• „Sie sehen schon wieder ein bisschen blass um die Nase aus!“ bemerkte JD, als Nicolas sie für einen Moment in seine Obhut übergab. „Kopfschmerzen?“
    Sie nickte. „Ich hab auch keine Ahnung, wo sie herkommen. Vorhin dachte ich schon, sie wären verschwunden, aber jetzt scheinen sie immer stärker zu werden, fast schon unerträglich. Ich möchte nur nicht, dass Nicolas sich Sorgen macht. Er bringt es noch fertig, mich auf der Stelle wieder in seine Röhre zu schieben.“ Aus dem Lachen wurde nur ein verunglücktes Grinsen, ein eindeutiges Zeichen, wie schlimm die Schmerzen sein mussten, also meinte Justin:
    [FONT=&amp]„Vielleicht sollten Sie einfach ein paar Minuten Ruhe genießen, weg von der Musik. Hinter dem Haus, wo der kleine Teich ist, dürfte es um einiges angenehmer sein. Machen wir einen kleinen Spaziergang! Kommen Sie! Denken Sie nicht lange nach! Nick läuft Ihnen schon nicht weg.“



    [/FONT] Er nickte seinem Freund kurz zu, der mit angestrengter Miene direkt neben Caroline einen der leider obligatorischen Gastgebertänze absolvierte und verließ mit Celia im Schlepptau den Teil des Gartens, in dem die Party stattfand.
    [FONT=&amp]Caroline, die das sehr wohl bemerkt hatte, unterbrach für einen Moment den Tanz mit ihrem Vater und sah den beiden nach. „Wo wollen die denn hin?“ dachte sie bei sich und beschloss, gleich nach Ende des Tanzes Ausschau nach ihnen zu halten. Vielleicht bot sich hier ja eine hübsche kleine Gelegenheit?! Dieser Sanderson war ihr ohnehin ein Dorn im Auge. Sie wusste genau, dass er sie nicht leiden konnte und alles tat, um Nick von ihr fernzuhalten. Wäre doch zu schön, wenn die beiden..... Und selbst wenn nicht, Nick würde heute noch sein blaues Wunder erleben.



    [/FONT] Justin hatte recht behalten. Die Ruhe hinterm Haus tat Celia wirklich gut. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und war einfach eine Weile im Gras hin- und hergelaufen, während Justin anfangs schweigend neben ihr ging, bis er auf ihr Drängen hin ein paar Geschichten aus der gemeinsamen Uni-Zeit mit Nick zum Besten gegeben hatte. Schließlich erklärte er nach einem Blick auf die Uhr, er müsse jetzt schnell los, um Bella abzuholen und sie hatte sich, ohne einen Gedanken an das sündhaft teure Kleid zu verschwenden, ins Gras fallen lassen und beobachtete die Sterne, die sich im klaren Wasser des Teiches spiegelten.
    Nach dem ersten Tanz mit Nicolas war die Zeit so schnell verflogen, dass sie kaum glauben mochte, es sei bereits nach Mitternacht, vor allem, weil es durch die vielen überall verteilten Lampen beinah taghell schien. Selbst der Himmel wurde von einem besonders hellen Mond erleuchtet.
    [FONT=&amp]Celia bereute es nicht, Nicks Einladung angenommen zu haben, wenn man mal von Carolines boshafter Zunge absah. Doch dieser Anfang war schnell vergessen, als sie in seinen Armen lag, seine Nähe genoss und sich wünschte, die Musik möge niemals aufhören zu spielen. Kein Wort war zwischen ihnen gefallen, während sie tanzten, doch was bedeuteten schon Worte, wenn zwei Menschen sich so nahe waren.[/FONT]



    „Nun renn doch nicht so, als wäre der Teufel hinter dir her.“ Celia sprang auf. Das war doch Nicolas. Versteckt hinter dem Busch lugte sie über den Teich hinweg zur anderen Seite des Gartens, wo Caroline unter den herabhängenden Zweigen der alten Weide stehen geblieben war und dicht hinter ihr, Nicolas!
    „Was schreist du denn so?“ Carolines Stimme war wesentlich leiser, aber dennoch hörbar. „Ich bin doch nicht taub!“
    „Was soll die ganze Heimlichkeit, Caro?“ fragte Nick und Celia nickte vor sich hin.
    „Das wüsste ich auch gern.“
    Und dann wurden die Stimmen so leise, dass sie nichts mehr verstehen konnte.


    „Was heißt denn hier Heimlichkeit? Du wolltest doch unbedingt reden.“
    „Jetzt?“ Nick starrte sie entgeistert an.
    „Warum denn nicht? Uns vermisst doch im Moment keiner. Aber bitte, wenn du es dir anders überlegt hast.“ Sie zuckte mit den Schultern.
    „Caro!“
    „Nein, geh ruhig!“ winkte sie ab und drehte sich um. Aber genau das konnte Nick einfach nicht tun.
    „Was soll denn der Zirkus?“ schlug er einen versöhnlichen Ton an. „Wir sind doch beide erwachsen und sollten eigentlich auf diese Kinderspielchen verzichten können, meinst du nicht?“
    „Kinderspielchen?“ Sie fuhr herum. „So nennst du das also, wenn du auf meinen Gefühlen herumtrampelst.“
    [FONT=&amp]Nick zuckte zusammen. „Das tu ich doch gar nicht!“



    [/FONT] „Oh doch mein Lieber, das tust du sehr wohl. Erst servierst du mich deiner Mutter und all unseren Freunden als die Frau an deiner Seite und dann stößt du mich vor aller Augen vor den Kopf, indem du den ganzen Abend mit einer andern verbringst, engumschlungen, als wärt ihr zwei zusammengewachsen! Wie würdest du das denn nennen?“
    „Du wusstest doch, dass sie kommt.“ hielt er dagegen und runzelte die Stirn. „Du hast sie ja praktisch selber eingeladen.“
    „Sicher! Aber ich dachte doch nicht, dass es dir so ernst mit ihr ist.“ gestand sie, diesmal richtig kleinlaut und er dachte schon, er habe sich verhört.
    „Mein Gott, Caroline, natürlich hab ich es ernst gemeint. Wieso denn auch nicht? Wieso missgönnst du mir das plötzlich?“
    „Tu ich ja nicht. Es ist nur, dass.... weil, ......weil ich schon im Sandkasten in dich vernarrt war. Was glaubst du denn, warum ich bei deinem Riesentäuschungsmanöver überhaupt mitgemacht habe, was? Ich hoffte, mit der Zeit, da.... würdest.....du.........du schon merken, wie gut wir zusammenpassen. Und das tun wir ja auch, du willst es nur nicht sehen!“
    „Es geht doch nicht nur darum, ob man zueinander passt.“ meinte er verlegen. „Hier geht es zuallererst um Gefühle, um ......Liebe.“
    [FONT=&amp]„Ich weiß, das ist ja das Schlimme.“ seufzte sie und trat ganz nah an ihn heran, als solle niemand hören, was sie ihm zu sagen hatte.



    [/FONT] Und das traf auch zu, zumindest in Bezug auf Celia, die längst von ihr entdeckt worden war. Nur ihretwegen war sie schließlich hier. Mal sehen, wie ihr die kleine Show gefiel? Und weil das natürlich nicht reichen würde, gab es ja noch diese hübsche Neuigkeit, die ihre Mutter aufmerksam, wie sie nun mal war, besorgt hatte. Dieses Weib sollte ihr büßen für die Demütigung, die sie heute hatte hinnehmen müssen. All die nur halbversteckten hämischen Blicke, die sich in ihren Rücken brannten und die Bewunderung, die stattdessen dieser gedächtnislosen Göre hinterhergeworfen wurde.
    Celia hingegen beobachtete mit wachsender Verwirrung, wie sich diese furchtbare Frau immer weiter an Nicolas herandrängte. Noch ein Schritt mehr und sie hing an seinem Hals. Und er machte keinerlei Anstalten, sie daran zu hindern. Gewiss, sie waren Jugendfreunde, aber ging das jetzt nicht doch etwas zu weit, vor allem wenn man sich Carolines Verhalten am früheren Abend vor Augen hielt?
    [FONT=&amp]Jetzt legte sie ihm schon die Hand auf den Arm und ihr Mund schien beinahe an seinem Ohr zu knabbern. Sie beschloss, einzugreifen. Irgendjemand musste ihn vor dieser Schlange retten.



    [/FONT] „Was ist das Schlimme, Caroline?“ fragte Nick ruhig, obwohl ihm ihre Nähe sehr wohl unangenehm zu werden begann.
    „Dass ich dich liebe....“ hauchte sie und er schloss die Augen. Genau das hatte er gefürchtet.
    „Caro, ich .... es .... tut ....mir....so leid, aber .....“
    Sie lächelte. Dieses unschuldige, verstehende, ja verzeihende Lächeln, das er früher so an ihr gemocht hatte, bevor sie so biestig wurde. „Ich weiß ....!“ meinte sie fast schon lakonisch. „Du liebst mich nicht.“
    „Nein!“ stimmt er mit Bedauern zu. Sie war seine Freundin, so lange er denken konnte, er wollte ihr nicht wehtun, aber ihr deshalb etwas vormachen, kam ebenfalls nicht in Frage. „Nein , Caro, ich liebe dich nicht. Daran ändert sich auch nichts, denn .... ich liebe Celia!“ Er erwartete wieder eine spitze Bemerkung, eine dieser kleinen Boshaftigkeiten, die sie so gern verteilte und die es ihm leichter machen würden, doch stattdessen nickte sie einfach nur, ohne dass ihr Lächeln verschwand.
    „Das ist nicht zu übersehen. Und wenn du glücklich bist?“
    „Das bin ich, sehr sogar.“
    „Dann ist es doch gut. Nur bitte lad mich nicht unbedingt zu eurer Hochzeit ein, ja?“
    „Caro!“ Schon hob sich seine Hand, wozu wusste er selber nicht, da schien sie zu stutzen, ließ ein „oh, oh“ hören und deutete mit den Augen hinter ihn.



    ++++++++++++
    zu Teil 2


  • Nicolas musste sich gar nicht erst umdrehen, er wusste auch so, wen er vorfinden würde. Es musste ja so kommen!
    „Verdammt!“ fluchte er leise vor sich hin. Eben noch hatte er gedacht, dass sich dieser Abend nach dem furchtbaren Anfang doch noch recht gut entwickelt hatte, und das verdankte er zu nicht geringem Teil ihr, seiner wundervollen, sanften Celia. Was mochte jetzt in diesem Moment in ihr vorgehen? Er würde sich nicht wundern, wenn sie die Situation gründlich missverstanden hätte. Immerhin kannten sie sich nicht lange genug, als dass sie wirklich uneingeschränktes Vertrauen zu ihm hätte haben können. Doch sie stand ganz ruhig dort am Rand des Teiches und sah zu ihm herüber. Er konnte keinen Ärger in ihrem Gesicht entdecken, keinen Vorwurf, nur..... Verwirrung und eine Spur von Angst.
    Er machte einen Schritt auf sie zu, als Caroline ihn zurückhielt.
    „Warte Nicolas. Ganz gleich, was du jetzt sagen willst, es wird nichts nützen. Solche Dinge müssen wir Frauen schon unter uns ausmachen!“
    [FONT=&quot]„Caro! Das .......halte ich .....nicht gerade ......für eine gute Idee!“ würgte er heraus, doch zu spät.



    [/FONT] Sie wartete seine Antwort nämlich gar nicht erst ab, sondern ging schnurstracks zu Celia hinüber, noch immer mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen.
    „Miss Moreau, wie schön!“ rief sie in einem Ton, als habe sie tatsächlich nur auf ihr Erscheinen gewartet. „Ich finde, Sie kommen genau im richtigen Augenblick!“
    „So? Finden Sie das?“
    „Aber ja!“ rief sie laut genug, dass Nicolas sie hören konnte. „Wir haben gerade erst von Ihnen gesprochen?“
    „Ah wirklich?“ Celia musterte ihr Gegenüber mit wachsamen Augen. Sie mochte ja nur noch wenig über die menschliche Natur wissen, aber diese Art aufdringlicher Freundlichkeit konnte nur falsch sein. Und da senkte Caroline auch schon die Stimme.
    [FONT=&quot]„Wenn Sie glauben, Sie hätten das Spiel bereits gewonnen, irren Sie sich gewaltig, meine Liebe!“ gurrte sie, dass es sich anhörte, als machte sie ihr ein Kompliment, während ihre Augen Blitze abzuschießen schienen. „Nicolas gehört mir, er wird mich nie verlassen. Sie, Miss sind nicht die erste und werden auch nicht die letzte sein, zu der er sich hingezogen führt. Das bringt sein Beruf so mit sich. Doch ich bin stark genug, um seine gelegentlichen ‚Ausrutscher’ hinzunehmen, denn er kommt ja doch immer wieder zu mir zurück.“



    [/FONT] „Ich bin stärker als SIE glauben, MEINE LIEBE!“ äffte Celia ihren Tonfall nach. „Und ich halte eher Sie für den Ausrutscher.“
    Caroline wurde blass. „Sie sind ein Niemand!“ zischte sie. „Sie werden niemals in unsere Kreise passen. Schon deshalb wird er Ihrer sehr bald überdrüssig werden. Er blamiert sich nicht gern, und Catherine ebenfalls nicht.“
    „Ich glaube, seine Mutter sieht das ganz anders.“ Sie spürte, wie der Ärger in ihr hoch stieg, wie das Wasser in einer zu engen Röhre, höher und höher, und dabei jede Zelle ihres Körpers überflutete. Ihre Hände schlossen sich zu Fäusten und ihre Nägel krallten sich in ihr Fleisch, weil sie fürchtete, sie sonst dieser eingebildeten Ziege in die Wangen zu schlagen.
    Caroline aber lachte lauthals, als würde sie sich unendlich amüsieren, beugte sich nach vorn und flüsterte: „Sie sollten sich nicht auf ihre Gunst verlassen! Catherine hat schon sehr oft den Launen ihres Sohnes nachgegeben, aber jetzt, wo sie ihren alten Familientitel zurückbekommen hat und es darum geht, wer einmal die berühmten Landsdown - Diamanten trägt, wird sie das letzte Wort sprechen, und nicht Nick. DER wird sich ihren Wünschen fügen, so wie er es immer getan hat. Man sieht es ja, er packt schon seine Sachen für England. Nein, Miss Moreau, Sie..... sind längst Geschichte. Genießen Sie diesen Abend, er kommt nicht wieder.“
    [FONT=&quot]Dann drehte sie sich um und ging mit einem überlegenen Lächeln, als wäre alles in schönster Ordnung zu Nicolas zurück.



    [/FONT] Hinter sich ließ sie eine Celia, deren Blut zu kochen begann. Ganz gleich, was sie auch versuchte, es gelang ihr nicht, ihren Zorn länger im Zaum zu halten. Diese, ....diese.... sie fand einfach kein Wort, das ihr auch nur annähernd passend schien. Und Nick ging nach England? Wieso wusste diese entsetzliche Frau davon und sie nicht? Kein Wunder, dass sie sich so überlegen fühlte. Die Neuigkeit mochte vielleicht nicht ganz den Effekt haben, den die „Dame“ sich vorgestellt hatte, aber es schmerzte schon. Nur zeigen würde sie nicht, jedenfalls nicht dieser .... dieser.....
    „Irgendwann werden Sie an ihrer eigenen Bosheit ersticken, Miss Vandermere!“ rief sie ihr nach und Nick hielt vor Schreck selbst die Luft an. Was um alles in der Welt hatte diese Verrückte ihr erzählt? Er wollte Caroline schon zur Rede stellen, da weiteten ihre Augen sich in grenzenlosem Entsetzen, ihre Hände griffen an ihre Kehle, sie röchelte.
    Irritiert überlegte er einen Moment, ob sie ihm womöglich eine Komödie vorspielte, aber das Röcheln wurde immer stärker.
    „Caro?“ fragte er noch immer zweifeln. „Was ist los?“
    [FONT=&quot]„Hiiich .....kriege.... keine ....Luft... mehr.“ ächzte sie. „Hiiiilf ….mir......Nick.“ Nein, das war kein Theater mehr. Erschrocken lief er zu ihr, blieb aber direkt vor ihr wie angewurzelt stehen und starrte zu Celia.



    [/FONT] Die hatte sich inzwischen völlig verändert. Wie in einem Krampf gefangen stand sie da und fixierte mit ihren zusammengepressten Augen die nach Luft ringende Caroline. Ein gefährlich wirkendes Feuer glomm in ihren Pupillen auf, das sich langsam über ihr gesamtes Gesicht ausbreitete, bis es fast von selber leuchtete. Ihre Lippen waren nur noch als Strich erkennbar, so fest lagen sie aufeinander.
    Was passierte hier? Was passierte mit ihr? War sie das? Sorgte sie dafür, dass Caroline nicht mehr atmen konnte? Es schien völlig unmöglich zu sein, und dennoch die einzige, wenn auch wenig logische Erklärung. Womöglich besaß sie tatsächlich eine Art psychokinetischer Kräfte, welche nun durch ihre fast schon körperlich greifbare, aufgestaute Wut offen zutage traten. Doch seltsamerweise fürchtete er sie deshalb nicht. Im Gegenteil!
    [FONT=&quot]Leise und beschwörend rief er ihren Namen, während er auf sie zuging, bat sie, Caroline gehen zu lassen, immer wieder und wieder. Und er legte alle Liebe, die er für sie empfand in seine Stimme in der Hoffnung, so zu ihr durchdringen zu können.



    [/FONT] Und dann spürte er es selbst. Eine eiserne Faust spannte sich um seine Kehle, drückte sie zu, fester, immer fester.
    „Celia!“ rief er in der entsetzten Erkenntnis, dass sich ihre Wut nunmehr auch gegen ihn richtete. Doch aus dem Schrei wurde nur mehr ein Gurgeln und dann ein Röcheln. Dennoch streckte er ihr die Hand entgegen und versuchte, sie zu berühren. „Hör ...auf, bitte,...du...musst...aufhören. Ich ....bin ....es. Das....willst.....du.....nicht......das......bist ....nicht.....du, Celia?“
    Sie reagierte nicht. Neben sich hörte er Carolines letzte mühsame Atemzüge, sah aus den Augenwinkel, wie sie sich zusammenkrümmte und zu Boden sank, ein Schicksal, gegen das er verzweifelt alle Kräfte mobilisierte. Wenn er Celia doch nur erreichen könnte! Eine Berührung mochte schon genügen, dass sie wieder in die Realität zurückfand so hoffte er. Doch es war, als würde er gegen eine Wand laufen. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr, sein Körper beugte sich, seine Worte verhallten ungehört.
    [FONT=&quot]„Oh Gott, lass es nicht zu, lass es nicht zu.“ flehte er stumm, weil kein Laut mehr aus seiner Kehle drang. „Das darf einfach nicht sein. LIEBE DARF NICHT TÖTEN! ..........CELIA!“



    [/FONT] Stille! Entsetzliche Stille hüllte sie ein. Obwohl ihre Augen weitgeöffnet waren, sah sie nichts als Schwärze vor sich, die sich nur langsam aufzuhellen begann. Sie fühlte sich, als würde sie aus einem Traum erwachen, einem Alptraum, wie man ihn sich schlimmer nicht vorstellen konnte. Und es war seine Stimme gewesen, die sie geweckt hatte, die ihr den Weg aus der Dunkelheit wies. ER hatte ihren Namen gerufen, und die Kälte, welche ihren Körper gefangen hielt, wich der Wärme, die seine Stimme in ihr erzeugte.
    Doch nun war es still, beängstigend still. Nicht ein Laut drang mehr an ihre Ohren. Energisch befahl sie der Dunkelheit, zu weichen. Sie wollte sehen, ihn sehen. Und die Dunkelheit gehorchte und verschwand. Und sie .... sah.
    „Nick? Nicolas?“ Aus dem angstvollen Flüstern wurde Panik. Sie beugte sich zu ihm hinunter, berührte scheu seine Stirn, seine Hand. „Nicolas, bitte, was hast du denn nur? Wach auf, bitte!“ Die nicht weit entfernt liegende Caroline beachtete sie gar nicht. Alles was sie sah, war sein gekrümmter Körper, für den es nur eine Erklärung geben konnte, doch ihr Herz weigerte sich, zu glauben, was ihr Verstand längst begriffen hatte.
    [FONT=&quot]„Er kann nicht mehr aufwachen!“ sagte eine sanfte Stimme direkt neben ihr, doch sie sah nicht auf. Immer wieder streichelte sie seine Wangen, in der Hoffnung, dass er die Augen aufschlagen würde. „Er wird sie nie wieder öffnen.“ fuhr die Stimme unbeirrt fort. „Er ist tot! Und DU .... hast ihn getötet.“



    [/FONT] „NEIN!“ schrie sie und sprang auf. „Er ist nicht tot! Er ist nicht tot! Nein, NEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!!“
    Der Wind legte sich, kein Grashalm bewegte sich mehr. Vögel verharrten mitten im Flügelschlag, selbst Mond und Sterne hielten inne in ihrem Lauf. Die Zeit stand still und ein Schrei stieg zum Himmel hinauf, der die Welt in ihren Grundfesten erzittern ließ.
    „Nein!“ wimmerte sie danach nur noch, als würde sie um Gnade betteln. „Nein, das ist nicht wahr. Das war ich nicht, das hab ich nicht getan. Nicht ihn, nicht ihn!“
    „Es ist nicht deine Schuld. Du konntest nichts dagegen tun. Es war viel zu stark für dich!“ sagte die Stimme, doch sie fand keinen Trost in ihren Worten.



