• „Aber was soll ich tun, wenn er zurückkehrt.“ Reshanne eilte ihr hinterher, als sie den privaten Pavillon anstrebte.
    „Das wird er nicht wagen. Und falls doch, steht dir, wie mir auch, die gesamte Macht der Elo-i zur Verfügung, um ihn ins Dunkel zurückzutreiben. Ich sagte doch, du wirst dankbar sein für Marhalas Existenz. Und jetzt werden wir uns weiter mit der Übergabe beschäftigen.“
    Der Wechsel kam ein wenig zu plötzlich, um Melynnes letzte Worte wirklich glaubhaft erscheinen zu lassen. Irgendetwas Wesentliches hatte die Herrscherin ihr verschwiegen. Mächtig hatte sie Varik genannt und gefährlich. Im Laufe der Zeit sollte Reshanne herausfinden, wie untertrieben das gewesen war. Doch erst jetzt, wo sie daran zurückdachte, begann sie zu begreifen, was Keyla damals getan haben musste.
    [FONT=&quot]Auf einmal verstand sie, wie er in den Spiegel hatte eindringen können, weil seine Frau ihm die Macht dazu gegeben hatte, gleich nachdem Melynne ihr selbst den Zugang erlaubte. Es gehörte zur Einweihung vor der endgültigen Übergabe. Und es musste sich ähnlich abgespielt haben, wie bei ihr selbst.



    [/FONT][FONT=&quot]Melynne hatte den Spiegel beschworen, sich für Reshanne zu öffnen, sie als neue Gebieterin anzuerkennen und sie dann allein gelassen, damit sie ihr erstes Bild empfing. Nur ein einziges Mal gestatte der Spiegel einen Blick in die Zukunft, so hatte Melynne es ihr erklärt. Nur bei der Einweihung, beim allerersten Mal. Reshanne hatte gespannt auf die glitzernde Oberfläche gestarrt und gewartet, bis die ersten Nebelschleier darauf sichtbar wurden, die Ränder sich schwarz einfärbten und schließlich ihr erstes Bild sichtbar wurde. Und was für ein Bild. Bis heute war es ihr nicht gelungen, herauszufinden, was der Spiegel ihr damit hatte zeigen wollen, obwohl sich das Bild regelrecht in ihr Gedächtnis einbrannte. Wer war die Gestalt, die dort hoch oben wie auf einer Bahre zu ruhen schien, bewacht von zwei Mitgliedern der Tempelgarde. Wenn das die Zukunft sein sollte, war dies dann ihr eigenes Schicksal?



    [/FONT] Sie hatte all ihre Gedanken auf das Bild konzentriert, bemüht, einen einzigen Blick auf die Gestalt werfen zu können, doch jedes Mal, wenn sie glaubte, endlich nahe genug zu sein, verschwammen die Konturen der Person vor ihren Augen. Als ob der Spiegel das Gesicht vor ihr zu verbergen suchte. Immer wieder in den inzwischen vergangenen Jahren hatte sie versucht, den Spiegel dazu zu bewegen, ihr dieses Bild noch einmal zu zeigen, vergeblich. Nur ein einziges Mal, hatte Melynne gesagt und recht behalten.
    [FONT=&quot]Zu gern hätte Reshanne sie um Rat gebeten, doch kaum dachte sie daran, wechselte der Spiegel wie auf Kommando sofort das Bild und sie sah die Herrscherin im Gespräch mit Marhala.



    [/FONT] „Sobald schon!“ hörte sie die Wächterin rufen, und es schwang doch tatsächlich ein Anflug von Panik in ihrer Stimme mit. Sollte sich doch noch ein Rest von Gefühl in ihr erhalten haben?
    „Was hält mich noch in dieser Welt, Marhala?“ fragte Melynne und blickte dabei hinauf in den nachtschwarzen Himmel. Selbst die Sterne hatten sich verdunkelt, als habe Melynnes tiefverletzte Seele sie vom Firmament verbannt. „Mein Herz ist schwer,“ seufzte sie, „ich bin müde, unendlich müde. Es zieht mich heim, zu denen, die so lange vor mir gegangen sind. Es ist genug!“
    „Aber noch habt Ihr eine Aufgabe. Eure Nachfolgerin bedarf Eurer Führung! Ihr könnt noch nicht gehen! Das würde Chaos bedeuten.“
    „Selbst wenn, sie wird es schaffen. Sie ist stark, viel stärker als Keyla. Das nicht erkannt zu haben, war mein Fehler. Ich hätte gleich Reshanne auswählen sollen.“
    [FONT=&quot]„Ihr habt nach dem Erbe Eurer Mutter gesucht und mehr davon in Keyla gefunden, als in Reshanne. Es war kein Fehler. Es musste wohl so kommen, wenn nicht jetzt, dann später.“



    [/FONT] „Später wäre mir lieber gewesen.“ Ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, doch wurde sie gleich darauf wieder ernst.
    „Dich erwartet eine schwere Aufgabe, das weißt du.“
    Marhala neigte zustimmend den Kopf.
    „Er wird zurückkommen, irgendwann, wenn er sich wieder stark und sicher genug fühlt. Und er braucht sie. Er wird nichts unversucht lassen, um sie zu finden und zurückzubringen. Das musst du verhindern. Töte sie, wenn es sein muss.“
    „Und Zardon?“
    [FONT=&quot]„Er weiß, was er uns schuldig ist. Sollte Varik zurückkehren, kann er seine schützende Hand nicht länger über seine Tochter halten. Ich habe ihr bereits mehr Gnade erwiesen, als sie verdient. Behalte diesen Befehl für dich und führe ihn aus, wenn es nötig werden sollte.“



    [/FONT] Nur wenig später übertrug die alte Gebieterin all ihrer Kräfte auf Reshanne und trat die letzte Reise an. Ein jeder trauerte ihr nach, am meisten jedoch Reshanne selbst, die sich ganz plötzlich in eine Rolle gedrängt sah, der sie sich nicht im mindesten gewachsen fühlte.
    „Was für ein furchtbares Erbe hast du mir hinterlassen, Melynne!“ seufzte Reshanne immer wieder, während sie ihren einsamen Spaziergang durch den Tempel fortsetzte. Irgendwann blieb sie an Darias kleinem Teich stehen und ließ sich, einer spontanen Eingebung folgend, an dessen Ufer nieder. Genauso hatte sie Celia hier sitzen sehen, bei einem ihrer letzten Besuche im Ratstempel. Zaide, ihre ach so verbohrte Schwester würde vermutlich niemals glauben, wie sehr sie sich dem Kind verbunden fühlte, wie aufmerksam sie heimlich ihre Entwicklung beobachtet hatte, wie schwer sie mit Zardon um ihre Initiation gerungen hatte. Und jetzt war sie gezwungen, dieses hoffnungsvolle Leben auszulöschen. Sollte ihr denn wirklich keine andere Wahl bleiben?




    +++

  • ***




    „Herrin?“
    Reshanne schrak zusammen und ärgerte sich sofort darüber. Nach so vielen Jahren sollte sie sich eigentlich an Marhalas überraschendes Auftauchen gewöhnt haben. Es war nun mal ihr Vorrecht, wenn sie es wünschte, jederzeit und ohne Anmeldung zur Herrscherin vordringen zu dürfen. Trotzdem fühlte sie sich in solchen Momenten immer wieder unwohl. Zwar konnte sie ihre Gedanken nicht lesen, dennoch schien sie genau zu spüren, in welcher Stimmung sich ihre Gebieterin gerade befand, oder was sie beschäftigte.
    Jetzt sah die Wächterin mit ernstem, forschendem Blick auf sie herunter und wartete, ruhig und geduldig, als hätte sie es nicht eilig. Dabei musste sie beunruhigende Nachrichten haben, sonst hätte sie Celia nicht allein gelassen.
    [FONT=&amp]Reshanne stand auf und straffte die Schultern. Sie fühlte es, noch bevor Marhala mit ihrem Bericht begann, der Zeitpunkt, den sie fürchtete, seit Zaide ihr die Wahrheit über ihre Tochter gesagt hatte, war gekommen.



    [/FONT] „Wie heftig war der Ausbruch?“
    „Sehr heftig! Genug, um selbst einen von uns in Gefahr zu bringen. Dabei hat sie noch nicht einmal ihre volle Kraft eingesetzt.“
    „Und genau das macht mich stutzig!“ rief Reshanne. „Sie ist zu stark, viel zu stark für ein Menschenkind.“
    Marhala nickte. „So ist es. Wer weiß, wie viel er ihr von sich gegeben hat.“ Sie musste den Namen des Herrn der Finsternis nicht aussprechen, sie wussten beide, von wem die Rede war.
    „Jedenfalls nicht nur einen kleinen Teil an Energie.“ sinnierte ihre Herrin weiter. „Ihr mütterliches Erbe reicht nicht aus, um sich dir in den Weg stellen zu können. Dafür müsste er weitaus mehr mit ihr geteilt haben, viel mehr. Oh nein! Er muss wahnsinnig geworden sein! Er wird doch nicht ....“ Sie brach ab und sah auf die Wächterin hinunter. Melynne, die ihn so liebte und förderte, sie hatte ihm bestimmt Marhalas Geschichte erzählt. Er wusste, es funktionierte, obwohl oder gerade weil es verboten war, aber nein...., soweit konnte er nicht gegangen sein, das hätte Zaide niemals zugelassen, selbst wenn sie verzweifelt genug gewesen war, um sich mit ihm einzulassen.
    [FONT=&amp]„Herrin, du musst nun eine Entscheidung treffen, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“ mahnte Marhala unterdessen in respektvollem Ton. „Was soll ich tun?“



    [/FONT] „Vielleicht solltest du mit deinen Befehlen noch etwas warten.“
    „Zardon!“ Überrascht sah Reshanne den Ratsherrn auf sich zu kommen. „Ich kann mich nicht erinnern, dich gerufen zu haben.“ Er ließ sich von ihrer leicht pikiert klingenden Stimme nicht beeindrucken und kam trotz ihres offensichtlichen Unmut näher. Das hätte sich mit Sicherheit kein Anderer erlauben dürfen, nicht einmal Reshannes Gatte Cyros. Doch Zardon war alt, viel älter als jedes andere Mitglied des Rates und er hatte, nach der Herrscherin, die wohl mächtigste Position in der Welt der Elo-i inne. Jedermann achtete und fürchtete den stets in sich gekehrt wirkenden Herrn des Lebens, der sich für Reshanne aufgrund seiner Weisheit und Besonnenheit immer als wertvoller Berater erwiesen hatte. Außerdem war er der Einzige, der bei den Ereignissen damals dabei gewesen war. Also kam er, wenn auch ungerufen, so doch nicht ungelegen.
    „Lass mich allein!“ befahl Reshanne der Wächterin. „Und erwarte meine Befehle!“



    Die Wächterin nickte, grüßte Zardon mit einem leichten Neigen des Kopfes und zog sich aus der Hörweite der beiden zurück.
    „Nun,“ wandte sich Reshanne an den Ratsherrn. „warum sollte ich noch warten?“
    „Weil du noch nicht alle Fakten kennst.“ Es schien ihn sichtlich Überwindung zu kosten, also begnügte sich Reshanne mit einem erstaunten Heben der Augenbrauen und wartete darauf, was er ihr zu sagen hatte. Allerdings wurde ihre Miene aschfahl, als er ihr endlich gestand, was er solange Zeit mit sich herumgeschleppt hatte.
    [FONT=&amp]„Warum hast du nie etwas gesagt?“ fragte sie schließlich mit deutlich hörbarem Entsetzen und dachte gleichzeitig: ‚Ich muss als Herrscherin völlig versagt haben! Unter Melynne, und erst recht unter Ashani hätte niemand auch nur daran gedacht, sie derart zu hintergehen.’ Schreien wollte sie, ihn schütteln, aber angesichts seines kummervollen Ausdrucks konnte sie es dann irgendwie doch nicht.



    [/FONT] „Zardon, als wir uns wegen der Initiation gestritten haben, ich dachte, du hättest Bedenken, weil ihr Vater ein Mensch war, dabei hast du ihr wahres Erbe gefürchtet, nicht wahr? Nur verstehe ich nicht, wieso du dann plötzlich eingelenkt hast?“
    „Weil ich kein Recht hatte, es ihr zu verwehren. Ich hatte schon genug Schuld auf mich geladen. Ich hätte dich aufhalten müssen. Es war nicht nötig, ihren Vater zu töten, es war ein schrecklicher Fehler, der sich jetzt rächt.“
    „Ja, das ist wohl war.“ stimmte Reshanne ihm, wenn auch widerwillig zu. Doch sie war zutiefst betroffen, den stolzen unbeugsamen Ratsherrn nun derart vom Gram gebeugt zu sehen. Es war ein furchtbares Opfer, das er hatte bringen müssen, nicht nur einmal und, wie es aussah, auch nicht zum letzten Mal.
    „Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr? Wenn wir Variks Pläne durchkreuzen wollen, bleibt uns tatsächlich nichts anderes mehr übrig als....“
    [FONT=&amp]Sie musste den Satz nicht beenden, er kannte den Rest. In ihren Augen gab es keinen andern Weg, doch er wusste es besser. Es gab noch eine andere Möglichkeit, nur hieße die, ein Leben gegen ein anderes einzutauschen. Selbst wenn es das einzig Richtige wäre, er konnte es einfach nicht. Nicht diesmal.



    [/FONT] Reshanne, die sich von ihrem Schock noch nicht wirklich erholt hatte, entließ den Ratsherrn mit einem sanften Kopfnicken und winkte die Wächterin mit herrischer Geste zu sich.
    „Ich habe eine Frage, ich werde sie nur einmal stellen und ich erwarte die Wahrheit, egal, was du Melynne geschworen hast. Ich bin jetzt deine Gebieterin, einzig mir schuldest du Treue.“
    „Natürlich Herrin!“ versicherte Marhala mit aufgeschreckter Wachsamkeit in ihren Augen.
    „Was ist mit der Erbin geschehen?“
    „Ich verstehe nicht!“
    „Melynne hat alle glauben lassen, sie wäre ausgelöscht worden, aber das stimmte nicht. Sie hat Keyla geschont, für Zardon. Aber ich kenne auch ihren letzten Befehl an dich. Und ich verlange jetzt eine Antwort. WO IST SIE?“
    Marhala zögerte keine Sekunde. „Sie ist tot!“ verkündete sie mit fester Stimme und sah der Herrscherin dabei offen ins Gesicht.
    „Erzähl mir alles, alles, was du über sie weißt!“



    +


  • [FONT=&amp]Alyssa und Semira machten sich große Sorgen. Wie lange stand sie jetzt schon dort in der Totenhalle, an den Sarkophagen und starrte die Wand an? Stunden? Sie wussten es nicht. Leider hatte Zaide ihnen ausdrücklich verboten, sie zu stören, und so beobachteten sie ihre Herrin nur aus der Ferne. Hoffnungslosigkeit schien sie übermannt zu haben, und nicht mal zu unrecht, wie die Mädchen meinten. All ihre Versuche, das Gedächtnis ihrer Tochter wiederherzustellen, waren gescheitert. Stattdessen war sie gezwungen hilflos mitanzusehen, wie die Kräfte des Kindes selbstzerstörerisch und mit aller Gewalt an die Oberfläche kamen. Was konnten sie denn jetzt noch gegen das drohende Unheil unternehmen?



    [/FONT] „Wir verlieren sie, mein Liebster!“ Niemand hörte etwas von Zaides stummem Zwiegespräch mit dem geliebten Mann. Die Vorstellung, er könne sie unmöglich hören, da, wo er sich jetzt befand, hätte ihr nur ein müdes Lächeln abgerungen. Es mochte ja sein, dass sich in dem Sarkophag vor ihr nur sein Körper befand, doch sie trug Adrian und ihre Liebe zu ihm wie den kostbarsten Schatz in ihrem Herzen. Manchmal, wenn sie die Augen schloss und sich ganz auf ihn konzentrierte, meinte sie, wieder seine weiche Hand zu spüren, wie sie liebkosend über ihre Wange glitt, sein schelmisches Lachen zu hören, mit dem er seine stets so ernst wirkende Ehefrau solange neckte, bis er alle Melancholie von ihren Zügen vertrieben hatte. Reshanne mochte ihr den Mann genommen haben, ihre Liebe aber blieb unangetastet. Sie war ihre einzige Stütze und würde es immer sein.
    „Hilf mir!“ bat sie ihn in stummer Verzweiflung. „Hilf mir, das Richtige zu tun.“
    „Du verlangst Unmögliches!“



    Zaide erstarrte beim Klang dieser Stimme, die sie ausgerechnet jetzt und hier nicht hören wollte.
    „Ich weiß, aber ich kann es dir leider nicht ersparen.“ sagte Reshanne nachsichtig, ohne zunächst näherzukommen. Die beiden Mädchen, die sich bei ihrem Erscheinen pflichtgemäß verneigten, beachtete sie nicht. „Ich muss mit dir reden.“
    „Ich wüsste nicht, worüber. Ich habe dir nichts mehr zu sagen.“ Fast schon beleidigend hielt sie ihr demonstrativ weiterhin den Rücken zugekehrt.
    „Zaide... Sei nicht so stur!“
    „Stur? Ich?“ Die Herrin der Seelen schnaufte verächtlich. Das sagte gerade die Richtige! Wer hatte denn mit seiner Unerbittlichkeit diese Katastrophe heraufbeschworen?
    „Das hatte nichts mit Unerbittlichkeit zu tun, das weißt du!“
    [FONT=&amp]„Hör auf, meine Gedanken zu lesen und geh!“



    [/FONT] „Bitte, Schwester!“ Reshanne kam die Stufen hoch, streckte die Hand nach Zaide aus und berührte sacht ihr glänzendes schwarzes Haar, während es Alyssa im Hintergrund alle Mühe kostete, ruhig zu bleiben.
    „Was will sie hier?“ zischte sie und presste die Zähne zusammen. „Hat sie ihr noch nicht genug angetan?“
    „Psst.“ Semira deutete erschrocken auf die Gebieterin. „Hast du vergessen, dass sie dich hören kann?“
    „Na und?“ Alyssa zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Soll sie doch.“
    Reshanne hörte es in der Tat, und normalerweise müsste sie das Mädchen jetzt zumindest zurecht weisen, doch sie war mit einem zu wichtigen Anliegen gekommen, um sich jetzt durch die Nebensächlichkeit einer loyal empörten Dienerin ablenken zu lassen.
    „Zaide, wir haben keine Zeit für Streit. Bitte, wir müssen über deine Tochter reden.“ erklärte sie und diesmal reagierte ihre Schwester, wenn auch nicht gerade wie gewünscht.



