aufzutauchen, und ihrer Tochter eine Standpauke zu halten.
    [FONT=&quot]Allerdings schien Bella schon zu ahnen, dass, was immer er ihr sagen wollte, unangenehm werden würde, denn nachdem sie einen Blick in sein ernstes Gesicht geworfen hatte, kam sie langsam und mit tief gesenktem Kopf aus dem Wasser.



    [/FONT] „Ok, junge Dame, würdest du mir mal verraten, wo du vorhin hergekommen bist?“ fragte er sie, als sie vor ihm stand, und bemühte sich, ein strenges Gesicht zu machen.
    „Aus der Schule?“ antwortete sie vorsichtig, doch er stemmte nur die Hände in die Hüften und wiederholte gedehnt:
    „Schule? Bist du da ganz sicher?“
    Da Leugnen ohnehin zwecklos war, zuckte Bella nur noch kurz mit den Schultern. „Woher weißt du es?“
    „Deine Mutter hat gerade angerufen, die Schule hat ihr mitgeteilt, dass du heute nach der Mittagspause nicht wieder zurückgekommen bist. Sie wollten wissen, ob du krank bist. Bist du krank?“
    [FONT=&quot]„Nein!“ entgegnete sie nun schon wieder fast trotzig!



    [/FONT] „Gut,“ spottete er sacht „und wo warst du dann?“
    „Ist das so wichtig?“
    „Ja, verdammt, natürlich ist das wichtig. Deine Mutter macht sich Sorgen und ich ehrlichgesagt auch.“
    „Meine Güte!“ Bella schlug genervt die Hände über dem Kopf zusammen. „Da war ich einmal für drei Stunden nicht in der Schule, und ihr macht einen Aufstand, als würde die Welt davon untergehen. Ich bin doch kein Kind mehr!“
    Noch bevor er irgendwas sagen konnte, rannte sie an ihm vorbei ins Haus, nicht ohne ihm ein: „Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!“ zuzurufen.
    [FONT=&quot]Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr kopfschüttelnd zu folgen. Ersatzbruder zu sein, war schon ein verdammt schwerer Job!


    [/FONT]


    ++++++
    zu Teil 2


  • [FONT=&quot]Doch er ließ sie in Ruhe, zumindest vorerst, weil er bezweifelte, dass sie auch nur ein weiteres Wort mit ihm wechseln würde. Zudem stapelte sich in seinem Büro die Arbeit, also versuchte er sich die nächsten zwei Stunden auf die Pläne seines neuesten Projekts zu konzentrieren, was ihm aber irgendwie nicht so recht zu gelingen schien. Immer wieder wanderten seine Gedanken zurück zu Bella. Was hatte sie nur derart aus der Bahn geworfen? Noch heute morgen war sie ihm in Anbetracht der Umstände sogar richtig glücklich erschienen, und jetzt zog sie eine Leidensmiene, als wäre ihre Welt zum zweitenmal innerhalb weniger Tage untergegangen. Nachdem er aufgrund seiner Unaufmerksamkeit wiederholt die falschen Maße in die Pläne eingezeichnet hatte, sah er ein, dass er so nicht weiter kommen würde, er warf den Bleistift hin und ging hinüber zu Bellas Zimmer. Sie lag, wieder angezogen und mit Schuhen (!) auf dem Bett und starrte Löcher in die Luft. JD holte tief Luft, klopfte leise an die Glastür und ging hinein.



    [/FONT] „He Prinzessin!“ meinte er leichthin, zog sich ein Kissen vom Fenster heran und machte sich’s darauf gemütlich. „Verrätst du mir jetzt, was mit dir los ist?“
    Sie sah kurz zu ihm hinüber und schüttelte leicht den Kopf.
    „Ich mag nicht darüber reden!“
    „Ok, dann reden wir über was anderes. Zum Beispiel über deine Mum und warum sie sich solche Sorgen um dich macht.“
    „JD!“ stöhnte sie, aber er ließ sich nicht beirren.
    [FONT=&quot]„Ich geb’s gern zu, ich hab früher auch die Schule geschwänzt, und das nicht nur einmal. Aber dafür hab ich auch höllischen Ärger mit meinem alten Herrn bekommen, das kannst du mir glauben. Und er hat keinen Grund, Angst um mich zu haben, wie deine Mum.“



    [/FONT] „Wieso denn Angst? Ich war ja gar nicht lange weg, du hast doch nicht mal was gemerkt, und nur weil die Schule angerufen hat, macht ihr jetzt solchen Streß!“
    „Streß?“ Er lehnte sich nach hinten und sah sie mit einem spöttischen Lächeln an. „Wenn du das schon Streß nennst, dann hättest du meinen Dad erstmal erleben müssen, DER hat Streß gemacht, und was für einen!“ Doch dann wurde er wieder ernst. „Du musst deine Mum schon verstehen, nach allem, was passiert ist. Du sagst, du bist kein Kind mehr, also kann ich auch offen mit dir reden. Wer auch immer deinen Bruder umgebracht hat, läuft immer noch da draußen rum, und wir wissen doch nicht, ob er oder sie es vielleicht auch auf dich abgesehen hat. Und wenn du dann einfach verschwindest, glaubst du nicht, dass deine Mum ein Recht darauf hat, sich um dich zu sorgen, immerhin bist du alles, was ihr von der Familie noch geblieben ist!“
    Bella nickte zerknirscht. „Ich war im Shopping-Center von Crestwood.“ gestand sie leise.
    „Crestwood?“ rief JD erstaunt. [FONT=&quot]“Was hast du denn da gemacht?”



    [/FONT] Sie unterhielten sich lange miteinander und Bella merkte, wie gut es ihr doch tat, jemandem ihr Herz ausschütten zu können, und wer wäre denn als Zuhörer auch besser geeignet. Selbstverständlich war sie JD auch dankbar, dass er ihre Mutter soweit beruhigt hatte, dass sie nicht wieder eine ihrer berühmten Szenen gemacht hatte.
    Nachdem sie bestimmt eine ganze Stunde miteinander geredet hatten, hatte er sie mit einem Lächeln aus dem Zimmer gejagt und mit Ben spazieren geschickt, während er selber sich wieder an seine Arbeit machte. Jetzt lag der Hund zufrieden zusammengerollt in seinem Körbchen und schlief, während sie auf der Dachterrasse lag und zusah, wie nach und nach die Sterne am immer dunkler werdenden Himmel erschienen. Sie erinnerte sich daran, wie sie früher, wenn Nicolas an den Wochenenden nach Hause gekommen war, mit ihm gemeinsam spätabends auf der Wiese gelegen hatte, und er ihr die Sternbilder erklärt hatte. Eine Engelsgeduld musste er haben, weil sie die verflixten Dinger bis auf wenige Ausnahmen ständig durcheinander brachte, aber er hatte sie nur mit dem Gedächtnis einer alten Frau aufgezogen und wieder von vorn angefangen. Sie schloss die Augen und seufzte. Er fehlte ihr so sehr!