    +


  • Weiches, kaltes Leder berührte ihr feuchtes Gesicht, wischte ihre Tränen fort, streichelte ihre Wange.
    Der Mann sah merkwürdig aus und das nicht nur wegen der riesigen Schwingen auf seinem Rücken. Sein Gesicht wurde größtenteils von einer Maske verborgen, aber die Augen. Sie erkannte seine Augen.
    „Damien?“ flüsterte sie ungläubig und noch immer schluchzend. Er schüttelte den Kopf.
    „Damien war nie real, aber ich, ich bin es. Und ich bin hier, um dir zu helfen.“
    „Mir helfen? Wieso? Wie konnte ich das tun?“ rief sie und fühlte eine neue Woge des Schmerzes über sich zusammenschlagen. Verzweifelt sah sie ihn an. „Ich, ich hab ihn doch geliebt, und ich hab ihn doch gar nicht angerührt, wie konnte ich ihn dann umbringen?“
    „Du musst niemanden berühren, um sein Leben zu beenden. Du hast einfach die Macht dazu. Leider fehlt dir die Kontrolle, um sie auch zu beherrschen.“
    [FONT=&quot]„Welche Macht? Wovon sprichst du. Ich versteh dich nicht?“



    [/FONT] „Sieh mich an!“ befahl er und als ginge tatsächlich eine Art Zwang von ihm aus, tat sie, was er verlangte. „Du bist kein Mensch, du bist wie ich, eine Elo-i, eine Göttin, älter als du glaubst und mit der Jahrtausende alten Macht unseres Volkes ausgestattet . Doch du bist weggelaufen, hast dir die Haare abgeschnitten, um zu zeigen, dass du dich von uns lossagst, nur noch Mensch sein wolltest. Durch den Unfall hast du dein Gedächtnis verloren, deshalb erinnerst du dich nicht mehr an uns. Doch du hast von uns geträumt. Weißt du das noch?“
    „Ja!“ hauchte sie, während sie weiter in seine hypnotischen Augen sah. „Da war ein Mädchen mit Flügeln so wie deine, nur blau.“
    Er nickte zufrieden. „Das bist du, die wirkliche Celia, die Göttin.“
    „Aber....“
    [FONT=&quot]„Es ist deine wahre Natur. Du hast versucht, sie zu verleugnen, doch sie ist stark, zu stark, um sie verdrängen zu können. Wehre dich nicht dagegen. Du musst es annehmen. Du bist dazu bestimmt, dies ist dein Schicksal.“



    [/FONT] „Schicksal!“ wiederholte sie mechanisch.
    „Ja, Schicksal! Es wird Zeit, Zeit, dass du dich erinnerst.“ befahl er weiter. „Löse die Blockaden, reiß die Wände ein, die du selbst gebaut hast, um dich dahinter zu verstecken. Dein Leben hängt davon ab. Gleich werden sie kommen. Sie kommen, um dich zu töten. Denn sie haben Angst vor dir und dem, was du tun kannst. Darum haben sie dein Gedächtnis blockiert, weil sie hofften, du würdest deine Kräfte hier verlieren. Was für eine Dummheit! Doch darum kannst du deine Kräfte nicht kontrollieren, darum musste dieser Mann sterben. Und wenn du dich jetzt nicht erinnerst, wenn du dein Erbe ablehnst, wird er umsonst gestorben sein. Dann werden sie gewinnen. Erinnere dich! Erinnere dich jetzt! Komm zurück zu uns, komm zurück ..... zu mir!“
    Zufrieden bemerkte er, wie sich ihre Augen weiteten, ihr Blick vollkommen starr wurde, ebenso wie ihr Körper. Kein Muskel rührte sich mehr. Celia war in Trance gefallen.
    [FONT=&quot]„So ist es gut. Wenn du erwachst, wirst du die Wahrheit meiner Worte nicht mehr anzweifeln.“



    [/FONT] Er wandte sich ab, begab sich zu Caroline und stippte sie leicht mit dem Fuß an: „Deine Aufgabe ist erfüllt, zeige dich mir!“ befahl er und beobachtete, wie der Körper dieser Menschenfrau sich augenblicklich aufbäumte.
    Ein heller Lichtstrahl brach aus der gleich darauf wieder reglos ins Gras Fallenden hervor, ein weiterer und noch einer, ein Schatten erhob sich, undeutlich, fließend noch, doch seine Umrisse nahmen immer stärkere Konturen an, bis man schließlich die Gestalt einer Frau erkennen konnte, die sich langsam aus dem am Boden liegenden Körper erhob.
    „Du hast deine Sache gut gemacht, ich bin sehr zufrieden mit dir!“ lobte Varik und wartete, bis sie ihren Wirt vollends verlassen hatte.
    Die Frau neigte in völliger Ergebenheit den Kopf. „Danke Gebieter. Diese Frau zu beherrschen, war nicht sonderlich schwer. Sie ist schwach, kleinlich und boshaft. Die perfekte Wahl für Euren Plan. Aber die Herrin ist stark. Ihre Selbstkontrolle zu durchbrechen, war nicht leicht. Fast hätte ich es nicht geschafft.“[FONT=&quot]



    [/FONT] “Oh ja, sie ist sehr mächtig.“ stimmte ihr Varik zu. Er würde gut auf sie achten müssen, wenn er nicht selbst einmal so enden wollte.
    „Habt Ihr nun eine neue Aufgabe für mich, Gebieter? Was immer Ihr befehlt, wird geschehen!“
    „Begib dich unverzüglich in den Palast und sorge dafür, dass alles für die Zeremonie vorbereitet ist. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
    „Dann ist es jetzt soweit, unsere Herrin wird endlich zurückkehren?“ fragte sie gespannt und ihr Blick wanderte an ihm vorbei zu der noch immer in Trance befindlichen Celia. Er folgte ihr mit den Augen und nickte.
    „Ja, sie wird mit mir kommen. Wir beide haben nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Doch du kannst schon vorausgehen.“
    „Ja Herr!“
    Die Frau verneigte sich leicht und verschwand in der Dunkelheit, während Varik zu Celia zurückging und den hypnotischen Bann von ihr nahm. Keine Sekunde zu spät!



    „Du wagst es also tatsächlich, deinen Schlupfwinkel zu verlassen, Varik!“ hörten sie gleich darauf eine harte Stimme und wandten sich um. „Du musst wahnsinnig geworden sein!“
    „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Reshanne!“ entgegnete er spöttisch, während Celia die Frau erstaunt musterte, die da so plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war. Ihr Antlitz schien ihr ebenso vertraut zu sein wie ihr Name. Damien.... Varik schien sie jedenfalls sehr gut zu kennen und, nach seinem Tonfall zu urteilen, keinesfalls zu mögen. „Wie überaus freundlich von dir, dass du gekommen bist, um dein Werk zu begutachten.“
    „Mein Werk? Spielst du auf diesen bedauernswerten Menschen an, der deinen Machenschaften zum Opfer gefallen ist?“
    „Zuviel der Ehre! Zum Opfer gefallen ist er in der Tat, aber nicht mir, sondern deinen kostbaren Regeln und deiner Angst vor diesem Mädchen hier. Willst du dich denn deiner Nichte gar nicht vorstellen?“ Seine Stimme troff nur so vor Hohn.
    „Nichte?“ Celia schrie das Wort beinahe heraus.
    [FONT=&quot]„Aber ja!“ bestätigte Varik ungerührt. „Sie ist die Schwester deiner Mutter! Aber das ist noch längst nicht alles! Oh nein!“



    [/FONT] „Deine Tante ist die Große Mutter, die Gebieterin der Welt, die Herrscherin unseres Volkes und....“ er fixierte Reshanne mit seinen dunklen Augen, in denen ein böses Funkeln glitzerte. Doch das konnte Celia nicht sehen, denn ihr Blick war von einer plötzlich an Reshannes Seite aufgetauchten Erscheinung gefangen genommen. „Willst du es ihr sagen, oder soll ich es für dich tun?“ hörte sie Varik fragen, während sie in ihrem Gedächtnis verzweifelt nach dem passenden Gesicht zu der geflügelten Frau suchte.
    „Nun? Nein?“ fuhr er kalt fort. „Du willst ihr also nicht sagen, dass du ihren Vater getötet hast.“ Celia erstarrte.
    „Was hast du?“ flüsterte sie tonlos. „Aber....“
    „Hör nicht auf ihn, Celia.“ bat Reshanne, obwohl ihr längst bewusst war, wie sinnlos diese Bitte war. Das Mädchen stand ganz offensichtlich längst vollkommen unter seinem Einfluss.
    „Mein Vater? Mein Vater, du.... du hast meinen Vater .....“ stammelte sie in einem fort, als weigere sie sich, das zu glauben.
    [FONT=&quot]„Hat sie!“ Varik schob sich Schritt für Schritt an ihr vorbei. „Der Mann aus deinen Träumen, dein Vater, sie hat ihn getötet, weil er ein Mensch war und sie deine Geburt verhindern wollte. Doch es war bereits zu spät und nun ist sie gekommen, um ihr Werk zu vollenden, und das obwohl du eine von uns bist.“



    [/FONT] Celia schloss die Augen, in ihrem Kopf drehte ein Karussell aus Bildern, Stimmen, Worten in rasender Geschwindigkeit seine Runden. Und immer, wenn sie versuchte, eines davon zu greifen, schnippte es zwischen ihren Finger hindurch, als wolle jemand verhindern, dass sie es zu sehen bekam. Doch schließlich gelang es ihr doch bei einem Bild, dem Bild einer Frau, der Frau, der ihr da direkt gegenüberstand, nur trug sie keine Flügel und ganz normale Kleidung.
    „Mara!“ flüsterte sie erschüttert. „Du bist Mara!“ Varik lachte auf, hart und fast schon böse.
    „Nein, ihr Name ist Marhala. Sie ist der Todesengel der Elo-i. Nach deinem Unfall hat deine Tante sie zu dir geschickt, um dich zu bewachen und.... falls notwendig, auszuschalten. So ist doch, nicht wahr, Reshanne?“
    „Tante?“ Es hörte sich an wie das verzweifelte Rufen eines Kindes nach der Mutter. „Tante?!” wiederholte sie ungläubig, als sie keine Antwort erhielt und wusste im gleichen Moment, er hatte die Wahrheit gesagt.
    Und dann kamen sie wieder, all der Zorn, die Trauer und die Wut, nicht langsam und stetig, dass man sich darauf einstellen könnte, nein, wie eine riesige Welle, die gegen die Küste brandet, alles überflutet und zerstört.
    Reshanne sah die Anspannung ihres Körpers, spürte, wie ihre Kraft sich sammelte. Sie durfte ihr nicht erlauben, sie loszulassen. Einmal war mehr als genug.



    +


  • „Tu es!“ befahl sie Marhala, und ihre Stimme brach fast vor Schmerz. „Jetzt!“
    Die Wächterin riss ihre Hände nach oben, ein Feuerball, der sie zu verbrennen schien, tauchte aus dem Nichts auf und raste, von ihr losgelassen, in goldgelb glänzendem Licht auf Celia zu. Gelähmt vor Entsetzen vermochte sie sich nicht einmal zu rühren. Sie sah den schrecklichen Strahl auf sich zu kommen und alles, was sie tief in sich fühlte, war, dass es vielleicht besser so war, nachdem, was sie getan hatte.
    [FONT=&quot]„So was darfst du nicht einmal denken!“ rief Varik und warf sich im gleichen Moment vor sie, als der Strahl sie hätte treffen sollen. Stattdessen schien er ihn regelrecht in sich aufzusaugen. Marhala hielt den Strahl zwar so lange aufrecht, wie es ihr möglich war, doch ohne irgendeine Wirkung damit zu erzielen. Jeder andere Elo-i hätte sich längst aufgelöst, Varik schien zwar starke Schmerzen zu empfinden, aber zu schwächen oder gar zu vernichten vermochte sie ihn nicht. Als sie auf Reshannes Zeichen hin den Strahl in sich zusammenfallen ließ, schüttelte er sich lediglich, als fühle er sich leicht verspannt und lächelte sie triumphierend an.



    [/FONT] „Gib es auf, Reshanne. Du hast verloren. Es war längst vorbei, kaum dass es begonnen hatte. Celia gehört zu mir, schon seit dem Tag ihrer Geburt. Ohne mich gäbe es sie doch gar nicht mehr.“
    „Du weißt genau, dass das nicht stimmt.“ widersprach sie ihm leise. „Ich kenne die Wahrheit.“ Er zuckte nur mit den Schultern.
    „Um so besser! Dann sollte dir auch bewusst sein, dass du keine Chance mehr gegen mich hast. Vor allem jetzt nicht, wo du ihr so eine überzeugende Vorstellung deiner verwandtschaftlichen Liebe gegeben hast. Überlege gut, was du jetzt tust, Reshanne. Du bist nicht Melynne.“
    „Stimmt.“ gestand sie ein. „Glücklicherweise bin ich das nicht. Ich bin nicht durch die ‚verwandtschaftliche Liebe’ gefesselt. Deshalb solltest du mich nicht unterschätzen. Ich werde dir Celia niemals einfach so überlassen.“
    [FONT=&quot]Er lachte kurz auf. „Das liegt nicht mehr in deiner Macht. Wohin sie geht, entscheidet sie allein. Und du warst sogar so freundlich, ihr dabei zu helfen. Danke! Wie seid ihr doch berechenbar!“



    [/FONT] Er deutete hinter sich, wo sich Celia auf einmal ohne ersichtlichen Grund zu krümmen begann. Gleißend helles, weißes Licht brach aus ihrem Bauch hervor, der Riss in ihrem Leib wurde immer größer und größer, doch sie spürte keinen Schmerz, nur Verwirrung und ein wenig Angst.
    Noch immer verstand sie nicht die Hälfte von dem, was zwischen der Herrscherin und dem geheimnisvollen Mann vor sich ging. Doch in dem Moment, als Marhala versuchte, sie zu töten und Varik sich wie ein Schutzschild vor ihr aufbaute, spürte sie, wie ein Teil der absorbierten Energie von ihm auf sie überging, ungefährlich, doch stark genug, um die Schranken zu durchbrechen, die ihr Gedächtnis blockierten. Ein schwarz ausgeschlagener Raum fiel ihr wieder ein, eine Frau, die trauerte, ihre Mutter, und die Erkenntnis über das schreckliche Geheimnis, das sie mit sich trug.
    Varik hatte recht. Sie fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers, wenn sie auch Reshannes Gedanken noch nicht lesen konnte. Ihre Tante fürchtete sie. Und sie war entschlossen, sie zu vernichten.
    „Komm zu mir!“ hörte sie Variks lockende Stimme in ihrem Kopf. „Es ist nur ein winziger Schritt. Eine einzige Entscheidung! Und du wirst in Sicherheit sein! Nie wieder Angst, nie wieder Schmerz, nie wieder Trauer!“
    [FONT=&quot]Sie schloss die Augen und ließ es geschehen.



    [/FONT] Als das Licht verblasste, stand an Stelle des Menschen eine neue Göttin, die mächtigen Flügel weit ausgebreitet, die Augen voller Melancholie auf den Rasen gerichtet, zwar ähnlich jener Celia, die dereinst im Tempel der Ewigkeit aufgewachsen war und doch ein gänzlich anderes Geschöpf. Erfüllt von einer Dunkelheit, die Reshanne vorher nie in ihr gespürt hatte. Das Mädchen hatte Variks Erbe angetreten.
    „Bin ich das?“ fragte sie, als sie die leblose Gestalt betrachtete, die direkt neben Nicolas zu Boden gesunken war. Sie hatte ihr Gesicht, ihre Augen, ihre Haare, trug ihr Abendkleid und doch....Stand sie nicht hier?
    „Das warst du einmal.“ erklärte Varik. „Jetzt ist es nur noch deine leere menschliche Hülle. Denn du bist wieder du selbst. Du brauchst dieses Versteck nun nicht mehr.“
    „Celia, du musst ihm nicht folgen, du kannst dich noch immer frei entscheiden!“ rief Reshanne in einem letzten verzweifelten Versuch und erntete doch nur ein kurzes, wenn auch nachsichtiges Lächeln.
    [FONT=&quot]„Diese Entscheidung hast du mir abgenommen, Tante! Schon an dem Tag, als du mir den Vater genommen hast!“



    [/FONT] „Und deine Mutter? Hast du sie denn ganz vergessen?“
    Celia schüttelte den Kopf. „Nein. Aber sie hat mich belogen, genauso wie du. Und ihr habt mir alles genommen, das wichtig gewesen wäre, meinen Vater und nun auch den Mann, dem mein Herz gehört. Nein, ich gehöre nicht zu euch, ich will es nicht!“
    „Dann komm mit mir!“ schlug Varik vor. Er verlangte es nicht, er bat und traf damit den richtigen Ton. „Vertrau dich mir an. Ich werde dich schützen. Du hast gesehen, dass ich es kann. Wenn du leben willst, wenn du nicht willst, dass noch andere ihrem Wahnsinn zum Opfer fallen, dann nimm meine Hand und komm mit mir.“
    In abwartender Haltung streckte er ihr die Hand entgegen und sah ihr dabei tief in die Augen. „Hab keine Angst, es ist ganz leicht.“
    [FONT=&quot]„Tu es nicht! Bleib bei uns!“ hörte sie Reshanne noch rufen, doch legte sie ihre Hand schon in die seine, Licht flutete auf, Sterne begannen, sich um sie zu drehen und während er ihren Blick gefangen hielt, lösten sie sich beide langsam auf.



    [/FONT] Stumm sah Reshanne hinauf in den Himmel, als wären die beiden dort hinauf geflogen, während Marhala geduldig hinter ihr wartete.
    „Wir haben versagt!“ flüsterte die Gebieterin dann plötzlich. „Nichts wird ihn jetzt noch aufhalten! Die Herrin der Schwarzen Seen wird auferstehen und die Erde in Dunkelheit hüllen. Unsere Welten werden untergehen. Ich habe versagt!“
    „Nein, dies ist nicht das Ende.“ widersprach Marhala energisch. „Noch hat er die Transformation nicht vollzogen. Noch haben wir eine Chance. Genauso wie Melynne sie hatte.“
    „Nur wissen wir nicht wie sie das gemacht hat.“ seufzte Reshanne. „Dieses Geheimnis hat Melynne in den Tiefen des Universums begraben. Nein, wir haben zulange gewartet, und das ist einzig und allein meine Schuld!“ Sie senkte den Kopf, wandte sich ab und warf im Vorbeigehen noch einmal einen Blick auf die am Boden liegenden Gestalten. „Rufe die Begleiterin. Eine wertvolle Seele muss hinüber geleitet werden. Armer Junge! Er hat sich in die falsche verliebt.“ Sie drehte sich um. „Kein Verfahren, ich genehmige den sofortigen Übergang. Auf diese Weise ist er wenigstens sicher.“
    „Ja Herrin!“ Reshanne breitete ihre Flügel aus und sie schraubten sich beide in rasender Geschwindigkeit in den Himmel und verschwanden.
    [FONT=&quot]Und die Zeit, die eben noch stillgestanden hatte, lief weiter, als wäre nichts geschehen.



    [/FONT] JD stockte der Schritt noch im Lauf, als er auf der Suche nach seinem verschollenen Freund den rückseitigen Teil des Gartens betrat. Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Sein ängstliches Suchen nach dem leisen Klopfen des Lebens blieb erfolglos, bei beiden. Großer Gott, was war hier geschehen?
    Und dann hörte er zwei Geräusche von der Seite: ein kaum hörbares Stöhnen und ein spitzer markerschütternder Schrei!




    +++



  • Todmüde nach der durchwachten Nacht schleppte Justin sich am nächsten Morgen in die Küche und steckte seine Nase in den Kühlschrank. Selbst wenn ihm selber nicht im geringsten nach essen zumute war, dachte er, dass es vermutlich dennoch besser wäre, wenn er vorsichtshalber Frühstück machte. Nicht etwa seinetwegen, oh nein, aber ihretwegen. Egal wie tief der Schock bei ihnen allen saß.
    Während er an ihrem Bett gesessen hatte und auch vorhin unter der Dusche war er die grauenhaften Bilder vom vergangenen Abend nicht losgeworden. Immer wieder sah er die zwei dort liegen, Kopf an Kopf, so still, so bleich und so entsetzlich friedvoll.
    [FONT=&quot]Und noch immer klang ihm dieser Schrei in den Ohren.