    [FONT=&amp]„Was gibt es dann da noch zu reden?!“ fuhr Zaide herum und funkelte ihre unwillkommene Besucherin wutentbrannt an. „Du hast Celia nie hier haben wollen. Du mit deinen ach so heiligen Gesetzen, hinter denen du dich immer nur versteckt hast. Als ich dich wirklich brauchte, dich, meine Schwester, nicht die Weltenlenkerin, die Herrscherin, nur meine Schwester, da hast du mich und auch Celia im Stich gelassen. Du hast mir den Mann und ihr den Vater genommen, und weil dir das noch nicht genügte, hast du sie schließlich auch noch von mir trennen, abschieben wollen, indem du sie zu Daria schicktest. Und warum das alles? Weil es dir ein Dorn im Auge war, dass ein Menschenkind einmal das Amt unserer Mutter übernimmt. Sie war dir nicht gut genug.“



    [/FONT] „Was redest du denn da für einen Unsinn?“ Reshanne war ehrlich erschüttert. „Ich hatte absolut nichts dagegen, dass sie einmal deinen, Mutters Platz einnimmt, nicht nur hier im Seelentempel, sondern auch im Rat. Und es lag keinesfalls in meiner Absicht, dich von deiner Tochter zu trennen. Ich wollte nur dafür sorgen, dass sie gründlich genug ausgebildet wird, gerade weil sie ein so besonderes Mädchen war, mit so außergewöhnlichen Fähigkeiten, viel zu stark für das Kind eines Menschen!“
    „Ich weiß nicht, was du meinst.“
    „Oh ich denke doch! Auch du musst dich längst gefragt haben, wie deine Tochter all diese Fähigkeiten bekommen konnte, mit nur einem Elo-i-Elternteil."
    „Das lag an ... Variks Übertragung.“ Es hörte sich längst nicht mehr so sicher an, wie Zaide sich selbst glauben machen wollte. Und Reshanne fuhr auch schon unerbittlich fort.
    [FONT=&amp]„Denk nach, Zaide, denk nach!“ verlangte sie kategorisch. „Erinnere dich! Wer war Celias Vater?“



    [/FONT] „Adrian Blandfort, das sagte ich dir bereits. Wenn er dich so interessiert, hättest du ihn vielleicht befragen sollen, bevor du ihn da rein gebracht hast.“ Sie deutete mit einem verbittert wirkenden Kopfnicken hinter sich auf den Steinsarkophag. Der Vorwurf traf, aber Reshanne ließ dennoch nicht locker.
    „Ich kenne seinen Namen, aber mich interessiert seine Herkunft.“
    „Seine was ...? Was bitte hat denn Adrians Herkunft mit unserem Problem zu tun?“
    „Alles, fürchte ich!“ Reshanne, die inzwischen von der Ahnungslosigkeit ihrer Schwester überzeugt war, senkte traurig den Kopf und suchte angestrengt nach den richtigen Worten, um ihr die Wahrheit möglichst schonend beizubringen. Aber es gab keine schonende Art, so wie die Dinge lagen. „Zaide, dein Mann, Celias Vater er ist, war ... Zardons Enkel.“



    +

  • *

    Stille! Alles schien in grenzenlosem Erstaunen den Atem anzuhalten und zu warten. Zu warten auf Zaides Reaktion, ... die nicht kam. Reglos, das Gesicht zu einer steifen, leblosen Maske erstarrt, stand sie am Sarkophag ihres Mannes und wagte es nicht einmal mehr, sich daran festzuhalten. Es war einfach zu ungeheuerlich!
    Nachdem etliche Minuten verstrichen waren, ohne dass sich eine von ihnen gerührt hätte, entschied Reshanne, dass es wohl angemessen wäre, Zaide etwas Zeit für sich zu geben, um die zugegebenermaßen erschreckende Neuigkeit zu verarbeiten.
    Mit den Worten „Ich warte im Gartenpavillon auf dich.“ drehte sie sich um und ließ ihre Schwester in der Totenhalle zurück, wohl spürend, wie sich deren entgeisterter Blick in ihren Rücken bohrte.
    [FONT=&amp]Zu behaupten, Zaide wäre durch Reshannes Eröffnung verwirrt, wäre eine Untertreibung gewesen. Einerseits schrie alles in ihr, es müsse sich um eine Lüge handeln, deren Grund sie nur noch nicht herausgefunden hatte, andererseits bot sich ihr damit eine weitaus vernünftigere Erklärung für Celias außergewöhnliche Anlagen als es der Zufall der Geburt bisher getan hatte.



    [/FONT] „Also gut!“ meinte sie, als sie wenig später Reshanne in den Pavillon gefolgt war, wenn auch noch immer weit davon entfernt, es wahrhaft zu glauben. „Wie kommst du darauf, Adrian wäre ein Elo-i, und dann auch noch ausgerechnet ein Abkömmling von Zardon?“
    „Ein Enkel von Zardon, ja, das stimmt, aber kein Elo-i. Jedenfalls nicht so wie du und ich, oder Celia. Er kam als Mensch auf die Welt, weil er einen menschlichen Vater hatte.“
    „Und seine Mutter?“ Diese Frage war im Grunde völlig unnötig, dennoch stellte Zaide sie und fürchtete die Antwort, die sie ebenso längst kannte. Sie konnte nur eine Elo-i gewesen sein, und nicht einmal irgendeine Elo-i. Nur eine Einzige kam dafür in Frage, wenn Reshanne mit ihrer Annahme richtig lag, und doch war es unmöglich, denn Ranyia war unverheiratet und soweit sie wusste, niemals „privat“ in der Menschenwelt gewesen. Wenn also nicht sie, wer dann? Zardon besaß keine weiteren Kinder.
    „Du irrst. Es geriet in Vergessenheit, weil niemand auf Melynnes Geheiß darüber sprechen durfte. Aber er hatte zwei Töchter, Ranyia, die jetzige Herrin der Träume und Keyla, ...die verschwundene Thronfolgerin!“



    Entsetzt taumelte Zaide zurück. Schlagartig fielen ihr Zardons Worte wieder ein.
    „Sie war verloren. Auch seinetwegen.“ Sie hatte sich also nicht getäuscht, die Tränen, die sie in seinen Augen glänzen sah, waren die Tränen eines noch immer trauernden Vaters. Und Varik, der ihr freundlich lächelnd die Hand zur Hilfe entgegenstreckte, dem sie in verzweifelter Ahnungslosigkeit die Zukunft ihres Kindes anvertraute, er war dafür verantwortlich, er hatte sie vernichtet.
    [FONT=&amp]„In gewisser Weise hat er das tatsächlich.“ hörte sie Reshanne hinter sich sagen. „Er war Melynnes erklärter Liebling, mit Gaben versehen, die er besser nie erhalten hätte. Er konnte sich nicht damit abfinden, nicht den Platz einnehmen zu dürfen, der ihm als ihr nächster Verwandter nach Geburt und Fähigkeiten zugestanden hätte, wäre er nur kein Mann. Durch Keyla, die ihm von Melynne regelrecht zum Geschenk gemacht wurde, hoffte er, sein Ziel dennoch zu erreichen, sie war sein Zugang zur Macht der Herrscherin. Blind vor Liebe gab sie ihm alles, wonach er verlangte, den Zugang zum Auge der Herrscherin, dem Spiegel der Macht, und dazu die Fähigkeit, sich vor ihm zu verbergen, die Telepathie und noch einiges mehr. Als Melynne dahinter kam, zog er es vor, sich der Verantwortung zu entziehen und so traf Melynnes geballter Zorn allein Keyla.“



    [/FONT] Zaide wurde schwindlig. Die ganze Welt schien sich auf einmal um sie herum zu drehen. Tausende Worte hallten in ihrem Kopf, Bilder sausten an ihrem inneren Auge vorbei, Erinnerungen an Jahrhunderte vermischten sich und wirbelten in einem gigantischen Strudel durcheinander. Ranyias Andeutungen, Zardons Warnung, Variks verräterische Freundlichkeit. Als der Strudel endlich in sich zusammenfiel, ergab alles plötzlich einen Sinn und Zaide verstand.
    Jetzt wusste sie, was Varik mit der Gegenleistung meinte. Es ging ihm nie darum, ihre Tochter zu einer Elo-i zu machen, denn das war sie längst. Und er hatte es gewusst, er kannte Celias Abstammung genau, nur deshalb war er überhaupt zu ihr gekommen. Er hatte sicher stellen wollen, dass sie ihre Initiation erhielt, ohne die sie nicht über ihre Kräfte verfügen konnte, und er hatte sie obendrein verstärkt. Dafür gab es nur einen Grund.
    „Er will sie gegen dich benutzen!“ stieß sie halberstickt vor Entsetzen hervor.



    „Ja, das befürchte ich auch. Seit Celias Geburt arbeitet er darauf hin, mit ihr einen zweiten Versuch zu starten, einen erfolgreicheren. Darum hat er ihr einen Teil von sich selbst gegeben. Er will verhindern, dass es wieder misslingt...“ Reshanne zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach, doch wenn sie die Schwester zum Einlenken bewegen wollte, musste sie ihr die ganze Wahrheit sagen. „Ich glaube, er hat vor, sich mit Celia zu vereinen, um eine neue Wächterin zu erschaffen, viel mächtiger und schrecklicher als er oder irgendein anderes Wesen je sein könnte.“
    „Aber.... das ist ... unmöglich!“ stammelte Zaide.
    „Normalerweise schon, aber nicht für ihn. Von Melynne erfuhr er, ebenso wie ich, auf welche Weise Marhala entstanden ist. Er muss es tun, anders könnte er sie nicht kontrollieren. Und er kann es tun, denn er hat es schon einmal getan.“
    [FONT=&amp]„Keyla?“



    [/FONT] „So ist es! Aus der Prinzessin des Lichts wurde ein dunkles Wesen, das er die Herrin der Schwarzen Seen nannte. Ich weiß nicht, auf welche Weise Melynne sie damals bezwungen hat, aber es muss sie furchtbar mitgenommen haben, denn sie hat nie darüber gesprochen und auch Marhala scheint nichts zu wissen. Sie war wohl einfach noch nicht stark genug. Aber eines weiß ich, und das ... tut mir unendlich leid, bitte glaub mir, aber ich ... wir haben nur noch eine einzige Chance, ihn aufzuhalten, und zwar bevor er die Verbindung zustande bringen kann. Danach wird sie uns, die Erde, vielleicht sogar das Universum hinwegfegen mit einer einzigen Bewegung ihrer Hand. Verstehst du, was ich dir sagen will?“
    „Ja, ich verstehe dich. Trotzdem wäre es besser gewesen, wenn wir sie hierher zurückgebracht hätten. Hier wäre sie vor ihm in Sicherheit!“
    „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Es spielt ja auch keine Rolle, solange sie sich nicht erinnert. Und deine Versuche, ihr mit Ranyias Hilfe die Erinnerung an ihre Identität zurückzugeben, waren nicht sehr erfolgreich.“
    [FONT=&amp]„Du weißt davon und hast es geduldet? Wieso? Ich dachte ...“ Zaides Erstaunen versetzte Reshanne einen schmerzhaften Stich.



    [/FONT] „Ich sagte dir doch, ich liebe sie genauso wie du. Es wäre sicher alles anders gekommen, hätte ich die Wahrheit von Anfang an gewusst, aber jetzt ist es zu spät. Ich musste damals eine grausame Entscheidung treffen und selbst wenn ich es heute bereue, muss ich es dennoch wieder tun. Ich bitte dich nicht um dein Verständnis, oder um deine Einwilligung, nur um eines. Bitte, hasse mich deswegen nicht! Glaube mir, ich würde es nicht tun, wenn nicht, ....Verstehst du?“
    Zaide antwortete nicht. Stattdessen schlug sie die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. Reshanne zog sich das Herz zusammen bei dem Anblick, am liebsten hätte sie die Schwester in ihre Arme gezogen, um sie zu trösten, doch gerade sie, die Ursache ihrer Pein wäre wohl die am wenigsten geeignete Person dafür. Es sei denn,....
    „Gut, einen letzten Versuch noch.“ Sie konnte kaum fassen, dass sie das sagte, aber wenigstens diese eine Chance war sie Zaide und auch Celia wohl noch schuldig. „Wenn es nicht gelingt, dann .... bleibt mir – uns – keine Wahl.“



    +++

  • ***



    „Und verraten Sie mir auch, wohin Sie mich zum Kaffee entführen wollen?“ fragte Celia lächelnd, als sie mit Damien gemeinsam ihr Grundstück verließ. Er hatte sich mehrmals dafür entschuldigt, sie gestört zu haben und wollte sich schon wieder zurückziehen, als sie plötzlich entschied, dass es Zeit wurde, die Menschen in ihrer Umgebung kennen zu lernen, unabhängig von Mara. Und hier bot sich die Gelegenheit. Freundlich hatte sie ihn gebeten, doch zu bleiben und eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken, worauf er höflich aber sehr bestimmend darauf bestanden hatte, sie einzuladen. Eine seltsame Faszination ging von diesem Mann aus, eine Ausstrahlung, die ihr vertraut und angenehm erschien und die sie schließlich dazu brachte, seine Einladung anzunehmen.
    [FONT=&quot]„Lassen Sie sich überraschen, es ist gar nicht weit. Ein malerisches Fleckchen Erde, wie geschaffen für eine Künstlerin, Sie werden sehen.“



    [/FONT] Und wie recht er hatte. Nur ein paar Häuser weiter führte er sie durch den Gastraum eines kleinen Cafés hinaus in einen wildromantisch anmutenden Garten. Überall schossen kleine Fontänen blitzende Wassertropfen in die Höhe, Blumen sprossen zwischen kunstvollen Steinarrangements und Sitzbänke im Schatten der Bäume luden zum Verweilen ein.
    „Es ist bezaubernd hier.“ beantwortete sie seine Frage, noch bevor er sie stellen konnte. „Wirklich bezaubernd!“
    „Sehen Sie, das sagte ich doch! Hier draußen gibt es zwar keine Bedienung, aber heute ist ein so schöner Tag, den sollte man nicht eingesperrt in einem Haus verbringen.“
    [FONT=&quot]„Da haben Sie recht!“ stimmte sie ihm zu, während sie sich weiter umsah. „Allerdings scheinen das nur wenige genauso zu sehen. Es ist kaum jemand anders hier.“ Nur eine einzelne Frau saß still in einer Ecke und hob nicht einmal den Kopf, als sie die Treppe herunter kamen.



    [/FONT] „Oh, das liegt daran, dass die meisten erst abends hierher kommen, wenn im Garten überall die Lichter brennen. Tagsüber ist nie viel los.“ sagte er, nachdem er ihnen beiden eine Tasse Kaffee geholt hatte. „Wissen Sie, hier leben alle ein wenig, nun sagen wir zurückgezogen. Jeder ist mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt und kümmert sich wenig um andere. Die Leute sind eben nicht sehr gesellig.“
    „Anders als Sie scheinbar.“ konstatierte sie lächelnd.
    „Nun, ich bin eine Ausnahme, ebenso wie Sie vermutlich.“
    „Dann passen wir wohl beide nicht wirklich hierher, oder?“ In einem plötzlichen Anfall von Traurigkeit drehte Celia die Tasse in ihren Händen hin und her, trank dann einen Schluck und schob den Kaffee nach dem Absetzen mit einem „Huh, der ist aber stark!“ von sich.
    [FONT=&quot]„Tut mir leid, ich vergesse immer, dass nicht alle meinen Geschmack haben.“ entschuldigte sich Damien mit einem schiefen Grinsen. „Und schon gar nicht meinen Magen!“



    [/FONT] Sie lachte, lehnte aber sein Angebot, ihr ein Glas Wasser zu holen, ab, und so setzte er sich neben sie, trank in kleinen Schlucken seinen Kaffee und musterte sie dabei eine ganze Weile stumm, ohne dass sie sich unter seinem forschenden Blick unwohl gefühlt hätte. Im Gegenteil! Je länger er sie mit seinen dunklen Augen ansah, desto ruhiger wurde sie, die Anspannung wich von ihr, nur die Traurigkeit blieb zurück und er schien das zu spüren.
    „Sie haben wohl noch keine großen Fortschritte gemacht, bei der Suche nach ihrer Vergangenheit, was?“ fragte er schließlich mitfühlend.
    „Leider.“ Sie nickte und schluckte. „Alles, was ich bis jetzt gefunden habe, waren nur noch mehr Fragen statt Antworten.“
    „Nun ja, das ist doch immer noch besser als gar nichts, oder? Na kommen Sie, Sie wollen doch nicht jetzt schon aufgeben?“
    „Nein, natürlich nicht! Aber ....“ schon wieder brach sie ab.
    [FONT=&quot]„Da ist noch was anderes?“



    [/FONT] Warum hatte sie nur davon angefangen? Er war ein wildfremder Mann für sie, über den sie nicht das Geringste wusste, außer natürlich, dass er einer ihrer Nachbarn war. Vielleicht lag es an seiner unaufdringlichen Art, auf sie einzugehen, vielleicht aber auch nur an ihrem Riesenfrust, der sie gerade aufzufressen drohte, aber wie sie da so neben ihm am Tisch saß, fühlte sie sich eigenartig frei und unbeschwert und es fiel ihr plötzlich ganz leicht, ihm ihr Herz auszuschütten, selbst wenn sie ihm nicht alles erzählte. Gemächlich erst seinen und dann ihren Kaffee schlürfend, hörte er aufmerksam zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen. Ab und zu warf er ihr unter den gesenkten Lidern einen interessierten Blick zu, doch das merkte sie nicht.
    „Finden Sie das nicht auch alles reichlich merkwürdig?“ Fragend sah sie ihn an, nachdem sie fertig war, und er nickte bedächtig.
    „Allerdings. Aber ich muss zugeben, ich fand Miss Banning schon immer, nun wie soll ich sagen, ... ähm, ... ungewöhnlich.“
    Wider Willen musste Celia lachen. „Ich glaube, ungewöhnlich ist noch arg untertrieben.“




    +


  • „Kümmern Sie sich nicht um ihre Freundin. Machen Sie das, was Sie wollen!“ riet er ihr mit einem jungenhaften Grinsen und legte seine Hand auf die ihre. „Im Ernst, gehen Sie ihren eigenen Weg, Celia, es ist ihr Leben!“
    Leicht unbehaglich wollte sie seine Hand abschütteln, denn die Geste schien ihr zu vertraulich zu sein, doch mitten in der Bewegung hielt sie inne und sah ihn gebannt an.
    Seine Stimme hatte sich auf einmal völlig verändert. Leise und eindringlich, beinahe schon beschwörend sprach er auf sie ein, während der Druck seiner Hand auf die ihre immer fester wurde. Ein angenehme Hitze ging davon aus, durchströmte ihren Körper, entspannte jede einzelne Zelle und versetzte sie in eine Art Rauschzustand, in dem sie die Wirklichkeit vergaß und nur noch ihn zu hören vermochte. „Löse dich von Mara Banning.“ befahl er gebieterisch. „Befolge keine Ratschläge oder Anweisungen mehr von ihr! Kümmere dich nicht um die Merkwürdigkeiten! Und verschweige ihr unsere Begegnung!“
    „Ja!“ hauchte sie und er zog mit einem mehr als zufriedenen Ausdruck seine Hand zurück.
    [FONT=&quot]Es dauerte nur einen Moment, bis sie sich schüttelte, ihr Blick wieder klar wurde und sie ihn anlächelte.