    „Aber ich bin doch gar nicht fort!“ sagte eine wohlbekannte Stimme leise, die aus ihrem Kopf zu kommen schien.
    „Ich weiß!“ seufzte sie mit geschlossenen Augen weiter. „Ich fühle es, immer wieder. Ich wünschte nur....“
    „Was wünschst du dir?“ fragte die Stimme und Bella antwortete ohne zu zögern:
    „Ich wünschte, ich könnte dich sehen und wenn es auch nur ein einziges Mal ist.“
    „Dann mach die Augen auf, anders geht das nicht!“ riet ihr die Stimme, diesmal direkt neben ihr und Bella stutzte, riss die Augen auf und sofort begann ihr ganzes Gesicht zu strahlen, als sie sprachlos die Erscheinung ansah, die da so plötzlich aufgetaucht war.
    „Nick!“ hauchte sie schließlich und er lächelte sie an. „Bist du wirklich da, ich meine ganz wirklich?“
    [FONT=&quot]„So wirklich, wie man es nur sein kann in meiner Lage!“



    [/FONT] Und dann hielt es Bella nicht mehr auf der Liege. Keine Spur von Angst oder Unsicherheit! Mit einem wahren Freudengeheul sprang sie auf und fiel ihrem Bruder um den Hals, besser gesagt, sie versuchte es, denn als sie ihre Arme um ihn schlingen wollte, griffen ihre Hände ins Leere, sie fuhren direkt durch ihn hindurch.
    „Schon gut!“ suchte er sie zu beruhigen. „Daran muss ich noch etwas arbeiten, das klappt noch nicht so gut! Ich hatte ja auch noch nicht gerade viel Gelegenheit zum Üben! Werd wohl auch kaum noch welche haben....“
    „Und ich dachte schon, ich meine, ich hatte gehofft, dass....du....doch nicht......“ Arabella brach ab, aber Nick verstand sie auch so und schüttelte traurig den Kopf.
    „Daran lässt sich leider nichts mehr ändern, Kleines. Aber wie du siehst, ist es wirklich nicht das Ende, noch lange nicht, das kannst du mir glauben.“
    „Warum bist du hier, warum kann ich dich sehen, warum jetzt?“
    „Weil wir keine Gelegenheit hatten, uns zu verabschieden.“
    „Verabschieden?“ Sie trat einen Schritt zurück. „Willst du fort?“
    „Ich kann nicht ewig bleiben, Bella, auch wenn ich es will. Aber noch bin ich hier. Komm!“ Er deutete auf die Liegen und sie machten es sich beide darauf gemütlich.



    Bella wurde nicht müde, ihren Bruder wie ein Wunder anzustarren. Und war er das nicht in gewisser Weise auch? Oder war sie im Begriff verrückt zu werden? Man bedenke das mal, hier, direkt neben ihr, saß ihr Bruder, ihr toter Bruder und redete mit ihr.
    „Nick, dein Haus, weißt du.....,dass....es....?“
    „Ja, weiß ich. Es ist schade, aber vielleicht ist es auch gut so, wegen der Erinnerung?“
    „Vielleicht, aber.....“ Bella schielte ihn vorsichtig von der Seite an. „Wo.... ich meine, wo lebst du denn dann jetzt, so....als....Geist?“
    „Zuhause, Kleines, ich bin zuhause und pass ein bisschen auf Mum auf!“
    „Das ist gut, sie hat ja niemanden außer Lucy. Hast du......ich meine.....weiß sie, dass du....?“
    [FONT=&quot]Nick schüttelte den Kopf, diesmal heftiger. „Sie weiß es nicht, und das soll auch so bleiben. Es ist besser so. Deshalb darfst du es ihr auch nicht sagen, ja?“



    [/FONT] Verwundert sah sie ihn. Wieso durfte die Mutter denn nicht wissen, dass ihr Sohn noch immer bei ihr war?
    „Willst du dich von ihr denn nicht verabschieden?“
    „Doch, aber vorher muss sie es nicht wissen, ok? Kannst du das akzeptieren?“
    „OK!“ Wenn er das so wollte! Seltsamerweise war es ihr immer leichter gefallen, dem großen Bruder zu gehorchen, als der eigenen Mutter.
    „Dann kannst du mir ja gleich noch etwas versprechen!“ verlangte Nicolas auch sofort und er sah verdammt ernst dabei aus.
    „Was denn?“
    „Kein Schuleschwänzen mehr! Egal, warum. Mach Mum nicht mehr Kummer als unbedingt nötig!“
    „Das war eine Ausnahme heute!“ flüsterte sie.
    „Ich weiß. Trotzdem, keine weiteren Ausnahmen. Willst du über ihn reden, auch wenn du von JD wohl schon genügend Rat bekommen hast?“
    „Hast du vorhin nicht zugehört?“ fragte sie schalkhaft, und er verneinte, noch immer vollkommen ernst.




    +++++++
    zu Teil 3


  • „Wir waren in der Mittagspause in Crestwood.“ begann sie und wehrte auch gleich einen möglichen Einspruch ab. „Ich weiß, nicht gerade die gewohnte Gegend zum Shoppen, aber Cara meinte, dass da auch die Leute von der Jefferson High immer hingehen und deshalb.... na ja, ich dachte halt, dass......“
    „Und hast du ihn gesehen?“
    „Hab ich!“ Nick warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu. Das klang nicht gerade begeistert.
    „Und?“
    „Ich wollte nach den CDs sehen, der Laden soll ganz gut sein, und er stand davor mit irgend so einer Blonden. Und als ich dann vorbei ging, da hat er mich angesehen, ich hab gedacht, ich sterbe gleich....“ Sie stockte. „Oh entschuldige, ich....wollte nicht....“ Er winkte ab.
    „Er hat dich angesehen, und dann?“
    [FONT=&quot]„Ich bin in den Laden gegangen und hab die Regale durchsucht nach was Brauchbarem......“



    [/FONT] „.....und als ich mich umdrehte und durch das Schaufenster nach draußen sah, da.....da.....hat....er.....diese Blonde geküsst! Und das nicht einfach nur so ganz flüchtig, sondern richtig.....doll!“
    Nicolas verkniff sich mit Mühe ein Grinsen über die Empörung, mit der sie gerade diese Tatsache zu betonen schien. Wie schade, dass ihr Mädchentraum so zerplatzen musste, wie eine Seifenblase.
    „Cara hat sich umgehört, sie heißt Bethany Sullivan, geht auf die gleiche Schule und weißt du, seit wann die beiden zusammen sind? Seit dem Konzert! Stell dir das mal vor! Warum hab ich dumme Gans nicht vorher was gemacht? Na ja, jedenfalls hab ich danach erstmal richtig Frust geschoben und hatte absolut keine Lust auf drei Stunden Erdkunde und Bio bei Mr Gähn!“
    [FONT=&quot]Nicolas räusperte sich und Bella begehrte auf: „Sag ja nichts dagegen! Der Mann war doch schon langweilig, als du noch in seiner Klasse warst. Und jetzt schläft er echt fast ein beim Reden. Wiiiiiiiiir woooooolleeeeeeen heeeuuuuteeeee üüüüüüübeeeeeeeeeerr diiiiiiieee Phoooooootooooosyyyyntheeeeeeseee spreeeeeecheeeeen.....“ äffte sie den Lehrer nach und lachte. „Da will ich mal sehen, wie du wach bleibst!“



    [/FONT] Nicolas blieb eine Antwort erspart, denn im gleichen Augenblick gab es ein schepperndes Geräusch und er sah nach der Ursache forschend auf.
    In der Tür zur Terrasse stand JD und starrte ihn an, vollkommen entgeistert, auf dem Boden vor ihm ein Tablett mit lauter kleinen Schachteln.
    „Ich hab Chinesisch bestellt, ich dachte, du hättest vielleicht.....Hunger!“ stammelte er völlig überflüssig, allein die Form der Kartons verriet schon alles.
    „Tolle Idee von dir, Bella liebt Chinesisch!“ antwortete Nick und stand langsam auf, während Bella doch erstaunt schien, dass JD ihren Bruder offenbar ebenfalls sehen konnte.
    [FONT=&quot]Unbeholfen und leicht fahrig hob Justin das Tablett auf und stellte es auf den Tisch am Geländer. „Schade drum!“ murmelte er, bevor er sich umdrehte.