    [/FONT] Jener Schrei, der ihm durch Mark und Bein gefahren war und ihn das leise Stöhnen neben sich fürs erste vergessen ließ.
    Bella! Angesichts dessen, was er hier vorfand, war ihm für einen Moment ganz entfallen, dass er sie eben erst nach Hause gebracht hatte und sie sich gemeinsam auf die Suche nach Nick gemacht hatten. Eben hatte sie ihm noch mit einem zauberhaften Strahlen und ohne auch nur eine Minute innezuhalten, von dem herrlichen Abend vorgeschwärmt, was wohl daran lag, dass der so angehimmelte Johnny sie während des Konzerts kaum aus den Augen gelassen hatte. Aber nun war sie aus ihrem Himmel abgestürzt und mit aller Härte auf dem Boden der Wirklichkeit aufgeschlagen.
    Mit weitaufgerissenen Augen stand sie am Zaun und starrte auf die gespenstische Szenerie. Ihr Mund stand offen, als könne sie ihn nicht mehr schließen, aber nach diesem einen furchtbaren Schrei kam kein einziger Laut mehr heraus. Großer Gott, was musste in ihr vorgehen!
    [FONT=&quot]Ohne weiter nachzudenken, lief er auf sie zu und zog sie an sich.



    [/FONT] „Sieh nicht hin, Bella, bitte sieh nicht hin!“ flüsterte er, und hielt sie mit festem Griff zurück, als sie sich an ihm vorbeidrängen wollte. „Glaub mir, es ist besser so!“
    „Aber ich will zu ihm!“
    ‚Was für eine Kraft in diesem Kind steckte!’ wunderte er sich. ‚Aber nein, sie war ja längst kein Kind mehr. Nach dieser Nacht würde, könnte sie es auch nie wieder sein.’
    „Du kannst ihm nicht helfen,“ sagte er laut. „nicht mehr! Niemand kann das!“ Sie gab den Kampf auf und sah ihn entsetzt an.
    „Ist er....., ist er wirklich...... Und Celia, ist sie auch .....?“ fragte sie, ohne das Wort, das sie so ängstigte, auszusprechen. Und als er nur nickte, weil er sich ebenso wenig dazu in der Lage fühlte, ließ sie den Kopf an seine Schultern sinken und begann leise zu schluchzen.
    Er konnte nichts tun, als sie zu halten, was hätte er ihr denn sagen sollen, was er selber nicht mal glauben wollte. Kein Phrase der Welt konnte den Schmerz, den sie beide auf so unterschiedliche Weise fühlten, auch nur etwas lindern.
    [FONT=&quot]Und dann hörten sie es beide wieder, das leise Stöhnen hinter ihnen, welches Justin daran erinnerte, dass es doch noch jemanden gab, dem man helfen konnte, helfen musste.



    [/FONT] Er schüttete die Zutaten in den Mixer und sah zu, wie sie sich langsam vermischten. Allein der Anblick verursachte ihm schon Übelkeit, aber wenn er sie nur so dazu bringen konnte, etwas zu sich zu nehmen, dann würde er es eben runter würgen.
    Bella hatte partout bei ihrem Bruder bleiben wollen, aber das hätte er um nichts in der Welt zugelassen. Stattdessen zog er sie kurzerhand mit sich, als er ins Haus lief, um Polizei und Rettungswagen zu verständigen. Während des Telefonats blieb sie an seiner Seite, doch dann stürmte sie plötzlich ohne Vorwarnung die Treppe nach oben in den nächsten Stock. Er wollte ihr gerade folgen, als er Catherines scharfe Stimme hinter sich hörte, die ihn erst erstaunt ansah und dann nach einer Erklärung für Bellas in Tränen aufgelöstes Gesicht verlangte. Da half kein Rumdrucksen und auch kein vorsichtiges Vorbereiten mehr. Selbst wenn er das Wort noch immer nicht über die Lippen brachte. Sie verstand.
    [FONT=&quot]Und ihre Reaktion erschreckte ihn. Denn sie sagte......nichts. Nicht einmal als draußen die Sirenen aufheulten, unzählige Warnleuchten aufleuchteten und die Sanitäter ins Haus kamen. Sie drehte sich einfach auf dem Absatz um und winkte den Rettungskräften ihr zu folgen.



    [/FONT] Wie zuvor ihre Tochter, stand sie reglos am Zaun und sah mit steinerner Miene den Reanimierungsversuchen zu, zuckte nicht einmal zusammen, als der Arzt nach vielen vergeblichen Versuchen aufgab, den Todeszeitpunkt aufschreiben und die Leichen einpacken ließ.
    „Mrs Blandfort?“ Ganz leise trat Justin hinter sie und berührte sie sacht am Arm. „Sie dürfen sich das nicht antun! Kommen Sie, kommen Sie ins Haus!“
    [FONT=&quot]Aber Catherine schüttelte nur mit einer kaum merklichen Bewegung den Kopf. Ihr Blick war fest auf die schwarze Kunststoffhülle gerichtet, die man soeben über ihrem Sohn geschlossen hatte. Nicht das leiseste Zittern erschütterte dabei ihren Körper, nicht eine Träne rollte über ihre Wangen. Aber Justin kannte sie inzwischen gut genug, um sich nicht ernsthafte Sorgen um sie zu machen und so winkte er dem Notarzt zu.



    [/FONT] Der kam auch sofort herüber, während die Sanitäterin die Gerätschaften einsammelte und ab und zu zu ihnen herüber sah.
    „Ma’am?“ sprach der Notarzt Catherine an, ohne zunächst eine Antwort zu bekommen. „Ma’am?!“ wiederholte er energischer und diesmal kehrte ihr Blick zu ihm zurück. „Geht es Ihnen soweit gut?“ Sie nickte nur, doch ihre Augen verfolgten weiterhin aufmerksam das Geschehen im Garten.
    „Können Sie mir sagen, was meinem Sohn zugestoßen ist? Und bitte versuchen Sie nicht, mich zu schonen!“ verlangte sie dann auf einmal in solch energischem Ton, dass der Arzt einen überraschten Blick zu Justin hinüber warf, der nur hilflos mit den Schultern zuckte.
    „Ich kann Ihnen leider noch gar nichts sagen, Ma’am.“
    [FONT=&quot]„Können, oder wollen Sie nicht, junger Mann?“



    [/FONT] „Ich kann nicht, Ma’am.“ antwortete der Arzt in nachsichtigem Ton. „Ich habe keine Ahnung, was hier passiert ist, noch nicht einmal, weshalb ihr Sohn gestorben ist, dafür müssen wir die Autopsie abwarten. Aber offensichtlich ist es sehr schnell gegangen, es gibt keine Abwehrverletzungen, gar nichts. Sie hatten beide keine Chance.“
    „Wie konnte sie das dann überleben?“ Catherine deutete leicht in Richtung der jungen Frau, die man gerade zur Vorderseite des Hauses brachte, wo ein Krankenwagen für sie bereitstand. Wieder schüttelte der Arzt den Kopf.
    „Auch das wissen wir nicht, Ma’am. Sie ist zwar bei Bewusstsein, aber derzeit nicht ansprechbar. Es bleibt also Sache der Polizei, sich damit zu befassen. Ich schlage vor, Sie sprechen mit dem zuständigen Beamten.“
    „Apropos“ mischte sich Justin ein. „Inspektor Morrison wartet schon auf Sie, Mrs Blandfort.“
    „Dann soll er weiter warten, ich muss nach Bella sehen!“ Sie drehte sich mit einem Ruck um und ging zurück ins Haus, verfolgt von den sorgenvollen Blicken der beiden zurückbleibenden Männer.
    „Ist das normal?“ hatte Justin den Arzt gefragt, als sie verschwunden war und der nickte.
    [FONT=&quot]„Das ist der Schock! Aber der Zusammenbruch wird kommen, und dann sollte sie möglichst nicht allein sein.“



    [/FONT] Aber genau das war das Problem, dachte Justin, während er Omelett für Omelett in der Pfanne briet. Catherine Blandfort ließ nichts und niemanden an sich heran. Sie beauftragte ihr Hausmädchen damit, die Gäste zu verabschieden und sich um Mrs Vandermere zu kümmern, die einen hysterischen Anfall bekommen hatte, wies den Inspektor mit einer derart scharfen Zurechtweisung an, sich gefälligst zu gedulden, dass ihm die Kinnlade herunterklappte und ging nach oben zu ihrer Tochter.
    Justin hatte keine Ahnung, woher die Frau ihre Kraft nahm, um die Situation mit einer derartig stoischen Ruhe zu beherrschen, gerade als wäre sie ein General auf dem Schlachtfeld. Aber er fürchtete sich regelrecht vor dem Moment, an dem ihre Kraft sie verließ.
    Das letzte Omelett glitt gerade aus der Pfanne, als es an der Tür klingelte. Genau richtig, obwohl er bezweifelte, dass sie tatsächlich etwas essen würde.




    +


  • Er behielt recht.
    In höflich bestimmter Weise lehnte Catherine sein Angebot zum Frühstück ab. Nur den Kaffee nahm die erschreckend bleich aussehende Frau dankend an. Also machte sich Justin an der Espressomaschine zu schaffen, während sich Nicks Mutter hinter ihn an den Esstisch setzte und schweigend vor sich hinstarrte. Er wagte es nicht, sie zu fragen, ob sie überhaupt geschlafen hatte, vermutlich genauso wenig wie er. Er verzichtete auch darauf, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, selbst wenn er das untrügliche Gefühl hatte, dass sie wesentlich beunruhigter war, als noch gestern Abend. Irgendetwas musste sie inzwischen vollkommen aus der Fassung gebracht haben. Doch weil er sie weder drängen konnte noch wollte, würde er eben warten, bis sie dazu bereit war, mit ihm zu sprechen.
    [FONT=&quot]Und Catherine überlegte tatsächlich fieberhaft, wie sie ihm die neuerliche Hiobsbotschaft beibringen sollte. Nicht nur als Nicks Freund hatte er ein Recht darauf. Auch und gerade weil er ihr gestern so unaufdringlich und selbstlos geholfen hatte.



    [/FONT] Wie betäubt war sie nach oben gegangen, auf der Suche nach ihrer Tochter. Ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen, Bella war in Nicks Schlafzimmer geflüchtet. Beim Klicken der Tür fuhr sie herum, lief auf ihre Mutter zu und Catherine sah, dass sie Nicks alten Teddy fest an ihr Herz drückte.
    Dieser Bär! Beinahe hätte sie geschmunzelt. Alt und halb zerfledert war er schon gewesen, als Nick ihn großmütig seiner Schwester überlassen hatte, die ihn genauso abgöttisch liebte wie er selbst. Selbst als sie aus dem Kuscheltieralter heraus war, wollte sie ihn aus irgendeinem Grund nicht hergeben. Und als sie dann mit Catherine zu Nick gezogen war, hatte Bella ihn ganz selbstverständlich mitgenommen und in seinem Schlafzimmer deponiert, wo er ihrer Meinung nach längst wieder hingehörte. Doch nun....?
    [FONT=&quot]Catherine straffte die Schultern. Sie durfte jetzt nicht zusammenbrechen. Selbst wenn sie eigentlich laut schreien wollte, bis ihre heisere Kehle nicht einmal mehr flüstern könnte, sie musste stark sein ..... für ihre Tochter. Sie brauchte die Mutter, jetzt und hier.




    [/FONT] „Ich kann nicht glauben, dass er tot ist, Mum.“ flüsterte Bella mit tränenerstickter Stimme. „Ich will nicht, dass er tot ist, ich ....“
    „Ich weiß!“ erwiderte Catherine sanft. „Mir geht es genauso, aber es ist wahr.“ Sie holte tief Luft. „Nicolas ist fort, für immer.“
    „Aber wie konnte denn das passieren? Ich meine, als ich weggefahren bin, war doch noch alles in Ordnung, und jetzt.....“
    Der Bär fiel zu Boden, als Arabella sich weinend in die ausgebreiteten Arme ihrer Mutter warf und sich in hemmungslosem Schluchzen schüttelte. Und Catherine ließ sie weinen, ließ sie für sich mit weinen, weil sie selbst es im Augenblick nicht konnte, nicht durfte. Sacht streichelte sie ihr immer wieder über den Kopf, hielt sie dabei fest in ihren Armen. Erst nach einer ganzen Weile schob sie das Kind ein Stück von sich.
    [FONT=&quot]„Mein Liebling, du und ich, wir beide müssen jetzt einen Weg finden, um damit zu leben, auch wenn es uns schwer fällt. Wir müssen!“ sagte sie und bemühte sich, dass ihre Stimme dabei nicht zitterte, denn sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollten.



    [/FONT] Sie hatte es für das Beste gehalten, Bella so schnell es ging an einen anderen Ort zu bringen. Das Mädchen brauchte unbedingt Ruhe, Ruhe, die sie hier nicht finden konnte, wo überall Polizisten herumtrampelten, die alles durchsuchten und dabei das halbe Haus absperrten.
    [FONT=&quot]Aber da ergab sich schon wieder die nächste Schwierigkeit, denn Arabella weigerte sich kategorisch, in Blandfort Manor zu bleiben, vor allem da Catherine vorerst nicht mit ihr gehen konnte. Justins Vorschlag, sie in seinem Haus unterzubringen, erschien ihr zwar anfangs reichlich abwegig, doch was blieb ihr anderes übrig, wenn sie Bellas Gemütszustand nicht noch verschlimmern wollte. Also erklärte sie sich einverstanden, holte Bellas Lieblingsschlafshirt und ließ es zu, dass er sie hinaus zu seinem Wagen begleitete. Mehr als ihnen kurz nachsehen konnte sie nicht, denn von hinten näherte sich ihr schon Inspektor Morrison, der darauf bestand, sie jetzt umgehend befragen zu müssen. Was für ein aufdringlicher Mensch!



    [/FONT] „Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie Arabella gestern bei sich aufgenommen haben, Mr Sanderson!“ begann Catherine schließlich, nachdem Justin sich mit dem Kaffee zu ihr gesetzt hatte. „Ich habe Sie, fürchte ich, nie so geschätzt, wie Sie es verdient hätten. Und das tut mir aufrichtig leid. Sie waren Nicolas immer ein guter und loyaler Freund, ich hätte das viel früher erkennen müssen. Ich .... ich wollte nur, dass Sie das wissen.“
    Überrascht sah Justin sie an. Außer ihrer Blässe, die durch den schwarzen Anzug noch verstärkt wurde, war ihr rein äußerlich kaum etwas von ihrer Gemütsverfassung anzumerken, doch das war längst nicht mehr dieselbe Catherine Blandfort, die er kannte, die ihn nur der Not gehorchend zu ihrer Dinnerparty eingeladen hatte, die normalerweise die Nase gerümpft hätte, wenn sie erführe, dass er sich heute morgen einfach in die Sachen geworfen hatte, die er schon gestern Abend nach der Alptraumparty angezogen hatte?
    Er hatte so wenig mit einer, ihm fiel kein anderes Wort ein, mit einer Entschuldigung ihrerseits gerechnet, dass er im ersten Moment gar nicht wusste, was er ihr darauf erwidern sollte, doch sie rechnete offensichtlich auch nicht damit, denn sie fragte ihn sofort nach Bella.
    [FONT=&quot]„Schläft sie noch?“



    [/FONT] Erleichtert nickte Justin. Bei dem Thema fühlte er sich sofort wieder wohler.
    Bella hatte die ganze Fahrt über leise vor sich hingeweint. Er bezweifelte, dass er sie mit heißer Milch oder ähnlichen Hausmitteln würde zur Ruhe bringen können, also rief er kurzentschlossen seine Hausärztin an, die glücklicherweise gleich um die Ecke wohnte und nachdem er ihr die Lage erklärt hatte, sofort herüber kam, sich das Mädchen ansah und ihr dann ein Beruhigungsmittel spritzte, das sie sehr schnell schläfrig machte.
    [FONT=&quot]Er gab ihr einen Moment, sich in jenem Schlafzimmer umzusehen, dass er einmal für seine Beinahe-Ehefrau eingerichtet hatte, aber dann scheuchte er sie ins Badezimmer und anschließend ins Bett.



    [/FONT] Sie hatte sich in die Kissen gekuschelt, und gerade als er das Licht löschte und hinausgehen wollte, da hielt sie ihn zurück.
    „Lass mich nicht allein, JD!“ bat sie ihn fast schon flehentlich.
    „Du bist doch nicht allein, ich bin gleich nebenan.“ versicherte er ihr. „Wenn du mich brauchst, musst du nur rufen. Sieh, ich lass’ die Tür auf, dann kann ich dich hören.“
    [FONT=&quot]Aber sie wollte davon nichts wissen, die Tränen kullerten schon wieder aus ihren großen runden Augen, und er konnte ihren Wunsch ja auch verstehen, also machte er es sich auf einem der Korbsessel gemütlich und hielt den Rest der Nacht Wache an ihrem Bett. Er hätte ohnehin nicht schlafen können, so viel wie ihm im Kopf herumspukte. Er hatte seinen besten Freund verloren, einfach so, von einer Minute zur nächsten und egal, wie sehr er sich auch das Hirn zermarterte, er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was in den wenigen Minuten seiner Abwesenheit vorgefallen war. Caroline konnte unmöglich etwas damit zu tun haben. Oder doch? Sie hatte, was immer Nicolas getötet hatte, zwar überlebt, aber dabei offensichtlich den Verstand verloren. Als man sie wegbrachte, schien sie weit fort mit ihren Gedanken zu sein und brabbelte lauter unverständliches Zeug vor sich hin.



    [/FONT] „Mr Sanderson?“ Catherines fragende Stimme holte ihn wieder in die Küche zurück. „Es gibt da noch etwas, dass ich Ihnen erzählen muss.“
    Gespannt sah er sie an. Was immer jetzt folgte, es fiel ihr schwer, es auszusprechen, sogar sehr schwer. Denn mittlerweile zitterte nicht nur ihre Stimme, sondern auch die Hand, welche die Tasse hielt.
    „Ich erhielt heute morgen einen Anruf von Inspektor Morrison. Jemand ist in der Nacht in die Pathologie eingedrungen und hat ....“ sie brach ab und schluckte.
    Justin beschlich ein ungutes Gefühl, ein mehr als ungutes. „Jemand hat was?“
    Und dann verlor Catherine endgültig die Fassung. „Man hat ihre Körper in Brand gesteckt.“ stieß sie zwischen zwei Schluchzern hervor, die Tasse entglitt ihren Fingern und zerbrach auf dem Steinfussboden. „Sie sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.“




    +++

  • ***



    Grant Johnson, der Assistent des örtlichen Gerichtsmediziners, galt als ein wunderlicher Kerl, dem jeder nur mit einer gewissen scheuen Zurückhaltung begegnete, was wohl vor allen Dingen an seiner metallenen Handprothese lag, die er nur höchst selten mit einem Handschuh bedeckte. An diesem Abend hatte er gerade damit begonnen, den Tisch von der letzten Autopsie zu reinigen, als das Telefon schrillte. Was für eine verrückte Nacht, dachte er brummig, als er abhob. Es wollte einfach keine Ruhe einkehren. Erst diese beiden Toten von der Party, die man ihm vor knapp einer Stunde hier hereingeschoben hatte, und jetzt kündigte die Polizei auch noch einen getöteten Räuber an. Und alles sollte natürlich am besten gestern erledigt werden. Der Doktor würde begeistert sein, wenn er morgen früh zurückkam. Viel Arbeit, viel Arbeit! Was denn nur aus diesem ruhigen friedlichen Städtchen geworden sei, murmelte Grant missmutig ins Telefon und hätte es im nächsten Moment beinahe fallen gelassen.
    [FONT=&quot]Schlagartig verlöschten sämtliche Lichter im Raum, die Verbindung zu dem Polizisten in der Leitung brach ab und im plötzlichen Dunkel erschien die Gestalt einer Frau.