    [/FONT] Er deutete auf die leeren Tassen und meinte dann: „Wollen wir? Bevor Miss Banning noch eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgibt.“ Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Celia mehr als nur Spott, sondern verborgenen Zorn in seiner Stimme wahrzunehmen. Doch bevor sie noch darüber nachdenken konnte, wieso, stand er auch schon auf und lenkte sie mit der nächsten Frage ab.
    „Was nun Ihr Problem mit der Party Ihres Freundes betrifft,“ sagte er, während er den Stuhl zurückschob, um dann an ihrer Seite wieder Richtung Treppe zu laufen.
    „Na ja, es ist nicht so sehr die Party, die Mutter ist das Problem!“ widersprach sie. „SIE will mich da nicht haben.“
    „Und was sagt Ihr Freund dazu? Möchte er, dass sie seine Party besuchen?“
    [FONT=&quot]„Ja, ich denke schon. Sonst hätte er mich sicher nicht eingeladen.“



    [/FONT] „Na also. Dann müssen Sie doch gar nicht mehr groß darüber nachdenken. Was kümmert Sie die Mutter!“
    Abrupt blieb sie stehen und drehte sich nach ihm um. „Sie hätten sie hören sollen. Soviel herablassende Arroganz, soviel Ablehnung, ich weiß nicht ....Ich will ihm einfach keine Schwierigkeiten machen.“ Sie winkte ab. „Es tut mir leid, ich hätte Sie da gar nicht mit hineinziehen sollen.“
    „Nein, nein, ist schon gut.“ wehrte er die Entschuldigung ab. „Aber lassen Sie mich Ihnen nur noch eine einzige Frage stellen, oder besser zwei!“
    „Bitte!“
    „Glauben Sie, dass dieser Mann Sie liebt?“ Celia senkte die Lider und ihr Blick wurde ganz weich.
    „Ja!“ Natürlich liebte Nicolas sie. Er hatte es ihr gesagt und es gab keinen Grund für sie, ihm nicht zu glauben, selbst wenn sie kaum begreifen konnte, wie so etwas Wunderbares in dieser kurzen Zeit geschehen konnte.
    [FONT=&quot]„Und Sie?“ hakte Damien nach. „Lieben Sie ihn?“



    [/FONT] Als sie wiederum nickte, schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln. Das war ganz offensichtlich, was er hören wollte.
    „Schließen Sie die Augen.“ forderte er sie auf. „Kommen Sie, tun Sie mir den Gefallen, schließen Sie die Augen.“ Obwohl verwirrt und völlig ohne Vorstellung, was er damit bezweckte, tat sie es doch und spürte gleich darauf, wie er nach ihrer Hand griff und sie fest hielt.
    [FONT=&quot]„Und jetzt stellen Sie sich vor, wie Sie in einem traumhaften Abendkleid in seinem Haus erscheinen, wie er zu Ihnen kommt, Stolz und Liebe leuchten Ihnen aus seinen Augen entgegen, wenn er sich über ihre Hand beugt, um Ihnen einen zarten Kuss darauf zu hauchen, rings umher die anderen Gäste, die keine Sekunde davon versäumen und diese Geste sehr wohl verstehen.“ Seine machtvoll hypnotischen Worte drangen tief in Celias Kopf ein, fast meinte sie die Szene direkt vor sich zu sehen. Ihr Atem wurde immer schwerer, als sie in die Vorstellung eintauchte. Und als seine Lippen ihren Handrücken streiften, spannte sich ihr ganzer Körper an, als habe ihn ein Schlag getroffen.



    [/FONT] Tief in ihrem Innern begann sich etwas zu regen, etwas Starkes, Mächtiges, wie ein wildes Tier, das obwohl jahrelang in einem Käfig gehalten, niemals gebändigt worden war und immer wieder versuchte sich zu befreien. Und er war es, dessen starke Hand die Gitterstäbe auseinander bog, rief, lockte. Nur noch ein kleiner Kampf, und es würde sein Gefängnis zerbrechen und an die Oberfläche kommen.
    [FONT=&quot]„Gut so!“ hörte sie seine Stimme wie von weit her. „Gut! Fühle die Energie, die dich durchdringt, fühle die Kraft in dir. Du fürchtest niemanden. Nichts und niemanden! Du bist das Leben und der Tod. Du bist das Licht und die Dunkelheit. Du bist Ordnung und Chaos, du bist die perfekte Verbindung. Wenn die Zeit kommt, wirst du dich daran erinnern und deinen rechtmäßigen Platz einnehmen. Und niemand wird dich daran hindern.“



    [/FONT]
    „Und nun geh, meine dunkle Taube! Geh zu dieser Party und erfülle dein Schicksal, UNSER ALLER SCHICKSAL!“





    +++

  • ***



    Völlig entnervt schloss Celia mit einem Ruck die Tür ihres Kleiderschranks. Den halben Vormittag hatte sie damit zugebracht, ein Kleid, ein Outfit nach dem andern anzuprobieren und es nach einem Blick in den Spiegel wieder auszuziehen. Bald lagen auf ihrem Bett Stapel von durcheinander geworfenen Sachen, und sie selber war den Tränen nah. Mara, die für einen Moment ins Zimmer gekommen war, um zu nachzusehen, was sie da trieb, hatte sie die Tür einfach vor der Nase zugeschlagen.
    [FONT=&amp]Dabei wusste sie gar nicht, warum sie eigentlich so nervös war. Was spielte es schon für eine Rolle, was Catherine Blandfort von ihr dachte, solange Nick sie liebte.




    [/FONT][FONT=&amp]„Ziemlich .... spießig!“ dachte sie, als sie beim Hinausgehen noch einen Blick in den Spiegel warf. Es war nicht ganz das, wonach sie in den letzten Tagen gegriffen hatte, doch schien es ihr gerade deshalb auch wieder irgendwie richtig für den Besuch bei einer so auf Konventionen bedachten Frau wie Catherine Blandfort es war. Zumindest an der Kleidung sollte sie nichts zu kritisieren haben, Celia brauchte dieses Gefühl von Sicherheit, um sich dahinter verbarrikadieren zu können. Sie gab sich keinen Illusionen hin, diese Teestunde würde alles andere als angenehm werden, doch sie gedachte, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Sie liebte Nicolas und er liebte sie, keine Ahnung, wieso sie sich dessen so sicher war, aber sie würde seiner Mutter nicht gestatten, sich zwischen sie zu stellen.



    [/FONT] Ein bisschen mulmig war ihr dann aber doch geworden, als das Taxi die Auffahrt von Blandfort Manor hinaufgefahren war und vor dem riesigen Eingangsportal hielt. Ihre Hand zögerte, sie musste mehr als nur einmal tief durchatmen, bevor sie entschlossen den großen Metallring des löwenköpfigen Klopfers betätigte, dessen harter polternder Klang vermutlich durchs ganze Haus tönte. Weglaufen konnte sie jetzt nicht mehr, denn nach nur wenigen Augenblicken öffnete sich ein Flügel der schweren Tür und eine junge Frau sah sie an:
    „Miss Moreau?“ fragte sie mit einem freundlichen Lächeln, und bat sie, nachdem Celia es bestätigt hatte, ihr ins Haus zu folgen. „Wenn Sie hier einen Moment warten würden, Miss!“ sagte sie und wies auf die Chaiselongue an der Seite.
    [FONT=&amp]Verstohlen sah sich Celia um und zum ersten Mal wurde ihr so richtig bewusst, wie vermögend Nicks Familie sein musste. Allein die Möbel und Gemälde in diesem Raum entsprachen vermutlich dem Wert von Maras ganzer Hauseinrichtung.



    [/FONT] „Lady Catherine erwartet sie jetzt!“ Ungehört war die junge Frau zurückgekommen und bat sie mit einem, irrte sie sich, aufmunternden Lächeln, ihr in den Salon zu folgen.
    „Ah Miss Moreau, wie schön, dass Sie es einrichten konnten!“ begrüßte Catherine ihren Gast in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie selbstverständlich nichts anderes erwartet hatte.
    Sie erhob sich, gerade schnell genug, um nicht unhöflich zu wirken, übergab der wartenden Frau die Zeitung, in der sie gerade gelesen haben musste und wandte sich dann an Celia.
    „Sie trinken doch Tee, Miss Moreau, oder bevorzugen Sie Kaffee?“
    „Ja, Tee wäre wunderbar, danke Mrs Blandfort!“ entgegnete Celia, noch immer leicht verunsichert.
    „Gut dann, also Tee, Lucy!“
    [FONT=&amp]Das Mädchen nickte und ging hinaus, nicht ohne Celia, zu deren nicht geringen Erstaunen leise zuzuflüstern: „Angriff ist die beste Verteidigung!“



    [/FONT] Das war also Lucy, die gute Seele dieses Hauses, wie Nicolas ihr erzählt hatte. Von ihr hatte er das Rezept für seine tollen Frühstückseier, mit denen er sie zuletzt verwöhnt hatte. Na ja, wie es aussah, hatte sie zumindest in ihr schon mal einen ihr freundlich gesinnten Menschen gefunden, was sie mit Sicherheit auch Nick verdankte.
    Seine Mutter dagegen würde es ihr nicht so leicht machen, das konnte sie deutlich sehen, als sie ihr jetzt gegenüberstand. Ein höflich verbindliches, aber dennoch abschätzig wirkendes Lächeln auf den Lippen, musterte die Frau sie nun schon zum zweiten Mal beinahe unverhohlen. Wieder schien ihr kein Detail dabei zu entgehen. Und Celia war froh, sich für das Förmliche entschieden zu haben, denn Catherine nickte schließlich zufrieden und bat sie in weitaus freundlicherem Ton, doch Platz zu nehmen.




    +


  • „Ich denke, Miss Moreau, Sie werden es mir verzeihen, wenn ich unser beider Zeit nicht mit höflicher Konversation verschwende, sondern gleich in aller Offenheit zur Sache komme!“
    „Ich würde das begrüßen, Mrs Blandfort!“ erwiderte Celia und merkte, wie sie plötzlich ganz ruhig wurde.
    „Schön! Ich habe Sie hergebeten, um mit Ihnen über meinen Sohn und seine Beziehung zu Ihnen sprechen.“
    „Das habe ich mir gedacht. Allerdings müssen Sie ihn dazu schon selbst befragen, es steht mir nicht zu, über seine Gefühle zu sprechen.“
    [FONT=&amp]Catherine stutzte kurz, hob die Augenbrauen und warf der Frau gegenüber einen indignierten Blick zu. Mut hatte sie ja, die Kleine, aber das reichte nicht! Ihr jedenfalls nicht. „Es geht hier nicht um ihn und seine Gefühle!“ belehrte sie die junge Dame. „Nur um Sie. Ich möchte von Ihnen wissen, welche Pläne Sie in Bezug auf Nicolas haben!“



    [/FONT] „Pläne? Ich?“ Celia konnte sich nur mit Mühe ein Schmunzeln verkneifen. Sie hörte sich an, wie ein besorgter Vater, dessen minderjährige Tochter gerade ihren ersten Freund nach Hause gebracht hatte, der nun einem gründlichen Verhör unterzogen werden musste. Aber Nick war erwachsen und es wurde Zeit, dass seine Mutter das endlich begriff. Andernfalls hatte ihre ganze Liebe keine Chance. Was hatte Lucy gesagt, Angriff wäre die beste Verteidigung? Vielleicht war es am besten, dieser Frau gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor sie womöglich der Mut verließ.
    [FONT=&amp]„Da wir uns ja auf Offenheit geeinigt haben, erlauben Sie sicher auch mir ein paar offene Worte.“ sagte sie deshalb und fuhr, nachdem Catherine Blandfort hoheitsvoll nickte, fort.



    [/FONT] „Ich habe keine Pläne, Ma’am, schon gar nicht in Bezug auf Nick. Ich liebe ihn, ich habe es nicht beabsichtigt, oder geplant, wenn Sie so wollen, genauso wenig wie er. Es ist einfach passiert. Wieso auch nicht? Er ist ein liebenswerter Mann, das wissen Sie mit Sicherheit besser als ich. Und falls Sie mit Plänen meinen, ich wolle ihn ausnutzen, um mich selbst zu verbessern, nun, dann kann ich Ihnen nur versichern, dass nichts mich im Augenblick weniger interessiert. Sie mögen mir zwar an Vermögen, Lebensstil und gesellschaftlicher Stellung überlegen sein, aber all diese Dinge sind für mich nur Nebensächlichkeit, die nichts über den Wert eines Menschen aussagen. Und da Nicolas Sie mir als kluge Frau beschrieben hat, glaube ich, dass Sie im Grunde meiner Meinung sind. Sehen Sie, ich bin mit meinem Einkommen und meiner Situation vollkommen zufrieden. Andere Dinge sind für mich zur Zeit viel wichtiger, z.B. herauszufinden, wer ich bin, wo ich herkomme, wer meine Eltern sind.... Und ich bin Nicolas überaus dankbar, dass er mich dabei unterstützt.“



    Catherine wurde zunächst einer Antwort auf diese Ungeheuerlichkeit enthoben, weil Lucy mit den Tassen hereinkam. Es entging ihr nicht, wie freundlich sie diese Miss Moreau anlächelte. Ob Nicolas ihr mehr über sie erzählt hatte? Die Vorstellung schmerzte. Und weckte unwirklich die Frage, wie viel sie von ihren Kindern eigentlich wusste, bzw. nicht wusste. Ihr Sohn hatte ihr seine Beziehung mit dieser Frau verschwiegen, eine Beziehung, die ganz offensichtlich weitaus tiefer ging, als Caroline mit ihrer oberflächlichen Beobachtung vermutet hatte. Und ihre Tochter? Das Mädchen war fünfzehn, in diesem Alter hatte die Jungen bei ihr Schlange gestanden. Aber Arabella hatte noch nicht einmal eine Andeutung in dieser Richtung gemacht. Hatte sie denn wirklich alles verkehrt gemacht?
    [FONT=&amp]Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Freundin ihres Sohnes, während Lucy ihnen beiden den Tee einschenkte. Geschmack hatte er ja bewiesen, das konnte sie ihm nicht absprechen, sie war eine ganz aparte Erscheinung, selbst mit dieser eigenartigen Fransenfrisur, die ihr, das gab sie nur ungern zu, auch noch ausnehmend gut stand. Aber der Junge hatte keine Ahnung, welchen Problemen er in absehbarer Zeit gegenüberstehen würde.



    [/FONT] „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Miss Moreau!“ begann sie, sobald Lucy hinausgegangen war. Und Celia bemerkte mit großer Verwunderung, dass sie nicht im geringsten verärgert zu sein schien, sondern tatsächlich meinte, was sie sagte. „Und ich denke, ich schulde Ihnen die gleiche Aufrichtigkeit. Vielleicht werden Sie dann meine Bedenken besser verstehen. Allerdings muss ich Sie bitten, gegenüber Nicolas nichts davon zu erwähnen. Nein, nein!“ wehrte sie einen Einwand sofort ab. „Es handelt sich hier nicht um sie, sondern um Familienangelegenheiten, die ich noch nicht mit ihm besprechen konnte.“
    „Dann sollten Sie das vielleicht auch zunächst auch tun, bevor Sie mit mir darüber sprechen, Ma’am. Es wäre doch höchst unfair, wenn ich über solch, wie Sie sagen, bedeutsame Dinge eher Bescheid wüsste als er.“
    [FONT=&amp]Catherine schmunzelte. Neugier schien keines ihrer Laster zu sein, ganz im Gegensatz zu Caroline, die längst gierig an ihren Lippen hängen würde.