    [/FONT] „Das ist vollkommen unmöglich!“ meinte er, als ihm Nick direkt gegenüberstand.
    „Unmöglich? Sicher? Wo bleibt denn dein Sinn für das Ungewöhnliche, mein Freund?“ schmunzelte er.
    „Den hab ich gerade verloren, fürchte ich.“ Er streckte die Hand nach ihm aus und berührte Nicks Finger. Doch auch er griff mitten durch ihn hindurch. Wieder und wieder schüttelte er den Kopf. „Das gibt’s doch nicht. Bist du.......echt?“ Arabella gluckste vergnügt vor sich hin.
    „Du kannst es ruhig glauben, ich selbst halte mich für ziemlich echt!“ bestätigte Nicolas nach einem kurzen Seitenblick auf seine Schwester.
    „Mensch, Alter, ich fass es nicht!“ Endlich schien sich Justin entschlossen zu haben, seinen Augen zu vertrauen. „Wo zur Hölle kommst du denn her?“
    „Von dort glücklicherweise nicht. Ich war noch gar nicht weg.“
    [FONT=&quot]„Wieso? Ähm, und.... Mensch!“ Justin schlug sich mit der Hand vor die Stirn, bevor er Nick mit einer leichten Bewegung seines Kopfes zur Seite winkte.



    [/FONT] „Nun?“ fragte Nick, als sie sich ein Stück von Arabella entfernt hatten, obwohl er schon ahnte, was sein Freund wissen wollte.
    „Wer war es?“ lautete denn auch seine Frage. „Wer hat euch das angetan?“
    „Ich....kann es dir nicht sagen?“ druckste Nick herum.
    „Weißt du es denn nicht? Hast du den Täter nicht gesehen?“
    „Doch, ich weiß es, JD, ich weiß es. Aber ich kann es dir jetzt nicht sagen, später vielleicht, aber nicht jetzt. Es ist alles viel komplizierter, als es scheint, und......“ er senkte seine Stimme noch weiter, dass Justin sich schon zu ihm herüber beugen musste, um ihn noch zu verstehen. „Es ist noch nicht vorbei.“
    „Was?“ Er konnte den Aufschrei unmöglich zurückhalten, und Bella sah ihn erschrocken an. „Was soll denn das heißen? Ist Bella etwa auch in Gefahr? Bist du deshalb hier?“ Nick schüttelte den Kopf.
    [FONT=&quot]„Nein, nicht Bella, sondern meine Mutter. Bitte...“ er legte seinem Freund die Hand auf den Arm, auch wenn die Finger unter seiner Haut verschwanden. „vertrau mir einfach. Sorge du nur für Bella. Um meine Mutter kümmern wir uns schon!“



    [/FONT] „Wir?“ stutzte Justin. „Was meinst du mit ‚wir’?“ Doch er erhielt keine Antwort mehr. Nicolas drehte sich um, lächelte seiner Schwester zu und entschuldigte sich dann.
    „Es tut mir leid, ich muss los.“
    „Jetzt schon?“ jammerte Arabella. „Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben. Du bist doch noch gar nicht lange hier! Bitte!“
    „Es geht nicht, leider. Doch ich liebe dich, Bella und ich werde immer bei dir sein, versprochen! Und du, mein Freund, bleib wie du bist und vergiss mich nicht!“
    Dann stieg er langsam empor, schwebte über das Geländer nach unten und kam direkt neben dem Stumpf der Tanne auf dem Boden auf, die sie während des Bebens beinahe unter sich begraben hätte.
    [FONT=&quot]„Auf Wiedersehen!“ rief er von unten hinauf, bevor er sich vor ihren Augen auflöste.



    [/FONT] Ganz vorsichtig schob Bella ihre Hand in die von JD und sah verträumt in die Nacht hinaus, in deren Schutz Nicolas verschwunden war.
    [FONT=&quot]„Ich kann es irgendwie immer noch nicht glauben!“ sagte Justin nach einer ganzen Weile leise. „Das ist.......unheimlich“ und bedrohlich, fügte er im Stillen hinzu. Was hatte Nick bloß damit gemeint, seine Mutter wäre ebenfalls in Gefahr? Wer verfolgte diese Familie mit seinem Hass und warum traf er dann nicht auch Bella, stattdessen aber Celia? Was war mit seinem Freund geschehen? Wo ging er jetzt hin? So viele Fragen und nicht eine Antwort.
    Aber dafür hatte er jetzt eine Verpflichtung, die weit über das hinaus ging, was er bisher getan hatte. Und obwohl ihn gerade der heutige Tag gelehrt hatte, wie schwierig es war, mit einem Teenager unter einem Dach zu leben und für ihn Sorge zu tragen, so hatte er dennoch nichts dagegen, diese Verpflichtung einzugehen, nicht nur seinem Freund zuliebe!



    [/FONT] Und während Justin fürsorglich den Arm um Bellas Schultern legte, um mit ihr hineinzugehen, schickte Nicolas ihnen, unsichtbar für die beiden, noch einen letzten Blick hinterher.
    Vielleicht war es ja ein Fehler gewesen, hierher zu kommen und sich den zweien zu zeigen, aber zum einen wusste er, dass die Schwester seine Anwesenheit gespürt hatte und zum andern wollte er sich selbst diesen Abschied nicht versagen. Denn er hatte eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung, die Cressida nicht gefallen würde.

    „Gib gut auf sie acht, dass ihr nichts geschieht.“ flüsterte er leise, als befürchte er, jemand könne ihn dennoch hören. „Wir werden uns nicht wiedersehen, aber die Sache ist es wert. Wann hat ein Mensch schon mal die Gelegenheit die Welt zu retten!“




    +++


  • Nicolas fühlte sich noch ein wenig schwindlig, nachdem Theris ihn vor dem Eingang eines großen Tempels absetzte, der dunkel und, wie es ihm schien, fast ein wenig bedrohlich in den nachtschwarzen Himmel ragte. In seinem Innern flackerten eigenartige Lichter, die ihn aber nicht gerade einladender wirken ließen.
    [FONT=&quot]Es hatte ihn nach dem Abschied von Schwester und Freund große Mühe gekostet, Cressida, oder vielmehr Keyla dazu zu bewegen, seinen Entschluss zu akzeptieren und ihn gehen zu lassen. Doch nach allem, was er inzwischen von ihr erfahren hatte, blieb ihnen und auch ihm selbst wohl keine andere Wahl, wollte er seine Familie beschützen. Und dieser Varik würde erst Ruhe geben, wenn er sein Ziel erreicht hatte. Das Risiko konnte er unmöglich eingehen. Zardon musste seiner Sache sehr sicher gewesen sein, denn er erschien nicht einmal selbst bei ihnen, nachdem Keyla die Verbindung zu ihm suchte, sondern sandte umgehend einen seiner beiden Todesengel, um Nicks Seele in die Welt der Elo-i zu bringen. Wo er sich aber hier befand, das wusste Nicolas nicht.