    [/FONT] „Wer zum Teufel sind denn Sie?“ fuhr Grant die Gestalt an, doch die antwortete nicht, kam aber immer näher auf ihn zu.
    Sie trug ein mehrfach gefälteltes Gewand, das ihn stark an antike Tuniken erinnerte, dazu einen eigenartigen Stirnschmuck, in dessen Mitte ein Stern funkelte. Ihre Augen musterten ihn kühl und, nein, er täuschte sich nicht, mit einer Spur von Verachtung.
    „Ich frage Sie noch mal, wer sind Sie, und was wollen Sie hier?“ fuhr er die Frau an, obwohl er spürte, wie sich langsam die Angst in ihm ausbreitete. „Wenn Sie mir nicht antworten, oder auf der Stelle verschwinden, rufe ich den Sicherheitsdienst!“ stotterte er, doch die Frau schüttelte den Kopf.
    [FONT=&quot]„Das wirst du nicht tun! Du wirst jetzt schlafen!“ Sie hob die Hand, ein kleines strahlendes Licht flammte darin auf, ähnlich dem Stern an ihrer Stirn. Es traf ihn völlig unvorbereitet, das Telefon entglitt seinen Fingern und fiel zu Boden, ebenso wie er selbst.



    [/FONT][FONT=&quot]Zufrieden sah Theris auf den Mann hinunter. Er hatte keinen Schaden genommen, sondern lag in einem tiefen, traumlosen Schlaf. Die Menschen waren doch recht verletzlich, und man unterschätzte schnell die eigene Kraft, vor allem wenn man, wie Theris, für gewöhnlich nicht so viel Vorsicht walten lassen musste im Umgang mit diesen eigenartigen Kreaturen. Zum Glück für den Mann war sie aber heute nicht in ihrer Eigenschaft als Todesengel gekommen, ein anderer Auftrag hatte sie hergeführt, der wichtigste überhaupt, so war ihr gesagt worden. Wenn er also wieder aufwachte, würde sich der Mann zwar an einen Eindringling erinnern, und das sollte er auch, um die Erklärung liefern zu können für das, was er vorfinden würde, aber mehr auch nicht. Niemand durfte je die Wahrheit erfahren, das hatte man ihr eingeschärft.
    [/FONT]

    Sie ließ den Mann auf dem Boden liegen und trat zu den Tischen an der Wand, wo verdeckt unter grünen Tüchern die leblosen Körper von Nicolas Blandfort und Celia Moreau lagen. So stand es jedenfalls auf den kleinen Schildchen geschrieben. Aber Theris wusste es besser.
    Vor ihr lag kein Körper, sondern nur die leere Hülle einer zurückgekehrten Elo-i. Was würde der Pathologe wohl sagen, wenn er diese Hülle morgen öffnete und nichts darin vorfand, was auch nur annähernd dem Innenleben eines Menschen glich? Glücklicherweise waren diese sterblichen Geschöpfe so leicht zu täuschen, ein anderer Körper, ein bisschen Feuerzauber und alle Spuren ihrer Anwesenheit waren verwischt.
    Nun konnte sie daran gehen, ihren eigentlichen Auftrag auszuführen
    [FONT=&quot]Sie schlug das Tuch von der anderen Bahre zurück und sah in das friedliche Antlitz des jungen Mannes. Der Tod hatte ihm noch nichts anhaben können, und es war ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es auch so blieb.




    [/FONT] Es kostete sie keine Mühe, den noch nicht erstarrten Körper von der Bahre zu heben und durch einen anderen, ähnlichen zu ersetzen. Eine leichte Berührung genügte, um ihn ebenso in Brand zu setzen, wie sie es zuvor mit Celias Ersatzkörper getan hatte. Niemand würde den Unterschied mehr feststellen können, dafür war nun gesorgt. Und natürlich würde man den Arzt im Verborgenen weiter beobachten, damit er nicht auf die falschen Ideen kam.
    Obwohl diese Show natürlich weit weniger für die Menschen gedacht war, als für jemand ganz anderen.
    [FONT=&quot]Und während hinter ihr das Feuer die Körper zu verzehren begann, hob Theris den toten Körper des Mannes erneut empor und verschwand mit ihm in der Dunkelheit.



    [/FONT] Nur wenig später schloss sie, an einem verborgenen Ort in der anderen Welt zufrieden den Deckel des Kristallsarges, nachdem sie den Leichnam vorsichtig hatte hineingleiten lassen.
    Der erste Teil ihres Auftrags war erfüllt, er war nun in Sicherheit.
    Der zweite Teil würde wesentlich komplizierter werden, denn sie würde nicht gegen Menschen antreten, sondern gegen ihresgleichen. Sie musste den Begleitern aus dem Tempel der Ewigkeit seine Seele abjagen.




    +++

  • Nachdem das liebe Forum mich gestern parout nicht hat posten lassen, warum auch immer, gibt's die FS eben heute.
    Nicht zu lang (außer beim Text natürlich, aber das seid ihr ja schon gewöhnt), weil die Bilder doch etwas länger gebraucht haben, denn es geht heute wieder hinüber in die andere Welt. Aber nicht zu Celia. Noch nicht.
    Vorher möchte ich doch noch ein paar Dinge klarstellen, bzw. wieder ins Gedächtnis rufen. Also bitte noch Geduld bis zum nächsten Mal.



    cassio: wie es Celia geht? Furchtbar! Traurig, entsetzt und einsam. Beim nächsten Mal wirst du mehr erfahren.


    Nath: der Spaß am Lesen ist ganz auf meiner Seite.
    Grant ist wirklich merkwürdig, und genau das richtige Opfer für das Verwirrspiel. An der Hand bin ich unschuldig, sie gehörte zu dem Outfit, das irgendwie am besten zu ihm passte, also hab ich sie hineingeschrieben. Perfekt, denke ich, oder?


    Natürlich ist Theris nicht der einzige Todesengel, wie du noch sehen wirst. Und sie ist keine Elo-i. Abwarten!
    Ob ihre Show allerdings wirklich für Varik gedacht ist, wer weiß. <gg>


    @gotti: Bella wird leider noch eine ganze Menge mehr mitmachen, fürchte ich, genau wie ihre Mutter. Aber ich pass schon auf sie auf, versprochen, genau wie Catherine und natürlich Nick, der jetzt wohl so etwas wie Ersatzbruder spielen wird.


    Was sie mit Nick vorhaben, nun da hast du noch genügend Gelegenheiten darüber nachzugrübeln, vielleicht hilft dir ja die heutige FS ein bisschen, vielleicht aber auch nicht. Mal sehen.


    Lenya: ich weiß auch nicht, wie man Nicks Entführung am besten nennen kann, aber wichtig ist es schon. Dann lies mal weiter und danke fürs Inspirieren, das hab ich gebraucht.



    Und jetzt ohne weitere Vorrede, folgen wir dem Wind hinüber.







    Ruhelos, von tiefer Sorge getrieben, wanderte Zaide durch den Tempel der Ewigkeit und blieb letztendlich am Rand einer Fontäne sitzen. Viel lieber wäre sie jetzt in die Menschenwelt hinübergegangen, um unsichtbar an der Seite ihrer Tochter zu bleiben und über ihre Sicherheit zu wachen, doch das durfte sie nicht.
    [FONT=&quot]Reshanne hatte ihr im Gegenzug für einen letzten Versuch das Versprechen abgerungen, es Marhala und ihr zu überlassen, diesen Versuch zu unternehmen und sich nicht mehr einzumischen, wohl wissend, wie schwer ihr nicht nur das Versprechen selbst, sondern erst recht dessen Einhaltung fallen musste. Aber was hätte sie tun sollen?

    [/FONT] An ihre Pflichten vermochte sie im Augenblick überhaupt nicht zu denken und war froh, dass ihre Dienerinnen ihr einiges, wenn auch nicht alles, abnehmen konnte. Denn obwohl die Welt am Abgrund stand, zog sie doch weiter ihre Bahn, die Menschen lebten und starben noch immer, ohne Wissen darum, wie nah sie der Vernichtung waren, und ihre Begleiterinnen brachten deren Seelen zur Beurteilung auch weiterhin in den Tempel der Ewigkeit.
    Alyssa kam herüber zu ihr und blieb abwartend vor ihrer Herrin stehen. Sie wunderte sich nicht, Zaide ausgerechnet hier zu finden.
    Die Elo-i liebten das Wasser von allen Elementen am meisten, es symbolisierte ihr eigenes Wesen, immer in Bewegung, mächtig aber nicht unbezwingbar, lebensspendend und zerstörerisch zugleich, eben wie die Elo-i selbst. Und so fand sich in all ihren Tempeln Wasser jeglicher Art in Form von Fontänen, kleinen Teichen oder sogar tiefen Seen.
    Alyssa musste eine Weile warten, ihre Herrin einfach anzusprechen, das hielt sie in dieser Situation nicht für ratsam.
    [FONT=&quot]Schließlich hob Zaide ganz von selbst den Kopf, sah sie eine Weile nachdenklich an und klopfte dann neben sich auf die steinerne Einfassung.



    [/FONT] „Ihr solltet Euch nicht so viele Gedanken machen, Herrin!“ sagte Alyssa leise, nachdem sie mit einer gewissen Erleichterung neben ihr Platz genommen hatte. „Es wird bestimmt alles gut, Ihr werdet sehen!“
    „Nein!“ murmelte Zaide mehr zu sich selbst, als dass sie ihr antwortete. „Die Dinge ändern sich. Nichts wird mehr sein, wie es war. Und es hat längst begonnen. Unser Universum ist in Bewegung geraten, das kann ich fühlen, so wie jeder andere von uns auch. Vielleicht wird es uns bald nicht mehr geben. Doch bevor es soweit ist, werde ich dich und Semira hinüberschicken. Ich brauche Euch dann nicht mehr und möchte Euch in Sicherheit wissen.“
    Alyssa versuchte, sich ihren Schrecken nicht anmerken zu lassen. Stand es denn wirklich schon so ernst, dass die Gebieterin daran dachte, den Tempel aufzugeben?
    „Vielleicht hatte die Große Gebieterin einfach nur Erfolg und das sind die Erschütterungen, die Ihr spürt?“ gab Alyssa hoffnungsvoll zu bedenken, aber ihre Herrin winkte müde ab.
    „Nein, ich fürchte, sie hat genauso wenig eine Chance, wie wir sie hatten. Er ist zu mächtig und war geduldig genug, auf den richtigen Moment zu warten. Und ich hab es nicht erkannt, damals nicht und jetzt auch nicht.“
    „Varik?“ Ihre Stimme zitterte, denn noch immer wagte es Alyssa nicht, seinen Namen laut auszusprechen. „Dann glaubt Ihr wirklich, dass der Herr der Finsternis ihr Gedächtnis blockiert hat?“



    „Das hat er in der Tat, daran besteht gar kein Zweifel!“ Sie hörten ihre Stimme, noch bevor Reshanne sich direkt vor ihnen materialisierte. Alyssa sprang augenblicklich auf und wollte sich zurückziehen, doch die Gebieterin hielt sie mit einer kleinen aber eindeutigen Geste zurück, ohne indes das Wort an sie zu richten.
    Zaide, plötzlich ganz ruhig geworden, sah nur zu ihr hinauf. Sie musste sie nicht fragen, und Reshanne musste ihr nichts sagen, sie wusste es in dem Moment, als sie in die besorgten, von Mitgefühl leuchtenden Augen der Schwester sah.
    „Es hat nicht funktioniert!“ konstatierte sie dennoch unnötigerweise, nur Reshanne schüttelte traurig den Kopf.
    „Doch, .... leider!“
    „Leider?“ Zaides entsetzt ungläubiger Ton ließ Reshanne zusammenzucken. Es gab wohl keine schonende Art geben, der Schwester die schreckliche Wahrheit beizubringen, also verkündete sie ohne weitere Vorbereitung:
    [FONT=&quot]„Sie ist wieder eine von uns, und das ist leider gar nicht gut. Denn .....er hat sie, Zaide. Varik hat Celia mit sich genommen.“



    [/FONT]Zaide senkte den Kopf und schloss die Augen. Er hatte sie mitgenommen. Irgendwohin, wo sie unerreichbar sein würde für jeden Elo-i, der nach ihr suchte. Selbst Reshanne und ihr Spiegel wären nicht in der Lage, Variks geheimes Versteck zu finden. Noch so ein unseliges Geschenk seiner Tante.
    Wie hatte er das nur geschafft? Wenn Celia sich erinnerte, wieso war sie nur mit ihm mitgegangen? Ihr hätte doch klar sein müssen, dass sie nicht zu ihm gehörte, sondern zu ihr, Zaide, ihrer Mutter.
    „Sie wusste von Adrian und meiner Rolle bei seinem Tod!“ gab Reshanne ihr mit sanfter Stimme Antwort, als hätte sie die Frage laut gestellt.
    „Aber wie. Ich habe nie ein Wort gesagt! Ich hätte ihr doch niemals zugemutet, mit einem solchen Wissen zu leben!“ Doch dann stutzte sie plötzlich und sank noch mehr in sich zusammen. „Deshalb ist sie weggelaufen, das ist der Grund, nach dem wir gesucht haben!“
    „Wovon um alles in der Welt redest du?“ fragte Reshanne völlig konsterniert.
    [FONT=&quot]„Verstehst du es nicht? Sie ist ein Telepath, es kann gar nicht anders sein. An diesem verfluchten Nachmittag, als sie sein Bild gefunden hat, da muss sie meine Gedanken gelesen haben. Und zwei Tage später war sie verschwunden!“



    [/FONT] „Weißt du wie viele Telepathen es unter den Elo-i gibt, die in der Lage wären, DEINE Barrieren zu durchbrechen?“ fragte Reshanne nur wenig später, als sie neben Zaide herging, in respektvollem Abstand gefolgt von Alyssa.
    „Ja, nicht sehr viele, soweit ich weiß!“
    „Eben, es sollte nur noch drei gelingen, um genau zu sein. Ich selbst, Zardon...und ...Varik. Alle anderen sind nicht stark genug.“
    „Celia ist es!“ Der Stolz der Mutter auf die Fähigkeiten ihrer Tochter war unhörbar, ein Stolz, den Reshanne ihr gern gegönnt hätte, aber in diesem Fall?
    [FONT=&quot]„Das verschlimmert die Lage noch mehr, Zaide, obwohl ich mir kaum noch Schlimmeres vorstellen kann. Ich habe mich noch nie derart hilflos gefühlt. Wir müssen etwas tun, doch ich weiß nicht, was. Töten können wir sie nicht mehr, das hab ich schon versucht.“



    [/FONT] „Du hast was?“ Unbeherrscht riss Zaide ihre Schwester am Arm zurück und baute sich in drohender Haltung vor ihr auf. „Sag das noch mal!“
    Vielleicht hätte sie weniger direkt sein sollen, doch in Bezug auf ihre Schwester hatte Reshanne es schon immer an der nötigen Diplomatie gefehlt. Zu sehr lehnte sich die Jüngere immer gegen die Autorität der Älteren auf. Denn Zaides Sturkopf stand dem ihrer herrscherlichen Schwester in nichts nach.
    [FONT=&quot]„Ich habe getan, was ich tun musste!“ erklärte Reshanne daher ohne Schuldbewusstein, aber auch ohne Zaide für ihr Verhalten zurecht zu weisen. „Sie hatte gerade einen Menschen getötet, den Mann, den sie liebte. Welchen Beweis brauchst du noch, um zu erkennen, wie sehr sie längst unter Variks Bann stand? Alles, was in ihrem Herzen noch existiert, ist Hass, Wut und Zorn. Varik ist der Einzige, der diese Wut, diesen unbändigen Hass noch lenken kann. Und wir wissen doch beide genau, WOHIN er sie lenken wird, in wessen Richtung.“ Zaide nickte, wenn auch widerwillig. „Ich musste es versuchen, ich musste einfach.“ Beschwörend, ja schon flehend klangen diese Worte, bevor Reshanne der Schwester leise berichtete, was daraufhin mit deren Tochter geschehen war.



    [/FONT] „Wir müssen uns jetzt genau überlegen, was wir tun.“ schloss sie den Bericht und Zaide hob die Augenbrauen.
    „WIR?“ fragte sie gedehnt. „Ich dachte, ich sollte mich da raushalten!“
    „Du meine Güte, Zaide!“ rief Reshanne in einem Anflug von Zorn. „Jetzt hör doch endlich auf. Haben wir uns denn nicht lange genug bekriegt?“
    „Ich habe nicht damit angefangen!“ warf Zaide traurig dazwischen. „Das warst du. Du hast mir den Mann und meiner Tochter den Vater genommen. Und du siehst, wohin das geführt hat.“
    Reshanne schwieg einen Moment. Immer wieder diese Vorwürfe. Egal, wie berechtigt sie waren, was halfen sie denn jetzt noch? Sie atmete tief durch. „Gut, wenn du es denn unbedingt noch einmal hören willst, bitte, in aller Deutlichkeit. Ich hatte Unrecht. Adrians Tod war ein.....ein Fehler. Aber ich kann ihn nicht mehr rückgängig machen. Auch wenn ich nichts lieber täte. Ich bin nun mal nicht allmächtig, Zaide. Sonst bräuchte ich dich jetzt nicht an meiner Seite.“
    „DU brauchst MICH?“ Zaide lachte freudlos auf. „Wozu denn? Um Celia endgültig zu vernichten?“
    „Nein! Um sie zu retten! Sie und auch uns alle!“
    [FONT=&quot]„Ich höre!“ Zaide schien zwar überrascht, doch längst nicht überzeugt, wie Reshanne aus ihrem noch immer abweisenden Tonfall schloss. Aber sie würde sich davon nicht beirren lassen.



    [/FONT] „Varik hat zwar die Transformation noch nicht durchgeführt, aber er wird nicht allzu lange damit warten. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sie uns bald wieder gegenüberstehen wird. Und dann wird niemand mehr zu ihr durchdringen, auch du nicht. Ich denke, unsere einzige Chance besteht darin herauszufinden, wie es Melynne damals gelungen ist, Keyla zurückzubringen, ohne sie zu töten. Sie ist der Schlüssel zu dieser ganzen verflixten Geschichte.“
    „Aber du sagtest doch selber, Keyla wäre tot, sie kann es uns nicht mehr sagen, Marhala weiß es auch nicht. Also wie willst du das anstellen?“
    „Du hast jemanden vergessen, jemanden, der damals dabei gewesen ist, der mehr als nur ein Geheimnis zu hüten scheint. Und ich werde dafür sorgen, dass er es jetzt endlich preisgibt.“
    ‚Und ob sie das würde!’ dachte Reshanne in verzweifelter Entschlossenheit. ‚Und wenn sie ihn zwingen musste. Er war mächtig, alt und weise und hatte gewiss ihren Respekt verdient, aber auch er musste sich ihr, der Herrscherin fügen. Sah er denn nicht, dass er sie alle ins Verderben stürzte?’
    „Ich werde den Rat einberufen, und ich will dich dabei haben. Du wirst mir helfen, ihn zu überzeugen.“ verlangte sie mit Nachdruck und Zaide versank in der Andeutung einer Verneigung.
    „Wie du wünschst!“ flüsterte sie dabei ergeben, wissend, dass ihr keine Wahl blieb.



