Kapitel 43: Zweifel
Stundenlang kreisten meine Gedanken nach dieser missglückten Nacht mit FRancesco und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Doch schließlich schlief ich ein. Mir kam der tröstliche Gedanke, dass Francesco und ich uns erst einmal aufeinander einlassen mussten. Vielleicht hatte er ja nur gesagt, er hätte es schön gefunden, weil er mich nicht kränken wollte? Vielleicht war er auch so nervös wie ich und daher war unser erstes Mal so in die Hose gegangen? Es musste einfach so sein! Ich nahm mir sogar vor, ihn darauf anzusprechen. Ganz vorsichtig natürlich. Doch als ich am Morgen aufwachte, war die andere Bettseite bereits leer.
Der Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch verriet, dass es gerade einmal sieben Uhr war. Daher dachte ich auch zunächst, dass Francesco nur im Bad wäre. Doch als er nach 15 Minuten immer noch nicht zurück war, entschloss ich mich aufzustehen und mich anzuziehen. Ich war gerade dabei das Bett zu machen, als das Hausmädchen, Anke, wenn ich mich recht erinnerte, das Zimmer betrat. „Fräulein Blech, Sie sind ja bereits wach“, stellte sie überrascht fest. „Aber bitte, Sie müssen das Bett nicht machen. Das ist doch meine Aufgabe.“
Einem Impuls folgend wollte ich die ebne erst sorgfältig gerade gestrichene Decke wieder zerwühlen, weil ich befürchtete, Anke könnte Ärger dafür bekommen, wenn jemand erführe, dass ich ihre Arbeit erledigt hatte. Aber natürlich was das dumm. Ich ließ die Decke also in Ruhe und ging auf sie zu. „Anke, wissen Sie wo Francesco ist? Ich kann ihn nicht finden.“ Anke wirkte sichtlich verlegen, als sie mir antwortete. „Lord Hartfels bat mich Ihnen mitzuteilen, dass er dringend eine Geschäftsreise antreten musste. Er wird die nächsten vier Wochen in Südamerika unterwegs sein.“
Ich glaubte zunächst, mich verhört zu haben. Francesco konnte doch nicht einfach abreisen, ohne ein Wort zu sagen. Und das, wo wir doch gerade erst miteinander geschlafen hatten. War es für ihn etwa so furchtbar gewesen, dass er sofort die Flucht ergreifen musste? Anke lächelte mir mitfühlend zu, doch eine Erklärung konnte sie mit verständlicherweise nicht liefern. „Nehmen sie doch auf der Terrasse Platz, Fräulein Blech“, forderte sie mich stattdessen auf. „Es ist ein sehr schöner Morgen. Ich werde ihnen dann das Frühstück draußen servieren.“
Als ich auf die Terrasse hinausging, fiel mein Blick sofort auf das große Schwimmbecken, welches mir bei meinen vorherigen Besuchen nicht aufgefallen war. Und ich entdeckte Alexis, die darin ihre Bahnen zog. Als sie mich bemerkte, winkte sie mir gleich zu. „Guten Morgen, Klaudia!“ rief sie fröhlich und schwamm an den Beckenrand, um mit einer geschickten Bewegung aus dem Wasser zu steigen.