    [/FONT] So schritt er mit einem recht eigenartigen Gefühl der Verunsicherung an der Seite dieses Todesengels die Stufen hinauf, nicht ohne ihr hin und wieder einen neugierigen Blick zuzuwerfen. Schließlich geschah es ja auch nicht jeden Tag, dass er einem Geschöpf wie ihr begegnete. Sie musste seinen Blick und seine Unsicherheit gespürt haben, denn als sie den obersten Absatz erreichten, drehte sie kurz den Kopf in seine Richtung, nickte ihm zu und es stahl sich sogar der Anflug eines Lächelns auf ihre Lippen.
    „Dies ist der Tempel des Lebens!“ erklärte sie ihm etwas verspätet, „Sei still und sprich erst, wenn mein Gebieter das Wort an dich richtet.“
    [FONT=&quot]Er war erstaunt über den warmen Klang ihrer Stimme, denn als sie ihn vor wenigen Minuten in seiner eigenen Welt abholte, hatte sie ihn kurz gemustert und ihm danach stumm den Arm gereicht, ohne irgendwelche Erklärungen über ihr Ziel abzugeben. Daher musste er sich ganz auf das verlassen, was Keyla ihm berichtet hatte, über die Welt, in der sie einmal gelebt hatte, eine ehrfurchtgebietende Welt, von der er sich aber nicht beeindrucken lassen sollte. Doch erst hier, während er die Treppe erklomm, verstand er, was sie gemeint hatte! Und er empfand Ehrfurcht!



    [/FONT] Ehrfurcht vor diesen riesigen Säulen, vor der beinahe heiligen Stille und der anmutigen Schönheit dieses Ortes, bewahrt von gewaltigen Felsen, die das kleine Tal mit dem vom Sternenlicht erhellten See einrahmten. Aber hatte er auch Ehrfurcht vor diesem Mann, der mit unbewegter Miene am anderen Ende der Halle saß und ihnen stumm entgegensah? Keyla hatte ihm soviel wie möglich über ihren Vater erzählt und sich dabei bemüht, nicht allzu hart mit ihm ins Gericht zu gehen, aber es hatte genügt, dass Nicolas, aller Ehrfurcht zum Trotz in einem Anfall von Selbstbewusstsein die Schultern reckte. So mächtig dieser Mann, dieses Geschöpf, er wusste nicht, wie er ihn bezeichnen sollte, auch sein mochte, jetzt und hier, in diesem Moment brauchte er ihn, ausgerechnet ihn, Nicolas Blandfort, einen einfachen Menschen. Na gut, so einfach nun auch wieder nicht, denn immerhin, so seltsam ihm das auch erschien, dieser Mann dort auf dem Thron war mit ihm verwandt. In was für eine verrückte Geschichte war er da nur geraten und warum ausgerechnet er?


    Aber Nicolas, der nach Theris’ Aufforderung zunächst zurückblieb und ihr nur langsam folgte, war nicht der Einzige, der dieser ungewöhnlichen Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegensah.
    Denn Zardon erging es kaum anders. Menschen in seinem Tempel zu empfangen, behagte dem Herrn des Lebens überhaupt nicht, daher weigerte er sich auch standhaft, den von Herrscherin und Rat einmal in hundert Jahren eingeladenen Besuchern aus der Menschenwelt Zugang zu seinen heiligen Hallen zu gewähren!
    Aber in diesem Fall musste er wohl in den sauren Apfel beißen, denn seinen Plan konnte er nur hier durchführen, hier, wo seit den Anfängen allen Lebens dessen Geheimnis, die Ewige Quelle gehütet wurde!
    Etwas gewundert hatte er sich schon, wie schnell Keyla ihre Meinung geändert hatte, noch mehr aber, als diese ihm während ihrer kurzen geistigen Verbindung mitteilte, es wäre einzig und allein die Entscheidung des Menschen gewesen!
    [FONT=&quot]Wusste der eigentlich, worauf er sich einließ, oder hoffte er gar auf ein neues Leben? Wenn ja, dann stand ihm eine gewaltige Enttäuschung bevor, denn was sie beide erwartete, sollte ihnen Erfolg beschieden sein, war nichts anderes als der endgültige Tod! Zardon fürchtete ihn nicht, Leben und Tod waren für ihn genauso untrennbar verbunden wie die beiden Abbilder der Großen Mutter hinter ihm. Er war ohnehin längst müde, und es gab nichts, das im Universum noch auf ihn wartete, aber dieser Junge, der noch nichts vom Leben gesehen hatte, und der soviel zu verlieren hatte, der würde ihn fürchten.



    [/FONT] „Ist alles für die Zeremonie bereit?“ fragte er Theris, die sich respektvoll vor ihm verneigte.
    „Gewiss, Gebieter, alles wurde ausgeführt, wie du es verlangt hast!“ Zardon nickte zufrieden, zögerte jedoch noch einen Moment.
    „Hat..........hat meine Tochter dir noch eine Nachricht für mich mitgegeben?“
    Theris wagte angesichts seines gepressten Tonfalls einen vorsichtigen Blick in sein Gesicht, bevor sie traurig den Kopf schüttelte. „Nein, mein Gebieter, ihre Gedanken galten nur ....“
    „Nur ...?“ fragte Zardon, als sie zögerte.
    „Nur ihm....“Sie deutete mit einer kleinen Kopfbewegung hinter sich. „Die Prinzessin scheint nicht sehr erfreut zu sein, über die Rolle, die Ihr ihm zugedacht habt, wenn ich das sagen darf.“ Zardon nickte erneut, ohne sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen, selbst wenn er damit gerechnet hatte.
    [FONT=&quot]„Schlimm genug, dass wir auf ihn angewiesen sind, hoffen wir, dass er weiß, was von ihm erwartet wird!“ entgegnete er deshalb.



    [/FONT] „Das weiß er!“ mischte sich ein leicht gereizter Nicolas ein, den es nicht mehr im Hintergrund hielt, nachdem er sich von seinem ersten Staunen erholt hatte. „Aber ER würde es vorziehen, wenn ihr nicht über IHN redet, als wäre ER nicht anwesend!“
    Theris fuhr herum und starrte den waghalsigen jungen Mann an, der da so einfach ihrem Herrn ins Wort fiel. Sie musste auch nicht lange auf die Reaktion ihres Gebieters warten, denn der musterte den zwar benötigten aber dennoch unwillkommenen Gast verächtlich mit seinen grauen Augen, um ihn dann kühl zurechtzuweisen.
    „Du wirst warten, bis du an der Reihe bist, Mensch!“
    „Dieser Mensch, hat einen Namen, und er zieht es vor, auch damit angesprochen zu werden.“ Ohne Furcht sah Nick dem Herrn des Lebens in die Augen, was konnte ihm auch schon passieren, tot war er schließlich schon, selbst wenn er sich seit seiner Ankunft hier längst nicht mehr so fühlte!
    Nur Theris verschluckte sich beinahe, während sie leise hüstelte und sich dabei die größte Mühe gab, den Gebieter nicht merken zu lassen, wie amüsiert sie war. Das hatte es in diesen Hallen noch nicht gegeben. Wenn er den Bogen nur nicht überspannte!
    [FONT=&quot]„Wie kannst du es wagen, Mensch!“ rief Zardon und sprang auf, während dieser unverschämte Kerl seelenruhig die wenigen Stufen zu ihm hinaufstieg und sich vor ihm aufbaute.



