"Wer Liebe verspricht..."

Ihre Tante hob den Kopf. "Ja, Liebes?"
"Es gibt jemanden, dem ich...ich mich...sehr verbunden fühle." Sie schluckte und versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen. Schweißtropfen rannen ihr den Nacken herunter und sie presste ihre zitternden Hände zusammen.
"Ich.....bin nicht so...so ehrlich gewesen wie...." Sie schluckte nocheinmal und hielt inne. Der noch eben so kühne Mut verließ sie. Hilf mir Gott, Hilf mir!
Lady Bridget beugte sich vor und seltsamerweise lächelte sie.
"Ich weiss, mein Kind." hauchte sie. "Ich weiß - du musst mir nichts sagen. Ich bin doch nicht blind! Erst vor kurzem habe ich zu Josh gesagt, es liegt etwas in der Luft. Wie sonst könnte der liebe Junge so viele Briefe schicken?"

Sie lachte glücklich und drückte Olivia die Hand.
"Lass dir Zeit, Liebes. Lass dir Zeit soviel du brauchst. Du kannst es mir sagen, wenn du soweit bist. Ich habe so lange gewartet, ich kann auch noch länger warten." In ihren Augen glänzten plötzlich Tränen und von ihren Gefühlen überwältigt, versagte ihr die Stimme. "Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel mir das bedeutet, was du mir sagen willst...!" Sie drückte mit zitternden Lippen ihr Taschentuch auf die Augen und griff wieder nach dem Brief.
Olivia war wie vom Donner gerührt. Das konnte doch nicht wahr sein - ihre Tante sprach von Freddie Birkhurst!

Olivia hätte beinahe laut gelacht. Ihre Tante glaubte allen Ernstes, sie sei in Freddie verliebt? Und das nur, weil er ihr ständig diese lästigen Briefe schrieb, die sie ungeöffnet in den Papierkorb warf? Das war einfach lachhaft! Und trotzdem brachte sie das völlig aus dem Konzept. Zum ersten Mal begriff Olivia mit aller Wucht, was ihre Erklärung auslösen würde und welche bitteren Folgen ihre Bindung an Jai für die Familie hatte.
Man musste es ihnen natürlich sagen - und zwar bald, sehr bald. Sie konnte nicht länger so leben. Aber die Worte, die die Bombe platzen lassen würden, mussten sorgfältig gewählt werden.

Es würde Szenen geben, schreckliche Szenen mit Ohnmacht und tränenreichen Beschuldigungen und Vorwürfen. Bei dem Gedanken daran, schlug ihr Herz noch schneller, aber sie reckte auch trotzig das Kinn. Was auch kommen mochte, sie musste die Folgen tragen - wenn nicht heute, dann morgen. Natürlich würde es einen Skandal geben - Kalkutta liebte Skandale! Und natürlich würde sie das Haus der Templewoods verlassen müssen. Wohin würde Jai sie bringen? In sein Haus in Chiptur? Auf die Ganga? Wohin auch immer, hauptsache sie war bei ihm.
Aber ja, ich liebe dich...

"...hast du gehört, mein Kind?"
In Gedanken versunken, hatte sie weder gemerkt, dass ihre Tante sich umgesetzt hatte noch dass sie mit ihr sprach.
"Ich dachte, du würdest Onkel Josh vielleicht eine Tasse Tee bringen..." wiederholte Lady Bridget mit einem nachsichtigen Lächeln, "er hat den ganzen Tag wieder nur gearbeitet."
Olivia kehrte in die unerfreuliche Gegenwart zurück. Onkel Josh!
Bei der Erwähung seines Names überkam sie Zorn. Kein Wunder hatte er gearbeitet, denn die Aussage von Das würde ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Trotzdem stand sie gehorsam auf und ging mit einer Tasse Tee in das Billardzimmer, wo sich Onkel Josh aufhielt.

"Tante Bridget schickt dir Tee." erklärte sie unfreundlich.
Er winkte nur ungedulig und spielte sein Spiel zuende. Allerdings so fahrig und abwesend, dass Olivia in verwundert musterte. Ihr Onkel war ein ausgezeichneter Billardspieler, aber jetzt schaffte er nicht mal, eine einzige Kugel zu versenken. Als sie sah, wie unsicher und wackelig er sich auf dem Koe aufstützen musste, zweifelte sie nicht länger daran : Sir Josh hatte wieder getrunken.
"Wie ich höre, ist Mr. Slocum wieder in der Stadt - hat er Neuigkeiten mitgebracht?" fragte Olivia mutig. Vielleicht würde ihr Onkel in seinem jetztigen Zustand etwas verraten.
"Nur das, was wir erwartet haben. Arvid Singh wird keine Anklage erheben." Er zuckte die Achseln. "Dazu hat er natürlich das Recht."

Der drohende Unterton alamierte sie. Macht er sich wirklich keine Gedanken um die vernichtende Aussage?!
"Wird in diesem Fall der Schuldige ungestraft bleiben?" Ihr Herz klopfte heftig.
"Man wird ihn nicht vor Gericht stellen, aber ich kann dir versichern, er wird nicht ungestraft bleiben."
"Oh?" Ihr wurde schwach. Sie sah in durchdringend an. Seine Lippen waren schmal und er atmete heftig. Schweigend folgte sie ihm auf das Sofa. Dort sagte sie herausfordernd.
"Es hat demnach einige neue und unerwartenden Entwicklungen gegeben?" Sie musste herausfinden, was ihr Onkel vorhatte.