    ++++++++++++
    weiter zu Teil 2


  • Während Zaide die Stufen hinauf in den kleinen Gedächtnistempel ihres gemeinsamen Vaters ging, um ihre Gedanken zu sammeln, richtete Reshanne ihre Aufmerksamkeit auf die sich vorsichtig nähernde Semira. Ihr ängstlicher Gesichtsausdruck und ihr unsicheres Stottern verhießen nichts Gutes.
    „Was gibt es denn?“ fragte Reshanne um Ruhe bemüht, als sie merkte, dass das Mädchen nicht mit ihrer Herrin, sondern mit ihr zu sprechen wünschte.
    „Die Begleiterin, welche Ihr angefordert habt, ist zurückgekehrt, Gebieterin.“
    Zaide wirbelte sofort herum. „Für wen brauchst du denn eine Begleiterin?“
    „Für den Mann, den deine Tochter getötet hat. Verzeih...“ suchte Reshanne sie sofort zu beschwichtigen, „... ich wollte mich nicht in deine Aufgabe mischen, aber ich dachte, du hättest nichts dagegen, wenn wir ihn sofort hinüberschicken.“
    „Natürlich, du hast recht.“ gab Zaide zu, bevor sie sich nun selbst an Semira wandte. „Du kannst das Tor öffnen.“
    Doch das Mädchen rührte sich nicht und starrte stattdessen angestrengt zu Boden. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ wunderte sich Zaide, die sich ihr Zögern nicht anders zu erklären wusste.
    [FONT=&quot]„Die Begleiterin..... sie kann ihn nicht finden.“ stotterte Semira, als fürchte sie, man würde es ihr anlasten. „Nicolas Blandforts Seele ist verschwunden.“



    [/FONT] Zaide wurde bleich, ihr wurde schwindlig, sie wankte nach hinten und krallte sich haltsuchend an der Statue ihres Vaters fest.
    Dieser Name, das konnte doch kein Zufall sein, unmöglich.
    Nicht in diesem Ort. Warum hatte sie nur nie an diese Möglichkeit gedacht? Nicht einmal, als sie feststellte, wohin ihre Tochter verschwunden war. Celia wollte mehr über ihren Vater wissen, welcher Ort wäre für den Anfang besser geeignet, als dessen Geburtsort! Zaide hatte diesen Wunsch verstanden und sie gewähren lassen, beschützt und bewacht durch ihre Dienerinnen. Und nie daran gedacht, wem sie dort begegnen konnte.
    Und dann war dieser Unfall geschehen, ein Unfall, der keiner war. Wer ihn verursacht hatte, wusste sie längst und auch warum. Doch Varik schien absolut nichts dem Zufall überlassen zu haben. Da er von Celias Abstammung wusste, bekam die Tatsache, dass er ausgerechnet diesen Mann ausgewählt hatte, eine ganz andere Bedeutung! Was bezweckte er damit, gerade diese beiden miteinander zu verbinden?
    Ihr fassungsloses Entsetzen blieb den anderen nicht verborgen und Reshanne kam die Treppen herauf und packte sie voller Sorge bei den Schultern.
    [FONT=&quot]„Was ist los, Zaide? Was beunruhigt dich daran so?“



    [/FONT] „Sein Name!“ flüsterte die Schwester tonlos. „Ist dir denn sein Name nicht aufgefallen?“ Reshanne schüttelte den Kopf, dachte kurz nach und dann weiteten sich ihre Augen.
    „Blandfort! Er trägt den gleichen Namen wie dein Mann! Willst du damit sagen, die beiden sind verwandt?“ Zaide konnte nur stumm nicken. Es war grotesk. Das war nun ihre Schwester, die Große Gebieterin, Herrscherin der Welt, der nichts auf der Welt entging, außer das wirklich Wesentliche. Die Menschen waren in ihren Augen zu unwichtig, um sich näher mit ihnen zu befassen, selbst wenn sie so erlauchte Verbindungen eingingen, wie Adrian es unwissentlich getan hatte. Und so war es von ihnen beiden schlicht und einfach übersehen worden.
    „Adrian hatte eine Schwester.“ erzählte Zaide, als sie ihre Stimme wiederfand. „Ich wusste es, aber ich hab es vergessen. Dieser Nicolas, er muss ihr Nachkomme sein. Warum nur hab ich nicht nachgeforscht, in wen sie sich da verliebte.“
    [FONT=&quot]Doch im Gegensatz zu ihr hatte Reshanne die wahre Bedeutung dieser Entdeckung längst erfasst. „Weißt du, was das heißt Zaide?“ fragte sie atemlos. „Wenn dieser Mann von Adrians Schwester abstammt, dann ist er, genauso wie Celia auch IHR Nachkomme. Und egal, wie viele Generationen zwischen ihnen liegen, Keylas Erbe schlummert noch immer unverändert in ihm. Wir müssen ihn finden, schnell! Und hoffen, dass sich Varik nicht auch noch seiner bemächtigt hat!“






    [/FONT] Weit entfernt vom Tempel der Ewigkeit kehrte Theris von ihrem letzten Streifzug zurück. Schon seit Jahrhunderten hatte dieser geheiligte Ort kein Tageslicht mehr gesehen, denn ihr Gebieter wünschte es so. Der kleine verschwiegen gelegene Tempel, dessen Existenz den anderen Mitgliedern seiner Kaste und selbst der Großen Mutter verborgen blieb, war sein Refugium, ein Ort der Stille, an dem nie ein lautes Wort fallen durfte, den auch nur sie und Charis, der zweite Todesengel betreten durften. Um so mehr hatte sie sein Befehl überrascht, ausgerechnet den toten Körper eines Menschen und dessen Seele hierher zu bringen. Doch wer war sie, eine Cha-yi, die Befehle eines Elo-i in Frage zu stellen?
    Auf den fragenden Blick von Charis, die sie am Eingang erwartete, schüttelte sie nur den Kopf. Nein, sie brachte keine guten Nachrichten, und das würde den Gebieter nicht erfreuen, der ohnehin in schlechter Stimmung war, wie schon lange nicht mehr. Eine schreckliche Düsternis hatte ihn befallen, deren Ursache sie noch nicht herausgefunden hatten. Ob es wohl etwas mit diesem Menschen zu tun hatte?
    [FONT=&quot]Charis wies ihr ungefragt und mit einer einfachen Bewegung des Kopfes die Richtung, obwohl es vollkommen unnötig war. Denn Theris wusste genau, wo sie ihren Herrn finden würde.



    [/FONT] Schon seit Wochen hatte er sich immer wieder hierhin zurückgezogen, um tief in Gedanken versunken, stundenlang die Blumen anzustarren, die er täglich frisch auf den steinernen Sarkophag stellte. Theris hatte sich oft gewundert, warum er das tat, denn der Sarkophag war leer. Es gab nichts, was man damals hätte hineinlegen können, nichts war übrig geblieben von seiner großen Liebe, außer dem Gedenken, das er seitdem pflegte.
    Niemand durfte es wagen, ihn hier zu stören, daher näherte sich Theris ihm jetzt nur höchst ungern. Doch, was sie ihm zu sagen hatte, duldete keinen Aufschub.
    Sie hüstelte leicht verlegen, um sich bemerkbar zu machen und wartete mit gesenktem Kopf auf seine Reaktion.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihr in herrischem Ton eine einzige Frage stellte.
    [FONT=&quot]„Hast du deinen Auftrag erfüllt?“



    [/FONT] Theris schüttelte den Kopf und senkte ihn womöglich noch tiefer, als sie es ohnehin schon tat.
    „Verzeih mir mein Gebieter. Aber ich habe versagt. Die Seele, nach der Ihr verlangt habt, ist verschwunden.“
    „Dann warst du zu langsam. Die Begleiter haben sie bereits in den Tempel gebracht. Warum hast du nicht dort nach ihr gesucht?“
    „Ich bitte um Vergebung, Gebieter, doch die Begleiter suchen diese Seele ebenfalls. Niemand weiß etwas über seinen Verbleib, er ist einfach so verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen!“




    +++


  • Tiefe Stille lag über dem einsamen, von steilen Felsen eingerahmten Tal, in dem sich Variks eisiges Versteck befand. Kein Vogel verirrte sich hierher, kein Windhauch ließ die schneebeladenen Bäume erzittern. Zeit spielte hier keine Rolle, ja die Natur selbst schien die Existenz dieses glitzernden aber dennoch düsteren Ortes vergessen zu haben.
    Nur der obere, eisbedeckte Teil des Palastes reckte seine Spitzen in den nächtlichen sternenlosen Himmel, während der weitaus größere Teil mit seinen weiterverzweigten Gängen und Korridoren und den dunklen Sälen in den Tiefen der Erde verborgen die Geheimnisse des Herrn der Finsternis hütete.
    [FONT=&quot]Die kalten Mauern hatten schon alles gesehen, was die beiden Welten zu bieten hatten, Freude, Leid und grausamen Schmerz, der letztendes alles überschattete.



    [/FONT] Heute aber war der Gebieter über diese Eiswelt äußerst zufrieden damit, wie die Dinge sich entwickelt hatten. Nicht dass er am Gelingen seines Planes je gezweifelt hätte, doch er spürte ganz genau, dass er Celias Stärke und Eigenständigkeit nicht unterschätzen durfte. Sie war nicht Keyla, deren bedingungslose Liebe ihm alle Türen geöffnet hatte. Niemals hätte die sich gegen ihn gewandt. Celia dagegen hatte ihre Gefährlichkeit gerade erst demonstriert. Nicht ganz ohne sein Zutun freilich, aber Liebe würde sie nicht kontrollieren. Im Gegenteil!
    [FONT=&quot]Zunächst galt es, ihr Vertrauen zu gewinnen, doch danach musste er dafür sorgen, dass selbst die letzte Erinnerung an dieses gefährliche Gefühl ausgelöscht wurde, genauso wie er sie diesen Mann auslöschen ließ, der nicht einmal ahnte, welche Macht in ihm schlummerte. Von nun an sollte Hass das Einzige sein, dass sie beherrschen durfte, Hass und bedingungslose Treue zu ihm selbst. Nur dann würde sie ihm ohne Zögern den Weg freimachen.



    [/FONT] Und dafür gab es keinen besseren Weg, als sie hier im Kristallsaal ruhen zu lassen, bis sich ihre Energien wieder stabilisiert hatten. Die plötzliche Rückverwandlung hatte sie, wie vorausgesehen, sehr mitgenommen, und so brach sie in seinen Armen zusammen, sobald sie hier angekommen waren.
    Ihm konnte das nur recht sein, je länger sie hier schlief, desto eher würde Keylas so lange unterdrücktes Erbe die Kontrolle übernehmen können. Lange genug hatte es gedauert, und noch war sie nicht bereit für die Transformation, auch wenn seine Diener die Zeremonie längst vorbereitet hatten. Doch er durfte jetzt nicht ungeduldig werden. Ungeduld war ihm schon einmal zum Verhängnis geworden. Diesen Fehler beging er nicht ein zweites Mal! Diesmal galt es alles oder nichts.
    [FONT=&quot]Zufrieden warf er noch einen letzten Blick auf das friedlich schlummernde Mädchen, bevor er sie allein ließ.



    [/FONT] Als Celia schließlich aus ihren schweren Träumen hoch schreckte, wusste sie nicht mehr, wo sie sich befand. Der Raum war dunkel bis auf die kleinen Kerzen hinter ihr, die nur ein schwaches Licht spendeten und sie nicht weiter als bis zu ihren Fußspitzen sehen ließen. Was war das für ein eigenartiges Bett, auf dem sie lag? Und warum fühlte sie sich so gerädert? Ihr Rücken schmerzte mindestens ebenso wie ihr Kopf, ja sie meinte, jeden Knochen in ihrem Leib einzeln zu spüren. Kein unbekanntes Gefühl, leider:
    Doch was um alles in der Welt hatte sie jetzt schon wieder gemacht? Und wie war sie hierher gekommen? Fragen über Fragen, doch ihr Kopf schien sich zu weigern, ihr die nötigen Antworten zu geben. Ihr schwindelte und sie begann zu überlegen, ob es nicht weitaus besser wäre, sich einfach wieder hinzulegen und weiterzuschlafen. Schlafen sei die beste Medizin, hatte Nicolas immer gesagt.
    [FONT=&quot]Nick!



    [/FONT] Schlagartig kehrte die Erinnerung wieder zurück und sie kam ruckartig wieder nach oben. Nick! Gütiger Himmel, was hatte sie angerichtet? Wieso? Wie hatte sie das nur tun können?
    Wenn sie doch nur geahnt hätte, über welche Kräfte sie verfügte und wie wenig sie diese kontrollieren konnte, nie, niemals wäre sie auf diese verfluchte Party gegangen! Aber niemand hatte sie gewarnt, im Gegenteil! Ganz bewusst hatte man sie im unklaren gelassen, weil sie ausgeschaltet werden sollte, und dafür war der Tod dieses unschuldigen Menschen einfach in Kauf genommen worden. Und wer hatte ihnen das alles angetan? Keine Fremden, oh nein! Ihre eigene Familie!
    [FONT=&quot]Ihre Tante, die sich Mutter der Welt nannte, doch in ihrem Egoismus nur ihrer eigenen Herrschsucht diente. Nicks Leben war ihr dabei völlig egal! Oh könnte Celia sie doch zur Rechenschaft zu ziehen. Sie würde Reshanne lehren, den Wert eines Menschenlebens nicht zu unterschätzen!



    [/FONT] „Geduld!“ hörte sie eine leise Stimme durch den Raum schwingen, hundertfach zurückgeworfen von den Wänden. Gleichzeitig flammten unzählige Kerzen auf und enthüllten ihr endlich mehr von dem eigenartig kalt wirkenden Raum. Doch obwohl sie dessen Kälte bis in ihre Fingerspitzen spürte, fror sie nicht.
    Wie war das möglich? Und diese Stimme? Als sie sich umsah, konnte sie niemanden entdecken, der Saal schien leer zu sein.
    „Wo bist du?“ rief sie und lauschte angestrengt in die Stille.
    „Komm zu mir!“ entgegnete die Stimme statt einer Antwort. Celias Augen suchten erneut den Raum ab, nichts!
    „Wie denn? Ich weiß doch immer noch nicht, wo ich dich suchen soll!“ Die Stimme gluckste leise vor sich hin.
    „Keine Sorge, du wirst mich schon finden. Komm, ich warte auf dich!“
    Irritiert schwang Celia die Beine über den Rand ihres steinernen Bettes, stand auf und lief die Treppen hinunter. Was sollte dieses Versteckspiel?



    ++++++++++
    und zu Teil 2


  • Celia durchschritt Saal für Saal, Korridor für Korridor, sich neugierig umsehend, ohne zu wissen, wo sie eigentlich hin ging. Dennoch zog es sie, ganz ohne ihr eigenes Zutun in eine bestimmte Richtung, als hätte sie jemand unsichtbar an die Hand genommen. Überall herrschte die gleiche unheimliche Stille, die gleiche alles durchdringende Kälte, die sie am ganzen Leibe zittern lassen sollte, ihr aber dennoch nichts anhaben konnte.
    Nachdem sie endlich den Ausgang gefunden hatte und in die Nacht hinausgegangen war, fand sie eine Erklärung zumindest für die Kälte. Der Boden war mit Schnee bedeckt, in dem ihre Füße augenblicklich einsanken, weicher, flockiger Schnee, blendend weiß, als wäre er gerade erst gefallen.
    Die Wände ringsumher bestanden aus riesigen tonnenschweren Eisplatten, die mit einer unbegreiflichen Leichtigkeit zu einer Art Gebäude zusammengefügt worden waren. Und dieses Eis schien völlig unempfindlich gegen Wärme zu sein. Überall brannten Kerzen unmittelbar an und neben den Platten, doch es schmolz nicht.
    [FONT=&quot]‚Erstaunlich, höchst erstaunlich!’ dachte Celia, während sie ihre Erkundungstour fortsetzte, nicht ahnend, dass sie dabei beobachtet wurde.



    [/FONT] ‚Sie ist also aufgewacht, nur wieso so früh und ganz von allein?’ wunderte sich Varik, als er sie direkt unter sich mit dem neugierigen, staunenden Blick eines Kindes durch den Schnee laufen sah. Und war sie nicht auch wie ein Kind, gerade neugeboren, bereit, sich formen und lenken zu lassen, in welche Richtung ER es wollte, vorausgesetzt, es gelang ihm, sie von all dem Ballast zu befreien, den man ihr seit ihrer Geburt aufgehalst hatte, Dinge wie die Loyalität zu ihrem eigenen Volk, Verantwortung, ....Liebe. Er zweifelte nicht an seinem Erfolg, selbst wenn er den Prozess jetzt wiederholen musste, weil sie sich unverständlicherweise von selbst aus dem künstlichen Schlaf geholt hatte.
    [FONT=&quot]Der Kristallsaal war mehr als nur ein Ort der Ruhe, sehr viel mehr. Er erinnerte sich noch genau an Melynnes entsetztes Gesicht, als sie damals herausgefunden hatte, dass es ihm tatsächlich gelungen war, den heiligen Schrein der Großen Mutter nachzubauen, in dem jeder Elo-i auf die Amtsübertragung vorbereitet wurde. Ohne diese Vorbereitung, eine Art Reinigung und Aktivierung ihrer Aufnahmefähigkeit, konnte eine vollständige Übertragung der Kräfte eines der mächtigen Elo-i den Empfänger vernichten. Daher durfte nur die Herrscherin selbst eine solche Übertragung veranlassen.



    [/FONT] Er hatte sich darüber hinweggesetzt und einen neuen Schrein gebaut, um sich selbst in die Lage zu versetzen, die Kräfte seiner Gemahlin zu erlangen, doch es war noch zu früh gewesen, und das in doppelter Hinsicht.
    Einmal hätte er warten sollen, bis Melynne ihre Herrschaftsgewalt an ihre Nichte übergeben hätte, dann hätte man keinen von ihnen mehr stoppen können. Zum andern hätte ihre Gefühle auslöschen müssen, ganz gleich, was er dadurch verlor. Denn Liebe hatte sie in seine Arme geführt, aber Liebe hatte sie ihm schließlich auch wieder entrissen.
    [FONT=&quot]Mit ihrer Nachfolgerin durfte ihm das nicht passieren. Mit dem Tod von Keylas menschlichem Nachkommen hatte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wie geplant, begab sich dessen schöne Cousine vertrauensvoll und mit aufgestautem Zorn in seine Hände, eine Zeitbombe, deren zerstörerische Kraft er jederzeit entfesseln konnte und mit dem gleichen Coup sorgte er dafür, dass man sie ihm nicht mehr nehmen konnte, denn der Einzige, der dazu in der Lage wäre, war nun tot. Und wie er Reshanne einschätzte, würde die Ahnungslose dafür sorgen, dass die Seele dieses ach so reinen Herzens auf der Stelle hinübergeleitet wurde. Rückkehr ausgeschlossen! Gefahr gebannt!



    [/FONT] Sie hatte ihn entdeckt, also schwang er sich über die Brüstung und ließ sich langsam zu ihr herabsinken.
    „Guten Morgen!“ begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln. „Oder sollte ich besser Guten Abend sagen?“
    „Wer bist du?“ platzte sie heraus, ohne seine Frage zu beantworten. Sein Lächeln vertiefte sich.
    „Hast du meinen Namen schon wieder vergessen?“ Eine unwirsche Handbewegung unterbrach ihn.
    „Deine Name spielt für mich keine Rolle. Ich möchte wissen, wer du wirklich bist, was die anderen gegen dich haben, wo wir hier sind? Was passiert mit mir und warum?“
    „Halt, halt, nicht so stürmisch!“ wehrte er die Flut ihrer Fragen ab, die auf ihn herabprasselten und erntete prompt ein unwilliges Stirnrunzeln.
    „Ich muss es aber wissen!“ Unter ihm grollte der Boden, die spiegelnde Wasseroberfläche gleich neben ihnen begann zu zittern.
    [FONT=&quot]„Ich verstehe schon, dass du viele Fragen hast!“ beschwichtigte er sie, obwohl er innerlich frohlockte. „Und du bekommst auf jede eine Antwort, das versprech’ ich dir. Aber alles zu seiner Zeit. Nein....“ er schüttelte den Kopf, als sie ihn schon wieder unterbrechen wollte. „Jetzt werde ich dich erst mal ein wenig herum führen in deinem neuen Zuhause.“



    [/FONT] Und das tat er dann auch. Natürlich bekam sie nicht alles zu sehen, soweit vertraute er ihr noch nicht. Erst wenn sie die Transformation durchlaufen hatte und vollständig ihm gehörte, würde er sie in die Tiefe mitnehmen, wo die mächtigen Feuer loderten, deren Flammen ihrem Willen gehorchend, die Erde verbrennen konnten und vielleicht, wenn ihm der Sinn danach stand, auch würden.
    [FONT=&quot]Doch jetzt zeigte er ihr erst einmal jene Räumlichkeiten, die er für sie vorbereitet hatte. Es schien sie sehr zu berühren, zu sehen, wie viel Mühe er sich ihretwegen machte, und er hütete sich, sie mit der Erklärung zu korrigieren, dass er dies seinen Dienern überlassen hatte. Sogar an eine ausreichende neue Garderobe hatten sie gedacht, und er beobachtete amüsiert, wie sie die Sachen nacheinander anprobierte. Weibliche Eitelkeit schien nicht allein nur eine menschliche Schwäche zu sein!



