Der Fremde führte Kyla wortlos auf die Tanzfläche.
„Was war das?“, fragte Kyla, die ein wenig überrascht war, nachdem sie begonnen hatten zu tanzen.
„Du sahst aus, als bräuchtest du jemanden, der dich rettet, und als Bruder der Gastgeberin habe ich mich dazu verpflichtet gefühlt, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich bin Tristan Shaw.“
Dass er sie duzte, obwohl er sie nicht kannte, erstaunte Kyla, es war nicht üblich, andererseits schien er vom Temperament ganz anders als seine Schwester, vor der er Kyla gerade gerettet hatte.
„Solltest du nicht Ausschau nach einer Isolde für dich halten?“, erkundigte sie sich.
„Wegen meines Namens?“, fragte er amüsiert. „Ich nehme es nicht so genau, mir genügt die Tochter eines Isolders.“
Kyla war nicht überrascht darüber, dass er den zweiten Vornamen ihres Vaters kannte, fand ihn aber immer interessanter.
„Wenn die aber kein Interesse hat, ein paar Tänze mit mir zu tanzen, kann ich ihr natürlich gerne ein paar der langweiligsten und gesprächigsten Damen hier vorstellen.“
Kyla und Tristan schwiegen einander eine Weile lang an und Kyla musste feststellen, dass Tristan nicht nur gut darin war, Frauen vor dem Tod durch Langeweile zu retten, sondern auch ein hervorragender Tänzer war.
„Ich habe wie eigentlich jeder hier von dem Attentat auf deine Mutter gehört und gehe davon aus, dass du deswegen hier bist. Meine Mutter hat ihr eine Karte geschrieben, mit den typisch unehrlichen Genesungswünschen, du weißt schon. Sie meint, ich sei verzogen, weil ich ihr gesagt habe, dass ich nicht verstehe, warum sie das tut, wenn es ihr doch egal ist, wie es der Königin Mutter geht, sie sagt sowieso selten etwas Gutes über sie.“
Kyla erstaunte Tristans Ehrlichkeit, so etwas war ihr bisher noch nie begegnet, nur das falsche Mitleid anderer.
„Ich habe heute morgen alle unehrlichen und aufdringlichen Karten, von denen es eine Menge gab, verbrannt. Sag das deiner Mutter.“
„Ich behalte das lieber für mich, sie wird mir nicht glauben, dass du das gesagt hast und mich wieder wegen meiner angeblichen Lügen und meiner Einstellung der Gesellschaft gegenüber für ein paar Wochen ins Sanatorium schicken – nicht dass das was bringt, von einem Sonnenbrand mal abgesehen.“
„Du hältst nicht viel von deiner Familie“, stellte Kyla fest.
„Das muss ich von jemandem hören, der sich so schlecht mit der Familie seines Vaters verstehe, dass er außerhalb wohnen muss? Ich wäre meinen Eltern dankbar, wenn ich hier weg dürfte, aber mich schicken sie nur ins Sanatorium und hoffen, dass ich mich bessere.“ Er schwieg kurz. „Gibt es irgend etwas, das du vermisst, wenn du nicht hier bist?“
Kyla musste nicht lange über diese Frage nachdenken und da war etwas, das sie davon überzeugte, dass sie es Tristan erzählen konnte, vielleicht waren es seine Offenheit und Spontanität, zwei Eigenschaften, die hier verpönt waren, Kyla aber aus genau diesem Grund sehr gut gefielen.
„Die Landschaft, die grünen Wälder und Wiesen, die Berge. Der Heimatort meiner Mutter, der in meinem Herzen immer meine erste Heimat bleiben wird, obwohl ich dort viel weniger Zeit verbracht habe als hier. Das ist alles, nicht viel, aber an manchen Tagen fühlt es sich so an, als würde mein Herz in tausend Stücke zerbrechen, wenn ich nicht bald wieder hierher komme, um die Wälder, Wiesen und Gebirge zu sehen.“
Tristan musste zugeben, dass andere Leute Recht hatten, wenn sie sagten, Prinzessin Kyla Tenna sei anders als die Frauen, die man sonst kannte, sie war echt.
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Bevor ich in den Urlaub fahre (Mittwoch), melde ich mich noch einmal mit einer längeren Fortsetzung (ob es die restlichen neun Teile, die hier fehlen, werden, kann ich noch nicht sagen).