Kapitel 63: Lady Klaudia
Nach mehreren Stunden im Schönheitssalon durfte ich wieder nach Hause. Dort angekommen legte ich Lottchen in ihr Bettchen und ließ mich in den Sessel im Kinderzimmer fallen. Ich ruhe meine Augen nur eine Sekunde lang aus, dachte ich. Und eh ich es mich versah, war ich auch schon eingenickt. Geweckt wurde ich durch Francesco, der das Kinderzimmer betrat und unsere Tochter aus dem Bettchen hob. Sie hatte dort bereits wach gelegen und blickt ihren Papa nun lächelnd aus großen Augen an. Mit ihren winzigen Händchen griff sich nach seinem Gesicht. Francesco überließ im Allgemeinen mir die Arbeit mit Lottchen. Ich wickelte und fütterte sie, und auch nachts, mit Ausnahme einiger Wochenenden, war ich diejenige die aufstand, wenn sie Aufmerksamkeit verlangte. Das war ok für mich, denn immerhin musste Francesco jeden Morgen früh das Haus verlassen. Aber wenn er dann abends geschafft heimkehrte, ließ er es sich nicht nehmen, erst einmal nach oben zu gehen und seine Tochter in den Arm zu nehmen.
Francesco schien mich erst richtig wahrzunehmen, als er Lottchen wieder in ihr Bettchen gelegt und die Spieluhr über ihrem Kopf aufgedreht hatte. Doch als sein Blick schließlich auf mich fiel, stutzte er kurz. „Du siehst heute anders aus, Klaudia“, stellt er fest. Augenblick überzögen eine tiefe Röte meine Wangen. „Alexis und ich waren in der Stadt…Vorbereitungen für unseren Auftritt am Wochenende“, stotterte ich. Er musterte mich immer noch intensiv und mit heisere Stimme fügte er hinzu: „Du siehst…schön aus.“
„Danke“, antwortete ich schüchtern und mein Kopf lief nun vollends feuerrot an. Ich machte einen Schritt nach hinten und stolperte dabei fast über den Sessel. Und bevor ich mich vollends blamierte flüchtete ich mich in mein Schlafzimmer. Völlig atemlos lehnte ich mich mit dem Rücken gegen den Vorhang. Du siehst schön aus. Diese Worte kreisten unentwegt in meinem Kopf. Und gleichzeitig breiteten sich in meinem Bauch wieder die Schmetterlinge aus, die ich so mühsam eingefangen hatte. Klaudia, du dumme Nuss, er liebt dich nicht! Ermahnte ich mich selbst ein ums andere Mal. Doch es dauerte viele Minuten, bis diese Erkenntnis meinen Verstand tatsächlich erreichte.
Als ich mich wieder halbwegs gefasst hatte und nach unten ging, fand ich Francesco in seine Arbeit vertieft am Esszimmertisch vor. Wenn er so schnell wieder umschalten konnte, konnten ihm die Worte von vorhin nicht viel bedeutet haben. Also sollte auch ich sie schnell wieder vergessen. Ich wollte ihn daher auch nicht weiter stören, doch im Vorbeigehen fiel mein Blick auf einen Mappe mit Dokumenten, die das Sky Meal Logo trug. Sky Meal? Das war doch die Firma, für die Tante Joanna in SimCity arbeitete.
Das weckte nun doch meine Neugier. „Warum liegt denn eine Mappe der Sky Meal auf deinem Schreibtisch?“, fragte ich gerade heraus und setzte mich auf den freien Stuhl neben ihm. Francesco sah mich etwas verwirrt an, doch dann entdeckte er die Mappe hinter seinem Laptop. „Ach, die meinst du. Deine Tante hat sie mir gestern zugeschickt.“ Er klappte den Laptop zu.