    [/FONT] „Das steht dir ausgezeichnet!“ meinte er, als sie sich, zufrieden mit ihrer Wahl, im Spiegel betrachtete. „Aber da fehlt noch etwas!“ Er schob den Arm über ihre Schulter und legte ihr eine kurze, mehrfach gedrehte Goldkette um den Hals, an der ein edelsteinbesetzter Schmetterling funkelte.
    „Du kannst den alten Anhänger deiner Großmutter nicht mehr tragen. Er ist angefüllt mit den Energien deiner Feinde und würde dich, uns, in Gefahr bringen. Aber auch dieser gehörte einmal ihr. Ich denke, sie hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich ihn dir schenke.“
    Ein schüchternes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie ihn andächtig betastete.
    Beinahe hätte er es bedauert, dass er so etwas in Zukunft wohl nicht wieder zu Gesicht bekommen würde. Nach der Transformation würde es kein Lächeln, keine Tränen mehr geben, nur noch eisige Kälte, die das Wasser ringsum gefrieren lassen würde, wenn sie nur an ihm vorüberging.
    [FONT=&quot]„Warum tust du das alles für mich?“ verlangte sie zu wissen und drehte sich zu ihm um. „Und was hast du mit meiner Großmutter zu schaffen?“



    [/FONT] Er strich ihr sacht über die Wange
    „Vielleicht weil du meine Tochter hättest sein können, denn Keyla,.....das ist der wahre Name deiner Großmutter,.....sie war einmal meine Frau.“
    „DEINE Frau?“ Fassungslose Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Aber du bist kein Mensch, und sie....“
    „War auch keiner.“ vollendete er ihren Satz. „Nur der Mann, den sie nach mir ehelichte, war einer. Und darum kam auch dein Vater als Mensch zur Welt.“
    „Aber wenn sie deine Frau war, wie .... ich meine, ..... hat sie dich verlassen?“
    „Ja, aber nicht freiwillig.“ bestätigte er verbittert. „Sie wurde dazu gezwungen.“
    „Wieso? Und von wem?“ fragte sie leise, als fürchte sie sich regelrecht vor seiner Antwort und er schluckte schwer.
    Auf diesen Gesprächsverlauf war er genauso wenig vorbereitet, wie auf den mitfühlenden traurigen Blick ihrer Augen, Keylas Augen. Ihre Gestalt, ihr Gang, die Art, wie sie den Kopf leicht schräg neigte, wenn sie ihn unter den gesenkten Lidern ansah, wie sie sich immer wieder ihr Haar hinters Ohr steckte, nur mit dem Mittelfinger, all das erinnerte ihn an sie, das einzige Wesen, dem es je gelungen war, sein Herz zu berühren.
    „Von ihrer Tante, der damaligen Herrscherin.“ stieß er schließlich hervor und wandte sich ab. „Verzeih mir! Bitte lass uns später darüber reden, im Augenblick ist es....etwas schwierig.“



    ++++++++++
    und zu Teil 3


  • Sie hatte es verstanden und ihn nicht weiter bedrängt. Stattdessen stellte sie ihm, als er die Führung wieder aufnahm, eher unverfängliche Fragen, doch er spürte immer wieder, dass sie ihm im Grunde gar nicht zuhörte. All ihr Gedanken kreisten um Keyla und die erschütternde Eröffnung, dass auch sie eine Elo-i gewesen war. Dass man ihr dies verschwiegen hatte, betrachtete sie als Beweis dafür, dass Reshanne auch bei ihrem Tod die Hände im Spiel gehabt haben musste.
    [FONT=&quot]Er war ein wenig beunruhigt, als er sie auf ihren eigenen Wunsch hin eine Weile allein lassen musste, ihre Gefühle und die Erinnerungen daran waren noch immer stark und wenn es ihr gelang, sein wohldurchdachtes Durcheinander in ihrem Kopf zu entwirren und die richtigen Schlüsse zu ziehen, konnte es leicht geschehen, dass sie ihm Fragen stellte, die er nicht beantworten wollte oder durfte, ohne alles zu riskieren. Wie gut, dass sie noch nicht in der Lage war, auch seine Gedanken zu lesen! Denn noch bestand eine kleine, wenn auch unwahrscheinliche Gefahr für ihn und seine Pläne, die er aus der Welt schaffen musste, bevor sie auch der Herrscherin bewusst wurde und sie womöglich auf die Idee kam, diese gegen ihn zu nutzen.



    [/FONT] Celia blieb lange auf dieser Bank sitzen und starrte das Wasser an, das in einer kleinen Fontäne aus dem Brunnen schoss. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals im Leben so einsam gewesen zu sein, wie jetzt und hier. Gewiss, Varik gab sich viel Mühe, ihr die Umstellung zu erleichtern, trotzdem fühlte sie sich seltsam fehl am Platz in diesen eisigen Hallen. Ob es ihrer Großmutter ähnlich ergangen war? Varik hatte vorher ganz nebenbei erwähnt, sie wäre es gewesen, die diesen Palast hier erschaffen hatte. Nur warum diese Dunkelheit, diese Kälte? Selbst ihr Anhänger schien diese Kälte in sich aufgenommen zu haben, so schwer und kühl lag er auf ihrer Brust, ganz anders als der, den ihre Mutter ihr gegeben hatte. Was war mit Keyla wirklich geschehen? Und würde sie womöglich ihr Schicksal teilen? Immerhin sah es danach aus, als würden die Dinge sich wiederholen. Nur wieso? Warum hatten sie mit all ihrer Macht Nicolas einfach sterben lassen? Warum hatte man sie nicht aufgehalten? Wie konnten sie ihr nur eine solch furchtbare Schuld aufladen?
    [FONT=&quot]„Du solltest nicht versuchen, dort einen Sinn zu finden, wo es keinen gibt!“ Unhörbar war er hinter sie getreten und sah auf sie hinunter, ohne sie indes zu berühren.



    [/FONT] Sie sprang auf und entfernte sich ein paar Schritte von ihm.
    „Aber wie soll ich denn damit leben? Ich habe ihn geliebt .... ich tu es noch.“ Ihre Stimme brach und Varik überlegte einen Moment erschrocken, ob er die Macht ihrer Gefühle womöglich falsch eingeschätzt hatte.
    „Trotzdem hab ich ihn umgebracht. Ich! Die Frau, die er liebte! Was für ein Irrsinn! Ich bin schuld an seinem Tod!“
    Varik atmete auf, dies war ein recht nützliches Gefühl, dass er durchaus für seine Zwecke verwenden konnte. Sanft und vorsichtig legte er ihr die Hand auf die Schulter und näherte sich ihrem Kopf.
    „Nicht du bist schuld!“ flüsterte er ihr ins Ohr. „Deine Tante trägt die Verantwortung, nur sie allein. Für sie war der Mann nicht mehr wert als ein Insekt und ein Mittel, dich in der Menschenwelt zu halten, weil sie hoffte, du würdest dann deine Kräfte aufgeben.“
    „Aber warum?“
    [FONT=&quot]„Weil sie dich fürchtet, mehr als jeden andern. Weil du die Einzige bist, die ihr die Macht streitig machen kann. Weil sie Keyla damals den Thron gestohlen hat und du als ihre einzige Enkelin, die wahre Erbin bist, die wahre Herrscherin der Elo-i.“



    [/FONT] „Aber ich will das doch alles gar nicht.“ hielt sie ihm entgegen, völlig unbeeindruckt von seiner Eröffnung. „Alles, was ich je wollte, war eine Aufgabe.“
    „Deine Aufgabe, deine Bestimmung seit deiner Geburt war es, Keylas Erbe anzutreten. Du kannst dich dagegen wehren, aber dem nicht entfliehen, genauso wenig, wie du seinen Tod verhindern konntest.“
    „Ich seh’ ihn immer noch da auf dem Rasen liegen, stumm und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich kann das Bild einfach nicht vergessen.“ Zufrieden bemerkte er, dass sich bei ihren Worten keine Träne mehr in ihr Auge stahl. Hatte er eben noch gezweifelt, ob der Schrein tatsächlich seine Wirkung entfaltete, so sah er sich nun darin bestätigt. Möglicherweise musste er nur noch etwas nachhelfen?
    „Du musst lernen, ihn loszulassen,“ fuhr er fort. „Das ist nicht leicht, wer wüsste das besser als ich. Doch was wir nicht ändern können, müssen wir hinnehmen.“
    „Und wie soll ich das anstellen? Ihn los zu lassen?“
    [FONT=&quot]„Ich glaube, ich weiß schon wie. Komm!“ Er folgte einer spontanen Eingebung, packte sie an der Hand, breitete seine Flügel aus und erhob sich mit ihr im Arm in die Luft.



    [/FONT] „Ist das nicht gefährlich?“ fragte sie ihn, als er sie auf den Stufen einer Kirche absetzte. „Wenn Reshanne uns hier entdeckt? Du hast doch selbst gesagt, ihr bleibt nichts verborgen.“
    „Keine Angst, sie kann uns nicht sehen, niemand kann das.“ beruhigte er sie. „Ich bin zwar nicht so mächtig wie deine Tante, aber mächtig genug, um uns vor ihrem alles sehenden Auge zu verbergen.“
    „Was soll ich hier?“ Unschlüssig wanderte ihr Blick über die große Eingangstür hinauf zu der Rosette. Sie kannte diese Kirche, sie war mit Nicolas schon einmal hier gewesen, denn St. Mary’s war die Gemeindekirche der Blandforts gewesen.
    [FONT=&quot]„Geh hinein!“ forderte Varik sie auf, wissend, dass er sehr wohl ein Risiko einging. „Geh hinein und ..... verabschiede dich! Ich werde hier warten.“



    [/FONT]Ganz langsam dämmerte der Morgen herauf. Nicht mehr lange, und die Sonne würde ihre erste Strahlen über das Kirchendach schicken und das Kreuz darauf zum Leuchten bringen.
    Celia schloss einen Moment die Augen, atmete tief durch und hob die Hand, um nach der Klinke zu greifen. Doch der schwere Flügel der Eingangstür öffnete sich wie auf Befehl und gab den Blick frei auf das in tiefem Dunkel liegende, fast vollständig mit einer verschwenderischen Blumenfülle geschmückte Kirchenschiff frei. Nur ihr direkt gegenüber tauchte der schwache Schein von ein paar dicken Stumpenkerzen den Altar und die bunten Glasfenster in ein warmes Licht.
    Nur zögernd schritt sie den langen Gang entlang in Richtung Chor.
    [FONT=&quot]Nun verstand sie, warum Varik sie hierher gebracht hatte. Hier wurde ein Begräbnis vorbereitet.



    [/FONT] ‚Zwei’ korrigierte sie still, als sie vor dem Altarpodest ankam und ihren Blick über die weißen, von Kränzen eingerahmten Särge gleiten ließ.
    Seine Mutter konnte es scheinbar einfach nicht lassen. Nicht einmal jetzt verzichtete sie darauf, ihren Sohn mit Caroline Vandermere zu verkuppeln. Und was ihr im Leben nicht gelungen war, schaffte sie nun endlich im Tod, friedlich vereint lagen die zwei so unterschiedlichen Menschen hier, bereit, gemeinsam zur letzten Ruhe gebettet zu werden.
    Celia wunderte sich, warum sie den Schmerz, den sie so fürchtete, nicht spürte. War es das, was Varik ihr zeigen wollte, dass sie längst dabei war, ihn zu vergessen, wenn sie schon hier, an seinem Sarg nichts fühlte, nichts als die Leere, die sich in ihrem Innern ausbreitete?
    Eine hauchzarte aber dennoch elektrisierende Berührung auf der Schulter ließ sie zusammenfahren, doch als sie den Kopf umwandte, in der Erwartung, dass Varik ihr doch gefolgt sei, sah sie nichts. Sie war allein,......in der Kirche,........in der Welt.



    +++

  • ***



    Fertig angezogen stand Catherine vor dem Spiegel ihres Schlafzimmers in Blandfort Manor und fragte sich zum wiederholten Male, warum sie aus diesem Alptraum nicht endlich erwachte.
    Ihr war übel, der Magen schmerzte, weil sie seit Tagen kaum einen Bissen herunter brachte, ganz gleich, welche Vorhaltungen Lucy ihr auch machte. Auch heute morgen hatte sie die Eier mit einem angewiderten Blick von sich geschoben und stattdessen mit Mühe eine Scheibe trockenes Weißbrot hinunter gewürgt. Aber wem in ihrer Lage würde das Essen nicht vergehen, wenn er die Scherben seines Lebens auflesen musste.
    ‚Reiß dich doch zusammen, Catherine!’ ermahnte sie sich selbst. ‚Du siehst aus wie ein Gespenst! Willst du etwa so aus dem Haus? Nein, ganz bestimmt nicht!’ Entschlossen griff sie nach dem Make-up und versuchte, ihre bleichen Wangen und die tiefen Ringe unter den Augen damit zu verdecken.
    [FONT=&quot]Guter Gott, die nächste Beerdigung, bei der sie anwesend sein musste, sollte doch eigentlich ihre eigene sein. Stattdessen war sie nun gezwungen, ihr Kind der kalten Erde zu übergeben! Keine Mutter sollte das!



    [/FONT] Als sie das letzte Mal die Kirche hatte schmücken lassen und in der ersten Reihe saß, da stand vor dem Altar der Sarg ihres Mannes und sie hatte sich damals nichts sehnlicher gewünscht, als dass man beim nächsten Mal die Kerzen für ihren Sohn entzünden würde, für ihn und seine Braut.
    Welch bittere Ironie! Genau das war nun eingetreten, nur war aus der geplanten Hochzeit eine Beerdigung geworden.
    Die sorgfältig ausgewählten Trauergäste, die sich trotz der frühen Morgenstunde in St. Mary’s eingefunden hatten, wunderten sich nicht wenig darüber, zwei Särge vorzufinden. Da die meisten von ihnen auch auf der Dinnerparty anwesend waren, wussten sie natürlich von der jungen Frau, die man neben Catherines Sohn tot aufgefunden hatte, doch an eine gemeinsame Beisetzung hatte wohl niemand gedacht. [FONT=&quot]Mochten sie sich wundern und leise vor sich hintuscheln, so lange der Pfarrer noch nicht anwesend war.
    Catherine hatte ohnehin nur ihre engsten Freunde dazu gebeten, um sich und vor allem Bella vor den lästigen Fragen nach den Fortschritten der Polizei und vor den geheuchelten Beileidsbeteuerungen der klatschwütigen Gesellschaft zu schützen.
    [/FONT][FONT=&quot]



    [/FONT] Der Tag wurde so schon schwer genug., trotz der selbstlosen Hilfe, die sie beide vor allem von Nicks Freund erhielten. Sie wandte den Kopf, schenkte dem direkt neben ihr sitzenden Justin die Andeutung eines dankbaren Lächelns, bevor sie ihm leise zuflüsterte.
    „Wo bleibt sie denn? Der Gottesdienst fängt doch gleich an.“
    „Sie kommt schon rechtzeitig!“ beruhigte er sie.
    „Ich weiß nicht, vielleicht geh ich doch lieber nach draußen und hole sie.“
    Justin schüttelte den Kopf. „Bleiben Sie hier, Mrs Blandfort! Ihre Tochter braucht diese paar Augenblicke für sich allein. Und ihr kann doch nichts passieren!“
    [FONT=&quot]Nichts passieren, das sagte er so leicht. Nicolas war in seinem eigenen Garten umgebracht worden! Und dann lauerten da draußen ja auch noch diese Geier von der Presse. Tag und Nacht belagerten sie ihr Haus in der Hoffnung auf ein paar gute Aufnahmen. Erst gestern hatte Abigail Vandermere ihr vollkommen aufgelöst erzählt, einer von ihnen wäre sogar ins Krankenhaus eingedrungen, um Fotos von deren Tochter zu machen.



    [/FONT] Kein Wunder, dass man sich dermaßen für Caroline interessierte. Immerhin hatte sie den Anschlag überlebt, auch wenn man ihren derzeitigen Zustand schlichtweg nur als bemitleidenswert bezeichnen konnte.
    Catherine war regelrecht erschrocken, als sie sich endlich zu einem Besuch durchgerungen hatte. Statt Abigail ins Zimmer zu folgen, war sie einfach in der Tür stehen geblieben und hatte zu der reglosen Gestalt hinüber gesehen, die da in einem Stuhl am Fenster saß und keinerlei Notiz von der Welt zu nehmen schien.
    Anfangs noch wirres Zeug babbelnd, war ihr, seit man sie an diesem grauenvollen Abend aus ihrem Haus geführt hatte, kein einziges Wort mehr über ihre Lippen gekommen, blicklos und weitaufgerissen starrten ihre Augen ins Leere. Niemand wusste, was diesen Zustand ausgelöst hatte, oder ob er sich jemals wieder ändern würde.
    [FONT=&quot]Doch obwohl sie durchaus Mitleid mit der jungen Frau spürte, konnte Catherine dennoch nicht die bittere Frage verdrängen, wieso ausgerechnet sie überlebt hatte, während ihr eigener Sohn sterben musste. Also hatte sie Abigail die mitgebrachten Blumen in die Hand gedrückt und war wieder gegangen, nachdem sie deren Entschuldigung entgegengenommen hatte, nicht zu Nicolas Beisetzung kommen zu können.



    [/FONT] Kurz vor dem Pfarrer huschte ihre Tochter mit ebenso bleichen Wangen wie sie selbst leise durch den Seitengang zu ihrer Kirchenbank. Justin wollte rücken und sie auf seinen Platz neben ihre Mutter lassen, doch sie schüttelte energisch den Kopf und setzte sich stattdessen neben ihn.
    Für einen Moment fühlte Catherine einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen, vor allem als sie bemerkte, wie Bella im Laufe des Gottesdienstes ihre Hand vorsichtig in die des Mannes neben ihr schob. Ab und zu wechselte sie mit ihrer Mutter einen kurzen Blick und nur in diesen flüchtigen Momenten sah sie den Schmerz, den sie, gleich ihr, vor aller Welt zu verbergen suchte. Eine wahre Blandfort eben! Dennoch wäre es Catherine lieber, sie würde weinen, Zorn und Trauer hinauslassen.
    Doch das Mädchen hatte sich vollkommen in sich selbst zurückgezogen, wollte niemanden sehen, mit niemandem reden, außer vielleicht mit Justin, bei dem sie immer noch wohnte. [FONT=&quot]
    [/FONT]


    ++++++
    zu Teil 2


  • Ein Zustand, der ihrer Mutter zwar nicht gefiel, an dem sich aber in nächster Zukunft nichts ändern würde, denn Catherine machte sich große Sorgen um ihre Sicherheit und zwar aus Gründen, die sie weder der Polizei noch irgendjemand anderem anvertrauen konnte.
    Es war am Morgen nach Nicks Tod gewesen, sie telefonierte gerade mit Inspektor Morrison, der ihr erzählte, was sich in der Pathologie zugetragen hatte, als sie plötzlich hinter ihr auftauchte. Ihr waren die Worte im Halse stecken geblieben, ohne eine weitere Antwort hatte sie den Knopf gedrückt und die Verbindung unterbrochen und dabei den Blick nicht von dem Spiegel lösen können.
    „Cressi!“ flüsterte sie, nur um dann nach einer Pause verbittert hinzuzufügen: „Du kommst zu spät! Er ist tot!“
    Ihre Ahnin hatte traurig genickt. „Ich weiß Catherine!“
    [FONT=&quot]Eine unbändige Wut hatte sie überrollt, all der hilflose Zorn und Kummer, den sie sich weigerte zu akzeptieren, drängte mit Macht danach, sich zu entladen. Das Telefon landete in hohem Bogen auf dem Boden, als sie sich mit einem Ruck zu ihr herumdrehte.



    [/FONT] „Wo bist du gewesen, als er dich brauchte? Wo, Cressida?“ hatte sie die Lady angefahren. „Warum hast du ihn nicht beschützt? Du warst doch sonst immer da, warum diesmal nicht? Warum hast du ihn nicht gerettet? Warum hast du ihn sterben lassen? Er hatte doch sein ganzes Leben noch vor sich!“
    Das war ungerecht, sie wusste es, schon in dem Moment, als sie es aussprach und ihrer Urgroßmutter dabei in die traurigen Augen sah. „Verzeih, verzeih mir, ich....es tut mir leid.“
    Cressida schüttelte sanft den Kopf. „Nichts hätte ich lieber getan, Cathy, du weißt, wie sehr ich ihn liebte, aber ich konnte es nicht, es lag nicht in meiner Macht. Niemand hätte Nicolas retten können. Und es ist noch nicht vorbei!“
    „Ich versteh dich nicht, wovon sprichst du?“
    „Nicolas war kein zufälliges Opfer. Er wurde mit voller Absicht getötet.“
    Catherine erbleichte noch mehr, als sie es ohnehin schon war und riss die Augen auf.
    [FONT=&quot]„Was sagst du da?“



    [/FONT] „Ich kann es dir jetzt nicht erklären, Cathy, denn das würde dich nur noch mehr verwirren. Bitte hör auf mich und folge meinem Rat.
    Bleib mit Bella hier in Ravensville, geh nicht nach England. Nur hier bist du relativ sicher!“ Catherine war zusammengezuckt, als hätte sie einen Schlag erhalten.
    „Ich?“ fragte sie ungläubig. „Wieso soll ich hier sicher sein, Cressida, sicher vor wem?“
    „Vor dem, der deinen Sohn getötet hat.“ antwortete sie leise. „Jetzt wird er wird versuchen, dich aus dem Weg zu räumen, dich und vielleicht sogar Arabella.“
    „Nein! Wieso sollte er das tun? Was haben wir diesem...., wem auch immer getan?“
    Cressida seufzte. „Du stellst zu viele Fragen, die ich nicht beantworten kann. Später vielleicht, aber nicht jetzt. Wenn du mir je vertraut hast, dann tu, was ich dir sage. Lass Bella bei Nicks Freund, dort ist sie gut aufgehoben. Nur bleibt beide in meiner Reichweite.“
    „Wozu denn?“ meinte Catherine mit einem erneuten Anflug von Bitterkeit. „Du hast es doch selbst gesagt, du konntest nichts tun, wie willst du uns jetzt schützen?“
    [FONT=&quot]Und dann schnappte sie nur noch nach Luft, denn Cressida lächelte. Ein tiefes, unergründliches Lächeln. „Jetzt kann ich es!“ flüsterte sie, bevor sie sich einfach auflöste und ihre Urenkelin in größter Verwirrung zurückließ.