    [/FONT] „Ja natürlich bin ich ein Mensch, das musst du mir nicht erst immer wieder sagen. Und ich heiße übrigens Nicolas, ......Großvater!“
    Zardon verschlug es die Sprache ob seiner Dreistigkeit. „Untersteh dich, mich so zu nennen!“
    „Wenn du meinst!“ Nicolas zuckte mit den Achseln. „Aber ich habe deine Überheblichkeit allmählich satt. Ich gebe ja zu, für einen Menschen wie mich, ist dies eine mehr als nur fantastische Welt und reichlich einschüchternd obendrein. Und du hältst dich sicher für sehr mächtig! Na und? Bist du deshalb besser als ich? Ihr Elo-i nennt euch die Hüter der Welt, aber gibt euch dies das Recht, auf alle anderen Geschöpfe herabzusehen?“
    „Nur auf euch Menschen!“
    „Ach! Und warum? Wenn ich deine Tochter, MEINE Großmutter, richtig verstanden habe, dann sind nicht wir Menschen für die bevorstehende Katastrophe verantwortlich, sondern ihr, die ach so untadeligen Elo-i! Was unterscheidet euch denn so sehr von uns? Habt ihr nicht die gleichen Bedürfnisse und Wünsche wie wir, die gleichen Ängste und Fehler? Eure Fähigkeiten und eure Unsterblichkeit allein machen euch nicht besser, ganz und gar nicht! Nur eure Fehler sind verheerender!“
    [FONT=&quot]Einen Moment lang herrschte eine ohrenbetäubende Stille im Tempel, bevor Zardon sich mit einem herrischen Schnauben und einem wütenden Blick auf ihn umdrehte und einfach mitten im Lauf verschwand und Theris mit ihm, während Nicolas, unschlüssig, was er nun tun sollte, damit begann, den Tempel zu erkunden, um schließlich einsam am Ufer des Sees stehen zu bleiben.



    [/FONT]
    ++++++++++
    und zu Teil 2


  • War er womöglich zu weit gegangen? Aber dieser Mann mit seiner offen gezeigten Verachtung hatte ihn so wütend gemacht, wie er es nicht mehr gewesen war, seit seine Mutter damals über seinen Kopf hinweg den Umzug beschlossen hatte. Damals, dieser verhängnisvolle Abend erschien ihm eine Ewigkeit her zu sein, damals, als er noch nicht einmal ahnte, in wen er sich da verliebt hatte, in eine Frau, die kein Mensch war, die ihm den Tod brachte, ihnen allen, wenn sie es nicht verhinderten. Doch was würde dann aus ihr werden? Keyla hatte ihm nicht sagen können, oder wollen, ob Celia diese Vereinigung, die Zardon durchführen wollte, auch überstehen würde. Nur wie gefährlich das für beide Seiten sei, das hatte sie immer wieder betont, wohl nur, um ihn davon abzubringen.
    [FONT=&quot]„Es ist gefährlich, und wir können alle dabei sterben!“ Nicolas erschrak zwar, als der Mann – und wie er aus den Augenwinkeln feststellte, auch Theris - so plötzlich hinter ihm auftauchte, doch er verzog keine Miene, wandte sich auch nicht um, sondern wartete. „Aber auch das wäre einer Herrschaft Variks vorzuziehen, glaub mir!“ Verschwunden schien aller Groll aus Zardons Stimme. „Für uns beide bedeutet das den Tod, egal wie es ausgeht, denn wir lösen uns auf, in einander und in ihr. Aber sie kann es überleben, so wie meine Tochter es überlebt hat! Es ist eine Chance, nicht mehr, aber auch nicht weniger!“



    [/FONT] Er kam noch einen Schritt näher, bevor er leise hinzufügte, ohne zu wissen, weshalb er das sagte: „Aber du musst das nicht tun, noch kannst du zurück. Wenn du es willst, schicke ich dich zurück zu deiner Familie.....“
    „Was hätte ich davon....“ winkte Nicolas ab.
    „Lebendig!“ vollendete Zardon seinen Satz und sah, wie Nicks Schultern sich anspannten.
    „Das ist unmöglich!“ flüsterte Nicolas fasziniert und verzweifelt zugleich.
    „Du vergisst, wer ich bin. Ich nehme das Leben, doch ich kann es auch zurückgeben. Ein Wort von dir und ich vereine deine Seele wieder mit deinem Körper.“
    „Aber wie? Wie ist das möglich?“
    Tatsächlich, da stahl sich doch ein Lächeln auf Zardins blasse Lippen. „Komm!“ sagte er. „Ich zeige es dir!“
    [FONT=&quot]Er wandte sich um, gab der wartenden Theris ein Zeichen, worauf diese erneut verschwand und bedeutete Nicolas ihm zu folgen.



    [/FONT] Als sich die Tür hinter ihnen schloss, sah sich Nicolas neugierig um. Der Raum erstreckte sich weit unter den Boden des Tempels, im oberen Bereich standen mehrere Statuen, ähnlich denen, die er schon hinter dem Thron und auch auf dem Dach des Tempels hatte stehen sehen, nur waren es hier durchweg schwarze, bis auf eine einzige weiße.
    Er wollte Zardon schon danach fragen, was es damit auf sich hatte, doch der wies bereits nach nach unten.
    „Dies ist der Schrein der Ewigen Quelle, fließt ihr Wasser durch meine Hände, genährt durch das Feuer der Großen Mutter, spendet es neues Leben. Tauchst du mit deinem Körper dorthinein, verbindet ihr euch wieder und du wirst leben.“
    „Aber mein Körper....er.... ist verbrannt..........und begraben.“
    „Das war nicht dein Körper, sondern ein Ersatz, den Theris dorthin gebracht hat, auf meinen Befehl.“
    [FONT=&quot]„Willst du damit sagen, ich könnte wirklich wieder leben, als Mensch, drüben bei meiner Familie?“



    [/FONT] „Ja! Das könntest du!“ bestätigte Zardon, ging an ihm vorbei die Treppe hinunter und lief, ohne auch nur ein klein wenig einzusinken, über die spiegelnde Wasseroberfläche auf den Brunnen zu, der sich am anderen Ende des Beckens erhob. Ringsum flammten die Kerzen in überall verteilten Leuchtern auf, als ein Wink seiner Hand aus dem oberen Kelch ein blaues Feuer emporschießen ließ.
    Fasziniert beobachtete Nicolas, wie die Flamme auf und nieder zuckte, ihr Schein sich in den zahlreichen Spiegeln brach und den ganzen Raum in ihr magisches Licht einhüllte.
    [FONT=&quot]Was für ein verlockendes Angebot! Dabei hatte er sich doch längst mit seinem Tod abgefunden! Und jetzt kam dieser Mann daher und sagte ihm, er könnte zurückkehren, zu Bella, zu JD und zu seiner Mutter, von der er sich aufgrund der Eile, mit der man ihn abgeholt hatte, nun doch nicht mehr hatte verabschieden können.