Sie hüllte sich in einen Satin-Bademantel, der am Beckenrand lag, und setzte sich zu mir an den Tisch, wo bereits die dampfenden Waffeln auf uns warteten. „Du siehst nicht besonders glücklich aus, Klaudia“, stellte sie fest, nachdem wir schweigend zu essen begonnen hatten. „Ist etwas passiert?“ Doch ehe ich antworten konnte, kam sie schon selbst auf des Rätsels Lösung. „Warte, es geht um Francesco. Mein lieber Bruder hat sich bestimmt wieder einmal davongeschlichen, ohne sich von seiner Liebsten zu verabschieden. Deshalb stand die Limousine heute früh schon vor dem Schloss.“
Ich nickte betrübt. „Du darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen, Klaudia. Du bist nicht die erste Frau, die ich hier morgens allein am Pool antreffe. Nicht das du mich falsch verstehst, viele Frauen gab es da nicht. Mein Bruder ist kein Frauenheld. Aber er ist ein Einzelgänger. Und manchmal wird ihm Nähe einfach zu viel und er beschließt zu fliehen. So sieht er selbst das natürlich nicht. Für ihn sind es immer wichtige, unaufschiebbare Geschäfte, die seien Aufmerksamkeit verlangen. Dabei hätte er dich doch nur kurz wecken müssen. Aber so ist Francesco nun einmal. Selbst Mutter und ich wissen oft genug nicht, wohin er verschwindet. Aber auf eines kann man sich verlassen: Er kommt immer zurück.“
*****
Alexis Worte schafften es nicht, meine Ängste zu mildern. Ich war mehr und mehr davon überzeugt, dass Francesco nur deswegen verschwunden war, weil er sich von mir abgestoßen fühlte. Deshalb hat er es auch nicht ertragen, mich beim Sex anzusehen. Wahrscheinlich hat er stattdessen an eine der vielen Frauen gedacht, die Alexis erwähnt hatte und die er viel lieber statt mir im Bett gehabt hätte. Ist er etwa auch verschwunden, weil er die Hochzeit absagen wollte? Wie würde ich dann dastehen, vor meinen Freunden und vor meinen Eltern? Wie sollte ich es ihnen erklären, dass er mich auf einmal nicht mehr wollte? Um nicht ganz verrückt zu werden, versuchte ich mich so gut es ging abzulenken. Seit Israel gelang mir das beim Malen nicht mehr so richtig. Aber beim Gitarrespielen, insbesondere in der Öffentlichkeit, wurden meine Gedanken wider klarer.
Es gab natürlich keine stichhaltigen Anzeichen dafür, dass Francesco die Verlobung lösen wollte. Er hatte nichts in der Richtung angedeutet. Und war es vor kurzem nicht noch mein eigner Wunsch die Verlobung zu lösen? Ich war so verwirrt, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich wollte. Wenn ich doch mit Francesco hätte sprechen können. Doch er ging niemals an sein Handy, wenn ich ihn anrief und beantwortete auch keine meiner Kurznachrichten. Selbst in Südamerika solle es doch wohl Handyempfang geben. Und das brachte mich wieder zu meinen Selbstzweifeln zurück. Wollte er mich denn überhaupt noch wiedersehen, geschweige denn heiraten? Es war ein Teufelskreis.
Zwei Wochen wartete ich, ohne ein Lebenszeichen von Francesco zu bekommen. Zwei Wochen in denen ich kaum etwas anderes tun konnte als darüber nachzudenken, ob ich ihn heiraten konnte, ob ich es wolle oder ob er es konnte und wollte. Da ich mich zuhause ständig vor Jamie und Magda rechtfertigen musste und mir die ewigen Beteuerungen, es ginge mir gut und ich sei glücklich, langsam zum Halse raushingen, zog ich mich in die zahlreichen Parks von Rodaklippa zurück. Im japanischen Garten erhoffte ich mir endlich Klarheit zu bekomme. Das ganze Zen um mich herum musste ja für etwas gut sein.
Doch statt Klarheit übermannte mich bei all dem harmonischen Anblick die pure Verzweiflung. Ich hatte mich in eine Sackgasse manövriert, aus der es kein Entkommen mehr gab. Ich wollte Francesco nicht heiraten. Wir hatten uns nichts zu sagen, wir hatten keine gemeinsamen Interessen. Er war mir gegenüber kalt und abweisend und unsere unglückliche gemeinsame Nacht war da nur die Spitze des Eisbergs. Und mit so einem Mann sollte ich den Rest meines Lebens verbringen? Mit ihm Kinder aufziehen? Das konnte ich einfach nicht.
Aber was war die Alternative? Würde ich die Hochzeit absagen, dann würde ich mich in aller Öffentlichkeit, vor all meinen Freunden und meiner Familie demütigen lassen. Ich würde auch Francescos Ruf und den meiner Tante beschmutzen, die diese Ehe doch eingefädelt hatte. Aber vor allem wäre ich allein. Ich hätte keinen Mann und all meine Träume von Ehe und Familie wären dahin. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf und versuchte den Schmerz heraus zu weinen. Und jeder Träne, jedem bitteren Schluchzer, schienen mindestens zwei weitere zu folgen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort noch so gestanden hätte, hätte nicht eine mir wohlvertraute Stimme besorgt, „Klaudia, ist…ist alles in Ordnung bei dir?“, gefragt.