Es war einer dieser perfekten Tage, warm, wolkenfrei und ruhig. Das alles wäre mehr als doppelt so schön, wenn Josephine nicht alleine wäre. Da saß sie nun, ohne Freunde, Familie und Glück, alles war ihr genommen worden...
Doch war es letzten Endes nicht ihre eigene Schuld? Hatte nicht sie selbst an ihrem Unglück schuld?
Doch. So schnell es nur ging verscheuchte sie diesen lästigen Gedanken aus ihrem Kopf und wartete bis ihr etwas Neues einfiel, womit sie sich plagen und quälen konnte. Wäre Josephine ein ungeduldiger Mensch, hätte sie sich gefreut, wie schnell ihr ein neuer Gedanke gekommen war, doch dieser Gedanke war niemals willkommen, ob einsam oder nicht. Wie sagte man doch so schön: Josephine erinnerte sich als wäre es erst gestern gewesen.
Sie saß mit ihrer Mutter auf der Bank, in denselben Sachen, am demselben Ort, an demselben Wochentag...
>>Josephine<<, hatte ihre Mutter damals gesagt, >>Du darfst niemandem sagen, was dein Vater getan hat, verstanden?<< Ja, ihre Mutter hatte sie damals nicht einmal angesehen und trotzdem von ihr erwartet zu schweigen, ohne dieses Flehen in den Augen, ganz so, als ob es ein dringender Befehl sei.
>>Ich werde nichts sagen, aber wie kannst du nur so etwas einfach geschehen lassen?<<, hatte Josephine gesagt, wobei sie ihre Tränen heftigst unterdrücken musste, dieses Wissen tat einfach weh...
Und das tut es immer noch. Schweigend und ohne den Blick zu schwenken stand Josephine auf und ging in das kleine hüttenähnliche Häuschen in dem sie mit ihrer Oma und ihrer Schwester Tanya Lyssa lebte. Nein, sie waren nicht arm, im Gegenteil, wenn Josephine erst einmal volljährig war, dann würde sie das Geld ihres Vaters ausgeben können. Doch bis dahin würde sie mit ihrer schrecklich zickigen, strengen und sie über alles hassenden Tante Tina Louise und ihrem Muttersöhnchen Ronald Jonathan leben müssen.
Langsam schlenderte sie über die kleine Terassenbrücke des gigantischen Gartens, der zu dem Haus gehörte, in dem sie noch lebten. Bald würden sie umziehen, in ein größeres Haus mit einem kleineren Garten.
Josephine öffnete die Tür und sah ihre Oma, Beate Helga war ihr Name, auf dem Bett liegen. Josephine setzte sich auf ihr gegenüberliegendes Bett und seufzte schwer.
>>Oh, Ryana, du bist es<<, sagte ihre Oma und lächelte sanft. Josephine hasste es, wenn man sie Ryana nannte - es war die Idee ihres Vaters. Er hatte sich ja so sehr einen Jungen gewünscht, er wollte ihn Ryan nennen, oder Joe. Es wurde aber ein Mädchen und bekam den Namen Josephine Ryana.
>>Wie geht es dir Granma?<<, fragte Josephine unbeteiligt und verdrängte das Bild ihres Vaters aus ihren Gedanken.
>>Hast du wieder über den Unfall nachgedacht?<<, sagte Beate und ihr Blick verhärtete sich dabei.
>>Ja, was würdest du tun, wenn du deinen-<<
>>Du hast keine Schuld daran Ryana<<, sagte Beate und atmete tief ein. Sie liebte ihre Enkelin, doch war sie trotz allem die Einzige die zu ihr hielt.
>>Lass uns nicht darüber Reden<<, sagte Josephine, legte sich ebenfalls hin und starrte zur Decke.
Keine 2 Minuten später flog krachend die Tür auf und Josephines Tante kam hereingestürmt. Sie baute sich vor Josephine auf und schrie in ihrem Standartton, wenn sie dabei mit Josephine zu kommunizieren beabsichtigte.
>>Geh sofort zu der Bank auf der du vorhin gesessen bist und bring dieses Balg zum Schweigen!<<
>>Tina, bitte<<, sagte Beate schwach im Hintergrund, >>Tanya hat einen Namen, nicht umsonst.<<
>>Anscheinend habt ihr ja auch so verstanden, wen ich meine, nicht wahr?<<, sagte Tina in einem giftigen Ton, ohne sich auch nur nach Beate umzudrehen.
Josephine stand wütend auf, rempelte ihre Tante absichtlich an und machte sich auf den Weg zu Tanya. Das Mädchen war wohl gerade so die kleine Treppe hinuntergerutscht, als sie Josephine nachgekrabbelt war, doch wieder nach oben schaffte sie es nicht. Josephine blieb auf der Treppe stehen und sah an ihrer linken Seite hinunter und entdeckte die quängelnde Tanya.
Josephine lächelte leicht und nahm ihre kleine Schwester hoch, sie hatte sicher Hunger, es waren schon fast 5 Stunden vergangen als sie das letzte Mal gegessen hatte. Zusammen mit Tanya ging sie in die Küche und setzte die Kleine auf ihren Hochstuhl. Dann holte sie eine Flasche und reichte sie ihr, als die sich bereits einigermaßen beruhigt hatte, da sie wusste, dass es nun etwas zu Essen gab.
>>Hey du Missgeburt<<, ertönte eine Stimme hinter Josephine. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, sie wusste wer es war.
>>Halt die Schnauze Ron, du brauchst nich denken dass du was besseres bist, nur weil man dir alles in den Ars** schiebt<<, sagte Josephine, wobei sie überrascht gelassen klang. Ronald antwortete nicht mehr, er wusste, dass Josephine, obwohl sie schwach aussah und ein Mädchen war, ihn sehr wohl an den richtigen Stellen erwischen und zum Wahnsinn treiben konnte.
>>Ich hole Tanya später, fass sie nicht an, oder in der Schule wirds dir nicht mehr so gut gefallen<<, flötete Josephine und ging zurück zu dem kleinen Nebenhäuschen, das eigentlich nur ein Zimmer war.
Josephine war beliebt in der Schule, ihr fiel das Lernen leicht und dort hatte keiner je ein Wort gegen sie gesagt. Ach, wie sie doch die Schule vermisste, jetzt, seit-
>>Bleib stehen!<<, riss es Josephine aus ihren Sehnsüchten. Ihre Tante stand wieder einmal vor ihr.
>>Wenn es noch einmal vorkommt, dass dieses Balg mir meinen Tag kaputt macht, nur weil du in die Wolken starrst, dann werde ich ganz andere Maßnahmen einleiten, habe ich mich klar ausgedrückt?!<<
>>Wie könnte es anderst sein, so laut wie du schreist?<<, sagte Josephine verärgert. >>Außerdem ist sie deine Nichte und hat dir nichts getan, wenn ich sehe, dass du ihr etwas antust, dann wirst du noch dein blaues Wunder erleben!<<
Josephine war zu weit gegangen, das würde Konsequenzen mit sich bringen, doch in diesem Augenblick war ihr das noch unwichtiger als die Farbe ihrer Socken.
>>Pass bloß auf<<, zischte Tina und rauschte davon.
*kommt gleich noch was*