    [/FONT] Und dann öffnete sich die Tür und Theris kam herein, auf ihren Armen trug sie, Nicolas musste zweimal hinsehen, sie trug ihn, das heißt, seinen leblosen Körper. Er trug noch immer den Anzug von der Dinnerparty und abgesehen davon, dass seine Wangen fürchterlich blass aussahen, bemerkte er keinerlei Veränderung, die der Tod doch hätte hervorrufen müssen.
    Es war ein unheimlicher Anblick zu sehen, wie sie mit ihrer Last, mit ihm selbst Stufe für Stufe zum Becken hinunter schritt, um ihn dort abzulegen.
    „Warum tust du das?“ fragte Nicolas mit belegter Stimme. „Warum sagst du mir das? Warum jetzt?“
    Ja warum eigentlich? Im Grunde stellte Zardon sich die gleiche Frage. Warum hatte er ihm nur das Angebot gemacht? Vielleicht weil er es ihm schuldig war, vielleicht weil er es seiner Tochter schuldig war und auch sich selbst. Vielleicht auch, weil ihn die Entschlossenheit und Furchtlosigkeit, mit der ihm der junge Mann entgegengetreten war, ärgerte, ihm aber gleichzeitig auch imponierte. Er vermochte es nicht zu sagen, es war einfach so über seine Lippen gekommen.
    „Erscheint es dir grausam?“
    [FONT=&quot]„Ja, in gewisser Weise! Du weißt doch genau, dass ich dein Angebot, so verlockend es auch sein mag, nicht annehmen kann.“ antwortete er voller Bitterkeit, als ihm das bewusst wurde. „Was hätte ich davon, wieder lebendig zu sein, wenn dieser Kerl inzwischen Celia dazu benutzt, alles zu zerstören, also auch meine Welt und meine Familie!“



    [/FONT] Theris hatte die unterste Stufe erreicht und legte den Leichnam am Rand des Beckens ab. Zardon kam über das Wasser zurückgelaufen und sah auf den toten Körper hinunter.
    „Ist es nicht so?“ hörte er dessen Besitzer ungeduldig von oben fragen und nickte.
    „Ja, so ist es! Wenn du in deine Welt zurückkehrst, müssten wir eine andere Möglichkeit finden, um Celia zu uns zurückzubringen.“
    „Und gibt es eine andere Möglichkeit?“ Zardons Blick, der noch immer auf dem leblosen Körpers seines Urenkels haftete, wurde nachdenklich. Der Junge war wirklich beharrlich. Aber gab es eine andere Möglichkeit? Keyla allein konnte es nicht schaffen, das hatte er ihr zwar nicht gesagt, aber er, Zardon wusste es, er wusste schon seit ihrer Initiation, was in diesem Mädchen für Kräfte schlummerten. Und wie erschrocken er damals war! War es dann nicht sinnlos, seine Tochter zu opfern? Und was war mit der anderen Variante, die, welche Mardianne einst scheute? Durfte er das wagen?
    „Nein!“ sagte er mit fester Stimme. „Es gibt keine Möglichkeit, die wir jetzt gehen könnten!“
    „Wozu dann die Diskussion?“ fragte Nicolas und kam die Stufen herunter.
    „Weil wir es tun müssen, und ich sicher sein will, dass du dir über die Konsequenzen im Klaren bist. Ich werde deine Seele zurück in deinen Körper versetzen, weil du nur dann die Vereinigung mit mir vollziehen kannst. Hast du das verstanden?“
    Nicolas nickte und Theris beugte sich auf ein weiteres Zeichen ihres Herrn wieder nach vorn und ließ den Leichnam vorsichtig ins Wasser gleiten.




    ++++++++++++
    weiter zu Teil 3


  • Zur gleichen Zeit aber tauchte ein weiterer, diesmal aber unangekündigter Besuch vor den Toren des Tempels auf.
    „Seltsam!“ meinte Zaide zu ihrer Schwester. „Müsste nicht wenigstens eine von Zardons Cha-yi kommen und dich begrüßen, wenn er selbst nicht da ist.“
    „Ja, so müsste es sein!“ antwortete Reshanne und ließ den Blick über den hellerleuchteten Tempel schweifen. Zardon hatte sich heute kurzfristig im Rat entschuldigen lassen und so hatte sie beschlossen, ihn gemeinsam mit ihrer Schwester in seinem eigenen Heiligtum aufzusuchen. Normalerweise tat sie das niemals unangemeldet, selbst wenn es ihr als Herrscherin natürlich zustand, gerade diesen Tempel aufzusuchen, wann immer sie es wünschte. Doch die Zeit drängte ebenso wie so mancherlei Frage nach einer Antwort verlangte.
    „Spürst du das auch!“ stieß sie nach einer Weile hervor und Zaide nickte.
    „Hier stimmt etwas nicht. Ich weiß nicht was, aber da ist etwas, das hier nicht sein sollte. Ob ihm etwas zugestoßen ist? Varik.... womöglich....?“
    [FONT=&quot]„Nein!“ Reshanne schüttelte energisch den Kopf. „Überall, nur nicht hier! Nein, es ist etwas anderes! Komm!“



    [/FONT] Ihre Ahnung trog sie nicht, wie sie nur wenig später entsetzt feststellen musste, als sie an der Seite ihrer Schwester die Halle der Quelle betrat. Das blaue Flamme brannte, Zardon stand neben dem Abbild der Großen Mutter, ihm gegenüber schickte sich ein Mensch, oder vielmehr das, was einmal ein Mensch gewesen war, an, in das Wasser der Quelle einzutauchen.
    „Sofort aufhören!“ befahl sie mit donnernder Stimme, das Bein des Mannes blieb in der Luft hängen, als er sich nach ihr umdrehte. Und auch die neben ihm stehende Cha-yi fuhr mit einem leisen Schrei herum.
    „Was fällt dir ein, Zardon?“ rief sie zu ihm hinüber, als er keine Anstalten machte, zu ihr zu kommen. Vollkommen reglos stand er da, Enttäuschung auf seinem Gesicht und, das machte vor allem Zaide stutzig, Verzweiflung in seinem Herzen.
    „Was hat ein Mensch ohne meine Erlaubnis in dieser Halle zu suchen? Ich glaube, du schuldest mir eine Erklärung!“ Und nicht nur eine, dachte Reshanne bei sich, während sie ihre Aufmerksamkeit auf den Mann am Beckenrand richtete. „Du da! Du kommst sofort nach oben!“
    [FONT=&quot]Zaide legte ihr die Hand auf den Arm und meinte: „Ihn überlass ruhig mir, sprich du mit Zardon!“



    [/FONT] Während Reshanne Zardon mit einer mehr als herrischen Geste zu sich beorderte, und sich zur Seite wandte, ging Zaide nach unten. Schon als sie den ersten Schritt auf den jungen Mann zumachte, wusste sie, wen sie vor sich hatte. Es konnte gar nicht anders sein. Allein diese strahlenden Augen in ihrer für Menschen so ungewöhnlichen Farbe, die ihr nun fasziniert aber auch bang entgegensahen, würden ihn schon verraten, doch sie spürte noch so viel mehr Vertrautes in ihm, so vieles, was süße und gleichzeitig qualvolle Erinnerungen in ihr wachrief, dass sie gar nicht anders konnte, sie lächelte ihn mit solcher Güte an, dass fast augenblicklich jegliche Sorge aus seinem Gesicht verschwand.
    „Du bist also Nicolas Blandfort!“ meinte sie, und er nickte, unfähig, etwas zu sagen. „Wir hätten uns schon eher kennenlernen sollen. Ich bin Zaide, Celias Mutter!“
    „Du bist..... Seine ohnehin schon großen Augen weiteten sich noch mehr vor Erstaunen.
    „Ja Nicolas! Ich bin die Herrin der Seelen! Und nach euren Vorstellungen bin ich auch deine Tante, so wie Celia deine Cousine ist.“
    [FONT=&quot]„Ähm, ja, ich....“ weiß, hatte er sagen wollen, sich aber dann noch rechtzeitig daran erinnert, dass sowohl Keyla als auch Zardon ihm eingetrichtert hatten, niemandem von ihrer Existenz zu erzählen, schon gar keiner Elo-i, und wenn sie auch so liebenswürdig schien, wie diese. Celias Mutter, nun, er hatte sich die erste Begegnung mit seiner zukünftigen Schwiegermutter ein wenig anders vorgestellt. Ob er sie wohl nach Celia fragen konnte?