    [/FONT] „Sie haben natürlich recht, Miss Moreau, dennoch bitte ich Sie, mir zuzuhören. Es wäre für uns alle sicher am besten so. Glauben Sie mir!“
    Was blieb ihr denn anderes übrig, als ihrer Bitte zu entsprechen. Und so hörte Celia ihr zu, ruhig und ohne Einwurf, auch wenn ihr, je länger Catherine sprach, immer schlechter wurde.
    Das waren in der Tat Umwälzungen ganz besonderer Art, die ihm da bevorstanden. Und sie würden ihm nicht gefallen, davon war sie sofort überzeugt. Dennoch würde er sich dem nicht entziehen können, egal wie sehr er sich dagegen sträubte. Und so langsam begann sie Catherines Bedenken zu verstehen. Jemand wie Caroline Vandermere würde in der Tat in diese Welt viel besser passen als sie selbst.
    „Verstehen Sie mich jetzt, Miss Moreau?“ fragte Catherine ohne jeden Hochmut in der Stimme. Und als Celia langsam und gequält nickte, sprang sie plötzlich auf. „Kommen Sie, Miss Moreau, ich möchte Ihnen etwas zeigen!“




    +++++++++
    und zu Teil 3


  • [FONT=&quot]Sie führte Celia eine große freischwingende Treppe hinauf in den ersten Stock, vorbei an einer Unmenge von Skulpturen, Gemälden und kostbaren antiken Schränkchen, die mit ebenso kostbaren Dingen beladen waren. Dann öffnete sie eine Tür und betrat einen schlauchartig angelegten Raum, der ganz offensichtlich nur einem einzigen Zweck diente, der Präsentation von Porträts. Von überall an den Wänden starrten ihr die Gesichter längst verstorbener Menschen entgegen, allesamt Blandforts wie Catherine ihr mit hörbarem Stolz verkündete. Während sie mit ihr die Galerie abschritt, vorbei an der Urgroßmutter Leandra, deren kluge Heirat die Familie vor dem finanziellen Ruin gerettet hatte, fühlte sich Celia immer unwohler. Wenn Nicks Mutter erreichen wollte, dass sie sich klein und unbedeutend vorkam, dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Soviel geballter Familiengeschichte vermochte sie kaum etwas entgegenzusetzen, nicht einmal Eltern konnte sie vorweisen.



    [/FONT] Schon war sie versucht, ihr das zu sagen und sich zu verabschieden, als ihr Blick plötzlich von einem Porträt ganz am Ende der Galerie angezogen wurde. Wie in Trance ging sie darauf zu, gefolgt von der erstaunten Catherine.
    Celia blieb neben dem Bild stehen, drehte sich um und fragte: „Wer ist das?“
    „DAS? Adrian Blandfort, Henry Blandforts Sohn, der letzte Viscount Landsdown. Er ist sehr jung gestorben, drüben in England. Und leider ohne Kinder, weshalb unser Familienzweig den Titel ja verloren hat. Daneben hängt seine Schwester, Lady Cassandra, von der wir anderen abstammen. Warum fragen Sie?“
    Celia überlegte. Konnte sie ihr das wirklich sagen? Es wäre garantiert ein Fehler, aber die Gelegenheit war einfach zu verlockend. Und die Enttäuschung, bei ihrer Suche noch keinen Schritt vorangekommen zu sein, ließ sie alle Vorsicht vergessen.
    [FONT=&quot]„Es klingt vermutlich verrückt,“ begann sie vorsichtig und Catherine hob auch prompt schon wieder die Augenbraue, „aber dieser Mann ist das Einzige aus meiner Vergangenheit, an das ich mich erinnere.“




    [/FONT] „Wie bitte?“ Catherine blieb regelrecht die Luft weg, was sollte diese Behauptung?
    „Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber ich weiß genau, ich fühle es tief in mir drin, ich kenne ihn!“ sagte Celia, während sie beinahe geistesabwesend auf das Bild sah. Seine grauen Augen blickten ernst, aber gütig auf sie herunter, berührten sie auf ganz besondere Weise. Ein vertrautes Gefühl von Wärme und Liebe verbunden mit abgrundtiefer Traurigkeit breitete sich in ihr aus. Nichts und niemandem fühlte sie sich derart verbunden, nicht einmal Nick, das wusste sie in diesem Moment genau.
    „Woher sollten Sie meinen Vorfahren kennen?“ verlangte Catherine verächtlich zu wissen. „Er ist seit über zweihundert Jahren tot, Sie könnten also höchstens dieses Bild kennen. Es gibt nämlich nur dieses eine Porträt von ihm, nicht einmal in Landsdown Hall befindet sich eines. Um es gesehen zu haben, müssten Sie also schon einmal hier gewesen sein, und das meine Liebe, wüsste ich!“
    [FONT=&quot]Catherine war ehrlich empört. Glaubte diese Frau tatsächlich, sie könnte sich ihr mit dieser Theatervorstellung anbiedern?




    [/FONT] „Ich war auch schon mal hier, Mrs Blandfort!“ gestand Celia und drehte sich zu ihr um. „Und das ist noch gar nicht lange her.“
    „Pardon, wie war das?“
    „Ich war schon mal hier,“ wiederholte Celia, die inzwischen eingesehen hatte, dass sie besser nichts gesagt hätte. Aber nun war es ohnehin zu spät. Also konnte sie ruhig weiterreden. „Ich war mit Nicolas hier, vor ein paar Tagen. Aber nicht im Haus, sondern auf dem kleinen Friedhof im Garten.“
    „Was wollten Sie denn da?“ Im Augenblick konnte sich Catherine nicht entscheiden, an wessen Verstand sie zweifeln sollte, an dem dieser Frau oder aber lieber an dem ihres Sohnes! Was hatte diese Fremde auf dem Familienfriedhof zu suchen.
    „Nicolas wollte mir ein Grab zeigen, das er auf einem meiner Bilder erkannt hatte, das ich nach dem Unfall gemalt habe.“ versuchte Celia zu erklären und zeigte auf das Porträt neben sich.
    „Sein Grab!“



    Catherine brachte kaum noch ein Wort heraus. Ihre Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Welche Verbindung sollte dieses wildfremde Mädchen mit ihrer Familie haben? So hatte sie das nun wirklich nicht geplant. Die Dinge hatten eine Wendung genommen, die sie nicht verstand, denen sie aber unbedingt auf den Grund gehen musste.
    [FONT=&quot]„Ich denke, wir sollten wieder nach unten gehen, bevor der Tee kalt wird und dann, Miss Moreau, sollten wir unsere Unterhaltung noch einmal von vorn beginnen. Mir scheint, wir haben uns noch sehr, sehr viel zu erzählen.“



    [/FONT] Nachdem Celia Moreau gegangen war, griff Catherine mit noch immer zitternden Fingern aber dennoch entschlossen nach dem Telefon.
    „Guten Tag, Mr Sanderson!“ meldete sie sich, nachdem am anderen Ende abgenommen wurde. „Hier ist Catherine Blandfort. .... Ja, danke, gut. Ich weiß, es ist etwas kurzfristig, und Sie haben sicher Ihre Verpflichtung, aber Sie würden uns, mir persönlich und auch Nicolas einen großen Gefallen tun, wenn Sie uns morgen bei unserer Dinnerparty die Ehre geben könnten.“
    Sie wartete einen Moment, während ihr Gesprächspartner nachzudenken schien.
    „Darf ich fragen, warum Sie auf meine Gesellschaft solchen Wert legen, nicht dass ich das nicht zu schätzen wüsste.“ Catherine verzog das Gesicht. Er konnte es sich einfach nicht verkneifen. Am liebsten würde sie sofort alles zurücknehmen, aber das ging nicht. Sie brauchte ihn.
    „Wir erwarten noch eine weitere Dame, und nun fehlt uns ein Tischherr.“
    „Die Dame heißt nicht zufällig Celia Moreau, oder Mrs Blandfort. Nein, schon gut“ wehrte er ab, bevor sie ihm entrüstet widersprechen konnte. „Es ist mir natürlich ein Vergnügen, Ihrer überaus liebenswürdigen Einladung Folge zu leisten!“




    +++

  • ***



    Celia war kaum aus Blandfort Manor zurückgekommen, hatte noch nicht einmal Gelegenheit, sich umzuziehen, da klingelte auch schon das Telefon und eine recht aufgeregte Arabella erkundigte sich danach, ob sie denn inzwischen fündig geworden sei. Du liebe Güte, das Abendkleid! Das hätte sie doch beinahe vergessen, so aufgewühlt wie sie noch immer war. Leider, so musste sie Nicks kleiner Schwester gestehen, war ihr Schrank mit einer Unzahl von Kleidungsstücken gefüllt, nur ein Abendkleid, das auch nur annähernd Catherines Ansprüchen genügen würde, war natürlich nicht dabei.
    „Dann hab ich die perfekte Idee!“ hatte Bella vergnügt ins Telefon gequietscht. „Komm in die Stadt, Jefferson Boulevard 379, ich warte dort auf dich! Nick hat mir Ausgang gegeben.“ Mehr hatte sie nicht gesagt und aufgelegt. Celia, die sowieso keine bessere Idee hatte, woher sie auf die Schnelle ein Abendkleid nehmen sollte, rief sich das nächste Taxi und fuhr los.
    [FONT=&quot]Und hier waren sie nun, im vermutlich teuersten Salon der ganzen Stadt. Aber Bella schien das nicht zu beeindrucken. Zielsicher ging sie auf die Empfangsdame zu und verlangte die Eigentümerin zu sprechen.



    [/FONT] „Meinst du denn wirklich, das klappt auf die Schnelle?“ fragte Celia, als sie mit Bella auf dem Sofa Platz nahm, während die überaus entgegenkommende Empfangsdame die Eigentümerin verständigte.
    „Na klar, warum denn nicht?“ lachte Bella, die immer noch ganz stolz auf ihre Idee war. „Das ist Mum’s Lieblingsschuppen, hier schleppt sie mich immer hin, wenn es mal wieder solche todlangweiligen Veranstaltungen wie morgen gibt. Man kann ja schließlich nicht zweimal das gleiche Kleid tragen. Also wenn du hier nichts findest, das sie zufrieden stellt, dann nirgendwo, glaub mir! Und du hast doch gesagt, dass es nicht am Geld liegt.“
    „Nein, dafür reicht’s gerade noch!“ murmelte Celia und tastete im Stillen nach dem kleinen Plastikkärtchen in ihrer Tasche, das Mara ihr nach der letzten Diskussion um Geld vor ein paar Tagen mit einem Naserümpfen in die Hand gedrückt hatte und sich als großzügige Kreditkarte herausgestellt hatte. „Trotzdem, hier gibt’s doch bestimmt nur Maßanfertigungen, oder?“
    „Ja und?“
    „Was mach ich, wenn mir nichts passt?“ Bella setzte eine erstaunte Miene auf, als würde sie scherzen.
    [FONT=&quot]„Du mit deiner Figur? Und selbst wenn, wo ist das Problem? Wenn’s nicht passt, wird es geändert. Das machen die hier über Nacht, falls nötig!“



    [/FONT] „Ah, da ist sie ja schon! Komm!“ Bella sprang auf und zog Celia energisch mit sich hinüber zu der Frau, die gerade den Raum betreten hatte.
    „Hallo Gwendolynne!“
    „Miss Blandfort!“ grüßte die Dame freundlich zurück. „Sie hätten sich nicht extra herbemühen müssen. Wir haben ihr Kleid gerade verpackt. Es wäre noch heute Abend ausgeliefert worden.“
    „Fein, dann kann ich es ja nachher gleich mitnehmen. Aber deshalb bin ich nicht hier, Gwen. Sondern ihretwegen!“ Sie zeigte auf Celia, die leicht verunsichert hinter ihr stand. „Meine Freundin braucht ganz dringend für morgen ein Abendkleid!“
    Die Frau musterte sie interessiert und wie es Celia schien, auch ein wenig taxierend, bevor sie nickte.
    „Da ließe sich bestimmt etwas passendes finden.“ erklärte sie und drehte sich um. „Bitte, folgen Sie mir meine Damen!“



    Sie führte die beiden in den angrenzenden Raum, wo Celia sich ein paar Mal um ihre eigene Achse drehen musste, während Gwens kritisches Auge ihre Proportionen abschätzte. Anschließend bat sie die Mädchen, in den Sesseln vor dem Laufsteg Platz zu nehmen.
    „Bevorzugen Sie denn bestimmte Farben, Miss oder Schnitte?“ wandte sie sich an Celia, als sie sich neben sie setzte.
    Tat sie das? Celia schluckte. Eine wirklich gute Frage, die sie beim besten Willen nicht beantworten konnte. Also schüttelte sie lediglich den Kopf und erwiderte diplomatisch: „Ich bin eigentlich offen für alles und verlasse mich ganz auf ihr Urteil.“
    [FONT=&quot]Sollte Gwendolynne das erstaunen, dann zeigte sie es nicht. Sie nickte lediglich, winkte ihrer Assistentin und nannte ihr ein paar Nummern, wobei sie hin und wieder einen kurzen Blick auf Celia warf, als wolle sie sich vergewissern, die richtige Auswahl getroffen zu haben.
    [/FONT]

    In der folgenden Stunde führte Gwendolynne ihnen eine Reihe ihrer, wie sie sagte, exklusivsten Kreationen vor. Während die beiden Models abwechselnd die Abendkleider präsentierten, hielt die Designerin einen kleinen Vortrag über Material, Schnitt und Trageeigenschaften und wurde nur ab und zu unterbrochen, wenn Bella sich zu Celia nach hinten beugte, sie frech angrinste und ihr dann solche Dinge zuflüsterte, wie: „Was meinst du, was Nick für Augen macht, wenn er dich in dem Fummel sieht.“ Oder: „Bei dem würde Caroline mit Sicherheit einen Schlaganfall bekommen.“ Die ganze Sache schien ihr nicht nur ungeheuren Spaß zu machen, nein es war nicht zu übersehen, dass die gute Miss Vandermere ganz und gar nicht in ihrer Gunst stand. Ganz im Gegenteil zu Celia, die ihr Herz offenbar im Sturm erobert hatte.
    [FONT=&quot]Und tatsächlich ertappte Celia sich selber immer wieder bei dem selben Gedanken. Wie würde Nick wohl reagieren? Und konnte sie wirklich mit jemandem wie Caroline Vandermere konkurieren?
    Aber etwas anderes bedrückte sie weit mehr. Dass sie Bella nicht sagen konnte, was Catherine ihr vor wenigen Stunden anvertraut hatte. Es kam ihr beinahe wie Verrat vor, denn immerhin würde sich ihr Leben von Grund auf ändern, und sie wusste noch nicht einmal etwas davon.


    [/FONT] Am Ende blieben die beiden Models in ihren letzten Kleidern auf dem Laufsteg stehen und Gwendolynne erhob sich.
    „Nun?“ fragte sie gespannt. „Hat Ihnen etwas gefallen?“
    „Alle!“ erwiderte Celia spontan und entlockte der Designerin damit ein erfreutes Lächeln. „Sie waren alle so schön, ich kann mich einfach nicht entscheiden, welchem ich den Vorzug geben sollte.“
    „Dann wäre es vielleicht das Beste, Sie probieren sie der Reihe nach an.“ schlug Gwen vor und Bella nickte sofort heftig.
    „Oh ja, das machen wir. Ich bin echt gespannt, wie dir die Sachen stehen!“
    Bei so viel Eifer konnte Celia nur noch eins tun, zustimmen.
    Später, als sie tatsächlich jedes einzelne der vorgeführten Modelle anprobiert und Bellas kritischem Blick vorgeführt hatte, standen sie beide im Umkleideraum, und Celia rückte ihr T-Shirt unter der Jacke zurecht.
    „Danke, Bella!“ sagte sie leise und ohne sich zu dem Mädchen umzudrehen. „Ich weiß gar nicht, warum du das für mich tust, aber ich bin dir wirklich dankbar.“




    +


  • „Och, das musst du nicht!“ wehrte Bella großzügig ab und strahlte doch übers ganze Gesicht. „Ich mag dich eben! Und Nick ist verrückt nach dir!“
    „Soso, ist er das?“ Celia schmunzelte zwar, wartete aber trotzdem gespannt auf die Antwort.
    [FONT=&quot]„Na klar!“ bestätigte Bella auch sofort. „Das sieht doch ein Blinder mit 'nem Krückstock. Außerdem bin ich es, die dankbar sein muss. Caroline ...“ sie brach ab, als müsse erst darüber nachdenken, ob sie das Celia wirklich erzählen sollte. „Caroline würde mir Nick wegnehmen. Sie mag keine Kinder!“ Ihr verzogenes Gesicht und ihr Ton machten beide deutlich, wie wenig sie sich für ein Kind hielt. „Aber bei dir ist das anders, denke ich. Du bist... einfach nett. Und Nick ist viel lockerer, seit er dich kennt, ehrlich!“ Sie kam ganz nah an Celia heran und flüsterte ihr ins Ohr: „Stell dir mal vor, neulich hat er sogar unter der Dusche gesungen. Du hättest mal Mum’s Gesicht sehen sollen. Er kann nämlich nicht einen Ton halten.“ Ungehemmt prustete sie los und auch Celia konnte sich des Lachens nicht erwehren. Nicolas, singend unter der Dusche und Catherine Blandfort mit schmerzhaft verzogenen Gesichtszügen vor der Tür, das war einfach zu köstlich.



    [/FONT] Aber Bella war noch längst nicht fertig mit ihrer Hilfsaktion.
    „Was nützt der schönste Fummel ohne die richtige Frisur.“ verkündete sie. „Glücklichweise kriegt man bei Gwendolynne beides!“ Und schon schleppte sie Celia nach nebenan und stellte ihr Ariel vor, die Friseurmeisterin, deren Haarfarbe Celia auf den ersten Blick zumindest ungewöhnlich erschien.
    Ihre Skepsis musste deutlich in ihrem Gesicht zu lesen sein, denn Bella versicherte ihr sofort, dass Ariel ihr Handwerk wirklich verstand.
    „Du wirst sehen, sie zaubert dir eine Frisur, dass Nick der Mund offen stehen bleibt. Und sie nimmt auch nicht jeden Kunden, nicht wahr, Ariel.“
    Die junge Frau nickte.
    „Nun komm schon Celia. Lass uns Caroline aus dem Feld schlagen!“ bat Arabella eifrig und Celia seufzte ergeben.
    [FONT=&quot]„Na ja, viel verderben kann man bei meinen Haaren sowieso nicht mehr. Die kann man höchstens noch ganz abschneiden.“



    [/FONT] „Aber, aber. Wer wird denn da so pessimistisch sein?“ fragte Ariel lächelnd, als sie sich zu Celia herunterbeugte, um ihr Haar zu untersuchen. „Ich kenne eine Menge Frauen, die würden alles dafür geben, solche Haare zu haben, wie Sie, Miss. Voll und seidig, kein Anzeichen für Spliss, völlig gesund...“
    „....und fransig, als hätte ich sie mit dem Messer abgeschnitten.“ beendete Celia ihren Satz.
    Ariel zog nur kurz die linke Braue nach oben, bevor sie Bella fragte, welches Modell ihre Freundin tragen würde.
    „Die 25“ antwortete Bella.
    [FONT=&quot]„Oh, das Traumkleid“ Ariel nickte zustimmend. „Ja, das passt zu Ihnen. Und ich hätte da schon eine Idee. Wenn Sie mir erlauben, Sie ein klein wenig zu verändern....“



    [/FONT] Was blieb Celia denn anderes übrig? Entweder ganz oder gar nicht. Sie wusste, es war im Grunde lächerlich. Doch, von Bellas liebenswürdigem Bemühen, ihr zu helfen mal abgesehen, wuchs in Celia selbst der Wunsch, Catherine Blandfort zu beweisen, dass man sich ihrer nicht schämen musste, auch und vor allem wegen dem, was Catherine ihr heute Nachmittag beim Tee erzählt hatte.
    [FONT=&quot]Und so ließ sie Ariel freie Hand, während Bella es sich im Hintergrund mit einem Buch gemütlich machte und nur hier und da einen kurzen Blick auf sie riskierte. Ihr Termin war ja erst morgen.



