Was sie betraf, so wollte sie diese ganze lästige Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen und nach L.A. zurückkehren. Sie schnitt dem fauchenden Grizzly und dem zottigen Kopf einer Bergziege eine Grimasse. Welch ein Ort, grübelte sie. Und was für seltsame Leute.
Neben dem Cowboy im Anwaltskostüm saß die knochige Haushälterin mit hennagefärbten Haaren stocksteif da. Ihre Knie hatte sie fest zusammengepresst und mit ihrem abscheulichen schwarzgrauen Kleid bedeckt. Es folgt der edle Wilde mit seinem überwältigend attraktiven Gesicht und den unergründlichen Augen. Ihm haftete ein schwacher Geruch nach Pferd an.
Lily, das Nervenbündel, dachte Tess, ihre Musterung fortsetzend. Sie hielt die Hände krampfhaft gefaltet und den Kopf gesenkt, als ob sie so die Blutergüsse in ihrem Gesicht verbergen könnte. Hübsch und zerbrechlich wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, das mitten in einer Schar von Geiern gelandet war.
Tess’ Herz wurde weich, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit rasch Willa zu. Die Landpomeranze, stellte sie naserümpfend fest. Mürrisch, vermutlich nicht mit Intelligenz gesegnet und wortkarg. Zumindest sah die Frau in Jeans und Flanellhemd besser aus als in dem sackartigen Kleid, das sie zur Beerdigung angehabt hatte. Sie bot einen interessanten Anblick, wie sie da in dem großen Ledersessel saß, einen Stiefelbekleideten Fuß auf das Knie gelegt, das fremdartige exotische Gesicht unbeweglich wie Stein.
Und da sie in den schwarzen Augen keine einzige Träne entdeckt hatte, dass Willa für Jack Mercy keine größere Liebe gehegt hatte als sie selbst. Eine rein geschäftliche Angelegenheit stellte sie fest und trommelte ungeduldig mit ihren Fingern auf die Armlehne ihres Sessels herum. Hoffentlich kamen sie bald zur Sache.
Noch während sie das dachte, hob Nate den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Einen Moment lang beschlich sie das unheimliche Gefühl, er könne ihre Gedanken lesen. Und dass sie ihm als Person missfiel, war nicht zu übersehen.
Ach, denk doch was du willst, beschloss Tess und sah ihn trotzig an. Sieh du nur zu, dass ich mein Geld bekomm.
„Wir haben jetzt mehrere Möglichkeiten“, begann Nate. „Entweder wir regeln die ganze Sache formell, das heißt, ich les euch Jacks letzten Willen Wort für Wort vor und erkläre euch dann, was die juristischen Floskeln im Klartext bedeuten, oder ich fasse den Inhalt des Testaments einfach kurz zusammen.“ Er schaute bei diesen Worten Willa an. Sie bedeutete ihm am meisten. „Die Entscheidung liegt bei dir.“
„Mach’s bitte nicht so kompliziert, Nate.“
„Wie du willst. Bess, dir hat er für jedes Jahr, das du auf der Mercy Ranch gearbeitet hast, tausend Dollar hinterlassen. Das macht insgesamt vierunddreißigtausend Dollar.“
„Vierunddreißigtausend?“ Bess konnte es kaum glauben. „Himmel, Nate, was soll ich denn mit so einem Haufen Geld anfangen?“
Er lächelte. „Du könntest es zum Beispiel ausgeben, Bess. Aber wenn du einen Teil davon sicher anlegen willst, steh ich dir gerne mit Rat und Tat zur Seite.“
„Großer Gott!“ Überwältigt blickte Bess zu Willa, dann auf ihre Hände, dann wieder zu Nate hin. „Großer Gott!“
Und Tess dachte: Wenn die Haushälterin schon dreißig Riesen kassiert, sollte ich mindestens das Doppelte kriegen. Was sie mit so einem Haufen Geld anfangen würde, das wusste sie ganz genau.