Tahiri setzte sich und Jack nahm neben ihm Platz, die Ohren gespitzt. Wenn Tahiri jetzt Namen nannte, würde es ihm das Leben vereinfachen, er würde wissen, von wem er sich fernzuhalten hatte.
„Das Nachsitz-System kennst du wahrscheinlich: Jede Woche hat ein anderer Lehrer Schicht. Er bekommt eine Liste aller Schüler, die an diesem Tag eine Stunde Nachsitzen verdient haben.“
Jack war überrascht. An der Schule, die er zuvor besucht hatte, war man härter bestraft worden – nicht, dass er jemals hatte eine Strafarbeit erledigen oder nachsitzen müssen. Aber er war sich sicher, dass Tahiri an seiner Schule nicht lange ohne Schuhe in den Unterricht gekommen wäre.
„Gibt es einen Rekord an Stunden, die ein einzelner Schüler nachsitzen musste?“
Tahiris Augen funkelten, als habe sie gehofft, er würde diese Frage stellen. „Unter den jetztigen Schülern hält soweit ich weiß Janna Solen den Rekord, er ist aber nicht so hoch. Vor über zehn Jahren, kurz nach Gründung der Schule, gab es einen Schüler, der zweieinhalb Jahre lang jeden Tag nachgesessen hat. Ich bin mir nicht ganz sicher, wer es war, Ganner hat gesagt, es wäre ein Junge namens Tim Frost gewesen, aber Kev Darren hält an der Behauptung, er seie es gewesen, fest.“
Tim Frost ... Jack kannte diesen Namen, hatte gestern etwas über diesen Jungen gelesen. Er war ein Krimineller gewesen, den Lilah und Harris Solen, Janna Solens Eltern, aufgenommen hatten.
Auch Kev Darren war ein ihm nicht unbekannter Name. Laut seinem Stundenplan war sein Englischlehrer „Darren, K.“, höchstwahrscheinlich war dieser Kev Darren der selbe Mensch.
An Janna Solens Extrastunden in der Schule wollte er gar nicht denken, sie lenkte ihn schon von allem ab, wenn er nicht bewusst an sie dachte, er wollte sein Gehirn nicht mit zu vielen Gedanken an sie überfordern.
Jack bemerkte, dass Tahiri aufgestanden war und an der verschlossenen Tür herumhantierte, wie es schien mit einer Haarnadel.
„Ich hab’s!“, gab sie ihren Triumph bekannt, öffnete die Tür und betrat das Klassenzimmer.
Jack bewegte sich nicht und das Mädchen steckte den Kopf zur Tür raus: „Kommst du?“
Widerwillig folgte Jack Tahiri. Sie stand weit hinten im Raum und untersuchte verschiedene Tische. Er stellte sich zu ihr, sah zum Tisch, dann zu ihr, war aber nicht in der Lage zu erraten, wonach das Mädchen suchte.
„Hier!“ Tahiri deutete auf eine Eingravierung in einem der Tische. „Genau wie Mr Bishop gesagt hat! Hier hat der Übeltäter ganz am Anfang seiner zweieinhalb Jahre Strafe jede Stunde einen Strich in den Tisch geritzt.“
„Warum musste er überhaupt nachsitzen?“
„Ich weiß nicht genau, ich glaube, er hat was angestellt, bevor er auf die Schule hier gekommen ist und das war die Strafe, die er absitzen musste.
„Man lässt hier Schüler zu, von denen man weiß, dass sie kriminell sind?!“, fragte Jack entsetzt.
„Ja“, meinte Tahiri, als seie das das normalste der Welt. „Mr Bishop ist der Meinung, jeder hat eine zweite Chance verdient, egal, was er verbrochen hat. Er und seine Schwester Mrs Solen haben schon vor der Gründung dieser Schule ein Programm zur Förderung ehemaliger jugendlicher Straftäter durchgesetzt und es getestet. Bis heute ist es aktiv und die Ergebnisse lassen wirklich nichts zu wünschen übrig.“
Tahiri wusste, warum sie diese Methode Lucas Bishops sosehr verteidigte: Sie kannte selbst jemanden, der nur wegen diesem Programm noch an der Schule war und sie mochte Zach sehr, weswegen sie dem Schulleiter sehr dankbar war, denn sie war sich sicher, dass Zach seine zweite Chance verdient hatte – oder war es mittlerweile schon die dritte, die er bekam? Tahiri wusste es nicht, es war nicht von so großer Wichtigkeit.
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Und somit kommen wir zum Ende der Führung durch die Schule, auf der Jack mehr als ein Möglichkeit hatte, sich Gedanken über den Menschen zu machen, die er bisher kennengelernt hat (und auch über einige, die er noch nicht wirklich kennt).
Was Kev Darren und Tim Frost angeht, darüber erfahrt ihr später noch genug.