    [/FONT] Spät am Abend stand Nicolas draußen am Pool und wählte die Nummer seines besten Freundes.
    Soeben hatte er in seinem Schlafzimmer ein höchst unangenehmes Gespräch mit seiner Mutter hinter sich gebracht, und der Schock saß ihm noch in allen Gliedern. Wie konnte sie das tun? Es die ganze Zeit wissen, und ihn im Unklaren lassen. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, was das für ihn bedeutete?
    Natürlich hatte sie das, sonst hätte sie ja nicht so lange geschwiegen. Sie wollte ihn nicht belasten, ihn verschonen, solange es irgend ging. Ha, warum musste sie nur immer so .... recht haben!
    [FONT=&quot]Und gerade als er wütend sein T-Shirt auf das Bett warf und mit Schwung die Tür hinter sich zuknallen wollte, da war sie an ihm vorbeigegangen, hatte gemeint, er solle sich erst einmal beruhigen und sie habe übrigens seiner Freundin (ein Wort, das ihr sichtlich schwer über die Lippen kam) einen Tischherrn besorgt, der ihm wohl auch genehm wäre.
    „Immerhin kannst du Caroline nicht so einfach vor den Kopf stoßen!“ äffte er sie in Gedanken nach.



    [/FONT] „Nick?“ Sein Freund gähnte am anderen Ende und Nick merkte erst jetzt, wie spät es wirklich war. „Was gibt’s denn?“
    „Ich wollte dir nur danken, dass du ja gesagt hast.“
    „Hä, was? Ach so, du meinst wegen morgen. Nicht der Rede wert. Kann dich doch nicht hängen lassen.“
    „Danke trotzdem.“ Nick holte tief Luft und schwieg. So lange, das Justin misstrauisch wurde.
    „Nick, was ist los?“ Aber er schwieg immer noch. "Also wenn du jetzt nicht gleich mit der Sprache rausrückst, komm ich rüber, und dann werd ich echt sauer!" drohte Justin. Mit Erfolg.
    „Meine Mutter will umziehen, mit Bella, ganz.“
    „Zu dir?“
    „Nein, nach England!“



    +++

  • ***



    Am nächsten Abend. Die Stimmung im Hause Blandfort war auf dem Nullpunkt angekommen. Bella, die inzwischen eingeweiht worden war, hatte sich nach einem ausgewachsenen Schreikrampf den ganzen Tag in ihrem Zimmer verkrochen und von dort aus missmutig die Vorbereitungen für den Tanz unterm Sternenhimmel nach dem Essen mit angesehen. Von Nick war weit und breit keine Spur. Erst durch Lucy, die zur Hilfe herübergekommen war, erfuhr sie, dass er den ganzen Tag in der Klinik gewesen war.
    Konfliktvermeidung durch „Mutter aus dem Weg gehen“, nannte er das. Trotzdem half es alles nichts. Unerbittlich rückten die Zeiger der Uhr vor und sie mussten zu dieser verfluchten Party.



    „Du wolltest mich sprechen, Mamà?“ Eingezwängt in Gwens neue Kreation, betrat Bella mit einer Bitterleidensmiene das Schlafzimmer ihrer Mutter und fand sie ebenfalls fertig vor dem Spiegel. „Wolltest du nicht ein anderes Kleid tragen?“ fragte sie verwundert. Catherine nickte.
    „Wollte ich. Aber das rote wäre heute Abend unpassend.“
    „Wieso das denn? Ich denke, du magst das rote?“
    „Ja, natürlich, dennoch geht es nicht anders. Immerhin haben wir einen Trauerfall in der Familie.“
    „Familie? Ha, über wie viel Ecken?“ schnaubte das Mädchen. „Sollen wir jetzt vielleicht auch noch Schwarz tragen?“
    Catherine beachtete es nicht. „Offiziell müssten wir sogar die ganze Gesellschaft absagen.“ belehrte sie stattdessen ihre Tochter, die sofort ein begeistertes Gesicht zog.
    „Nichts dagegen! Kann ich mich wieder umziehen?“
    „Arabella Frances!“ rief Catherine sie streng zur Ordnung. „Darüber reißt man keine Witze.“
    [FONT=&quot]„Nein!“ maulte Bella. „Darüber singt man Trauerlieder!“ Gefasst auf einen neuen Rüffel zog sie sofort den Kopf ein, doch diesmal beließ es die Mutter mit einem missbilligenden Blick.



    [/FONT] „Wieso müssen wir eigentlich?“ fragte sie nach einer kleinen Weile und Catherine wusste sofort, dass ihre Tochter nicht von der Party sprach. Na wenigstens redet sie überhaupt wieder mit mir, dachte Catherine. „Kannst du denn nicht einfach ‚Nein’ sagen, Mum?“
    „Das ist nicht so einfach, Liebling.“ Ihre Stimme wurde ganz weich, bat um Verständnis.. „Sieh mal, Bella, es geht doch nicht einfach nur darum, dass ich einen Titel, ein bisschen Geld und ein paar Juwelen von diesem Mann geerbt habe. Da sind die Güter, die zwei Industriegesellschaften, die ihren Hauptsitz nun mal beide in England haben, ganz zu schweigen von den Häusern. Da dreht es sich nicht nur um Geld, sondern um die Menschen, die dort leben und arbeiten. Ich bin jetzt für sie verantwortlich, genauso wie Nicolas es sein wird, wenn der Titel nach meinem Tod an ihn übergeht. Von Amerika aus kann ich das alles nicht managen, jedenfalls nicht in der ersten Zeit, wenn sich alle erst an die neue Situation gewöhnen müssen. Ich bin schon froh, dass ich nicht auch noch seinen Parlamentssitz geerbt hab. Vor ein paar Jahren wär’ das noch so gewesen.“
    „Parlament?“
    [FONT=&quot]„Oberhaus, Liebling!“ Bella verstand kein Wort und ihre Mutter lächelte nur, verkniff sich aber jeden Kommentar über ihr Schulwissen.



    [/FONT] Sie wandte sich um und ging zur Kommode an der gegenüberliegenden Wand. Bella folgte ihr mit den Augen.
    „Wenn du unbedingt nach England musst, warum kann ich dann nicht hier bleiben, bei Nick, oder willst du den auch mitschleifen?“ Catherine zuckte zusammen, und Arabella entschuldigte sich sofort.
    „Ich habe dich nicht allein zu ihm gelassen, als nur ein paar Straßen zwischen uns lagen, denkst du, ich ändere meine Meinung bei einem ganzen Ozean?“
    „Aber...!“
    „Bella, Nicolas ist Arzt. Seine Arbeitszeiten sind gelinde gesagt unregelmäßig. Er kann sich nicht um dich kümmern. Wie könnte ich als deine Mutter dich guten Gewissens hier mit ihm allein lassen, sag mir das?“
    „Aber hier sind alle meine Freunde!“ protestierte Bella noch einmal heftig, wohl wissend, dass es sowieso keinen Sinn machte.
    [FONT=&quot]„Du wirst in England neue finden!“ versicherte ihre Mutter denn auch schon, holte etwas aus ihrer Schatulle und schloss die Kommode wieder.



    [/FONT] Sie zog das widerstrebende Mädchen zum Spiegel und befestigte vorsichtig zwei Ohrgehänge an ihren Ohren.
    „Mum?“ flüsterte Bella ergriffen. „Die sind doch von deiner Mutter!“
    „Und die hatte sie von ihrer, die sie von ihrer Schwiegermutter bekommen hat usw. Sie stammen noch aus Cressidas Privatbesitz, deshalb gingen sie nicht an die Familie nach England zurück. Ich glaube, du bist jetzt alt genug, um sie zu tragen. Tu es mit Stolz, Lady Arabella Blandfort!“
    „An die Lady werd' ich mich nie gewöhnen, fürchte ich!“ seufzte Bella, während sie noch immer ehrfürchtig die filigranen Ohrringe anstarrte, deren kleine blitzende Diamanten mit dem matten Glanz der Perlen ihrer Mutter wetteiferten. Schon als kleines Kind hatte sie die bewundert.
    „Warten wir es ab, mein Kind!“ antwortete Catherine, während sie voller Stolz das Bild ihrer Tochter im Spiegel betrachtete. „Warten wir’s ab!“
    „Und jetzt werde ich sehen, wo dein Bruder bleibt.“
    [FONT=&quot]„Oh, oh!“ murmelte Bella leise vor sich hin. „Ärger im Anmarsch.“



    [/FONT] Sie ging hinüber zu seinem Schlafzimmer, klopfte und betrat den Raum. Keine Spur von ihm. Aber aus dem Badezimmer hörte sie das Wasser rauschen.
    Sie blieb vor der Tür stehen und rief seinen Namen.
    „Nicolas?“ Keine Antwort. Auch das Wasser verstummte. „Nicolas bitte, es wird Zeit, die Vandermeres werden bald eintreffen, ich kann sie doch nicht allein empfangen.“
    „Wieso nicht?“ kam es schnippisch aus dem Bad. „Und wenn du schon dabei bist, kannst du deine Party dann auch gleich allein weiterfeiern. Statistenrollen kann man ja leicht umbesetzen. Oder besser noch, streichen!“
    „Du redest Unsinn, Nicolas.“ schalt Catherine leicht genervt. „Und jetzt komm endlich raus, oder willst du dich den ganzen Abend hier verstecken?“
    „Wenn’s nach mir geht, ja!“
    [FONT=&quot]„Nicolas!“ Catherine stampfte mit dem Fuß auf, als sie wieder keine Antwort bekam. „Nicolas!“



    [/FONT] „Also das reicht mir jetzt!“ Entschlossen riss sie die Tür auf. „Du benimmst dich wie ein bockiges kleines Kind, Nicolas, und nicht wie ein erwachsener Mann!“
    „Wann ist dir denn aufgefallen, dass ich erwachsen bin, bevor oder nachdem du dich entschieden hast, mein Leben auf den Kopf zu stellen und mir nichts davon zu sagen?“
    Er stand ihr genau gegenüber, die Haare noch leicht feucht, neben sich das Rasierzeug. Doch er schenkte ihr nicht einmal einen Blick durch den Spiegel.
    „Ich hab’s dir doch gesagt“ erwiderte Catherine, die sich zum ersten Mal gezwungen sah, ihre Handlungsweise gegenüber ihren Kindern zu rechtfertigen. „Außerdem wurde doch nicht DEIN Leben auf den Kopf gestellt.“
    „Ach nein?“ Er knallte den Rasierer mit solcher Wucht auf die Marmorplatte, dass er zerbrach. „Wie verdammt noch mal würdest du das denn sonst nennen, wenn du einfach mit allem verschwindest, was nach Dad’s Tod von meiner Familie übrig ist, und ich nicht mal gefragt werde?“
    [FONT=&quot]„England ist schließlich nicht aus der Welt. Nicolas, bitte!“ machte sie einen neuen Versuch, das unerfreuliche Thema zu beenden. „Dies ist nicht die Zeit für Diskussionen über die Zukunft. Darüber können wir morgen immer noch reden. Jetzt haben wir eine Verpflichtung.“



    [/FONT] „Du wolltest wohl sagen, DU hast eine Verpflichtung. Hast du es so eilig, vor den anderen anzugeben?“
    Catherine zuckte zusammen, schon zum zweitenmal heute Abend. „Du bist ungerecht.“ sagte sie leise.
    Er drehte sich um und griff nach dem Handtuch. „Mag sein, Mutter, das muss ich dann wohl von dir haben. Und jetzt, falls du wirklich Wert auf meine Anwesenheit legst, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mich allein lassen könntest. Andernfalls schaffe ich es vermutlich nicht mehr rechtzeitig in meinen Anzug.“
    Catherine stand noch zwei Minuten stumm in der Tür und beobachtete ihn, wie er sich das Gesicht trocknete, die Haare kämmte, seine Sachen wegräumte. Wortlos, als wäre sie gar nicht da. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, warf Nicolas in einem Anfall von wütender Verzweiflung die Haarbürste gegen die Wand.
    Ja, nach diesem Tag versprach der Abend das reinste Vergnügen zu werden.



    +


  • Ein paar Minuten später kam er immer noch missmutig aus dem Badezimmer. Zwar rührte ein gehöriger Teil seiner schlechten Stimmung von seiner Mutter und deren Eröffnung her, aber weitaus wütender war er auf sich selbst, weil er sich hatte gehen lassen. Er hätte Justins Angebot annehmen und heute früh mit ihm frühstücken sollen, um sich auszusprechen. Aber er war der Meinung, dass sein Freund heute Abend schon genügend leiden würde. Also hatte er stattdessen den ganzen Tag in der Klinik Patienten und Kollegen angebrummt, bis alle, die es konnten, sich möglichst weit von ihm fern hielten.
    „Hallo Bruderherz!“ begrüßte ihn Bella mit einem halbherzigen Lächeln, als sie seine grimmige Miene sah.
    „Was machst du denn hier?“ verlangte er zu wissen. „Ist mein Schlafzimmer, falls du das schon wieder vergessen hast!“
    [FONT=&amp]„Nein, hab ich nicht, ich dachte nur, na ja, ich .....“ stotterte sie und beschloss, doch lieber den Mund zu halten.



    [/FONT] Himmel, so angespannt hatte sie Nick noch nie gesehen. Er war erschreckend bleich, hatte tiefe Schatten unter den Augen und schaffte es nicht einmal mehr, sein berühmtes schiefes Lächeln aufzusetzen. Zeit, etwas zu unternehmen!
    „Mach’s dir gar nicht erst gemütlich“ warnte er seine Schwester, als er sah, dass sie auf sein Bett geklettert war. „Ich muss mich jetzt anziehen.“
    „Kannst du doch! Ich werd dich bestimmt nicht aufhalten.“
    „Bella!“
    „Was denn?“ fragte sie unschuldig. „Du willst dich ja nicht ausziehen, oder?“
    Nicolas stöhnte und ergab sich. Es hatte sowieso keinen Zweck. Fluchend holte er seinen Anzug aus dem Schrank und warf ihn in hohem Bogen auf den Schreibtischstuhl.



    „Und ich dachte schon, ich sei schlecht gelaunt.“ stichelte Bella und prompt kam Nicks Schuh angeflogen, der ihren Kopf nur knapp verfehlte und stattdessen eine der Lampen vom Nachttisch fegte. Aber der Teenager kicherte nur weiter.
    „Sag mal, Nick, muss ich dich jetzt eigentlich mit Mylord ansprechen?“ erkundigte sie sich nach einer Weile spöttisch, während sie ihm beim Anziehen zusah, griff aber vorsichtshalber gleich nach einem der Kissen, um dahinter in Deckung zu gehen. Aber diesmal flog ihr nichts um die Ohren. Stattdessen kam Nick selber, der sich gerade die Krawatte festgezogen und die Weste geschlossen hatte, und warf sich neben ihr aufs Bett.
    „Nur wenn ich dich Mylady nennen soll!“ Und da war es wieder, das schiefe Grinsen. Na also. Zufrieden lehnte sich Bella zurück.
    „Also rein theoretisch müsstest du das. Ich hab nachgesehen, weil Mum jetzt eine Countess ist, sind wir als ihre Kinder automatisch Lord und Lady. Ist doch irgendwie .... krass, nicht wahr?“
    [FONT=&amp]Nicolas lächelte schwach und nickte. „Voll krass, wirklich!“



    [/FONT] Dann wurde sie auf einmal wieder ernst und drehte sich weg.
    „Nick?“
    „Ja?“
    „Du wirst mir fehlen.“ sagte Bella unvermittelt und leise, ohne ihn anzusehen. Aber Nick spürte auch so, dass ihr jeden Moment die Tränen in die Augen treten würden. Und wenn er auch die halbe Nacht und den ganzen Tag darüber gegrübelt hatte, ob es wohl richtig sei, jetzt stand sein Entschluss fest.
    „Keine Angst, Kleines, ich lass dich nicht allein.“ Bellas Kopf fuhr nach oben.
    „Was?“
    „Ich komme mit.“ sagte er sanft und strich ihr mit dem Handrücken vorsichtig über die Haare. „Wir sind doch eine Familie, oder?“
    „Aber, .... aber das Krankenhaus, deine Arbeit. Du ....“
    [FONT=&amp]„Das ist doch nur ein Job. Das Krankenhaus findet schnell einen Ersatz. Und in England brauchen sie Ärzte genauso wie hier.“ Es fiel ihm keinesfalls so leicht, wie er sie glauben machen wollte, aber Bella war kein Dummkopf, sie wusste genau, was ihn das kostete und dass er es nur ihretwegen tat.



    [/FONT] Überglücklich und dankbar schmiegte sie ihre Wange in seine Hand und blieb eine Weile still liegen, bis ihr wieder etwas einfiel.
    „Und Celia?“
    Wie machte sie das nur? Immer den Nagel auf den Kopf zu treffen? Celia! Sie war der wundeste Punkt in dieser Sache.
    „Ich werde mit ihr reden.“ antwortete er mit einem neuen Seufzer. „Aber sie wird es bestimmt verstehen. Gerade weil sie sich an ihre eigene Familie nicht erinnern kann.“ Wen versuchte er da gerade zu überzeugen, Bella oder gar sich selbst? Wenn ja, dann war er nicht besonders erfolgreich!
    „Ich mag sie sehr, weißt du, Nick. Viel lieber als Caroline.“ gestand ihm seine Schwester beinahe geknickt, als wäre es ihm gegenüber unfair. Aber er zwinkerte ihr nur verschwörerisch zu.
    „Ich auch! Wir können sie ja gemeinsam überreden, mit uns umzuziehen. Zusammen schaffen wir es vielleicht.“
    [FONT=&amp]Bella stimmte ihm begeistert zu.