    [/FONT] Selbst heute, Tage später spukte die Erinnerung an dieses eigenartige Gespräch noch dermaßen in ihrem Kopf herum, dass Catherine kaum dem Gottesdienst zu folgen vermochte. Cressida hatte von Mord gesprochen, und selbst die Polizei ging inzwischen davon aus, dass es sich keinesfalls um einen Unfall handeln konnte, sondern um die raffiniert ausgeführte Tat eines Wahnsinnigen, unglaublich, unerklärlich, aber dennoch wahnsinnig. Denn weder dem warum noch dem wie war man bisher auf die Spur gekommen. Zu viele ungeklärte Umstände, hatte Inspektor Morrison gesagt, bevor selbst er ihr zu größter Vorsicht geraten hatte! Sogar Polizeischutz hatte man ihr angeboten, da man nicht wusste, was der Täter für ein Ziel verfolgte, doch wenn sie Cressidas Andeutungen Glauben schenkte, würde ihr dies nur wenig helfen.
    Stattdessen beschloss sie, vor allem aus Sorge um Arabella, ihrem seltsamen Rat zu folgen. Gestern hatte sie die Anwälte kontaktiert, um ihnen mitzuteilen, dass sich ihre Ankunft aufgrund der traurigen Umstände auf unbestimmte Zeit verzögerte. Und Wunder über Wunder, plötzlich schien ihre Anwesenheit in England gar nicht mehr so unbedingt erforderlich zu sein.
    [FONT=&quot]Wofür hatte sie dann nur diesen unseligen Streit mit ihrem Sohn auf sich genommen? Einen Streit, den sie nicht mehr hatten beilegen können. Und nun war es zu spät. Nicolas war mit Zorn im Herzen gestorben, mit Zorn auf sie und Worten, die keiner von ihnen mehr zurücknehmen konnte.



    [/FONT] „Ach Frances!“ seufzte sie später, als die Trauergäste sich nach ihren Beileidsbekundungen endlich verabschiedet hatten und sie noch eine Weile allein auf dem kleinen abgetrennten Familienfriedhof im Schatten der Kirche zurückgeblieben war. „Wie konnte ich nur so dumm sein? Du hättest diese dumme Party Party sein lassen und mit ihm geredet. Du hättest mich ausgelacht und die Vandermeres stehen gelassen. Gott, du fehlst mir, du fehlst mir so wahnsinnig!“
    „Mrs Blandfort?“ Jemand räusperte sich hinter ihr, doch sie warf nur einen kurzen Blick zurück über die Schulter.
    „Was machen Sie denn da, Mrs Blandfort?“ erkundigte sich Justin mit deutlich hörbarer Verwunderung.
    „Wonach sieht es denn aus, Mr Sanderson?“ gab sie zurück, ohne sich stören zu lassen. „Ich gieße die Blumen. Sie hatten es nötig.“
    „Das kann doch sicher die Gärtnerei für Sie erledigen!“
    [FONT=&quot]Catherine schüttete das restliche Wasser ins Gras nebenan und stellte die Kanne wieder zurück in die Ecke.



    [/FONT] „Ich habe dieses Grab immer selbst gepflegt, und ich werde bestimmt nicht heute damit aufhören.“ verkündete sie mit fester Stimme, bevor ihr Blick zu den beiden Särgen glitt, die man zunächst auf dem Holzpodest abgestellt hatte. Man würde sie erst versenken und den Zaun dahinter wieder einsetzen, wenn sie den Friedhof verlassen hatte.
    „Sie hätten das nicht tun müssen!“ sagte Justin gerade und sie sah ihn einen Moment verständnislos an.
    „Was hätte ich nicht tun müssen?“
    „Sie auch hier zu bestatten.“ Er deutete auf den zweiten Sarg mit den violetten Tulpen.
    Catherine winkte ab. Was hätte sie denn anderes tun sollen, nachdem die Polizei ihr mitgeteilt hatte, dass man tatsächlich keinerlei Verwandten finden konnte, und auch die Freundin, bei der sie gewohnt hatte, wie vom Erdboden verschluckt schien? Ein einsames vom Staat vorgenommenes Begräbnis hätte Nicolas ihr nie verziehen! Und sie sich selbst auch nicht!
    „Nicolas hätte es so gewollt.“ sagte sie deshalb. „Er hat sie geliebt, das soll mir genügen.“
    Irrte er sich, oder glitzerte es da in ihren Augen auf einmal recht verdächtig?



    +++++++
    zu Teil 3


  • Obwohl er ihr angeboten hatte, doch ein paar Tage bei ihnen zu bleiben, hatte Catherine es freundlich aber sehr bestimmt abgelehnt mit der Begründung, es gäbe einfach noch zu viel zu tun und da wäre es leichter, wenn sie in Blandfort Manor jederzeit erreichbar wäre. Sie an ihr Handy zu erinnern, wagte er in diesem Augenblick nicht.
    Und so kehrte er mit Bella allein in sein Haus zurück. Dass sie so schweigsam neben ihm saß, gefiel ihm gar nicht. Schon seit Tagen sprach sie nur das Nötigste mit ihm, blieb tagsüber lieber allein für sich auf der Terrasse. Nur nachts bestand sie darauf, dass er bei ihr blieb. Also machte er es sich auf einer Matratze neben ihrem Bett gemütlich, nicht unbedingt die beste Lösung, denn er schlief nicht unbedingt gut, wenn ihm jemand die Hand zerquetschte, aber für den Moment musste es genügen.
    Vielleicht aber hatte er jetzt eine Lösung für dieses Problem gefunden.
    „Komm!“ meinte er. „Lass uns reingehen, da wartet eine Überraschung auf dich!“
    [FONT=&quot]Normalerweise hätte allein das Wort sie schon elektrisiert, Arabella liebte Überraschungen aller Art, heute jedoch entlockte seine Ankündigung ihr nur den Abglanz eines müden Lächelns. Dabei hatte er sich solche Mühe gegeben, damit sie nichts zu früh bemerkte.



    [/FONT] Es änderte sich schlagartig, als sie beide das Haus betraten und ihnen seine Überraschung schon freudig mit dem Schwanz wedelnd entgegen kam.
    „Das ist ja ein Hund!“ rief Bella aus und er hörte zum ersten Mal wieder echtes Interesse in ihrer Stimme.
    „Gut erkannt, Prinzessin!“ antwortete er mit einem leichten Lachen. „Darf ich bekannt machen, das ist Ben. Meine Mutter hat ihn von ihren Eltern aus Norwegen mitgebracht. Sie meinte, ich bräuchte Gesellschaft. Was meinst du, haben wir noch Platz für ihn?“
    Bella nickte begeistert und ging sofort in die Knie, um den Hund zu streicheln, was Ben nach einem kurzen misstrauischen Beschnüffeln auch zuließ.
    [FONT=&quot]Hatte Justin noch vor ein paar Wochen, als seine Mutter ihm in ihrer Wohnung den Hund präsentierte, gestöhnt und sich gefragt, woher er bei seinem vollen Terminplan die Zeit für einen wenn auch noch so süßen Kerl wie Ben nehmen sollte, so war er seiner Mutter heute unendlich dankbar für ihre verschrobene Idee. Inzwischen waren er und Ben dank zahlreicher Besuche die besten Freunde geworden und er hatte nicht den leisesten Zweifel daran, dass auch Bella den Hund sofort ins Herz schließen würde.



    [/FONT] Er irrte sich nicht. Die beiden schienen sich beide auf Anhieb sympathisch zu sein, Ben jedenfalls gönnte dem Mädchen kaum einen Moment der Ruhe, sondern genoss es sichtlich, jemanden zum Spielen ganz für sich allein zu haben. Und wenn er auch noch kein unbeschwertes Lachen zu hören bekam, so war doch endlich diese furchteinflößende Ruhe von ihr abgefallen, während sie den Hund durch den Garten scheuchte.
    Ihre Mutter jedenfalls schien sehr erleichtert darüber zu sein, als er ihr am Telefon davon berichtete.
    Später am Abend fand er sie dann beide einträchtig an ihrem Lieblingsplatz, der Dachterrasse. Sie auf der Bank und Ben zu ihren Füßen, hingebungsvoll seinen Gummiknochen bearbeitend.
    [FONT=&quot]Er war sich nicht sicher, ob er sie stören sollte, aber dann entschloss er sich doch, sich wenigstens für einen Moment zu ihr zu setzen.



    [/FONT] „Und?“ fragte er leise. „Gefällt er dir?“
    „Er ist wunderschön,“ hauchte Bella. „Kann er jetzt hier bleiben?“
    „Ich denke schon. Wenn du dich auch ein bisschen um ihn kümmerst?“
    Bella nickte und versicherte sofort, sie würde Ben regelmäßig ausführen und mit ihm spielen, wenn er selbst arbeiten müsse.
    „Ok, dann ist es beschlossen. Wir haben ein neues Familienmitglied. Wie wär’s, wenn du dir jetzt erst mal was bequemeres anziehst, dann können wir drei ja noch eine Runde gehen?“
    Sie überlegte eine Weile, bevor sie zustimmte. Sie wollte schon aufstehen, ließ sich dann jedoch noch einmal auf die Bank fallen und sah ihn mit einem eigenartigen Blick an.
    „JD, darf ich dich mal was fragen!“
    „Sicher, nur zu!“
    Sie schwieg einen Moment, als wäre sie nicht sicher, wie sie es sagen sollte, und dann platzte sie plötzlich heraus: „Glaubst du an Geister?“
    [FONT=&quot]Er war perplex. „Geister?“



    [/FONT] „Ja, Geister!“ bestätigte Bella und redete sofort weiter, als habe sie Angst, er würde sie auslachen.
    „Heute in der Kirche, beim Gottesdienst. Da ist etwas ganz komisches passiert. Ich dachte erst, es wäre der Wind, aber die Türen waren zu und die Fenster auch. Und es fühlte sich an wie eine Berührung. Ganz sacht nur, wie ein Hauch, aber ich weiß, ich habe mir das nicht einfach nur eingebildet. Auf einmal war ich nicht mehr traurig. Und dann....“ sie machte ein Pause und schluckte. „...dann hab ich ihn gehört, JD, ich schwör’s dir, er hat meinen Namen gesagt.“
    „Wer, Bella, wer?“
    [FONT=&quot]„Nick!“ Sie flüsterte nur noch. „Er war da, in dieser Kirche, direkt hinter mir. Ich weiß es einfach.“



    [/FONT] Bella schwieg und Justin suchte verzweifelt nach der richtigen Antwort. Ihr jetzt zu erklären, dass er nicht an Geister glaubte, und er in der Tat der Meinung sei, sie habe sich das nur eingebildet, weil sie es einfach glauben wollte in ihrer verständlichen Trauer, das konnte er nicht. Zuviel schien ihr der Gedanke zu bedeuten, dass der geliebte Bruder nicht völlig aus ihrem Leben verschwunden war.
    „Denkst du, ich bin verrückt?“ fragte sie, ohne ihn anzusehen, als er so lange still blieb.
    „Nein!“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Nur sehr, sehr traurig. Aber wenn du sagst, dass du ihn gespürt hast, dann war er vielleicht wirklich da. Wir wissen viel zu wenig über den Tod, als dass es NICHT möglich wäre. Wenn du daran glauben willst, dann tu es. Ich werd' dich deswegen bestimmt nicht für verrückt erklären. Aber weißt du, deiner Mutter erzählen wir das lieber nicht, einverstanden?“
    „Ja, genau!“ stimmte sie zu und Justin atmete auf.



    +++


  • „Was willst du hier?“
    Wäre sie nicht auf den beinahe feindseligen Empfang gefasst gewesen, Theris hätte sich mit Sicherheit sehr erschrocken über den ungewohnt schroffen Tonfall der sonst eher sanftmütigen Herrin der Träume. Deren Unwille richtete sich aber nicht gegen sie, wie sie wusste, sondern gegen den, in dessen Namen sie gekommen war.
    „Nun?!“ drängte Ranyia und sah noch immer ungehalten auf sie hinunter. „Wie kommst du dazu, einfach so in meinen Tempel einzudringen. Du kennst doch die Regeln.“
    „Natürlich Herrin, vergebt mir!“ bat Theris ruhig, im Bewusstsein ihres Auftrags und auch der Sicherheit, die ihr Gebieter ihr bot. „Euer Vater schickt mich, er....“ Sie konnte den Satz nicht beenden, denn Ranyia winkte sofort ab.
    [FONT=&quot]„Was immer Zardon auch will, die Antwort ist Nein! Wir haben uns nichts mehr zu sagen!“



    [/FONT] „Warum machst du es uns beiden nur so schwer, mein Kind!“ Ranyia zuckte zusammen, als sie die Stimme ihres Vaters hörte. Es geschah höchst selten, dass ein Elo-i auf diese Weise Verbindung zu einem anderen aufnahm, was unter anderem damit zusammenhing, dass man dazu ein besonders starker Telepath sein musste, jemand wie Zardon zum Beispiel. Er benutzte seine Cha-yi als Überträger, um auf diese Weise direkt mit seiner Tochter kommunizieren zu können.
    „Warum? Weil sich nichts geändert hat, Vater!“
    „Du irrst!“ widersprach Zardon sanft. „Alles hat sich geändert. Und es wird Zeit, dass wir beide uns unterhalten.“
    „Ich wüsste nicht, worüber.“ Sie sagte es, obgleich es nicht der Wahrheit entsprach. Natürlich konnte sie sich denken, worüber er zu sprechen wünschte. Immerhin hatte auch sie die Erschütterung gespürt, als der Herr der Finsternis seine neue Gefährtin zu sich geholt hatte, so wie jeder andere Elo-i auch.
    „Ich habe getan, was du verlangt hast, Vater, und Zaide keine Hilfe mehr gewährt. Lass es gut sein. Ich möchte nicht mehr über Keyla reden.“
    [FONT=&quot]„Es geht nicht nur um Keyla, es geht vor allem um deine Mutter!



    [/FONT] Ranyia stutzte, wandte sich ab und schlug die Hände an den Kopf. Nein! Sie wollte nichts davon hören.
    Ihre Mutter!
    Sie war gestorben, damals, in den Wirren nach Variks Abfall. An gebrochenem Herzen, wie man ihr sagte. Mardianne habe den Verrat und den damit verbundenen Verlust ihrer jüngeren Tochter nicht verwinden können und sich, viel zu früh, auf ihren letzten Weg begeben. Und es musste ganz plötzlich geschehen sein, denn sie hatte nicht einmal mehr die Übertragung vollziehen können, da die Vorbereitung ihrer Nachfolgerin noch nicht abgeschlossen war. Es hieß, Melynne und ihr Vater hätten beide gemeinsam dafür gesorgt, dass Mardiannes Macht als Herrin der Träume für Ranyia im Schrein der Großen Mutter bewahrt wurde. Ein solcher Schritt wurde nur im allergrößten Notfall gewagt, denn die Kräfte eines Elo-i konnten dort nur über einen sehr geringen Zeitraum gespeichert werden. Daher hatte man Ranyias Weihe so schnell als nur irgend möglich vollzogen, andernfalls wäre das Reich der Träume und die Fähigkeit der Menschen, dorthin zu gelangen, für immer verloren gewesen.
    „Warum?“ schluchzte sie. „Warum fängst du jetzt wieder damit an? Ich will davon nichts mehr hören. Sie ist tot, genauso wie Keyla.“
    [FONT=&quot]„Ich weiß, dass es schmerzt, wer wüsste das besser. Aber wir müssen reden. Du musst mich anhören, für sie beide, für Keyla und auch für deine Mutter.“



    [/FONT] Es lag eine solche Dringlichkeit in seiner Stimme, dass Ranyia nicht länger in der Lage war, sich seinem Flehen zu widersetzen.
    „Ich werde ihn aufsuchen!“ meinte sie zu Theris und erwartete, dass diese sich nun, da ihr Auftrag erfüllt war, zurückziehen würde, doch sie erhob sich lediglich und bedeutete der Tochter ihres Gebieters, sie möge ihr folgen.
    „Jetzt? Sofort?“
    „Ja, Herrin, Ihr würdet sonst den Weg nicht finden.“ Ranyia musterte sie, als hätte sie einen schlechten Scherz gemacht.
    „Es mag zwar schon lange her sein, aber ich denke, ich weiß noch immer, wo sich der Tempel meines Vaters befindet.“ Theris lächelte ob der winzigen Spur von Überheblichkeit in ihrer Stimme, bevor sie das Haupt neigte und erklärte:
    „Mein Gebieter erwartet Euch nicht dort, sondern im Tempel des Lichts.“
    „Aber der existiert doch gar nicht mehr!“
    [FONT=&quot]„Oh doch, das tut er. Kommt, Herrin, ich führe Euch.“ Zu verwirrt, um weitere Einwände zu erheben, folgte Ranyia der Cha-yi hinaus in die Nacht.



    [/FONT] Ein kaum merkliches Lächeln umspielte die Lippen des Herrn über Leben und Tod, der in ungewohnter Manier im Schatten einer alten Weide im Gras saß. So stur, so eigensinnig war seine Tochter, ganz genau wie ihre Mutter. Wenn Mardianne sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, brachte nichts sie wieder davon ab. Leider!
    Vielleicht sollte er froh sein, dass Ranyia die letzten Jahrhunderte den Kontakt mit ihm derart abgelehnt hatte, ihr Anblick allein hätte die furchtbare Wunde in seinem Herzen immer wieder aufgerissen. Ranyia war das Ebenbild ihrer Mutter, ihre Gestalt, ihr Haar, ihre Stimme, alles erinnerte ihn an Mardianne. Nur die Augen, die stammten von seiner eigenen Mutter.
    Was gäbe er darum, bliebe ihm das Gespräch, das er jetzt führen musste, erspart. Doch wenn er es nicht tat, würde Ranyia niemals verstehen, wozu er nun gezwungen war, sie würde ihn hassen für den Rest der Ewigkeit. Und er hatte es versprochen, damals schon, als der Kummer sein eigenes Herz zu zerfressen begann......



    +++++++
    zu Teil 2


  • Wie friedlich sie da lag! Er liebte es, sie dabei zu beobachten, wenn sie still auf dieser Bank in ihrem Refugium lag und einfach mit geschlossenen Augen dem Flüstern des Windes lauschte. Die Blätter rauschten leise, die Blüten des riesigen Blumenteppichs rund um den Sternensee wiegten sich sacht im gleichen Takt, und die sanfte Brise spielte mit ihren schwarzen Haaren.
    „Wirst du nicht müde, mich anzusehen?“ fragte sie ihn, ohne die Augen zu öffnen.
    „Nein, nie!“ entgegnete er. „Ich werde mich jetzt einfach zu deinen Füßen niederlassen, meine Liebe und nie wieder von deiner Seite weichen.“
    [FONT=&quot]Sie schmunzelte, als er sie mit seinen wohlgesetzten Worten an ihr altes Spiel aus längst vergangenen Tagen erinnerte und richtete sich langsam auf.



    [/FONT] „Nun ja, nichts würde mich mehr erfreuen!“ entgegnete sie, wie er es erwartete. „Doch du bist ein vielbeschäftigter Mann, so hat man es mir jedenfalls erzählt. Bist du sicher, so viel Zeit erübrigen zu können?“
    „Für dich? Immer und soviel du willst.“ Und schon machte er Anstalten, sich tatsächlich inmitten der Blumen niederzulassen, als sie abwehrend die Hände hob und lachend rief: „Ich glaube dir ja. Ich fürchte nur, wir haben beide unsere Pflichten, denen wir uns nicht entziehen können.“
    „Für mich hat es stets nur eine Pflicht gegeben,“ erklärte er in vollem Ernst. „Und die gilt deinem Glück, jetzt und für die Ewigkeit.“
    „So hast du es mir einst geschworen.“
    „Und? Hab ich ihn gehalten? Bist du glücklich?“
    „Ja Zardon.“ Das Strahlen ihrer Augen sagte mehr als Worte. „Ich bin glücklich.“



    Wenig später jagten sie sich gegenseitig um den See herum, wie zwei jung Verliebte, noch Kinder fast, und doch schon beinahe tausend Jahre alt, zwischen den Bäumen hindurch und über die alten, umgestürzten Säulen liefen sie, als wollten sie dem Wind vorweg eilen. Niemand hätte es geglaubt, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie der ernste, so zurückhaltende Herr des Lebens wie ein übermütiger Junge durch die Blumen rannte, immer seiner Gemahlin hinterher, deren helles Lachen ebenso von den Felsen zurückgeworfen wurde, wie ihre Aufforderung, sie doch endlich zu einzufangen. Natürlich würde er das nicht tun, noch nicht. Stattdessen ließ er sie scheinbar unabsichtlich in letzter Sekunde stets entkommen. Sie beide liebten diese unbeschwerten Minuten viel zu sehr, in denen sie nicht zwei der mächtigsten Geschöpfe dieser Welt sein mussten, sondern nur ein ganz normales glücklich verheiratetes Paar.