    [/FONT] Während sich Nicolas und Zaide voneinander angetan unterhielten und Theris sich wohlweislich entfernt hatte, musste sich Zardon der leidigen Aufgabe stellen, Reshanne zu erklären, was er da gerade zu tun beabsichtigte. Immerhin hatte er seinen Plan nicht mit ihr abgestimmt, geschweige denn sie um Erlaubnis gebeten, was er genaugenommen hätte tun sollen. Dieser Ort war nicht nur der Hort des Lebens, er war gerade für die Herrscherinnen von immenser Bedeutung, was ihm Reshanne gerade sehr verdeutlichte, indem sie stumm seinen Erklärungsversuchen lauschte und dabei starr auf die Statue vor ihr sah.
    „Du hast also von Anfang an gewusst, wie man Celia zurückholen und Varik ausschalten kann, und es für dich behalten!“ konstatierte sie bitter. „Du lässt uns alle händeringend nach einer Lösung suchen, und verfolgst stattdessen eigene Pläne. Und währenddessen ist Varik immer mehr erstarkt und erschafft aus dem armen Ding ein Wesen, das uns alle vernichten wird. Wie konntest du das zulassen? Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt, schon an dem Tag, als du dich endlich entschlossen hast, mich über deine Verwandtschaft mit Celia aufzuklären?
    Zardon wusste darauf nichts zu erwidern, denn Reshanne hatte natürlich recht, er hätte ihr die Wahrheit sagen müssen, die ganze Wahrheit! Nur wie, ohne sein Kind zu verraten?
    [FONT=&quot]„Nun?“ fragte Reshanne ungeduldig, wandte sich ab und verließ die Quelle, nicht ohne Zardon unmissverständlich klar zu machen, dass er ihr zu folgen habe und sie eine Antwort von ihm erwartete.



    [/FONT] Auch Zaide und Nicolas begaben sich, nachdem sie Reshannes Weggang bemerkt hatten, nach oben. Auf dem Weg zur Tür blieb Nicolas stehen, und sah zu den Statuen hinüber, vor denen Reshanne eben noch selbst gestanden hatte. Zaide folgte seinem Blick, ging darauf zu und fragte: „Hat Zardon dir erzählt, was es damit auf sich hat?“
    Überrascht sah er sie an, las sie etwa seine Gedanken.
    „Ja, das tue ich.“
    „Können das alle Elo-i?“
    „Nein, nur die Mächtigsten unter uns.“
    Die Mächtigsten, so wie Celia, dachte er.
    „Ja, so wie Celia.“ bestätigte sie. „Doch als Mensch hatte sie die Fähigkeit verloren.“ Sie lächelte traurig, und er wusste, was sie ihm damit sagen wollte.
    „Jede der schwarzen Statuen steht für eine vergangene Herrscherin. In ihrem Sockel wird in einem speziellen Schrein ein kleiner Rest an Energie der jeweiligen Herrscherin aufbewahrt, wenn sie von hier aus ihre letzte Reise antritt, wodurch dieser Ort seine Kraft erhält und bewahrt. Immer wenn eine neue Herrscherin ihr Amt antritt, wird eine neue weiße Statue aufgestellt, die auf sie wartet, bis ihre Zeit gekommen ist. So wie jene auf der anderen Seite für Reshanne aufgestellt worden ist.“
    „Und warum ist die hier in der Mitte so hervorgehoben, die Blumen, die Säulen, die Kerzen?“
    [FONT=&quot]„Diese war die allererste, sie gehört der Großen Mutter, von der wir alle abstammen.“ Lächelnd wehrte Zaide weitere Fragen ab, denn im Augenblick drängte es sie, zu erfahren, was Zardon mit dem armen jungen Mann vorgehabt hatte.



    [/FONT] Reshanne, die das inzwischen wusste, war mit Zardon in die Große Halle zurückgekehrt.
    „Angenommen, ich unterstelle dir die besten Absichten!“ sagte sie gerade. „Angenommen, du hättest damit Erfolg, so stellt sich mir doch die Frage, ob du deinen Plan auch bis zum Ende durchdacht hast?“ Zardon kam gar nicht dazu, ihr eine Antwort zu geben. Er vermochte ohnehin nur aus ihrem Tonfall erahnen, wie verstimmt die Gebieterin wirklich war, weil sie sich vollständig gegen ihn abschottete. Doch er kannte sie gut genug, um gerade aus der sanften Stimme nur die schlimmsten Schlüsse zu ziehen. „Wenn du mit Hilfe dieses Menschen die Vereinigung mit Celia vollziehst,“ fuhr sie fort. „Wer soll denn dann dein Amt übernehmen, Ranyia kann die Traumwelt nicht einfach jemand anderem überlassen?“
    Das war die Frage aller Fragen. Und im Grunde hatte er ja längst die richtige Antwort parat. Dies war die beste Chance, Reshanne endlich alles zu beichten, und ihr die Zustimmung zu Keylas Rückkehr abzuringen. Dennoch entschied er sich in letzter Sekunde dagegen. Gerade jetzt bot ihre Welt keinen Schutz vor Varik, so verrückt es sich in seinen Ohren anhörte, doch in der Welt der Menschen war seine Tochter im Augenblick am sichersten. Solange Varik nicht ausgeschalten war, durfte er keine Möglichkeit bekommen, Keyla zu erreichen. Erst nach seiner Vernichtung würde Reshanne gar nicht mehr anders können, als Keyla die Rückkehr zu erlauben.



    „Nun?“ fragte Reshanne und sah ihn spöttisch an. „Hattest du das vielleicht in deinen Überlegungen vergessen?“
    „Nein, ganz und gar nicht!“ widersprach er. „Da gab und gibt es nur eine einzige logische Wahl.“
    „Und die wäre?“
    Zardon neigte den Kopf, als müsse er sich erst dazu durchringen, den Namen zu nennen, und da wusste sie es.
    „Nein!“ rief sie aufgebracht. „Niemals! Das hat Melynne schon bei deiner Tochter verboten und das aus gutem Grund!“
    „Und das war ein Fehler, wie wir alle ja wohl inzwischen wissen. Überleg doch mal, Reshanne, ein Wesen mit solcher Macht muss auf unserer Seite sein, und wo wäre sie besser aufgehoben als hier, im Schutz all deiner Vorgängerinnen. Meine Güte, sie könnte jeden von uns ersetzen, selbst dich!“
    „Um so mehr ein Grund, ihr nicht noch mehr Macht zu geben! Herrin des Lebens! Das fehlte noch!“ Beinahe kraftlos fiel sie auf den Thonsessel und lachte kurz in einem Anfall von Hysterie auf.