    [/FONT] „Ich bin schon ganz gespannt, was du für Augen machst, wenn sie nachher kommt.“ Erstaunt sah Nick sie an.
    „Wieso das denn?“ Ihr glücklich überlegenes Lächeln war mehr als nur verdächtig. „Bella?“ fragte er gedehnt. „Was habt ihr angestellt?“
    „Wir waren gestern zusammen einkaufen und beim Friseur. Jemand musste sich ja um sie kümmern!“
    „Und das warst ausgerechnet du? Du bist doch mit ihr nicht etwa bei Miss Blauhaar gewesen?“
    „Oh doch, bei Ariel. Ich weiß gar nicht, was du immer hast.“ schimpfte Bella in gespielt beleidigtem Ton. „Meine Haare hat sie doch gut hinbekommen, oder etwa nicht?“
    „Ja, man kann die falschen Strähnen nicht von den echten unterscheiden.“ Bewundert strich er über die lose herabhängenden Strähnen, die Ariel in der kunstvollen Steckfrisur befestigt hatte. „Warum lässt du dir die Haare nicht einfach länger wachsen?“
    [FONT=&amp]„Wieso? Ist doch so viel praktischer. Und außerdem will ich keine dieser Cheerleader-Schönheiten werden.“



    [/FONT] Dann winkte sie wieder ab. „Aber dazu hab ich ja eh keine Gelegenheit mehr.“
    Nick wurde einer Antwort enthoben, denn die Tür flog auf und ihre Mutter kam herein. Sie stutzte und betrachtete mit einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen ihre Kinder auf dem Bett.
    „Sagt mal, seh ich nicht richtig?“ fragte sie und kam näher. „Draußen fährt die erste Limousine vor, und ihr liegt hier in aller Ruhe auf dem Bett?“
    „Wir hatten ein paar Dinge zu besprechen!“ informierte sie Nick ungewöhnlich kalt.
    „Das hätte doch sicher auch bis morgen warten können.“
    „Nein, das hätten sie nicht!“ Dann stupste er seine kleine Schwester an und schwang selber die Beine über die Bettkante. „Nützt ja alles nichts!“




    +


  • Nachdem Nicolas rechts und links von Mutter und Schwester flankiert mit gewzungen wirkendem Lächeln die Vandermeres begrüßt hatte, verspürte er nur wenig später eine tiefe Erleichterung, als er Justin aus seinem Sportwagen steigen sah.
    „Toller Schlitten!“ gratulierte er ihm. „Seit wann hast denn den?“ Sein Freund grinste.
    „Seit fast genau 48 Stunden. Allerdings passt mein derzeitiges Outfit nicht so ganz dazu.“ Er zeigte mit einer amüsiert schwungvollen Handbewegung an sich herunter und Nick verzog den Mund.
    „Ich weiß, es tut mir leid, dass ich dir das antun muss.“
    „Ach, DU tust es doch gar nicht. Es war deine Mutter, die mich eingeladen hat, und ich muss mich gleich noch mal bei ihr bedanken.“
    Nick riss die Augen auf.
    „Was?“
    „Na hör mal! Ohne ihre tolle Idee würde ich doch die Frau nicht kennen lernen, die es geschafft hat, dich aus deinem Schneckenhaus zu holen. Das ist jede langweilige Gesellschaftsparty wert!“



    „Aber jetzt mal was anderes!“ Justin wurde wieder ernst. „Was war das jetzt gestern mit dem Umzug nach England? Wieso so plötzlich?“
    „Du erinnerst dich, was ich dir über meine Familie erzählt hab?“ Justin nickte. „Der andere Zweig, der in England, der alte Graf ist gestorben, und meine Mutter ist die einzige in Frage kommende Erbin. Seit drei Tagen ist sie Countess of Carver und Viscountess Landsdown. Auf sie warten zwei riesige alte Schlösser in Sussex und Derbyshire samt zugehöriger Güter, ein Stadtpalais in London und zwei große Firmen. Und wie sie sagt, wird ihre Anwesenheit dort gebraucht. Das muss ich so hinnehmen. Aber...“
    „Aber was?“
    „Ich werde mitgehen, JD. Nicht wegen Mum, sondern wegen Bella. Sie braucht mich. Ich kann sie nicht im Stich lassen.“
    „Dich braucht immer jemand, Nick. Das war immer so und wird immer so sein. Tu es nicht aus Pflichtgefühl. Das macht keinen glücklich. Und dich am allerwenigsten. Weiß sie es schon?“
    [FONT=&quot]Nick schüttelte den Kopf.



    [/FONT] „JD!“ Eine glockenhelle Stimme ließ die beiden Männer herum fahren. Bella kam gerade aus dem Haus gelaufen, blieb auf dem Absatz stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Nick, du Schuft, du hast kein Wort darüber verloren, dass JD heute Abend auch kommt.“
    [FONT=&quot]„Und wenn, Prinzessin? Hättest du dann auf deine Verabredung verzichtet und stattdessen die ganze Nacht mit mir getanzt?“ fragte Justin lachend und schloss die kleine Schwester seines Freundes in die Arme. Er kannte sie schon seit sie ein kleines Mädchen war, faxte mit ihr herum, wann immer sie sich trafen und half ihr, wenn sie Schwierigkeiten hatte und Nick gerade nicht greifbar war. Es hatte sich einfach so ergeben und es blieb so, selbst wenn er aufgrund seiner vielen Reisen in den letzten Monaten nicht mehr ganz so viel Zeit aufbringen konnte.
    "Verzeih ihm, er hat es selber erst gestern erfahren. Für mein Erscheinen ist deine Mutter verantwortlich."
    "Mum?" Bella riss die Augen auf. "Du machst Witze?"
    "Nein, mach ich nicht."



    [/FONT] Sie schüttelte den Kopf, murmelte etwas von "Versteh ich nicht" löste sich aus seiner Umarmung, ging zwei Schritte zurück und drehte sich vor ihm. „Und?“
    „Was und?“ stellte er sich dumm.
    „Wie seh ich aus?“
    „Hmmm?“ Er tat, als müsste er erst darüber nachdenken. „Also ich weiß nicht, das Kleid, na ja, und die Frisur, oookeeeey?“
    „JD!“ kreischte Bella und knuffte ihn in die Seite.
    „Aua, aua!“ jammerte er scherzhaft und hob die Hände. „Ist ja gut, ich ergebe mich. Du siehst zauberhaft aus, Prinzessin! Nick ich fürchte, du musst dir jetzt dringend eine Flinte anschaffen, anders wirst du die Verehrer nicht mehr von deiner Haustür vertreiben!“
    Bella tat zwar, als wäre sie entrüstet, aber der rosige Schimmer, der sich plötzlich über ihre Wangen ergoss, sprach Bände.
    [FONT=&quot]„Sag mal, Nick, ist das nicht die Limousine deiner Mutter, die da gerade vorgefahren ist?“ erkundigte sich Justin und zeigte Richtung Straße. Amüsiert bemerkte er, dass Nicks Wangen auf einmal die gleiche Farbe annahmen, wie die seiner Schwester.



    [/FONT] Wenn er sich noch im Unklaren gewesen wäre, wie sehr es seinen Freund wirklich erwischt hatte, dann wurde die jetzt augenblicklich beseitigt, als er ihn auf die junge Frau zu gehen sah, die aus der Limousine gestiegen war und nun unschlüssig am Brunnen wartete. Statt sie zu begrüßen, starrte Nick sie jedoch einfach nur an.
    „Ich hab ihm ja gesagt, ihm würde der Mund offen stehen bleiben!“ flüsterte Bella, die ihm mit JD vorsichtig gefolgt war.
    „Das ist also die geheimnisvolle Celia.“ konstatierte JD und lugte weiter über die Schulter seines Freundes.
    „Ja, das ist sie!“ hauchte Nick fast schon ehrfürchtig und die Frau wandte den Kopf in seine Richtung.





    +++


  • [FONT=&quot]Arabella hatte gar nicht so unrecht, mit dem, was sie JD gerade ins Ohr geflüstert hatte. Ihr Bruder war sprachlos. Alles, was er tun konnte, war, langsam, wie in Zeitlupe auf sie zuzugehen und sie dabei anzustarren. Er war kein großer Freund von Hairstylisten, und als er Arabella auf deren dringlichen Wunsch hin, das erste Mal zu Ariel begleitet hatte, war er stehenden Fußes wieder umgekehrt, nicht ohne seine Zeter und Mordio schreiende Schwester mit sich zu ziehen. Miss Blauhaar, wie er die Friseurin seit dem nannte, sollte ihre Kunst gefälligst an anderen Opfern ausprobieren. Natürlich war Bella heimlich wieder hingegangen und Nick musste der Frau schließlich zähneknirschend zugestehen, außer bei sich selbst tatsächlich guten Geschmack zu besitzen, den er nun entgegen allen Befürchtungen nach Bellas Ankündigung bei Celia ebenso bewiesen sah. Einerseits schien sie ihm völlig verändert, andererseits noch immer die gleiche zu sein. Die Farbe ihrer nur am Hinterkopf hochgesteckten Haare passte exakt zur Farbe des Kleides, auf dessen sanft geschwungenen Linien tausende kleiner Sterne zu funkeln schienen.



    [/FONT] Völlig verzückt ging er ein paar Schritte auf sie zu und griff nach ihrer Hand.
    „Du siehst wundervoll aus!“ flüsterte er, denn zu mehr war seine Stimme im Augenblick nicht in der Lage. „Diese Farbe steht dir sehr gut.“ Celias Augen begannen zu leuchten, sie suchten den Blick seiner Schwester, die sich mit JD weiter im Hintergrund hielt, aber nun übers ganze Gesicht strahlte.
    „Danke!“ sagte dieser Blick und Bellas Freude wuchs in gleichem Maße wie ihr Selbstbewusstsein. Laut aber sagte sie zu ihm: „Das ist nur eine Tönung, hat Ariel gesagt, nur für heute. Es war.... ein Experiment.“
    „Ein gelungenes Experiment!“ fügte Nick hinzu, dessen Stimme sich, obwohl inzwischen wieder etwas lauter, immer noch verdächtig heiser anhörte. „Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich hatte nämlich schon befürchtet, du hättest es dir anders überlegt, nach dem, was meine Mutter dir an den Kopf geworfen hat.“
    [FONT=&quot]„Ich gebe zu, ihre Ablehnung hat mich ein wenig aus der Fassung gebracht. Aber nicht genug, um mich so einfach zu verstecken.“ Ein kleines Lächeln huschte dabei über ihre Lippen. „Außerdem haben deine Mutter und ich uns ausgesprochen, gestern beim Tee in ihrem Haus.“



    [/FONT] Nicolas stutzte.
    „Du warst in Blandfort Manor, bei meiner Mutter?“
    „Hmm, war ich.“ bestätigte sie, als wäre das absolut nichts Außergewöhnliches, dabei war es das sehr wohl.
    „Und sie hat nicht versucht, es dir auszureden?“
    „Doch!“ Nick kam aus dem Staunen nicht heraus.
    „Dann wundert es mich doppelt, dass du hier bist. Du musst ein sehr tapferes Mädchen sein!“
    [FONT=&quot]„Aber Nick!“ Der unübersehbare Tadel in ihren Augen ließ ihn dahinschmelzen. Wenn Catherine jetzt nur hören könnte, wie sie von ihr verteidigt wurde. „Sie mag zwar stolz und manchmal auch ein bisschen herrschsüchtig sein, aber sie liebt dich und Bella. Sehr sogar. Das spüre ich deutlich und genügt mir, um sie nicht zu fürchten. Und dann... Weißt du, dass ich, wenn ich sie ansehe, oder ihr zuhöre, immer öfter das Gefühl habe, ich würde sie kennen? Das trifft zwar nicht zu, aber sie erinnert mich an jemanden, ich weiß eben nur nicht an wen!“



    [/FONT] „Vielleicht an deine eigene Mutter, vielleicht an irgendjemanden aus deiner Vergangenheit. Verzeih, aber mir ist das im Augenblick völlig egal. Ich mag nicht über meine Mutter sprechen, ich mag überhaupt nicht sprechen. Ich will dich einfach nur ansehen und....“ Seine Stimme versagte erneut.
    „Und?“ fragte sie genauso atemlos.
    „Und.....“ murmelte er geistesabwesend, während er sie in seine Arme zog. „und ....!“
    [FONT=&quot]Es begann nur mit einem vorsichtigen Berühren seiner Lippen, zärtlich und sacht, als habe er noch Angst, sie zu verschrecken. Doch als er spürte, wie sie sich fallen ließ, schwer und gleichzeitig federleicht in seinen Armen lag, da wurde er mutiger. Einem Ertrinkenden gleich hielt er sie fest und küsste sie mit einer Leidenschaft, deren er sich selbst nicht für fähig gehalten hatte und die, wie er beglückt feststellte, in gleichem Maß erwidert wurde.



    [/FONT] „Ganz schön heftig, was JD?“ Bella kicherte leise vor sich hin, und drehte sich um. Im Stillen gab Justin ihr recht. SO hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Nick war kein oberflächlicher Mensch, alles was er tat, war geprägt von tiefer Ernsthaftigkeit. Gerade deshalb hatte er nicht verstanden, wie er diese Scheinbeziehung zu Caroline hatte eingehen können. Nur um seiner Mutter einen Gefallen zu tun? Vermutlich!
    Durch den frühen Tod seines Vaters war Nicolas zu schnell in eine Verantwortung gedrängt worden, die manchmal wie ein tonnenschwerer Ring auf seinen Schultern lag und ihm nicht nur die Luft zum Atmen raubte, sondern auch die Freude am Leben. Jetzt schien dieser Ring zum ersten Mal große Risse bekommen zu haben und vielleicht gelang es diesem Mädchen sogar, dass er ihn gänzlich abstreifte. Wenn er doch nur diese Dummheit vergaß, nach England gehen zu wollen. Ausgerechnet jetzt! Das würde all seine Fortschritte zunichte machen. Er musste mit Bella reden. Sie war kein Kind mehr, es wurde Zeit, dass sie ihren großen Bruder aus seiner selbstgewählten Verantwortung entließ, selbst wenn es anfangs schmerzhaft wäre. Notfalls konnte er sich ja die erste Zeit um sie kümmern. Immerhin war ihm gerade von einem Londoner Konsortium ein sehr lukratives Angebot gemacht worden. Er musste nur noch einwilligen. Und außer Nick hielt ihn hier nichts.
    „Ich glaube, wir stören nur.“ sagte er leise zu Arabella. „Komm, wir verziehen uns lieber!“





    +


  • Er kam jedoch nicht weit. Denn gerade, als die beiden sich auf leisen Sohlen davonschleichen wollten, wurden sie von Nicolas zurückgerufen.
    Er packte Justin am Arm und zog ihn zu sich herüber.
    „Celia, darf ich dir meinen besten Freund vorstellen, Justin Donald Sanderson. Architekt, Frauenschwarm und nach dem Willen meiner Mutter dein Begleiter heute Abend! Bei ihm bist du in den besten Händen!“
    „Mr Sanderson, ich freue mich, Sie kennenzulernen.“ Ihre höflich-förmliche Zurückhaltung wurde sofort zunichte gemacht, als Bella alle gute Erziehung vergaß und lauthals von hinten rief: „Mensch, Celia, nenn ihn einfach JD, das tun alle!“
    [FONT=&quot]„Das zumindest stimmt!“ bestätigte Justin sofort und reichte ihr freundlich die Hand. „Den Frauenschwarm aber bitte ich Sie sofort wieder zu vergessen. Nick übertreibt maßlos!“



    [/FONT] „Tut er das? Das sieht ihm aber gar nicht ähnlich, Mr Sanderson!““
    ‚Sie ist entzückend.’ dachte Justin bei sich, während er sie verstohlen musterte, ausgesprochen hübsch, herzerfrischend offen, angenehm freundlich, und, das erschien ihm das Wichtigste zu sein, kein bisschen steif. Im Gegenteil. Dieser schelmische Ausdruck auf ihrem Gesicht! Kein Wunder, dass Nick derart hingerissen von ihr war. Ihm selbst erging es ja nicht anders.
    „JD, bitte nennen Sie mich ruhig JD!“ bat er sie und tauschte anschließend einen kurzen Blick mit seinem Freund, der nur eines besagte: Hast du ein Glück!
    „JD!“ wiederholte sie noch etwas zaghaft.
    [FONT=&quot]„Na also!“ rief Bella wieder von hinten und Nick drehte sich um und winkte sie zu sich.



