„Ich muss jetzt los“, sagte sie.
„Jetzt? Ich dachte, wir bestellen uns ein Frühstück aufs Zimmer.“
„Keine Zeit.“ Vicki zupfte ihren Rock zurecht, sodass die Nähte korrekt über ihren Hüften lagen.
„Es ist noch früh.“ Michael Rose blickte auf sein nacktes Handgelenk.
Vicki strengte sich an, die Frage in seinem Blick zu übersehen, die aufkeimende Verletzung in seiner Stimme zu überhören. „Um acht Uhr kommt eine Mandantin.“ Sie fuhr sich eilig mit dem Kamm durch ihre nassen Haare.
„Wie wär’s dann mit heute Abend? Essen im Dee-Felice-Café?“
„Ich kann nicht.“
„Ich dachte, dein Mann wäre bis Ende der Woche verreist.“ Zwischen die Silben der einzelnen Worte schob sich ein unschöner schmollender Unterton.
„Das ist er auch. Aber ich habe auch noch zwei Kinder, wenn du dich erinnerst.“
„Denen erzählst du halt, dass du noch arbeiten musst.“
„Ich kann nicht.“
„Vicki…“
„Michael…“
Er lachte, doch in diesem Lachen schwang schon ein Unterton der Niederlage mit. „Wie wär’s dann mit morgen?“
„Michael…“
„Vicki…“
Nun war es an ihr zu lachen, und in ihrem Lachen klang bereits die Drohung schlechter Neuigkeiten durch. „Ich denke, wir sollten vielleicht eine Pause einlegen.“
„Eine Pause einlegen?“ Verblüffung, Besorgnis und schließlich Unglaube zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. „Was? Wir beide?“
„Es gibt kein Wir, Michael.“ Vicki hatte ihre Kleidung zu ihrer Befriedigung zurechtgezupft und sah ihn zum ersten Mal seit dem Aufwachen direkt an. „Ich habe einen Mann. Und du haste eine Frau.“
„Und?“
„Und…“ Vicki warf die Hände in die Luft, als wollte sie fragen, ob das nicht Erklärung genug sei.
„Das hat uns bis jetzt doch auch nicht abgehalten.“ Sein Unglaube verwandelte sich rasch in Wut.
Vicki hatte das Gefühl, als ob ihr die Luft abgeschnürt wurde, so als würde sie jemand zu heftig drücken. „Es tut mir Leid. Ich wollte dir nicht wehtun.“
„Wie ich mich fühle, kümmert dich doch einen Dreck.“
„Michael, bitte. Ist das notwendig?“
Michael sah sich hilflos in dem Zimmer um. „Ich dachte, das mit uns sei etwas Besonderes.“
„Das war es auch.“ Schluss, aus, raus, dachte sie. „Es hat nichts mit dir zu tun, Michael.“
„Du willst meine Intelligenz doch nicht mit der abgelutschten ‚Es hat nichts mit dir zu tun’-Rede beleidigen, oder?
„Nein, natürlich nicht“, log Vicki. „Also, wie gesagt, es tut mir wirklich Leid.“
„Ich verstehe bloß nicht, wie sich die Rollen verkehrt haben“, sagte er nach einer Pause und strich sich ungläubig durchs Haar, während Vicki zur Tür strebte. „Ich meine, eigentlich sollte ich derjenige sein, der zur Arbeit eilt. Und du müsstest nackt in Unterwäsche dastehen und mich anflehen, noch zu bleiben.“
Darum ging es in dieser kleinen Szene also, stellte Vicki erstaunt fest. Nicht um Liebe oder auch nur Lust. Nicht um Enttäusch und Kummer, sondern nur um verletzte Eitelkeit, darum, als Erster gehen zu wollen. „Tut mir Leid, Michael“, sagte Vicki noch einmal, obwohl sie es immer weniger bedauerte. Und weil sie es einfach nicht lassen konnte, fügte sie noch hinzu: „Ich nehme an, wir sehen uns vor Gericht.“
Ich hoffe, euch hat der Teil ein wenig gefallen
Ganz liebe Grüße
Eure Nikita