„In diesem Jahr werden die Cateringverträge der regionalen Flughäfen in Simskelad neu ausgeschrieben. Und die Sky Meal will hier nun auch Fuß fassen. Offenbar ist deiner Tante die Provinz Simster nicht mehr groß genug. Ihr Interesse am Flughafen von Rodaklippa mit seinen drei Starts und Landungen in der Woche ist natürlich nicht groß. Aber sie hat mich gebeten, ein gutes Wort beim Herzog in Simnorsk einzulegen. Das Angebot ihre Firma ist solide. Vielleicht nicht das günstigste, aber die Qualität scheint zu stimmen. Ich muss die Zahlen noch mal genau durchgehen. Aber so wie es aussieht, steht einer Empfehlung nichts im Wege.“
Da mein Magen sich mit einem lauten Knurren meldete, ließ ich Francesco weiter arbeiten und bereitete das Abendessen zu. Doch während ich Nudeln und Tomatensoße kochte, musste ich immer wieder an die Sky Meal Mappe denken. War das etwa der Grund, warum Tante Joanna so erpicht darauf war, mich mit Francesco zu verheiraten? Wollte sie Vorteile daraus ziehen, dass Francesco mit den anderen Lords und dem Herzog gut bekannt war, und sich so die lukrativen Cateringverträge sichern? Irgendwie schmerzte mich dieser Gedanke. Bislang bin ich davon ausgegangen…ja wovon eigentlich? Das Tante Joanna nur mein Bestes im Sinn hatte? Sie wollte mir sicher nicht schaden, aber ganz sicher hatte sie auch einen eigenen Nutzen von diesem Deal. War ich etwa nur eine Ware für sie? Das konnte und wollte ich einfach nicht glauben. Und doch ließ mich der Gedanke nicht mehr los. Und ehe ich es mich versah, hatte ich auch schon das komplette Essen versalzen. Na toll, jetzt durfte ich wieder von vorne beginnen.
*****
Am Samstag war es dann so weit. Francesco hielt seine Rede vor dem Rathaus. Während ich noch mit Lottchen im Inneren des Gebäudes wartete, wurde mein Mann zunächst nur von seiner Assistentin Amy unterstützt. Es war eine schwierige Rede. Die Wirtschaft befand sich schon seit längerem in einer Krise und dementsprechend waren die Einnahmen aus der Gewerbesteuer erheblich eingebrochen. Und das bedeutete, dass Kürzungen im Etat der Stadt und der ganzen Lordschaft unausweichlich waren.
Die Bevölkerung war darüber verständlicherweise nicht glücklich. Die Rede wurde von lauten Protesten begleitet. Ich konnte die wütenden Aufschreie und gelegentlichen Buhrufe selbst durch das geschlossene Fenster deutlich hören. Mir wurde bei dem Gedanken ganz mulmig, gleich vor diese grölende Menge treten zu müssen. Aber Francesco sprach nicht das erste Mal vor einer aufgebrachten Menge. Er versucht ihre Ängste mit Argumenten zu beschwichtigen, versprach, dass die Einschnitte nur vorrübergehend wären und, und das schien die Menschen am stärksten zu besänftigen, dass das Haus Hartfels solange ebenfalls auf einen Teil der ihm zustehenden Einkünfte aus öffentlicher Hand verzichten werde.
Und dann lenkte er die Rede auf die Präsentation unserer Tochter. „Bewohner von Rodaklippa, die Zeiten sind schwierig und sie werden auch noch lange Zeit schwierig bleiben. Aber es ist unsere gemeinsame Aufgabe, für unsere Kinder eine sichere und nachhaltige Zukunft zu schaffen. Ich habe schon oft davon gesprochen, aber die Bedeutung dieser Worte ist mir erst durch die Geburt meiner eigenen Tochter so richtig bewusst geworden.“ In diesem Augenblick gab mir Francescos Assistentin Amy das Signal, aus dem Inneren des Rathauses zu treten und mich zu Francesco an das Rednerpult zu stellen. Auf meinem Arm hielt ich unser kleines Lottchen. „Begrüßen Sie meine wunderschöne Frau, Lady Klaudia, und unser bezauberndes Mädchen, die nächste Lady von Rodaklippa, Karlotta Elisabeta Klaudia Hartfels. Für sie und für alle Kinder Rodaklippas müssen wir jetzt an einem gemeinsamen Strang ziehen.“
Es war unglaublich, welcher Stimmungswechsel sich bei meinem und Lottchens Erscheinen in der Menschenmasse vollzog. Die Protestschreie verstummten vollständig. Stattdessen setzte ein zunächst leiser Applaus an, der stetig zu einem Beifallssturm anschwoll. Francesco stieg von dem Podest hinunter und legte seinen Arm um mich. Für die zahlreichen Reporter boten wir das Bild einer perfekten, glücklichen Familie. Und so fühlte ich mich auch. Und aus dem Applaus heraus konnte ich hören, wie sie nun Francesco zujubelten, den sie vor Minuten noch beschimpft hatten. Aber sie riefen nicht nur nach ihm. Das laute „Karlotta“ und „Lady Klaudia“ war nicht zu überhören.