    [/FONT] Er beugte sich kurz zu ihr hinunter, und flüsterte ihr zu, so dass nur sie es hören konnte: „Das war eine gute Idee, Kleines. Danke!“ Und wieder begann Bella zu strahlen.
    „Dann darf ich also nachher ins Diner’s ?“ fragte sie gespannt.
    „Na klar. Sobald das Essen vorbei ist, kannst du dich verdrücken. Der Chauffeur bringt dich hin und holt dich auch wieder ab.“
    „Aber ....“ versuchte Bella zu widersprechen, die sich schon bildlich vorstellte, was Johnny wohl für Augen machen würde, wenn sie dort in Mum’s Rolls auftauchen würde. Wie peinlich!
    „Es tut mir leid, aber das ist Mutters Bedingung. Ich würde dich ja selber bringen, aber mein Wagen ist in der Werkstatt.“
    „Ich kann sie doch hinfahren und auch wieder abholen.“ mischte sich Justin ein und erntete sofort ein begeistertes „Cool!“ von Bella. „Wenn Sie mich jeweils für die paar Minuten entbehren können, Celia?“
    „Aber sicher doch!“ stimmte diese sofort zu, aber als der aufmerksame Beobachter, der er nun mal war, fragte Justin sich, warum ihr Lächeln auf einmal so gezwungen wirkte.
    [FONT=&quot]„Na fein, aber jetzt müssen wir wieder rein, “ meinte Nick und wies in Richtung Straße. „Da kommen schon die nächsten von Mutters Freunden.“



    [/FONT] „Geh du doch mit Bella schon mal vor!“ schlug Justin, einer plötzlichen Eingebung folgend vor. „Celia und ich genießen noch ein paar Augenblicke die frische Luft hier draußen, bevor wir euch in die Höhle des Löwen folgen.“
    Da Celia keine Einwände erhob, küsste Nicolas sie noch einmal schnell auf die Wange, bevor er sich mit seiner Schwester allein auf den Weg ins Haus machte.
    „Alles in Ordnung?“ erkundigte sich Justin besorgt, sobald Nick außer Hörweite war. „Sie sind ein bisschen blass um die Nasenspitze geworden.“
    „Ja, danke!“ erwiderte Celia. „Nur ein paar leichte Kopfschmerzen. Nichts schlimmes. Das passiert mir häufig!“
    „Das ist bestimmt nur die Anspannung!“ versuchte Justin, sie wieder aufzumuntern. „Ich bekomme immer Zahnschmerzen, wenn ich eine Einladung von einem meiner Kunden bekomme. Diese Art gesellschaftlicher Ereignisse liegen mir nicht wirklich.“
    „Trotzdem sind Sie heute hierher gekommen.“
    „Tja, was tut man nicht alles für einen Freund. Da haben wir doch schon etwas gemeinsam. Sie sind doch auch nur seinetwegen hier, oder?“ Sie lachte und er bot ihr seinen Arm.




    +


  • Als sie nur wenig später gemeinsam das Haus betraten, hatte sich dort schon Catherines kleine Abendgesellschaft versammelt und lauschte mehr oder weniger dem ausdauernden wenn auch virtuosen Klavierspiel von Caroline Vandermere. Celia stockte der Atem angesichts der vielen fremden Menschen, denen sie sich plötzlich gegenüber sah.
    „Keine Sorge, ich bin direkt hinter Ihnen.“ flüsterte Justin. „Und glauben Sie mir, die sind nicht halb so wichtig, wie sie es gern wären.“ Er deutete nach links zu der kleinen Gruppe um Catherine und Nick.
    „Das sind Jonathan und Abigail Vandermere. Gemessen an Nicks Familie gehören die beiden zu den Neureichen. Vermutlich hofieren sie Catherine deshalb, als wäre sie die Königin von Saba, weil die Blandforts zu den Alteingesessenen gehören, zu den Gründern sozusagen. Abigail ist ungefähr in Catherines Alter, würde aber lieber für Carolines Schwester gehalten werden als für ihre Mutter. Na ja, wer’s braucht!


    Rechts auf der Couch sitzen noch zwei vom hiesigen Geldadel, Melanie und Philip Sutton mit ihrem Sohn Patrick. Arme Bella, der Junge ist sterbenslangweilig, genauso wie die Eltern. Das einzig positive an ihnen ist, dass sie anders als die meisten der sogenannten guten Gesellschaft eine skandalfreie Ehe führen. Sonst sind sie allerdings richtig anstrengend.“
    „Wieso?“ fragte Celia neugierig und Justin stöhnte.
    „Ich habe ihr neues Haus entworfen und ich kann Ihnen versichern: Leute wie die bringen jeden guten Architekten um den Verstand mit ihren ständigen, unmöglichen Änderungswünschen.“


    „Und wer ist der Mann bei Bella?“
    „Dr. Benjamin Carlisle. Er ist Physiker und vermutlich der einzige hier, mit dem man, abgesehen von Catherine und Nick, eine vernünftige Unterhaltung führen kann. Ein alter, überaus ausdauernder Verehrer von ihr. Er hat es nie ganz verwunden, dass sie Nicks Vater den Vorzug gegeben hat und hofft wohl noch immer, sie von ihrem Witwendasein abbringen zu können. Aber ich fürchte, da hat er keine Chance. Gegen Frances Carmichael kommt kein Mann an, nicht einmal sein Sohn!“



    Celia konnte ihn nicht mehr fragen, was er mit dieser Bemerkung gemeint hatte, denn er hatte ihr schon einen freundlich sanften Schubs in den Raum hinein gegeben.
    „Ah Miss Moreau!“ wurde sie auch sofort von Catherine begrüßt, als sie an Justin Seite hereinkam. „Sie sehen ja bezaubernd aus, ganz bezaubernd!“
    „Danke Mrs Blandfort.“ antwortete Celia artig auf das unerwartete und wie es sich anhörte, ehrliche Kompliment und sah zu Nick hinüber, der hinter seiner Mutter stand und nicht schlecht staunte.
    „Ich hoffe, Sie werden sich heute Abend gut amüsieren. Mein Sohn hat Sie doch mit ihrem Tischherrn schon bekannt gemacht, nehme ich an?“
    „Ja, das hat er!“ übernahm Justin die Antwort und beugte sich formvollendet über Catherines Hand. „Guten Abend, Mrs Blandfort und nochmals danke für Ihre überaus liebenswürdige Einladung!“
    Sie lächelte ihn gnädig an, bevor sie sich wieder an Celia wandte: „Kommen Sie meine Liebe, ich werde Sie jetzt den anderen Gästen vorstellen!“
    [FONT=&quot]Und das tat sie dann auch.



    [/FONT] Sie führte Celia herum, nannte ihren Namen, ohne allerdings ihre Beziehung zu Nicolas zu erwähnen, wechselte hier und da ein paar freundliche Worte mit den Gästen, ohne sich daran zu stören, dass ihre Begleiterin zumeist nur stumm neben ihr stand und auf die neugierigen Fragen der anderen nur einsilbig antwortete.
    Als das Defilee endlich beendet war, fühlte Celia sich sichtlich erleichtert. Doch die unangenehmste Begegnung stand ihr noch bevor.
    Gerade verkündete Catherine Blandfort, dass es nun Zeit wäre für das Dinner, da beendete Caroline Vandermere wie auf Kommando mit einem grandios improvisierten Schluss ihr Stück, stand auf und kam geradewegs auf Celia zu.
    [FONT=&quot]Die konnte gar nicht anders, als sie anzustarren. Genauso wie vermutlich jeder andere im Raum. Das einzige Wort, das Celia einfiel, als sie Carolines Kleid betrachtete, war: extravagant. Von den vielen blitzenden Strasssteinen auf dem engen Mieder, über den weiten hochgeschlitzten Rock, der soviel von ihren langen schlanken Beinen preisgab bis hin zu den perlenbesetzten Schuhen kündete alles vom immensen Selbstbewusstsein seiner Trägerin. Was hätte Catherine wohl gesagt, wenn sie, Celia, in einem solchen Kleid hier erschienen wäre?



    [/FONT] „Meine liebe Miss Moreau!“ flötete Caroline, während sie sich elegant an Nick und Justin vorbeischob, die sich wie ein Schutzwall vor Celia aufgebaut hatten. „Wie schön, Sie wiederzusehen!“
    „Ganz meinerseits!“ Celia versuchte, höflich zu bleiben, obwohl sie bei ihrem Anblick sofort wieder an den unangenehmen Vorfall auf dem Friedhof erinnert wurde. „Haben Sie sich von ihrem kleinen Unfall gut erholt, Miss Vandermere?“ erkundigte sie sich dennoch.
    „Unfall?“ Caroline sah sie verwirrt an. „Oh, Sie meinen den kleinen Stolperer im Garten. Das war doch nicht der Rede wert!“
    Das hat aber ganz anders ausgesehen, dachte Celia bei sich, während Caroline sich zu den anderen umdrehte. „Mamà, du erinnerst dich sicher. Nicolas war ja so fürsorglich. Er hat darauf bestanden, mich ins Krankenhaus zu bringen! Dabei wäre das nun wirklich nicht nötig gewesen.“
    „Du hattest eine Platzwunde, die genäht werden musste!“ mischte sich Nick ein. „Es war also durchaus notwendig.“
    [FONT=&quot]„Seht ihr!“ Caroline ließ sich gar nicht beirren. „So spricht ein Arzt. Aber ist er nicht reizend, unser lieber Nicolas?“



    [/FONT] „Ich glaube, wir sollten uns jetzt zu Tisch begeben!“ beendete Catherine das Thema zu aller Erleichterung. „Meinst du nicht auch, Caroline?“
    „Aber gewiss doch, Catherine.“ Ohne auch nur im Mindesten betreten zu wirken, eilte Caroline leicht und beschwingt an Nicks Seite, während sich die anderen hinter ihnen aufreihten.
    „Wie die Rinder, die zur Schlachtbank geführt werden.“ flüsterte Justin Celia zu, als er neben ihr herging.
    „Und ich dachte, wir würden etwas zu essen bekommen und nicht selbst die Mahlzeit sein!“ flüsterte Celia zurück.
    „Oh, wenn Sie sich auf Caroline beziehen, dann fürchte ich, das war nur die Vorspeise. Sie sieht ihre Felle davon schwimmen.“
    „Aber sie sind doch nur Freunde!“
    Justin musste sich stark beherrschen, um nicht laut loszulachen. „Nicht wenn es nach Caroline geht. Für sie ist Nick ein richtig guter Fang, jetzt noch mehr als vorher.“
    Celia warf ihm von der Seite her einen schiefen Blick zu. „Reden Sie vom Titel seiner Mutter?“
    „Sie wissen davon? Woher? Hat Nick...?“
    „Nein, seine Mutter!“
    Justin fehlten die Worte. Und so ging er schweigend neben Celia her in den Speisesaal.



    „Musste das denn unbedingt sein?“ murrte Nick am anderen Ende der Reihe missmutig.
    „Was denn?“ fragte Caroline unschuldig.
    „Das weißt du ganz genau!“
    „Aber ich bitte dich, es war doch nur ein harmloser Spaß. Jeder hier hat das verstanden.“
    „ICH NICHT!“
    „Also wirklich Nicolas!“ Ihre Stimme klirrte in einem Anflug von gespieltem Ärger. „Du scheinst allen Sinn für Humor verloren zu haben. Du solltest ihn schleunigst wiederfinden. Ich helfe dir gern dabei.“
    „Caroline, bitte!“
    „Nun schau doch nicht so grimmig drein, man bekommt ja direkt Angst vor dir! Mach dir keine Sorgen um deine kleine Freundin, ich tu ihr schon nichts. Schon gar mit diesem Beschützer an ihrer Seite.“ Es mochte auf andere wie harmloser Spott wirken, kaum mehr, als man es von ihrer scharfen Zunge gewöhnt war, aber Nicolas war dankbar für Justins Anwesenheit, nicht zum ersten Mal am heutigen Abend und auch nicht zum letzten.




    +++

  • [FONT=&amp]Nachdem alle auf den für sie vorgesehenen Stühlen Platz genommen hatten, blieb nur Catherine am Kopfende der Tafel stehen und wartete. Den ganzen Tag schon hatte sie darüber nachgedacht, ob und wenn ja, wie sie ihre Gäste von den veränderten Lebensumständen informieren sollte. Es ging ihr nicht ums Angeben, wie Nicolas ihr ungerechterweise vorgeworfen hatte, dies waren ihre Freunde, selbst wenn sie nicht alle ihrer Ansichten teilte. Aber ohne sie hätte sie die einsamen Jahre nach Frances' Tod niemals überstanden.

    [/FONT] Gott, was fehlte er ihr, gerade jetzt. Mit ihm an ihrer Seite hätte es diese fürchterliche Szene im Schlafzimmer nicht gegeben! Mit ihm an ihrer Seite wäre sie aber auch nicht so hart geworden, hätte sie nicht vergessen, was für ein rebellisches Mädchen sie selbst einmal gewesen war. Ein leichtes für die anderen undeutbares Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte, wie ihre Mutter buchstäblich in Ohnmacht gefallen war, als sie nach einem heimlichen nächtlichen Ausflug mit einem Tattoo wiedergekommen war, was sie selber aber nicht daran hinderte, es der eigenen Tochter kategorisch zu verbieten. Bloß gut, dass niemand von dem zweiten wusste.
    Catherine straffte die Schultern. Lady Cressida hatte recht. Es wurde Zeit, dass sie herausfand, ob von der alten Catherine, der, die Frances so geliebt hatte, etwas tief im Innern überlebt hatte. Bestimmte Dinge konnte sie nicht ändern, aber sie würde nicht zulassen, dass der verdammte Stolz ihr den Sohn nahm. ‚Wart’s nur ab, mein Lieber, du wirst dich wundern!’ dachte sie im Stillen und schmunzelte dabei vergnügt vor sich hin, bevor sie sagte:
    „Ich freue mich, dass Ihr unserer Einladung gefolgt seid und ich wünsche uns allen einen vergnüglichen Abend!“
    [FONT=&amp]Sie gab der bereits wartenden Lucy ein Zeichen, die Vorspeise zu servieren und setzte sich.



    [/FONT] Gleich darauf schien jeder der Anwesenden weniger mit dem Essen beschäftigt zu sein, als damit, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten. Und so wunderte sich Celia nicht wenig, wie schnell die Teller trotzdem geleert waren und der nächste Gang serviert wurde, ein rotes, reichlich hart aussehendes Etwas auf einem Bett aus Salat.
    Beunruhigt beugte sie sich zu Justin hinüber. „Was ist das?“ flüsterte sie und hoffte, dass niemand außer ihm etwas von ihrer Verwirrung bemerkte.
    Justin grinste und flüsterte zurück: „Das ist Hummer! Nicht so ganz mein Fall, aber keine Sorge, er ist genießbar. Die meisten mögen ihn sogar sehr.“
    „Ah ja!“ Celia nickte, musterte aber dennoch zweifelnd Teller und Besteck. Wie um alles in der Welt sollte sie das essen?
    Justin griff betont locker nach der Gabel, klirrte damit leise und wie versehentlich gegen den Teller, erregte aber so ihre Aufmerksamkeit. „Immer mir nach!“ formten seine Lippen, als sie ihn ansah, bevor er sich ans Werk machte.
    [FONT=&amp]Und Celia tat es ihm gleich.



    [/FONT] Sie war mehr als froh, diesen gutgelaunten, freundlichen Mann an ihrer Seite zu haben, denn Nick und Bella saßen beide weiter weg auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel und konnten ihr nicht helfen. Ohne Justin hätte sie vermutlich während des gesamten Dinners schweigend dagesessen, ständig Gefahr laufend, die falsche Gabel zu benutzen.
    [FONT=&amp]Was wusste sie denn schon von dem neuesten Gesellschaftsklatsch, den Carolines Mutter so genüsslich zum Besten gab, während ihr Mann mit sauertöpfischer Miene das Essen in sich hineinschaufelte und sich jeweils zwischen zwei Gabeln gemeinsam mit Mr Sutton über den letzten Abfall an der Börse ereiferte. Gab es denn für diese Menschen nichts anderes als Geld und die Skandale anderer Leute? Justin hatte recht, diese Leute waren langweilig. Um so mehr bewunderte sie Catherine, die in heiterer Gelassenheit zuhörte, als ginge es um Dinge höchster Wichtigkeit und dabei dennoch unmerklich die Unterhaltung in andere Bahnen lenkte. Celia kam das gestrige Gespräch mit ihr wieder in den Sinn. Welterfahren, charmant und souverän im Auftreten, so sollte, so musste Nicks zukünftige Gräfin sein, hatte Nicks Mutter erklärt. Und nun demonstrierte sie ihr, was sie damit meinte. Catherine Blandfort, der die Rolle der neuen Countess of Carver auf den Leib geschnitten schien, würde sie niemals auf ihrem Platz dulden. Anders wusste sie deren gelegentlichen Blicke nicht zu deuten.



    [/FONT] Catherines wirkliche Gedanken ahnte sie nicht. Während die sich bemühte, Philip Suttons Eifer zu bremsen, alle am Tisch mit den neuesten Finanztipps zu versehen, und Abigail daran zu hindern, ihre berüchtigten, aber heute unliebsamen Fragen über den unbekannten Gast gleich hier am Tisch zu stellen, wanderte ihr Blick immer wieder von Celia zu Caroline und hinüber zu Nick, dessen leicht gequälte Miene nicht gerade auf ein unterhaltsames Gespräch mit seiner Tischdame schließen ließ.
    [FONT=&amp]Ohne es zu tatsächlich zu wollen, begann sie, die beiden Frauen miteinander zu vergleichen und konnte nicht umhin zu bemerken, dass die bisher von ihr geschmähte und doch so elegant wirkende Celia dabei weitaus besser abschnitt, als die viel zu sehr herausgeputzte Caroline. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, DIESES Kleid zu tragen, ausgerechnet heute? Wollte sie damit etwa ihren Sohn für sich gewinnen? Wenn ja, wäre sie ehrlich enttäuscht von ihr. Denn das sollte sie eigentlich besser wissen. Nicks Blick bei der Begrüßung jedenfalls hatte Bände gesprochen.



    [/FONT] Catherine musste sich leicht zur Seite beugen, um an der Tischdekoration vorbei die beiden beobachten zu können. Philip Sutton freute sich, glaubte er doch, sie würde ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, während sie ihm in Wirklichkeit nur mit halbem Ohr zuhörte, um hier und da eine unverbindliche Bemerkung einflechten zu können. Das bereitete ihr keine größeren Schwierigkeiten, denn das hatte man sie schon von frühester Jugend an gelehrt. Caroline als zweite Gastgeberin zu wählen, schien aber nicht zu ihren besten Einfällen zu zählen, angesichts dessen, wie sehr sie sich auf Nick fixierte.
    Wie vertraulich sie sich immer wieder zu Nicolas neigte, und wie wenig er darauf reagierte! Selbst als sie mit ihm anstieß und ihn dabei unter den gesenkten Lidern hoffnungsvoll anklimperte, starrte er das Glas so konzentriert an, als befürchte er, es könne jeden Augenblick in seinen Händen zerspringen.
    [FONT=&amp]Und wenn seiner Mutter das noch nicht genug zu denken gegeben hätte, dann aber jenes verdächtige Strahlen, welches in den Augen ihres Sohnes aufleuchtete, sobald er Celia über den Tisch hinweg ansah und das von ihr mit einem leichten Erröten erwidert wurde. Genauso hatte Frances sie immer angesehen, wenn er sie bei ähnlichen Anlässen verstohlen unter dem Tisch anstieß, und sie den Slipper vom Fuß gleiten ließ, um ....