    Zu Anfang hatte er nicht verstanden, warum sie sich ausgerechnet diesen Ort ausgesucht hatte, der schon so lange verlassen vor sich hin schlummerte. Einst stand hier einmal der Palast der Großen Mutter selbst, doch niemand hatte es gewagt, ihn nach deren Fortgehen weiter zu bewohnen. So lagen die großen Terrassen bald leer im Licht des silbernen Mondes, die Springbrunnen versiegten und der Sternensee wurde langsam überwuchert.
    Bis Mardianne ihn für sich entdeckte und sich von ihrer Tante die Erlaubnis abtrotzte, aus dem verwunschenen Platz ihr ganz persönliches Traumland zu erschaffen, abseits von ihrem eigentlichen Tempel. Nun verbanden sich mit diesem Ort die glücklichsten Erinnerungen ihrer beider Leben.
    [FONT=&quot]Er hatte es als eine hohe Ehre und einen Beweis ihrer Zuneigung erachtet, als sie ihn zum erstenmal hierher brachte.



    [/FONT]Und hier im Angesicht der Großen Mutter hatte er sie gebeten, seine Frau zu werden, nicht weil man ihn aufgrund der außerordentlich guten Verbindung dazu gedrängt hatte, sondern weil er sich auf der Stelle verliebt hatte in dieses zauberhafte sanfte Geschöpf, dass ihn in seiner Unbekümmertheit immer wieder aus dem eigenen Ernst herausriss. Niemand brachte ihn so zum Lachen wie sie, sogar über sich selbst, niemand verstand ihn, so wie sie, ohne Worte. Sie war sein vollkommenes Gegenstück. Nie würde er das glückliche Leuchten in ihren Augen vergessen, dass seinem Antrag folgte, noch bevor sie leise und kaum verständlich ihr Ja gehaucht hatte. Sein Hochzeitsgeschenk war ein Anhänger aus blitzenden Triamiden, Sternenstaub nannte man diese seltenen, nicht auf der Erde vorkommenden Steine auch, die allein durch die Energie eines Elo-i zum Strahlen gebracht wurden, genau passend für die Prinzessin vom Sternensee, fand er. Sie trug diesen Anhänger bis zu dem Tag, da sie ihn ihrer beider Tochter Keyla zu deren Hochzeit schenkte. Nur ihr brachte er kein Glück.
    [FONT=&quot]
    [/FONT]
    +++++++
    zu Teil 3


  • Und Keylas Tragödie beraubte ihn schließlich des kostbarsten Schatzes seines Lebens, seiner Frau.
    Er würde diesen Tag nie vergessen, als er sie dort stehen sah, auf der unteren Terrasse, wo er sie schon so oft gefunden hatte, wenn sie ihren Gedanken freien Lauf lassen wollte. Doch an diesem Tag erloschen die blitzenden Feuer des Sternensees, ebenso wie das Feuer in ihren Augen. Fast blind starrte sie hinaus auf die Wasseroberfläche, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Und er konnte nichts tun als hilflos daneben zu stehen. In den vielen Jahrhunderten, die sie an seiner Seite verbrachte, hatte er sie niemals weinen sehen. Damals dachte er noch, sie würde um ihre Tochter weinen und um die Welt, die durch deren Schuld in größte Gefahr geraten war, doch heute wusste er es besser. Ihre Tränen galten ihm.
    „Du warst immer gegen diese Hochzeit!“ sagte sie tonlos, als er neben sie trat. „Ich hätte auf dich hören sollen, anstatt Melynnes Wünschen zu folgen. Jetzt müssen wir alle für meine Dummheit büßen.“



    „Nein! Das war nicht deine Schuld!“ Der Heftigkeit seines Widerspruchs gelang es, dass sie sich zu ihm umwandte und ihn ansah.
    „Vielleicht bin ich nicht schuld, aber verantwortlich. Wir hätten längst erkenne müssen, wonach er strebt, aber wir wollten es nicht sehen. Kein Elo-i begehrt gegen die Ordnung der Großen Mutter auf, das durfte einfach nicht sein!“
    „Wenn das so ist, dann trifft uns alle die Schuld, jeden einzelnen von uns, selbst Melynne, sie vor allem.“
    Mardianne nickte nur.
    „Gräme dich doch nicht, Liebste!“ hatte er versucht, sie zu trösten. „Noch ist nicht alles verloren, wir finden eine Lösung, ich finde eine, ich verspreche es dir. Ich werde nicht zulassen, dass dieser Verräter unsere Tochter ins Verderben stürzt.“
    [FONT=&quot]Ein sanftes Lächeln belohnte seine Absicht, doch sie wusste bereits damals von seiner Machtlosigkeit, ohne ihn das merken zu lassen.



    [/FONT] „Ich weiß, dass du sie immer beschützen wirst!“ sagte sie stattdessen, als sie gemeinsam Hand in Hand durch den Garten wanderten. „Unsere beiden Töchter. Du warst immer ein guter Vater für sie und wirst es bleiben, egal was geschieht, nicht wahr?“
    „Aber ja!“ antwortete er, ohne sich etwas dabei zu denken.
    „Gut!“ Sie schien erleichtert. „Und du wirst Keyla auch nicht dafür verurteilen, was sie getan hat, ihr nicht die Schuld geben, für das, was geschieht.“
    „Nein, natürlich nicht.“ Nun war er doch beunruhigt von ihren flehentlichen Worten. Er wusste sie zu jenem Zeitpunkt nicht zu deuten, doch sie waren ein Abschied, ihr Vermächtnis an ihn.
    [FONT=&quot]Alles was er in jenem Moment fühlte, war die tiefe innere Erregung seiner Frau, ihr Zittern, das sich nicht einmal in seinen Armen legte. Immer wieder streichelte er ihre Wange, bis auch die letzte Träne endlich versiegt war, und sie ihren Kopf auf seine Schulter legte.



    [/FONT] Engumschlungen standen sie dort inmitten der umgestürzten Säulen, eine ganze Ewigkeit, so schien es ihm, und doch viel zu kurz war dieser eine letzte Moment, als sie ihm leise ins Ohr flüsterte:
    „Ich liebe dich, von ganzem Herzen, vergiss das niemals. Und wenn die Zeit reif ist, wirst du es ihnen erklären, versprich es mir, erkläre ihnen, was geschehen ist, dass es sein musste, dass es keinen anderen Weg gab.“
    Seine Frage, was sie denn damit meine, hatte sie nicht beantwortet, stattdessen auf dem Versprechen bestanden, und ihm, als er es, wenn auch widerwillig gegeben hatte, einen einzigen innigen Kuss gegeben, bevor sie aus seinen Armen verschwand.
    [FONT=&quot]Er sollte sie nie wiedersehen.



    [/FONT] „Du wolltest mich sehen, Vater?“
    Zardon erhob sich langsam und drehte sich zu seiner älteren Tochter um. Auf ihn wartete keine leichte Aufgabe, doch die Zeit drängte, und er fühlte sich einfach nicht mehr dazu in der Lage, die Entscheidung, vor der seine Familie nun schon zum zweitenmal stand, allein zu treffen. Doch außer Ranyia gab es niemanden, mit dem er sich hätte beraten können, selbst wenn er sie nur äußerst ungern mit in diese furchtbare Angelegenheit hineinzog.
    „Was ist mit deinen Haaren passiert?“ fragte Ranyia erschrocken und zeigte auf seine nunmehr deutlich helleren Haare.
    „Ich werde nicht jünger, mein Kind, aber der Kummer dafür größer. Wir sind sehr empfindliche Wesen, das weißt du doch.“
    „Kummer? Weißt du denn überhaupt noch, was das ist, Vater? Hast du nicht in der Vergangenheit ohne zu zögern, alles und jeden geopfert, für das Wohl der andern, selbst deine eigene Tochter?“
    [FONT=&quot]


    [/FONT]„Du redest, wie du es verstehst, doch ohne die Wahrheit zu kennen!“ widersprach er mit sanftem Tadel und wies ihr den Weg. „Komm, ich glaube, es wird Zeit, dass du erfährst, was damals wirklich geschehen ist.“
    „Auf einmal willst du alles erzählen?" begehrte sie auf, während sie vor ihm herging. "Noch vor kurzem war ich dir keine Erklärung wert, da musste ich nur schweigen, durfte niemandem sagen, dass ihr Keyla zu einem langsamen furchtbaren Tod in der Menschenwelt verurteilt habt, nur weil sie einem machtbesessenen Mann verfallen ist, dabei habt ihr das erst möglich gemacht. Was also soll ich hier? Und warum existiert dieser Tempel noch? Du hattest mir doch erzählt, er sei zerstört worden, damals im Kampf gegen Varik?“
    Schon zum zweiten Mal heute musste Zardon wider Willen lächeln. Oh diese Ungeduld.
    „Er wurde zerstört, in Schutt und Asche gelegt, von deiner Schwester, damals, als sie uns alle bekämpfte.“ bestätigte er, ohne sich von ihren Vorwürfen betroffen zu zeigen. „Ich habe ihn wiederaufgebaut, genauso wie Keyla ihn hinterlassen hat, als sie Varik heiratete.“
    [FONT=&quot]



    [/FONT]„Wieso?“ Ranyia schüttelte den Kopf. Niemals würde ihr Vater etwas so irrationales tun, etwas so gefühlsbetontes.
    „Ich brauchte diesen Ort, weil niemand von ihm weiß, nicht einmal Reshanne. Ihr Spiegel kann ihn nicht aufspüren, und damit auch nichts von dem, was sich hier befindet.“
    „Aber hier gibt es doch nichts, wovon Reshanne nichts wissen soll!“
    „Oh doch einiges, und für die Existenz der Welt ist das von einiger Bedeutung. Darum bist du hier, darum werde ich das Versprechen erfüllen, dass ich deiner Mutter gegeben habe und dir erzählen, was damals geschehen ist.“
    [FONT=&quot]Er ließ sich von ihrem abweisenden Gesicht nicht aus der Ruhe bringen, sondern fuhr unbeirrt fort: „Deine Mutter starb nicht an gebrochenem Herzen, sie starb durch Keyla und für sie!“[/FONT]





    +++


  • „Das ist nicht wahr!“
    Ranyia hatte ihren Vater lange in ungläubigem Schweigen angestarrt, bis sie schließlich damit herausplatzte. „Das hast du erfunden, um eure Grausamkeit gegenüber meiner Schwester zu rechtfertigen.“
    Der neuerliche Vorwurf schmerzte nicht weniger als der alte, doch diesmal wollte, konnte Zardon sich von ihrer Heftigkeit nicht in die Flucht schlagen lassen. Begütigend ergriff er die Hand seiner Tochter und zwang sie dazu, ihn anzusehen.
    „Ich lüge nicht! Deine Mutter ist hier gestorben und nicht einfach so, sie hat sich aufgelöst. Vollständig! Und du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“
    Ranyia versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er umklammerte sie nur noch fester.
    [FONT=&quot]„Das hätte sie nie getan!“ schluchzte Ranyia verzweifelt. „Niemals hätte Keyla sich gegen unsere Mutter gewandt.“



    [/FONT] Zardon senkte den Kopf.
    „Sie war schon längst nicht mehr die Keyla, die du kanntest, mein Kind!“ Der Griff seiner Hand lockerte sich. „Alles an ihr hatte sich verändert. Ihr Wesen war nur noch mit Dunkelheit angefüllt, die kein Licht mehr zu durchdringen vermochte. Sie war eine Marionette in den Händen ihres Meisters, ein mächtiges, aber willenloses Geschöpf, dessen einzige Bestimmung es war, das zu vollenden, wozu ER selbst nicht in der Lage war. Und nur die Liebe deiner Mutter war stark genug, sie ihm wieder zu entreißen. Darum hat sie uns beide verlassen und das größte Opfer gebracht, das ein Elo-i erbringen kann, ihre eigene Existenz.“
    „Ich verstehe nicht, ...“ Diesmal suchte Ranyias Hand von selbst die ihres Vaters. „Was meinst du damit? Und warum erzählst mir das ausgerechnet jetzt?“
    „Weil es auch diesmal unsere einzige Chance ist.“
    „Diesmal? Sprichst du von Celia?“
    [FONT=&quot]Zardon nickte. „Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen!“



    [/FONT] Theris öffnete die Tür, die sie regelrecht zu bewachen schien und ließ die beiden eintreten in einen von unzähligen Kerzen hell erleuchteten Raum.
    Ranyias Blick wurde sofort von dem Kristallsarg angezogen, der zu Füßen der Großen Mutter aufgebahrt worden war. „Oh nein!“ entfuhr es ihr unwillkürlich, als sie den Mann erkannte, der darin ruhte.
    „DU hast ihn?“ fragte sie ihren Vater staunend, unfähig wirklich zu glauben, was sie sah. „Alles sucht die beiden Welten ab, um ihn zu finden, und du stehst daneben und siehst zu. Weißt du, wer das ist, Vater?“
    „Allerdings weiß ich das, deshalb ist er ja hier. Er mag ein Mensch sein, aber er ist Keylas Urenkel und er ist der Schlüssel zu unser aller Rettung.“
    „Es tut mir leid, aber ich begreife es immer noch nicht.“
    [FONT=&quot]„Ich werde es dir erklären, darum hab ich dich rufen lassen, denn ich brauche deine Hilfe, um einen Plan zu verwirklichen, von dem alles abhängt.“



    [/FONT] Er schloss die Augen und holte tief Luft. Er wollte sich nicht an diesen entsetzlichen Tag erinnern, an dem er seine Frau verlor, denn die Erinnerung daran schmerzte noch immer so sehr, als wäre es erst gestern geschehen, und das obwohl er doch gar nicht dabei gewesen war. Alles, was er über die Vorgänge wusste und nun seiner Tochter erzählen wollte, nein musste, hatte er von Melynne erfahren.
    Noch immer konnte er es hören, in all seiner traurigen Süße, dieses letzte „Ich liebe dich!“, noch immer konnte er den sanft dahingehauchten Kuss auf seiner Wange fühlen, mit dem sie sich von ihm verabschiedet hatte, bevor sie in einen Kampf gezogen war, von dem sie wusste, dass sie ihn nicht würde überleben, sollte sie gewinnen, und das musste sie.
    [FONT=&quot]Hätte er doch nur ihre Absichten erraten, hätte er nur besser zugehört und die Zeichen gedeutet! Doch was hätte ER, der mächtige Herr des Lebens denn schon tun können. Was Mardianne getan hatte, konnte auch nur sie tun, sie allein, ......und.....Melynne. Doch die Große Mutter war zu wichtig, als dass sie hätte geopfert werden dürfen, selbst wenn sie dazu bereit war.[/FONT]




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  • Zardon seufzte und begann zu erzählen:
    Deine Schwester war in ihren Tempel gekommen, auf der Suche nach Melynne, die sie hier gemeinsam mit deiner Mutter erwartete. Ein Feuerball nach dem anderen setzte das einstige Juwel in Brand und ließ nichts zurück, außer angesengten und verkohlten Bäumen, russgeschwärzte, umgestürzte Säulen und verbrannte Erde.
    [FONT=&quot]Ihr wunderschöner Garten, all die Blumen, die sie immer so geliebt hatte, vergingen jetzt unter ihrem heißen Atem. Doch an Melynne selbst kam sie nicht heran. Mardianne schützte sie mit ihrem eigenen Körper und stemmte sich Keyla entgegen mit all ihrer Kraft. Deine Mutter stammte aus der direkten Herrscherlinie, sie war stark, sie hätte womöglich selbst Melynnes Nachfolgerin werden können und wer weiß, vielleicht wäre es sogar besser gewesen.



    [/FONT][FONT=&quot]Nun, sie wusste aber, dass sie aller Macht zum Trotz, Keyla nicht auf Dauer widerstehen konnte, und das war auch nicht ihre Absicht. Sie hatte sie nur ablenken und schwächen wollen. Die beiden kämpften mit einander, wie es wohl noch nie zwei Elo-i getan haben. Wieder und wieder schleuderten sie sich gegenseitig Blitze entgegen, flogen auf einander zu und entfernten sich sofort wieder. Es war ein Glück, dass deine Schwester noch nicht ihre volle Stärke erlangt hatte, Variks Ungeduld richtete sich nun gegen ihn. Melynne und Mardianne konnten Keyla zwar nicht besiegen, aber sie konnten sie in Schach halten, so lange, bis sie endlich unvorsichtig wurde und deine Mutter zu nahe an sich heran ließ.



    [/FONT] Mardianne packte Keyla an den Armen und hielt sie fest mit aller Macht. Egal, wie sehr sie sich auch wehrte, zog und zerrte, deine Mutter ließ nicht los. Ihre Hände begannen zu glühen, wurden heißer und immer heißer in dem blitzenden Licht, ohne dass die beiden sich verbrannten. Und dennoch heulte Keyla auf in tiefer Qual, denn deine Mutter hatte damit begonnen, all ihre Energie auf sie zu übertragen, ohne dass sie dazu bereit war. Die Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein, für beide.
    [FONT=&quot]„Ich liebe dich, meine Tochter!“ rief sie Keyla zu, während die gleißenden Strahlen schon aus ihrem Körper herausbrachen. „Wir alle lieben dich. Und du wirst jetzt zu uns zurückkehren, zurück in unsere Welt, in die du gehörst. Komm zurück aus der Dunkelheit, zurück ins Licht, meine Prinzessin!“



    [/FONT][FONT=&quot]Nun, die Übertragung allein hätte zwar genügt, um sie Variks Kontrolle zu entreißen. Allein der Anblick ihres Tempels hätte sie dann schon zur Besinnung gebracht. Doch zum einen wollte deine Mutter kein Risiko eingehen. Nie wieder sollte es Varik gelingen, Macht über sie zu erlangen. Zum andern wusste sie, dass Keyla diese Übertragung ohne den Schrein niemals überlebt hätte. Und so ging sie einen zwar nicht ungefährlicheren Weg, doch einen, bei dem die Chancen, dass Keyla am Leben blieb weitaus größer waren. Gemeinsam mit Melynne schuf sie um sich und Keyla einen riesigen Energiewirbel, der sie beide völlig einhüllte und immer näher aneinander zog. Nach und nach löste sich ihre materielle Hülle auf und ließ den Wirbel in sie eindringen. Und dann blitzte es überall auf, als würde sich der Wirbel jeden Moment entzünden. Melynne aber erhob sich in die Lüfte.



    [/FONT] Und erzeugte ein neues Kraftfeld, welches das Mädchen auffing, das der Wirbel beim Auflösen freigab.
    Ich weiß nicht genau, wie sie es geschafft hat, das Wissen darum muss sie von Melynne erhalten haben, doch deine Mutter und deine Schwester sind in diesem Wirbel eins geworden. Verstehst du? Mardianne gab ihre eigene Existenz auf und vereinigte sich mit Keyla, weil sie nur so stark genug war, sich von Variks dunkler Gewalt zu lösen UND, das war Mardianne das wichtigste, weiterzuleben. Deine Mutter aber verschwand in diesem Energiewirbel, nichts blieb von ihr übrig, außer Keyla. Du hast sie danach nicht mehr gesehen, als weißt du es nicht, doch seit diesem Tag waren ihre Augen blaugrün!
    [FONT=&quot]Genauso blaugrün wie die von Celia und den meisten andern ihrer weiblichen Nachkommen. Sie sind ein Zeichen für das Erbe, das sie in sich tragen. Das Erbe der Herrscherin von Mardianne und Keyla gleichermaßen, das sie im Gegensatz zu den andern Kindern auch benutzen könnten, wenn sie nur davon wüssten.



    [/FONT]Der Schock dieser unvorbereiteten Vereinigung war groß und Keyla sank der Herrscherin ohnmächtig in die Arme. Es lag nun an ihr, sie aus dieser Bewusstlosigkeit zu befreien. Nur sie allein mit ihrer Macht konnte das tun. Doch Melynnes Gefühle waren gespalten, einerseits wollte sie deine Schwester am liebsten in der Luft zerreißen für ihre Dummheit, und wohl auch für ihre eigene. Oder aber sie einfach bis in alle Ewigkeit schlafen lassen, doch andererseits würde sie Mardiannes Opfer damit sinnlos machen. Sie musste das Versprechen einlösen, dass sie deiner Mutter gegeben hatte. Und das tat sie dann auch, wenn auch etwas anders, als Mardianne es geplant hatte.




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    weiter zu Teil 3