    „Aber Schwester, was soll denn dann mit ihr geschehen?“ rief Zaide, die gerade hinzugekommen war. „Du kannst sie doch nicht genauso verbannen, wie Melynne es mit Keyla getan hat.“
    „Doch das kann ich!“ sagte Reshanne. „Und ich werde es. Celia wird, wenn sie Variks Einfluss entrissen ist, ihre Fähigkeiten aufgeben und in die Menschenwelt zurückkehren.“
    „Aber dann wird sie sterben!“ Verzweifelt warf Zaide sich der Schwester zu Füßen. „Bitte, das darfst du nicht tun!“
    So unbewegt sie nur konnte, sah Reshanne über beider Köpfe hinweg.
    „Solange du mir keinen besseren Weg nennen kannst, der nicht unsere ganze Existenz erneut gefährdet, verbiete ich die Vereinigung mit diesem Menschen. Und diesmal wirst du tun, was ich von dir verlange, oder ich werde dich selbst verbannen! Ich habe es satt, dass jeder tut, was er für richtig hält. Dies ist keine Menschendemokratie. Unser System ist uralt, und ich werde nicht länger dulden, dass es von wem auch immer unterlaufen wird! Die Seele dieses Menschen wird Zaide in den Tempel der Ewigkeit bringen, der einzige Ort, wo er in unserer Welt hingehört, sein Körper wird von mir selbst verwahrt. Dies ist mein letztes Wort!“




    +++


  • [FONT=&quot]Reshanne fühlte sich ungewohnt erschöpft, als sie in den Ratstempel zurückkehrte. Der Schock, dass ausgerechnet Zardon hinter ihrem Rücken eine solch unerhörte und zudem auch noch verbotene Zeremonie wie die Vereinigung mit einem Menschen durchzuführen wagte, saß tief. Auch schienen weder er noch Zaide einzusehen, wie unmöglich es war, ein Wesen von solcher Macht, wie es Celia jetzt schon war auch noch mit den Kräften einer Herrin des Lebens zu versehen. Niemand wusste, ob durch diese Vereinigung tatsächlich alles von Variks dunkler Energie in ihr gelöscht wurde, ob sie nicht irgendwann einmal seinen Gelüsten verfallen würde, dann hätten sie die Palastrevolte, vor deren Beginn sie standen, nicht aufgehalten sondern nur verschoben. Warum sahen sie das nicht ein?



    [/FONT] Reshanne schloss die Augen. Nur einen Moment Ruhe wollte sie sich gönnen, bevor sie sich wieder mit der Frage herumquälen musste, was sie nun tun sollte. Einen Moment, den sie für gewöhnlich nutzte, um ihre Gedanken durch das Universum eilen zu lassen, in die unendliche Dunkelheit der Nacht einzutauchen und sie gleich einem Stern zu erhellen. Sie liebte diese Momente, in denen sie, gänzlich losgelöst von ihrer physischen Existenz, einfach nur die Schönheit dessen zu genießen vermochte, was sie so mühsam zu bewahren suchte. Doch heute gelang es ihr nicht. Ihre Gedanken blieben gefangen in ihrem kleinen Refugium, drehten sich einzig und allein um ihre große Sorge, sie alle zu retten, und dass ohne diesen kleinen mutigen Menschen zu opfern. Sie musste fast schmunzeln, als sie an die wenig schmeichelhaften Gedanken dachte, die sie von ihm empfangen hatte, als sie die Zeremonie unterbrochen hatte. Aber die Chance für ein Gelingen dieses Wahnsinns war einfach zu gering, oder doch nicht?
    Immer fester schlossen sich ihre Augen, immer tiefer zogen ihre Gedanken sie in die Dunkelheit und dann......



    Sie fand sich, ohne dass es ihr bewusst geworden wäre, sich von ihrer Liege erhoben zu haben, mitten im Lauf in einem Seitengang der Großen Ratshalle wieder. Verwundert sah sie sich um, was war mit ihr geschehen? Wo wollte sie hin?
    Neben ihr flammten in gewohnter Weise die Kerzen auf, sobald sie ihnen näher kam, doch sonst lag der Tempel in tiefer Nacht, selbst die Sterne über ihr schienen sich verdunkelt zu haben. Nur die Blumen dufteten wie immer intensiv in ihren Schalen, und auch die Brunnen warfen noch immer ihr Wasser in gichtsprühenden Fontänen weit in die Höhe. Nichts deutete daraufhin, wie nah ihre Welt vor der Katastrophe stand.
    Kopfschüttelnd ging Reshanne weiter, um in ihr Refugium zurückzukehren. Da ihr die Ruhe offensichtlich versagt blieb, konnte sie auch gleich weitergrübeln. Nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen verfluchte sie den Augenblick, an dem die gesamte Macht des Universums auf die übergegangen war.
    [FONT=&quot]Oh warum nur hatte Melynne sich keine andere ausgesucht, warum nicht ihre Schwester, die doch um so vieles stärker war als sie selbst?



    [/FONT] „Aber du bist doch stark genug!“
    Reshanne hob den Kopf auf der Suche nach dem Ursprung der Stimme. Sie kam direkt von ihrem eigenen Thron, der, wenn keine Ratsversammlung stattfand, mit einem Schleier aus hauchdünnen Fäden verhangen wurde.
    Auf ihrem Sessel saß eine Frau, die sich, als Reshanne näher trat, langsam erhob und sie ansah.
    Reshanne war viel zu erstaunt, um empört darüber zu sein, dass jemand es wagte, ihren Platz einzunehmen, noch sich darüber zu wundern, wie es dieser Person gelungen war, überhaupt in den Ratstempel vorzudringen.
    „Wer bist du?“ flüsterte sie, weil ihre Stimme ihr den Dienst versagte.



    „Weißt du das nicht?“ fragte die Gestalt und trat näher an den Schleier heran, sodass Reshanne selbst das gütige Lächeln auf ihren Lippen sehen konnte. Und noch während sie ihr fasziniert entgegenstarrte, unfähig sich zu rühren, überkam sie eine tiefe Ruhe und Zufriedenheit und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen.
    „DU bist es!“ rief sie und wollte sich zu Boden werfen, nur um feststellen, dass ein leichtes Kopfschütteln der Frau schon genügte, sie daran zu hindern. „Ich dachte, wir alle dachten, du hättest uns verlassen!“
    Wieder schüttelte die Frau sacht den Kopf, dass ihre silberglänzenden Haare auf und nieder tanzten. „Ich habe euch nie verlassen, ich bin immer bei euch, in jedem einzelnen von euch. Ihr erinnert euch nur nicht mehr daran.“
    „Warum bist du hier?“
    „Weil du mich um Hilfe gebeten hast!“
    [FONT=&quot]„Habe ich das?“ Reshanne verstand nichts mehr. Wann sollte sie das getan haben?



    [/FONT] Die Frau trat durch den Schleier hindurch und schwebte die Stufen zu Reshanne hinunter.
    „Du hast eine Frage, die du selbst nicht beantworten kannst. Darum bin ich hier. Und es ist nicht das erste Mal, dass mir diese Frage gestellt wurde.“
    „Nicht? Wer hat es noch getan?“ fragte Reshanne, obwohl sie die Antwort eigentlich schon wusste.
    „Deine Vorgängerin!“ bestätigte die Frau. „Und ich werde dir die gleiche Antwort geben wie ihr, denn wie es scheint, habt ihr mich beide beim ersten Mal nicht verstanden.“
    „Beim ersten Mal?“
    „Der Spiegel, Reshanne, der Spiegel. Erinnerst du dich nicht mehr daran, was er dir bei deiner Einführung gezeigt hat?“
    [FONT=&quot]„Doch, nur hab ich es nicht deuten können.“



    [/FONT] „Dann musst du wohl noch einen weiteren Blick hineinwerfen, mein Kind!“
    „Aber der Spiegel erlaubt doch jeder Herrscherin nur einen einzigen Blick in die Zukunft.“
    „Und wer hat das festgelegt?“ fragte die Frau mit einem weiteren hintersinnigen Lächeln, während sie an ihr vorbei ging.
    „Du!“ antwortete Reshanne.
    [FONT=&quot]„Eben!“ Die Frau nickte zufrieden, entfernte sich mit langsamen Schritten immer weiter von ihr und wurde mit jedem einzelnen immer durchsichtiger und durchsichtiger. „Sieh hinein, in den Spiegel, Reshanne, aber sieh genau hin, erkenne die Wahrheit, und du findest, wonach du suchst. Hab keine Furcht, du wirst nie, niemals allein sein, wir alle sind bei dir!“
    [/FONT]



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