    [/FONT] Ganz unvermittelt wurde sie aus ihren Erinnerungen gerissen, als sämtliche Gespräche auf einen Schlag stockten und alles zu Caroline hinüber starrte. Und auch Catherine hielt den Atem an, ob deren Indiskretion.
    „Amnesie muss etwas furchtbares sein! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man damit leben soll, nicht zu wissen, wer man ist!“ hatte sie gesagt, zwar zu Nick gewandt, aber laut genug, dass jeder es hören musste.
    [FONT=&amp]Dennoch blickte die junge Frau jetzt mit genau der richtigen Mischung aus Entsetzen und Bedauern in die Runde, als wäre ihr das in der Tat völlig unabsichtlich herausgerutscht. Angesichts der offensichtlichen Spitze, die sie vorhin bei der Begrüßung ganz gezielt gegen die Rivalin gerichtet hatte, bezweifelte Catherine das allerdings stark. Zwar hielt sie sich selbst für eine Meisterin der sarkastischen Ironie, aber Caroline ging ihrer Meinung nach ganz entschieden zu weit damit.



    [/FONT] „Sie haben ganz recht, Miss Vandermere!“ antwortete Celia gerade leise, doch mit fester Stimme. „Es IST furchtbar! Doch besser, man vergisst, wer man ist, als wer man sein sollte. Da stimmen Sie mir doch zu, oder?“ Carolines Blick wurde stahlhart und ihre Lippen pressten sich zusammen, als sie langsam nickte.
    Catherine hingegen bemühte sich verzweifelt, ein Lachen zu unterdrücken, obwohl sie eigentlich schockiert sein sollte. Du liebe Güte, die Kleine hatte ja Haare auf den Zähnen! Ohne unhöflich zu werden, aber dennoch unmissverständlich hatte sie Caroline gerade vor aller Ohren vorgeworfen, sie habe, im Gegensatz zu Celia selbst, ihre Erziehung vergessen. Und jeder hier an der Tafel hatte das auch genauso verstanden. Das bewies das betretene Schweigen, welches sich nach Celias Antwort über den Raum legte.
    Obwohl sie sich unsinnigerweise amüsiert fühlte, wie schon lange nicht mehr, Frances hätte sich vermutlich ausgeschüttet, schob Catherine schließlich, als es schon peinlich zu werden begann, energisch den Teller zurück und verkündete energisch: „Ich glaube, jetzt ist es Zeit für unser Dessert, oder Abigail?“
    Die Frau griff das Thema dankbar auf und erinnerte Catherine sofort daran, dass sie ihr noch immer nicht wie versprochen das Rezept verraten hatte.




    +++++++++
    zu Teil 2


  • Sofort brandete eine neue Unterhaltung auf, während Lucy in Windeseile die Dessertteller auf den Tisch zauberte. Justin nickte Celia anerkennend zu und drückte ihr unter dem Tisch aufmunternd die Hand.
    Die Aufmunterung tat wohl, zumal ihr Gegenüber nun den höflichen Versuch unternahm, Konversation mit ihr zu machen, ein Versuch, der ja doch nur eines zum Ziel hatte, nämlich sie auszuhorchen.
    [FONT=&amp]Celia atmete tief durch, lächelte, antwortete so vage und unverbindlich wie möglich und versuchte unterdessen, das immer stärker werdende Pochen in ihrem Kopf zu unterdrücken. Diese falsche Schlange! Für wen hielt sie sich? Und für wen hielt Caroline sie? Dieses Geturtel während des Essens, das ständige Herüberneigen zu Nick, dass sie ihm fast auf dem Teller lag, die wie zufällig wirkenden Berührungen ihrer Hand! Jetzt verstand sie, was Justin vorhin gemeint hatte, als er von ihrem Fang sprach. Aber zappelte Nick schon in ihrem Netz, wie sie jeden glauben machen wollte?



    [/FONT] Seiner Miene konnte sie im Augenblick nur eines entnehmen, dass er nicht glücklich war. Still und verschlossen saß er neben Caroline und schluckte lustlos das zartschmelzende Eis hinunter.
    [FONT=&amp]Er war wütend. Nicht einfach nur böse, nein, richtig wütend. Ganz unvermittelt und ohne den geringsten Anlass hatte Caroline mit der Amnesie angefangen. Selbst seine Bitte, das Thema zu wechseln, hatte sie ignoriert und stattdessen, als habe sie sich regelrecht provoziert gefühlt, diese wohl platzierte Bemerkung gemacht. Er wagte kaum, sich auszumalen, wie Celia sich gerade fühlen musste. Das musste aufhören, je eher desto besser. Caroline spielte längst keine Komödie mehr, für sie war aus dem Spiel bitterer Ernst geworden. Er musste ihr sagen, dass es für sie keine Zukunft geben könnte, vor allem nicht, nachdem er Celia begegnet war. Selbst wenn sie das verletzte, und er das gerade deshalb nicht gerne tat, aber genug war genug!



    [/FONT] „Sag das noch mal!“ prustete Justin los, als er ihm nach dem Essen von seinem Entschluss erzählte. Die anderen waren mit seiner Mutter bereits in den Garten vorgegangen, während er mit Justin an dessen Wagen auf Bella wartete, die sich noch schnell umzog. Es hatte sie beide überrascht, dass ihre Mutter Bella tatsächlich ohne ein Stirnrunzeln hatte gehen lassen. Auch dass sie keinerlei Einwände gegen Justin als Chauffeur erhob, weil sie normalerweise die Sicherheit von Sportwagen arg anzweifelte. Vielleicht war sie ja der Meinung, als Sohn eines Busfahrers müsse man Justin schon zugestehen, einen Wagen ordnungsgemäß steuern zu können. Nick rief sich zur Ordnung. Er hörte sich ja schon an wie Caroline.
    „Ich werde dich nicht fragen, wie du so plötzlich zu der Erkenntnis gekommen bist.“ meinte Justin gerade.
    „Dafür wäre ich dir außerordentlich dankbar!“ brummte Nick und Justin schlug ihm kräftig auf die Schulter.
    [FONT=&amp]„Ich bin mächtig stolz auf dich, mein Alter.“



    [/FONT] „Mächtig, ja. Das merkt man!“ Mit gespieltem Schmerz rieb sich Nicolas die Schulter, bevor er sich suchend umsah. „Möchte bloß wissen, wo Bella bleibt. Kann sie sich mal wieder nicht entscheiden, was sie anziehen soll? Sie geht doch nicht in die Oper, nur ins Diner’s. Das kann doch nicht so schwer sein.“
    „Also echt, Nick. Du verstehst rein gar nichts.“ Justin lachte schallend. „Vertrau mir, ein Ballkleid auszusuchen, ist im Gegensatz dazu für deine Schwester ein Klacks.“
    „Ja, aber....“
    „Nichts aber! Sie ist ein verliebter Teenager. Etwas, was du nie gewesen bist, .... leider.“
    „Danke!“
    „Bitte!“
    [FONT=&amp]„Das baut richtig auf.“ Nick funkelte ihn böse an, fiel aber fast sofort in Justins Lachen ein. Dieser verrückte Kerl schaffte es doch immer wieder, ihm den Kopf zurechtzurücken! „Jetzt sollte sie sich aber wirklich beeilen, sonst ist das Konzert vorbei, bevor ihr ankommt.“



    [/FONT] „Ich bin ja schon da!“ tönte es hinter ihnen, und Bella kam stolpernd die Treppe runtergeflitzt, sauste an ihrem Bruder vorbei und sprang ins Auto.
    „Schön, dass du auch schon kommst.“ meinte Nick, als er hinter ihr die Türe schloss, wieder auf die Fahrerseite ging und sich durchs Fenster beugte. „Ich wünsch dir einen schönen Abend. Genieß das Konzert, und nicht nur den Gitarristen!“
    Bella lächelte verträumt. Ihre Züge wurden ganz weich, und selbst im Dunkeln konnte Nick das Leuchten in ihren Augen sehen. Nun, er war zwar kein Teenager mehr, aber vermutlich sah er trotzdem ganz genauso aus, wenn er an Celia dachte. „Amüsier dich gut!“ sagte er und trat zurück.
    Und dann riss Bella plötzlich ohne ersichtlichen Grund die Tür auf, sprang noch einmal aus dem Auto und fiel ihrem Bruder um den Hals.
    „He, he!“ suchte er ihrem Ansturm zu begegnen. „Du musst los!“
    „Danke!“ hauchte sie leise, sah ihn mit einem seltsamen Blick an und stieg wieder ein.
    „Bereit?“ fragte Justin, der die Szene amüsiert, aber auch gerührt beobachtet hatte.
    [FONT=&amp]„Ja, jetzt ja!“



    [/FONT] Im Garten wurde Celia von Nicks Mutter beiseite genommen, während die Dinnergäste und die Neuankömmlinge es sich an kleinen, mit Kerzen bestückten Tischen gemütlich machten.
    „Darf ich Ihnen ein Kompliment und ein Geständnis machen, Miss Moreau?“ fragte Catherine Blandfort und Celia zog die Augenbrauen hoch. „Ich glaube, ich habe Sie unterschätzt, meine Liebe. Das passiert mir nicht sehr oft, wie Sie sich denken können, aber in diesem Fall freue ich mich schon fast darüber.“
    „Ich.... ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz.“ stotterte Celia verwirrt. Mit allem hatte sie gerechnet, aber damit? Niemals!
    Die Frau sah sie mit einem Wohlwollen an, dass ihr irgendwie unheimlich schien.
    [FONT=&amp]„Dafür verstehe ich um so besser, glauben Sie mir.“ versicherte ihr Catherine mit einem eigenartigen Glitzern in den Augen. „Zwar weiß ich nicht, ob ihre Beziehung zu meinem Sohn Bestand haben wird. Aber darum geht es im Moment auch gar nicht, denn in zumindest einem muss ich Ihnen Recht geben. Er kann die Entscheidung, mit wem er sein Leben verbringen will, nur selber treffen.“



    [/FONT] „Verzeihen Sie, wenn ich das jetzt sage, Mrs Blandfort, .... Mylady.“ Catherine schüttelte sacht den Kopf, als sie sich verbesserte. „Aber .... ich kann nicht anders. Sie überraschen mich!“
    „Dann hat dieser Abend doch für uns beide schon etwas positives gebracht, nicht wahr?“
    „Ja!“ stimmte Celia ihr mit einem glücklichen Hauchen zu.
    „Würden Sie mir dann vielleicht noch einen kleinen Gefallen tun?“
    „Natürlich!“
    „Haben Sie Verständnis dafür, dass Nicolas zuerst mit Caroline tanzen muss. Es wäre eine zu schlimme Demütigung, nicht nur für sie.“
    „Ich verstehe.“
    „Danach gehört der Abend Ihnen beiden, wenn Sie es wünschen.“ Erwartungsvoll sah sie die junge Frau an. „Einverstanden?“
    Celia hatte keine Ahnung, was die stolze, frischgebackene englische Lady dazu bewogen hatte, ihre Meinung zu ändern, aber es spielte auch keine Rolle. Ein unglaubliches Glücksgefühl raste wie eine Welle durch ihren Körper und der ewig pochende Schmerz in ihrem Kopf verschwand.
    „Ja!“ antwortete sie und fühlte sich, als hätte sie sich gerade mit Catherine Blandfort verschworen.




    +++++++++
    zu Teil 3


  • Es fiel ihr auch gar nicht schwer, das Versprechen zu halten, als sie Nicolas kurze Zeit später mit Caroline auf die Tanzfläche gehen sah. Erst recht nicht, als jemand sie von hinten anstupste und Justin sich neben ihr auf den Stuhl fallen ließ.
    „Teenager erfolgreich abgeliefert!“ flüsterte er. „Hab ich was verpasst?“
    „Nein, nein. Das ist das erste Lied!“
    „Und er muss natürlich mit Caroline tanzen!“
    „Muss er!“ bestätigte Celia und Justin wunderte sich über ihr spitzbübisches Lachen. Es schien sie nicht weiter zu beunruhigen.
    „Dann werde ich meiner Pflicht nachkommen, und Sie auf die Tanzfläche entführen, holde Dame!“ Er machte schon Anstalten, vor ihr auf die Knie zu fallen, als er es sich anders überlegte und schief lächelte. „Ich muss zu meiner Schande zugeben, ein grausamer Tänzer zu sein. In der Beziehung hat mir Nicolas bedauerlicherweise einiges voraus.“



    „Dann sollte ich Sie vielleicht besser von ihrer Pflicht entbinden, mein edler Ritter?“ scherzte sie im gleichen unbeschwerten Ton und er seufzte in theatralischer Erleichterung. „Schon um mich nicht dem Zorn der Prinzessin auszusetzen, wenn sie sieht, dass ich die Schuhe ihrer neuen Freundin ruiniert habe!“
    Und so beließen sie es beide dabei, wie die anderen Gäste auch, Caroline und Nicolas bei ihrem ersten Tanz zuzusehen, wobei Justin es natürlich nicht lassen konnte, zu bemerken, wie steif sich der sonst so gewandte Tänzer bewegte und was für ein „gräusliches“ Gesicht er dabei zog.
    Ein Umstand, der auch den aufmerksamen Augen seiner Mutter nicht entging. Er liebte sie nicht, das konnte ein Blinder sehen. Und Caroline? Noch gestern hätte sie mit Bestimmtheit ja gesagt, heute war sie sich dessen gar nicht mehr sicher.
    [FONT=&quot]Nicks Miene kam aber nicht von ungefähr. Schon seit Beginn des Tanzes versuchte er, Caroline dazu zu bringen, ihm zuzuhören, ohne Erfolg. Stattdessen wiegte sie sich in seinen Armen, summte leise die Melodie mit und lächelte verzückt, als wäre dies der romantischste Abend ihres Lebens.



    [/FONT] „Caroline, bitte! Ich will nicht, dass du mich missverstehst. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du die ganze Zeit mitgespielt hast, aber wir müssen das jetzt beenden, bevor noch jemand verletzt wird.“
    „Verletzt?“ fragte sie und lachte laut und gekünstelt auf, als habe er einen Witz gemacht. „Wer bitte sollte denn verletzt werden?“
    „Du zum Beispiel!“
    „Ich? Wie kommst du nur darauf, Nicolas. Alles ist doch in bester Ordnung! Oder nimmst du mir etwa meinen kleinen Fauxpas von vorhin noch übel. Ich sagte doch, es tut mir leid.“
    „Darum geht es nicht, Caro, es geht um....“
    „Schsch...“ Sie legte ihm den Finger auf den Mund. „Nicht jetzt. Lass uns später darüber reden. Jetzt will ich tanzen!“
    „Caro!“
    „Nein!“ Diesmal wurde sie energisch. „Später!“
    [FONT=&quot]Was sollte er tun? Wenn er es nicht hier und jetzt in eine handfeste Auseinandersetzung ausarten lassen wollte, musste er sich dem fügen. Vorerst.



    [/FONT] Es wurde auch sofort bedeutungslos, als die Musik aufhörte und er Caroline zu ihren Eltern zurückbringen konnte. Nichts hielt ihn jetzt noch davon ab, endlich die Person auf die Tanzfläche zu führen, nach der er sich den ganzen Abend schon gesehnt hatte.
    Fast wäre er auf Justin eifersüchtig geworden, weil der mit ihr gescherzt und gelacht hatte, während er sich entweder Carolines Boshaftigkeiten oder aber Benjamins Geschichten über seine Eltern anhören musste. Das war natürlich lächerlich, aber trotzdem wahr. Erst jetzt, als er sie endlich in den Armen hielt, fühlte er sich zum ersten Mal an diesem Abend befreit und glücklich.
    Mit leuchtenden Augen hatte sie ihre Hand in seine gelegt, als er vor ihr stand und sie mit leiser, belegter Stimme um den nächsten Tanz bat. Ihre Finger zitterten, als er sie umschloss und sie ihm leise gestand, dass sie keine Ahnung habe, wie man tanzt.
    [FONT=&quot]„Hör auf die Musik, ihren Rhythmus!“ riet er leise. „Den Rest überlass ruhig mir. Vertrau dich mir an, ich führe dich!“



    [/FONT] Die Welt versank.
    Er sah in ihre Augen, sie in seine.
    Zwei Paar kristallklare Seen, die sich vereinten.
    Von irgendwoher klang leise die Musik zu ihnen herüber.
    Doch was sie wirklich hörten, war das Schlagen ihrer Herzen.
    Ihre Füße bewegten sich weiterhin im Takt, ihre Körper wiegten sich.
    Doch ihre Seelen lösten sich aus ihrem Gefängnis, flogen gemeinsam hinauf in den Nachthimmel.
    Wirbelnd, tanzend, berührten sie die Sterne und wussten beide, dieser Augenblick gehörte nur ihnen allein.
    Ein flüchtiger Augenblick, ein kostbarer Augenblick, ein Augenblick, in dem sie einen Hauch der Ewigkeit spüren konnten.


    [FONT=&quot]Ein Augenblick, der niemals wieder kommen würde.



    [/FONT] Ein Augenblick, der ihnen geneidet wurde.
    „Wie lange willst du dir das eigentlich noch ansehen, Caro?“ fragte Abigail ihre Tochter, während sie missmutig die Tanzfläche im Auge behielt. Was fiel diesem Kerl ein, seine Verlobte hier sitzen zu lassen und schamlos mit diesem Niemand zu flirten. Und Catherine ließ das auch noch zu und tat gar nichts dagegen. Im Gegenteil. Sie schien das Ganze sogar mit einem gewissen Wohlgefallen zu beobachten. Wollte sie ihre Tochter vielleicht zum Gespött der ganzen Gesellschaft werden lassen?
    [FONT=&quot]„Keine Sorge, Mutter!“ antwortete Caroline und ihre Miene verhieß nichts Gutes. „Ich kümmere mich schon darum. Aber alles zu seiner Zeit! Es kommt immer auf den richtigen Moment an. Gönnen wir der Kleinen ihren Moment des Glücks. Er wird von kurzer Dauer sein, das versichere ich dir!“


    [/FONT]



    +++