"Neu - ja. Unerwartet? Nein,das würde ich nicht sagen." Er schwieg. Olivia hoffte verzweifelt, er werde freiwillig mehr sagen. Als sie schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, sagter er plötzlich.
"Erinnerst du dich an diesen Das, den deine Tante nicht austehen konnte?"
Das Blut klopfte ihr in den Schläfen. "Ja?"
"Wie ich höre, wird er vermisst."
"Vermisst." Die trockene Zunge schien ihr den Dienst zu versagen. "Ist dass von Bedeutung?"

Sir Joshua zupfte seine seidene Krawatte zurecht. "Nein, nur - er ist tot."
Olivia stockte der Atem. "Tot? Woher weisst du dass?"
"Instinkt! Das sagt mir mein Instinkt." Er sah sie an, lächelte unbestimmt und kniff ihr sanft in die Wange. Seine Finger waren eiskalt und zitternden.
"Verstehst du mein Kind, Raventhorne hat ihn umgebracht. Es würde mich überraschen, wenn es nicht der Fall wäre."
"Warum?" flüsterte sie tonlos und schauderte, wie gelassen und gleichgültig er über Dinge sprach, die doch aus seiner Sicht ein Geheimnis bleiben musste. Seine seltsame Stimmung konnte nicht nur am Alkohol liegen, den sie in seinem Atem riechen konnte.

"Verstehst du, Olivia." fuhr er freundlich fort und überging ihre Frage. "Er hat Das umgebracht und seine Leiche versteckt. Slocum wird sie nie finden." Sein Blick durchbohrte sie. Wie gebannt sah sie zurück. Sie verstand seien Andeutung.
"Und du...du kanst es?"
"Oh ja," sagte er leise, "oh ja...Ich weiß genau, was in den Köpfen der Eingeborenen vorgeht." Sein Lächeln wirkte gefährlich. "Und was in Raventhorne vorgeht, weiss ich so genau, als sei es mein Kopf."
Erstarrt fragte ihn Olivia: "Was geschieht, wenn du die Leiche findest?"
Er blieb einen Augenblick völlig regungslos und versunken.
"Dann," sprach er und richtete sich drohend auf, "dann wird dieser Bastard Raventhorne hängen."

Er stand auf,ging zur Tür und rief über die Schulter zurück: "Sag deiner Tante, dass ich zum Abendessen nicht da sein werde."
Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste etwas tun, aber was? Es war noch zu hell um sich davonzustehlen, aber ihr Onkel hatte schon einen Vorsprung. Schnell rannte sie auf ihr Zimmer und schrieb eine Nachricht. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie mehrmals neu Anfangen musste, bis die Schrift lesbar war. Möglicherweise wusste Jai bereits alles, aber sie wollte kein Risiko eingehen.
Sie gab dem Stalljungen den Brief, Silbermünzen und den Auftrag, dem Bootsmann den Brief zu übergeben.

Sie ließ ihn die Anweisungen nochmals wiederholen und ermahnte ihn, sich um Himmels Willen zu beeilen. Der Junge verschwand schnell und erleichert, aber immer noch aufgewühlt, kehrte sie zu Lady Bridget zurück.
Lady Bridget saß still im Sessel und hielt einen Brief in der Hand. Olivia setzte sich und stellte mit einem Blick auf den Umschlag fest, der auf dem Boden lag, fest das das der Brief von Estelle war.

Ihre Tante rechnete damit, das ihre Tochter sie bitten werde, noch länger bei den Pringels bleiben zu dürfen. Olivia lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen und versuchte, sich zu beruhigen.
Als sie die Augen öffnete stellte sie fest, dass ihre Tante seltsamerweise immer noch in der selben Haltung vor ihr saß. Die Hand mit dem Brief bewegte sich nicht, und sie schien auch nicht zu lesen, sondern hatte die Augen starr auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Olivia stand schnell auf und lief zu ihr.

"Tante Bridget?" Sie berührte ihre Schulter. "Geht es dir nicht gut?"
Keine Antwort. Lady Bridget schien die Frage nicht zu hören. Das vor kurzem noch glückliche und strahlende Gesicht war bleich und wächsern. Die kornblumenblauen Augen blickten leer geradeaus. Ensetzt schüttelte Olivia ihre Tante an den Schultern.
"Sag was Tante Bridget. Sie mich an! Was ist mit dir los? Bist du krank?"
Sie erhielt wieder keine Antwort, nur der Brief fiel aus der starren Hand auf den Boden.

Rasch sprang Olivia dem Blatt Papier nach und hob es auf. Es war eine Nachricht von Estelle. Die kleinen, engen Schriftzüge füllten das Blatt auf der Vorder - und Rückseite. Olivia hatte keine Zeit, alles zu lesen, was in dem langen Brief stand. Die ersten beiden Sätze sagten alles.
Jai Raventhorne hatte auf der Ganga mit der Nachmittagsflut Kalkutta verlassen. Ihre Cousine Estelle Templewood fuhr mit ihm.

Warte ungeduldig und gespannt auf eure Commis...! :häppy
Liebste Grüße und ein wunderschönes Osterfest..
Eure
Santine :wink

Sorry, sorry, sorry....das ich euch schon wieder so lange warten lassen...Aber ich hab Ferien und die nutze ich momentan in vollen Zügen aus...!!
Aber Morgen gehts endlich weiter.....ganz fest Versprochen :häppy
Also habt noch einen Tag Geduld, meine Lieben!
Gruß & Kuss,
Santine :wink